Direkt zum Seiteninhalt springen

Arktische Seewege

Zwiespältige Aussichten im Nordpolarmeer

SWP-Studie 2020/S 14, 23.07.2020, 44 Seiten

doi:10.18449/2020S14

Forschungsgebiete

Dr. Michael Paul ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

  • Das Eis im Nordpolarmeer schmilzt, wodurch die arktischen Seewege zunehmend schiffbar werden. Die Nordostpassage ist schon heute für längere Zeiträume im Sommer befahrbar, während die Nordwestpassage wohl in den 2030er Jahren, die Transpolare Route wiederum frühestens ab den 2040er Jahren für die Schifffahrt häufiger – und damit kommerziell – nutzbar, da »eisfrei« sein wird.

  • Neben den Klimaveränderungen wirken auch Ressourcennutzung und Großmachtkonkurrenz – jeweils unterschiedlich in Art, Ausmaß und Folgen – als Treiber für einen Wandel in der Arktis.

  • Die Erwärmung der Arktis ermöglicht es, bislang unzugängliche Lagerstätten von Rohstoffen zu nutzen, und eisfreie Seewege erleichtern deren Transport. Doch geht es dabei um kostenträchtige, riskante und lang­wierige Projekte, zumal bei der Öl- und Gasförderung auf See (offshore).

  • Die USA haben die Arktis als geopolitische »Arena« im Kampf um Macht und Einfluss identifiziert. Russland will über die Nördliche See­route maßgeblich seine Rolle als Energiegroßmacht bewahren.

  • Als neuer Akteur kann China in der Arktis an sein Seidenstraßen-Projekt anknüpfen, Transportwege diversifizieren und die eigene Versorgungs­sicherheit erhöhen. Im Konfliktfall lassen sich Versorgungsrouten militärisch nutzen, weshalb das Nordpolarmeer auch für Peking strategisch zunehmend wichtig ist.

  • Neben den negativen Auswirkungen des Klimawandels ist eine Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage im Norden festzustellen. Die widerstreitenden Ambitionen Chinas, Russlands und der USA machen einen Dialog über militärische Sicherheitsfragen nötig.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Die Arktis ist nicht nur von extremen Umweltbedingungen geprägt, sie erfährt durch den Klimawandel auch höchst widersprüchliche Entwicklungen. Im Vergleich zum globalen Durchschnitt fällt die Erwär­mung hier zwei- bis dreimal so hoch aus. Einerseits nehmen Umwelt und Bevölkerung in der Arktis dadurch großen Schaden. Andererseits eröffnen sich blendende Aussichten auf derzeit noch wenig ge­nutzte Seewege, auf reiche Ressourcen, ambitionierte Förderprojekte und lukrative Tourismusziele. Ein Beispiel bietet Grönland: Je schneller die Gletscher schmelzen, desto mehr Aufmerksamkeit findet die Insel. Der Klimawandel hat hier eine Art Werbeeffekt, der es erleichtert, Kapital zur Entwicklung eigener Wirtschaftszweige anzuziehen und damit die Abhän­gigkeit von Dänemark zu verringern.

Die komplexen Entwicklungsprozesse in der Arktis haben gravierende Auswirkungen auf internationale Politik, Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit. Deshalb ist es wichtig, sich eingehend mit der Lage, den Be­dingungen und den Veränderungen in der Region zu befassen. Exemplarisch soll dies im Folgenden an­hand der arktischen Seewege geschehen. Steigende Temperaturen lassen das Eis schmelzen, weshalb die Schifffahrtspassagen im Nordpolarmeer künftig im­mer länger und besser zugänglich sein werden. Die Nordostpassage vor der Küste Sibiriens, die Nordwestpassage vor Kanada und die Transpolare Route ver­sprechen kürzere Seewege zwischen Asien und Euro­pa, ebenso leichteren Zugang zu unerschlossenen Lagerstätten von Öl, Gas und Kohle, Industrie- und Edelmetallen sowie seltenen Erden. Außerdem profi­tieren Fischerei und Tourismus von diesen Entwicklungen.

Der weltweite Ferngüterhandel erfolgt zu 90 Pro­zent über Seewege. Suezkanal und Panamakanal verbinden seit über 100 Jahren atlantische und indo-pazifische Räume. Zukünftig können neue Transitpassagen im Nordpolarmeer die Weltwirtschaft unter­stützen und eine stärkere Förderung arktischer Ressourcen ermöglichen. Aber welche strategischen Implikationen sind mit diesen geoökonomischen Dynamiken verbunden? Die Arktis ist aus verschiedenen geopolitischen und strategischen Gründen für die USA, Russland und China bedeutsam. So haben die USA sie als »Arena« im Kampf um Macht und Ein­fluss identifiziert. Russland will über die Nörd­liche See­route seine Rolle als Energiegroßmacht be­wahren. China wiederum kann mit der polaren Route an die maritime Seidenstraße anknüpfen, dadurch Transportwege diversifizieren und die eigene Versor­gungs­sicherheit erhöhen – wobei sich Versor­gungs­routen im Konfliktfall militärisch nutzen lassen und das Nordpolarmeer auch für Peking strategisch bedeutsam ist.

Deutschland tritt dafür ein, die Arktis als konfliktarme Region zu erhalten, sie auf friedliche Weise zu nutzen und die freie Schifffahrt zu bewahren. Dies entspricht den Interessen der Bundesrepublik, denn sie ist ein Exportstaat, dessen Außenhandel wert­mäßig zu etwa 60 Prozent über die See erfolgt, und einer der größten Rohstoffverbraucher. Gemäß den Leitlinien deutscher Arktispolitik gilt es »bestehenden geopolitischen Spannungen in der Region zu begeg­nen und (Interessens-)Konflikten und potentiellen Krisen in der Arktis vorzubeugen«. Deutschland kann dazu im Sinne einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen und sein großes Spezialwissen in Forschung, Technologie und Umweltfragen ein­bringen. Darüber hinaus ist zu empfehlen, mit Blick auf die Arktis den sicherheitspolitischen Dialog zu fördern und angesichts möglicher Konflikte präventiv zu agieren.

Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen kön­nen arktische Seewege und Ressourcen in größerem Umfang noch nicht wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden. Es fehlt an Infrastruktur, und weil die natio­nalen Einsatzmittel nicht ausreichen, bedarf es inter­nationaler Zusammenarbeit für Seenotrettung und Katastrophenfälle. Die arktischen Umweltbedingungen bleiben eine extreme Herausforderung für Schiffe und Besatzungen, zumal die Klimaerwärmung die Lage verschärft und noch stärkere Winde, höhere Wellen und mehr Eisdrift schafft. Das erfordert in Zukunft mehr statt weniger Kooperation der Arktis­staa­ten und besonders ihrer Küstenwachen; angesichts der begrenzten Mittel ist hier jede (Macht-)Kon­kur­renz kontraproduktiv.

Wann genau die arktischen Seewege über den Sommer hinaus in welchen Zeiträumen zugänglich sein werden, lässt sich nicht verlässlich vorhersagen. Unsicher bleibt auch, welche Ressourcen wann kom­merziell sinnvoll gefördert werden können oder in­wiefern Küstenwache und Marine arktischer Staaten sich stärker engagieren werden – etwa um die See­notrettung zu verbessern oder um die Freiheit der Schifffahrt zu bewahren. Zweifellos wachsen mit der Bedeutung der Arktis inhärente Konfliktrisiken. Die Großmachtrivalität zwischen den USA, China und Russland hat mittlerweile auch diesen Raum erfasst und droht die Zusammenarbeit dort zu beeinträch­tigen. Das »ewige Eis« schmilzt, und sollte es jemals einen »arktischen Exzeptionalismus« gegeben haben, so ist seine Zeit definitiv zu Ende. Die Arktis ist keine einsam entrückte Region fernab aller Konflikte mehr.

Arktis und Nordpolarmeer waren schon im Krimkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im »Kalten Krieg« in militärische Aktivitäten involviert; heute sind sie geopolitisch und militärstrategisch abermals bedeut­sam geworden. Einst sichere Außengrenzen verlieren ihre Undurchlässigkeit, wovon besonders Russland, aber auch die USA und Kanada betroffen sind. Einzig China profi­tiert bislang von dieser Entwicklung, unter anderem weil Russland finanzstarke Partner benötigt, die es beim Aufbau von Infrastruktur in der Region sowie bei Exploration, Produktion und Trans­port arktischer Ressourcen unterstützen. Infolge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim wurden 2014 westliche Sanktionen verhängt, die es unter­binden, dass russi­sche Energieunternehmen neue Anleihen erhalten oder energiebezogene Ausrüstung und Technologie an Russland geliefert wird.

Ähnlich wie die beabsichtigte häufigere Nutzung arktischer Seewege bleibt es technisch wie finanziell ein auf­wändiges, langwieriges Unterfangen, verstärkt arkti­sche Ressourcen und Mineralien zu fördern. Auf­grund der niedrigen Weltmarktpreise ist dies derzeit kommerziell wenig attraktiv – was aus klimapolitischer Sicht sogar positiv sein mag, weil die forcierte Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle und Erdöl die Erwärmung noch vorantreibt. Zugleich bleibt damit aber auf absehbare Zeit der Ausbau nördlicher Seewege ein teures Zuschussgeschäft. Die Aussichten im Nord­polarmeer sind also in vielerlei Hinsicht zwiespältig.

Die Arktis: Lage und Ordnung

Geographisch wird die Arktis durch den nördlichen Polarkreis begrenzt. Das Nordpolarmeer ist von fünf arktischen Küstenstaaten (A5) umgeben: Dänemark (mit Grönland), Kanada, der Russischen Föderation (Sibirien), Norwegen (Spitzbergen) und den USA (Alas­ka). Territoriale Anteile an der Arktis haben außerdem Finnland, Island und Schweden. Diese acht Staa­ten (A8) haben sich zum Arktischen Rat zusammengeschlossen, in dem überdies indigene Volksgruppen vertreten sind. Im Wesentlichen ist die Arktis ein Meer, das Kontinentalstaaten umgeben, während es sich bei der Antarktis um einen Kontinent handelt, der von Meer umschlossen ist.

Was ist die Arktis? Unterschiedliche Definitionen

Die älteste Definition folgt dem System der mathematisch-astronomischen Zonen – die Arktis befindet sich unter dem Sternbild des Großen Bären. Das dafür verwendete griechische Wort ρκτικός (arktikós) ist der Ursprung für die Bezeichnung dieses Raumes. Er wird durch den Polarkreis in 66° 33’ nördlicher Breite begrenzt. Diese am häufigsten verwendete Definition ist jedoch umstritten, da sie der polaren Kernzone ähnliche Subregionen wie das Beringmeer, den südli­chen Teil Grönlands und die Hudson Bay ausschließt. Alternativ lässt sich die Arktis nach Kriterien bemes­sen, die typisch für die Region sind. Im System der Klima- und Landschaftszonen wird die Arktis durch die 10-Grad-Celsius-Juli-Isotherme – eine gedachte Linie, nördlich derer die Mitteltemperatur im mehr­jährigen Durchschnitt auch im wärmsten Monat unter 10 Grad bleibt – oder die kältebedingte Baum­grenze bestimmt. Auch diese Definition ist jedoch problematisch, nicht zuletzt aufgrund der zunehmen­den Erderwärmung. Eine inklusive Festlegung wählte das Arctic Monitoring Assessment Program (AMAP), eine der sechs Arbeitsgruppen des Arktischen Rates. Demnach bilden die Hudson Bay und das südlich der Barentssee gelegene Weiße Meer integrale Bestand­teile der Arktis, außerdem Teile des Landterritoriums der acht Arktisstaaten.1

Das Nordpolarmeer (auch Arktischer Ozean) ist mit rund 14 Millionen Quadratkilometern der kleinste Ozean der Erde und hat eine durchschnittliche Was­sertiefe von 1 205 Metern; seine größte Tiefe beträgt – westlich von Spitzbergen – 5 607 Meter. Das Euro­päische Nordmeer zwischen Grönland und Nord­europa verbindet den Arktischen Ozean mit dem Atlantik, die Beringstraße bildet als Meerenge zwi­schen Asien und Amerika die Verbindung der Arktis mit dem Pazifik.2

Die extensive, alle acht Arktisstaaten berücksich­tigende Definition ergibt eine große Bandbreite an Zuständen arktischer und subarktischer Gewässer: warm, kalt, eisfrei, eisbedeckt, salzig, weniger salzig etc. Entsprechend unterschiedlich sind die Umweltbedingungen und die Anforderungen an die Schifffahrt. Letztere wiederum umfasst in der Arktis zahl­reiche Schiffstypen mit oder ohne Eisklasse:3 Fähren, Fischereiboote, Tanker, Fracht- und Containerschiffe, Kreuzfahrtschiffe, Eisbrecher sowie Schiffe von Küs­tenwache und Marine. Ein restriktives Kriterium legte 2002 die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) fest: Arktische Gewässer sind demnach solche, die eine Meereis-Konzentration von einem Zehntel

Abbildung 1

oder mehr aufweisen und daher ein strukturelles Risiko für Schiffe bilden.4 Weniger geographische Nähe als vielmehr politisches Interesse liegt der Selbstdarstellung einiger in der Arktis aktiven Länder zugrunde. So nennt sich Frankreich mit Verweis auf seine Tradition von Expe­ditionen und permanenten Forschungsbasen in Arktis und Antarktis eine »polare Nation«,5 Großbritannien sieht sich als »near-Arctic neighbour«.6 Am ehrgeizigsten ist hier China, das sich als »Near Arctic State« be­zeichnet.7 Dabei ist die Volksrepublik von der Arktis weit entfernt; ihr nördlichster Landzipfel liegt in etwa auf demselben Breitengrad wie Berlin.8 Doch bean­sprucht Peking im arktischen Ordnungsrahmen eine mehr als nur beobachtende Rolle.

Arktischer Rat und internationale Ordnung

Der Arktische Rat ist das wichtigste zwischenstaat­liche Forum zum Interessenausgleich von Anrainern und indigenen Völkern der Arktis. Gegründet wurde er 1996 mit der Ottawa-Deklaration.9 Unterzeichner und damit Mitglied sind acht Staaten, die Land- und/ oder Meeresgebiete in der Arktis besitzen: Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schwe­den und die USA. Als permanente Mitglieder zweiter Kategorie sind sechs Dachverbände indigener Völker bei Beratungen und Entscheidungen des Rates ein­zubinden und von den Arktisstaaten zu konsultieren. In einer dritten Kategorie haben 13 Staaten den Status als Beobachter, darunter seit 1998 Deutschland und seit 2013 China.10 Außerdem sind 14 zwischenstaat­liche und 12 regierungsunabhängige Organisationen als Beobachter akkreditiert.

Der Vorsitz des Rates wechselt alle zwei Jahre; im Mai 2019 übergab ihn Finnland an Island. Das wich­tigste Organ ist die zweijährlich tagende Minister­versammlung, die über die Grundlinien der Arbeit befindet; sie wird in halbjährlichen Treffen auf Arbeits­ebene (Senior Arctic Officials) vorbereitet. Alle Ent­scheidungen erfolgen im Konsens und unter Betei­li­gung der indigenen Bevölkerung. Inhaltlich befasst sich der Rat mit den Themengebieten Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung – sie werden als seine zwei Säulen bezeichnet. Die Beobachter können sich in den sechs Arbeitsgruppen des Rates engagieren.11 2014 wurde der Arktische Wirtschaftsrat (Arctic Eco­nomic Council, AEC) gegründet. Dessen Mitglieder stammen aus der Wirtschaft und werden vom Arkti­schen Rat ernannt. Unter Islands Vorsitz will der Wirtschaftsrat das 2017 beschlossene Arctic Investment Protocol (AIP) als Grundlage für kommerzielle Aktivitäten stärken und ganzheitliche Geschäfts­modelle im Sinne der »Blue Economy« unterstützen.12

Als Meilenstein in der Arbeit des Arktischen Rates gilt die Regelung der Zusammenarbeit bei Such- und Rettungseinsätzen nach Schiffs- und Flugzeugunglücken (Search and Rescue, SAR). Ein entsprechendes Abkommen wurde auf dem Ministertreffen am 12. Mai 2011 in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, ver­abschiedet.13 Als ähnlich erfolgreich bewertet wird die Kooperation der acht Arktisstaaten im Bereich des Küstenschutzes; zu diesem Zweck wurde 2015 das Arctic Coast Guard Forum (ACGF) gegründet. Ein zweites, 2013 im schwedischen Kiruna unterzeichnetes Abkommen soll die gegenseitige Unterstützung im Fall von Ölverschmutzungen sicherstellen.14 Ein drittes Abkommen, 2017 in Fairbanks (Alaska) unter­zeichnet, zielt darauf ab, die wissenschaftliche Zu­sammenarbeit zu verbessern.15 Im Oktober 2018 wurde außerdem das von den fünf Küstenstaaten ini­tiierte Fischereiabkommen für den zentralarktischen Raum unterzeichnet.16 Darüber hinaus wurden weg­weisende Studien in Auftrag gegeben – so zu den Auswirkungen des Klimawandels, zur Belastung der Region mit Umweltgiften und Radioaktivität sowie zum Stand der Schifffahrt in der Arktis.17

Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen bietet den rechtlichen Ordnungsrahmen für Meere und Ozeane, um den internationalen Verkehr dort zu erleichtern sowie die ausgewogene und wir­kungsvolle Nutzung ihrer Ressourcen zu friedlichen Zwecken zu fördern. Es regelt unter anderem Fest­legung und Abgrenzung der Festlandsockel, Schifffahrtsrechte, Transitdurchfahrt und friedliche Durch­fahrt. Das Governance-System arktischer Schifffahrt ist ein »kompliziertes Mosaik«, bestehend aus natio­nalen Gesetzen und internationalen Regimen, die im Einzelfall jeweils zu berücksichtigen sind.18 In der Ilulissat-Erklärung von Mai 2008 lehnten es die fünf arktischen Küstenstaaten ab, ein ähnliches Rechts­regime zu entwickeln, wie es der Antarktis-Vertrag von 1959 begründet hatte. Stattdessen bekräftigten sie ihre souveränen Rechte und Pflichten gemäß SRÜ.19 Zuletzt sollte auf dem Ministertreffen im Mai 2019 eine Strategie festgelegt werden, um die Arbeit des Rates voranzubringen; es entstand aber nur ein inhaltsarmer Text. Beobachterstaaten wie China haben sich kreativ bei der Erarbeitung neuer Rege­lungen wie des Polarkodex eingebracht und dabei den Weg über Organisationen wie IMO genutzt. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, wie die Arbeit des Rates neu gestaltet und erweitert werden könnte – nicht zuletzt durch ein Mitwirken der Europäischen Union, der bislang der Beobachterstatus verwehrt geblieben ist.20 Das wachsende Interesse an der Arktis trägt so auch dazu bei, die Ordnung in der Arktis weiterzuentwickeln.

Die geopolitische Konkurrenz der Großmächte und der (Wieder-)Aufbau militärischer Stützpunkte lassen außerdem die Frage aufkommen, inwiefern das Prin­zip der Nichtbefassung mit »hoher Politik« für den Rat fortbesteht. Weil die Ottawa-Deklaration von 1996 dies ausschließt, befasst sich das Gremium nicht mit Fragen militärischer Sicherheit.21 Stattdessen wurde 2011 als Gesprächsformat der Arctic Security Forces Roundtable (ASFR) etabliert, der allerdings seit 2014 aufgrund der Krim-Annexion ohne Russland tagt.22 Als amtierende Ratsvorsitzende plädierte die islän­dische Premierministerin Katrin Jakobsdottir im Okto­ber 2019 dafür, dass der Arktische Rat sich künftig mit Sicherheitsfragen befassen solle.23 Veränderte Umweltbedingungen eröffnen also nicht nur neue Zugänge zu Seewegen und Ressourcen, sondern lassen auch neuen Bedarf an der Regelung arktischer Sicherheit entstehen.

Arktische Seewege

Bevölkerung und Wirtschaft der Arktis sind auf die Schifffahrt angewiesen, um sich mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern zu versorgen bzw. Rohstoffe und Industrieprodukte zu transportieren. Weil das Meereis schmilzt, eröffnet sich für die Zukunft zu­gleich eine kürzere Route für den globalen Handel zwischen Asien und Europa, mit der sich Zeit und Kosten sparen lassen. In der russischen Arktis ver­schwindet das Eis schneller als im Westen der Region; dortige Routen sind daher schon heute nutzbar. Die Nördliche Seeroute als Teil der Nordostpassage war 2019 noch im Monat September passierbar.24 Aller­dings erfolgen bislang nur etwa 2 Prozent des Welt­handels über arktische Seewege. Grundsätzlich sind diese Routen für den Transport von Kohle, Erdöl und Gas sowie Fracht mit flexiblen Lieferzeiten geeignet – aber weniger für Containerschiffe, die ihre Ladung pünktlich zustellen müssen.25

Am meisten Verkehr herrscht innerarktisch auf den Routen zwischen regionalen Häfen, weniger dagegen auf Transportwegen zwischen Häfen inner- und außerhalb der Arktis und am wenigsten im Transit zwischen Atlantik und Pazifik. Geographisch betrachtet bildet die Transpolare Passage die direkte und kürzeste aller Verbindungen zwischen Asien und Europa. So wie sich die Nordwest- und die Nordostpassage nicht immer entlang der Küste bewegen, führt jedoch die Transpolare Passage nicht zwangsläufig direkt über den Nordpol. Vielmehr sind alle Passagen wechselnden Bedingungen unterworfen, und Schiffe müssen jeweils der Route folgen, die zu gegebener Zeit die besten Eis- und Navigationsverhältnisse verspricht. Der norwegische Polarforscher Willy Østreng hat die Passagen daher als »breite Transportkorridore« bezeichnet, die zahlreiche alter­native Routen bieten.26 Während bislang die Nordost­passage (und die darin befindliche Nördliche See­route) den Schiffsverkehr dominiert, wird für die Zeit ab den 2040er Jahren eine zunehmende Nutzung aller drei Passagen prognostiziert (siehe Abbildung 2, S. 12).

Küstennahe Gewässer haben meist eine geringe Wassertiefe und eignen sich daher zur Öl- und Gas­förderung. Allerdings benötigen Tanker zum Trans­port der Öl- und Gasprodukte in der Regel tiefe Was­serstraßen. Hinzu kommen unterschiedlich große Herausforderungen der Navigation. Jeweils abhängig von ihrer Eisklasse müssen selbst eisgängige Schiffe unter Umständen von einem Eisbrecher begleitet wer­den, und auch diese sind den schwierigen Bedingungen der Arktis unterworfen. Ob die Nutzung arkti­scher Passagen rentabel ist oder nicht, ergibt sich erst aus einer Kalkulation aller Vor- und Nachteile sowie der direkten und indirekten Kosten – von der Ein­sparung an Fahrtzeit bis zum Aufwand für die Beglei­tung durch einen Eisbrecher oder für den Bau eigener eisgängiger Frachtschiffe.

Schwierige Bedingungen

Mond und Mars seien besser kartographiert als das Nordpolarmeer, klagte US-Admiral a.D. James Stavridis.27 Tatsächlich sind weniger als 5 Prozent der Arktis auf Karten detailliert erfasst, was die Naviga-tion schwierig und gefährlich macht. Je nach Größe und Geschwindigkeit eines Schiffs sind verschiedene Routen durch das Eis möglich. Dabei sind die Nord­ostpassage, aber auch Teile der kanadischen Route mit einer Wassertiefe von weniger als 20 Metern zu flach für große Frachter. Es gibt in der Arktis keine oder nur unzureichende hydrographische Daten, selbst für Hauptverkehrskorridore der kanadischen Gewässer, so dass nicht sicher navigiert werden kann. Sollen arktische Gewässer häufiger als Seewege ge­nutzt werden, bedarf es verlässlicher Karten über die jeweilige Wassertiefe sowie Vorhersagen für Ozean, Eis und Atmosphäre. Dies ist auch insofern wichtig, als sich aufgrund wechselnder Eis- und Wetterbedingungen die schiffbaren Routen verändern und mit nationalen Seewegen überschneiden können.28 Nicht nur, dass in der Arktis schwierige Umweltgegeben­heiten bestehen – durch Nebel und mehrmonatige Dunkelheit, rasch wechselnde Wind- und Wetter­verhältnisse sowie Eisdrift, schweren Seegang und Temperaturen, die Schiffsanlagen vereisen lassen.

Abbildung 2

Anm.: Die Abbildung zeigt optimale Navigationsrouten im Monat September anhand bereits erfolgter und für die Zukunft angenommener Schifffahrten, die den Ozean zwischen Nordatlantik und Pazifik (Beringstraße) durch­queren. Dabei wurden zahlreiche klimabedingte Projektionen zugrunde gelegt, unter anderem zur Eiskonzentra­tion. Vgl. Laurence C. Smith/Scott R. Stephenson, »New Trans-Arctic Shipping Routes Navigable by Midcentury«, in: Proceedings of the National Academies of Science (Early Edition), 4.3.2013, <https://www.pnas.org/content/pnas/early/2013/ 02/27/1214212110.full.pdf>.

Mindestens ebenso große Probleme schafft eine lückenhafte oder fehlende Navigations- und Kommunikationsabdeckung; manche Teile der Arktis sind nur über Satellitentelefon erreichbar. Und weil durch all das die Wahrscheinlichkeit von Unfällen steigt, fallen bei der arktischen Schifffahrt hohe Versicherungsprämien an; sie liegen 20 bis 100 Prozent über den Standardpreisen.29

Entlang der Nordostpassage ist derzeit Schifffahrt in offenem Wasser während vier bis fünf Monaten zwischen Juli und November möglich. Nordwest­passage und Transpolare Route bieten nur wenige Wochen im Jahr ähnliche Bedingungen. Die Beringstraße soll im Zeitraum 2020–2030 nach Prognose der US-Marine 175 bis 190 Tage pro Jahr offen, also »eisfrei« sein. Das bedeutet, dass eine Eiskonzentra­tion von höchstens 10 Prozent besteht, keine Eisberge vorhanden sind und das Gewässer ohne Eisbrecher befahrbar ist. Die Nordwestpassage ist derzeit selbst im Sommer teilweise mit Eis bedeckt. Voraussichtlich erst in den 2030er Jahren werden dort breite Wasser­wege dauerhaft offen bleiben und der Schiffsverkehr signifikant zunehmen. Die US-Marine erwartet, dass dann Nördliche und Transpolare Seeroute an 130 Tagen im Jahr befahrbar sein werden, mit offener See an bis zu 75 Tagen, während auch die Nordwest­passage zunehmend im Spätsommer und Herbst be­fahrbar sein wird.30

Die Infrastruktur, die für eine häufigere Nutzung der Schifffahrtswege notwendig wäre, fehlt bislang je­doch,31 mit einer gewissen Ausnahme für die norwe­gische Küste und den Nordwesten Russlands. Auf den zunehmenden Schiffsverkehr durch Handel und Energiewirtschaft sowie Fischerei und Tourismus32 sind die Arktisstaaten nicht ausreichend vorbereitet. Unter anderem mangelt es an Fähigkeiten, um im Unglücksfall schnell und wirkungsvoll reagieren zu können. Weite Teile der Arktis sind nur über die Luft zu erreichen, und der nächste Stützpunkt kann über 1 000 Kilometer entfernt sein.33 Wenn ein Schiff in Seenot gerät, ist die Besatzung in größter Gefahr, weil weder Rettungskräfte noch Einsatzmittel rasch (wenn überhaupt) verfügbar sind. Ähnliches gilt im Fall einer Havarie, wie das Beispiel des Öltankers Exxon Valdez zeigte, der am 24. März 1989 im Prinz-William-Sund in Alaska auf Grund lief. Es dauerte Tage, bis erste Maßnahmen zur Eindämmung der Ölpest mög­lich waren, und die Umwelt hat sich auch 30 Jahre später noch nicht vollständig von der Katastrophe er­holt. Auch heute könnte auf eine Havarie im Eismeer oder in den engen Kanälen der kanadischen Küste nicht umgehend reagiert werden. Dabei ist die Zahl der Unglücksfälle in der Arktis generell höher als in südlichen Gewässern. Sie stieg zwischen 2007 und 2017 von 28 auf 71, wobei es in den meisten Fällen um Maschinenschaden ging. Weil zu wenig Einsatzkräfte und -mittel für Unglücksfälle verfügbar sind, findet weniger Vorsorge als Risikomanagement statt.34

Bislang fehlt es in der Arktis an der Infrastruktur, die für eine häufigere Nutzung der Schifffahrtswege notwendig wäre.

Ein Ansatz zur Verbesserung dieser Situation ist das erwähnte SAR-Übereinkommen von Mai 2011 – das erste international verbindliche Abkommen, das unter Schirmherrschaft des Arktischen Rates zustan­de kam.35 Darin wurde die jeweilige nationale Zustän­digkeit bei Such- und Rettungseinsätzen festgelegt, ohne einer Klärung widerstreitender Gebietsansprüche vorgreifen oder souveräne Rechte tangieren zu wollen. Neben zahlreichen anderen Empfehlungen und Rechtsvorschriften36 soll auch der 2017 in Kraft getretene Polarkodex die Sicherheit und den Umwelt­schutz in der Region verbessern. Fracht- bzw. Passa­gierschiffe (über 500 Bruttoregistertonnen), die polare Gewässer befahren, müssen demnach entsprechend ausgerüstet und zertifiziert sein; allerdings bleiben Anwendung und Umsetzung des Regelwerks dem guten Willen der einzelnen Staaten überlassen.37

Ähnlich wie bei den Seewegen ist auch die Nutzung vieler fossiler Lagerstätten unter den gegebenen Klimabedingungen und beim derzeitigen Stand der Technik nur unter hohem Kostenaufwand möglich. Dabei ist die Bereitschaft zu Investitionen von vielen Variablen abhängig, zu denen auch die globale Er­wärmung gehört. Sie hat hier ebenfalls zwiespältige Konsequenzen. Die höheren Temperaturen lassen einerseits das Meereis schmelzen und eröffnen so see­seitige Zugänge zu den an der Küste gelegenen Sied­lungen sowie zu Industrieanlagen und Rohstofflagerstätten. Andererseits bringen sie auch den Permafrostboden zum Tauen, was landseitige Zugänge erschwert. Brücken, (Eis-)Straßen, Eisenbahntrassen, Häfen und Pipelines müssen unter schwierigeren Be­dingungen erhalten oder neu gebaut werden – was besonders die Infrastruktur für Öl-und Gasexporte in der russischen Arktis betrifft.38 Es sind auch hier zwie­spältige Konsequenzen der Erwärmung: Während das Eis im Meer taut, was einen besseren Transport zur See bietet, weicht der Permafrostboden auf – dies er­schwert den Verkehr und die Förderung zu Land.

Je mehr Seewege zugänglich werden, desto mehr Konfliktpotential tritt zutage. Deutschland setzt sich, ähnlich wie die USA, »für die freie Schifffahrt […] entsprechend den Regelungen des VN-Seerechts­übereinkommens« ein.39 Russland und Kanada sind aber jeweils der Meinung, dass Nordost- bzw. Nord­westpassage ihrer nationalen Souveränität unter­liegen. Dabei können sie sich nur bedingt auf die »Arktisklausel« des Artikels 234 SRÜ berufen, denn dieser begründet für Küstenstaaten nur das »Recht, nichtdiskriminierende Gesetze und sonstige Vorschriften zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in eisbedeckten Gebieten innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone zu erlassen und durchzusetzen«. US-Außenminister Mike Pompeo hat die Rechtsauffassung von Russland und Kanada daher als »illegitim« bezeichnet.40 Ein russisches Gesetz von März 2019, dem zufolge ausländische Regierungen die Befahrung der Nördlichen Seeroute durch ihre Marine 45 Tage im Voraus anmelden müssen,41 verschärft den Kon­flikt, weil es klar gegen die Freiheit der Schifffahrt verstößt.42 Moskau fordert damit eine »Freedom of Navigation«-Operation geradezu heraus. Bislang war es der arktischen Schifffahrt zwar nicht abträglich, dass kein einheitliches Rechtsverständnis besteht. Der zunehmende Schiffsverkehr in der Region könnte aber dazu führen, dass ein zufälliger oder auch beab­sichtigter Konflikt entsteht.

Nordostpassage und Nördliche Seeroute

Die Nordostpassage erstreckt sich von der Barentssee nördlich von Norwegen über Kara-, Laptev-, Ostsibirische und Tschuktschen-See bis zur Beringstraße zwischen Russland und Alaska. Sie verbindet die Hafenstadt Murmansk mit der Siedlung Prowidenija auf der Tschuktschen-Halbinsel und eignet sich be­sonders für Fahrten zwischen Nordeuropa und Nord­ostasien. Innerhalb der Nordostpassage führt die Nördliche Seeroute (NSR) von der Karastraße bei der Insel Nowaja Semlja bis zur Beringstraße. Sie ist die am meisten genutzte innerarktische Route und liegt in Russlands ausschließlicher Wirtschaftszone (AWZ). Moskau hofft auf dieser Route langfristig mit dem Suez-Kanal konkurrieren zu können.

Im Sommer 2010 transportierte die Nordic Barents Eisenerzkonzentrat von der norwegischen Eismeerküste zur chinesischen Hafenstadt Lianyungang am Gelben Meer. Dies war der erste Frachter unter nicht­russischer Flagge, der die Passage komplett durchfuhr und als Transitroute nutzte. Das eisgängige Frachtschiff Yong Sheng der staatlichen Schifffahrtsgesellschaft China Ocean Shipping Company (COSCO)43 passierte 2013 die Nordostpassage auf dem Weg vom chinesischen Dalian nach Rotterdam in 33 Tagen. Der weltgrößte Schifffahrtskonzern Maersk unternahm im September 2018 eine Testfahrt auf der Strecke, ohne darin bereits den Beginn eines neuen kommerziell nutzbaren Seewegs zu sehen. Während 2010 nur vier Schiffe die NSR zum Transit nutzten, waren es 2011 schon 34 und 46 im Jahr darauf. Die höchste Zahl wurde 2013 erreicht, als 71 Schiffe den Seeweg befuhren; dabei transportierten sie insgesamt mehr als eine Million Tonnen Ladung.

Moskau setzt weniger auf die ausländische als vielmehr auf die eigene Schifffahrt, um die Nördliche Seeroute zu fördern.

Dies sei zwar viel mehr als 2010, »aber gegenüber den 18 000 Suez-Kanal-Passagen pro Jahr kaum der Rede wert«, merkte der Verband Deutscher Reeder an. Als Gründe für den noch immer geringen Schiffs­verkehr auf der NSR werden bürokratischer Aufwand und hohe Kosten genannt. Die Durchfahrt erfordert umfangreiche Angaben zu Schiff, Ladung, Besatzung und Route. Weitere Kostenfaktoren sind Eisbrecher- und Schiffsleitdienste, niedriges Tempo und lange Wartezeiten. Daher blieb die Zahl der Transitfahrten niedrig. 2018 lag sie bei 27, ein Jahr später bei 37.44 Im Vergleich zum Suezkanal sind die Kosten dreimal so hoch. Damit sich diesem Mehraufwand begegnen lässt, ist von russischer Seite geplant, an Umlade­knotenpunkten in Murmansk und auf der Halbinsel Kamtschatka die Fracht ausländischer Schiffe auf­zunehmen und auf eigene Schiffe zu verladen. Dafür will die russische Reederei Primorsky CPC eisgängige Containerschiffe anschaffen und Hafeninfrastruktur bereitstellen. Allerdings könnte die Verladung der Fracht mehr Aufwand und Zeit erfordern, als sich da­durch einsparen ließe.45

Das »Shuttle-Projekt« illustriert einmal mehr, dass Moskau weniger auf die ausländische als vielmehr auf die eigene Schifffahrt setzt, um die NSR zu för­dern (und damit auch russische Werften unterstützen will). Dies ist insofern schlüssig, als die NSR selbst nationaler Administration und Jurisdiktion unterliegt; sie wird gemeinsam vom russischen Transportministerium und Rosatom als staatlicher Gesellschaft betrieben. Öl, Gas und Kohle dürfen gemäß Duma-Beschluss von Dezember 2017 nur unter russischer Flagge transportiert werden.46 So nutzt Russlands größter privater Gasproduzent Novatek die Route für Lieferungen von Flüssig-Erdgas (LNG) nach Europa und Asien; auch Gazprom Neft als drittgrößter Öl­produzent des Landes ist hier aktiv. Im Mai 2018 verkündete Präsident Wladimir Putin, die jährliche Transportleistung der NSR solle sich bis 2024 auf 80 Millionen Tonnen erhöhen. Das Transport­ministerium meldete 2019 pflichtschuldig, dass das Transportvolumen auf der NSR »konstant« wachse, 20,2 Millionen Tonnen im Jahr 2018 betragen habe und 2019 auf 26 Millionen Tonnen steigen werde.47 Dementsprechend soll die Öl- und Gasförderung in der russischen Arktis – zu Land (onshore) und auf See (offshore) – einen zunehmend größeren Anteil an der gesamten Energieförderung einnehmen; die NSR dient dafür als primärer Transportweg.

Abbildung 3

China ist zunehmend an russischen Energieprojekten in Sibirien beteiligt; es profitiert dabei von west­lichen Sanktionen gegen Moskau. Bei der Förderung der NSR kann Putin aber nur bedingt mit chinesischer Unterstützung rechnen. Noch 2014 äußerte Huigen Yang, Direktor des Polar Research Institute of China (Schanghai), die überzogene Erwartung, im Jahr 2020 würden 5 bis 15 Prozent des chinesischen Fernhandels über die NSR abgewickelt. Dies setze voraus, dass die Route entsprechend ausgebaut werde; dann gebe es eine große Nachfrage.48 Der Fernhandel der Volks­republik hat sich 2019 aber nicht wie prognostiziert entwickelt.49 Das Dilemma: ohne Infrastruktur kein Wachstum und ohne Wachstum keine Infrastruktur. Tatsächlich steigt die Zahl der Fahrten in der NSR im Vergleich zu den Vorjahren nur gering (siehe Ab­bildung 3).

Im September 2019 stieg die Zahl der in der NSR durchgeführten Fahrten auf 452; sie lag damit höher als im Vormonat August sowie im gesamten Vorjahr 2018. In dieser Zeit gab es auch die höchste Zahl an Transits (fünf von Ost nach West, vier von West nach Ost) sowie sieben Fahrten zwischen russischen Häfen. Das nuklearbetriebene Containerschiff Sevmorput durchquerte die NSR am schnellsten, nämlich in knapp sechs Tagen, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 15 Knoten. Erneut fanden die meisten Fahrten zwischen russischen Häfen statt. 26 Fahrten mit Zielen in China und Großbritannien erfolgten aus Sabetta auf der sibirischen Jamal-Halb­insel und Dudinka im Norden des Westsibirischen Tieflands. Die Fahrten unternahmen größtenteils Frachtschiffe, gefolgt von Tankern, Versorgungsschiffen, LNG-Tankern und Forschungsschiffen. Zum Ende der Saison sanken die Zahlen. 71 Schiffe unternahmen 160 Fahrten im November 2019, es gab nur noch eine Transitfahrt. Das Volumen aller Transporte auf der NSR stieg 2019 auf 31,5 Millionen Tonnen. Größ­tenteils handelte es sich dabei um Gas bzw. LNG von der Jamal-Halbinsel.50

Russlands exklusiver Anspruch auf die NSR ist wirtschaftlich fragwürdig, denn sie müsste internationalisiert werden, um rentabel zu sein.

Der Betreiber Rosatom schätzte die Kosten für den Ausbau der Nördlichen Seeroute auf umgerechnet 11,7 Milliarden US-Dollar. Getragen werden sollen sie zu einem Drittel vom russischen Staat und ansonsten von den Unternehmen Rosatom, Rosneft, Novatek, Gazprom Neft, Gazprom und Nornickel, von Banken sowie künftigen Nutzern der NSR. Rosatom-Chef Alexey Likhachev, der auch für den Betrieb der Eis­brecher verantwortlich ist, äußerte sich zu den Zu­kunftsperspektiven ähnlich sibyllinisch wie Huigen Yang. Sobald kommerziell attraktive Möglichkeiten für den Transport geschaffen seien, so Likhachev, werde auch die Bereitschaft wachsen, in Straßen, Eisenbahnen, Häfen und Anlegestellen sowie Kraft­werke zu investieren.51 Ob eine stärkere Nutzung der Route unter anderem für LNG-Transporte erreicht wird, hängt aber entscheidend davon ab, wie sich die globale Nachfrage entwickelt. Der LNG-Preis fiel 2019 auf einen historischen Tiefststand,52 und die welt­weite Rezession aufgrund der Corona-Pandemie lässt 2020 einen weiteren Preisrückgang erwarten. Wenn China und Indien aus Gründen des Klimaschutzes den Umstieg von Kohle auf Gas anstreben, könnte die Transportleistung wachsen. Ähnliches gilt – aber mit gegenteiligen Klimafolgen – bei größerer Nachfrage nach Kohle.

Russlands exklusiver Anspruch auf die NSR ist politisch verständlich, aber wirtschaftlich fragwürdig. Denn um rentabel zu sein, müsste die Route inter­nationalisiert werden.53 Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass Kooperation statt Konkurrenz im Ver­hältnis zu den USA besteht. Der amerikanischen Regierung ist bewusst, wie wichtig LNG-Trans­porte für Russland angesichts seiner zurückgehenden Öl­exporte und sinkender Preise sind. Sie kann damit zu geringen Kosten und mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit eine strukturelle Schwäche im bilateralen Wettbewerb nutzen.54 Die Rentabilität der NSR ist insofern eine geopolitische Frage. Der Druck auf Mos­kau dürfte einmal mehr den Einfluss Pekings ver­größern, das sich in der russischen Arktis entgegen früherer Widerstände – unter anderen durch Russ­land – noch stärker etablieren kann.

Nordwestpassage

Die Nordwestpassage (NWP) besteht aus mehreren stark verzweigten Routen durch den kanadisch-arkti­schen Archipel, der über 36 000 überwiegend kleine und kleinste Inseln umfasst. Die südliche Route führt durch den Peel Sound entlang des Territoriums Nuna­vut. Sie ist zwar im Sommer offen für die Schifffahrt, enthält aber enge Kanäle und flache Stellen, weshalb größere Schiffe sie nur schwer passieren können. Die nördliche Route erstreckt sich von der Baffin-Bucht über die McClure-Straße zur Beaufortsee. Sie bietet eine direktere Linie und ist besser für Frachtschiffe geeignet, wird aber (derzeit noch) häufig durch Eis blockiert.55 Die NWP ist ähnlich unzureichend kar­tiert wie die NSR, sie hat zudem eine noch schlech­tere Infrastruktur und schwierigere Eisbedingungen. Wie in der russischen Arktis dominiert der Verkehr innerhalb nationaler Gewässer, und es betätigen sich meist Firmen und Schiffe des eigenen Landes.56

Erstmals durchquerte der norwegische Polar­forscher Roald Amundsen die NWP auf einer drei­jährigen Reise von 1903 bis 1906. Heutzutage findet ein Wettbewerb um den schnellsten Transit statt. Zu­letzt benötigte der finnische Eisbrecher Nordica im Juli 2017 nur 24 Tage, um die 6 000 Seemeilen vom kana­dischen Vancouver bis zum grönländischen Nuuk zu absolvieren. Neben Frachtern nutzen während der Sommermonate zunehmend Passagier- und Kreuzfahrtschiffe die legendäre Amundsen-Route. Dabei hat sich der Schiffsverkehr in der kanadischen Arktis zwischen 1990 und 2015 verdreifacht.57

Die USA sehen die Nordwestpassage als internationale Wasserstraße, die zwei Meeresräume – Atlantik und Nordpolarmeer – verbindet und Schiffen zur Transitfahrt offensteht. Kanada dagegen betrachtet die Route als innere Wasserstraße, die von ihm als Küstenstaat überwacht, reguliert und kontrolliert wird (ähnlich wie Russland dies im Fall der NSR tut). Im Arctic Cooperation Agreement fanden USA und Kanada 1988 einen Kompromiss. Die NWP wurde nicht offiziell als kanadisch anerkannt, doch haben US-Schiffe um Durchfahrtsgenehmigung zu ersuchen. Seit Juli 2010 müssen sich alle Schiffe, die in kanadi­sche Hoheitsgewässer einfahren, bei der nationalen Küstenwache anmelden – was laut US-Außenminis­terium auch geschieht.58

Transpolare Passage

Der kürzeste Seeweg führt transpolar quer durch den Arktischen Ozean über den Nordpol. Während Nord­ost- und Nordwestpassage die territorialen Gewässer oder die ausschließliche Wirtschaftszone Russlands bzw. Kanadas tangieren, führt ein Großteil der Trans­polaren Passage über die Hohe See und damit durch internationale Gewässer (gemäß Art. 87 SRÜ). Sie kann derzeit aber nur von schweren Eisbrechern oder Unterseebooten befahren werden, ist also noch keine Alternative zu den beiden Küstenrouten.

Schon Mitte der 2040er Jahre könnte die Arktis »eisfrei« sein. Dann gewinnt besonders diese Route durch das zentralarktische Meer an Attraktivität. Es wird vermehrt Kreuzfahrten zum Nordpol geben, und neben China dürften andere asiatische Staaten wie Japan und Indien die Transpolare Passage als Transit­route nutzen.

Die arktischen Passagen im Vergleich zu Panamakanal und Suezkanal

Generell haben die arktischen Seewege den Vorteil, dass sich damit potentielle politische Unruheherde sowie Risiken durch Terrorismus und Piraterie um­gehen lassen, wie sie den Schiffsbetrieb über Panama- und Suezkanal beeinträchtigen können. Zugleich bie­ten alle drei Passagen durch die Arktis beispielsweise für die Strecke Yokohama-Hamburg oder Schanghai-Hamburg kürzere Schifffahrtswege als der Suezkanal. Die Transpolare Passage wäre dabei am kostengüns­tigsten. Dagegen gilt die Nördliche Seeroute wegen des hohen bürokratischen Aufwands und der Transit­kosten, die bei der Nutzung anfallen, nur als margi­nal besser als die Nordwestpassage. Die arktischen Seewege eröffnen aber nicht generell kostengünstigere und kürzere Verbindungen. So ist zwar der Seeweg von London nach Yokohama durch die Nordostpassage mit 13 841 Kilometern rund 7 500 Kilometer kürzer als derjenige durch den Suezkanal, doch der Seeweg von Marseilles nach Singapur ist durch die Nordostpassage über 11 000 Kilometer länger als jener über den Suezkanal und die südostasiatische Malakka-Straße. Von Mittelmeerhäfen wie Marseilles oder Gioia Tauro in Kalabrien (dem größ­ten italienischen Containerhafen) ist Asien schneller über Nordwestpassage oder Suezkanal erreichbar.

Tabelle 1 Entfernungen zwischen Häfen über verschiedene Routen (in Kilometern, kürzester Weg jeweils hervorgehoben)

Route

Panamakanal

Nordwestpassage

Nordostpassage

Suezkanal und Malakka-Straße

London–Yokohama

23 300

15 930

13 841

21 200

Marseilles–Yokohama

24 030

16 720

17 954

17 800

Marseilles–Singapur

29 484

21 600

23 672

12 420

Rotterdam–Singapur

28 994

19 900

19 641

15 750

Rotterdam–Schanghai

25 588

17 570

15 793

19 550

Hamburg–Seattle

17 110

15 270

13 459

29 780

Rotterdam–Vancouver

16 350

14 330

13 445

28 400

Rotterdam–Los Angeles

14 490

15 790

15 252

29 750

Gioia Tauro–Hongkong

25 934

24 071

21 556

14 093

Barcelona–Hongkong

25 044

23 179

20 686

14 693

New York–Schanghai

20 880

17 030

19 893

22 930

New York–Singapur

23 580

20 310

23 121

18 770

Quelle: Svend Aage Christensen, Are the Northern Sea Routes Really the Shortest? Maybe a Too Rose-coloured Picture of the Blue Arctic Ocean, Kopenhagen: Danish Institute for International Studies (DIIS), März 2009 (DIIS Brief), S. 2.

Im jeweiligen Einzelfall ist die tatsächliche Entfernung davon abhängig, welcher Hafen als Ausgangs- bzw. Zielpunkt genommen wird. Außerdem können Containerschiffe im offenen Wasser mit einer Ge­schwindigkeit von bis zu 16 Knoten und Tanker bis zu 19 Knoten fahren – dagegen nur mit 12 Knoten in eisbedeckten Gewässern. Dies schmälert die Zeit­ersparnis auf arktischen Routen.59

Eine stärkere Nutzung von Nordostpassage und Nördlicher Seeroute wäre möglich, wenn sie als inter­nationale Schifffahrtsrouten befahrbar wären. Weiter abnehmendes Meereis würde dies für den äußeren Teil dieser Korridore im offenen Nordpolarmeer, außerhalb russischer Hoheitsgewässer (Outer North­ern Sea Route), sowieso ermöglichen. Klare Vorteile verspricht nur die Route über den Nordpol, weil sie noch kürzer ist und die Gewässer dort tiefer sind.

Der Panamakanal hat dank neuer Schleusen, die 2016 in Betrieb gegangen sind, ein Rekordvolumen erzielt. 2017 wurde er von 12 000 Schiffen durchquert. Auch der Suezkanal soll erneuert werden; ge­plant ist, seine Transportkapazität zu verdoppeln. 2017 durchfuhren ihn 17 550 Schiffe. Nach der vor­gesehenen Vertiefung und Verbreiterung des Kanals wird er von Schiffen mit einer Ladung von bis zu 25 000 Containern befahren werden können.60 Er wird daher für viele weitere Jahre seine Rolle als Hauptknotenpunkt des maritimen Verkehrs behalten. Bei solchen Zahlen und Aussichten bieten arktische Seewege keine überzeugende Alternative für Fahrten zwischen Asien und Europa. Bislang steigt hier denn auch nur die Zahl der Transporte innerhalb kanadischer und russischer Gewässer weiter an.

Einen optimistischen Blick in die Zukunft eröffnet jedoch das Großhafenprojekt im isländischen Finna­fjord. Diese tiefe und gut geschützte Bucht im Nord­osten der Insel soll zu einem Drehkreuz für Trans­porte auf den Routen durch das Nordpolarmeer aus­gebaut werden. Vorgesehen ist eine Kailänge von bis zu sechs Kilometern. Nach Plänen der isländischen Regierung soll die deutsche Hafenmanagementfirma Bremenports 66 Prozent der Anteile am Finnafjord Port Project erhalten. Die Rede ist von einem Investi­tionsvolumen in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar. Das Projekt ist allerdings umstritten und kommt zu früh, denn noch kann Island kaum seine wachsende Zahl an Touristen bewältigen. Ähnlich vorschnell wie die NSR als neuer Suezkanal gepriesen wird, gilt dieser Hafen schon als »neues Rotterdam«. Vorzeitig gescheitert ist das »Yen for Ice« genannte Projekt des chinesischen Milliardärs Huang Nubo. Der ehemalige Propagandachef der Kommunistischen Partei Chinas wollte in Island 300 Quadratkilometer Land an einem besonders geschützten, eisfreien Fjord erwerben. Um dies zu verhindern, wandte Reykjavik die Regelungen zum Immobilienkauf durch Ausländer an.61

Das Interesse an den arktischen Passagen ist aber nicht allein auf deren Eignung als Seeweg zurückzuführen. Vielmehr wirken Klimawandel, Ressourcennutzung und Großmachtkonkurrenz als Treiber einer Entwicklung, mit der auch die sicherheitspolitische Bedeutung dieses Raumes steigt.

Treiber des Wandels

Das schmelzende Eis des Nordpolarmeers wirkt nicht nur als Frühwarnsystem des Weltklimas,62 es macht die Arktis auch zu einem Indikator für den Wandel in der internationalen Sicherheitspolitik. Die globale Erwärmung ist der Katalysator einer dynamischen Entwicklung, welche die bislang praktizierten For­men der Zusammenarbeit verändert. Je weniger arkti­sches Eis es gibt und je besser sich daher die dortigen Seewege nutzen lassen, desto stärker machen etab­lierte Arktisstaaten wie Russland und die USA sowie die aufstrebende Großmacht China ihre jeweiligen Ansprüche geltend und desto mehr geraten sie in Konkurrenz zueinander. Daraus resultierenden Inter­essenkonflikten und potentiellen Krisen gilt es vor­zubeugen.63

Klimawandel

Die Veränderungen des Klimas treiben die Entwicklung der Arktis in vielfacher Hinsicht voran. Wär­mere Temperaturen lassen das Eis schmelzen, ermög­lichen eine zunehmende Nutzung arktischer Seewege und gestatten die Ausbeutung bislang unzugänglicher Ressourcen. Der Klimawandel64 war programmatischer Schwerpunkt des vergangenen finnischen Vor­sitzes im Arktischen Rat. Auch Islands Vorsitz (2019–2021) steht unter dem Einfluss der rapiden Umweltveränderungen, die eine enge Zusammenarbeit der Staaten und ihrer Bevölkerung in der Region notwen­dig machen.65

Aus der Statistik der Klimaforscher ist längst eine fühlbare Realität geworden. Der Sommer 2019 war laut World Meteorological Organization (WMO) der fünftwärmste Sommer in Folge. Russland registrierte im Februar 2020 den wärmsten Winter seit Beginn der regulären meteorologischen Beobachtungen vor 140 Jahren.66 Die Temperaturen in der Arktis steigen – regional unterschiedlich – zwei- bis dreimal so stark wie im globalen Durchschnitt; sie haben in den letzten Jahren alle früheren Rekorde seit 1900 übertroffen.67 Als Folge der Eisschmelze wurde am 15. September 2012 die bislang geringste Eisausdehnung von 3,27 Millionen Quadratkilometern fest­gestellt.68 Was aktuelle Daten betrifft, so hat sich die Eisbedeckung im Februar 2020 nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) vergleichbar zu den letzten Jahren entwickelt. Am 9. März lag sie mit 14,74 Millionen Quadratkilometern innerhalb der Standardabweichung der Jahre 1981–2010. Das Jahr 2020 einbegriffen, beläuft sich der lineare Rückgang der Meereisausdehnung im Monat Februar bei 2,7 Pro­zent pro Jahrzehnt. Das entspricht etwa 41 100 Qua­dratkilometern pro Jahr – rund die doppelte Fläche von Sachsen-Anhalt. In den letzten 42 Jahren, seit­dem es Satellitenaufzeichnung gibt, hat die Arktis (bis Februar 2020) 1,56 Millionen Quadratkilometer an Meereis verloren. Dies ist vergleichbar mit der Größe der Mongolei.69 Abbildung 4 zeigt das Minimum der Meereiskonzentration am 15. September 2019 (3,27 Millionen Quadratkilometer) im Vergleich zur durchschnittlichen Entwicklung der Meereiskonzen­tration in den Jahren 1981–2010. Das Maximum der Meereiskonzentration am 15. März 2019 umfasste 14,69 Millionen Quadratkilometer.70

Im Juni und Juli 2019 gab es in Alaska, Grönland und Sibirien mehr als 100 Brände. Auslöser war, dass sich der Torf entzündet hatte, der den Permafrost­boden und damit große Mengen gefrorener organischer Materie bedeckt. Diese arktischen Feuer lassen sich mit dem Klimawandel erklären und wirken ihrerseits auf ihn zurück. Von Juni bis August 2019 haben die Brände mit mehr als 180 Megatonnen CO2 so viel Klimagas abgegeben wie ganz Schweden in dreieinhalb Jahren.71 Dass die Permafrostböden auf­tauen, lässt zudem große Mengen der Klimagase Methan und CO2 in die Atmosphäre gelangen, was eine wei­tere Erwärmung und somit die Erosion gro­ßer Küsten­gebiete mit sich bringt.72

Die direkten Folgen des Klimawandels für die Meere charakterisierte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in einem Bericht von 2006. Das Meer werde »zu warm, zu hoch, zu sauer«. Die Erwärmung und Versauerung der Meere sowie ein Anstieg des Meeres­spiegels seien bereits messbar.73 In der Arktis wiede­rum erhöhte sich die Temperatur des Meerwassers besonders stark.74 »Bei ungebremster Erwärmung«, konstatierte der WBGU-Bericht, werde der Arktische Ozean gegen Ende dieses Jahrhunderts im Sommer »praktisch eisfrei« sein. Allerdings könne dies auch schon früher eintreten.75 Denn schrumpft das Meer­eis, verringert sich das Rückstrahlvermögen der Erde, was die Wärmeaufnahme im Nordpolarmeer erhöht. Die polare Amplifikation76 hat eine Kettenreaktion zur Folge – die Eisschmelze im Frühjahr beginnt immer eher, und im Herbst friert das Wasser immer später zu.

Bestätigt wurden die negativen Trends in einem Sonderbericht des Weltklimarates von 2019, der sich dem Einfluss der Erderwärmung auf Ozeane und Eisgebiete widmete. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass die arktische Eisfläche in allen Monaten des Jahres weiter zurückgehen wird. Dabei hat sich die durchschnittliche Dicke des Meereises in den letzten 30 Jahren bereits von über drei Metern auf unter zwei Meter verringert. Altes Eis, also einige Jahre ältere Schichten, die vom Schnee aus dem zurückliegenden Winter bedeckt sind, verschwindet zunehmend. Zwischen 1979 und 2018 sind so etwa 70 Prozent des Eisvolumens während des Sommerminimums ab­geschmolzen.77 Der US-Klimaforscher Mark Serreze, Direktor des National Snow and Ice Data Center (NSIDC), hat diese Entwicklung als »Todesspirale« be­zeichnet.78 Denn damit droht das bisherige thermodynamische und klimatische System mit großer Kälte und ewigem arktischen Eis zu Ende zu gehen – vorausgesetzt, der Erwärmungstrend kehrt sich nicht um, wofür die bisherige Datenlage spricht.

Eine »eisfreie Arktis« mit einer Eiskonzentration von weniger als einer Million Quadratkilometern gilt im frühesten Fall schon in den 2020er Jahren als zeit­weilig möglich, realistisch aber für die Phase 2044–2067.79 Im Winter wird sich weiter Eis bilden, weil die Temperaturen dann nach wie vor deutlich unter den Gefrierpunkt fallen. Und im Sommer werden Eis­schollen und Eisberge durch die Gewässer treiben und die Schifffahrt behindern. Das nimmt dem Rück­gang des Sommereises nichts von seiner Dramatik, relativiert aber die Annahme, in der Arktis werde die Schifffahrt erleichtert. Vielmehr können die Erwärmungseffekte sogar die Bedingungen verschlimmern – durch stärkere Winde, höhere Wellen und mehr Eisdrift. Die umrissene Entwicklung in der Arktis wird unabhängig davon erwartet, ob die globale Er­höhung der Durchschnittstemperatur gemäß Pariser Klimaschutzabkommen unter 2 Grad Celsius gehalten werden kann.80

Ressourcennutzung

Das schmelzende Polareis macht das Nordpolarmeer zunehmend schiffbar und fossile Lagerstätten, Mine­ralien und Fischbestände zugänglich. Etwa 10 Prozent der globalen Ölproduktion und 25 Prozent der Erdgas­förderung erfolgen in der Arktis, bislang größtenteils zu Land in Alaska und Sibirien.81 Es wird angenommen, dass sich in der Arktis 13 Prozent der weltweit vorhandenen noch unerschlossenen Öllagerstätten und 30 Prozent der entsprechenden Gasreserven be­finden.82 Der Großteil der Ölvorkommen, nämlich geschätzte 75 Prozent in der gesamten Arktis, wird auf See (offshore) vermutet. Dabei befinden sich 90 Prozent der potentiellen US-Lagerstätten in weni­ger als 100 Metern Tiefe.83 Allerdings sind Offshore-Exploration und -Förderung wegen niedriger Welt­marktpreise derzeit wenig attraktiv, zumal Risiken und technische Komplexität mit der Wassertiefe und der Entfernung zur Küste steigen. Außerdem fallen Projekte in der russischen Arktis unter die 2014 gegen Moskau verhängten Sanktionen.

Offshore-Projekte zählen zu den ersten Opfern sin­kender Preise auf dem Öl- und Gasmarkt. Als früherer Spitzenreiter bei der Durchführung arktischer Vor­haben stellte Shell seine Aktivitäten weitgehend ein, nachdem im Herbst 2015 eine Exploration in Alaska enttäuschende Resultate gebracht hatte. Aus einem erfolgversprechenden Explorationsprojekt mit der russischen Rosneft in der Karasee zog sich der US-Konzern Exxon Mobil wegen der Sanktionen 2014 zurück. Aus diesem Grund wurden auch weitere Pro­jekte eingestellt bzw. auf einen Zeitraum nach 2030 verschoben.84 Dass Präsident Trump die Öl­industrie begünstigt, dürfte daran nichts Grundlegen­des ändern, zumal wegen der globalen Klimaveränderungen der öffentliche Druck auf Banken, Investmentfonds und Firmen wächst.

Das Schmelzen des Meereises wird auf absehbare Zeit keinen »Goldrausch« auslösen, denn die Bedingungen in der Arktis bleiben widrig.

Ähnliches gilt für Gold und die Palette der Edel­metalle, für Diamanten und seltene Erden. Auf­grund der widrigen Bedingungen wird das schmelzende Meereis in absehbarer Zeit keinen neuen »Gold­rausch« hervor­rufen. Zwar kann die Förderung fossi­ler Brennstoffe in Alaska den künftigen Energie­bedarf der USA abdecken, was ein dauerhaftes Inter­esse Washingtons an der Arktis garantiert.85 Zudem hat China, der weltgrößte Energiekonsument, einen »fast unbegrenzten« Bedarf an verflüssigtem, tief­kaltem Erdgas (LNG). 86 Dies sichert langfristig russi­sche Staatseinnahmen. Doch arktische Seewege – darunter speziell die Nördliche Seeroute – werden erst dann von diesem Trend profitieren, wenn Trans­portkosten und Rohstoffpreise korrelieren. Zudem hängt das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Rechnung da­von ab, welche politische und strategische Bedeutung den arktischen Wegen zugesprochen wird. China bei­spielsweise dürfte deren geopolitische Relevanz lang­fristig mindestens ebenso hoch einschätzen wie den wirtschaftlichen Nutzen.

Je besser arktische Räume zugänglich sind, desto mehr Aufmerksamkeit erhalten Territorialfragen. Sogar neues Land kann sichtbar werden, wie im Som­mer 2019, als die russische Marine die Entdeckung von fünf Inseln in Franz-Josef-Land bestätigte, die bis­her von Gletschern verborgen waren. Sie liegen klar im Hoheitsgebiet des Küstenstaates Russland. Ähnlich eindeutig ist die Zuordnung von Rohstoffvorkommen, die sich größtenteils in unstrittigen Landgebieten oder auf den Schelfen befinden.87 Nur ein kleiner Teil des arktischen Meeresbodens und des Meeresuntergrunds liegt jenseits nationaler Hoheitsbefugnisse und ist gemäß SRÜ »gemeinsames Erbe der Menschheit«. Wie groß dieser Anteil ausfällt, hängt nicht zuletzt von der Kommission zur Begrenzung des Fest­landsockels (FSGK) ab. Sie ist das zentrale Gremium, wenn es zu bestimmen gilt, innerhalb welcher Gren­zen die Anrainerstaaten die natürlichen Ressourcen des Meeresbodens und des Meeresuntergrunds exklu­siv erforschen und nutzen können. Die Kommission gibt Empfehlungen ab, aufgrund derer ein Küstenstaat seinen Festlandsockel über die seerechtlich als Regelfall vorgesehene Maximalgrenze von 200 See­meilen hinaus ausdehnen kann. Das Interesse der Küstenstaaten liegt naturgemäß darin, die Kontrolle über eigene Territorien zu festigen und den Festlandsockel zu erweitern. Bislang konkurrieren sie nicht, sondern arbeiten auf Grundlage des Seerechts zusam­men, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Schließlich liegt ein großer Teil des Meeresbodens innerhalb der Territorialgewässer – was schätzungsweise bis zu 95 Prozent der unentdeckten Öl- und Gasvorkommen abdeckt. Eine Ausnahme bilden Nutzungsrechte auf dem Festlandsockel von Spitzbergen, die zwischen Norwegen und Russland strittig sind, was im Februar 2020 zu einer diplomatischen Beschwerde Moskaus führte.88

Russland hat 2001 gemäß Artikel 76 SRÜ die An­erkennung eines Festlandsockels beantragt, der sich über 200 Seemeilen hinaus erstreckt. Im August 2007 unternahm das Land eine spektakuläre Polarmission, mit der bewiesen werden sollte, dass der Sibirien vor­gelagerte, 1 800 Kilometer lange Lomonossow-Rücken (ein partiell auch von Dänemark und Kanada bean­spruchtes Unterseegebirge) die natürliche Fortsetzung des russischen Festlandes sei. Dabei wurde von Bord eines U‑Boots aus eine russische Flagge in über 4 000 Metern Tiefe auf den Meeresboden gesetzt. Die Krim-Annexion von 2014 verdeutlichte im Nachhinein, wie brisant solche symbolischen Handlungen in der Arktis sind. Aufgrund der Daten, die Russland 2015 und 2019 an die FSGK übergeben hat, kann Moskau theoretisch ein Gebiet von 1,2 Millionen Quadrat­kilometern beanspruchen (Kopenhagen wiederum mit 895 000 Quadratkilometern ein Gebiet etwa der 20-fachen Größe des eigenen Landes).89

Kritisch werden die mit Dänemark und Kanada konkurrierenden Gebietsansprüche Russlands, sobald die Kommission ihre Empfehlung abgibt; dann müs­sen die drei Länder eine politische Regelung finden. Dabei ist fraglich, ob in diesem Gebiet überhaupt Rohstoffe vorkommen und ob deren Offshore-Förde­rung rentabel wäre.90 Die USA können Anspruch auf das Alaska vorgelagerte Kontinentalschelf erheben, das eine Größe etwa des Bundesstaats Texas hat, sind aber nicht dem SRÜ beigetreten. Der Kommandeur der US-Küstenwache, Admiral Paul F. Zukunft, wies im Mai 2018 darauf hin, dass China an demselben Gebiet interessiert sei und es als »globales Gemeingut« betrachte.91 Gebietsansprüche, die aufgrund vermuteter Ressourcen erhoben werden, können so die Groß­machtkonkurrenz verschärfen und die Relevanz der Arktis im Sinne einer »Versicherheitlichung« erhöhen.92

Großmachtkonkurrenz

In der Arktis ist nicht nur der Klimawandel am deut­lichsten bemerkbar, dort wird auch der Wandel in der internationalen Sicherheitspolitik besonders gut sichtbar. Die Trump-Regierung lässt sich außenpolitisch – neben wirtschaftlichen Interessen – von der Vorstellung einer Großmachtkonkurrenz leiten. In ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie von Dezember 2017 erklären die USA, dass China und Russland als revisionistische Akteure die regionalen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verändern wollten.93 Die Krim-Annexion durch Russland 2014 und die anhal­tenden Kämpfe in der Ostukraine haben auch regio­naler Kooperation und Sicherheit in der Arktis nach­haltig geschadet. Für Russland und China bleibt dieser Raum geopolitisch wichtig. Moskau will die Arktis nutzen, um den eigenen Großmachtstatus zu erhalten, und Peking wiederum, um ihn zu vergrößern. In diesem Kontext wäre theoretisch ein stärke­res Engagement der USA zu begrüßen, nachdem sie die Region jahrzehntelang vernachlässigt haben. Doch statt potentielle Konflikte um die Arktis ein­zuhegen, versucht Washington, andere Staaten auszugrenzen. Dadurch wird die Kooperation in der Arktis weiter beschädigt, die bislang auch zu Zeiten politischer Spannungen in hohem Maße gepflegt wurde. Die damit einhergehende Polarisierung der Beziehungen erschwert es, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten – die nötig wären, damit sich die vom Klimawandel verursachten Veränderungen bewältigen lassen.

Wenn es jemals einen »arktischen Exzeptionalismus« gegeben hat, so ist seine Zeit offensichtlich zu Ende.

Zugleich sind Russland und China treibende Kräfte der Großmachtkonkurrenz. Nach jahrelangem Des­interesse sucht Washington nun in der Arktis den Einfluss Russlands zu begrenzen und Chinas Ambitio­nen zurückzudrängen. Solche Versuche der Eindäm­mung und Ausgrenzung irritieren allerdings andere Arktisstaaten ebenso wie Staaten mit Beobachter­status im Arktischen Rat. Außerdem fällt der Vor­wurf, Moskau und Peking militarisierten das Polar­gebiet, auf die Trump-Administration zurück. Wenn es jemals einen »arktischen Exzeptionalismus« gege­ben hat,94 so ist dessen Zeit offensichtlich zu Ende. Die Arktis ist keine Region fernab aller Konflikte mehr, sondern zunehmend selbst der Ort wider­streitender Interessen.

Im Folgenden wird die Arktis­politik der drei maßgeblichen Großmächte auf Unterschiede und Gemein­samkeiten in politischer, wirtschaftlicher und militä­rischer Hinsicht untersucht. Dem geht jeweils eine geographische Ver­ortung voraus.

Vereinigte Staaten von Amerika: Die widerwillige Arktismacht

Alaska ist mit einer Ausdehnung von 1,7 Millionen Quadratkilometern die flächenmäßig größte Exklave der Welt.95 Seitdem die USA das Territorium 1867 für 7,2 Millionen Dollar von Russland erworben haben, sind auch sie ein Arktisstaat. Im Osten grenzt Alaska an Kanada, im Westen an das Beringmeer, im Norden an das Nordpolarmeer und im Süden an den Golf von Alaska. Die USA und Russland sind an der engsten Stelle der Beringstraße nur 85 Kilometer voneinander entfernt. Nach Ende des Kalten Krieges spielte die Arktis für Washington zunächst keine Rolle. Doch die sich verschärfende Großmachtrivalität, zusammen mit dem Abschmelzen des Meereises, hat die Wahr­nehmung verändert. In der Trump-Administration gewinnt die Arktis »relative Priorität«.96 Entsprechend hat US-Außenminister Pompeo sie zur geopolitisch bedeutsamen »Arena« im Kampf um Macht und Ein­fluss erhoben97 und das »neue Zeitalter strategischen Engagements in der Arktis« ausgerufen.98 Doch ist ungewiss, ob diese Wertschätzung in der Trump-Administration andauern wird und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Diffuse Erwartungen, Vernachlässigung gegenüber anderen Regionen und ein widerwilliges Engagement charakterisierten ab Anfang der 1990er Jahre die US-Arktispolitik. Nachdem im Verhältnis zu Russland eine neue Atmosphäre von Offenheit und Koopera­tion entstanden war, setzte Präsident Bill Clinton in einer Direktive von Juni 1994 große Hoffnung auf »bisher nicht gekannte Möglichkeiten der Zusammen­arbeit zwischen den Arktisstaaten«.99 Danach jedoch wurde zehn Jahre lang keine amerikanische Arktis­politik mehr artikuliert. Die Regierung von George W. Bush erlaubte im Februar 2008 die Ölsuche in der Tschuktschen-See, ein für seine reiche Tierwelt be­kanntes Gebiet zwischen Alaska und Sibirien, in dem allerdings auch Rohstoffe vermutet werden. Doch waren die Ergebnisse von Probebohrungen ent­täu­schend.100 Bush gab im Januar 2009 zum Ende der Amtszeit mit seiner Arktis-Direktive101 ebenso wenig Anlass zu größerem Engagement wie zuvor Clinton; die USA blieben auf Distanz.

Auch Barack Obama legte erst in der zweiten Amts­periode die Ziele seiner Arktispolitik fest. In einem Strategiepapier für die Region formulierte seine Administration 2013 als Ziele, die arktische Infrastruktur auszubauen und die internationale Kooperation zu stärken. Eine verantwortungsvolle Nutzung der arktischen Öl- und Gasressourcen wurde als wich­tiger Beitrag zur nationalen Energieversorgung be­zeichnet. Die Arktis sollte ein »konfliktfreies Gebiet« bleiben. Eine wichtige Rolle wurde dem Arktischen Rat zugewiesen. Er sollte die Zusammenarbeit »inner­halb seines gegenwärtigen Mandats« fördern – wobei Themen militärischer Sicherheit nicht Teil dieses Mandats sind.102 Als Washington den Vorsitz im Rat für die Periode 2015–2017 übernahm, wurde mit Admiral a.D. Bob Papp erstmals ein US-Arktisbeauf­tragter ernannt. Doch insgesamt war die Bilanz so bescheiden wie das Engagement. Obamas Arktis­strategie ergänzte lediglich frühere Direktiven, und erfolglos wurde versucht, den Kongress zur Bewilligung neuer Eisbrecher zu bewegen. Das Pentagon konstatierte im Dezember 2016, dass die Arktis ein Gebiet der Kooperation bleibe (was in Moskau als Verdienst der Obama-Regierung gilt), selbst wenn es »Reibungen« mit Kanada und Russland wegen der Seewege gebe.103

Donald Trump unterscheidet sich von seinem Amtsvorgänger auch darin, dass er dem Pariser Klima­schutzabkommen den Rücken gekehrt hat. Dabei ist weniger relevant, inwieweit er – einmal mehr, ein­mal weniger – den Klimawandel leugnet. Statt eine weltweite Abkehr von fossilen Energieträgern zu unterstützen, verfolgt Trump seit Beginn seiner Prä­sidentschaft einen national geprägten Ansatz der Karbonisierung, der seiner »America First«-Strategie und vor allem den Wünschen seiner Wählerschaft entspricht (»Trump Digs Coal«). Deshalb will er ark­ti­sche Ressourcen stärker ausbeuten und weniger schützen, und aus demselben Grund bezeichnete er Obamas »Clean Action Plan« als schädlich und un­nötig. Emissionen werden also nicht reduziert, son­dern mit der beabsichtigten Öl- und Kohleförderung weiter erhöht.104 Im März 2019 erließ Trump ein Dekret, nach dem 52 Millionen Hektar bisher ge­schützter Gebiete im Atlantik und in der Arktis für Offshore-Bohrungen freigegeben werden sollten. Im August 2019 – während Brände in Alaska, Grönland und Sibirien wüteten – wies er den US-Landwirt­schaftsminister an, im Tongass National Forest 3,8 Millionen Hektar Fläche vom Abholzungsverbot auszunehmen. Das ist mehr als die Hälfte dieses ge­mäßigten Regenwaldes im Südosten Alaskas (weltweit der größte noch intakte seiner Art). Bislang versuchte die Trump-Administration, 85 Umweltschutzregeln aufzuheben. 53 dieser Vorstöße hatten Erfolg, andere dauern an oder scheiterten vor US-Gerichten.105

Die Arktis-Strategie des Pentagon von 2019 weicht eklatant vom kooperativen Ansatz früherer US‑Regierungen ab.

Erstmals in der Geschichte des Arktischen Rates wäre im Mai 2019 eine Sitzung fast ohne Abschlusserklärung zu Ende gegangen, weil die US-Delegation unter Leitung von Pompeo den Begriff Klimawandel ablehnte. Stattdessen wurde ein inhaltsarmer Text veröffentlicht.106 Auf der Versammlung des Arctic Circle107 in Reykjavik im Oktober 2019 betonten meh­rere Redner, es sei notwendig, Emissionen zu redu­zieren, damit sich die schlimmsten Folgen des Klima­wandels eindämmen ließen. US-Energieminister Rick Perry hingegen pries dort in Trumpscher Manier das »unglaubliche Energiepotential« der Arktis und be­hauptete, der Ausstoß von Treibhausgasen sei in den USA zwischen 2005 und 2018 »dramatisch« zurückgegangen – tatsächlich ist er 2018 gestiegen.108

Sicherheitspolitisch beginnt unter Trump die Groß­machtrivalität den Umgang mit der Arktis zu prägen. In der Nationalen Sicherheitsstrategie 2017 wurde die Region nur einmal beiläufig und in der offenen Fassung der Verteidigungsstrategie 2018 gar nicht erwähnt. Die im Juni 2019 veröffentlichte Arktis-Strategie des Pentagon jedoch weicht eklatant vom früheren kooperativen Ansatz ab; sie richtet gleich eingangs den Fokus auf »China und Russland als zen­trale Herausforderung für langfristige Sicherheit und Wohlstand der USA«. Die Arktis sei, so heißt es in Diktion des Kalten Krieges, »ein potentieller Vektor für einen Angriff auf das US-Heimatgebiet«109 – was mit Blick auf die nuklear bewaffneten U‑Boote der russischen Nordflotte nicht neu ist, in Zukunft aber auch für chinesische U‑Boote gelten könnte.110 Die Umsetzung der Strategie erfordert umfangreiche Maß­nahmen, vor allem bei der US-Luftwaffe. Arktische Stützpunkte müssen erhalten und ausgebaut werden. Bislang ist aber unklar, ob das Pentagon bereit ist, die dafür notwendigen Gelder zu investieren.111 Auch die amerikanische Küstenwache sieht die regelbasierte Ordnung durch Russland und China herausgefordert, wie es in einem umfangreichen Strategiepapier von April 2019 heißt. Im Vergleich dazu legte die US-Marine einen ungewöhnlich kurzen Ausblick vor; darin bewertete sie das von den beiden Ländern her­vorgerufene Konfliktrisiko als gering.112

Das Netzwerk an Alliierten und Partnern wird vom Pentagon als größter strategischer Vorteil der USA in der Region und als Eckstein der eigenen Strategie betrachtet. Dem läuft vordergründig der Versuch Trumps zuwider, dem Nato-Verbündeten Dänemark Grönland abzukaufen. Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen wies dies als »absurde« Idee zurück. Einmal abgesehen von internationaler Ord­nung und Völkerrecht hätte schließlich Nuuk (und nicht Kopenhagen) gemäß Autonomiestatus darüber zu entscheiden, ob Grönland Teil der USA würde.113 Tatsächlich ist Trumps Begehren darauf zurückzuführen, dass die Insel und der Stützpunkt in Thule für die USA außerordentlich wichtig sind. Aus geostrategischer Perspektive liegt Grönland an der Spitze Nord­amerikas; die raumbeherrschende Rolle der Insel wird umso brisanter, als sie ihre Unabhängigkeit anstrebt und zugleich China hier eine wachsende Präsenz zeigt.114 Peking interessiert sich für Grönland als Teil der polaren Seidenstraße; im Blick sind dabei sowohl Flughäfen als auch die ehemalige Marinebasis Grøn­nedal. Eine »kleine und schwache grönländische Nation« könne künftig das »wichtigste Glied für die erfolgreiche Umsetzung der polaren Seidenstraße« sein, heißt es in einem Papier chinesischer Arktis­forscher. Pompeo erinnerte in diesem Kontext an Chinas Vorgehensweise im indo-pazifischen Raum, die darin besteht, kleinere Staaten durch Überschuldung ab­hängig zu machen.115 Grönland verfügt auch über große Lagerstätten seltener Erden, deren welt­weite Produktion bereits zu über 80 Prozent von China dominiert wird.116

Mit Blick auf Russland hat die US-Marine im Juli 2018 ihre 2. Flotte reaktiviert, deren Aufmerksamkeit während des Kalten Krieges den sowjetischen See­streitkräften im Nordatlantik galt. Das neue Einsatzgebiet umfasst nun auch die Arktis; temporäres Operationszentrum ist das isländische Keflavik.117 Wie im Pazifik werden »Freedom of Navigation«-Operationen (FONOP) in arktischen Gewässern von amerikanischer Seite als sinnvoll erachtet.118 Das betrifft die von Kanada und Russland beanspruchten Seewege, die beide Länder als innere Gewässer an­sehen und nicht als internationale Wasserstraßen. Dabei kritisiert Washington speziell die restriktive Politik, die Moskau verfolgt. Auch das Szenario kon­kurrierender Fischfangflotten wurde als Einsatzgrund für FONOP genannt, zumal Fälle illegalen Fischfangs im Norden zunehmen.119 Seit Jahren wird darüber diskutiert, in der am Beringmeer gelegenen Stadt Nome einen neuen Tiefseehafen zu schaffen, der Küs­tenwache und Marine der USA von Alaska aus eine dauerhafte Präsenz in der Arktis ermöglichen würde. Derzeit ist die amerikanische Küstenwache in der Beringstraße nur wenig präsent, obwohl der Schiffsverkehr in der Meerenge mit inzwischen mehr als 400 Durchfahrten pro Jahr stark zugenommen hat.120 Außerdem ließe sich die 1997 deaktivierte Militär­basis auf der Aleuten-Insel Adak wieder zur Seeraum­überwachung nutzen.121

Die USA verfügen bislang nur über einen einzigen schweren Eisbrecher, um in der Arktis zu navigieren.122 Der erste von sechs neuen Eisbrechern (Polar Security Cutter, PSC) soll 2024 ausgeliefert und mög­licherweise bewaffnet werden.123 Darüber hinaus unterhält die National Science Foun­dation (NSF) – eine unabhängige Behörde der US-Regierung – drei Forschungsschiffe mit eisbrechender Fähigkeit.124

Washingtons vergleichsweise entspannte Haltung zur Arktis ist darin begründet, dass die USA aufgrund ihrer geographischen Lage einen natürlichen Vorteil gegenüber Ländern wie China oder Russland haben. Atlantik, Pazifik und Arktis bieten eine Sicherheit, die nur ein ebenbürtiger Konkurrent auf der atlantischen oder pazifischen Gegenküste bedrohen kann. Arkti­sche Sicherheitsfragen spielten daher lange keine wichtige Rolle in der US-Verteidigungspolitik. In einem Bericht der US-Marine von 2014 wurde bei den Strategiezielen für die Arktis bis 2030 die militärische Sicherheit nicht einmal erwähnt.125 Doch angesichts der Großmachtrivalität hat hier in Strategiedokumenten wie in der Praxis ein Wandel eingesetzt. Im Rah­men der Nato-Übung »Trident Juncture« 2018 war die 6. US-Flotte erstmals seit 1991 wieder in arktischen Gewässern aktiv. Deutlich wurde so die fortdauernde Präsenz der Allianz im hohen Norden. Schließlich gehören die Arktisstaaten Dänemark, Island, Kanada und Norwegen allesamt der Nato an; Schweden und Finnland sind durch Übungen und Einsatzplanung eng mit ihr verbunden.

Unverändert wichtig bleibt die Arktis aus amerikanischer Sicht für strategische Abschreckung und Verteidigung.126 Ballistische Raketen aus Russland erreichen Ziele in den USA am schnellsten, wenn sie das Nordpolarmeer (über Grönland) überfliegen oder von dort starten, und U-Boote als Trägersysteme sind unter der Eisdecke relativ sicher vor Entdeckung. Da­her trainieren amerikanische U-Boote alle zwei Jahre im Rahmen der Übung ICEX (Ice Exercise) die U-Boot-Jagd. Im März 2018 geschah dies nach zehnjähriger Pause wieder zusammen mit der britischen Marine. Davon abgesehen unterhält die US-Marine eine mini­male Präsenz in der Region. Noch sei keine weitere Flotte für die Arktis nötig, aber man solle darüber nachdenken, meinte US-Admiral a.D. Stavridis. Die schon heute durch weltweit verstreute Einsatz­gebiete geforderte US-Marine müsste dann wohl mehr als die geplanten 355 Schiffe umfassen – und einige davon noch eisverstärkt.127

Diplomaten nordischer Länder, die Washingtons Desinteresse an der Arktis lange moniert haben, sind nun über das aggressive Auftreten der USA in Gestalt ihres Außenministers besorgt. Schwedens ehemalige Chefdiplomatin Margot Wallström kritisierte den »traurigen und gefährlichen« Ansatz der amerikanischen Arktispolitik, der die jahrzehntelange Kooperation gefährde. Außerdem sei Sicherheitspolitik nie ein Thema des Arktischen Rates gewesen, und dabei solle es bleiben.128 Washington hat in dieser Hinsicht eine Wende vollzogen: Pompeo bemängelte, der Rat habe sich bisher den Luxus erlaubt, nur Themen aus Wissenschaft, Kultur und Umwelt zu behandeln. Nun gewinne das Polargebiet rapide an Bedeutung, so der Außenminister, daher träten die USA in eine »neue Ära strategischen Engagements in der Arktis«. Als Gründe dafür, dass Amerikas Sicherheit und Präsenz in der Region verstärkt werden müssten, nannte er chinesische Investitionen und »Russlands destabilisierende Aktivitäten«. Auch enthielt 2019 der jährliche Bericht des Pentagon zur Militärmacht der Volks­republik erstmals einen Abschnitt, in dem vor einer wachsenden Präsenz Chinas in der Arktis gewarnt wird.129

In einer arktischen Variante der »America first«-Politik grenzt die US‑Regierung andere Staaten von der Region aus.

Bislang jedoch gibt es kaum Anlass für Konflikte. In der noch offenen Frage der Anerkennung des Fest­landsockels tangieren die russischen Ansprüche an keiner Stelle amerikanisches Territorium, allerdings Gebietsansprüche von Verbündeten der USA. Zu­gleich drohen Ansätze, die bislang praktizierte Kooperation fortzusetzen, an der Polarisierung der Beziehungen zu scheitern. Noch 2018 haben die USA und Russland den Schiffsverkehr in Beringstraße und Beringmeer einvernehmlich geregelt.130 Da dieser weiter zunimmt, wäre Washington gut beraten, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Derzeit aber erscheint dies ebenso unmöglich wie eine Rückkehr der USA zum Pariser Klimaschutzabkommen.

Die Trump-Administration leugnet den Klima­wandel, doch erst damit verbundene Folgen – länger offene Seewege, stärkere Nutzbarkeit von Ressourcen und wachsende Großmachtkonkurrenz – haben in Washington das neue Interesse an der Arktis geweckt. Andere Staaten werden nun in einer arktischen Vari­ante der »America first«-Politik ausgegrenzt. Sinn­voller wäre ein umsichtiger Kurs der Einbindung, der eine nachhaltige Entwicklung der Arktis fördern würde. Wie sich absehen lässt, werden durch den ver­stärkten Abbau fossiler Energieträger weitere Schäden für das Weltklima und für eine nachhaltige Kooperation im Polargebiet entstehen. Die USA navigieren mit Volldampf in die Arktis, treiben dort aber nur die Ölförderung voran, während der Aufbau notwendiger Fähigkeiten zur Umsetzung einer engagierten Regio­nalpolitik vernachlässigt wird.131

Russische Föderation: Der unsichere Hegemon

Alaska ist für die USA eine weit entfernte Exklave, während Sibirien für Russland eine wichtige, mys­tisch überhöhte Bedeutung hat.132 Sibirien umfasst den größten Teil des asiatischen Territoriums der Russischen Föderation. Die sibirische Küstenlinie ist 24 140 Kilometer lang – über die Hälfte der gesamten arktischen Küste sowie zwei Drittel der russischen Küste von 37 653 Kilometern.133 Russland verfügt in der Arktis über den größten Anteil an Territorium, Ressourcen und indigener Bevölkerung, weshalb das Land als »arktischer Hegemon« bezeichnet wurde.134 Allein die herausragende Position unter den Arktisstaaten sichert aber noch keine Herrschaft, und das historisch begründete hohe Sicherheitsbedürfnis Moskaus gilt aufgrund der Veränderungen durch den Klimawandel besonders diesem Raum, zumal Staat und Wirtschaft auf die konstanten Einkünfte aus dem Öl- und Gasgeschäft angewiesen sind.

Für Russland hat die Arktis eine doppelte Funk­tion. Nach außen trägt sie dazu bei, das Ansehen des Landes und seinen Status als Großmacht zu erhalten; nach innen dient sie als strategische Ressource der sozio-ökonomischen Entwicklung. Dabei betont Mos­kau in Anlehnung an die historische Rede Michail Gorbatschows am 1. Oktober 1987 in Murmansk, dass die Arktis als Zone des Friedens und der Kooperation erhalten werden soll.135 Die Nördliche Seeroute gilt als nationaler Transportweg. Aufgrund der hohen Bedeutung und entsprechend der zentralistischen Ordnung des Landes wird die Arktispolitik von Mos­kau aus gesteuert. In diesem Sinne zielt der neue 15‑Jahres-Plan von März 2020 (»Über die Grundlagen der Staatspolitik der Russischen Föderation in der Arktis für die Zeit bis 2035«) auf die sozio-ökonomi­sche Entwicklung mittels arktischer Ressourcen. Da ausländisches Kapital wegen westlicher Sanktionen fehlt, sollen Steuergelder genutzt werden, um private Investitionen in Projekte der Energiewirtschaft auf dem Kontinentalschelf zu unterstützen und die Besiedlung der russischen Arktis zu fördern. Ferner sollen wissenschaftliche und ingenieurtechnische Lösungen erarbeitet werden, um Schäden für die Infrastruktur durch den Klimawandel zu verhindern.136

Russlands Arktispolitik hat, wie die anderer Länder, unterschiedliche Narrative und Facetten, in denen sich industriepolitische, wirtschaftliche und militärische Interessen zeigen. Die zum Teil gegensätzlichen Anliegen – etwa die Betonung nationaler Souveränität auf der einen, die notwendige Inter­nationalisierung der Nördlichen Seeroute auf der anderen Seite – spiegeln sich in einem ambivalenten Verhalten Moskaus. Es enthält konfrontative wie kooperationsorientierte Elemente, begünstigt also je nach Lage der Dinge politische Konkurrenz oder prak­tische Zusammenarbeit.137 Zentrale Bedeutung hat das russische Wirtschaftsmodell, das auf der Nutzung und dem Export fossiler Energieträger basiert. Dabei ist das Land vom Klimawandel besonders betroffen. Die Temperaturerhöhungen sind hier insgesamt zwei­einhalbmal, in Sibirien sogar dreimal so hoch wie im weltweiten Durchschnitt. Putin erklärte im Juni 2019 beim G20-Gipfel in Osaka, sein Land wolle die Ziele des Pariser Abkommens verwirklichen. Moskau nutzt das Thema, um sich von Washington abzugrenzen und als verantwortungsvoller Akteur darzustellen.138 Dies dürfte nichts daran ändern, dass fossile Energieträger – wie die besonders klimaschädliche Kohle – in Russland verstärkt gefördert werden.139 Aber prin­zipiell ist Moskau an politischer Stabilität und Koope­ration in der Arktis interessiert. Denn bei Erschließung und Förderung neuer Öl- und Gaslagerstätten ist Russland abhängig von ausländischen Investitionen, Erfahrungen und Technologien, und die Zeit­räume zwischen Entdeckung und Produktion sind in der russischen Arktis (offshore) mit durchschnittlich 28,5 Jahren extrem lang.140

Die russische Arktis verfügt über ein gewaltiges wirtschaftliches Potential, denn hier befinden sich reiche Lagerstätten von Kohle, Erdöl und Erdgas, aber auch von Diamanten, Gold, Nickel, Kobalt, Kupfer, Palla­dium, Platin, Zink sowie seltenen Erden. Schon heute werden fast 60 Prozent der exportierten Roh­stoffe Russlands in Sibirien gefördert. Üppige Lager­stätten werden auf dem Sibirien vorgelagerten Lomo­nossow-Rücken im Nordpolarmeer vermutet. Doch um sie aufzuspüren und zu fördern, wären »ungeheure In­vestitionen erforderlich, die auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich sein können«, so Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh­stoffe.141 Annähernd alle Erdgaslager­stätten befinden sich vor der Küste, größtenteils in einer Tiefe von über 500 Metern. In der Arktis lagern 80 Prozent von Russlands nachgewiesenen abbau­baren Gasmengen. Das gibt diesem Raum eine exis­ten­tielle Bedeutung für das Land; knapp 60 Prozent des gesamten russi­schen Exports entfielen 2018 auf Erdöl, Ölprodukte und Gas. Moskau will 20 bis 30 Pro­zent der Ölproduktion bis 2050 offshore fördern, um die Erschöpfung anderer Quellen zu kompensieren.142 Doch bei sin­kenden Preisen auf dem Öl- und Gas­markt ist die teure, risikoreiche und langwierige För­derung vor der Küste wirtschaftlich kaum rentabel.

Russland benötigt internationale Zusammenarbeit und ausländisches Kapital, damit es sein arktisches Potential entfalten kann.

In den nächsten Jahren sind hohe Investitionen nötig, um die veraltete Infrastruktur Russlands in der Arktis zu erneuern, um dort neue Lagerstätten zu erschließen, die Rohstoffe zu verarbeiten und sie zu transportieren. Damit es sein arktisches Potential ent­falten kann, benötigt Moskau internationale Zusam­menarbeit und ausländisches Kapital. Doch zeigen die Sanktionen Wirkung, die 2014 gegen den russischen Energie­sektor verhängt wurden.143 China, das von Russland anstelle westlicher Partner umworben wird, kann nur begrenzt die erforderliche Technologie (etwa zur seis­mischen Erkundung von Ölfeldern in der Barentssee) und das dafür notwendige Kapital zur Verfügung stel­len. Insbesondere will Moskau die eigene Kontrolle über Öl- und Gasfelder nicht ein­schränken und keine fremde Beteiligung an strategisch bedeutsamer Infra­struktur zulassen. Chinas »Hafen­diplomatie« im indo-pazifischen Raum dient dabei als warnendes Beispiel. Dort gerieten Staaten durch chinesische Kredite in Abhängigkeit von Peking und übereigneten dann chinesischen Staatsunterneh­men ganze Häfen oder Teile davon.144

Um die Schifffahrtswege frei zu halten, verfügt Russland mit 46 Schiffen über die weltweit größte Eisbrecher-Flotte, darunter vier nuklear betriebene Schiffe. Nach 40-jähriger Pause hat das Land jüngst neue Eisbrecher gebaut, wie Ilya Muromets (6 000 Ton­nen) und Arktika (33 500 Tonnen). Außerdem ist der Bau »militärischer Eisbrecher« geplant: Die Ivan Papanin (Projekt 23 550) soll mit hyperschallschnellen Marschflugkörpern, einem Raketenabwehrsystem und einer 76-Millimeter-Kanone ausgerüstet werden.145 Das erste, von Rosatom betriebene Pilotschiff der neuen Lider-Klasse nuklearbetriebener Eisbrecher soll ab Dezember 2027 gewährleisten, dass die russi­sche Arktis ganz­jährig für Frachtschiffe zugänglich ist. Drei solcher Schiffe sollen ab 2030 die Nörd­liche Seeroute gegenüber dem Suezkanal konkurrenzfähig machen. Insgesamt ist vorgesehen, 40 neue Schiffe bis 2035 fertigzustellen – ein ambitionierter Plan, den manche als Ergebnis politischer Rhetorik und infla­tionärer Bedrohungsvorstellungen erachten.146

Sicherheitspolitisch können viele militärische Maß­nahmen Russlands auf sein Selbstverständnis als Großmacht und damit auf das Verhältnis zu den USA und den Nato-Staaten zurückgeführt werden. Dabei bildet die Arktis ein wichtiges Element in Moskaus Gesamtstrategie. Der Schutz der langen Küste wurde bislang durch die extremen Klimabedingungen ge­währleistet, die als natürliche Barriere wirkten. Wenn sich nun das »ewige Eis« auflöst, weckt dies verständliche Besorgnisse. Russland erhält gewissermaßen neue Außengrenzen, die es vor einem potentiellen Aggressor zu schützen gilt. Amerikanische oder chinesische Kriegsschiffe könnten theoretisch einen Angriff von Osten her durch die Beringstraße starten bzw. im Falle der USA auch aus dem Westen über Basen auf Grönland, Island und Norwegen. Der Rück­gang des Eises öffnet so eine neue, vierte Angriffsfront.147 Außerdem wächst die politische und wirt­schaftliche Bedeutung der russischen Arktis. Wert­volle Terminals zur Förderung von Öl und Gas sind aus russischer Sicht per se potentielle Angriffsziele, die es zu verteidigen gilt. Viele der ab 1990 geschlossenen Stützpunkte aus Sowjetzeiten wurden daher reaktiviert, zudem neue Basen errichtet. Moskau ist nach wie vor der Anrainer mit den meisten und am besten für die Arktis geeigneten Einsatzmitteln. Das Militär dient indes häufig als Ersatz für man­gelnde oder zu teure Fähigkeiten ziviler Art. Seine Prä­senz muss also kein Anzeichen für ein expansives Vorgehen sein.148 Allerdings war 2018/2019 ein Anstieg militärischer Aktivitäten Russlands in der Region zu verzeichnen. Dazu gehörten simulierte Luftangriffe auf Radaranlagen im norwegischen Vardø und der Einsatz von GPS-Störsendern gegen Finnland, außerdem verstärkte U-Boot-Patrouillen. Zuletzt passierten im Oktober 2019 zehn russische U‑Boote die Norwegensee auf ihrem Weg in den Nord­atlantik – der größte derartige Einsatz seit dem Kalten Krieg.149

Russlands Position als Seemacht soll gemäß seiner Marine-Doktrin gestärkt werden; als Schwerpunkt vorgesehen sind dabei Arktis und Atlantik. Die Nörd­liche Seeroute soll den Zugang zu Atlantik und Pazi­fik gewährleisten.150 Dabei genießt die Nordflotte auf der Kola-Halbinsel für Moskau »absolute Priorität«; sie soll die dort stationierten, mit ballistischen Raketen bestückten Unterseeboote des Landes und damit zwei Drittel seiner maritimen nuklearen Zweitschlagfähigkeit sichern.151 Das aus Sowjetzeiten reaktivierte Bas­tionskonzept sieht dafür einen Schutzraum vor, der sich über die Barentssee bis nach Island (und damit zur »GIUK-Lücke«)152 erstreckt. Der eigenen Flotte soll im Konfliktfall der Zugang zum Atlantik gesichert, anderen wiederum ein Vordringen zur russischen Arktis verwehrt werden. Zum Schutz von Bastion und Flotte wurde schon 2007 die sowjetische Praxis der Langstreckenflüge über der Arktis wiederaufgenommen, im Jahr darauf folgten Patrouillen der Nord­flotte entlang der Nördlichen Seeroute. Neue Luft­abwehrraketen wurden 2019 bei Nowaja Semlja in der Barentssee stationiert sowie eine hyperschallschnelle Rakete getestet. In Verbund mit mobilen S‑350-Flugabwehrsystemen sollen im Rahmen einer Abhaltestrategie (Anti-Access/Area Denial – A2/AD) die Stützpunkte auf Franz-Josef-Land, Sewernaja Semlja, den Neusibirischen Inseln, Nowaja Semlja und der Wrangel-Insel geschützt werden. Die Reich­weite des Gesamtsystems deckt alle Inseln und Archi­pele entlang der Nördlichen Seeroute ab.153

Zwar zeigt Russland ein defensives Verständnis der Arktis, doch ist es im Konfliktfall auf eine rasche Eskalation vorbereitet.

Russland zeigt zwar ein defensives Verständnis der Arktis, ist im Konfliktfall aber auf eine rasche Eskala­tion vorbereitet, die zur Verteidigung der Bastion154 auch offensive Operationen – darunter die Eroberung von Teilen Nordskandinaviens – beinhalten kann.155 Die häufigen Manöver und Übungen dienen als Ausweis und Selbstversicherung gegenüber relativ überlegenen Nato-Streitkräften.156 Dieses Vorgehen hat jedoch nordische Nachbarstaaten verunsichert; dadurch steigt das Risiko unbeabsichtigter Eskalation.

2021 wird Moskau den Vorsitz im Arktischen Rat übernehmen. Angesichts der wachsenden Bedeutung sicherheitspolitischer Themen sollte Russland spätes­tens dann eingeladen werden, wieder am Arctic Secu­rity Forces Roundtable (ASFR) teilzunehmen, an dem es seit 2014 wegen der Krim-Annexion nicht mehr beteiligt ist. Alternativ könnten die Arktisstaaten eine neue Arbeitsgruppe einrichten, die sich mit Fragen militärischer Sicherheit befasst.157 Es gilt den Dialog wieder herzustellen und die Transparenz zu erhöhen, um Missverständnissen – und damit Eskalations­risiken – vorzubeugen. Dazu könnten Verhaltens­regeln (Code of Conduct) hilfreich sein.158 Russland kann seine Herrschaft über die Arktis nur mit großem Aufwand und hohen Kosten gewährleisten, und ob die Zukunft der Region tatsächlich Moskau gehört, ist eine offene Frage.159 Der Hegemon ist unsicher – auch mit Blick auf China.

Volksrepublik China: Der ambitionierte »Fast-Arktisstaat«

Der Geographie zum Trotz versteht sich China als »Near-Arctic State«. Wie Peking im Weißbuch zur Arktis von Januar 2018 erklärte, sei die Volksrepublik eines der Länder, die am nächsten am Polarkreis liegen, und daher von Veränderungen in der Arktis direkt betroffen.160 Außerdem verweist China auf sein langjähriges Engagement in der Region, das bis zur Unterzeichnung des Spitzbergenvertrags 1925 zurück­reicht. Das Land hat bislang acht wissenschaftliche Expeditionen im Nordpolarmeer durchgeführt und betreibt seit 2003 Forschung mit der Station Yellow River auf Spitzbergen. Pekings Interesse an den arkti­schen Schifffahrtswegen erklärt sich maßgeblich aus dem Bestreben, die maritime Seidenstraße im Mittel­meer mit der polaren Route zu verknüpfen. China nimmt hydrographische Untersuchungen in der Region vor, um zur Verbesserung von Navigation, Sicherheit und Logistik beizutragen und so bei der Formulierung von Regeln für arktisches Navigieren mitwirken zu können. Zu diesem Zweck wollen chinesische Wissenschaftler und Schifffahrtsinstitu­tionen bei der Entwicklung polarer Navigation und Hardware zusammenarbeiten.161 Noch ist China bei der arktischen Navigation auf russische Unterstützung und Ausbildungshilfe angewiesen (und scheut dabei auch nicht vor Spionage zurück). In Zukunft will es sich als unentbehrlicher Akteur etablieren. Dazu ist Peking auch diplomatisch in den Ländern des Nordens sehr aktiv; in Reykjavik verfügt die Volksrepublik über die größte aller Botschaften. Das chinesische Weißbuch betont dabei die Regeln und Ergebnisse arktischer Governance (Arktischer Rat, Seerechtsübereinkommen, Polarkodex, Fischerei­abkommen).162

Als »polare Großmacht«163 hat China geopolitische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und strategische Interessen. Im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) gilt das Nordpolarmeer – nach dem Landkorridor durch Zentralasien und dem indo-pazifischen See­weg bis in das europäische Mittelmeer – als dritter wichtiger Korridor. Dabei steht die eigene Versorgungssicherheit im Mittelpunkt. Der Seeweg durch die Arktis ermöglicht chinesischen Warenverkehr, ohne dass Schiffe den Engpass der Straße von Malak­ka passieren müssen, die im Konfliktfall blockiert werden kann.164 Das BRI-Projekt schien zunächst Russland zu umgehen, doch vereinbarten der chine­sische Präsident Xi Jinping und der russische Minister­präsident Dmitri Medwedew im Juli 2017, eine arkti­sche Seidenstraße (»Ice Silk Road«) zu schaffen. Durch ein Kreditabkommen wurden dafür 9,5 Milliarden US‑Dollar für Infrastrukturprojekte entlang der Nörd­lichen Seeroute zur Verfügung gestellt.165

Allerdings ist dieses Ergebnis sino-russischer Kooperation aus der Not geboren, in die sich Moskau 2014 durch die Krim-Annexion gebracht hat. Aus chinesischer Sicht sind die internationale Isolation Russlands und die gegen das Land verhängten Sank­tionen dafür verantwortlich, dass Moskau seine ursprünglich ablehnende Haltung gegenüber der BRI und einer chinesischen Beteiligung an der NSR hinter sich ließ. Zuvor hatte Russland chinesische Aktivitäten in der Arktis zu verhindern gesucht und die Opposition angeführt, die sich dagegen regte, China als Beobachter beim Arktischen Rat zuzulassen.166 Insofern handelt es sich in der Arktis nicht um eine planmäßige sino-russische Zusammenarbeit, sondern um ein pragmatisches Handeln, das Pekings aktuellen Plänen für die Region zu entsprechen und mit den Vorstellungen Moskaus zur Entwicklung der russi­schen Arktis übereinzustimmen scheint. Im beider­seitigen Interesse liegt etwa die sozio-ökonomische Entwicklung der arktischen wie fernöstlichen Gebiete Russlands und der nordöstlichen Provinzen Chinas (Heilongjiang und Jilin), keineswegs aber das militäri­sche Element des chinesischen Engagements.

Chinas Interesse an Arktis-Seewegen hat auch geostrategische Gründe – es geht um eine Ausweichroute für Suezkanal und Malakka-Straße.

Der erste Transit eines chinesischen Frachtschiffs durch die Nordostpassage im September 2013, die Errichtung permanenter Forschungsstationen durch die Volksrepublik und die regelmäßige Präsenz des Eisbrechers Schneedrache (Xue Long) in der Region illustrieren die wachsende Bedeutung der Arktis für China.167 Der in der Ukraine gebaute Schneedrache ist seit 1994 im Einsatz. Schneedrache 2 ist der erste Eis­brecher, der in China selbst gebaut wurde; dies geschah mit finnischer Hilfe. Im Oktober 2019 fuhr er zur Jungfernfahrt in die Antarktis. Ein weiteres Schiff ist im Bau, zudem soll ein nuklear betriebener Eisbrecher entwickelt werden.168 Im Lauf des Jahres 2018 fuhren zehn Schiffe der staatlichen COSCOL-Schifffahrtsgesellschaft vierzehnmal durch die Arktis. Sie sparten dabei nach chinesischen Angaben viel Zeit (220 Tage), Treibstoff (6 948 Tonnen) und Kosten (9,36 Millionen US-Dollar). Einige der Fahrten wurden mit dem neuen Trio eisgängiger Frachtschiffe durch­geführt.169 Die Masse des chinesischen Ferngüter­handels wird jedoch absehbar weiterhin jenseits der Arktis verschifft werden; arktische Seewege dürften erst in Zukunft einen höheren Anteil am Gesamt­außenhandel aufweisen.170 China ist an diesen See­wegen aber nicht nur aus ökonomischen Gründen interessiert. Es sucht auch aus geostrategischen Moti­ven eine Ausweichroute für Suezkanal und Malakka-Straße, um die Transportwege zu diversifizieren und die eigene Versorgungssicherheit zu erhöhen – wobei gesicherte Versorgungswege im Konfliktfall auch militärisch nützlich sind.

China ist weltweit führend in der Infrastruktur für Erdgasbetankung, und der Bedarf an Gas nimmt wei­ter zu: 2020 sollen 10 Prozent, 2030 dann 15 Prozent der nationalen Energieversorgung durch Gas gedeckt werden.171 Seit 2013 hat Peking systematisch seine diesbezüglichen Aktivitäten erhöht und in die russi­sche Arktis investiert. Ein Vertrag zwischen der China National Petroleum Corporation (CNPC) und dem russischen Unternehmen Rosneft erlaubt die Erkun­dung von Feldern in der Barentssee; CNPC ist zugleich Partner von Russlands größtem privaten Gasproduzenten Novatek. China profitierte von den Sanktionen, die infolge der Krim-Annexion gegen Russland verhängt wurden. Es konnte russische Pläne zur Diversifizierung ausländischer Beteiligungen unter­laufen, allerdings nicht die aufgrund der Sanktionen fehlende Expertise und Technologie ersetzen. CNPC besitzt nun einen Anteil von 20 Prozent am Jamal-Projekt, einem der weltweit größten LNG-Vorhaben; der chinesische Seidenstraßen-Fonds hält weitere 9,9 Prozent daran.172 15 eisgängige LNG-Tanker wer­den mit chinesischer Beteiligung für den Transport gebaut. In einem symbolischen Akt war China 2018 das erste Ziel einer LNG-Lieferung über die Nördliche Seeroute (allerdings wurde das Gas dann von einer britischen Firma an den französischen Energie­konzern Engie verkauft, der es nach Boston in den USA verschiffte). An einem weiteren russischen Pro­jekt, Arctic LNG 2, sind wiederum CNPC und Chinas Entwicklungsbank beteiligt. Ab 2024 sollen vom Ter­minal auf der Gydan-Halbinsel jährlich 20 Millionen Tonnen Flüssiggas über die NSR exportiert werden – mit einer Steigerung auf 37 Millionen Tonnen 2025 und auf 55 bis 70 Millionen Tonnen 2030.173 Dabei schafft sich Moskau mit der neuen Gaspipeline »Kraft Sibiriens«, über die jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas aus Nordostsibirien bis nach Schanghai fließen sollen, selbst Konkurrenz für die NSR. Als einziger Käufer am Ende der teuren Pipeline kann Peking die Preise diktieren.174 Moskau wirbt daher um andere Investoren, darunter Japan und Indien, als asiatisches Gegengewicht zu China.

Weil oft unklar ist, welche Absichten hinter den chinesischen Aktivitäten stecken, finden sie verstärkt Aufmerksamkeit im Kontext des Arctic Investment Protocol (AIP). Auf amerikanischer Seite wird ver­mutet, dass Peking ähnlich wie im indo-pazifischen Raum vorgeht (»Hafendiplomatie«). Der Vergleich zwischen Arktis und Südchinesischem Meer175 er­scheint dabei auf den ersten Blick weit hergeholt; er ist aber keineswegs abwegig, was Chinas Verhalten gegenüber anderen Staaten betrifft. Dänemark und die USA haben beschlossen, in Grönland »strategisch zu investieren«, nachdem im September 2018 die Pläne chinesischer Investoren zum Ausbau von drei Flughäfen auf der Insel bekannt geworden waren.176 China engagiert sich besonders in kleineren und nichtalliierten Staaten wie dem Nicht-EU-Land Island oder dem Nicht-Nato-Land Finnland. So kann es in einer fragmentierten politischen Landschaft seine Interessen stärker zur Geltung bringen. Größere und wohlhabendere Arktisstaaten wie Dänemark, Norwe­gen und Schweden zeigen sich mittlerweile kritisch gegenüber China.177 So wurde im dänischen Parlament ein »Investitionsscreening« für kritische Infra­struktur gefordert. Zuvor soll Pekings Botschafter gegenüber der Regierung der zur dänischen Krone gehörenden Färöer damit gedroht haben, ein Frei­han­delsabkommen werde platzen, wenn nicht der chine­sische Telekommunikationskonzern Huawei das 5G‑Netz auf den Inseln aufbauen dürfe – was die Regierung ablehnte.178 In einem 128 Seiten umfassen­den Bericht norwegischer Geheimdienste (»Fokus 2020«) wird China aus ähnlichen Gründen 177 Mal erwähnt.179 Die bilateralen Beziehungen Schwedens zur Volksrepublik haben sich so verschlechtert, dass Oppositionsparteien im Stockholmer Parlament for­derten, den chinesischen Botschafter auszuweisen.180

Moskau ist gegenüber Peking ebenfalls in einer schwierigen Lage. Einerseits will die russische Füh­rung über jedes chinesische Engagement im eigenen Umfeld bestimmen. Andererseits verhindert ein solcher Dominanzanspruch jegliches Zugeständnis, wenn mit chinesischer Hilfe die Infrastruktur für die Nördliche Seeroute entwickelt werden soll, um sie kommerziell besser nutzen zu können (im Südchinesischen Meer beansprucht Peking allerdings ähnlich exklusive Rechte gegenüber Moskau).181 Langfristig dürfte China daher versuchen, die NSR zu umgehen und durch die Transpolare Route als internationalen Schifffahrtsweg zu ersetzen – mit Grönland als wich­tigem Element der Infrastruktur- und Ressourcen­politik. China setzt weniger auf den Ausbau der russi­schen Seeroute als auf eine Anbindung der Arktis an das eigene Seidenstraßenprojekt (BRI). Es investiert zwar in die russische Arktis, baut zugleich aber eigene Eisbrecher und eisgängige Schiffe, so dass es künftig selbständiger im Nordpolarmeer navigieren kann. Russland ist auch nicht der einzige Partner in Chinas multilateralem Ansatz, wie das Weißbuch zeigt. Ganz im Gegenteil scheint Pekings Strategie darauf ausgerichtet, exklusive Rechte der Arktisstaaten zu reduzieren und die Region zu internationalisieren.182 Das läuft den Interessen klar zuwider, die Russland als Großmacht und arktischer Hegemon hat. Die bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Peking dürften also in Zukunft komplizierter werden.

Die Rolle des Militärs hat China bei seinen polaren Aktivitäten jahrzehntelang erfolgreich verborgen. Doch sind die Streitkräfte integraler Bestandteil der Ambitionen, die das Land als »polare Großmacht« hegt, und seiner global – auf Arktis wie Antarktis – ausgerichteten maritimen Strategie.183 Dieser umfas­sende Ansatz begründet nicht zuletzt die hohen Investitionen, die Peking während der letzten 20 Jah­re in die Marinerüstung fließen ließ. Die integrale Rolle des Militärs demonstrierten im September 2015 fünf Kriegsschiffe, als sie US-Territorialgewässer vor Alaska in der ersten »Freedom of Navigation«-Opera­tion der chinesischen Geschichte durchquerten.184 Der Übergang zu einer neuen Marinestrategie, in der die beiden Polarzonen als Einsatzgebiet definiert würden, wäre also nur konsequent – ist bislang aber noch nicht offiziell erklärt worden. Der geplante erste nuklear betriebene Eisbrecher Chinas könnte dazu beitragen, eine solche Strategie umzusetzen.185 Dabei hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit Naviga­tion und Kommunikation stets zivile und militärische Bedeutung; das gilt etwa für die BeiDou-2-Satelliten­navigation auf Grönland und Spitzbergen.186

Die sino-russische Kooperation in der Arktis folgt gemeinsamen Wirt­schaftsinteressen – eine militärische Komponente wäre kontraproduktiv.

Aus nuklearstrategischer Perspektive ist die Arktis »Chinas verletzliche Nordflanke«.187 Im Kriegsfall liegen die Flugrouten amerikanischer Interkontinentalraketen mit Ziel China über dem Nordpolarmeer. Ähnlich wie Washington und Moskau hat Peking daher Interesse an Frühwarnsystemen für den arkti­schen Raum; vorstellbar ist für China eine diesbezügliche Rüstungskooperation mit Russland. Dass die Volksrepublik strategische Unterseeboote in russischen Arktishäfen stationiert, ist in diesem Kontext eine »exzentrische Vorstellung«, aber kein völlig absurdes Szenario.188 China könnte mit einer derart garantierten nuklearen Zweitschlagfähigkeit seine Position als globale Militärmacht absichern. Allerdings wäre Moskau damit endgültig zum Juniorpartner Pekings geworden, auch deshalb sind eine sino-russische Allianz und eine so weitreichende Militärkooperation unwahrscheinlich. Die bilaterale Zusammenarbeit in der Arktis wird von gemeinsamen Wirtschaftsinteressen im Energiebereich und in der Infrastruktur dominiert; eine militärische Komponente wäre in der gegenwärtigen Lage für beide Seiten kontraproduktiv.

Doch wenn China sich in wachsendem Maße an arktischen Projekten beteiligt, wird auch die dortige Präsenz der Volksbefreiungsarmee zunehmen. Dabei dürfte Peking jedoch vorsichtig agieren und anders als Moskau weitere Demonstrationen militärischer Stärke vermeiden. Ein anderes Verhalten würde den Interessen der Volksrepublik zuwiderlaufen, die momentan noch primär geopolitisch und ökonomisch ausgerichtet sind.

Bilanz und Perspektiven

Auf absehbare Zeit bieten die arktischen Seewege eine Abkürzung gegenüber den südlichen Schifffahrtsrouten, aber noch keine Alternative dazu. Das schmelzende Meereis macht die Schifffahrt auf den arktischen Passagen möglich, jedoch nicht besser oder gar einfacher als andernorts. Damit sich Schiffe unter derzeitigen Bedingungen in der Arktis ohne Unterstützung eines Eisbrechers einsetzen lassen, müssen eisbrechende Frachtschiffe und Tanker gebaut wer­den. Noch sind die Gesamtkosten zu hoch, als dass diese Routen mit jenen über Suez- und Panamakanal konkurrieren könnten. Vermutlich bleiben die arkti­schen Passagen auf Dauer eine bloße Ergänzung zu diesen traditionellen und gut ausgebauten Schifffahrtsstraßen. Oder in einer nüchternen russischen (inoffiziellen) Einschätzung: Die Nördliche Seeroute wird die internationale Schifffahrt nicht revolutionieren, aber eine spezifische Nachfrage nach bestimmten Typen von Ladung und Zielen erfüllen.189 Außerdem könnte der globale Warenaustausch 2020 wegen der Corona-Pandemie um bis zu ein Drittel einbrechen, was die geringe Zahl arktischer Transitfahrten noch weiter reduzieren dürfte.

Die großen Hoffnungen, die Moskau auf die Nördliche Seeroute setzt, sind nur mit internationaler Unterstützung realisierbar. Auf sich allein gestellt kann Russland nicht einmal die notwendigen Mittel aufbringen, um die Infrastruktur auf dem derzeitigen schlechten Niveau zu halten.190 Der angestrebte »Container-Shuttle« erscheint ebenfalls wenig realis­tisch. Die sino-russische Zusammenarbeit konzen­triert sich in der Arktis auf die Öl- und Gasförderung; der von Moskau erhoffte Ausbau der NSR ist für Peking nur Mittel zum Zweck einer Anbindung an das vorrangige BRI-Projekt. Daher dürfte Moskau auch weiterhin wenig daran interessiert sein, die militärische Kooperation mit Peking auszubauen und die Zusammenarbeit auf arktische Gewässer auszudehnen – dass es jüngst zu einem bilateralen Spionagefall kam, wird im Gegenteil das Vertrauen weiter be­schädigt haben.191 Die russische Marine kann künftig jedenfalls schneller strategische Schwerpunkte mit Nord- und Pazifikflotte bilden, bleibt dabei aber wie die zivile Schifffahrt den widrigen Verhältnissen der Arktis ausgesetzt.192

Die Bedingungen für die Schifffahrt in der Region sind bereits heute schwierig, und sie werden sich durch die Erwärmungseffekte nicht verbessern; auch fehlt es an Infrastruktur. Angesichts dieser Fak­toren dürften sich die arktischen Seerouten mittel­fristig nur relativ zu Rohstoffpreisen und Transportkosten und selbst langfristig nur bedingt zu einer Alternative gegenüber den südlichen Routen ent­wickeln. Solange Panama- und Suezkanal von politi­schen Unruhen, Konflikten oder Terrorismus ver­schont bleiben, bie­ten sie die mit Abstand einfacheren und günstigeren Transportwege. Wichtig sind die nördlichen Seewege für den Verkehr zwischen regio­nalen Ansiedlungen, zur Anfahrt von Rohstofflagerstätten und für Trans­porte von dort zu den entsprechenden Zielhäfen; interessant sind sie auch für Kreuzfahrtschiffe. Doch für den Transitverkehr zwi­schen Asien und Europa werden sie erst unter den Bedingungen einer »eis­freien« Arktis ab den 2040er Jahren relevant und kommerziell attraktiv. In Zeiten des Klimawandels halten Banken, Investmentfonds und Firmen außer­dem demonstrativ Abstand zur Arktis – sowohl aus Gründen der Imagepflege als auch wegen großer Un­sicherheit über die künftige Energiepolitik. Drei der fünf größten Betreiber von Containerschiffen, die Unternehmen Hapag-Lloyd, Kuehne+Nagel und die Mediterranean Shipping Com­pany, haben entschieden, sich vorerst von arkti­schen Schifffahrtswegen fernzuhalten. Investmentbanken wie Goldman Sachs, JPMorgan Chase und die Schwei­zer UBS Group erklär­ten, keine Öl- und Gas­projekte in der Arktis mehr zu finanzieren.193

Anders als vor zehn Jahren vermutet,194 hat die Aussicht auf eine stärkere Nutzung der arktischen Seewege und die Ausbeutung reicher Lagerstätten in der Region zu keinem ruinösen Wettbewerb oder gar zu einem »Kampf um Rohstoffe« geführt. Entscheidend für Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft der Arktis ist, wie sich die globale Nachfrage nach Rohstoffen und deren Preise entwickeln. Letztere wiederum sind ebenso von politischen Entscheidungen für ein investitionsgünstiges Klima abhängig wie von Wetter und Eisbildung. Wenn die Preise für Gas und Öl auf niedrigem Niveau verharren (oder infolge der Corona-Pandemie sogar weiter sinken), sind die direkten und indirekten Kosten für arktische Passagen – vom administrativen Aufwand bis zum Bau von Schiffen und Infrastruktur – in der Regel zu hoch. Noch sind die vorhandenen Lagerstätten und Vorräte groß genug und die Förderbedingungen in der Arktis zu aufwändig, als dass sich ein Streit um arktische Ressourcen lohnt. Vielmehr bedarf es der internationalen Kooperation, um für die Zukunft deren um­weltverträgliche Ausbeutung zu ermöglichen. Außer­dem befinden sich die am leichtesten zugänglichen Lagerstätten zu Lande, und dort gibt es keine Kon­flikte um Grenzziehungen. Im Falle ausschließlicher Wirtschaftszonen liegt ein großer Teil des Meeres­bodens unstrittig in der Souveränität der jeweiligen Küstenstaaten.

Der Klimawandel ist der maßgebliche Treiber von Entwicklungen in der Arktis. Die Erwärmung und das immer stärkere Abschmelzen des Meereises erlauben es, Seewege und Ressourcen besser zu nutzen, was wiederum auf die Klimaveränderungen zurückwirkt. Dabei erscheinen die Auswirkungen des Klima­wandels mancherorts sogar nützlich: »Je schneller die Gletscher schmelzen, desto mehr Aufmerksamkeit findet unser Land«, meinte der ehemalige Industrieminister Grönlands, Jens-Erik Kirkegaard, und er­klärte damit seine Insel zum Profiteur der Umweltveränderungen. »Der Klimawandel ist geradezu eine Gratiswerbung für uns. Es wird immer leichter, Kapi­tal anzuwerben.«195 Allerdings illustriert das Beispiel Grönland auch, dass die Arktis zum Austragungsort der Konkurrenz zwischen Großmächten geworden ist. Selbst wenn das Polargebiet eine Zone der Zusammenarbeit bei Umweltschutz und Seenotrettung blei­ben wird, erhöht der geopolitische »Spillover« zuneh­mend die Rivalität zwischen den Akteuren dort. In den nächsten Jahren dürften jedoch menschliche Sicherheit im Sinne des Schutzes der indigenen Bevöl­kerung sowie maritime Sicherheit mit ihren vielen Facetten (Umgang mit illegaler Fischerei, Havarien, Drogenhandel, Ölverschmutzung) im Vordergrund stehen. Um die damit verbundenen Herausforderungen anzugehen, bedarf es der Kooperation zwischen den arktischen Akteuren.

In der arktischen Großmachtkonkurrenz trifft das traditionell zurückhaltende Interesse Washingtons an der Region auf ein wachsendes Engagement Moskaus und Pekings. Die Gründe für diese Konstellation sind ebenso einfach wie vielfältig. Unter Trump lenkte die Rivalität mit China und Russland den amerikanischen Blick auf die Arktis, während die wirtschaftliche Interessenlage von Angebot und Nachfrage bestimmt ist. Zwar wären die USA jederzeit in der Lage, mittels internationaler Investoren eine Förderung aus arkti­schen Lagerstätten zu betreiben. Doch wegen des weltweit großen Angebots an Öl und Gas müssen sie nicht stärker als bisher auf die Arktis zurückgreifen. Russland dagegen verfügt über zu wenig Mittel, um gleichzeitig die Seewege ausbauen und Ressourcen ausbeuten zu können. Aus Gründen der Regime­stabilität ist Moskau jedoch sehr an einer stärkeren Nutzung der Arktis interessiert. China wiederum hat sowohl die notwendigen Finanzmittel als auch das Interesse und wird sich pragmatisch weiter in der russischen Arktis engagieren. Aufgrund des erheb­lichen finanziellen Risikos müssen hier beide Länder produktive Partnerschaften suchen. Im Gegensatz zu Moskau kann Peking dabei auf Zeit spielen. Insofern bietet die chinesische Arktispolitik eine Chance zur inklusiven Kooperation beim Aufbau regionaler Infra­struktur. Peking sieht das Nordpolarmeer als geo­poli­tisch wichtigen Raum, der langfristig an Bedeutung gewinnt. In der Arktis kann die Volksrepublik ihre globalen Ambitionen austesten; hier lassen sich wei­tere Erfahrungen als See- wie als Ordnungsmacht erwerben. Gerade weil die Arktis nicht so stark regle­mentiert ist wie die Antarktis, bietet sie dafür eine gute Probebühne – was aber wohl in zunehmenden Maße das Missfallen Moskaus hervorrufen dürfte.

Die Governance-Landschaft ist gegenwärtig nicht genügend ausgestaltet, als dass sich neue Risiken und Unsicherheiten, die sich in der Arktis ergeben, inte­griert und vorausschauend innerhalb bestehender Formate angehen ließen. Klimapolitisch wird die MOSAiC-Expedition weitere Erkenntnisse liefern, aus denen Handlungsempfehlungen abzuleiten sein werden.196 Zusätzlicher Regelungsbedarf entsteht für die arktische Schifffahrt, weil sich die jährliche Zeit­spanne verlängert, in der das Nordpolarmeer eisfrei und somit für den Schiffsverkehr ohne Eisbrecher befahrbar ist. Wenn weitere Maßnahmen und regio­nalspezifische Regeln ausbleiben, bringt die zunehmende Schifffahrt große Risiken für die indigene Bevölkerung und die Ökosysteme mit sich. Das Verbot von Schweröl für die arktische Schifffahrt ab 2024 stimmt etwas zuversichtlich, belässt aber zu viele Ausnahmen, unter anderem für die Nördliche See­route.197

Wie will die Bundesregierung geopolitischen Span­nungen in der Region begegnen sowie Interessen­konflikten und potentiellen Krisen dort vorbeugen? Soll sich im Sinne der Leitlinien deutscher Arktispolitik die Nato stärker mit entsprechenden sicherheitspolitischen Implikationen befassen? Fragen militärischer Sicherheit in der Arktis sind ohne Beteiligung Russlands nicht sinnvoll zu diskutieren. Zwar argu­mentiert etwa der norwegische Arktisbeauftragte Bård Ivar Svendsen, der Dialog mit Russland im Arkti­schen Rat sei nur deshalb (noch) gut, eben weil die Sicherheitspolitik dort nicht Gegenstand der Beratun­gen ist.198 Dennoch sollte sich Berlin dafür einsetzen, Moskau wieder an einem Dialog über Fragen militä­rischer Sicherheit im hohen Norden und in der Arktis zu beteiligen. Ob dafür eine neue Arbeitsgruppe des Arktischen Rates sinnvoll wäre, obliegt zuvorderst den Arktisstaaten selbst. Nützlich könnten arktische Verhaltensregeln (Code of Conduct) sein, um die Transparenz zu erhöhen und destabilisierende Ent­wicklungen zu verhindern. Aber darüber hinaus gibt es viele gute Gründe für eine Reaktivierung des Dia­logs mit Moskau.199 Generell müssen eine etwaige stärkere Rolle der Nato mit Blick auf russische Sicher­heitsinteressen vorsichtig kalibriert und Veränderungen klar kommuniziert werden. Kontroversen einzel­ner Staaten mit Kanada und Russland wegen national beanspruchter Seewege werden andauern, müssen aber zu keinen Konflikten führen, solange sie diplo­matisch gehandhabt werden und die Freiheit der Schifffahrt nicht erzwungen wird.

Wie im Falle der Antarktis gilt in der Arktis, dass eine auf gemeinsamen Normen und Regeln begründete Zusammenarbeit künftigen Wohlstand und Sicherheit gewähren kann. Dagegen schafft Konkurrenzverhalten zusätzliche Herausforderungen und Instabilität, die einen Konflikt verursachen können. Schließlich ist die Arktis keine Region fernab aller Konflikte, sondern zunehmend selbst der Ort wider­streitender Interessen.

Abkürzungen

AC

Arctic Council

AIP

Arctic Investment Protocol

AMAP

Arctic Monitoring and Assessment Programme

AMSA

Arctic Marine Shipping Assessment

ASFR

Arctic Security Forces Roundtable

AWI

Alfred-Wegener-Institut

BGR

Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

BRI

Belt and Road Initiative

CAAA

Chinese Arctic and Antarctic Administration

CHNL

Centre for High North Logistics

CNPC

China National Petroleum Corporation

COSCO

China Ocean Shipping Company

COSCOL

COSCO Shipping Specialized Carriers Company

CSIS

Center for Strategic and International Studies

CRS

Congressional Research Service

DIIS

Danish Institute for International Studies

DoD

U.S. Department of Defense

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FIIA

Finnish Institute of International Affairs

FONOP

Freedom of Navigation Operation

IMO

International Maritime Organization

LNG

Liquefied Natural Gas

MOSAiC

Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate

NSF

National Science Foundation

NSIDC

National Snow & Ice Data Center

NSR

Nördliche Seeroute

NWP

Nordwestpassage

PSC

Polar Security Cutter

RIAC

Russian International Affairs Council

SAR

Search and Rescue

SIPRI

Stockholm International Peace Research Institute

SRÜ

Seerechtsübereinkommen

SZ

Süddeutsche Zeitung

USCG

United States Coast Guard

USNI

United States Naval Institute

VN

Vereinte Nationen

Literaturhinweise

Agne Cepinskyte/Michael Paul

Großmächte in der Arktis. Die sicherheitspoliti­schen Ambitionen Russlands, Chinas und der USA machen einen militärischen Dialog erforderlich

SWP-Aktuell 50/2020, Juni 2020

Michael Paul

Polarmacht USA: Mit Volldampf in die Arktis

SWP-Aktuell 56/2019, Oktober 2019

Endnoten

1

 Janine L. Murray, »Physical/Geographical Characteristics of the Arctic«, in: Arctic Monitoring Assessment Program (AMAP), AMAP Assessment Report: Arctic Pollution Issues, Oslo 1998, S. 9f; Willy Østreng/Karl Magnus Eger/Brit Fløi­stad/ Arnfinn Jørgensen-Dahl/Lars Lothe/Morten Mejlænder-Larsen/Tor Wergeland, Shipping in Arctic Waters. A Comparison of the Northeast, Northwest and Trans Polar Passages, Berlin/Hei­delberg 2013, S. 3–6.

2

 Arctic Council (AC), Arctic Marine Shipping Assessment [AMSA] 2009 Report, April 2009, S. 16, <http://www.pame.is/ images/03_Projects/AMSA/AMSA_2009_report/AMSA_2009_ Report_2nd_print.pdf>; Central Intelligence Agency (CIA), The World Factbook, <https://www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos/xq.html>.

3

 Als Eisklasse wird die Einstufung der Eisfestigkeit von Schiffen bezeichnet, die für eisbedeckte Gewässer konzipiert sind und daher über eine Eisverstärkung verfügen.

4

 International Maritime Organization (IMO), Guidelines for Ships Operating in Arctic Ice-Covered Waters, 2002, G-2.3 und G-3.2.2. Vgl. Østreng u.a., Shipping in Arctic Waters [wie Fn. 1], S. 8.

5

 Republique Française, Ministère des Affaires Etrangères et du Développement International, The Great Challenge of the Arctic. National Roadmap for the Arctic, Paris, Juni 2016.

6

 House of Commons, Environmental Audit Committee, The Changing Arctic. Twelfth Report of Session 2017–19, 29.11.2018, S. 3.

7

 The State Council Information Office of the People’s Republic of China, Full Text: China’s Arctic Policy, 26.1.2018, <http://english.www.gov.cn/archive/white_paper/2018/01/26/ content_281476026660336.htm>.

8

 Vgl. Congressional Research Service (CRS), Changes in the Arctic: Background and Issues for Congress, Washington, D.C., 2.8.2019, S. 62f; Silke Bigalke/Christoph Giesen, »Die Arktisroute könnte die Kräfte im Welthandel verschieben«, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 23.8.2018.

9

Declaration on the Establishment of the Arctic Council, Ottawa, 19.9.1996.

10

 Deutschland, die Niederlande, Großbritannien und Polen (seit 1998), Frankreich (2000), Spanien (2006), China, Indien, Italien, Japan, Singapur, Südkorea (2013) und Schweiz (2017).

11

 Arctic Council, Working Groups, <https://arctic-council.org/index.php/en/our-work/working-groups>; Helga Haften­dorn, The Case for Arctic Governance. The Arctic Puzzle, Reykjavik: Centre for Arctic Policy Studies, 2013, S. 16; Kathrin Keil, »Im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel – Der Arktische Rat als zentrales Forum der Arktiskoopera­tion«, Vortrag, 5.10.2017, in: Leibniz Online, (2018) 31, S. 2, <https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2018/01/ Keil.pdf>.

12

 »Blue Economy« folgt dem Prinzip, gleichzeitig Öko­systeme schützen und Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Vgl. »The Icelandic Businesses’ AEC Chairmanship Priorities«, 5.8.2019, <https://arcticeconomiccouncil.com/the-icelandic-aec-chairmanship-priorities/>.

13

 Agreement on Cooperation on Aeronautical and Maritime Search and Rescue in the Arctic.

14

 Agreement on Cooperation on Marine Oil Pollution, Preparedness and Response in the Arctic.

15

 Agreement on Enhancing International Arctic Scientific Cooperation.

16

 International Agreement to Prevent Unregulated High Seas Fisheries in the Central Arctic Ocean.

17

 Arctic Climate Impact Assessment (ACIA), Impacts of a Warming Arctic, Cambridge: Cambridge University Press, 2004; AMAP, Arctic Pollution 2009, Oslo 2009; AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2].

18

 AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 50–69.

19

2008 Ilulissat Declaration, <https://cil.nus.edu.sg/wp-content/uploads/2017/07/2008-Ilulissat-Declaration.pdf>.

20

 Vgl. David Balton/Fran Ulmer, A Strategic Plan for the Arctic Council: Recommendations for Moving Forward, Cambridge, MA/Washington, D.C.: Belfer Center for Science and Inter­national Affairs/Woodrow Wilson International Center for Scholars, Juni 2019; CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 57–60; Council on Foreign Relations (CFR), Arctic Governance. Challenges and Opportunities, New York, 29.11.2018.

21

 Die USA machten dies zur Voraussetzung für ihre Mitgliedschaft im Arktischen Rat. Vgl. Rob Huebert, United States Arctic Policy: The Reluctant Arctic Power, Calgary: University of Calgary, Mai 2009, S. 12.

22

 ASFR war eine Initiative des U.S. European Command (EUCOM) und des norwegischen Verteidigungsministeriums. Eine weitere Gesprächsrunde bildet die Konferenz der North­ern Chiefs of Defense, der Militärvertreter aus den acht Arktisstaaten angehören. Vgl. CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 56f.

23

 Finnlands damaliger Premier Antti Rinne stimmte Jakobsdottir zu; er wollte dazu auch die EU einbeziehen. Vgl. Siri Gulliksen Tømmerbakke, »Why Finland and Iceland Want Security Politics in the Arctic Council«, in: Arctic Today, 25.10.2019.

24

 Mit 4,32 Millionen Quadratkilometern wurde zu diesem Zeitpunkt die drittgeringste Eisausdehnung in der Arktis seit 1981 festgestellt. National Snow & Ice Data Center (NSIDC), Arctic Sea Ice News & Analysis, 3.10.2019, <https://nsidc.org/ arcticseaicenews/>.

25

 CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 28, 60; Sabena Siddiqui, »Arctic Ambition: Beijing Eyes the Polar Silk Road«, in: Asia Times, 25.10.2018.

26

 Østreng u.a., Shipping in Arctic Waters [wie Fn. 1], S. 13.

27

 James Stavridis, Sea Power. The History and Geopolitics of the World’s Oceans, New York 2017, S. 239.

28

 »The lack of accurate geographical coordinates in the north-south direction leaves it to future politics and inter­national law to delimit them from each other.« Østreng u.a., Shipping in Arctic Waters [wie Fn. 1], S. 13. Vgl. AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 5; Gerd Braune, Die Arktis. Porträt einer Weltregion, Bonn 2016, S. 182–185; Siemon Wezeman, Military Capabilities in the Arctic: A New Cold War in the High North?, Solna: Stockholm International Peace Research In­stitute (SIPRI), 2016 (SIPRI Background Paper), S. 17.

29

 Emmanuel Guy/Frédéric Lasserre, »Commercial Shipping in the Arctic: New Perspectives, Challenges and Regulations«, in: Polar Record, 52 (2016), S. 294–304.

30

 Deutsches Arktisbüro, Schifffahrt in der Arktis, Potsdam, August 2019, S. 2; U.S. Navy, Arctic Roadmap 2014–2030, Washington, D.C.: Chief of Naval Operations, Februar 2014, S. 11.

31

 Selbst wenn Eisbrecher zur Verfügung stehen, haben nur sehr wenige Häfen die notwendige Wassertiefe, die Liegeplätze und Werkstätten, die ein wachsender Schiffs­verkehr erfordert.

32

 Jährlich besuchen Alaska über eine Million Kreuzfahrtpassagiere, Spitzbergen bis zu 50 000, Grönland bis zu 30 000 und die kanadische Arktis bis zu 5 000 Passagiere. Die Zahl der Arktisfahrten soll dabei weiter zunehmen. Allein in der Nordwestpassage stieg die Zahl der Fischerboote von 20 (2005) auf 138 (2017). Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Ocean and Cryosphere in a Changing Climate, Monaco, 24.9.2019, S. 3–41, <https://report.ipcc.ch/srocc/ pdf/SROCC_FinalDraft_FullReport.pdf>; Robbie Gramer, »Stretched Thin on Thin Ice«, in: Foreign Policy, 12.9.2018; Frédéric Lasserre, »Arctic Shipping: A Contrasted Expansion of a Largely Destinational Market«, in: Matthias Finger/Lassi Heininen (Hg.), The Global Arctic Handbook, Cham 2019, S. 83–100 (90).

33

 So die Entfernung zwischen Utqiaġvik (bis 2016: Barrow), der größten Stadt an der Nordküste Alaskas, und dem nächstgelegenen Flughafen der US-Küstenwache in Kodiak. Im Fall des östlichen Teils der Nördlichen Seeroute liegt der nächste Stützpunkt für Such- und Rettungseinsätze (SAR) in Wladiwostok.

34

 Gramer, »Stretched Thin on Thin Ice« [wie Fn. 32]. Vgl. AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 86–89; CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 37–42, 52–55; Michèle Schell, »Vor dreißig Jahren verursachte die ›Exxon Valdez‹ eine der größten Umweltkatastrophen der Seefahrt«, in: Neue Zürcher Zeitung, 24.3.2019; IPCC, Ocean and Cryosphere in a Changing Climate [wie Fn. 32], S. 3–42.

35

 Agreement on Cooperation on Aeronautical and Maritime Search and Rescue in the Arctic.

36

 Die IMO-Mitglieder sind unter anderem zur Einhaltung der Safety of Life at Sea Convention (SOLAS) verpflichtet, die nach dem Titanic-Unglück 1912 etabliert wurde. Vgl. CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 30f.

37

 Gemäß dem geplanten Einsatzgebiet werden Schiffe dazu in drei Eisklassen eingeteilt. IMO, International Code for Ships Operating in Polar Waters (Polar Code), <http://www.imo. org/en/MediaCentre/HotTopics/polar/Pages/default.aspx>; Marzio G. Mian, Die neue Arktis. Der Kampf um den hohen Norden, Wien/Bozen 2019, S. 121.

38

 Rylin McGee, Mapping Russia’s Arctic Hydrocarbon Development Scheme, Washington, D.C.: The Arctic Institute, 18.2.2020, <https://www.thearcticinstitute.org/mapping-russia-arctic-hydrocarbon-development-scheme/>.

39

 Auswärtiges Amt (AA), Leitlinien deutscher Arktispolitik. Verantwortung übernehmen, Vertrauen schaffen, Zukunft gestalten, Berlin, August 2019, S. 3.

40

 Leyland Cecco, »Mike Pompeo Rejects Canada’s Claims to Northwest Passage as ›Illegitimate‹«, in: The Guardian, 7.5.2019; Michael R. Pompeo, Looking North: Sharpening America’s Arctic Focus, Rovaniemi, 6.5.2019, <https://www. state.gov/looking-north-sharpening-americas-arctic-focus/>.

41

 Atle Staalesen, »Russia Sets Out Stringent New Rules for Foreign Ships on the Northern Sea Route«, in: Arctic Today, 8.3.2019.

42

 Im Küstenmeer (bis zu einer Grenze von höchstens zwölf Seemeilen) gilt das »Recht der friedlichen Durchfahrt« (Art. 17 SRÜ); militärische Aktivitäten wie Übungen und Manöver müssen unterbleiben und Unterseeboote über Was­ser fahren. In der ausschließlichen Wirtschaftszone von höchstens 200 Seemeilen (Art. 58 SRÜ) hat der Küstenstaat souveräne Rechte unter anderem zur Erforschung und Aus­beutung der dort befindlichen Ressourcen, ansonsten gelten für alle Staaten die Freiheiten der Schifffahrt und des Über­flugs wie auf Hoher See (Art. 87 SRÜ).

43

 Die Yong Sheng gehört zur COSCO Shipping Specialized Carriers Company (COSCOL).

44

 Verband Deutscher Reeder (VDR), »Polar-Schifffahrt«, <https://www.reederverband.de/de/themen-und-positionen/ polarfahrt.html>. Vgl. ders., Jahresbericht 2010, Hamburg 2010, S. 40f; Braune, Die Arktis [wie Fn. 28], S. 175f; Trude Pet­tersen, »Moscow to Rule Northern Sea Route«, in: The Barents Observer, 2.1.2013; Centre for High North Logistics (CHNL), Transit Statistics, <http://arctic-lio.com/wp-content/uploads/ 2019/02/Transits_2018.pdf>; CHNL, NSR Shipping Traffic – Transits in 2019, <https://arctic-lio.com/nsr-shipping-traffic-transits-in-2019/>; European Political Strategy Center (EPSC), Walking on Thin Ice: A Balanced Arctic Strategy for the EU, Brüssel, Juli 2019 (ESPC Strategic Notes 31), S. 7.

45

 Eine ähnliche Idee war die »Trans-Arctic Container Vessel Shuttle Option«. Vgl. AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 101; Malte Humpert, »A Russian Company Is Pushing For­ward with Plans to Bring Container Shipping to the Northern Sea Route«, in: Arctic Today, 5.6.2019; Olga Tanas/Dina Khrennikova, »Russia Willing to Pay to Lure Shippers to the Arctic«, Bloomberg, 21.10.2019; Jörg-Dietrich Nackmayr, Wenn das Eis schmilzt, unveröffentlichtes Manuskript, 17.10.2019; Steven Stashwick, »Russia’s Northern Sea Route Faces Set­backs, Low Interest«, in: The Diplomat, 24.10.2019.

46

 Die NSR war am 1. Juli 1991 für die ausländische Schiff­fahrt geöffnet worden. Allerdings wurde sie wegen der kom­plexen Formalitäten hauptsächlich von russischen Schiffen genutzt, bis der Verkehr 1993 zusammenbrach. Erst ab 2010 nahmen die Transitzahlen wieder zu. Vgl. AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 44; Lasserre, »Arctic Shipping« [wie Fn. 32], S. 93f; »Putin Wants to Keep Foreign Shipping out of Russia’s Northern Sea Route«, RT, 17.11.2017.

47

 Atle Staalesen, »Kremlin’s Prophesy for the Northern Sea Route Is Keeping Moscow Officials Busy«, in: The Barents Observer, 8.8.2019; Katya Golubkova/Gleb Stolyarov, »Rosatom Sees Northern Sea Route Costs at 735 Billion Rubles, Russian Budget to Provide a Third«, Reuters, 24.6.2019; Atle Staalesen, »Big Growth in Russian Arctic Ports«, in: The Barents Observer, 20.9.2019; Lasserre, »Arctic Shipping« [wie Fn. 32], S. 96.

48

 Trude Pettersen, »China Starts Commercial Use of North­ern Sea Route«, in: The Barents Observer, 14.3.2013; Lasserre, »Arctic Shipping« [wie Fn. 32], S. 84.

49

 Nur sieben der 29 Schiffe, die 2019 in 37 Transitfahrten die BSR durchquerten, waren COSCO-Schiffe. Vgl. CHNL, NSR Shipping Traffic – Transits in 2019 [wie Fn. 44].

50

 Ebd.; CHNL, News Review of the Events on the NSR, #1 January 2020, <https://arctic-lio.com/news-review-of-the-events-on-the-nsr1-january-2020/>; CHNL, NSR Shipping Traffic – Transits in 2019 [wie Fn. 44].

51

 »›There is no point for Novatek to increase LNG [production] if it does not fit into the global […] competitive zone, along with the US and other producers,‹ he [Likhachev] said.« Golubkova/Stolyarov, »Rosatom Sees Northern Sea Route Costs at 735 Billion Rubles« [wie Fn. 47].

52

 U.S. Energy Information Administration (EIA), »Natural Gas Prices in 2019 Were the Lowest in the Past Three Years«, in: Today in Energy, 9.1.2020, <https://www.eia.gov/today inenergy/detail.php?id=42455>.

53

 »The NSR has to be international. We cannot create such a colossus only to ship hydrocarbons from our north«, so Likhachev, zitiert in: Golubkova/Stolyarov, »Rosatom Sees Northern Sea Route Costs at 735 Billion Rubles« [wie Fn. 47].

54

 »Russia’s greatest vulnerability, in any competition with the United States, is its economy, which is comparatively small and highly dependent on energy exports.« James Dob­bins u.a., Overextending and Unbalancing Russia. Assessing the Impact of Cost-Imposing Options, Santa Monica, CA: RAND, August 2019, S. 12.

55

 CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 25.

56

 IPCC, Ocean and Cryosphere in a Changing Climate [wie Fn. 32], S. 3f, 3–42; Lasserre, »Arctic Shipping« [wie Fn. 32], S. 97.

57

 Braune, Die Arktis [wie Fn. 28], S. 176; IPCC, Ocean and Cryosphere in a Changing Climate [wie Fn. 32], S. 3f, 3–42; Mian, Die neue Arktis [wie Fn. 37], S. 52.

58

 Zoe Schlanger, »The US Is Picking a Fight with Canada over a Thawing Arctic Shipping Route«, Quartz, 27.6.2019.

59

 Vgl. Nackmayr, Wenn das Eis schmilzt [wie Fn. 45]; Østreng u.a., Shipping in Arctic Waters [wie Fn. 1], S. 50, 52.

60

 Panama Canal Authority, Oceangoing Commercial Traffic through the Panama Canal by Month. Fiscal Years 2018–2017, <http://www.pancanal.com/eng/op/transit-stats/2018/Table-02.pdf>; Suez Canal Authority, Navigation Statistics. Monthly Number & Net Ton By Ship Type, <https://www.suezcanal.gov.eg/ English/Navigation/Pages/NavigationStatistics.aspx>; Marine­kommando, Jahresbericht 2018, Rostock 2018, S. 142f, <https:// deutscher-marinebund.de/wp-content/uploads/2018/11/ Jahresbericht-Marinekommando-2018.pdf>.

61

 Carsten Schmiester, »Wie Island vom Klimawandel profitieren will«, tagesschau.de, 12.9.2019; <http://www. tagesschau.de/ausland/island-hafen-101.html>; Mian, Die neue Arktis [wie Fn. 37], S. 111ff.

62

 Das Arktiseis ist eine der wichtigsten Klimavariablen. Es beeinflusst den Wärme- und Feuchtigkeitsaustausch an der Meeresoberfläche, eine Reihe von Meeresströmungen, die für das Klima weltweit bedeutend sind, die Wolkenbildung und die Luftfeuchtigkeit. Die Autoren des »Arctic Climate Impact Assessment« benutzten 2004 das Bild vom Kanarienvogel: Ähnlich wie Bergleute unter Tage früher durch einen Kana­rienvogel vor der steigenden Konzentration giftiger Gase gewarnt wurden, dient Klimaforschern das Meereis als Früh­warnsystem für Veränderungen des Weltklimas. ACIA, Impacts of a Warming Arctic [wie Fn. 17], S. 24, 34–45; Braune, Die Arktis [wie Fn. 28], S. 20ff.

63

 AA, Leitlinien deutscher Arktispolitik [wie Fn. 39], S. 43.

64

 Der Begriff des Klimawandels bezieht sich primär auf die vom Menschen verursachte Veränderung des globalen und regionalen Klimas. Diese anthropogene Klimaänderung ist hauptsächlich auf die großen Mengen an fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle) zurückzuführen, welche die Industriegesellschaft seit Mitte des 18. Jahr­hunderts verfeuert.

65

 Ministry for Foreign Affairs, Iceland, Together towards a Sustainable Arctic. Iceland’s Arctic Council Chairmanship 2019–2021, Mai 2019, <https://arctic-council.org/images/ all_layout_images/Icelandic_Chairmanship/Arctic_Council-Iceland_Chairmanship_2019-2021_(003).pdf>.

66

 »Urgency of Climate Action Highlighted for U.N. Sum­mit Preparatory Meeting«, WMO Press Release, 28.6.2019; Copernicus Climate Change Service, Surface Air Temperature for June 2019, <https://climate.copernicus.eu/surface-air-temperature-june-2019>; »Moscow Winter to Set Warm Historical Record«, TASS, 24.2.2020.

67

 Emily Osborne u.a. (Hg.), Arctic Report Card 2018, Dezember 2018, S. 5, <www.arctic.noaa.gov/Portals/7/ArcticReport Card/Documents/ArcticReportCard_full_report2018.pdf>.

68

 Alfred-Wegener-Institut (AWI), Arktis: Meereiskonzentration Maximum und Minimum 2012–2017, <http://www.meereis portal.de/meereisentwicklung/arktis-maximum-und-minimum-ab-2012/>. Vgl. ACIA, Impacts of a Warming Arctic [wie Fn. 17], S. 20; AMAP, Arctic Climate Change Update 2019: An Update to Key Findings of Snow, Water, Ice and Permafrost in the Arctic (SWIPA) 2017, Oslo 2019, S. 2, <www.amap.no/documents/download/3295/inline>.

69

 AWI, Moderate Eisbedingungen in der Arktis und Antarktis, <www.meereisportal.de/archiv/2020-kurzmeldungen-gesamttexte/moderate-eisbedingungen/#c21068>.

70

meereisportal.de, <https://www.meereisportal.de/meereis entwicklung/arktis-maximum-und-minimum-ab-2012/>.

71

 Arktische Feuer gibt es jährlich wiederkehrend zwischen Juli und August, denn die Torfböden sind leicht ent­zündlich. Im Juli 2019 brannten die Feuer jedoch schon seit sechs Wochen. Dabei standen große Flächen in Brand, und zwar viel früher als üblich und deutlich weiter nördlich. Vgl. »Die Arktis steht in Flammen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 13.7.2019; Kendra Pierre-Louis, »The Amazon, Siberia, Indonesia: A World of Fire«, in: New York Times, 29.8.2019.

72

 Boris K. Biskaborn/Sharon L. Smith/Jeannette Noetzli u.a., »Permafrost Is Warming at a Global Scale«, in: Nature, 10 (2019) 254, <https://www.nature.com/articles/s41467-018-08240-4#citeas>.

73

 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Die Zukunft der Meere – zu warm, zu hoch, zu sauer, Berlin 2006, S. 1, <https://www. wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/archiv/ wbgu_sn2006.pdf>.

74

 ACIA, Impacts of a Warming Arctic [wie Fn. 17], S. 25.

75

 WBGU, Die Zukunft der Meere [wie Fn. 73], S. 8f.

76

 Für die »polare Verstärkung« spielen je nach Jahreszeit unterschiedliche physikalische Prozesse eine Rolle. Als wich­tigster Vorgang gilt die Eis-Albedo-Rückkopplung. Schnee- und Eisflächen reflektieren bis zu 90 Prozent der eingestrahlten Sonnenenergie ins Weltall. Das Abschmelzen der Schnee- und Eisflächen bringt die darunter liegenden Land- und Wasseroberflächen zum Vorschein, die einen größeren Teil der Sonnenenergie absorbieren (deshalb ihre dunklere Farbe). Die absorbierte Energie erwärmt die Oberfläche zusätzlich. Trotz ihres geringen globalen Effekts ist die Eis-Albedo-Rückkopplung in der Arktis enorm wirkungsvoll, weil diese die einzige Region auf der Erde ist, wo eine große Meeresfläche während des Sommers von einem kurzlebigen schwimmen­den Meereis bedeckt ist. Die Antarktis dagegen ist ein Festlandkontinent, dessen ewiges Eis mehrere Kilo­meter stark ist. Aus diesen und einigen weiteren Gründen ist die Erwärmung des Klimas in der Arktis stärker wirksam als in der Antarktis.

77

 »The proportion of Arctic sea ice at least 5 years old declined from 30% to 2% between 1979 and 2018.« IPCC, Ocean and Cryosphere in a Changing Climate [wie Fn. 32], S. 3–14. Vgl. ebd., S. 3f; Deutsches Arktisbüro, Schifffahrt in der Arktis [wie Fn. 30], S. 1.

78

 Michael D. Lemonick, »Arctic Death Spiral: More Bad News about Sea Ice«, in: Climate Control, 16.5.2012, <https://www.climatecentral.org/news/arctic-death-spiral-more-bad-news-about-sea-ice>.

79

 AC, AMSA 2009 Report [wie Fn. 2], S. 25–30; U.S. Navy, Arctic Roadmap 2014–2030 [wie Fn. 30], S. 11; Chad W. Thackeray/Alex Hall, »An Emergent Constraint on Future Arctic Sea-ice Albedo Feedback«, in: Nature Climate Change, 9 (Dezember 2019), S. 972–978 (977); Malte Humpert, »New Study Narrows Window for Ice Free Arctic To As Early As 2044«, in: High North News, 28.11.2019; Østreng u.a., Shipping in Arctic Waters [wie Fn. 1], S. 32f.

80

 CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 22, 25; Steve Gilman, »The Arctic Faces Substantial Changes Even If We Meet Climate Targets – Marianne Kroglund«, in: Horizon. The EU Research & Innovation Magazine, 3.12.2018.

81

 Robbie Andrew, Socio-Economic Drivers of Change in the Arctic, Oslo: AMAP, 2014 (AMAP Technical Report Nr. 9), S. 17.

82

 U.S. Geological Survey, Circum-Arctic Resource Appraisal: Estimates of Undiscovered Oil and Gas North of the Arctic Circle, Fact Sheet, 2008, <https://pubs.usgs.gov/fs/2008/3049/fs2008-3049.pdf>. Vgl. Andrew, Socio-Economic Drivers of Change in the Arctic [wie Fn. 81] S. 17.

83

 »The United States has large offshore oil potential, simi­lar to Russia and larger than Canada and Norway.« National Petroleum Council (NPC), Arctic Potential: Realizing the Promise of U.S. Arctic Oil and Gas Resources, Washington, D.C., 2015, S. 9.

84

 Maria Morgunova/Kirsten Westphal, Offshore Hydrocarbon Resources in the Arctic. From Cooperation to Confrontation in an Era of Geopolitical and Economic Turbulence?, Berlin: Stiftung Wis­senschaft und Politik (SWP), Februar 2016 (SWP Research Paper 3/2016), S. 15, 19.

85

 Der Produktionszyklus in der Arktis dauert länger als in anderen Offshore-Regionen. So vergehen etwa beim arkti­schen Northstar-Projekt 22 Jahre von der Fördergenehmigung bis zur Produktion, bei Projekten im Golf von Mexiko dagegen nur 11 bis 12 Jahre. Vgl. NPC, Arctic Potential [wie Fn. 83], S. 14 (Graphik ES-7).

86

 China besitzt die drittgrößten Kohlevorräte der Welt; für das Land dominiert daher Kohle als Energieträger. Der Anteil von Gas soll 2020 auf 10 Prozent steigen. Vgl. Haley Zaremba, »China’s Demand for Gas ›Almost Infinite‹«, Oil­price, 6.6.2019; »How Is China’s Energy Footprint Evolving?«, China Power, 10.2.2020, <https://chinapower.csis.org/energy-footprint/>.

87

 Timo Koivurova/Juha Käpylä/Harri Mikkola, Continental Shelf Claims in the Arctic. Will Legal Procedure Survive the Growing Uncertainty?, Helsinki: The Finnish Institute of International Affairs (FIIA), August 2015 (FIIA Briefing Paper 178), S. 5.

88

 Vgl. Mathieu Boulègue, Russia’s Military Posture in the Arctic. Managing Hard Power in a Low Tension‹ Environment, London: Chatham House, Juni 2019, S. 27; NPC, Arctic Potential [wie Fn. 83], S. 11; Andreas Østhagen, »Managing Conflict at Sea: The Case of Norway and Russia in the Sval­bard Zone«, in: Arctic Review on Law and Politics, 9 (2018), S. 100–123; Pavel K. Baev, Moscow Plays Hard Ball in the High North, 10.2.2020 (Eurasia Daily Monitor, Bd. 17, Nr. 17), <https://jamestown.org/program/moscow-plays-hard-ball-in-the-high-north/>.

89

 Zur Illustration siehe »Arctic Assets«, in: National Geo­graphic, 15.8.2019, <https://www.nationalgeographic.com/ adventure/2019/08/map-shows-eight-nations-projecting-power-over-arctic-assets-feature/>. Vgl. »Denmark Challenges Russia and Canada over North Pole«, BBC News, 15.12.2014.

90

 Atle Staalesen, »Shelf Is Ours«, in: The Barents Observer, 21.10.2019; »Russian Military Make Detailed Map to Back up Arctic Shelf Border Claims«, TASS, 21.10.2019.

91

 Center for Strategic and International Studies (CSIS), The Arctic of the Future: Strategic Pursuit or Great Power Miscalculation?, Washington, D.C., 9.5.2018, <https://www.csis.org/ events/arctic-future-strategic-pursuit-or-great-power-miscalculation>.

92

 Andrei Zagorski, Russia and the US in the Arctic, Moskau: Russian International Affairs Council (RIAC), 2016 (Working Paper 30/2016), S. 4, 11. Vgl. Lassi Heininen/Heather Exner-Pirot/Justin Barnes (Hg.), Arctic Yearbook: Redefining Arctic Security, Akureyri, Island: Arctic Portal, 2019.

93

 The White House, National Security Strategy of the United States of America, Washington, D.C., Dezember 2017, S. 25.

94

 Vgl. Juha Käpylä/Harri Mikkola, On Arctic Exceptionalism. Critical Reflections in the Light of the Arctic Sunrise Case and the Crisis in Ukraine, Helsinki: FIIA, April 2015 (FIIA Working Paper 85).

95

 Eine frühere Version dieses Kapitels ist erschienen als: Michael Paul, Polarmacht USA: Mit Volldampf in die Arktis, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Oktober 2019 (SWP-Aktuell 56/2019).

96

 Im Strategiedokument des Pentagon gilt die Arktis als »potential avenue for expanded great power competition and aggression«; in der National Defense Strategy 2018 wurde sie dagegen nicht einmal erwähnt. Vgl. CRS, Changes in the Arctic [wie Fn. 7], S. 59, 70; U.S. Department of Defense (DoD), Department of Defense Arctic Strategy, Washington, D.C.: Office of the Undersecretary of Defense for Policy, Juni 2019, S. 5, <https://media.defense.gov/2019/Jun/06/2002141657/-1/-1/1/2019-DOD-ARCTIC-STRATEGY.PDF>.

97

 »[…] the region has become an arena for power and for competition.« Pompeo, Looking North [wie Fn. 40].

98

 »We’re entering a new age of strategic engagement in the Arctic, complete with new threats to the Arctic and its real estate, and to all of our interests in that region.« Pompeo, Looking North [wie Fn. 40].

99