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Machtkampf in Sudan

Die Vorherrschaft der Militär- und Sicherheitskräfte stößt an ihre Grenzen

SWP-Aktuell 2022/A 21, 10.03.2022, 4 Seiten

doi:10.18449/2022A21

Forschungsgebiete

Der Putsch vom 25. Oktober 2021 setzte dem demokratischen Übergangsprozess in Sudan ein jähes Ende. Militär- und Sicherheitskräften gelingt es seitdem jedoch nicht, ihre Herrschaft zu festigen. Eine Rückkehr zu einer dauerhaften und stabilen Militärregierung in Sudan ist unwahrscheinlich. Zu groß sind die internen Gegen­sätze der Putschistengruppierungen und die wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes. Die Demokratiebewegung ist gut organisiert und dank ihrer dezentralen Struktur in der Lage, Verhaftungen und Gewalt zu trotzen. Ein neuer demokratischer Übergangsprozess wird nicht allein durch Wahlen herbeizuführen sein, welche die Putschisten für Sommer 2023 planen. Jedwede internationale Vermittlung in Sudan hat nur dann eine Chance, wenn sie eng auf die zivilgesellschaftlichen Pläne für eine Neuausrichtung des Staates abgestimmt ist.

Am 28. Februar 2022 veröffentlichte die United Nations Integrated Transition Assis­tance Mission in Sudan (UNITAMS) eine Zu­sammenfassung des fünf Wochen dauern­den Prozesses, in dem sie eine breite Aus­wahl sudanesischer Stakeholder konsultiert hat. Die Mission identifizierte zwar einige Gemeinsamkeiten, doch bleibt die wichtig­ste Frage unbeantwortet: Wie kann das Land am Nil aus der Krise herausfinden?

Seit ihrer erneuten Machtübernahme im Oktober 2021 ist es den sudanesischen Militär- und Sicherheitskräften nicht gelun­gen, ihre Herrschaft grundlegend zu kon­solidieren. Seitdem die Ministerinnen und Minister der Forces of Freedom and Change (FFC), der breiten Koalition politischer Par­teien und Angehörigen der Zivilgesellschaft, am 22. November 2021 zurückgetreten sind, besteht das Kabinett hauptsächlich aus ge­schäftsführenden Staatssekretären. Im Amt sind nur noch jene Minister, die das Militär und die Unterzeichner des Juba-Friedens­abkommens von 2020 nominiert haben. Der Regierung fehlen sowohl die Mittel als auch die Partner, um das Land zu stabilisieren.

Lediglich über Gewaltmittel verfügen die Militär- und Sicherheitskräfte noch, die es ihnen ermöglichen, Demonstrierende mit gezielten Schüssen, Tränengas und schwe­ren Waffen in Schach zu halten. Immer noch gehen regelmäßig tausende Menschen in Khartum und vielen weiteren Städten des Landes auf die Straße, obwohl bei den Protesten bereits 83 Menschen ums Leben und mehr als 2.600 verletzt worden sind. Die zivile Übergangsregierung von Premier­minister Abdalla Hamdok, die seit der Ver­fassungserklärung von August 2019 im Amt gewesen war, genoss breite Zustimmung in der Bevölkerung, bei aller Kritik an einzel­nen ihrer Maßnahmen. Das unterscheidet Sudan von anderen Staaten in Sub-Sahara-Afrika, deren Regierungen in den letzten zwölf Mo­naten Opfer eines Militärputschs wurden.

Drei Faktoren erklären die Schwäche des Sicherheitssektors: seine internen Spannun­gen, die katastrophale wirtschaftliche Situa­tion im Land und die Resilienz der Demo­kratiebewegung. Eine Rückkehr zu einer dauerhaft amtierenden Militärregierung steht damit vor erheblichen Herausforderungen.

Fragmentierung des Sicherheitsapparats

Die Schwäche des Sicherheitssektors beruht erstens auf seiner Fragmentierung. Die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter Füh­rung von General Abdel Fattah al‑Burhan haben keine effektive Kontrolle über die Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kom­mando von Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti. Die Bashir-Regierung hatte die RSF seit 2013 als separate Miliz zur Aufstandsbekämpfung in Darfur eingesetzt. Noch im Juni 2021 wider­setzte sich Hemedti Forderungen von Bur­han und Rebellengruppen, die Kommandostrukturen zu vereinheitlichen. Hemedti, der auch stellvertretender Vorsitzender des Sovereignty Council (kollektive Staats­führung während der Transition) ist, hat bes­sere Beziehungen zu jenen Gruppen, die das Juba-Friedensabkommen von 2020 unter­zeichnet haben, das er als einziger Vertreter der sudanesischen Regierung unterschrieben hat (Burhan zeichnete ledig­lich als Zeuge). Die Militärführung hin­gegen kann sich auf die Geschlossenheit der eigenen Streitkräfte nicht hundertprozentig verlas­sen. Daher entließ sie im Februar 2022 hunderte Offiziere. Kurzfristig sei Bur­han auf die RSF angewiesen, um Khartum zu kontrollieren, langfristig sei Hemedti jedoch sein größter Gegner, schreibt auch die renommierte Expertin Kholood Khair. Burhan soll sich bereits in Gesprächen mit seinen ägyptischen Freun­den besorgt dar­über gezeigt haben, dass Hemedti putschen könnte. Die SAF bestritten solche Berichte.

So wie Burhan und Hemedti ihren För­derer Bashir im April 2019 im Präsidentenpalast gestürzt haben, könnte die Putschisten ein ähnliches Schicksal ereilen, wenn sie zu viel Gewalt einsetzen oder nicht mehr in der Lage sind, die wirtschaftlichen Pfrün­den des Sicherheitssektors zu garantieren.

Militärwirtschaft in der Sackgasse

Zweitens werden die Militär- und Sicherheitskräfte auf absehbare Zeit außerstande sein, die wirtschaftliche Misere Sudans zu überwinden. Zwar wird die sudanesische Wirtschaft von Unternehmen dominiert, die dem Sicherheitssektor zugerechnet wer­den. Sie profitieren jedoch auch von Steuer- und Zollvorteilen, die einer marktwirt­schaftlichen Entwicklung entgegenstehen.

Sudans Wirtschaft leidet unter der zweit­höchsten Inflationsrate der Welt, im Januar 2022 betrug sie 260 %. Blockaden von Bauern und Demonstranten auf der Haupt­verbindungsstraße nach Ägypten ließen die Exporte im gleichen Monat um 85 % zu­rückgehen. Seit dem Putsch kam es immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Mehl, Speiseöl und Benzin. Die gerin­gen Währungsreserven erschweren die Ein­fuhr dieser Güter. Die Coup-Regierung hat an­gekündigt, Steuererhöhungen und ihre Exporte von Gold, dem wichtigsten Export­gut Sudans, für den Import dieser strate­gischen Güter zu nutzen. Doch ist unwahr­scheinlich, dass sie damit die internatio­nalen Hilfsgelder ersetzen können, deren Zahlung seit dem Putsch ausgesetzt ist. Nachhaltiges inklusives Wachstum würde ohnehin nur nach tiefgreifenden Reformen möglich sein, die das Versorgungssystem des Sicherheitssektors gefährden würden.

Der mit Abstand größte Haushaltsposten sind Ausgaben eben für den Sicherheits­sektor. Allein die von Internationalem Wäh­rungsfonds und Weltbank ursprünglich in Aussicht gestellten Summen belaufen sich auf rund drei Milliarden US-Dollar, zusätz­lich zu 700 Millionen US-Dollar für Entwick­lungshilfe, welche die USA zurückhalten. Die Regierung musste daher unter anderem das Sudan Family Support Programme strei­chen, das einer Mehrheit der Bevölkerung mittels (geringer) direkter Geldtransfers hel­fen sollte, den Schock der wirtschaftlichen Reformen besser zu verkraften. Seit Beginn des Übergangsprozesses 2019 ist die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benö­tigen, um sechs Millionen gewachsen. Bashir verlor die Kontrolle über seine Herrschaft, als er die eigenen Eliten nicht mehr koop­tieren und die Bevölkerung nicht länger mit teuren Subventionen ruhigstellen konnte.

Resilienz der Demokratiebewegung

Den Putschisten steht eine breite Demokratiebewegung gegenüber, die sich rekrutiert aus politischen Parteien, organisierter Zivil­gesellschaft, Berufsverbänden, Gewerkschaften, Bauern und Akademikern. Im Zen­trum stehen die lokalen Widerstandskomitees, in städtischen Bezirken organisierte Gruppen vor allem junger Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Sie spielten schon während der Proteste gegen das Bashir-Regime 2018/19 eine wichtige Rolle. Seit dem Putsch vom Oktober 2021 führen sie einen Protestkalender für regel­mäßige Demonstrationen. Tausende gehen in vie­len Städten Sudans auf die Straße, auch wenn Khartum die größte Aufmerksamkeit erfährt.

Die Widerstandskomitees koordinieren sich zunehmend auf Ebene der Bundes­staaten Sudans. Ihr Motto ist ein dreifaches Nein: zur Partnerschaft mit dem Militär, zu Verhandlungen, zu Kompromissen. Der Einfluss der Widerstandskomitees zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die in den Forces for Freedom and Change vertretenen politi­schen Parteien Teile ihrer Positionen über­nommen haben und ebenfalls eine rein zivile Regierung fordern, ohne Militärbeteiligung.

Die größte Stärke der Demokratiebewegung ist zugleich auch ihre markanteste Schwäche. Es mangelt ihr an einer einheit­lichen, konkreten Vorstellung von einem neuen Übergangsprozess. Einer der führen­den Köpfe der FFC, Khalid Omer Yousif (Sudanese Congress Party), ehemaliger Minister, warnte bereits vor einem erneu­ten Gerangel unter den politischen Parteien um die Verteilung von Posten. Solche inter­nen Differenzen blockierten auch die Ein­richtung des Übergangsparlaments vor dem Putsch. Es gibt auch keine einigende Füh­rungsfigur.

Gleichzeitig ist die Demokratiebewegung aufgrund ihrer horizontalen Organisation und der Vielfältigkeit der Stimmen weniger anfällig für Verhaftungen und gezielte Gewalt gegen einzelne Personen. Trotz aller inhaltlichen Unterschiede sowohl innerhalb des FFC als auch zwischen FFC-Mitglie­dern und Widerstandskomitees ist das zivile Lager vereint geblieben im Widerstand gegen die Militärregierung.

Als eine der größten Schwächen des Sicherheitssektors hat sich erwiesen, dass er nicht in der Lage war, zivile Partner für die Regierung zu gewinnen. Nach dem Putsch hatte Premierminister Abdalla Hamdok aus dem Hausarrest im eigenen Namen am 21. November 2021 gemeinsam mit Burhan eine neue politische Erklärung unterzeich­net. Diese brachte ihn vorübergehend zurück ins Amt, doch FFC und Demokratiebewegung lehnten sie rundweg ab. Hamdok trat am 2. Januar 2022 frustriert zurück, nachdem es ihm nicht gelungen war, das angestrebte Technokraten-Kabinett zu ernennen. Die Putschisten haben seitdem zwar hunderte von Beamten wieder in ihre Ämter eingesetzt, welche die Hamdok-Regierung wegen zu großer Nähe zum isla­mistischen Regime entfernt hatte. Doch die ehemals regierende National Congress Party bleibt verboten und zerschlagen. Keine zivile Partei von Bedeutung schlug sich bis­her auf die Seite der Putschisten.

Ausblick

Die drei genannten Faktoren können sich gegen­seitig verstärken. Während Ägypten, Bur­hans engster Partner, medizinische Hilfsgüter liefert, bemühte sich Hemedti in jüngster Zeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland um wirtschaftliche Unterstützung und militärische Zusammen­arbeit. Ohne Strukturreformen können Hil­fen jedoch nur kurzfristig wirken. Voraussetzung für tiefer greifende Reformen ist die Rückkehr zu einem demokratischen Über­gang, der in Wahlen mündet. Damit es zu einer solchen Rückkehr kommt, müssen vier grund­legende Prozesse ineinandergreifen.

(1) Zuerst bedarf es einer möglichst brei­ten Einigung auf ein Verfahren, um eine neue Übergangsregierung herbeizuführen. UNITAMS startete zu diesem Zweck Anfang Januar 2022 Konsultationen. In der ersten Phase kam in 110 Treffen Missionspersonal mit über 800 Personen zusammen. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber UNITAMS ließen sich mit der Zeit mehr und mehr Gruppen auf die Treffen ein. Weitgehend parallel dazu finden Gespräche zwischen, vor allem aber innerhalb der Widerstandskomitees, politischen Parteien, unter Wis­senschaftlern und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft statt, die jeweils eigene Ent­würfe für eine politische Erklärung ver­öffentlichten. Doch nur ein einheitlicher Prozess wird breite Akzeptanz finden, auch bei den Generälen.

(2) Die Bildung einer neuen Übergangsregierung und die Abgabe der Regierungs­macht von Militärs und Sicherheitskräften würden sich im zweiten Schritt anschließen. Dann könnten auch internationale Geber ihre Unterstützung wieder aufnehmen. Zumindest die politischen Parteien und Widerstandskomitees müssten sich auf ein Übergangssystem, ein Personaltableau einschließlich Premierminister und eine Aufgabenverteilung während der Übergangs­phase einigen.

(3) Ein weiterer Faktor ist der Friedensprozess mit bewaffneten Gruppen. Das Juba-Friedensabkommen von 2020 ist bis­lang nur schleppend umgesetzt worden. Die Unterzeichnergruppen wurden durch das Ab­kommen politisch aufgewertet, bewaffnete Akteure bekamen mehr Gewicht in der Regierung als das zivile Lager, während die wichtigsten bewaffneten Gruppen des Landes außen vor blieben. Eine künftige Über­gangsregierung sollte die (Neu-)Ver­hand­lung von Friedensabkommen nicht wie in der Vergangenheit den Sicherheits­akteuren überlassen.

(4) Schließlich müsste eine neue Übergangsregierung die Bedingungen für freie und faire Wahlen schaffen. Zu diesen Bedingungen gehören ein Ende der Gewalt und der will­kürlichen Verhaftungen sowie eine (Übergangs-)Verfassung, ein Zensus und eine unabhängige Wahlbehörde. Inter­nationale Organisationen könnten tech­nische Hilfe leisten und Wahlbeobachtungsmissionen entsenden.

Schlussfolgerungen

Deutschland und seine Partner können die Sudanesinnen und Sudanesen dabei unter­stützen, einen neuen Übergangsprozess einzuleiten. Dazu sollten sie den unterein­ander abgestimmten diplomatischen Druck auf die Putschisten aufrechterhalten und gezielte Sanktionen für Störer der Vermittlungsbemühungen vorbereiten. UNITAMS kann zwischen den zivilen Gruppen ver­mitteln und ihnen dabei helfen, sich auf einen Prozess zur Bildung einer neuen Übergangsregierung zu verständigen, ver­mag das Militär aber nicht davon über­zeugen, abzutreten. Um dies zu erreichen, könnte sich Deutschland im Rahmen der Friends of Sudan einbringen, einer informellen Gruppe von Vertretern westlicher und regionaler Regierungen und internationaler Organisationen, die Deutschland mitgegrün­det hat. In diesem Rahmen könnte die Bun­desregierung ihre Kontakte zu den regio­nalen Partnern der sudanesischen Regierung nutzen, um die Militärs zu veranlas­sen, ihre Lage und die Option einer ver­handelten Abgabe von Macht neu zu bewer­ten. Dabei könnte eine hochrangige inter­nationale Vermittlung hilfreich sein, wenn sie ihre Vorstellungen – auch in­direkt – eng auf die zivilgesellschaftlichen Pläne für eine Neuausrichtung des Staates abstimmt.

Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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