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Religionspolitik in Usbekistan

Zwischen Liberalisierung, Staatsideologie und Islamisierung

SWP-Studie 2023/S 07, 13.06.2023, 34 Seiten

doi:10.18449/2023S07

Forschungsgebiete

Dr. Andrea Schmitz ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.

  • Die religionspolitischen Neuerungen, die Usbekistans Präsident Mirziyoyev im Namen von Liberalisierung und Reform angestoßen hat, setzen in zentralen Aspekten die Politik seines Vorgängers fort.

  • Unter dem Motto »Aufklärung gegen Unwissenheit« wurde der staatliche Zugriff auf das in Bildungs- und Forschungseinrichtungen vermittelte reli­giöse Wissen verstärkt. Das islamische Erbe wird offensiv für staatliche Repräsentation genutzt und als integraler Bestandteil der Nationalkultur aufgewertet.

  • Die religionspolitischen Maßnahmen, die auf eine »Säkularisierung« des Islams durch Verwissenschaftlichung und Musealisierung hinauslaufen, erreichen weite Teile der Gesellschaft nicht. Für diese ist der Islam keine Wissenschaft, sondern geglaubtes Wissen, ein System von Regeln und Über­zeugungen, das ihnen dabei hilft, ein gottgefälliges Leben zu führen.

  • Entsprechende Beratungsangebote stehen mit der Liberalisierung der Medienlandschaft massenhaft zur Verfügung. Dabei werden offensiv auch illiberale Überzeugungen propagiert. Um das religiöse Feld im Blick zu behalten, schreitet der Staat jedoch nur selektiv dagegen ein.

  • Die religionspolitische Liberalisierung hat eine wachsende Islamisierung der Bevölkerung zur Folge. Der autoritäre Staat mit Präsident Mirziyoyev an der Spitze wird dadurch gefestigt. Repression bleibt das Mittel der Wahl, sollten islamische Milieus den säkularen Staat ernstlich herausfordern.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Usbekistan, mit 36 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land in Zentral­asien, spielt seit jeher eine Schlüsselrolle in der Region. Das gilt umso mehr seit dem 2016 unter Präsident Shavkat Mirziyoyev eingeleiteten Kurswechsel. Mit dieser Weichenstellung, die auf die gesamte Region ausstrahlt, hat sich auch der Umgang mit dem Islam gewandelt. Usbekis­tans Religionspolitik steht paradigmatisch für den Versuch, Religion zielgerichtet als staatliche Macht­ressource zu nutzen, anstatt sie zu marginalisieren. Diese Strategie, die das autoritäre Herrschaftssystem eher festigt als lockert, ist in Zentralasien bislang nicht erprobt und mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden, die es im Auge zu behalten gilt.

Usbekistan ist ein autoritär geführter säkularer Staat mit einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft, dessen Verfassung die Trennung von Staat und Reli­gion vorschreibt. Westliche Politik und politiknahe Forschung beobachten dieses Verhältnis besonders im Hinblick auf Widersprüche zwischen dem säkularen Prinzip und der Verfassungswirklichkeit. Folglich gerät die Religionspolitik immer dann in den Fokus, wenn der Staat in den Bereich des Religiösen eingreift und dabei gegen die Verfassung und die darin fundierten Rechte der Gläubigen verstößt. Das religiöse Feld selbst erscheint dabei weitgehend als Objekt staat­licher Macht­ansprüche. Seine Akteure erhalten ledig­lich als Opfer Kontur, deren Handlungsfähigkeit gering ist und deren Stimmen schwach. Die diskursive Dyna­mik inner­halb des religiösen Feldes wird ebenso wenig er­fasst wie die Interaktion zwischen säkularer und reli­giöser Elite und der spezifische Kontext, der diese Inter­aktion strukturiert.

Um diesen Kontext und damit das Spannungsfeld von Religion und Politik in Usbekistan schärfer aus­zuleuchten, nimmt die Studie Pfadabhängigkeiten in den Blick. Dabei zeigt sich, dass die religionspolitischen Initiativen, die unter Präsident Mirziyoyev an­ge­stoßen wurden, in zentralen Aspekten die Politik seines Vorgängers fortsetzen. Dies ist vor allem in der Gesetzgebung erkennbar. Bisherige Regeln und Vor­schriften werden nicht etwa aufgeweicht, sondern be­stätigt und ausformuliert, etwa die gesetzlichen Rah­menbedingungen für die Aktivitäten religiöser Orga­nisationen und für das Bildungswesen.

Die säkulare und die religiöse Elite teilen die Über­zeugung, dass der Islam eine Schlüsselrolle für die nationale Identität spielt und spielen muss. Das wich­tigste Instrument, um diese in der Bevölkerung zu verankern, ist die Bildungspolitik. Religiöses Wissen ist eine bedeutende symbolische Ressource und zahl­reiche Autodidakten bedienen die Nachfrage nach islamischer Bildung. Um deren Vermittlung aus dem Schatten der privaten, informellen Zirkel herauszu­holen, aus denen der säkularen Elite in der Vergangen­heit immer wieder gefährliche Konkurrenz erwuchs, wurde das staatliche Angebot seit 2017 stark erwei­tert. Mehrere eigens dafür gegründete spezialisierte For­schungs­institute sollen dazu beitragen, einen »staats­bürgerlichen« Islam zu schaffen und die Ver­breitung damit verbundener Glaubensartikel nach­haltig zu sichern. Mit dieser Bildungsoffensive kommt der Staat den religiösen Bedürfnissen der Gesellschaft ebenso entgegen wie dem Geltungsanspruch der reli­giösen Elite. Gleichzeitig behält er sich das Recht vor mit­zubestimmen, was im Namen des Islams gelehrt wird und wer dazu legitimiert ist.

Die staatliche Aufsicht über das religiöse Feld wurde durch straffere Zentralisierung und dichtere interinstitutionelle Vernetzung gestärkt. Das staat­liche Komitee für religiöse Angelegenheiten (KrA) beaufsichtigt nun de facto auch diejenigen Einrichtungen, für die nominell die Geistliche Verwaltung, das Direk­torat der Muslime Usbekistans (DMU), zuständig ist. Der staatliche Kontrollanspruch über die religiösen Bil­dungseinrichtungen und Forschungsinstitute reicht bis in die Konzeption der Curricula und ist erkennbar auf eine Entschärfung religiöser Unterscheidungen gerichtet. So werden religiös begründete Grundsätze und Vorschriften in der Sprache der säkularen Bil­dungsbürokratie zu »traditionellen« Werten und all­ge­meinen Moralvorstellungen, der Islam zu einer Handlungsethik, die an die Bedürfnisse des modernen usbekischen Entwicklungsstaates angepasst ist.

Dabei spielt das Konzept der »spirituellen Auf­klä­rung« eine bedeutende Rolle, das schon unter Mir­ziyoyevs Vorgänger Islom Karimov entwickelt wurde und als Platzhalter für eine wesentlich säku­lare Staats­doktrin fungiert. Es würdigt den Islam als ele­men­taren Bestandteil der Nationalkultur. Reprä­sen­tative und ökonomisch verwertbare Aspekte der mus­li­mi­schen Religion werden gezielt gefördert (monumen­tale Neubauten, Ausbau des Pilgertourismus), isla­mische Bildung, Kunst und Gelehrsamkeit für die staatliche Repräsentation nutzbar gemacht und ver­marktet.

Die »Säkularisierung« des Islams durch Verwissenschaftlichung und Musealisierung wird getragen von einem urbanen, staatsnahen und ohnehin in einer säkularen Bildungstradition beheimateten Segment der Gesell­schaft, zu dem auch die politische Elite gehört. Auf die Praxis der Gläubigen hat dieses Religionsverständ­nis jedoch kaum Einfluss. Was für sie zählt, ist, dass sie ihre Religion nunmehr vergleichsweise unge­stört prak­tizieren können. Dass der Staat das religiöse Feld genau­estens kontrolliert, ist den meisten bewusst und wirkt zweifellos disziplinierend. Die Gläubigen kennen die Grenzen des Erlaubten und wissen, dass die Behör­den jederzeit einschreiten können, wenn diese Gren­zen ihrer Meinung nach überschritten wer­den. Gleich­wohl ist der religiöse Raum erstaunlich autonom.

Grund dafür ist nicht zuletzt die Liberalisierung der Medienlandschaft, die einen maßgeblichen Teil von Mirziyoyevs Reformagenda darstellt. Das offizielle Bekenntnis zu Meinungs- und Redefreiheit hat eine lebhafte Blogger-Szene entstehen lassen. Ähnlich wie im demokratischen Westen darf sich im virtuellen Raum zu Wort melden, wer sich dazu berufen glaubt. Folglich sind religiöse Spezialisten (seltener Spezialistinnen) nun auch online aktiv und bieten Information und Unterweisung an. Unter ihnen sind wortmächtige Akteure, die das staatliche Bemühen um einen »welt­licheren« Islam unterlaufen, indem sie auf der Unter­scheidung zwischen staat­lichen Gesetzen und gött­lichem Gebot bestehen und im Fall von Wider­sprüchen Letzteres für vorrangig erklären. Bei religiö­sen Laien, deren Bedarf nach ge­sichertem Wissen über den Islam schier grenzenlos ist, genießen die Online-Predi­ger eine Autorität, gegen die das säkularisierte Ange­bot der staatlichen Insti­tutionen nicht ankommt.

In diesem diskursiven Raum werden auch illiberale Überzeugungen verhandelt, die vor allem die in der Verfassung verankerten Gebote von Gleichheit und Toleranz betreffen. Doch die religiöse Binnenwelt wird durch das staatliche System von Überwachung, Zensur und Strafe nicht vollständig erfasst. Sie wird offenbar sogar selektiv geduldet. Denn zum einen überschneiden sich die dort vertretenen Auffassungen mit den­jenigen des offiziellen Klerus und der säkularen Elite; zum anderen lässt sich der religiöse Diskurs besser im Blick behalten, wenn man auch Extrempositionen ein Ventil bietet. Damit leistet die staatliche Politik einer wachsenden Islamisierung Vorschub, die sich westlicher Einflussnahme weitgehend entzieht.

Usbekistans religions­politisches Erbe

Ähnlich wie in den übrigen zentralasiatischen Repub­liken ist in Usbekistan der sunnitische Islam die domi­nierende und von einer breiten Mehrheit auch aktiv praktizierte Religion. Der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung von 36 Millionen (Januar 2023)1 wird auf 88 bzw. 96 Prozent geschätzt, die überwäl­tigende Mehrheit folgt der sunnitischen Glaubensrichtung.2 Es sind daher vor allem Muslime, an die sich die usbekische Religionspolitik richtet, und es ist der imaginierte und gelebte Islam, auf den sich die staatlichen Interventionen beziehen.3 Gemäß der Ver­fassung ist Usbekistan ein laizistischer Staat, in dem Staat und Religion strikt voneinander getrennt sind und der seinen Bürgerinnen und Bürgern Gewissensfreiheit garantiert, ebenso wie das Recht, sich zu einer beliebigen oder auch zu gar keiner Religion zu bekennen.4 Dieser säkulare Entwurf, den Usbekistan mit den übrigen muslimisch geprägten Republiken der Region teilt, ist eine Folge des sowjetischen Moder­nisierungsprogramms, dem der seit 1991 unabhängige usbekische Staat verpflichtet geblieben ist.

Dies gilt auch und umso mehr für die Zeit seit 2016. Unter Präsident Shavkat Mirziyoyev hat sich in Usbe­kistan viel getan. Die Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die Mirziyoyev in Angriff genommen hat, wird den autoritären Charakter des Regimes nicht verändern; sie hat aber das vordem weitgehend abgeschottete Land der Außenwelt geöffnet und den Bürgerinnen und Bürgern neue Freiheitsräume ver­schafft.5 Das gilt ebenfalls für das religiöse Leben. Gleich­wohl folgt Usbekistans neue Religionspolitik in zentralen Aspekten historischen Parametern. Dies be­trifft vor allem den säkularen Zugang zur Religion und die Einbindung des Islams in Konzepte von Tradi­tion und Nation. Ferner ist die »Versicherheitlichung« des Islams ‒ die Einbettung von Glaubensfragen in einen Bedrohungs- und Sicherheitsdiskurs ‒ das Resul­tat gesellschaftlicher Umbrüche, die in der letzten Dekade der sowjetischen Epoche ihren Ausgang nah­men und nach Auflösung der Sowjetunion die post­kommunistische Elite unter Präsident Islom Karimov (1991–2016) herausforderten. Es sind die staatlichen Reaktionen auf diese Herausforderung, an die Usbe­kis­tans religionspolitische Reformen heute anknüpfen und die daher einen Rückblick verdienen.

Islamistische Herausforderungen der frühen Jahre

Die religiöse Elite (‘ulamā) ist in Usbekistan wie in ganz Zentralasien von der hanafitischen Rechtsschule (mazhab)6 geprägt und wird vom Staat kontrolliert. Schon in der späten Sowjetzeit, etwa seit den 1970er Jahren, wurde das säkulare Regime von Anhängern einer bis dahin in Zentralasien marginalen Strömung des Islams in Unruhe versetzt.7 Sie folgten einem reformistischen, dem arabischen Ritualpurismus ver­hafteten Traditionsstrang und wurden deshalb von ihren Gegnern als »Wahabis« (vahhobylar) bezeichnet. Sie verlangten, die lokale religiöse Praxis, die auch nicht schariakonforme Gewohnheiten wie zum Bei­spiel das Pilgerwesen tolerierte, wieder an den Basis­quellen auszurichten – dem Koran als dem geoffenbarten Gotteswort sowie an der Sunna, dem Korpus der dem Propheten zugeschriebenen Aussprüche und Handlungsweisen. In doktrinären und orthopraktischen Fragen vertraten die »Erneuerer« (mujaddidlar), wie sie sich selbst nannten, unterschiedliche Positio­nen. Was sie einte, war ihre Opposition zum hana­fitischen Establishment, das sich in ihren Augen durch seine Indienstnahme durch die Staatsmacht kompromittiert hatte.

In den 1980er Jahren führten der »Umbau« (Pere­strojka) und die »Öffnung« (Glasnost’) der sowjetischen Gesellschaft unter Parteichef Gorbatschow zu einer religiösen Liberalisierung. Im Zuge derer verschärfte sich in Usbekistan der Streit zwischen der konser­va­tiven hanafitischen Gelehrtenschaft und der poli­ti­sierten jüngeren Generation muslimischer Intellek­tueller und Autodidakten. Deren politisierte Aus­legun­gen der religiösen Überlieferungen stießen auf Wider­stand bei der hanafitischen ‘Ulamā, die nicht nur die dog­matischen und rituellen Innovationen der »Wahabis« zurückwies, sondern auch ihre politischen Forderungen.8

Gegen Ende der 1980er Jahre, die von einer verstärkten Neubesinnung auf nationale Tradition und Kultur gekennzeichnet waren, schlossen sich säkular ausgerichtete Intellektuelle und Kulturschaffende zu einer Volksfront Birlik (»Einheit«) zusammen. Von ihr spaltete sich 1990 die Partei Erk (»Freiheit«) ab. Eine zentrale Forderung von Birlik, nämlich die usbekische Sprache gegenüber dem Russischen aufzuwerten, mün­dete 1989 in einem Gesetz, das die usbekische Spra­che der russischen gleichstellte.9 Auch die musli­mi­schen »Erneuerer«, die überwiegend im usbekischen Teil des Ferghanatals aktiv waren, organisierten sich. Diverse Gruppierungen entstanden, die dem Islam in Politik und Gesellschaft mehr Geltung verschaffen wollten und dafür eintraten, dass sich staatliche Poli­tik an islamischen Prinzipien orientieren solle. Einige dieser Gruppen verlangten die Errichtung eines isla­mischen Staates; sie bildeten Bürgerwehren, um isla­mische Rechtsnormen durchzusetzen, und konfrontierten die staatliche Macht zunehmend aggressiv mit ihren Forderungen.10

Die postkommunistischen Machthaber, repräsentiert durch Islom Karimov, der im Dezember 1991 zum Präsidenten des seit September unabhängigen usbeki­schen Staates gewählt worden war, reagierten auf die Herausforderung, indem sie die islamistischen Grup­pen auflösten und ihre Führer verhafteten. Ein Teil der Aktivisten konnte sich ins Ausland absetzen, vor allem nach Afghanistan und Tadschikistan, um von dort aus den Kampf gegen das Regime in Usbekistan fort­zusetzen. In Tadschikistan hatte der Machtkampf zwi­schen der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO), einem Bündnis säkularer und islamistischer Kräfte, und dem postkommunistischen Regime 1992 einen Bürgerkrieg ausgelöst.11 In Afghanistan war nach dem Rückzug der sowjetischen Besatzungsmacht im Jahr 1989 ebenfalls jede stabile Ordnung zerfallen. Der fort­dauernde Bürgerkrieg und die Unter­stützung des isla­mistischen Widerstands durch Pakis­tan und Saudi-Arabien ebneten dem Aufstieg der Tali­ban den Weg. 1996 nahmen sie Kabul ein und boten den aus Usbe­kis­tan geflohenen Islamisten einen Rück­zugsraum.

Im Jahr 1998 riefen zwei namhafte Aktivisten aus dem Ferghanatal, Tohir Yo’ldoshev und Jumaboy Hojiyev Namangoni, in Afghanistan die Islamische Be­wegung Usbekistans (IBU) ins Leben, die später zum Netzwerk der Al-Qaida zählte.12 Die Bewegung trat in Usbekistan 1999 und 2000 noch einmal in Erscheinung (siehe S. 10f). Tatsächlich aber war der militante islamistische Widerstand in Usbekistan ab 1992 effek­tiv ausgeschaltet. Im Jahr darauf ließ Kari­mov auch die säkularen Oppositionsparteien Erk und Birlik ver­bieten und bereitete dem kurzen usbekischen Früh­ling ein Ende.

Mit dem Verbot der islamistischen Bewegungen und dem Verdikt des politischen Islams ging eine stär­kere Kontrolle der religiösen Institutionen einher, die unter dem Dach der Geistlichen Verwaltung stan­den, dem Direktorat der Muslime Usbekistans (DMU).13 Gleichzeitig nutzte das Regime sie als Ressource, um eine neue staatliche Ideologie zu schaffen, die zent­rale Forderungen auch der säkularen Opposition auf­nahm.

Pädagogische Initiativen

Die neue, unter Präsident Karimov entwickelte Staats­ideologie hatte drei Säulen:

  • die Aufwertung der usbekischen Sprache und Kul­tur sowie des lokalen, in der Alltagskultur ver­wurzelten Brauchtums (urf va odat), das auch unter sowjetischer Herrschaft gepflegt worden war;

  • eine Historiographie, die dreierlei festschrieb: Us­bekistans staatliche Unabhängigkeit, seine Nations­werdung sowie einen starken, zentrali­sierten und säkularen Entwicklungsstaat als quasinatürliches Ziel seiner vorkolonialen Geschichte;14

  • den hanafitischen Islam als Fundament nationaler Kultur und Geschichte sowie als Quelle der spiri­tuellen Werte, die die usbekische Gesellschaft zu­sammenhalten sollen.

Im Zuge der Aufwertung des islamischen Erbes im Rahmen der neuen säkularen Staatsideologie wurden Moscheen und Medressen, die während der Sowjetherrschaft anderweitig genutzt worden waren, wieder ihren ursprünglichen Funktionen zugeführt. 1991 wurde der Koran erstmals ins Usbekische übersetzt, das Angebot an religiöser Bildung erweitert.15 Das Stu­dium an arabischen Universitäten gewann für eine wachsende Zahl von Usbeken an Attraktivität und reli­giöses Schrifttum wurde en masse aus arabischen Ländern importiert. Unter dem charismatischen Mufti Mohammad Sodyq Mohammad Yusuf wurden auch populäre Schriften nichthanafitischer, vor allem ara­bischer Autoren ins Lehrprogramm der religiösen Bildungseinrichtungen aufgenommen (siehe S. 10).

Andererseits lebten traditionelle Praktiken wie das Pilgerwesen, das die Reformer ablehnten, wieder auf. Es gelang Mohammad Sodyq jedoch nicht, die Spal­tung zwischen Traditionalisten und Reformern inner­halb der ‘Ulamā zu überwinden. Der Mufti, der den staatlichen Autoritäten ebenso wie Teilen des Klerus wohl zu unabhängig war, wurde im Januar 1993 zum Rücktritt gezwungen. Mit seinem Nachfolger kehrten in der Geistlichen Verwaltung wieder politische Gefü­gigkeit und Konformismus ein.16 Das Zusammenspiel von DMU und staatlichen Organen ermöglichte die Rückkehr muslimischer Glaubenspraktiken ins öffent­liche Leben. Zugleich schwor es die Gemeinde auf einen unpolitischen, permissiven »usbekischen« Islam ein, der die Einmischung der Religion in die Politik ausschließen sollte.17

Der »usbekische« Islam ist apolitisch.

Säkulare und religiöse Elite teilten die Überzeugung, dass der Islam eine Schlüsselrolle für die natio­nale Identität und die sie begründende Ideologie spielte und spielen müsse.18 Gleichzeitig sollte eine Islamisie­rung der Gesellschaft vermieden werden. Nicht reli­giöse Normen sollten das Alltagshandeln der Bevöl­kerung leiten, sondern die Normen des säkularen Staates. Es galt also, selektiv jene Aspekte des Islams zu kultivieren, die in den Dienst der staatlichen Poli­tik gestellt werden konnten und sich einfügten in die neue große Erzählung vom starken, unabhängigen Nationalstaat, der auf jahrhundertelanger Geschichte und »usbekischer« Tradition fußt.

Zu diesem Zweck wurde das sowjetzeitliche Schulfach »Wissenschaftlicher Atheismus« durch das neu eingeführte Pflichtfach »Spiritualität und Aufklärung« (ma‘naviyat va ma‘rifat) ersetzt. Es vermittelt bis heute schon Schulkindern und Jugendlichen die als genuiner Bestandteil der »nationalen« Kultur propa­gierten Werte und Moralvorstellungen als Produkt eines spezifisch »usbekischen« Islams.19 Dieser positiv konnotierte »usbekische« Islam wurde gegen den politisierten Islam der »Wahabis« abgegrenzt, der als der Islam der Ungebildeten apostrophiert und mit politischem Extremismus gleichgesetzt wurde. Die »spirituelle Aufklärung« stand einerseits ganz in der Tradition sowjetischer Pädagogik und Didaktik, be­son­ders erkennbar in der Übertragung sowjetzeit­licher Konzepte und Konstrukte in einen nunmehr natio­na­len usbekischen Kontext.20 Andererseits schloss das Fach auch Grundwissen über den Islam ein, das mit »wissenschaftlichen Methoden« ver­mittelt werden sollte, das heißt im Stil der klassischen Schulfächer.

Der Versuch, die religiöse Bildung zu säkularisieren und den Islam für die Konstruktion einer neuen staatlichen Ideologie zu instrumentalisieren, gelang nur zum Teil. Zum einen hatte sich der Zugang zu islamischen Wissensquellen erheblich erweitert, als sich während der Jahre des Umbruchs (1989–1992) auch das religiöse Feld öffnete. An den Einrichtungen für höhere religiöse Bildung, die dem DMU unterstanden – der traditionsreichen Mir-i Arab-Medresse in Buchara, dem für die Ausbildung von Imamen zu­ständigen Imam al-Buchari-Institut in Taschkent sowie neun nach 1991 errichteten Sekundarschulen bzw. Kollegien –, zählten nun auch Texte refor­misti­scher Gelehrter zum Lektürekanon, so dass die Aus­bildung von Geistlichen nicht mehr einer exklusiv hanafitischen Richtung folgte.21 Darüber hinaus stand die Ver­kürzung des Islams auf einen säkularen Werte­kodex im Widerspruch zu den Bedürfnissen der stei­genden Zahl religiöser Autodidakten, die wesentliche An­sich­ten der muslimischen »Erneuerer« längst inter­na­li­siert hatten und in privaten Zirkeln weitergaben.

Zum anderen fehlte es, vor allem in den Provinzen, an geeignetem Lehrpersonal für den islamkundlichen Unterricht an säkularen Schulen, weshalb dafür oft Absolventen religiöser Schulen herangezogen wurden. Aus »spiritueller Aufklärung« wurde somit in vielen Fällen religiöse Unterweisung.22 Auch an säkularen Hochschulen, die Islamstudien anboten – der Tasch­ken­ter Staatlichen Universität für Orientalistik, dem Päd­agogischen Institut und der Taschkenter Islamischen Uni­ver­sität (TIU), die 1999 als säkulare Alternative zum Imam al-Buchari-Institut eröffnet worden war –, lehrten häu­fig Absolventen religiöser Bildungsinstitutionen.23 Auf diese Weise wurde die Säkularisierung religiösen Wissens untergraben, das zudem angereichert wurde mit Bildungsinhalten, die abwichen vom staatlich sanktionierten hanafitischen Konsens.

Exklusion und Repression

Zur Popularität abweichender Lehren trug ein dritter Faktor maßgeblich bei, nämlich die anhaltende Ver­folgung religiöser Aktivisten. Diese kritisierten die ver­breitete Korruption und Selbstbereicherung der staat­lichen Elite und stellten dem politisch submissiven, akademischen Islam der religiösen Funktionäre eine muslimische Ethik gegenüber, die an die lebenspraktischen Bedürfnisse der Gesellschaft angepasst war. Solche Bestrebungen suchte das Regime zu unterbinden, sobald sie eine gewisse soziale Resonanzschwelle überschritten. Führende Aktivisten aus diesem Milieu hatten sich deshalb schon früh nach Afghanistan ab­gesetzt und dort die IBU gegründet (siehe S. 9).

Als im Februar 1999 Bombenanschläge Taschkent erschütterten, machte das Regime die IBU dafür ver­antwortlich. Obwohl die Gruppe sich nicht zu den Anschlägen bekannte, wurden ihre Anführer noch im selben Jahr in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Hun­derte angebliche IBU-Unterstützer wurden ver­haftet, über sechs von ihnen verhängte man die Todesstrafe. Kurz darauf, im Sommer 2000, richtete die IBU ihr Augenmerk tatsächlich auf Usbekistan: Ein bewaff­neter Trupp von IBU-Kämpfern nahm im kirgisisch-usbekischen Grenzgebiet japanische Geologen in Geiselhaft, verlangte die ungehinderte Einreise nach Usbekistan und erklärte dem Taschkenter Regime den »Heiligen Krieg«. Die Geiseln wurden nach einer Löse­geldzahlung der japanischen Regierung freigelassen. Im folgenden Sommer gab es eine Geiselnahme ame­ri­kanischer Touristen, die jedoch fliehen konnten.24

Mit der amerikanischen Invasion in Afghanistan Ende 2001 änderte die IBU ihre Ausrichtung und ver­lagerte den Fokus von Zentralasien nach Afghanistan und Pakistan. Usbekistan unterstützte die west­lichen Verbündeten im Afghanistankrieg, indem es der Nato zwei Militärbasen im Süden des Landes für die Ver­sorgungslogistik zur Verfügung stellte. Damit avan­cierte es zu einem bedeutenden Partner westlicher Staaten. Die usbekische Führung konnte daraus nicht nur außenpolitisch Kapital schlagen;25 der Nato-geführte Kampf gegen den militanten Islam bot dem Regime auch ein passendes Narrativ, um seinen har­ten innenpolitischen Kurs zu rechtfertigen.26 Zum Beispiel ist nie abschließend geklärt worden, ob die Islamische Jihad Union, eine angebliche Splittergruppe der IBU, die 2004 mit Selbstmordattentaten vor der amerikanischen und der israelischen Botschaft in Taschkent auf sich aufmerksam machte, zumindest anfänglich womöglich eine Undercover-Organisation des usbekischen Geheimdienstes war.27

Die Ereignisse von Andijon sind bis heute nicht aufgearbeitet.

Den traurigen Höhepunkt im Kampf gegen den isla­mistischen Extremismus, in dessen Namen das Regime von Islom Karimov gegen Rivalen und Kriti­ker vor­ging, bildeten die Proteste in Andijon, einer Kleinstadt im Ferghanatal, und ihre blutige Niederschlagung im Mai 2005 (siehe Infokasten 1, S. 12). Ein gewisser Akram Yo’ldoshev spielt in diesem Zusammenhang eine wich­tige Rolle: Nach den Bombenanschlägen von 1999 war er verhaftet worden, ein religiöser Autodidakt, dessen 1991 entstandene Schrift »Weg zum Glauben«28 weite Verbreitung gefunden und einer wachsenden Zahl von Lesern aus seinem lokalen Umfeld muslimische Spiritualität und Ethik nahegebracht hatte. Nach seiner Verhaftung wurden massive Beschuldigungen gegen ihn erhoben. Sie gipfelten in dem Vorwurf, Gründer einer nach ihm selbst benannten klandestinen Vereinigung vom Typ der Hizb-ut Tahrir29 zu sein, die einen Umsturz plane und ein islamisches Kalifat gründen wolle.30 Die usbekische Staatspropaganda stilisierte den »Weg zum Glauben« zum Manifest die­ser Organisation, wobei ungeklärt geblieben ist, ob Yo’ldoshevs Text dabei gezielt verfälscht oder schlicht missverstanden wurde. Entscheidend ist, dass die vom Regime vorgelegte Interpretation auch von westlichen Expertinnen, Experten und Medienschaffenden über­nommen wurde und schließlich die Deutung der Ereignisse von Andijon als »islamistischer Aufstand« prägte.31

Die brutale Niederschlagung der Proteste von Andi­jon bedeutete eine Zäsur in der jüngeren Ge­schichte Usbekistans. Der Westen kritisierte die exzes­sive Ge­walt auf staatlicher Seite und die Weigerung der Regie­rung, eine unabhängige Untersuchung zuzulassen.

Infokasten 1: Was in Andijon geschah

Anlass für die Proteste in Andijon im Mai 2005 war die Verhaftung einer Gruppe erfolgreicher Kleinunternehmer, die ihre geschäftlichen Aktivitäten an religiösen Prinzipien aus­richteten, wie sie Akram Yo’ldoshev for­muliert hatte. Ihnen wurde die Bildung einer extremistischen Ver­eini­gung vorgeworfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach lag der wahre Grund für die Verhaftungen aber darin, dass die Geschäftsleute von der lokalen Elite als ökonomische Konkurrenten angesehen wurden, die ihre Orientierung am Islam zusätzlich suspekt machte.a

Seit der Inhaftierung der Männer im Sommer 2004 war es immer wieder zu Demonstrationen gekommen, an denen sich bis zu 1.000 Personen beteiligten. Diese Zahl schwoll während des Gerichtsprozesses immer mehr an; rund 3.000 Personen waren vor dem Gerichtsgebäude versammelt, als sich die Verhandlungen, die seit Februar 2005 andauerten, am 11. Mai dem Ende näherten und die Polizei begann, die Demonstranten abzuführen. Diese Entscheidung gab wohl den Ausschlag dafür, dass der bislang friedliche Protest in eine Revolte umschlug. In der folgenden Nacht stürmte eine Gruppe Bewaffneter das Gefängnis, um die zu langen Haftstrafen verurteilten Unternehmer zu befreien. Dabei kamen Wachmänner ums Leben, andere wurden als Geiseln genommen. Die Geiselnehmer hatten zwei zentrale Forderungen: die Freilassung des seit 1999 inhaftierten Yo’ldoshev, der in einem Hochsicherheitsgefängnis in Taschkent einsaß,b und eine Aussprache mit dem Staatspräsidenten. Karimov sollte persönlich nach Andijon reisen, um sich selbst ein Bild von den lokalen Missständen zu machen.

Am Nachmittag des 13. Mai versammelten sich rund 10.000 Menschen auf dem zentralen Platz der Kleinstadt. Viele von ihnen waren aus der Umgebung angereist; viele hatten sich aus reiner Neugier eingefunden, der das Ge­rücht, der Präsident werde kommen, zusätzlich Nahrung gab. In diese Menge feuerten die Einheiten von Polizei und Militär; Hunderte kamen zu Tode.c

a Dazu und zum Hergang der Ereignisse im Mai: Inter­national Crisis Group, Uzbekistan: The Andijon Uprising, Bishkek/Brüssel, 25.5.2005 (Asia Briefing Nr. 38) (online, Zugriff am 3.6.2023); Adeeb Khalid, Islam after Communism. Religion and Politics in Central Asia, Berkeley u. a.: Berkeley University Press, 2007, S. 193–198 (Anm. 11 auf S. 225f listet die wichtigsten Quellen).

b Er starb 2010 oder 2011 in der Haft, wie erst 2016 bekannt wurde: »Akram Yuldashev Is Dead«, Radio Free Europe/Radio Liberty, 12.1.2016 (online, Zugriff am 3.6.2023).

c Human Rights Watch, »Bullets Were Falling Like Rain«. The Andijan Massacre, May 13, 2005, Juni 2005 (Vol. 17, No. 5(D)), S. 16f (online, Zugriff am 3.6.2023).

Die usbekische Regierung begegnete der Kritik, in­dem sie sich vom Westen abwandte und den USA die Nut­zung der usbekischen Militärbasen untersagte. Men­schen­rechts- und andere ausländische Nichtregierungs­organisationen mussten ihre Aktivitäten in Us­be­kistan einstellen. Die Regierung verschärfte ihren Kurs gegen jedwede Opposition. Wer von der »hana­fiti­schen« Norm abweichende Überzeugungen äußerte – und das konnte mitunter auch äußerliche Attribute wie Kleidung oder Barttracht betreffen –, musste da­mit rechnen, wegen »religiösen Extremismus« aus dem Ver­kehr gezogen zu werden. Tausende, unter ihnen auch Anwälte von Angeklagten, kamen auf diese Weise ins Gefängnis.32 Das State Department setzte Usbekis­tan 2006 auf die Liste der »Countries of Par­ticu­lar Con­cern« und stellte es damit Ländern wie Burma, Nord­korea und Sudan gleich.

Die Ereignisse von Andijon sind in Usbekistan bis heute nicht aufgearbeitet worden, so dass sich die von Regierungsseite verbreitete Deutung des Geschehens als »islamistischer Umsturzversuch« durchsetzen konnte. Ansonsten vertraut man auf die Macht des Ver­gessens. Der damals verantwortliche Innenminister, Zokir Almatov, der sich bald nach den Ereig­nissen von 2005 in den Ruhestand verabschieden musste, wurde unter Präsident Mirziyoyev politisch wieder­belebt und 2018 zum Berater des Innenministers er­nannt, zu­stän­dig für Fragen der Polizeireform.33

Abschließend lässt sich Folgendes festhalten: Die Wiederbelebung und die Neuentdeckung des Islams, die mit der Auflösung der Sowjetunion einher­gingen, inspi­rierten nicht nur die staatliche Ideologie des seit 1991 unabhängigen Usbekistan. Sie gaben auch der Poli­tisierung des Islams Auftrieb, die die Legi­timität der postkommunistischen Machtelite unter Präsident Karimov infrage stellte. Diese reagierte auf die Her­aus­forderung mit einer Doppelstrategie: Die repressive Zurückdrängung islamistischer Akteure wurde be­glei­tet von einer offensiven, aber selektiven Integra­tion islamischer Wissens­bestände ins staat­liche Bil­dungs­wesen und dem Versuch, die für die Ausbildung des religiösen Personals zuständigen Institu­tio­nen unter dem Dach des DMU der strikten Kontrolle des Staates zu unterstellen. Religion, Nation und Tradition wur­den dabei erfolgreich zu einer usbe­kischen Identität verschmolzen. Dies hatte zur Folge, dass muslimische Normen für das Alltagshandeln der Usbekinnen und Usbeken an Bedeutung gewannen und die Autorität derjenigen wuchs, die religiöses Wissen besaßen.

Doch die ‘Ulamā, die organisierten Religionsexperten, die dieses Wissen weiter­gaben und verwalteten, waren durch ihre Nähe zum Staat kompromittiert. Zugleich mussten sie sich damit abfinden, dass der Staat die Deutungshoheit in religiösen Fragen für sich beanspruchte. Der staatstragende Klerus bekam Kon­kur­renz durch religiöse Laien, die außerhalb des Sys­tems agierten, ihrer Klientel aber als legitimere Ver­mittler religiösen Wissens galten. Vom Staat wurden sie mit einer Härte bekämpft, die das Bild Usbekistans als eines der weltweit repressivsten Länder nachhaltig prägte.

Staatliche Religionspolitik seit 2016

Der politische Kurs, den die usbekische Führung heute unter Präsident Mirziyoyev verfolgt, hat eine zentrale, in allen Politikfeldern erkennbare Stoßrichtung:34 Es geht darum, das Image als repressiver Staat loszu­werden, liberaler und offener zu werden und so das Land aus der internationalen Isolation zu befreien, in die der repressive Kurs des Vorgängers Karimov es geführt hatte. Diese Zielsetzung hat sich von Anfang an auf den Umgang mit dem Islam ausgewirkt: Zahl­reiche auf die religiöse Praxis bezogene Restriktionen wurden aufgehoben; Tausende Usbeken wurden reha­bilitiert, die wegen des Verdachts, mit radikalen isla­mistischen Gruppen zu sympathisieren, Beschränkun­gen ihrer bürgerlichen Freiheiten hatten hinnehmen müssen.35

Gleichwohl setzen die religionspolitischen Initiativen, die unter Mirziyoyev angestoßen wurden, in wesentlichen Bereichen die Politik der Vorjahre fort. Besonders die religiöse Bildung ist dabei zur wichtigsten Vermittlungsinstanz für die staatliche Ideologie geworden. Die betreffenden Maßnahmen lassen, stär­ker noch als in der Vergangenheit, einen »säkula­ren« Zugriff auf den Islam erkennen. Auch die Neuerungen in der usbekischen Religionspolitik, die sich auf die Repräsentation des Islams im öffentlichen Raum und seine Vermarktung beziehen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.

Rechtlicher Rahmen

Die rechtlichen Bestimmungen, die die religiöse Praxis und das Verhältnis zwischen Staat und Reli­gion re­geln, bauen auf der Verfassung von 1992 auf.36 Diese schreibt eine Trennung von Staat und Religion vor und betont das Recht jedes Einzelnen, jedwede Reli­gion zu praktizieren oder keiner Religion anzuhängen (Artikel 31). Sie untersagt dem Staat die Einmischung in die Aktivitäten religiöser Organisationen (Artikel 61), gesteht ihm aber das Recht zu, religiöse Freiheiten einzuschränken.

Von diesem Recht hat der Staat in den folgenden Dekaden intensiv Gebrauch gemacht. Durch Einzel­gesetze und andere Rechtsakte37 wurde die Religionsausübung seit 1992 immer stärker reguliert. Diese Regulierung hatte zwei Stoßrichtungen: Zum einen die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für die re­pressiven Maßnahmen im Namen der Extremismus­prävention, die ab 1998, vor dem Hintergrund der Bedrohung durch jihadistische Gruppen wie die IBU, an Relevanz gewannen. Zum anderen wurden die oben (S. 10) beschriebenen pädagogischen Initiativen ausgebaut und verankert. In ihnen zeigt sich das Be­mühen des Staates, den »usbekischen« Islam durch­zusetzen und damit die Deutungshoheit in religiösen Fragen zu erlangen. Mit Hilfe einer wachsenden Zahl von Einzelverordnungen wurde dabei der rechtliche Rahmen für die Religionsausübung und ‑lehre immer enger gespannt.

Kontrolle und Propaganda sind institutionell eng verzahnt.

Mit Mirziyoyevs Amtsantritt Ende 2016 und der neuen »Offenheit«, nunmehr zum Leitmotiv der staat­lichen Politik erklärt, nahm die regulatorische Dyna­mik keineswegs ab. Im Gegenteil, ein Blick auf die legislativen Aktivitäten seit 2017 zeigt, dass die neue Offenheit von Beginn an von verstärkten Kontrollmaßnahmen begleitet war, die sicherstellen, dass die neuen Freiheiten nicht aus dem Ruder laufen. Im Fokus stand dabei wie schon zuvor die Abwehr un­erwünschter »nichttraditioneller« religiöser Lehren im Namen der »Extremismusbekämpfung« sowie die ins­ti­tutionelle Verankerung und propagandistische Ver­breitung des »richtigen«, »usbekischen« Islams als Teil der Staatsideologie. Die relevanten Erlasse und Ver­ordnungen schreiben eine immer dichtere insti­tu­tio­nelle Verzahnung von Kontrollmechanismen und Propagandainstrumenten vor. So wird dafür gesorgt, dass die Diskursmacht des Staates auch in Fragen der Religion gewahrt bleibt.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei die oberste Religions­behörde, das staatliche Komitee für religiöse Angelegen­heiten (KrA). Diese 1992 eingerichtete Behörde38 ist bis heute das Zentralorgan der staatlichen Religionspolitik. Ihre Zuständigkeiten wurden im Lauf der Jahre sukzessive ausgedehnt und mit immer neuen Bestim­mungen angereichert. Die heute maßgebliche und bis dato mit 13 Kapiteln umfangreichste Beschreibung der Aufgaben, Funktionen und Zuständigkeiten des KrA39 beruht auf einem Erlass des Präsidenten aus dem Jahr 2018 samt zugehöriger Verordnung.40 Hauptaufgabe des KrA ist demnach,41 eine einheit­liche staatliche Religionspolitik umzusetzen.

Dabei verfügt das KrA über umfängliche Vollmachten. Diese schließen die De‑facto-Aufsicht über das Direktorat der Muslime Usbekistans (DMU),42 die reli­giösen Organisationen (Moscheen) und Bildungsinstitu­tionen ein. Das KrA fungiert als oberste Pro­pa­ganda- und Zen­sur­behörde, indem es deren Lehr­pläne und For­schun­gen überprüft, die Themen der Freitags­predig­ten vor­gibt, über die Veröffentlichung von Mate­rialien und Medien mit religiösem Inhalt entscheidet, selbst solche herausgibt und Bildungsmaßnahmen veranstal­tet, die der Durchsetzung des säkularen Staa­tes dienen. Auf der Ebene der städtischen und dörf­lichen Nachbarschaften (mahalla) über­schneiden sich seine Aufgaben mit denen der Straf­verfolgungs­behör­den. Deren Zu­stän­digkeiten wurden im Namen des Jugend­schutzes, der Extremis­mus­prävention und der patriotischen Erziehung ab 2017 ausgeweitet.43

Den Status des KrA und seine zentrale Stellung in allen Fragen die religiöse Lehre und Praxis betreffend spiegelt auch das Gesetz »Über Gewissensfreiheit und reli­giöse Organisationen« wider. Verabschiedet im Juni 2021, hat es das bis dahin gültige Religions­gesetz aus dem Jahr 199844 abgelöst. Die Entstehungs­geschichte dieses neuen Gesetzes zeugt vom Einfluss internatio­naler Bewertungsstandards auf die usbeki­sche Reform­poli­tik – und von den Grenzen dieses Einflusses.

Angestoßen wurde die Neufassung des Religions­gesetzes durch die massive internationale Kritik an der Menschenrechtssituation in Usbekistan. Überdies hatte der Sonderberichterstatter der Vereinten Natio­nen für Religions- und Weltanschauungsfreiheit das Land im Oktober 2017 besucht und in seinem Bericht eine substantielle Revision des Gesetzes von 1998 an­geraten.45 Daraufhin verabschiedete das usbekische Parlament im Januar 2019 eine Roadmap für die Im­ple­mentierung dieser Empfehlungen; ein »positives Image« für Usbekistan wird dabei explizit als Ziel­vorstellung genannt.46 Tatsächlich wurden die guten Absichten noch im selben Jahr honoriert: Das State Department entfernte Usbekistan von der Liste der »Countries of Particular Concern« und setzte es auf die »Special Watchlist«, die die weniger gravierenden Fälle von Beschränkungen der Religionsfreiheit ent­hält.47

Im Juni 2020 wurde im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer neuen Menschenrechtsstrategie angekündigt, ein neues Religionsgesetz auf den Weg zu bringen. Mit der Erarbeitung beauftragte der Präsident das Parlament, das Kabinett, das KrA und das Justizministerium.48 Bereits im August lag der Venedig-Kommission des Europarats, die auf Anfrage verfassungsrechtliche Expertise bereitstellt, der Ent­wurf vor, der 7 Kapitel mit insgesamt 49 Artikeln um­fasste. Das Gutachten der Kommission erschien zwei Monate später. Es beinhaltet zahlreiche kritische An­merkungen und Verbesserungs­vorschläge:49

Als problematisch, da im Widerspruch zu inter­nationalen Menschenrechtsstandards stehend, werden vor allem die strengen Registrierungsbedingungen für religiöse Gemeinschaften bzw. Organisationen ange­sehen und die Qualifizierung jeglicher nichtregistrierter religiöser Praktiken als »illegal«, ferner die Ein­schränkungen bezüglich religiöser Erziehung und Ausübung der Ritualpraxis, die Einschränkungen bezüglich der Produktion und Verbreitung religiöser Medien sowie schließlich das Verbot von Missions­tätigkeit. Dass der Gesetzentwurf religiösen Organisationen nur eine begrenzte Autonomie zugesteht und fundamentale Elemente der Religionsfreiheit staat­licher Kontrolle unterstellt, wird ebenso kritisch be­wertet wie die vielfach vage Terminologie. Begriffe wie »Extremismus«, »Fundamentalismus« oder »inter­ethnische Harmonie« ließen den staatlichen Autori­täten bei der Anwendung des Gesetzes breiten Aus­legungsspielraum, begünstigten willkürliche Entschei­dungen und sollten daher gestrichen werden, so die Gutachter. Eine grundsätzliche Anmerkung bezieht sich auf die Benennung des Gesetzes: Die Venedig-Kommission empfiehlt, auf »Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Glaubensfreiheit« zu rekurrieren, um auch nichtreligiöse Glaubensvorstellungen und nicht nur »religiöse« Organisationen einzuschließen.

Das usbekische Parlament verabschiedete das über­arbeitete Gesetz »Über Gewissensfreiheit und religiöse Orga­nisationen« im Juni 2021.50 Aufbau und Struktur wur­den stark umgearbeitet, doch inhaltlich unterscheidet sich das nun geltende Gesetz kaum vom ersten Ent­wurf; die Empfehlungen der Venedig-Kom­mission wurden weitgehend ignoriert. Drei der jetzt sechs Kapi­tel mit insgesamt 35 Artikeln befassen sich mit Fragen der Registrierung einer religiösen Gemein­schaft, die trotz einiger Erleichterungen nach wie vor mit komplizierten bürokratischen Auflagen verbunden ist (Kapitel 3 und 4, Artikel 11–24). Missions­tätigkeit bleibt verboten (Kapitel 2, Artikel 7), ebenso privater Religionsunterricht (Kapi­tel 2, Artikel 8). Das Studium des Islams ist weiter­hin nur an speziell dafür vorgesehenen staatlichen bzw. staatlich kontrollierten höheren Schulen, Hoch­schulen und Universitäten mög­lich (siehe S. 17ff). Das Wo und Wie der Ausübung religi­öser Rituale ist genau vor­ge­schrieben (Kapitel 2, Arti­kel 9), auch die Nutzung reli­giöser Symbole und die Verbreitung von religiöser Literatur sind bis ins Kleinste geregelt (Kapitel 2, Arti­kel 10). Das Verbot, die eigene Religions­zugehörigkeit durch entsprechende Klei­dung öffentlich zur Schau zu stellen – dabei geht es vor allem um das Tragen des Hijabs –, wurde gestri­chen, be­steht aber in Universitäten und anderen staat­lichen Insti­tu­tionen de facto weiter, weil hier interne Rege­lungen greifen.

Religiöse Bildung und säkulare Ideologie

Parallel zur Festigung der staatlichen Aufsicht über die religiösen Organisationen wurde ab 2017 auch der staatliche Zugriff auf das religiöse Wissen verstärkt, das in den Bildungs- und Forschungseinrichtungen vermittelt wird – und auf die Möglichkeiten, sich Wissen über den Islam überhaupt anzueignen. So ge­steht das Gesetz »Über Gewissensfreiheit und religiöse Orga­nisationen« vom Juni 2021 zwar jedem das Recht zu, sich von ausgebildetem Personal in religiösen Fragen unterweisen zu lassen. Allerdings gibt es be­deu­tende Einschränkungen:

Organisierte religiöse Vorschulerziehung für Kin­der, wie sie unter Karimov erlaubt war, ist jetzt nicht mehr vorgesehen. Nur die Eltern selbst oder von diesen be­voll­mächtigte Personen dürfen Kindern religiöse Grundbildung vermitteln. Private Religionsschulen für ältere Schülerinnen und Schüler sind zwar nicht grund­sätzlich verboten, aber das neue Religionsgesetz macht ihre Gründung (so wie die anderer »religiöser« Orga­nisationen) kompliziert bis unmöglich. In öffent­lichen Schulen wird Religion als eigenes Fach gar nicht gelehrt. Dennoch besteht nach wie vor die Mög­lichkeit, sich intensiver mit dem Islam zu beschäftigen oder Islamwissenschaft zu studieren. Offensichtlich will man der starken Nachfrage nach religiöser Bildung Rechnung tragen und den Religionsunterricht gleichzeitig aus dem Schatten der privaten, informellen Zirkel herausholen. Das Mittel der Wahl ist die kontrollierte Erweiterung des Angebots an staat­lichen bzw. staatlich kontrollierten Institutionen.

Zu diesen Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die formal der Geistlichen Verwaltung (dem DMU) unterstehen, gehören zehn Medressen, zwei davon für Frauen. Sie bieten in verschiedenen Regionen des Landes eine islamkundliche Grundausbildung an, die in vier Jahren absolviert wird und für eine Tätigkeit als Imam (nur Männer) oder Arabischlehrkraft quali­fi­ziert. Die Schulgebühren variieren, Stipendien sind möglich. Aufnahmevoraussetzung ist immer ein Test, bei dem Fremdsprachenkenntnisse geprüft werden, außerdem das Wissen in Geschichte und im Fach »Grundlagen der Spiritualität« (ma‘naviyat asoslari),51 dem Nachfolger des Fachs ma‘naviyat va ma‘rifat, das seit den 1990er Jahren zum Fächerkanon staatlicher Schulen gehört und die staatliche Ideologie als Moral­lehre vermittelt (siehe S. 10). Darüber hinaus bieten die Medressen gebührenpflichtige Arabischkurse an, die drei bis sechs Monate dauern.

Neben diesen spezialisierten religiösen Sekundarschulen gibt es drei religiöse Hochschulen, die fünf­jährige Studiengänge in Islamwissenschaft sowie Weiterbildung für Imame und Religionspädagogen anbieten:52

  • Das Islamische Institut Imam al-Buchari53 in Taschkent, das seit 1971 das religiöse Personal für höhere Schulen sowie Imame aus- und weiterbildet und in dieser Funktion bis vor wenigen Jahren eine singuläre Stellung innehatte (siehe Infokasten 2, S. 18);

  • seit 2017 die Höhere Medresse Mir-i Arab54 in Buchara, die denselben Namen trägt wie die traditionsreiche Medresse Mir-i Arab; und

  • seit 2018 das Institut für Hadith-Wissenschaft55 in Samar­kand.

Alle drei Institute bieten Bachelor- und Master­stu­di­en­gänge mit den Schwerpunkten Islamisches Recht (fiqh), Koranexegese (tafsir) und Arabisch an; bewerben kann man sich mit einem Sekundarschulabschluss bzw. Abiturzeugnis. Voraussetzung ist auch hier ein Aufnahmetest, der Grundkenntnisse in Arabisch, in usbekischer Geschichte sowie islamischem Recht bzw. (in Samarkand) Hadith-Kenntnisse abfragt.

Die Islamwissenschaft wird in den Dienst der Staatsideologie gestellt.

Mit den beiden Neugründungen religiöser Hochschulen 2017 und 2018 wollte Mirziyoyev als neuer Landesvater möglicherweise dem klerikalen Establishment des DMU entgegenkommen. Denn gleichzeitig veranlasste er seit 2017 die Gründung von gleich fünf neuen staatlichen Forschungsinstituten, die den unter Karimov forcierten »wissenschaftlichen« Zu­gang zum Islam kultivieren und ihn in den Dienst der Staatsideologie stellen sollen. Das Angebot orientiert sich auf den ersten Blick an internationalen wissenschaftlichen Standards. Die politisch-ideologische Stoß­richtung zeigt sich aber in den einschlägigen Rechts­akten, die deutlich zum Ausdruck bringen, dass es ein ganz bestimmter Islam ist, der vermittelt werden soll, etwa wenn betont wird, dass es die »Reinheit unserer Religion« zu bewahren gelte. Dieser Aspekt wird in den Gründungsdokumenten und Internetauftritten sämt­licher Institutionen unterstrichen, die sich in For­schung und Lehre mit dem Islam befassen.

Infokasten 2: Neue staatliche Institute für Islamwissenschaft unter dem Dach des KrA

 Die Internationale Islamische Akademie Usbekistans (IIAU) in Taschkent ging 2017 aus der 1999 etablierten Taschkenter Islamischen Universität (TIU) hervor und wurde als nicht­staatliche Organisation zunächst von KrA und DMU gemein­sam verwaltet.a Sie war jedoch von Anfang an weitgehend staatlich finanziert. Seit April 2021b ist nur noch das KrA für sie zuständig, die IIAU auch offiziell eine staatliche Einrichtung. In den folgenden Jahren wurde sie aufgewertet zur Dachorganisation für die Aus- und Weiterbildung von Ima­men sowie von Lehr- und anderem Fachpersonal für islami­sche Hochschulen. Auch Lehrkräfte für die spezialisierten religiösen Sekundarschulen, die formal dem DMU unterstehen, bildet die IIAU aus. Die Akademie ist in drei Fakul­tä­ten gegliedert,c bietet Bachelor-, Master- und Promotions­studiengänge an, eine Abteilung für berufliche Bildung mit Filialen in mehreren Provinzen des Landes sowie ein Medien­zentrum.

 Im Februar 2017 wurde das Internationale Wissenschafts- und Forschungszentrum Imom Termizi in Termez ins Leben gerufen.d Die Hadith-Sammlung von Muhammad Ibn ‘Isā at-Termidhī (*825 u. Z. nahe Termez) zählt neben derjenigen des Imam al-Buchārī (*810 u. Z. in Buchara) zu den kanonischen Samm­lungen der Überlieferungen aus dem Leben des Propheten. Die Hadith-Forschung bildet folgerichtig einen Schwerpunkt des Zentrums in Termez, das darüber hinaus Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien entwickelt.

 Im Juli 2017 folgte der Erlass über die Gründung des Inter­nationalen Forschungszentrums Imom Buchari in Samarkand.e Das Institut widmet sich der Hadith-Forschung, der Wissenschaft vom Koran und seiner Auslegung, dem Islamischen Recht und der islamischen Theologie (kalām) sowie generell der Geschichte islamischer Kunst und Kultur in Zentralasien. Es vergibt Forschungsstipendien und organisiert Konferenzen, Ausstellungen, wissenschaftliche Wettbewerbe und andere »Bildungs- und Kulturveranstaltungen«, wie es auf der Website heißt. Wie an allen Instituten dieser Art legt man auch hier Wert auf Internationalisierung bzw. internationale Kooperationen im Bereich der Islamwissenschaft.

 Im August 2020 kam das Internationale Forschungszentrum al-Maturidif hinzu. Es ist neben den beiden zuvor genannten Forschungszentren das dritte Institut, das speziell den zentralasiatischen Beitrag zur islamischen Kultur- und Geistesgeschichte untersucht. Abū Mansūr al-Māturīdī (*893 u. Z. in Samarkand) gilt als Begründer der Māturīdīyya, eines Zweigs der in Zentralasien entwickelten hanafitischen Rechtsschule, der den gelehrten Islam in Usbekistan maß­geblich geprägt hat.g Das Institut befindet sich im Gebäude der IIAU und untersteht dieser auch rechtlich. Schwerpunkt­mäßig erforscht es das maturidische Erbe und hebt seine internationalistische Ausrichtung hervor, die sich unter anderem in Form von Lehrpersonal aus dem Ausland mani­festiert.

aPräsidialverordnung Nr. PQ-3433 vom 15.12.2017 (online, Zugriff am 3.6.2023).

bPräsidialerlass Nr. UP-6212 vom 22.4.2021 (online, Zugriff am 3.6.2023).

c Klassische orientalische Philologien, Islamische Wirtschaft und Internationale Beziehungen sowie Islamische Studien, vgl. Website der Internationalen Islamischen Akademie Usbekis­tans: <https://iiau.uz/> (Zugriff am 3.6.2023).

dPräsidialverordnung Nr. PP-2774 vom 15.2.2017 (online, Zugriff am 3.6.2023); Website des Internationalen Wissen­schafts- und Forschungs­zentrums Imom Termizi: <http:// termiziy.uz/> (Zugriff am 3.6.2023).

eMinisterialverordnung Nr. 483 vom 19.7.2017 (online, Zugriff am 3.6.2023); Website des Internationalen Forschungs­zentrums Imom Buchari: <http://www.bukhari.uz/> (Zugriff am 3.6.2023).

fPräsidialverordnung Nr. PP-4802 vom 12.8.2020 (online, Zugriff am 3.6.2023); Website des Internationalen Forschungs­zentrums al-Maturidi: <https://moturidiy.uz/en> (Zugriff am 3.6.2023).

g Ulrich Rudolph, Al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden: Brill, 1997.

Unter den neuen staatlichen Forschungsinstituten nimmt das Zentrum der Islamischen Zivilisation, dessen Gründung im Juni 2017 angeordnet wurde, eine Son­der­stellung ein. Anders als die anderen islamwissenschaftlichen Neugründungen, die sich unter dem Dach des KrA befinden (siehe Infokasten 2, S. 18), unter­steht es direkt der Regierung. Derzeit wird es zu einem führenden Forschungs- und Dokumentationszentrum ausgebaut, das die Geschichte des zentralasiatischen Islams und seine Bedeutung für die Entwicklung der islamischen Zivilisation öffentlichkeitswirksam dar­stellt. Dabei arbeitet es eng mit anderen relevanten staatlichen Institutionen (Bibliotheken, Archiven, Hoch­schulen) zusammen (siehe auch S. 20ff).56

Parallel zu den neuen Möglichkeiten, sich wissenschaftlich mit dem Islam zu beschäftigen – sei es an den vom DMU verwalteten Religionsschulen, sei es an den neu geschaffenen säkularen Lehr- und Forschungs­einrichtungen –, wird das Konzept der »spirituellen Aufklärung« (ma‘naviyat va ma‘rifat) fortgeschrieben, das unter Karimov an Schulen und Hochschulen als säkularer Gegenentwurf zu religiöser Werteerziehung eingeführt worden war (siehe S. 10). Federführend bei der Verbreitung des Konzepts war das 1994 gegründete Zentrum für Spiritualität und Aufklärung (ma‘naviyat va ma‘rifat markazi), das dabei im Verbund mit anderen staatlichen und nichtstaatlichen Insti­tu­tionen und Organisationen interagierte. Schon unter Karimov wurde das Konzept mit Hilfe immer neuer, bindender Rechtsakte institutionalisiert, ma‘naviyat zu einem elementaren Bestandteil der mit Bildung und Erzie­hung befassten Institutionen einschließlich der Mas­sen­medien.57

Der Begriff ma‘naviyat hat keine klar umrissene Bedeutung, die Wortbildung erscheint in usbekischen Wörterbüchern erst seit den 1990er Jahren.58 Sie geht zurück auf einen in der islamischen Poetologie und Theologie entwickelten Begriff (ma‘nā), der sich auf die Bedeutungsdimension von Sprache und auf die inner­weltlichen Quellen der (Gottes-)Erkenntnis bezieht.59 Im modernen usbekischen Kontext wird aus dem ur­sprünglich epistemologischen Konzept eine Sitten­lehre, ein Katalog von Verhaltensnormen. Ma‘naviyat – das sind, wie die programmatischen Dokumente zei­gen,60 all jene Qualitäten, denen Usbekistan eine glorreiche vorkoloniale Geschichte und eine erfolgreiche Entwicklung seit der staatlichen Unabhängigkeit verdankt: einerseits die »traditionellen« Werte, die Usbekistan und seine Menschen ausmachen (so etwa »Vaterlandsliebe« und »Respekt« gegenüber Älteren und Autoritäten) und die es vor fremden Einflüssen und Bedrohungen zu schützen gilt, ande­rerseits das Bewusstsein von der Superiorität dieser Werte und des sie verkörpernden Kollektivs.

Mirziyoyev hat das Thema »nationale« Werte und »richtiger« Glaube zur Chefsache gemacht.

Das Konzept ist nach wie vor omnipräsent und wird nunmehr unter dem Motto »Aufklärung gegen Unwissenheit« forciert. Präsident Mirziyoyev hat das Zentrum für Spiritualität und Aufklärung mehrmals re­strukturiert, zuletzt 2021, und das Thema zur Chef­sache gemacht, indem er sich selbst an die Spitze des Gremiums setzte, das die Aufgaben des Zentrums koordiniert.61 In diesem Versuch, das unter dem Vor­gänger als Gegengewicht zur religiösen Werteerziehung etablierte säkulare Konzept der »Aufklärung« institutionell stärker zu verankern, wird die macht­politische Dimension von Mirziyoyevs Religions­politik besonders deutlich:

Das Gremium umfasst Repräsentanten der einschlä­gigen Abteilungen im Präsidialapparat, praktisch die gesamte Regierung und Leiter aller relevanten staat­lichen Institutionen, einschließlich der Agentur für Information und Massenkommunikation, der Aka­de­mie der Wissenschaften, der Akademie der Künste sowie des KrA. An dieser Besetzung lässt sich die Be­deu­tung des Kon­zepts für die staatliche Politik ebenso ablesen wie die für die gesellschaftsweite Durchsetzung erforderliche interinstitutionelle Verzahnung. Ange­strebt wird eine »radikale Verbesserung des Systems der Aufklärungsarbeit« im Namen des »nationalen Fortschritts«, wie es in einem zentralen Dekret heißt.62 Dieses enthält zudem eine Roadmap, die die verschie­denen Aspekte von ma‘naviyat illustriert und aufzeigt, wie man sich eine noch wirksamere Verbreitung des Konzepts im Einzelnen vorstellt.

Die muslimische Religion ist ein wesentlicher, aber nicht der einzige Aspekt von ma‘naviyat. Der Islam wird als genuiner Bestandteil des »geistigen Erbes der großen Vorfahren« gewertet, der »Respekt« gegenüber dieser Religion zählt mithin zu den grundlegenden Lehrinhalten von ma‘naviyat. Aber auch die »Achtung anderer Konfessionen und ihrer Philosophien« ist Teil des Programms, das seit April 2021 an den staat­lichen Hochschulen forciert wird. So sind die Pro­rektoren für Jugendarbeit nun ebenfalls für die spiri­tuelle Auf­klärung der Studierenden zuständig. Zahl­reiche Maß­nahmen wurden ins Leben gerufen – Kon­ferenzen, Wettbewerbe, Projekte –, deren Ziel­gruppe Schülerin­nen, Schüler und Studierende sind und die Bil­dungs- und Kultureinrichtungen auf allen Ebenen invol­vieren.63

Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass auch die seit 2017 neu entstandenen islamwissen­schaftlichen Institute ihre Aufgaben in diesem Kon­text verorten. Ein Blick auf die Gründungsdokumente dieser Einrichtungen bestätigt das. Der staatliche Zu­griff auf Forschung und Wissensvermittlung und die Bestimmung des »richtigen«, das heißt des wissenswerten Wissens über den Islam reicht bis in die Kon­zeption der Curricula. Das Internationale Wissenschafts- und Forschungszentrum Imom Termizi soll in Anbetracht der »verschiedenen ideologischen Angriffe«, die auf dem Vormarsch seien, das spirituelle Erbe der Vor­fahren erforschen und »ihre edlen Ideen und Lehren der brei­ten Öffentlichkeit bekannt machen«, um vor allem der Jugend ein »gesundes Weltbild« zu vermitteln und sie »im Geist der Loyalität gegenüber alten Werten« zu erziehen.64 Ähnlich wird der Auftrag des Internatio­nalen Forschungszentrums Imom Buchari for­mu­liert.65 Und in der Verordnung über die jüngste Grün­dung, das Internationale Forschungszentrum al-Maturidi, heißt es, aus­gehend von der Idee der »Aufklärung gegen Un­wis­sen­heit« gelte es, das Vermächtnis des Religions­gelehrten für die »Entwicklung des Glaubens und des Wissens über religiöse Werte zu bewahren und zu fördern«. Auf dieser Grundlage soll die junge Generation im Geiste von »spiritueller Rein­heit, Frie­den und Kreativität« erzogen und ihre »ideo­logische Immunität gegen schädliche Einflüsse, die unseren spirituellen und pädagogischen Anschau­ungen fremd sind«, gestärkt werden.66 Mit dieser Ziel­setzung ist ein Katalog pro­pagandistischer Maßnahmen verbunden, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten, etwa die Orga­ni­sa­tion von Diskussionsrunden und Treffen zum Thema »Grundlagen eines gesunden Glaubens« oder Fernseh- und Radio­sendungen über das »bei­spiel­hafte Leben und reiche wissenschaftliche und spiri­tuelle Erbe« von al-Maturidi und anderen Gelehr­ten.

Religion und Repräsentation

In den bildungspolitischen Initiativen manifestiert sich das alte staatspolitische Ziel, einen mit der säku­laren Ideologie konformen Islam sowie entsprechende Glaubensinhalte und Verhaltensmaximen in der Bevöl­kerung durchzusetzen. Mit diesem Islam sollen sich Usbekistans Muslime und Muslimas identifizieren können. Doch Mirziyoyevs religionspolitische Ini­tiativen sind demonstrativ auch nach außen ge­rich­tet. Im »usbekischen« Islam soll sich die Umma, die ganze Gemeinschaft der Gläubigen, erkennen, und er soll ebenso die nichtmuslimische Welt an­sprechen. Herausragende Bedeutung haben in diesem Zusammen­hang die öffentlich ausgestellten Artefakte, die Usbekistans islamisches Erbe repräsentieren und die unmittelbar sichtbar machen, wie man in der Welt gesehen werden will.

Die symbolische und performative Dimension der Politik67 zeigt sich exemplarisch am 2017 gegrün­de­ten Zentrum der Islamischen Zivilisation (siehe S. 18f). Der Name ist Programm: Das Zentrum soll Usbe­kistan als einen historischen Nukleus des isla­mischen Kultur­raums präsentieren, der Welt die Errungenschaften zentralasiatischer islamischer Kunst und Gelehrsamkeit vor Augen führen und ihren Bei­trag zur Entwick­lung der menschlichen Zivilisa­tion verdeutlichen. Der im Gründungsdokument beschrie­bene68 Auftrag des Zentrums vermittelt eine dezidiert »säkulare« Auf­fas­sung vom Islam. Ähnlich wie in den bildungspolitischen Dekreten und Ver­ordnungen wird Religion ver­einnahmt durch das genuin europäische und gänz­lich der Immanenz ver­haftete Konzept der »Aufklärung«.

Wenn es in den Rechtsdokumenten zum Zentrum heißt, die berühmten Gelehrten der Blütezeit zentral­asiatischer islamischer Kultur seien stets »den Prin­zi­pien der Wissenschaft, des Humanismus und der Auf­klärung« verpflichtet geblieben, so liest sich dies bei­nahe wie die Entschuldigung eines möglicherweise religiös motivierten Erkenntnisstrebens. Das Trans­zen­dente als Maßstab der Erkenntnis – dieser Gedanke ist dem Bild, das sich Usbekistans säkulare Elite von den berühmten Gelehrten früherer Epochen macht, offenbar fern.69 Im repräsentativen Islam, so wie sie ihn verstanden wissen will, ist die muslimische Reli­gion primär eine kulturelle Ausdrucksform, die sich in den Wissenschaften und Künsten niedergeschlagen hat und die einer Erkenntnislehre gleichkommt, die huma­nistischen Idealen verpflichtet ist.70

Usbekistans »dritte Renaissance« beruht auf dem Idealbild eines toleranten, »weltlichen« Islams.

Besonders deutlich wird diese Auffassung in der Übernahme des »Renaissance«-Begriffs, den die rele­van­ten Rechtsakte neuerdings für die Epochengliederung der usbekischen Geschichte einführen: Nach einer »ersten Renaissance«, die etwa die Zeit der wissen­schaftlichen Entdeckungen im 9. bis 12. Jahrhundert umfasst, und einer »zweiten Renaissance«, die mit den Timuriden (14. bis 16. Jh.) assoziiert wird, ist dem­nach mit dem Amtsantritt von Präsident Mirziyoyev eine »dritte Renaissance« angebrochen, die sich mit dem Auftrag des Zentrums der Islamischen Zivilisation verbindet. Gemäß einer Verordnung von 2021, die dessen Aufgaben konkretisiert,71 soll das Zentrum eine Art Steuerzentrale für »Aufklärung« im Dienste von Usbekistans »dritter Renaissance« werden. Das Idealbild eines edlen und erhabenen, der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem Fortschritt ver­pflich­teten Islams spielt darin die entscheidende Rolle.

Um diesen Islam und die damit assoziierte Idee der »dritten Renaissance« zu präsentieren, entsteht der­zeit auf dem Areal Hazrati Imom,72 einem Ensemble von islamischen Sakralbauten und Museen in Tasch­kent, ein Museumsneubau von beeindruckenden Ausmaßen, errichtet im Stil der timuridischen Herr­schaftsarchitektur.73 Das Zentrum der Islamischen Zivilisation soll bestehende Sammlungen islamischer Kunst und Wissenschaft aus ganz Zentralasien zu­sammenführen und dort mit modernsten Präsenta­tions­techniken darbieten, darunter einen reichen, rund 100.000 Exponate umfassenden Fundus an Manu­skripten und wertvollen Koranexemplaren, aber auch archäologische Zeugnisse und Alltagsgegenstände aus verschiedenen Epochen. Archivforschung, Restauration und Konservierung von Manuskripten und anderen Altertümern bilden weitere Schwerpunkte, denen der Neubau einen Ort bieten soll.

Großen Wert legt man bei dem Vorhaben auf pres­tigeträchtige internationale Kooperationen, zum Bei­spiel mit der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) sowie der Organisation der Islamischen Welt für Bildung, Wis­sen­schaft und Kultur (ICESCO) und anderen islamischen Organisationen und Instituten. Finanziert wird das Großprojekt aus dem Staatshaushalt, aus Zuwen­dun­gen ausländischer Finanzinstitute und anderer Geber sowie aus Spenden, die in einen eigenen Fonds für die Entwicklung des Zentrums der Islamischen Zivi­li­sation fließen.74 Ein ähnlich repräsentatives archi­tektonisches Ensemble bildet in Samarkand das Inter­nationale Forschungszentrum Imom Buchari mit dem 2018 angegliederten Institut für Hadith-Wissenschaft.75 Neu­gründungen wie diese unterstreichen den Willen, isla­mische Bildung und Gelehrsamkeit für die staat­liche Repräsentation nutzbar zu machen. Das Zent­rum der Islamischen Zivilisation soll darüber hinaus in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften für die islami­schen Hochschulen des Landes eingebunden werden und die Schulung von Tourismusführern übernehmen, besonders für den boomenden Sektor Pilger­touris­mus.

Schon Präsident Karimov hatte den Pilgertourismus gezielt gefördert, um die religiösen Bedürfnisse der Gesellschaft in eine ungefährliche und zugleich der Wirtschaft dienliche Richtung zu lenken. Die Wall­fahrt (ziyārat) zu sakralen Orten (meist Grabmäler von Heiligen und Wundertätern oder Wirkungsstätten bedeutender historischer Persönlichkeiten) spielt seit jeher eine wichtige Rolle im zentralasiatischen Islam. Von der sowjetisch geprägten Elite als Aberglaube verachtet und von der an universalistischen Doktrinen orientierten religiösen Gelehrtenschaft mit Arg­wohn beäugt,76 lebte das Pilgerwesen im Zuge des neu er­wachenden Interesses am Islam in den 1990er Jahren wieder auf.

In Usbekistan ist seit der Jahrtausendwende eine florierende, mit dem Pilgerwesen verbundene Indust­rie entstanden, die dem Staat und der Privatwirtschaft Einkünfte verschafft und sich zu einer Wachstumsbranche entwickelt hat.77 Zahlreiche Pilgerorte – viele davon ursprünglich nur ein Grab oder Mausoleum samt angrenzendem Gebetshaus und kleinem Fried­hof – wurden restauriert und zu weitläufigen An­lagen ausgebaut bzw. völlig neu gestaltet. Mit der Ver­marktung der Pilgerstätten ging nicht nur deren ästhe­tische Vereinheitlichung einher.78 Auch die in der Nähe sakraler Orte üblichen ritu­ellen Handlungen suchte man zu standardisieren und ma­gi­sche Prakti­ken zu unterbinden, vor allem Mantik und Herstellung bzw. Verkauf von Apotropaia. Dafür gibt es heute an allen größeren Pilgerstätten Souve­nir­läden mit mehr oder weniger identischem Ange­bot, die das Bild einer durchgreifenden Säkularisierung des Pilger­wesens im Dienste der Tourismus­förderung vermitteln.

Diese hat seit der Amtsübernahme von Präsident Mirziyoyev einen enormen Schub erfahren. Zunächst ging es dabei um Maßnahmen, die eine rasche Er­schließung des touristischen Potentials des Landes ermöglichen sollten (insbesondere durch Einreise­erleichterungen und den Ausbau touristischer Infra­struktur).79 Seit 2018 wird dem Pilgertourismus als eigener Branche verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Hauptzielgruppe sind Reisende aus muslimischen Ländern, die an den sakralen Stätten auch den Ritus vollziehen und Wert darauf legen, Speise­vorschriften zu beachten.80 Die Aufwertung der Organisation der Turkstaaten (OTS) auf dem Istanbuler Gipfel 202181 und das Strategische Partnerschaftsabkommen zwi­schen Usbekistan und der Türkischen Republik82 haben Reisende aus turksprachigen Ländern als Ziel­gruppe von Pilgerreisen in den Fokus gerückt.

Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der OTS soll laut einer Verordnung vom Juli 2022 das Konzept der »Gesegneten Wallfahrt« entwickelt werden, die vor­nehmlich auf Pilger aus OTS-Staaten abzielt. Geplant ist, neue Pilgerrouten zu erschließen und Seminare, Konferenzen und Festivals zu organisieren, um die neuen Destinationen bekannt zu machen; die Uni­versitäten sind ebenfalls einbezogen.83 Mit dem Kon­zept der »Gesegneten Wallfahrt« sollen nicht nur Arbeitsplätze für usbekische Unternehmer und Unter­nehmerinnen geschaffen werden. Als weiteres Ziel wird die »kulturelle Annäherung« zwischen Jugend­lichen aus der turksprachigen Welt genannt, bei denen man das Bewusstsein für die Bedeutung geteilter Werte wie »Respekt vor nationalen Traditionen und Vorfahren« wecken will.84

Neu ist dieser Ansatz insofern, als mit der Förderung des Pilgertourismus nun nicht mehr nur wirt­schaft­liche Zielsetzungen verknüpft sind, sondern die ritu­elle Praxis auch als Instrument der Kulturpolitik, das heißt in repräsentativer Funktion, eingesetzt wird. Nationale, sogar konfessionelle Differenzen werden dabei entschärft und Gemeinsamkeiten mit den Ad­res­saten betont (hauptsächlich mit der türkischen Welt). Die Unterscheidung zwischen dem Sakralen und dem Säkularen selbst wird in der bürokratischen Anverwandlung religiöser Praxis obsolet, etwa wenn die »Heiligen«, deren Gedenkorte Gläubige im Rah­men von Wallfahrten aufsuchen, in der Verwaltungs­prosa zu »Denkern« werden.85 Diese Wortwahl kommt vermutlich auch der von universalistischen Dogmen geprägten ‘Ulamā entgegen, die sich von »Heiligen« und den damit verbundenen »abergläubischen« Prak­tiken emanzipiert hat. Doch die staatliche Kooptierung der Religion hat Folgen, die nicht allen Ver­tre­tern des Klerus, und besonders nicht den strengeren unter den Religionswächtern, gefallen dürften. Denn in der Umarmung durch den säkularen Staat er­scheint der Islam selbst als das Idealbild einer »zivi­len« Reli­gion, die sich auf universelle Werte beruft, die im Grunde ohne religiöse Fundierung auskommen.

Im Zuge der staatlichen Kooptierung religiöser Bil­dung und der Integration von Glaubensinhalten und Ritual in das säkulare Programm der »spirituellen Aufklärung« wird der Islam zu einer repräsentativen Form der Kultur. Als solche ist er gereinigt von all dem, was nicht zum Idealbild eines edlen, staatsbürger­tauglichen, universellen Werten verpflichteten Islams passt: Missionierung, Politisierung, Militanz. Gleich­zeitig werden die Autorität und der Radius der staat­lichen Behörden bei der Definition dessen, was Reli­gion leisten darf und soll, immer größer. Dies zeigt sich exemplarisch in den relevanten Rechtsdoku­menten, die bis ins Detail die Maßnahmen vorgeben, durch die die Säkularisierung umgesetzt werden soll.

Vor diesem Hintergrund stellen sich nun folgende Fragen: Welchen Einfluss haben die rechts- und bil­dungspolitischen Vorgaben auf die Praxis der Gläu­bi­gen? Spiegelt sich die Säkularisierung des Religiösen, auf die die politischen Maßnahmen abzielen, darin wider? Und welche Rolle spielen muslimische Auto­ritäten und Prediger bei der Redefinition des Ver­hält­nisses von Religion und Säkularität?

Religion und Gesellschaft

Liberalisierung und Islamisierung

Die mit dem Machtwechsel von 2016 einhergehende Liberalisierung der Religionspolitik hat die Präsenz des Islams im öffentlichen Raum merklich vergrößert.86 Seit November 2017 wird der Gebetsruf (azan) wieder durch Lautsprecher verstärkt87 und ist weithin hörbar. Die Moscheen – Ende 2022 waren es etwas über 2100 – sind nicht nur zum Freitagsgebet gut besucht; zahlreiche Gläubige, unter ihnen viele Jugendliche,88 beten dort auch zu anderen Gebets­zeiten. Die Moscheen haben zunehmend zu ihrer originären Funktion als Ort informeller Zusammenkünfte zurückgefunden, während sie zugleich als Binde­glied zwischen der Gemeinde und der staatlich kontrollierten Geistlichen Verwaltung, dem DMU, fungieren. Generell ist das Spektrum muslimischer zivilgesellschaftlicher Organisationen89 größer und vielfältiger geworden. Zu diesen zählen neben den Moscheen die Mahallas, traditionelle Institutionen lokaler Selbstverwaltung, die als Schnittstelle zwi­schen Staat und Gesellschaft dienen.90

Mahallas sind Nachbarschaften bzw. Stadtviertel, die klar umgrenzte administrative Einheiten mit eigenen Moscheen bilden und von einer staatlichen Struktur verwaltet werden, dem Mahallakomitee. Sie haben sich seit jeher karitativen Aufgaben gewidmet und sich darum gekümmert, die Bevölkerung bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen und gemein­schaftliche Aktivitäten zu organisieren. Seit 2016 gilt dies umso mehr, denn die Wirtschaftsliberalisierung bringt wachsende sozioökonomische Disparitäten mit sich. Deren Folgen – sinkende Lebensstandards und steigende Armut – fangen die Mahallas auf, indem sie grundlegende soziale Dienstleistungen übernehmen.91 Darunter fallen auch Streitschlichtung und Media­tion, zu denen oft religiöse Spezialisten und Spezialistinnen herangezogen werden. Diese bieten ihre Dienste zu­dem bei Beschneidungs- und Hochzeitsfesten sowie bei Beerdigungen an, zum Beispiel Rezitationen von Koransuren. Sie werden von den Mahallakomitees aus­gewählt und regelmäßigen Eignungstests durch das DMU unterzogen. Ihre Dienstleistungen sind stark nachgefragt, zumal sie nunmehr mit Billi­gung der staatlichen Behörden ausgeübt werden. Dass sie über­wacht werden, wird nicht als problema­tisch wahrgenommen, vielfach sogar als positiv ge­wertet.

Große Bedeutung hat die waqf-Stiftung erlangt, eine traditionelle Institution des islamischen Rechts, die 2018 per Dekret wiederbelebt wurde und dem DMU zugeordnet ist. Ihre Aufgabe ist es, religiöse Bil­dung und deren Institutionen zu fördern, zu ihrem Erhalt beizutragen und das dort tätige Personal zu finanzieren.92 Dies geschieht durch die Almosensteuer (zakāt), zu deren Abgabe der Islam alle Muslime ver­pflichtet, deren Vermögen einen be­stimm­ten Betrag übersteigt, sowie durch andere Spen­den. Über Höhe und Verwendung dieser Mittel legt die Stiftung auf ihrer Website regelmäßig Rechenschaft ab. Mit ihnen wird nicht nur der Erhalt von Moscheen und Pilger­stätten finanziert, sondern auch wohltätige Projekte anderer Art, etwa die Unterstützung notleidender Menschen oder Baumpflanzungen.93

Die neuen Freiräume für religiöse Aktivität werden intensiv genutzt.

Unabhängig davon haben sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen und informelle Gruppierungen gebildet, die sich um Bedürftige kümmern und dies oft viel effizienter tun als staatliche Institu­tionen.94 Die Mitglieder dieser Gemeinschaften ver­stehen es als religiöse Pflicht, karitative Aufgaben wahrzunehmen und ihren Mitmenschen zu helfen; damit kommen sie den Geboten der muslimischen Ethik nach und tragen zur sozialen Kohäsion bei. Aufgrund ihrer religiösen Fundierung spielen diese Graswurzelorganisationen eine maßgebliche Rolle bei der Verbreitung muslimischer Überzeugungen und Praktiken in der Bevölkerung. Wegen ihrer Bedeutung für die soziale Fürsorge werden sie vom Staat geduldet – und selbstverständlich genauestens überwacht.

Mit der Liberalisierung religiöser Betätigung ist der Islam im öffentlichen Raum auch unmittelbar sicht­barer geworden. Am augenfälligsten ist wohl die wach­sende Zahl von Frauen, die den Hijab tragen, zumindest aber Kopf und Schultern bedecken. Dies scheint in den meisten Fällen freiwillig zu geschehen, denn die neue soziale Norm steht ebenso für Moder­nität und modische Eleganz. Für viele Frauen, beson­ders solche mit einem religiösen Familienhintergrund, ist der Hijab überdies ein Freiheitsgewinn: Er erlaubt ihnen, dem Hausfrauenalltag zu entkommen und unbegleitet auszugehen, beispielsweise um einen Arabischkurs zu besuchen.

An Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen ist diese Form der Verhüllung zwar gesetzlich verboten,95 doch die Rechtswirklichkeit sieht häufig anders aus. Mehr Religionsfreiheit bedeu­tet auch größere Spielräume bei der Rechts­anwen­dung. Das Lehrpersonal schreitet daher oft nicht ein, wenn Schülerinnen im Hijab erscheinen – zumal dann, wenn es ohnehin die Mehrzahl der Eltern wünscht. Ähnliches gilt für den privaten Religions­unterricht: Obwohl gesetzlich verboten, wird er dennoch prak­tiziert, und nicht immer gehen die Aufsichts­behörden dagegen vor.

Die neuen Ausdrucksmöglichkeiten religiösen Lebens werden mehrheitlich positiv aufgenommen. Sie gelten als klares Signal dafür, dass der Präsident es ernst meint mit den neuen Freiheiten. Die Befragten96 nannten als Beispiele vor allem die Möglichkeit, nun ohne Angst vor Repressalien in eine Moschee gehen und sich öffentlich über religiöse Themen austauschen zu können, ohne befürchten zu müssen, auf eine »schwarze Liste« zu geraten oder gar inhaftiert zu wer­den wie früher. Des Weiteren wurde positiv be­wer­tet, dass man nunmehr verschiedenste Quellen zur Aus­wahl habe, um sich über den Islam zu informieren. Genutzt werden dafür das staatliche Fernsehen mit dem Kanal Hidoyat sari (»Auf dem richtigen Weg«),97 vor allen Dingen aber das Internet und eine schier unüberschaubare Zahl religiöser Websites sowie Kanäle und Foren auf verschiedenen Plattformen und in sozialen Medien. Über aktuelle staatliche Vorgaben, Regeln und Vorschriften informiert regelmäßig die Freitagspredigt, die auch jene besuchen, die sich selbst als »weniger religiös« bezeichnen und lediglich über Neuerungen auf dem Laufenden sein wollen.

Religiöses Wissen und Arabischkenntnisse stehen vor allem unter Jüngeren hoch im Kurs. Wer Arabisch lernt, tut dies oft mit dem Ziel, den Koran rezitieren zu lernen. Zwar bietet das Internet Möglichkeiten hier­für, manche ziehen aber trotzdem Unterricht bei einem geistlichen Lehrer (ustoz) bzw. einem Imam vor – was allerdings gesetzlich verboten ist. Wem es in erster Linie um die Sprache geht, kann unter zahl­reichen pri­vaten Instituten wählen.

Alle diese Neuerungen haben zur Folge, dass reli­giö­ses Wissen eine begehrte symbolische Ressource ge­worden ist. Wer in religiösen Fragen Auskunft geben kann, genießt Respekt und steht weit oben in der sozia­len Hierarchie. Muslimische Werte und Normen fun­gie­ren mehr denn je als Richtschnur für das Gemein­schaftsleben und als Bezugspunkt gemeinschaftlicher Aktivitäten im Mahalla-Alltag. Der Islam, so eine Gesprächspartnerin, sei der Schlüssel für eine bessere Welt, weil er die Menschen zusammenbringe, Kol­lek­tivgeist lehre und sozialen Frieden stifte. Eine reli­gi­öse Erziehung der Kinder hielten sämtliche Gesprächs­partnerinnen, auch die bisweilen »weniger religiösen« Gesprächspartner, für essentiell. Die Mehrzahl war ebenfalls für die Einführung von Religionsunterricht in den Schulen, plädierte aber dafür, dass nicht Imame, sondern säkulares Lehrpersonal den Unter­richt erteilen solle.

Die Islamisierung, die mit den neuen religiösen Freiheiten einhergeht und die offenkundig viele Usbekinnen und Usbeken begrüßen, stößt nicht bei allen auf Zustimmung. Nach Ansicht einiger weniger (männlicher) Gesprächspartner, die sich gegen schu­lischen Religionsunterricht aussprachen, besäßen religiöse Themen einen zu hohen Stellenwert. Sie hießen gut, »dass der Staat aufpasst«, da vieles von dem, was unter religiösen Gesichtspunkten vermittelt werde, »konservativ und engstirnig« sei. Dass mus­li­mische Verhaltensnormen als Bewertungsmaßstab für individuelles und soziales Handeln immer wich­ti­ger werden, nehmen religiös Distanziertere als mora­lischen Druck und Mangel an Toleranz für Andersdenkende wahr. Doch solche Positionen schei­nen in der Minderheit zu sein. Weite Teile der Gesellschaft werden von den staatlichen Bemühungen um eine Säkularisierung der religiösen Bildung allem An­schein nach nicht erreicht.

Auch das Konzept einer »spirituellen Aufklärung« geht offenbar an den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbei. Eine Beraterin des Justizministers äußerte sich diesbezüglich explizit: Diese Form des Werteunterrichts sei vollkommen wirkungslos, ja kontraproduktiv, die in das Zentrum für Spiritualität und Aufklärung mit seinen landesweiten Filialen investierten Gelder sollten daher gekürzt werden.98

Religiöse Autoritäten

Mit den neuen religiösen Freiheiten hat sich auch das Spektrum muslimischer Autoritäten erweitert. Deren Spitze bildet wie bisher die im DMU organisierte, quasi­staatliche ‘Ulamā, die als oberstes religiöses Gremium öffentlich nur dann in Erscheinung tritt, wenn der Mufti (seit Oktober 2021 Nuriddin Kholiknazarov) sich zu Grundsatzfragen äußert. In der Regel werden diese Stellungnahmen zudem ins Internet gestellt und sind über die DMU-Website muslim.uz bzw. über das Videoangebot des DMU auf Youtube99 zugänglich. Darüber hinaus sind die Inhalte der DMU-Internet­seite divers, Berichte über die Aktivitäten des DMU und der religiösen Bildungseinrichtungen findet man ebenso wie besonders schöne Koranrezitationen (tajwīd) oder Vorträge angesehener Kleriker.

Systematisch aufbereitete Informationen über den Islam bietet die schon lange bestehende Website islom.uz sowie der zugehörige Youtube-Auftritt.100 Die Website wurde 2003 von Usbekistans wohl bekann­testem zeitgenössischen Theologen und Rechtsgelehrten, dem früheren Mufti Scheich Mohammad Sodyq Mohammad Yusuf (siehe S. 9), ins Leben geru­fen und wird seit seinem Tod 2015 weitergeführt. Speziell an Muslimas richtet sich die von seiner Toch­ter Odinakhon Mohammad Sodyq betriebene Internet­seite muslimaat.­uz.101 Daneben unterhält sie den von ihrem Vater be­gründeten »Halbmond-Verlag« (Hilol Nashr), der unter anderem seine Werke vertreibt. Seine als Klassiker geltende Koranexegese (Tafsiri Hilol) in usbe­ki­scher Sprache ist auch als E‑Book und Hörbuch erhältlich.102

Den anderen Pol im Spektrum muslimischer Auto­ritäten bilden die Imame der Moscheen, die neben ihren genuin seelsorgerischen Aufgaben administrative Funktionen ausüben, die Vorgaben der staat­lichen Religionspolitik unmittelbar an die Gemeinde weiter­geben und bei ihrer Einhaltung mitwirken. Viele ar­bei­ten nach wie vor überwiegend oder ausschließlich im direkten Kontakt mit den Gemeindemitgliedern. Doch die Popularität sozialer Medien und der hohe Stellenwert muslimischer Autorität haben einen neuen Typ von Predigern hervorgebracht, die das Internet systematisch nutzen und eigene digitale Nachrichten­kanäle unterhalten. Mit rund 100.000 Subscribern auf Telegram und rund einer halben Mil­lion Abonnentin­nen und Abonnenten auf Youtube haben es Prediger wie Abror Mukhtor Ali103 und andere104 zu landes­weiter Prominenz gebracht. Öffent­liche Intellektuelle und Blogger des säkularen Spek­t­rums erreichen sol­che Zahlen kaum. Lediglich der beliebte Politiker Rasul Kusherbayev, bis Dezember 2022 Parlamentsabgeordneter,105 kann es mit 78.900 Abonnenten seines Telegram-Kanals bzw. 150.000 Youtube-Abon­nenten mit den prominenten Predigern aufnehmen.106 Umgekehrt kann der Fernsehkanal des religiösen Unternehmers Mubashshir Ahmad, Azon TV, auf 1,19 Millionen Abonnenten verweisen107 und sich damit durchaus mit der staatlichen TV- und Radio­gesellschaft messen, deren Angebot auf Youtube 1,53 Millionen Nutzerinnen und Nutzer abonniert haben.108 Das DMU schließlich hat 357.000 Abonnenten auf Youtube und damit doppelt so viele wie der Pressedienst von Präsident Mirziyoyev.109

Internet und religiöse Kanäle bzw. die Akteure, die diese Ressourcen nutzen, tragen damit wesentlich bei zur Verbreitung und Popularisierung religiösen Wissens. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zahl interessierter und für autoritative Lehren empfäng­licher Laien stetig wächst. In den Diskussionsforen gän­giger Websites werden diese Lehren weitergegeben und prägen die Einstellungen und Werturteile zahl­reicher Nutzerinnen und Nutzer.

Die professionellen religiösen Blogger haben alle einen islamischen Bildungshintergrund, auf den sie in ihren Online-Profilen verweisen. Zumeist haben sie eine Ausbildung am Taschkenter Imam al-Buchari-Insti­tut absolviert, Erfahrung als Imam einer Freitags­moschee oder einen wissenschaftlichen Bezug zum Islam bzw. einer islamwissenschaftlichen Teildisziplin, nachgewiesen durch editorische oder publizistische Tätigkeit, Lehraufträge an einer usbekischen religi­ösen Hochschule oder eine leitende Funktion im DMU. Zwei der bekanntesten Blogger des Landes verfügen außerdem über journalistische Erfahrung: Abror Mukhtor Ali aufgrund eines einschlägigen Studiums, Mubashshir Ahmad aufgrund seiner Tätigkeit als reli­giöser Medien­unternehmer.

Auf ihren Online-Kanälen behandeln die Prediger ganz unterschiedliche Themen, die einen Bezug zum Islam aufweisen oder aus islamischer Sicht relevant erscheinen. Neben Interpretation und Kommentierung von Koransuren, Zitaten und Aphorismen musli­mischer Gelehrter sowie Stellungnahmen zu ausge­wähl­ten Fragen des Islams und der muslimischen Ethik bieten sie Auskunft in dem stark nachgefragten For­mat »Fragen und Antworten«. Hier haben die Userin­nen und User die Möglichkeit, dem Online-Imam Fragen zu stellen, die konkrete, alltägliche Probleme betreffen und oft in Live-Posts beantwortet werden.

Die Vorträge und Kommentare der Prediger beschränken sich nicht auf religiöse Fragen im engeren Sinn. Ganz wie diejenigen usbekischen Bloggerinnen und Blogger, die religiös nicht festgelegt sind und eher weltliche Perspektiven einnehmen, beziehen die Online-Prediger zu aktuellen Themen Stellung und kommentieren gesellschaftliche und politische, auch weltpolitische Ereignisse. So warnen beispielsweise Blogger wie Mubashshir Ahmad die usbekischen Mus­lime vor russischer Desinformation zum Krieg in der Ukraine,110 üben subtile Kritik an staatlicher Zensur und Beschränkung der Meinungsfreiheit,111 warnen ihre Landsleute aber auch vor politischem Aktivismus.112 Die staatliche Religionspolitik und das DMU als ihr verlängerter Arm werden ebenfalls kritisch kommentiert – so etwa, wenn es Imame dazu auf­ruft, kontroverse Themen in ihren Predigten zu ver­mei­den. Die Kritik der Online-Imame hierauf lautet, es sei, im Gegenteil, ihre Pflicht, die religiösen Gebote gegenüber dem säkularen Staat zu verteidigen.113

Einige religiöse Aktivisten werden in Schutz genommen, andere strafrechtlich verfolgt.

Diese neue Form von religiösem Aktivismus hat die mediale Debatte in Usbekistan dynamisiert und pola­risiert. Besonders die Positionen von Abror Mukhtor Ali haben wiederholt Kontroversen ausgelöst. Seine Stellungnahmen, in denen er häusliche Gewalt gegen Frauen rechtfertigt,114 Homosexualität als amoralisch und widernatürlich stigmatisiert115 und seine Kritiker als ausländische Agenten denunziert,116 finden breite Unterstützung.117 Von der säkular orientierten Com­munity wurde Mukhtor Ali allerdings heftig kritisiert, so dass sich das Zentrum der Islamischen Zivilisation, wo er als Leiter für Öffentlichkeitsarbeit tätig war, ver­anlasst sah, sich öffentlich für die misogynen Äuße­run­gen seines Mitarbeiters zu entschuldigen.118 Doch nahm man ihn gleichzeitig in Schutz – und wenig später machte ihn das DMU zum stellvertretenden Leiter einer neu eingerichteten Abteilung für Koran­rezitation.119 Seine Online-Vorträge und ‑Beratungen führte Mukhtor Ali weiter, ohne dass sich seine Posi­ti­o­nen erkennbar geändert hätten. Deren offensive Ver­breitung hat maßgeblichen Anteil daran, dass auch islamistische Einstellungen in der Gesellschaft immer mehr Anklang finden.120

Nicht alle religiösen Aktivisten haben freilich das Privileg, ihre Ansichten so ungehindert artikulieren zu dürfen. Dabei sind die roten Linien jedoch nicht eindeutig markiert. Die Repressionen richten sich gegen ganz unterschiedliche Akteure, deren Gemeinsamkeit lediglich darin besteht, dass sie sich mit reli­giösen Themen in einer Weise beschäftigen, die sich von der sozialen Norm abhebt, so dass sie ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. Dies kann die Ver­öffentlichung eines Videos über Zusatzstoffe in Lebens­mitteln sein, die für Muslime verboten (haram) sind, Werbung für das Tragen einer Ganzkörperverhüllung (Burka) oder die Weitergabe von Schriften, die als illegal klassifiziert121 oder auch nur verdächtig sind. Oft reicht allein der Besitz von Dateien mit un­erlaubtem oder zweifelhaftem Inhalt, um wegen »extremistischer Einstellungen« verurteilt zu werden. Auch wer in Verdacht gerät, Kontakte zu verbotenen Gruppierungen122 zu unterhalten, muss mit harten Sanktionen rechnen.123 Das Strafmaß reicht von Bußgeldzahlungen und mehrtägigem Arrest bis hin zu langjährigen Haftstrafen. Immer wieder wird über schwere Miss­handlungen in der Haft berichtet.124

Religion und Säkularität

Die neuen religiösen Freiheiten werden allem Anschein nach von einer Mehrheit der Usbeken und Usbekinnen begrüßt.125 Breiter Konsens besteht vor allem dahingehend, dass der Islam eine zentrale identitätsstiftende Ressource darstellt, »die die Gesellschaft eint und sie voranbringt«.126 Einen islamischen Staat wünschen sich die meisten zwar nicht, doch steigt der Einfluss von Akteuren, die islamischen Normen stär­kere Geltung verschaffen wollen und säkulare Prinzi­pien infrage stellen. Kritische Stimmen warnen denn auch vor den Folgen einer wachsenden Islamisierung. Sie repräsentieren zum größten Teil das säkulare, urbane Segment der Gesellschaft, das den staatlichen Institutionen nahesteht und in einer säkularen Bil­dungstradition beheimatet ist.

Das Justizministerium gab im September 2021 eine öffentliche Stellungnahme ab, die auf die in der Ver­fassung von 1992 (Artikel 31) verankerte Glaubens- und Gewissensfreiheit hinweist. Das Ministerium hebt ausdrücklich hervor, dass es den Bürgerinnen und Bürgern freisteht, sich einer beliebigen Glaubens­gemeinschaft anzuschließen – oder auch auf jegliche Religionszugehörigkeit zu verzichten. Anderen die eigenen moralischen oder religiösen Überzeugungen aufzuzwingen verstoße zudem gegen das in Artikel 25 und 27 festgelegte Recht auf Unverletzlichkeit der Person und widerspreche der Verfassung, deren säku­larer Charakter nicht zur Disposition stehe.127 Anlass für die Intervention war eine Häufung von öffent­lichen Statements religiöser Akteure, in denen sie for­derten, die Rechte von Frauen zu beschränken (etwa die freie Wahl der Berufstätigkeit oder das Recht, ein Fahrzeug zu führen). Aus Sicht des Justiz­ministeriums inakzeptabel war überdies das Ansin­nen solcher Ak­teure, die Zensur religiöser Literatur auf Reproduktio­nen weltlicher Kunstwerke auszudehnen, die in ihren Augen nicht vereinbar sind mit dem Islam.128

Im Februar 2022 meldete sich der Justizminister auch persönlich zu Wort. Im alljährlichen Rechenschafts­bericht über die Tätigkeit seiner Behörde warnte er religiöse Akteure davor, die Gesellschaft zu spalten, indem sie diejenigen als Ungläubige brandmarkten, die sich nicht an die Verhaltensvorschriften des Islams hielten. Die Verfassung des Landes gestatte es den Bürgerinnen und Bürgern, »selbst zu entscheiden, ob sie zur Hölle fahren wollen oder nicht«.129 Andere Vertreter staatstragender Institutionen übten gleich­falls Kritik an der religiösen Intoleranz, die sich im Internet verbreite. So wandte sich der Direktor des Zentrums der Islamischen Zivilisation in einer öffentlichen Erklärung gegen Bestrebungen, Usbekistan in einen islamischen Staat zu transformieren.130 Der renommierte Orientalist und Islamwissenschaftler Bahtiyor Babadjanov beklagte, dass »Propagan­disten« extrem konservativer Prägung den öffentlichen Diskursraum besetzt hätten. Die Internationale Islamische Akade­mie Usbekistans produziere jährlich Tausende von Absol­venten, aber das seien keine professionellen Spezialisten, sondern Apologeten des Islams.131

Die Islamisierung wird vom Staat geduldet.

Dass der Staat diese »Propagandisten« gewähren lässt, dürfte gute Gründe haben: Da ist zum einen die zahlreiche Anhängerschaft der Wortführer. Sie zu entfremden birgt das Risiko, dass sich die Geschichte wiederholt und es erneut zu einer Frontstellung zwi­schen religiösen Milieus und dem säkularen Staat kommt – so wie zu Beginn der 1990er Jahre und 2005 in Andijon (siehe S. 11f). Systematisch Gewalt gegen religiös moti­vierte Akteure einzusetzen würde das Image Us­be­kis­tans als liberaler Reformstaat, um das sich die staat­liche Führung so sehr bemüht, schwer be­schädigen. Zum anderen sind die exponierten Online-Prediger durchaus nützlich. Ihre Interaktion mit den Followern lässt Rückschlüsse auf gesellschaftliche Stim­mungs­lagen zu und ermöglicht es, diese zu kana­lisieren, zumindest aber im Blick zu behalten. Mit ihrer Hilfe lassen sich zudem Kritiker der staatlichen Politik in Schach halten. Sobald nämlich autoritative Akteure wie Mukhtor Ali kompromittierende Behaup­tungen über Einzelpersonen verbreiten, ist deren An­liegen schnell diskreditiert.132 Anstatt die Prediger in die Schranken zu weisen und damit Konflikte mit der mus­limischen Mehrheit zu riskieren, duldet der Staat sie und bedient sich ihrer, um das religiöse Feld zu kont­rollieren.133

Dieses Kalkül scheint aufzugehen, allerdings um den Preis einer zunehmenden Islamisierung der Bevöl­kerung. Die säkulare Staatsverfassung ist zwar in keiner Weise gefährdet, denn die Trennung von Staat und Religion wird mehrheitlich nicht infrage gestellt (zu­min­dest gibt es dafür keine Anzeichen). Doch gera­ten liberale säkulare Prinzipien durch die Duldung radikal-konservativer Positionen exponierter religi­öser Auto­ritäten tendenziell in die Defensive. Die Inter­ven­tion des Justizministers hat exemplarisch gezeigt, dass diese Positionen im Widerspruch zum säkularen Werte­kanon der staatlichen Leitkultur stehen. Den­noch scheint es am politischen Willen zu fehlen, offensiv für diesen säkularen Wertekanon einzutreten.

Der Grund ist offensichtlich: Die staatliche Politik müsste dann auch Positionen verteidigen, die für die konservative Mehrheit inakzeptabel sind, und zwar sowohl für die säkular-konservative als auch für die religiös-konservative. Diese betreffen vor allem Fragen des Umgangs mit Abweichungen von hetero­norma­tiven Orientierungen und die Gleichstellung der Geschlechter – Themen, an die sich starke Affekte knüpfen und die mithin ausgeprägtes Mobilisierungs­potential besitzen.134

Die staatliche Strategie, dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Aneignung religiösen Wissens durch entsprechende Bildungsangebote nachzukommen, sichert der Politik Zuspruch bei der muslimischen Mehrheit. Dasselbe gilt für die offensive Affirmation des islamischen Erbes als integraler Bestandteil der Nationalkultur. Doch ein »säkularer« Zugang zur Reli­gion durch Verwissenschaftlichung und selektive Aneignung im Dienste staatlicher Repräsentation wird kaum gelingen. Insbesondere die bildungsfernen Schichten werden durch die kultur- und bildungspolitischen Angebote nicht erreicht – zumal diese nur für eine Minderheit verfügbar sind. Die Mehrheit hält sich ohnehin an das in Internet und sozialen Medien massenhaft vorhandene Informationsangebot und seine autoritativ auftretenden Anbieter. Von der staat­lichen Politik werden deren Äußerungen im Zeichen der neuen Medienfreiheit oft auch dann toleriert, wenn sie säkularen Prinzipien widersprechen. Gleich­zeitig demonstriert der Staat mit der strengen Über­wachung der Moscheen und dem harten Zugriff auf all jene Gruppen und Personen, die als »extremistisch« eingestuft werden, dass er das religiöse Feld unter Kontrolle hat – und dass eine restriktivere Religionspolitik nach wie vor eine Option ist.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Im Zuge der seit 2016 angestoßenen Reformen haben sich auch die religiösen Freiräume für die Bürgerinnen und Bürger Usbekistans vergrößert. Der Islam, zu dem die Mehrheit der Bevölkerung sich bekennt, ist im öffentlichen Leben merklich sichtbarer geworden – nicht nur weil frühere Einschränkungen der religiö­sen Praxis beseitigt wurden, sondern auch dank einer Kulturpolitik, die den Islam als konstitutiven Aspekt der nationalen Staatlichkeit demonstrativ in Szene setzt. Infolge der Liberalisierung hat sich der Spiel­raum für muslimische zivilgesellschaftliche Organisationen erweitert, die sich wohltätigen Zwecken wid­men und damit staatliche Wohlfahrtsleistungen in erheblichem Maße substituieren. Eine Vielzahl von Internetseiten befasst sich mit religiösen Themen, vor allem in den sozialen Medien informiert eine unüber­schaubare Zahl religiöser Kanäle über den Islam.

Die Gewährung neuer Freiräume bei der Ausübung der Religion bedeutet jedoch keineswegs, dass der Staat das Feld der Religion sich selbst überlässt. Zwar ist die Trennung von Staat und Religion in der Ver­fassung und im 2021 neu aufgelegten Religionsgesetz festgeschrieben, doch sieht Letzteres eine umfassende staatliche Regulierung und Kontrolle der religiösen Institutionen vor, einschließlich der religiösen Bil­dungseinrichtungen, sowie der Produktion und Ver­breitung religiöser Medien. Die Analyse von Rechtsdokumenten zeigt eine immer stärkere institutionelle Verdichtung von Kontrollmechanismen seit 2017, die, so muss vermutet werden, die unerwünschten Effekte der Liberalisierungspolitik auffangen soll. Diese Kontrollmechanismen zielen in erster Linie dar­auf ab, »nichttraditionelle«, als »extremistisch« klas­si­fizierte Lehren zu bekämpfen und stattdessen den »richtigen«, das heißt den hanafitischen »usbekischen« Islam als Teil der Staatsideologie institutionell zu ver­ankern und propagandistisch zu verbreiten.

Usbekistans religionspolitische Initiativen richten sich demonstrativ auch an die Außenwelt. Die reprä­sentative Inszenierung des islamischen Erbes und die Vermarktung ritueller Praxis durch die Förderung des Pilgertourismus vermitteln das Idealbild eines tole­ran­ten, »weltlichen« Islams, der universellen Werten verpflichtet und von allen unerwünschten Aspekten gereinigt ist. In der Vereinnahmung durch den Staat wird die muslimische Religion zu einer kulturellen Ausdrucksform im Dienst der Wissenschaft, der Künste und des Fortschritts. Mit dieser Profilierung des Islams setzt Präsident Mirziyoyev die Politik seines Vorgängers konsequent fort – und hebt sich zugleich von ihr ab. So werden der liberalere Umgang des Staates mit den religiösen Bedürfnissen der Bevölkerung (Gewäh­rung kontrollierter Freiräume) und die offensive In­dienstnahme des Islams für die staatliche Repräsentation zu einer islamischen »Renaissance« stilisiert.

Auf diese Weise inszeniert sich der Präsident in dem ungebrochen personalisierten Herrschaftssystem Usbekistans als Neuerer, der einen liberaleren Kurs ver­folgt, ohne an den Grundfesten autoritärer Herr­schaft zu rütteln. Dass Mirziyoyev in der Tat an der Macht festhalten will, lässt sich nicht zuletzt an der per Refe­ren­dum im April 2023 geänderten Verfassung ab­lesen. Sie ermöglicht es ihm nunmehr, bis 2037 an der Macht zu bleiben.135

Mirziyoyevs Politikansatz wird von einer säkularen Elite getragen und vom staatlichen Klerus unterstützt. Er findet Zuspruch in den staatstragenden Milieus und bei einer internationalisierten Schicht von Intel­lek­tuellen und Technokraten, ebenso wie in der älte­ren, von der Sowjetzeit geprägten Generation. Große Teile der Gesellschaft werden indes von den staatlichen Bemühungen um eine Säkularisierung des Islams, ins­besondere der religiösen Bildung, anscheinend nicht erreicht. Auch das Konzept einer »spirituellen Auf­klärung« geht offenbar an den Bedürfnissen der Gesell­schaft vorbei. Für die Mehrheit der Usbekinnen und Usbeken ist der Islam keine Wissenschaft, sondern geglaubtes Wissen. Die muslimische Religion ist für sie ein System von Regeln und Überzeugungen, das ihnen dabei hilft, ein gottgefälliges Leben zu führen. Religiöse Selbstbestimmung heißt für sie, den Gebo­ten des Islams zu folgen, so wie anerkannte Autoritäten sie auslegen.

Diese Erwartung läuft der staatlichen Politik durch­aus nicht zuwider – solange muslimische Autoritäten einen mit den staatlichen Richtlinien konformen, quietistischen Islam lehren und sich die Gläubigen damit zufriedengeben. Dies ist in Teilen der Gesellschaft aber nicht der Fall. Die große Nachfrage nach religiöser Unterweisung korrespondiert mit einer wachsenden Zahl von Personen, die sich zu solcher Unterweisung berufen fühlen und die durch ihre Prä­senz in Internet und sozialen Medien die Nachfrage vorantreiben. Dadurch entsteht eine religiöse Binnen­welt, in der säkulare Prinzipien infrage gestellt, il­libe­rale Überzeugungen verhandelt und illegale Materialien weitergegeben werden. Diese Binnenwelt wird durch das staatliche System von Überwachung, Zen­sur und Strafe nicht lückenlos erfasst. Teilweise wird sie wohl sogar kalkuliert geduldet, um den religiösen Diskurs zu kontrollieren und abweichenden Meinungen ein Ventil zu geben – zumindest solange sie nicht dezidiert politisch werden und die Herrschafts­elite ernstlich herausfordern.

Auf diese Weise leistet der Staat zweifellos einer Islamisierung vor allem innerhalb der jüngeren Gene­ration Vorschub. Damit einher geht auch die Verbrei­tung von Überzeugungen, die liberalen Prinzipien widersprechen. Doch was wäre die Alternative? Eine Rückkehr zu den repressiven Praktiken der Karimov-Zeit würde die unerwünschten Überzeugungen nicht aus der Welt schaffen. Sie ist von der staatlichen Elite auch nicht gewollt – denn der Schaden für das Re­form­projekt von Präsident Mirziyoyev wäre erheb­lich. Dessen Gelingen hängt maßgeblich von der Zustimmung der Gesellschaft ab. Der staatliche Um­gang mit den Menschen- und Freiheitsrechten ist mittlerweile ein wichtiges Kriterium bei der Bewertung der Politik durch säkulare und religiöse Beob­achter in Usbekistan. Die konservative Werte­basis, die die staatliche Politik propagiert, wird von der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung ebenso wenig infrage gestellt wie die Trennung von Staat und Religion.

Diese Trennung wird jedoch herausgefordert durch die Positionen einzelner Autoritäten, die islamisches Recht über das des Staates stellen wollen. Diese Ak­teure werden toleriert, solange sie für den Staat kont­rollierbar bleiben. Usbekistans entwickeltes Über­wachungssystem macht es islamischen Milieus außer­ordentlich schwer, sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen. Dass in diesen Milieus oder gar in Teilen der Elite eine kritische Masse entsteht, die auf eine Änderung des säkularen Rahmens hinarbeiten würde, ist höchst unwahrscheinlich. Zudem werden Ansätze zu einer Politisierung im Namen des Islams schon im Keim erstickt. Selbst Bagatellvergehen werden präven­tiv geahndet, oft mit Verweis auf gesetzliche Bestim­mungen, deren Geltung im gegebenen Fall kaum nach­vollziehbar ist. Die staatliche Willkür und die Schika­nen bei der Rechtsanwendung, die das Menschen­rechtsbüro der Vereinten Nationen sowie eine Viel­zahl staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen kritisieren, sind indes kontraproduktiv: Sie halten reli­gi­öse Hardliner nicht ab und entfremden die Gemäßig­ten dem Staat.

An diesem zentralen Politikbereich, dem staat­lichen Umgang mit dem Recht, kann auch die deutsche und europäische Politik ansetzen. Seit dem Machtwechsel im Jahr 2016 und der damit verbundenen wirt­schaftlichen Öffnung des Landes haben sich die Be­ziehungen Deutschlands und anderer europäischer Staaten zu Usbekistan stark entwickelt. Die russische Invasion in der Ukraine hat diese Dynamik noch ver­stärkt. Im Westen möchte man die sich anbahnende Neuordnung des eurasischen Raumes nutzen, um vor allem dessen bevölkerungs- und ressourcenreiche Länder, zu denen Usbekistan zählt, enger an die west­liche Allianz gegen Russland zu binden. Ein entscheidendes Instrument ist dabei der Ausbau der Wirtschafts­beziehungen. Umgekehrt spielen Investitionen und Kredite westlicher Wirtschaftsakteure und inter­nationaler Finanzinstitute eine nicht geringe Rolle bei der Modernisierung, die Usbekistan anstrebt.136 Für diese Akteure ist es nicht unerheblich, wie sich Usbe­kistan hinsichtlich der Menschen- und Freiheitsrechte positioniert und ob rechtsstaatliche Standards einge­halten werden. Diese Interessenlage legt es zumindest nahe, auf die Defizite hinzuweisen und entsprechende Reformen einzufordern.

Auf die innergesellschaftlichen Diskurse in Usbekistan haben deutsche und europäische Politik aller­dings nur geringen Einfluss. Namentlich islamische Institutionen und Akteure sind für westliche Organi­sationen kaum zugänglich. Letztere kooperieren im Allgemeinen mit säkularen zivilgesellschaft­lichen Organisationen und staatlichen Institutionen in Usbe­kistan. Die nur schwer vermeidbare Fokussierung auf diese Akteure birgt von jeher das Risiko, die Polarisierung zwischen säkularen und muslimischen Milieus zu vertiefen und die bei vielen Muslimen verbreiteten illiberalen und antiwestlichen Einstellungen zu ver­stärken. Im Sinne einer konstruktiven und konfliktvermeidenden Zusammenarbeit, die an den oben skizzierten Problemen ansetzt, empfehlen sich daher zwei Schwerpunktsetzungen:

Die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen sollte vordringlich auf Fragen des Rechts, der Rechts­praxis und der Strafverfolgung abheben und zu einer konsistenteren Rechtsanwendung ermutigen. Diese ist in Usbekistan vornehmlich eine Frage der politi­schen Willensbildung, nicht ein Mangel an Wissen und Kompetenz. Deshalb sollten vorhandene Zugänge und alle bereitstehenden Kooperationsformate ge­nutzt werden, um das Bewusstsein für die Bedeutung rechtsstaatlicher Praxis zu heben.

Bei der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren gilt es, jene Einrichtungen zu identifizieren, die denen Schutz bieten, die von illiberaler Agitation besonders bedroht sind. Letztere geht von einzelnen islamischen Predigern aus, aber auch von konservativen staatlichen Akteuren und betrifft in erster Linie Frauen. Dabei ist das Thema Gleichstellung unter Mirziyoyev politikfähig geworden, Frauen bilden mitt­lerweile eine wichtige Zielgruppe staatlicher Politik. Im Alltag finden Gleichstellungsmaßnahmen bislang aber kaum Niederschlag. Insbesondere die Bekämpfung häuslicher und sexueller Gewalt, der sich die Initiative nemolchi.uz (»schweig nicht«)137 annimmt, ist nach wie vor eine Herausforderung ersten Ranges. Das Problem wird zwar zunehmend öffentlich dis­kutiert und im April 2023 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Frauen und Minderjährige wirksamer vor häuslicher und sexueller Gewalt schützen soll.138 Doch deren strukturelle Ursachen werden selten the­ma­tisiert und staatliche Hilfsangebote wie zum Beispiel Frauenhäuser sind unzureichend. Vor allem politi­schen Stiftungen bietet sich hier ein sinnvolles Betäti­gungsfeld, das die Zivilgesellschaft stärken und zu­gleich einen bedeutenden Aspekt der staatlichen Reformagenda unterstützen würde.

Abkürzungen

DMU

Direktorat der Muslime Usbekistans

IBU

Islamische Bewegung Usbekistans

ICESCO

Islamic World Educational, Scientific and Cultural Organization

IIAU

International Islamic Academy of Uzbekistan

KrA

Komitee für religiöse Angelegenheiten

Nato

North Atlantic Treaty Organization

OSCE / ODIHR

Organization for Security and Co-operation in Europe / Office for Democratic Institutions and Human Rights

OTS

Organization of Turkic States

SADUM

Geistliches Direktorat der Zentralasiatischen Muslime

TIU

Tashkent Islamic University

UNESCO

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

USCIRF

United States Commission on International Religious Freedom

VTO

Vereinigte Tadschikische Opposition

Endnoten

1

 Statistics Agency under the President of the Republic of Uzbekistan, Demographic Situation in the Republic of Uzbekistan, 28.1.2023, <https://stat.uz/en/press-center/news-of-commit tee/34200-demographic-situation-in-the-republic-of-uzbeki stan-2> (Zugriff am 3.6.2023).

2

 Zwischen 2,2 und 8 Prozent der Bevölkerung sind An­gehörige der christlichen oder russisch-orthodoxen Kirche. Darüber hinaus gibt es zahlreiche kleinere religiöse Minderheiten: United States Department of State, Uzbekistan 2021 International Religious Freedom Report, Washington, D. C., 2.6.2022, <https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/ 04/UZBEKISTAN-2021-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

3

 Entsprechend beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, die Begriffe »Religion« und »Religionspolitik« im Fol­genden auf den Islam und die Islampolitik in Usbekistan.

4

The Constitution of the Republic of Uzbekistan, Art. 1, 35 und 75, <https://lex.uz/ru/docs/6451070> (Zugriff am 3.6.2023). Diese Prinzipien waren bereits in der bis zum 30.4.2023 geltenden Verfassung aus dem Jahr 1992 wirksam (Art. 61 und 31).

5

 Andrea Schmitz, Die Transformation Usbekistans. Strategien und Perspektiven, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2020 (SWP-Studie 13/2020), <https://www.swp-berlin. org/publikation/die-transformation-usbekistans> (Zugriff am 3.6.2023).

6

 Eine der vier Rechtstraditionen des sunnitischen Islams, die sich im 8. Jahrhundert im Nahen Osten, in Zentralasien und auf dem indischen Subkontinent etablierte, später auch in Anatolien und auf dem Balkan.

7

 Im Einzelnen: Andrea Schmitz, Islam in Tadschikistan. Akteure, Diskurse, Konflikte, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2015 (SWP-Studie 6/2015), S. 9f, <https://www. swp-berlin.org/publications/products/studien/2015_S06_ smz.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

8

 Bakhtiyar Babadjanov/Muzaffar Kamilov, »Muhammadjan Hindustani (1892–1989) and the Beginning of the ›Great Schism‹ among the Muslims of Uzbekistan«, in: Stéphane A. Dudoignon/Hisao Komatsu (Hg.), Islam in Politics in Russia and Central Asia (Early Eighteenth to Late Twentieth Centuries), London u. a.: Routledge, 2001, S. 195–220.

9

 Adeeb Khalid, Islam after Communism. Religion and Politics in Central Asia, Berkeley u. a.: Berkeley University Press, 2007, S. 153f.

10

 Babadjanov/Kamilov, »Muhammadjan Hindustani« [wie Fn. 8], S. 205f; Ashirbek Muminov, »Traditional and Modern Religious-Theological Schools in Central Asia«, in: Lena Jonson/Murad Esenov (Hg.), Political Islam and Conflicts in Russia and Central Asia, Stockholm: The Swedish Institute of Inter­national Affairs, 1999, S. 101–111 (109f); Khalid, Islam after Communism [wie Fn. 9], S. 140f.

11

 Dazu Schmitz, Islam in Tadschikistan [wie Fn. 7], S. 11–15.

12

 Zur IBU: Ahmed Rashid, Jihad. The Rise of Militant Islam in Central Asia, New Haven u. a.: Yale University Press, 2002, S. 137–186; Martha Brill Olcott, In the Whirlwind of Jihad, Washington, D. C., u. a.: Carnegie Endowment for Internatio­nal Peace, 2012, S. 253–285; Bakhtiar Babadzhanov, »Islam in Uzbekistan: From the Struggle for ›Religious Purity‹ to Political Activism«, in: Boris Z. Rumer (Hg.), Central Asia. A Gathering Storm?, Armonk: Sharpe, 2002, S. 299–330 (314–319).

13

 Das Direktorat der Muslime Usbekistans (DMU) ging 1993 aus dem Geistlichen Direktorat der Zentralasiatischen Muslime (SADUM) hervor. Siehe dazu Schmitz, Islam in Tadschikistan [wie Fn. 7], S. 8f.

14

Dazu: Andrew F. March, »From Leninism to Karimovism: Hegemony, Ideology, and Authoritarian Legitimation«, in: Post-Soviet Affairs, 19 (2003) 4, S. 307–336.

15

 Im Einzelnen: Martha Brill Olcott/Diora Ziyaeva, Islam in Uzbekistan: Religious Education and State Ideology, Washington, D. C.: Carnegie Endowment for International Peace, Juli 2008 (Russia and Eurasia Program, Nr. 91), S. 33–37.

16

Bakhtyar Babadjanov/Stéphane Dudoignon, »Islam officiel contre islam politique en Ouzbékistan aujourd’hui: la Direc­tion des Musulmans et les groupes non-hanafî«, in: Revue d’études comparatives Est-Ouest, 31 (2000) 3, S. 151–164 (159f); Martha Brill Olcott, A Face of Islam. Muhammad-Sodiq Muhammad-Yusuf, Washington, D. C.: Carnegie Endowment for Internatio­nal Peace, März 2007 (Russia and Eurasia Program, Nr. 82), S. 11.

17

 Adeeb Khalid, »Ulama and the State in Uzbekistan«, in: Asian Journal of Social Science, 42 (2014) 5, S. 517–535 (528–530); Babadjanov/Dudoignon, »Islam officiel« [wie Fn. 16], S. 162.

18

 Olcott/Ziyaeva, Islam in Uzbekistan [wie Fn. 15], S. 2.

19

 Olcott/Ziyaeva, Islam in Uzbekistan [wie Fn. 15], S. 17f; Rafael Sattarov, »Spirituality and Enlightenment«: Uzbekistan’s State-Backed Ideological Policy, Washington, D. C.: George Washington University, Oktober 2017 (Central Asia Program Papers 196).

20

 Seraphine F. Maerz, »Ma’naviyat in Uzbekistan: An Ideological Extrication from Its Soviet Past?«, in: Journal of Political Ideologies, 23 (2018) 2, S. 205–222.

21

 Olcott/Ziyaeva, Islam in Uzbekistan [wie Fn. 15], S. 25.

22

 Olcott/Ziyaeva, Islam in Uzbekistan [wie Fn. 15], S. 14–17.

23

 Olcott/Ziyaeva, Islam in Uzbekistan [wie Fn. 15], S. 19.

24

 Khalid, Islam after Communism [wie Fn. 9], S. 158f.

25

 Andrea Schmitz, »Whose Conditionality? The Failure of EU Sanctions on Uzbekistan«, in: The Central Asia–Caucasus Analyst, 11.11.2009, <https://www.cacianalyst.org/publica tions/analytical-articles/item/11944-analytical-articles-caci-analyst-2009-11-11-art-11944.html> (Zugriff am 3.6.2023).

26

 Khalid, Islam after Communism [wie Fn. 9], S. 169f.

27

 »Monitor: Ehemaliger Geheimdienstoffizier beschuldigt den usbekischen Geheimdienst, die Islamische Jihad Union ursprünglich gegründet zu haben«, Presseportal, 25.9.2008, <https://www.presseportal.de/pm/7899/1271248> (Zugriff am 3.6.2023).

28

Iymonga Yo‘l: von der usbekischen Zensur längst aus dem Internet entfernt.

29

 Khalid, Islam after Communism [wie Fn. 9], S. 166f. Die islamische »Befreiungspartei« (Hizb-ut Tahrir), die die Gründung eines Kalifats auf gewaltlosem Wege anstrebt, ist in Zentralasien seit Ende der 1990er Jahre aktiv und hat vor allem in Usbekistan nach wie vor zahlreiche Anhänger.

30

 Human Rights Watch, »Background Briefing on Akram Yuldashev«, 15.1.2016, <https://www.hrw.org/news/2016/ 01/15/background-briefing-akram-yuldashev> (Zugriff am 3.6.2023).

31

 Siehe die quellenkritische Analyse von Sarah Kendzior, »Inventing Akromiya: The Role of Uzbek Propagandists in the Andijon Massacre«, in: Demokratizatsiya, 14 (2006) 4, S. 545–562.

32

 Human Rights Watch, »Until the Very End«. Politically Motivated Imprisonment in Uzbekistan, September 2014, <https://www.hrw.org/sites/default/files/reports/uzbekistan0914_ForUpload_0.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

33

 »Zakir Almatov naznačen sovetnikom glavy MVD Uzbekistana« [Zakir Almatov zum Berater des Innenministers ernannt], Fergananews, 27.2.2018, <https://www.fergana news.com/news/28616> (Zugriff am 3.6.2023).

34

 Dazu Schmitz, Die Transformation Usbekistans [wie Fn. 5].

35

 Allerdings sitzen rund 2.000 Personen, die aus »religiösen Gründen« inhaftiert wurden, weiterhin in usbekischen Gefängnissen: United States Commission on International Religious Freedom, Uzbekistan’s Religious and Political Prisoners, 24.11.2021, S. 48, <https://www.uscirf.gov/sites/default/ files/2021-10/2021%20Uzbekistan%20Report_0.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

36

 In die geänderte Verfassung, die seit dem 1.5.2023 in Kraft ist, wurden sie praktisch unverändert übernommen. Vgl. The Constitution of the Republic of Uzbekistan [wie Fn. 4].

37

 Eine Zusammenstellung einschlägiger Dokumente (bis 2018) findet sich in Dustin Gamza/Pauline Jones, »The Evo­lution of Religious Regulation in Central Asia, 1991–2018«, in: Central Asian Survey, 40 (2021) 2, S. 197–221 (208–211).

38

 Präsidialerlass UP-359 vom 7.3.1992, <https://lex.uz/ru/ docs/165460>; Ministerialverordnung Nr. 159 vom 2.4.1992, <https://lex.uz/ru/docs/416039> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

39

 Ministerialverordnung Nr. 612 vom 30.9.2021, <https:// lex.uz/ru/docs/5666003>. Siehe auch die Website des KrA: <https://religions.uz> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

40

 Präsidialerlass Nr. UP-5416 vom 18.4.2018, <https://lex. uz/ru/docs/3686283>; Präsidialverordnung Nr. PP-3668 vom 18.4.2018, <https://lex.uz/ru/docs/3685965> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

41

 Ministerialverordnung Nr. 612 vom 30.9.2021 [wie Fn. 39].

42

 Dort besteht man zwar darauf, dass man dem KrA nicht unter-, sondern gleichgestellt sei, sind doch beide Einrichtungen dem Ministerkabinett unterstellt (Gespräche mit Ver­tretern des DMU im Mai 2022 in Taschkent). Die Rechts­dokumente widersprechen dieser Selbstwahrnehmung jedoch.

43

 Siehe besonders Kapitel 2 der Präsidialverordnung PP-2896 vom 1.5.2017, <https://lex.uz/ru/docs/3175734> (Zugriff am 3.6.2023).

44

 Gesetz Nr. 618-I vom 15.5.1998, <https://lex.uz/ru/docs/ 65089#65280> (Zugriff am 3.6.2023).

45

 United Nations General Assembly, Report of the Special Rapporteur on Freedom of Religion or Belief on His Mission to Uzbekistan, 22.2.2018, <https://digitallibrary.un.org/record/ 1481445> (Zugriff am 3.6.2023).

46

Gemeinsame Verordnung der Gesetzgebenden Versammlung und des Senats des Parlaments der Republik Usbekistan über eine Roadmap zur Umsetzung der Vorschläge und Empfehlungen auf dem Gebiet der Religionsfreiheit, Dokument Nr. 2300-III vom 18.1.2019, <https://lex.uz/docs/4259093> (Zugriff am 3.6.2023).

47

 »USCIRF Releases 2020 Annual Report with Recommendations for U. S. Policy«, 28.4.2020, <https://www.uscirf.gov/ news-room/releases-statements/uscirf-releases-2020-annual-report-recommendations-us-policy> (Zugriff am 3.6.2023).

48

 Präsidialerlass Nr. UP-6012 vom 23.6.2020, <https://lex. uz/docs/4872357> (Zugriff am 3.6.2023).

49

 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission) / OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights (OSCE/ODIHR), Uzbekistan. Joint Opinion on the Draft Law »On Freedom of Conscience and Religious Organizations«, Straßburg/Warschau, 12.10.2020, <https:// www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdf file=CDL-AD(2020)002-e> (Zugriff am 3.6.2023).

50

Law of the Republic of Uzbekistan »On Liberty of Conscience and Religious Organizations«, Dokument Nr. 699, 6.7.2021, <https:// lex.uz/docs/6117508> (Zugriff am 3.6.2023).

51

 Komitee für religiöse Angelegenheiten, Diniy ta’lim borasida batafsil ma’lumotga egamizmi? [Detaillierte Informatio­nen zum Religionsunterricht], 24.6.2021, <https://moturidiy. uz/oz/news/192> (Zugriff am 3.6.2023).

52

 »Qabul 2021–2022: Diniy ta’lim muassasalariga kirish imtihonlari qaysi fanlardan bo‘ladi?« [Zulassung 2021–2022: Prüfungsfächer für die Aufnahme in religiösen Bildungs­einrichtungen], <https://abt.uz/blog/qabul-2021-2022-diniy-talim-muassasalariga-kirish-imtihonlari-qaysi-fanlardan-boladi> (Liste der Medressen vom 28.5.21) (Zugriff am 3.6.2023).

53

 Website des Islamischen Instituts Imam al-Buchari: <https://oliymahad.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

54

 Website der Höheren Medresse Mir-i Arab: <www.mir arab.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

55

 Ministerialverordnung Nr. 896 vom 2.11.2018, <https:// lex.uz/docs/4033921>; Website des Instituts für Hadith-Wissenschaft: <https://www.muhaddis.uz/> (Zugriff jeweils am 3.6.2023). Mit dem Begriff Hadith (adīth) werden Mit­teilungen bzw. im weiteren Sinn die Gesamtheit der Mitteilungen über Ereignisse im Leben des Propheten und Über­lieferungen über dessen Aussprüche, Anweisungen und Handlungen bezeichnet; vgl. Hartmut Bobzin, Mohammed, Mün­chen: C. H. Beck, 2000, S. 25.

56

 Präsidialverordnungen Nr. PP-3080 vom 23.6.2017, <https://lex.uz/docs/3600690>, und PP-5186 vom 16.7.2021, <https://lex.uz/docs/5514991>; Website des Zentrums der Islamischen Zivilisation: <http://www.cisc.uz> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

57

 Maerz, »Ma’naviyat in Uzbekistan« [wie Fn. 20], S. 213.

58

 Maerz, »Ma’naviyat in Uzbekistan« [wie Fn. 20], S. 210f.

59

 Margaret Larkin, The Theology of Meaning: ʻAbd al-Qāhir al-Jurjānī’s Theory of Discourse, New Haven: American Oriental Society, 1995.

60

 Zuletzt: Präsidialverordnung Nr. PP-5040 vom 26.3.2021, <https://lex.uz/ru/docs/5344680> (Zugriff am 3.6.2023).

61

 Dieses Gremium nennt sich »Republikanischer Rat für Spiritualität und Aufklärung«. Ihm unterstehen einerseits das gleichnamige Zentrum mit Unterabteilungen auf den ver­schiedenen Verwaltungsebenen sowie andererseits die unter­geordneten Räte innerhalb von Ministerien, Ausschüssen und Hochschulen auf Republiks- und Lokalebene. Siehe Prä­si­dialverordnung Nr. PP-5040 vom 26.3.2021 [wie Fn. 60].

62

 Präsidialverordnung Nr. PP-5040 vom 26.3.2021 [wie Fn. 60].

63

 Präsidialverordnung Nr. PP-5040 vom 26.3.2021 (Roadmap) [wie Fn. 60].

64

 Präsidialverordnung Nr. PP-2774 vom 15.2.2017, <https: //lex.uz/docs/3113650> (Zugriff am 3.6.2023).

65

 Ministerialverordnung Nr. 483 vom 19.7.2017, <https:// lex.uz/docs/3263382> (Zugriff am 3.6.2023).

66

 Präsidialverordnung Nr. PP-4802 vom 12.8.2020, <https: //lex.uz/docs/4945429> (Zugriff am 3.6.2023).

67

 Zur Bedeutung des Symbolischen für die politische Re­prä­sentation vgl. Paula Diehl, »Repräsentation im Spannungs­feld von Symbolizität, Performativität und politischem Ima­ginären«, in: Paula Diehl/Felix Steilen (Hg.), Politische Repräsentation und das Symbolische. Historische, politische und soziologische Perspektiven, Wiesbaden: Springer VS, 2015, S. 7–22.

68

 Präsidialverordnung Nr. PP-3080 vom 23.6.2017 [wie Fn. 56].

69

 Gespräche im Mai 2022 bestätigten dies. So äußerte der stellvertretende Direktor des Zentrums der Islamischen Zivi­lisation gegenüber der Ver­fas­serin die Ansicht, Forschung zum Islam solle dessen »humanistische« Werte aufzeigen. Am Zentrum arbeiteten »Wissen­schaftler, keine Religionskenner. Wir mischen uns in Fragen der Religion nicht ein, zählen zur säkularen Seite.«

70

 Begriffe wie »Reinheit«, »Licht«, »Güte«, »Freundschaft«, »Humanismus« erscheinen in den Rechtsdokumenten häufig zur Kennzeichnung der muslimischen Religion.

71

 Präsidialverordnung Nr. PP-5186 vom 16.7.2021 [wie Fn. 56]; siehe vor allem die »Roadmap zur Erforschung des wissenschaftlichen Erbes der Vorfahren, die zur Entwicklung der globalen Wissenschaft und Zivilisation beitrugen, und zur Propagierung der Errungenschaften der neuen Zeit« (Anhang 1 der Verordnung).

72

 Dieser »heilige Imam« ist der Patron der Stadt Taschkent, Abu Bakr Muhammad al-Kaffal as-Shashi (*903/904 u. Z.); sein Mausoleum aus dem 16. Jahrhundert ist eines der ältesten Gebäude auf dem Areal, in dessen Nachbarschaft auch das Imam al-Buchari-Institut und das DMU untergebracht sind.

73

 Website des Zentrums der Islamischen Zivilisation: <http://www.cisc.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

74

 Präsidialverordnung Nr. PP-5186 vom 16.7.2021 [wie Fn. 56]. Über Herkunft und Höhe der Gelder, die aus dem Ausland in die Förderung islamischer Kultur und Bildung fließen, liegen keine Angaben vor. Die Kontakte zwischen Usbekistan und der islamischen Welt haben sich seit 2016 aber stark verdichtet, so dass von beträchtlichen Zuwendungen aus dem muslimischen Ausland, besonders den Golf­staaten und der Türkei, auszugehen ist.

75

 »Hadis ilmi maktabi faoliyati haqida« [Aktivitäten der Schule für Hadith-Wissenschaft], Youtube, 13.8.2021, <https:// www.youtube.com/watch?v=_09nrSZYLWI>; »Imom Buxoriy xalqaro ilmiy-tadqiqot markaz« [Internationales Forschungszentrum Imom Buchari], Youtube, 12.2.2019, <https://www. youtube.com/watch?v=z4ylQb2LsZM> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

76

 Schmitz, Islam in Tadschikistan [wie Fn. 7], S. 9f.

77

 David M. Abramson/Elyor E. Karimov, »Sacred Sites, Profane Ideologies: Religious Pilgrimage and the Uzbek State«, in: Jeff Sahadeo/Russell Zanca (Hg.), Everyday Life in Central Asia. Past and Present, Bloomington: Indiana University Press, 2007, S. 319–338.

78

 Die Restauration orientiert sich meist am Monumentalstil der Timuridenzeit, so dass Pilgerorte ganz unterschied­lichen Typs einander heute auf irritierende Weise gleichen.

79

 Präsidialerlass Nr. DP-4861 vom 12.12.2016, <https:// lex.uz/ru/docs/4612734> (Zugriff am 3.6.2023).

80

 Präsidialerlass Nr. UP-5416 vom 18.4.2018 [wie Fn. 40].

81

 Mehmet Sah Yilmaz, »Turkic Council’s Name Changed to Organization of Turkic States«, Anadolu Agency, 13.11.2021, <https://www.aa.com.tr/en/world/turkic-council-s-name-changed-to-organization-of-turkic-states/2419633> (Zugriff am 3.6.2023).

82

 Michaël Tanchum, »New Turkey–Uzbekistan Strategic Partnership Accelerates Turkey’s Rise as a Eurasian Agenda-Setter«, The Turkey Analyst, 8.6.2022, <https://www.turkey analyst.org/publications/turkey-analyst-articles/item/688-new-turkey-uzbekistan-strategic-partnership-accelerates-turkey %E2%80%99s-rise-as-a-eurasian-agenda-setter.html> (Zugriff am 3.6.2023).

83

 Die IIAU etwa bietet Kurse zum Thema Pilgertourismus an. Siehe IIAU, »Pilgrimage Tourism Master Classes Have Started«, 30.10.2021, <https://iiau.uz/en/news/916> (Zugriff am 3.6.2023).

84

 Präsidialverordnung Nr. PP-338 vom 30.7.2022, <https:// lex.uz/docs/6137071> (Zugriff am 3.6.2023).

85

 Ebd.

86

 Die folgenden Ausführungen beruhen, wenn nicht anders angegeben, auf Beobachtungen und Gesprächen der Verfasserin in Taschkent und im Ferghanatal (2019 und 2022) sowie auf Leitfadeninterviews mit einer Fokusgruppe (überwiegend Angehörige einer Mahalla in Ferghana-Stadt), die im Frühjahr 2021 im Auftrag der Verfasserin durchgeführt wurden. Für die Unterstützung danke ich R. A., der anonym bleiben möchte.

87

 Dies war infolge der Ereignisse in Andijon 2005 (siehe S. 11f) abgeschafft worden. Im Oktober 2017 setzte sich die Religionsbehörde (das DMU) gegenüber den staatlichen Autoritäten mit der Forderung durch, die elektronische Ver­stärkung des azan wieder einzuführen, nicht jedoch mit derjenigen, Frauen das Tragen des Hijabs in den Schulen zu erlauben und den Religionsunterricht in die Curricula aufzunehmen. Vgl. »Uzbekistan Allows Call to Prayer on Loudspeakers«, EurasiaNet, 7.11.2017, <https://eurasianet.org/ uzbekistan-allows-call-to-prayer-on-loudspeakers> (Zugriff am 3.6.2023).

88

 Hier: männlichen Geschlechts. Frauen beten in Zentralasien im Allgemeinen nicht in der Moschee.

89

 Zu Begriff und Typologie vgl. Sebastien Peyrouse/Emil Nasritdinov, Engaging with Muslim Civil Society in Central Asia. Components, Approaches, and Opportunities, Washington, D. C.: United States Institute of Peace, Dezember 2021 (Peaceworks Nr. 181).

90

 Rustamjon Urinboyev/Sherzod Eraliev, »Informal Civil Society Initiatives in Non-Western Societies: Mahallas in Uzbekistan«, in: Central Asian Survey, 41 (2022) 3, S. 477–497.

91

 Ebd., S. 481.

92

 Präsidialerlass Nr. UP-5416 vom 18.4.2018 [wie Fn. 40].

93

 Einen Überblick bietet die Website der waqf-Stiftung: <https://vaqf.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

94

 Peyrouse/Nasritdinov, Engaging with Muslim Civil Society [wie Fn. 89], S. 17.

95

 Ministerialverordnung Nr. 666 vom 16.8.2018, Anhang 2, Kap. 3/7, <http://lex.uz/docs/3866498> (Zugriff am 3.6.2023).

96

 Vgl. Fn. 86.

97

 Website des staatlichen usbekischen Fernsehkanals Hidoyat sari: <https://www.uztv.tv/channels/hidoyat-sari> (Zugriff am 7.3.2023).

98

 Telegram-Beitrag von Shahnoza Soatova, 17.2.2023, <https://t.me/s/shahnozxon> (Zugriff am 3.6.2023).

99

 Website und Youtube-Kanäle des DMU: <https://old. muslim.uz>; <https://www.youtube.com/@Muslimuzz> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

100

 Von Mohammad Sodyq Mohammad Yusuf gegründete Website: <https://islom.uz/>; Youtube-Kanäle von islom.uz: <https://www.youtube.com/@islomuz/channels> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

101

 Von Odinakhon Mohammad Sodyq betriebene Website für Muslimas: <https://muslimaat.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

102

 Website des »Halbmond-Verlags« (Hilol Nashr): <https:// e-hilolnashr.uz> (Zugriff am 3.6.2023).

103

 Telegram- und Youtube-Kanal von Abror Mukhtor Ali: <https://t.me/AbrorMuxtorAliy> (Zugriff am 3.6.2023); <https://www.youtube.com/@ABRORMUXTORALIYRASMIY> (Zugriff über die Website https://www.youtube.com am 3.6.2023).

104

 Etwa Shukurulloh domla, dessen (seit Februar 2023 inaktiver) Telegram-Kanal rund 60.000 Abonnenten hatte (<https://t.me/islom_yulduzi>); seinen (mittlerweile geschlossenen) Youtube-Kanal hatten weit über 400.000 Nutzerinnen und Nutzer abonniert.

105

 Rasul Kusherbayev war seit 2014 Abgeordneter der Liberal-Demokratischen Partei (UzLiDeP), der auch Präsident Mirziyoyev angehört und die mit 43 (von 128) Sitzen die Mehrheit im Parlament bildet. Nach seinem überraschenden Rückzug aus dem Parlament wechselte Kusherbayev im Februar 2023 als Berater ins Ministerium für Natürliche Ressourcen; vgl. Wikipedia-Eintrag zu seiner Person: <https:// uz.wikipedia.org/wiki/Rasul_Kusherbayev> (Zugriff am 3.6.2023).

106

 Telegram- und Youtube-Kanal von Rasul Kusherbayev: <https://t.me/s/r_kusherbayev>; <https://www.youtube.com/ @rasul.kusherbayev> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

107

 Youtube-Kanäle von Mubashshir Ahmad: <https:// www.youtube.com/@MubashshirAhmad/channels> (Zugriff am 3.6.2023).

108

 Youtube-Kanäle der staatlichen TV- und Radiogesellschaft: <https://www.youtube.com/@uzmtrk> (Zugriff am 3.6.2023).

109

 Youtube-Kanäle des DMU und des Pressedienstes von Präsident Mirziyoyev: <https://www.youtube.com/ @Muslimuzz>; <https://www.youtube.com/@Prezident Matbuotxizmati> (Zugriff jeweils am 3.6.2023).

110

 Telegram-Beiträge von Mubashshir Ahmad, 25.1.2023, 28.2.2023 und passim, <https://t.me/s/MubashshirAhmad> (Zugriff am 3.6.2023).

111

 Telegram-Beitrag von Mubashshir Ahmad, 12.5.2022, <https://t.me/s/MubashshirAhmad> (Zugriff am 3.6.2023).

112

 Telegram-Beitrag von Mubashshir Ahmad, 25.8.2022, <https://t.me/s/MubashshirAhmad> (Zugriff am 3.6.2023).

113

 Mubashshir Ahmad argumentiert hier mit der Trennung von Staat und Religion und der gesetzlich verankerten Religionsfreiheit, die es verbiete, dass sich der Staat in inner­religiöse muslimische Debatten einmische: Telegram-Beitrag von Mubashshir Ahmad, 8.2.2022, <https://t.me/s/Mubashshir Ahmad> (Zugriff am 3.6.2023).

114

 »104 FM To’lqini Yoshlar radiosida jonli muloqot« [Live-Gespräch im Jugendradio auf 104 FM], Youtube, 23.3.2021, <https://www.youtube.com/watch?v=40Mp4H-nW7U&t=1166s> (Zugriff am 3.6.2023).

115

 So in einem Interview mit einem Nachrichtenportal: »›Besoqolbozlik talabi ortida siyosiy maqsadlar turibdi.‹ Abror Muxtor Aliy bilan LGBT haqida ochiq suhbat« [»Hinter der Forderung nach Legalisierung der Homosexualität stecken politische Ziele.« Ein offenes Gespräch über LGBT mit Abror Mukhtor Aliy], Qalampir.uz, 24.3.2021, <https:// qalampir.uz/uz/news/besok-olbozlik-talabi-ortida-siyesiy-mak-sadlar-turibdi-abror-mukhtoy-aliy-bilan-lgbt-%D2%B3ak-ida-ochik-su%D2%B3bat-35574> (Zugriff am 3.6.2023).

116

 »Makarenko vs. Muchtor Ali. Istorija s prodolženiem« [Makarenko vs. Mukhtor Ali. Eine Fortsetzungsgeschichte], Legalclinic.uz, 9.12.2022, <https://legalclinic.uz/tpost/ 6ee4vy3af1-makarenko-vs-muhtor-ali-istoriya-s-prodo> (Zugriff am 3.6.2023).

117

 Siehe die Kommentare zu seinen Youtube-Videos (vgl. Fn. 103). Auch Beobachter vor Ort geben an, dass Mukhtor Alis Meinungen ausgesprochen populär seien.

118

 Pressedienst des Zentrums der Islamischen Zivilisation, »Khabar« [Nachricht], 14.4.2021, <http://www.cisc.uz/habar-XaBaR-280> (Zugriff am 3.6.2023).

119

 »Abror Muchtor Alij mas‘ul vasifaga tajinlandi« [Abror Mukhtor Ali hat eine verantwortungsvolle Position erhalten], Khabar.uz, 9.8.2021, <https://www.xabar.uz/jamiyat/abror-muxtor-aliy-masul-vazifaga-tayinlandi> (Zugriff am 3.6.2023).

120

 Andrea Schmitz, Zentralasiens Muslime und die Taliban, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2022 (SWP-Aktuell 15/2022), S. 3, <https://www.swp-berlin.org/publica tions/products/aktuell/2022A15_Zentralasien_Muslime Taliban.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

121

 Die Liste verbotener Materialien wurde im Mai 2023 aktualisiert: »Opublikovan obnovlennyj spisok internet-materialov, priznannych v Uzbekistane ekstremistskimi« [Liste von Internetmaterial veröffentlicht, das in Usbekistan als extremistisch gilt], Gazeta.uz, 19.5.2023, <https://www. gazeta.uz/ru/2023/05/19/list/> (Zugriff am 3.6.2023).

122

 Vgl. die Liste dieser Organisationen in United States Department of State, Uzbekistan 2021 [wie Fn. 2], S. 13.

123

 Eine Zusammenstellung von Beispielen aus jüngster Zeit, die die Kriminalisierung selbst von Bagatellvergehen sowie Freiheitsbeschränkungen allein auf der Grundlage von Verdacht belegen, findet sich in Human Rights Watch, »Uzbekistan: Backsliding on Religious Freedom Promises«, 24.5.2023, <https://www.hrw.org/news/2023/05/24/uzbekis tan-backsliding-religious-freedom-promises> (Zugriff am 3.6.2023).

124

 Ebd. Siehe auch United States Department of State, Uzbekistan 2021 [wie Fn. 2], S. 8–12, sowie die laufend aktualisierte Website der Menschenrechtsorganisation Forum 18, die sich für Gewissens- und Glaubensfreiheit ein­setzt: <https://www.forum18.org/archive.php?country=33> (Zugriff am 3.6.2023).

125

 Mit Zahlen lässt sich diese vermutete »Mehrheit« nicht untermauern. Repräsentative quantitative Erhebungen über die Einstellungen der Bevölkerung zum Islam, etwa Umfragen, liegen bislang nach Wissen der Verfasserin nicht vor.

126

 So Kamoliddin Rabbimov, einer der prominentesten öffentlichen Intellektuellen des säkularen Feldes, in einem Facebook-Eintrag vom 3.1.2021, <https://www.facebook. com/rabbimov.kamoliddin/> (Zugriff am 3.6.2023). Ähnlich äußerte sich Alisher Qodirov, der Vorsitzende der rechts­konservativen Demokratischen Partei der Nationalen Wieder­geburt Milliy Tiklanish, in einer Talkrunde: »Tarbiya oiladan boshlanishi kerak« [Bildung sollte in der Familie beginnen], Azon.uz, 24.1.2022, <https://azon.uz/content/views/alisher-qodirov-tarbiya-oiladan-boshlani> (Zugriff am 3.6.2023).

127

 »›Prinuditel’noe nasaždenie religioznych vzgljadov ne dopuskaetsja‹ – Minjust« [»Das Aufnötigen religiöser Über­zeugungen ist unzulässig« – Das Justizministerium], Gazeta.uz, 7.9.2021, <https://www.gazeta.uz/ru/2021/09/07/minjust/> (Zugriff am 3.6.2023).

128

 So geschehen während einer Inspektion von Buchläden durch den Rektor der Internationalen Islamischen Akademie Usbekistans, einen Vertreter des KrA und weiterer Vertreter des religiösen Feldes, unter ihnen auch der Prediger Mukhtor Ali, im Juni 2021: »Shukurulloh domla bilan Toshkentda birga« [Mit Shukurulloh domla in Tashkent], Youtube, 27.6.2021, <https://www.youtube.com/watch?v=7MZbeMrDIks> (Zugriff am 3.6.2023).

129

 »›Nedopustimo ocenivat’ obšžestvo sobstvennymi religioznymi vzgljadami, est’ zakon‹ – glava Minjusta« [»Die Gesellschaft nach individuellen religiösen Meinungen zu bewerten ist unzulässig, es gibt ein Gesetz« – Der Justiz­minister], Gazeta.uz, 8.2.2022, <https://www.gazeta.uz/ru/ 2022/02/08/religion/> (Zugriff am 3.6.2023). Diese Position des Ministers wurde von Vertretern des Klerus als unzulässige und zudem unverantwortliche Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Religion zurückgewiesen. Dass es sich dabei nicht um Polemik handelt, sondern um eine aus dem muslimischen Recht entwickelte Position, zeigt exemplarisch die Argumentation Mubashshir Ahmads, der sich auf das »Gebieten des Rechten und das Verbieten des Verwerf­lichen« (vgl. etwa Sure 3:110) als genuines Distinktionsmerkmal der Muslime beruft. Die Menschen in Usbekistan, so Ahmad, die mehrheitlich Muslime seien, dürften daher von Muslimen nicht einfach der Hölle überlassen werden. Telegram-Beitrag von Mubashshir Ahmad, 8.2.2022, <https://t.me/s/MubashshirAhmad> (Zugriff am 3.6.2023).

130

 »Prezident davlat maslahatchisi ›Shariat bilan boshqariladigan islom davlati‹ ni orzu qilayotganlarga munosibat bildirdi« [Der Staatsberater des Präsidenten reagierte auf jene, die von einem »islamischen Scharia-Staat« träumen], Rost24, 24.1.2022, <https://rost24.uz/uz/news/843> (Zugriff am 3.6.2023).

131

 So Bahtiyor Babadjanov in einem Gespräch mit einer Nachrichtenagentur: »Sejčas naše ideologičeskoe prostranstvo pusto i ego zanimajut islamskie propagandisty očen’ konservativnogo myšlenija – ėkspert« [Experte: In unserem ideologischen Raum herrscht ein Vakuum, das islamische Propagandisten mit sehr konservativen Ideen besetzen], Podrobno.uz, 28.8.2022, <https://podrobno.uz/cat/obchestvo/ seychas-nashe-ideologicheskoe-prostranstvo-pusto-i-ego-zanimayut-islamskie-propagandisty-ochen-konse/> (Zugriff am 3.6.2023).

132

 Dies betrifft säkulare ebenso wie religiöse Kontrahenten: Human Rights Watch, »Uzbekistan: Muslim Blogger Faces Eight-Year Prison Term«, 9.12.2021, <https://www.hrw. org/news/2021/12/09/uzbekistan-muslim-blogger-faces-eight-year-prison-term> (Zugriff am 3.6.2023).

133

 Diese Schlussfolgerung korrespondiert mit den Ein­schätzungen meiner Gesprächspartner. Bewunderer ebenso wie Kritiker der exponierten Prediger äußerten die Ansicht, dass diese von der Regierung gedeckt seien, ja in ihrem Auf­trag agierten. Es handele sich bei Predigern wie Mukhtor Ali um »staatliche Trolle«, ihre Auftritte seien »inszeniert«, genau kontrolliert und geplant, so wie die Freitagspredigt auch.

134

 Vgl. den Fall Miraziz Bazarov: »Uzbekistan Police Blame Victim in Violent Attack on pro-LGBT Activist«, EurasiaNet, 29.3.2021, <https://eurasianet. org/uzbekistan-police-blame-victim-in-violent-attack-on-pro-lgbt-activist> (Zugriff am 3.6.2023).

135

 OSCE/ODIHR, Limited Referendum Observation Mission, Republic of Uzbekistan – Referendum, 30 April 2023, Statement of Preliminary Findings and Conclusions, <https://www.osce.org/files/f/documents/e/9/542550.pdf> (Zugriff am 3.6.2023).

136

 Schmitz, Die Transformation Usbekistans [wie Fn. 5], S. 29f.

137

 Website der Initiative »schweig nicht«: <https:// nemolchi.uz/> (Zugriff am 3.6.2023).

138

 Gesetz Nr. ZRU-829 vom 12.4.2023, <https://lex.uz/ ru/docs/6430278> (Zugriff am 3.6.2023).

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