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Die EU wird das VN-Waffenembargo in Libyen nicht durchsetzen können

SWP-Aktuell 2020/A 10, 13.02.2020, 8 Seiten

doi:10.18449/2020A10

Forschungsgebiete

Am 19. Januar 2020 fand in Berlin eine hochrangige Konferenz statt, die Lösungen für den Konflikt finden sollte, der in Libyen zwischen der Einheitsregierung unter Fayez al-Sarraj und den von General Khalifa Haftar geführten Truppen ausgetragen wird. Eine zentrale Vereinbarung der Abschlusserklärung zielt darauf, den unbehinderten Zufluss von Waffen zu unterbinden, die externe Akteure den Kriegsparteien zur Verfügung stellen. Die Konferenzteilnehmer haben sich dazu verpflichtet, »das durch Resolution 1970 (2011) sowie die nachfolgenden Resolutionen des UN-Sicher­heitsrats verhängte Waffenembargo unzweideutig und in vollem Umfang einzuhalten und umzusetzen, auch in Bezug auf die von Libyen ausgehende Verbreitung von Waffen. Wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun.« Die Erklärung bekräftigt damit zum wiederholten Male die bestehende Beschlusslage, was deren Grundproblem enthüllt: Bislang sind die Vereinten Nationen (VN) aus vielfältigen Gründen nicht in der Lage gewesen, das geltende Embargo wirksam durchzusetzen.

Im Anschluss an die Libyen-Konferenz hat die EU angekündigt, in den kommenden Wochen Optionen auszuarbeiten, wie die in Berlin gefassten Beschlüsse umgesetzt werden können bzw. welchen Beitrag Europa dazu leisten kann. Nach Beratungen der EU-Außenminister sprach sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 20. Ja­nuar unter anderem dafür aus, die Ein­haltung des Waffenembargos mit Hilfe der maritimen EU-Mission »Sophia«, die seit April 2019 nur noch beschränkt operiert, von See aus zu überwachen. Eingebettet werden soll diese Maßnahme in eine um­fangreichere EU-Militärmission zur Über­wachung des vereinbarten Waffenstill­stands. Konkrete Schritte soll nun das Politische und Sicherheitspolitische Komi­tee (PSK) der EU im Februar erarbeiten. Auch deutsche Politiker haben sich vor­sichtig zustimmend zu einer derartigen EU-Mission geäußert und erklärt, sie seien offen für eine Beteiligung der Bundeswehr.

Das Problem unkontrollierter Waffenlieferungen

Ausgangspunkt der Überlegungen, die bei der Berliner Konferenz bzw. der EU an­gestellt wurden, ist eine bedrückende Ana­lyse des Konfliktgeschehens in Libyen. Das Land ist endgültig zum Austragungsort eines Stellvertreterkonflikts geworden, seitdem die Türkei im Mai 2019 begonnen hat, der Regierung in Tripolis Waffen zu liefern. In diesem Zusammenhang wurde Libyen auch zu einer Art Testgelände für ausländisches militärisches Gerät. Schon seit 2014 unterstützen die Vereinigten Ara­bischen Emirate (VAE) und Ägypten Gene­ral Haftar konsequent und massiv, während dessen Gegner zwischen 2016 und 2018 keine ausländische Unterstützung erhielten. Unter Verletzung des gegen Libyen verhängten VN-Waffenembargos und mit erheblichen Folgen für die Sicherheit von Land und Region haben ausländische Ak­teure neben Kleinwaffen auch Drohnen, gepanzerte Mannschaftstransporter und hochentwickelte Raketensysteme nach Libyen eingeschleust.

Im Zuge der Revolution von 2011 haben Milizen die Lagerbestände an leichten Waf­fen des Gaddafi-Regimes geplündert. Seit­her ist die Verbreitung von Waffen ein Sicherheitsproblem für Libyen und seine Nachbarn. Vor allem zwischen Ende 2011 und 2013 gelangten solche Waffen außer­dem in die Sahelzone, das übrige Nord­afrika und die Levante. Die Ausbreitung dieser Waffen verschärfte die Instabilität in Ländern wie Syrien und Mali, die ebenfalls von Konflikten betroffen waren. Mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2014 wurde Libyen zu einem der maßgeblichen Waffen­importeure und ist es seither geblieben.

Die von Haftar gestartete Offensive gegen Tripolis im Frühjahr 2019 hatte ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs zur Folge, die staatlichen Waffenlieferungen an die Kriegsparteien intensivierten sich. Heute unterstützen laut VN-Angaben die VAE, Ägypten, Jordanien und Russland die »Libysch-Arabischen Streitkräfte« General Haftars. Die Türkei wiederum unterstützt die von den VN und der EU anerkannte Regierung in Tripolis militärisch ebenso wie mit ihr verbündete Milizen, die sich gegen Haftar zusammengeschlossen haben. Als Folge dieser Internationalisierung des Kon­flikts gelangt militärisches Gerät auf dem Luft-, Land- und Seeweg nach Libyen.

Dass nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in Libyen an diesen Waffensystemen aus­gebildet werden und sie einsetzen, hat nicht nur für dieses Land gefährliche Auswirkun­gen. Wie in Afghanistan in den 1990er und 2000er Jahren – oder in der Sahelzone in den 2010er Jahren – könnten Kämpfer anderer bewaffneter Gruppen nach Libyen kommen, um dort eine entsprechende Aus­bildung zu erhalten. Bedrohlich ist aber auch eine möglicherweise von Libyen aus­gehende Entwicklung: Zwischen 2012 und 2014 haben Terroristen und Separatistengruppen ihre Arsenale mit libyschen Waf­fen gefüllt; nun könnten wiederum Waffen aus Libyen in dessen Nachbarländer vor­dringen, von denen eine Reihe zunehmend mit Aufständen zu kämpfen hat, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) und von al-Qaida geschürt werden.

Ob der Berliner Optimismus gerechtfertigt war, das Embargo wirklich durchsetzen zu können, ist mittlerweile zu bezweifeln. Denn das auf der Libyen-Konferenz erneut bekräftigte Waffenembargo ist nach VN-Angaben inzwischen von mehreren Gipfel­teilnehmern gebrochen worden. In den Tagen, die seit der Konferenz verstrichen sind, seien etliche Maschinen auf Flughäfen im Westen und Osten Libyens gelandet, die Waffen, gepanzerte Fahrzeuge, Kämpfer und Berater ins Land gebracht hätten. Zwar benannte die VN-Unterstützungsmission in Libyen (UNSMIL) in ihrer Stellungnahme vom 25. Januar 2020 keine Verantwort­lichen und ließ damit offen, wer das Em­bargo gebrochen habe. Allerdings stellte sie fest, dass »mehrere Teilnehmer der Berliner Konferenz« beteiligt gewesen seien am »an­haltenden Transport ausländischer Kämp­fer, Waffen, Munition« und anderer mili­tärischer Ausrüstung.

Das Waffenembargo

Bereits im Februar 2011 hat der VN-Sicher­heitsrat beschlossen, »dass alle Mitgliedstaaten sofort die erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden, um die Lieferung, den Verkauf oder die Weitergabe, sei es auf direktem oder indirektem Weg, von Rüs­tungsgütern und sonstigem Wehrmaterial jeder Art, einschließlich Waffen und Muni­tion, Militärfahrzeugen und ‑ausrüstung, paramilitärischer Ausrüstung und Ersatz­teilen für dieselben, […] gleichviel ob sie aus ihrem Hoheitsgebiet kommen oder nicht, von ihrem Hoheitsgebiet aus oder durch ihr Hoheitsgebiet oder durch ihre Staatsangehörigen oder unter Benutzung von ihre Flagge führenden Schiffen oder Luftfahrzeugen an die Libysch-Arabische Dschamahirija zu verhindern.« Weitere Sank­tionen ergänzen das Waffenembargo und werden von einem Komitee des VN-Sicherheitsrats überwacht, das im Gefolge von Libyen-Resolution 1970 (2011) ein­gerichtet wurde. Im Jahr 2020 hat Deutschland den Vorsitz dieses Komitees inne.

Außerdem hat der Sicherheitsrat die VN‑Mitgliedstaaten mehrmals ermächtigt – zuletzt im Juni 2019 –, individuell oder im Rahmen von Regionalorganisationen die Ein­haltung des Waffenembargos zu über­wachen, indem sie vor der Küste Libyens Schiffe überprüfen, bei denen hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Rüstungsgüter oder sonstiges Wehrmaterial nach oder aus Libyen befördern. Vergleichbare explizite Autorisierungen zur Kon­trolle der Landwege bzw. des Luftraums gibt es nicht. Im März 2011 hat der Sicher­heitsrat darüber hinaus ein Expertenpanel eingesetzt, das untersuchen soll, inwieweit das gegen Libyen verhängte Waffenembargo eingehalten wird. In seinem umfangreichen, sehr detaillierten Abschlussbericht vom 29. November 2019 kommt das Panel zu dem Schluss, dass das Embargo weitgehend wirkungslos geblieben ist. Beide Konfliktparteien seien mit Waffen und militäri­scher Ausrüstung versorgt und technisch unterstützt worden. Einige Hauptverant­wortliche werden explizit genannt: Nach Einschätzung der Experten lieferten Jorda­nien, die Türkei und die Vereinigten Ara­bischen Emirate routinemäßig Waffen und würden sich dabei nicht einmal sonderlich bemühen, diese Lieferungen zu verschleiern.

Die Überwachung und Kontrolle der Waffenflüsse durch die VN mag nicht voll­ständig sein, und sicher ließe sich auch die Versorgung mit Informationen durch die Mitgliedstaaten verbessern. Ungeachtet dessen haben die VN dank der Berichte des Expertenpanels einen recht guten Gesamtüberblick. Umso mehr verwundert, dass in den Tagen nach der Berliner Konferenz einige deutsche und europäische Politiker gefordert haben, die EU solle das Waffenembargo gegen Libyen »überwachen«. Vordringlich wäre aber stattdessen, das Embargo »durchzusetzen«.

Grundsätzlich ließe sich das Embargo auf zwei Wegen durchsetzen: entweder indem der Sicherheitsrat Sanktionen gegen Akteure verhängt, die Waffen an die liby­schen Kriegsparteien liefern, oder aber in­dem solche Lieferungen militärisch unter­bunden werden.

Durchsetzung mittels Sanktionen

Obwohl die VN-Experten gründlich er­mittelte Beweise für Verstöße gegen das Embargo vorgelegt haben, ist es unwahrscheinlich, dass sich die Mitglieder des VN-Sicherheitsrats auf entsprechende Sanktionen einigen. Denn die externen Akteure (darunter mit Russland und Frankreich auch Mitglieder des Sicherheitsrats) ver­folgen in Libyen unterschiedliche Interessen und haben wenig Vertrauen darin, dass Sanktionen in unparteiischer Weise inter­national umgesetzt werden können. Aber nur unter dieser Voraussetzung wären sie möglicherweise bereit, bei der Durchsetzung des Embargos zu kooperieren. Die­jenigen Staaten, die Kriegsparteien unter­stützen, rechnen zurzeit also nicht damit, dass andere sich an das Embargo halten werden. Dementsprechend will keiner von ihnen die Siegeschancen seiner Verbündeten mindern.

Auch gegen Einzelpersonen oder Unternehmen gerichtete Sanktionen müssten vom VN-Sicherheitsrat beschlossen werden, dessen Mitglieder ebenfalls divergierende Interessen verfolgen. Und auch im Falle Libyens dürften seine ständigen Mitglieder von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Einer der offenkundigsten Adressaten von Sanktionen wären zum Beispiel die VAE. Doch angesichts der Nähe der VAE etwa zu den Vereinigten Staaten, die in dem Land Streitkräfte stationiert haben, erscheint es unwahrscheinlich, dass die Regierung Trump bereit ist, die bilateralen Beziehungen durch die Verhängung von Sanktionen gegen die VAE zu gefährden.

Der EU stünde es selbstverständlich frei, eigene Sanktionen zu beschließen, die über die VN-Sanktionen hinausgehen. Zum einen müssten ihre Mitgliedstaaten aber dafür eine geschlossene Libyen-Politik ent­wickeln; zum anderen ist fraglich, ob die EU jene Unparteilichkeit und Glaubwürdig­keit besitzt, die dafür notwendig wären. So sind im Juni 2019 US-Panzerabwehrraketen aus französischen Beständen auf einem Stützpunkt General Haftars gefunden wor­den. Paris leugnete damals, Haftar die Rake­ten geliefert zu haben. Gegen das geltende Waffenembargo habe Frankreich darum auch nicht verstoßen. Die Raketen hätten lediglich dem Selbstschutz eines franzö­sischen Kontingents gedient, das im Anti-Terror-Kampf in Libyen eine Aufklärungsmission durchgeführt habe.

Durchsetzung mittels militärischer Zwangsmaßnahmen

In der europäischen Debatte sprechen sich einige Stimmen dafür aus, das Waffen­embargo mit militärischen Zwangsmaßnah­men durchzusetzen. Das ließe sich entwe­der allein mit einer maritimen Komponente bewerkstelligen, so die Erwartung, oder aber zusätzlich mittels einer Kontrolle der Landwege und des libyschen Luftraums. Aus militärischer Sicht müssten dafür folgende Maßnahmen getroffen werden:

Seewege: Die Küstenlinie Libyens ist über 1700 km lang. Um die dem Land vorgela­gerten Küstengewässer überwachen zu kön­nen, müssten ständig mindestens zwei Fre­gatten in diesen Gewässern im Einsatz sein. Da planmäßige Hafenaufenthalte zu berück­sichtigen sind, bedeutete das in der Praxis den Einsatz von drei bis vier Fregatten. Für die Durchsuchung verdächtiger Schiffe wären sogenannte Boarding-Teams nötig, die entweder per Hubschrauber oder mit Hilfe von Speedbooten zu den Schiffen übersetzen.

Die aktuelle europäische Diskussion über die Wiederbelebung der EUNAVFOR MED-Operation »Sophia« zeigt ein weiteres Pro­blem auf. Die Überwachung und Durchsetzung des Waffenembargos gehörte schon seit 2016 – neben der Bekämpfung von Schleuserkriminalität – zu dem Mandat der Operation »Sophia«. Dieser Auftrag wurde 2017 auch von der Bundeswehr aus­geführt. Am 1. Mai 2017 haben deutsche Ein­satzkräfte in diesem Rahmen mit litauischer Unterstützung erstmals ein Schiff durchsucht – das unter libyscher Flagge fahrende Motorschiff El Mukthar – und dabei diverse Waffen beschlagnahmt.

In der Praxis wird es aber kaum möglich sein, das Mandat zur Durchsetzung eines Waffenembargos von der Seenotrettung von Flüchtlingen zu trennen. Die Wiederbelebung der Operation mit dem Ziel, das Waffenembargo durchzusetzen, wäre aus europäischer Sicht insofern eine Rückkehr zur Situation vor dem Juni 2019, als »Sophia« ausgesetzt wurde, weil die Frage der Ver­teilung von aus Seenot geretteten Flüchtlingen nicht geklärt war.

Luftraum: Im Unterschied zur Nato verfügt die EU nicht über eigene Mittel zur Luft­raumüberwachung. Daher könnten ledig­lich einzelne EU-Mitgliedstaaten eine Nato-Operation mit eigenen Fähigkeiten unter­stützen, zum Beispiel mit Flugzeugen zur Luftbetankung. Die Überwachung des Luft­raums müssten AWACS-Maschinen der Allianz übernehmen. Dabei wäre noch zu klären, wie sicher der Luftraum über Libyen ist. Als begleitende Maßnahme wäre daher aus »westlicher« Sicht eine Flugverbotszone einzurichten. Um die Sicherheit im liby­schen Luftraum zu gewährleisten und die Flug­verbotszone durchzusetzen, müssten Kampfflugzeuge und ‑schiffe eingesetzt werden. Anders als beim internationalen Militäreinsatz in Libyen im Jahr 2011 ist derzeit der politische Wille nicht zu erken­nen, eine solche Maßnahme zu ergreifen, ge­schweige denn eine Allianz der Willigen, diese dann auch umzusetzen. Denn der mit der Operation »Unified Protector« betriebene Aufwand ist enorm gewesen: Allein in den ersten beiden Monaten der Operation hatten die Kontingente der 16 betei­ligten Staaten mehr als 4500 Lufteinsätze geflo­gen, davon über 1800 Luftangriffe, und hielten 740 Schiffe an, um das Waffenembargo und die Flugverbotszone durchzusetzen. Abgesehen davon würde ein solcher Einsatz gegenwärtig die teilnehmenden EU-Mitglieder in eine Konfrontation mit dem Nato-Partner Türkei bringen.

Landwege: Grundsätzlich lässt sich das Waf­fenembargo ohne Landtruppen nicht effektiv durchsetzen, und darin liegt auch das größte Hindernis für eine solche Mis­sion. Für die Überwachung einer Landesgrenze, die mehr als 4300 km lang ist und mit sechs Staaten geteilt wird, ist mindestens eine fünfstellige Anzahl an Soldaten notwendig. Abgesehen davon, dass sich diese Soldaten in dem Bürgerkriegsland selbst schützen müssten, wird ihre Aufgabe, die Landesgrenzen zu sichern, dadurch erschwert, dass einige Nachbarländer zu den Waffenlieferanten gehören. Selbst wenn die EU nur einen Teil der Truppen einer internationalen Mission stellen würde, ist eine solche Anzahl an Soldaten zurzeit politisch ebenso wenig vorstellbar wie der notwendige Einsatz von Mangelressourcen wie Hubschraubern oder Drohnen. Nicht zuletzt müsste das Gastland seine Zustimmung erteilen, und die ist möglicherweise von der international anerkannten offiziellen Regierung Libyens zu erwarten, aber wohl nicht von General Haftar, der mit seinen Truppen einen Großteil Libyens kon­trolliert. Völkerrechtlich wäre diese nicht erforderlich, politisch aber wohl unumgänglich. Für die Durchsetzung des Waffen­embargos an der Landesgrenze oder an Flugplätzen in Libyen ist zudem ein erwei­tertes und robusteres Mandat der VN nötig, das Russland oder die USA als ständige Mit­glieder im VN-Sicherheitsrat mit ihren je spezifischen Interessen und Verbündeten sicherlich nicht zulassen werden.

Abgesehen von den militärischen Erfordernissen stellt sich die Frage, wie mit Ver­stößen gegen ein militärisch durchgesetztes Waffenembargo umgegangen werden soll. Die Vernichtung aufgefundener Waffen ist noch am einfachsten zu realisieren, doch sollten im Rahmen des Mandats die Zustän­digkeiten klar definiert und europäisch koordiniert werden. Wichtig wäre auch, die Transporteure gelieferter Waffen auf eine schwarze Liste zu setzen, wie dies zum Bei­spiel im Falle Nordkoreas bereits 2018 geschah. Problematisch ist der Umgang mit den Waffenschmugglern selbst, denn sie können deshalb nicht vor einem internatio­nalen Gericht angeklagt werden, weil das Völkerrecht nur für Staaten und inter­nationale Organisationen gilt, nicht aber für natürliche Personen. Darüber hinaus ist der Wille, international vorzugehen, nur bedingt erkennbar. Es erscheint jedenfalls mehr als fraglich, ob EU-Regierungen ihre Streitkräfte autorisieren werden, zum Bei­spiel Waffenlieferungen russischer oder türkischer Unternehmen gewaltsam zu unterbinden, die von den Regierungen in Moskau und Ankara zumindest ermutigt, wenn nicht sogar beauftragt worden sind. Dies hätte möglicherweise weit reichende politische Auseinandersetzungen mit Akteuren und Bündnispartnern zur Folge, auf deren Kooperation die EU in anderen Politikfeldern angewiesen ist.

Schlussfolgerungen

Es gibt keine einfachen, nur geringen Auf­wand erfordernde und vollen Erfolg ver­sprechende Optionen für die EU, in Libyen das geltende Waffenembargo durchzusetzen. Alle Optionen sind mit zum Teil erheb­lichen politischen, finanziellen und mili­tärischen Kosten verbunden.

Option 1: Waffenembargo umfassend durchsetzen

Zwar könnten die militärischen Rahmenbedingungen theoretisch leicht benannt werden, die für eine wirksame militärische Durchsetzung des Waffenembargos erfüllt sein müssen. Kein EU-Mitglied hat aber erkennen lassen, dass es zu einer Beteiligung an einer derart umfangreichen mili­tärischen Operation bereit ist. Hier spielen politische Erwägungen genauso eine Rolle wie die Scheu, sich auf eine militärische Operation einzulassen, die mit erheblichen Risiken verbunden wäre. Insbesondere das Bemühen, Lieferungen auf dem Land- und Luftweg wirksam zu unterbinden, würde erhebliche Ressourcen in einem nicht befriedeten Umfeld erfordern. Gleichzeitig lehrt die Erfahrung mit vergleichbaren internationalen Einsätzen, dass die eigenen Truppen so lange in Libyen verbleiben müssen, bis der Konflikt dauerhaft politisch geregelt worden ist, voraussichtlich also für mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. So verwundert es nicht, dass vor allem die maritime Komponente im Mittelpunkt der europäischen Debatten über die Durchsetzung des Embargos steht.

Option 2: »Maritimes Waffenembargo«

In Anbetracht des erforderlichen militä­rischen Aufwands erscheint als wahrschein­lichste Option, dass die Überwachung des Waffenschmuggels im Mittelmeerraum mit Marineeinheiten und Luftaufklärung fort­gesetzt wird. Dies würde ein politisches Sig­nal des Engagements senden und zugleich die militärischen Risiken klein halten. Eine effektive Durchsetzung des Embargos läge jedoch in weiter Ferne.

Auch wenn die Details ein wenig anders gelagert sind, drängt sich doch eine Paral­lele auf: die seit 2006 andauernde UNIFIL-II-Operation vor der Küste des Libanon. Seit Ende des Libanonkrieges 2006 – der Kämp­fe zwischen der Hisbollah und Israel – un­terstützt diese maritime VN-Mission unter deutscher Beteiligung die libanesischen Streitkräfte beim Küstenschutz. Die mit einem robusten Mandat ausgestattete Mis­sion dient dazu, vor der Küste Libanons den Waffenschmuggel zu unterbinden und die Seewege zu kontrollieren. Konkret soll ver­hindert werden, dass Rüstungsgüter und sonstiges Wehrmaterial ohne Zustimmung der libanesischen Regierung in den Libanon verbracht werden. Dabei ist die Kontrolle der Landwege jedoch so lückenhaft, dass von einer effektiven Unterbindung des Waf­fenschmuggels in den Libanon keine Rede sein kann.

Einige EU-Mitglieder würden sicherlich zudem einwenden, dass bei einer vergleich­baren Mission in libyschen Gewässern wie­der verstärkt aus Seenot gerettete Migranten aufgenommen werden müssten, wie bei der früheren Operation EUNAVFOR MED »Sophia«. Dem könnte durch eine euro­päische Unterstützung der Nato-geführ­ten Maritimen Sicherheitsoperation »Sea Guardian« im Mittelmeer begegnet werden, die den Kampf gegen Waffenschmuggel im mari­timen Umfeld zu ihren Aufgaben zählt. Dieses Vorgehen würde zugleich den euro­päischen Pfeiler in der Nato stärken und den Skeptikern unter den EU-Mitgliedstaaten Spielraum für eine Beteiligung eröffnen.

Wichtig ist zudem ein anderer Aspekt: Ein von See überwachtes Waffenembargo wäre in seinen Folgen einseitig und würde von den libyschen Konfliktakteuren als politische Parteinahme wahrgenommen. Dadurch würde es für die Regierung in Tripolis (die über keine sicheren Flughäfen und keine verbündeten Nachbarn verfügt) schwieriger, Waffen aus der Türkei zu be­kommen. Die »Libysch-Arabischen Streit­kräfte« dagegen hätten nach wie vor keine Probleme, auf dem Landweg oder aus der Luft Unterstützung zu erhalten. Ein solches maritimes Waffenembargo wäre also eine Maßnahme, die General Haftar einen mili­tärischen Vorteil verschaffen würde. Das läge wohl auch in der Absicht einiger EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Grie­chenland. Es wäre aber höchst proble­matisch angesichts der deutschen Priorität, die Regierung in Tripolis zu stärken.

Option 3: Einsatz von Sanktionen

Ein erster Schritt auf dem Weg zur Bei­legung des Libyen-Konflikts ist die Über­führung der im Berlin-Prozess erneuerten Ver­pflichtungen in eine VN-Resolution. Deutschland hat im Rahmen seiner Mit­gliedschaft im VN-Sicherheitsrat das Gre­mium aufgefordert, eine Resolution zu verabschieden, in der die Schlussfolgerungen der Berliner Konferenz gebilligt wer­den. In der am 12. Februar 2020 verabschie­deten Resolution S/RES/2510 (2020) wird einmal mehr unterstrichen, dass alle Ak­teu­re mit Konsequenzen zu rechnen haben, die weiterhin gegen das Waffenembargo verstoßen. Ständige Mitglieder des Sicher­heitsrats hatten jedoch einen Text gefordert, der sich mehr auf die Situation vor Ort konzentriert, wobei die USA darauf ge­drängt hatten, dass die Resolution russische private Militärunternehmen verurteilt, die in Libyen tätig sind. Moskau wiederum hat sich geweigert, eine solche Formulierung zu akzeptieren, und sich der Stimme enthalten. Zudem hatte Russland in Frage gestellt, ob der Rat das Ergebnis von Berlin über­haupt billigen sollte, solange General Haf­tar seine Unterstützung dafür nicht bestä­tigt. Ob sich auf Basis dieser Resolution nun­mehr tatsächlich internationale Sank­tionen durchsetzen lassen, bleibt ungewiss.

Da die EU wirtschaftlich stark ist und die Europäische Kommission auf diesem Gebiet Entscheidungsbefugnis hat, wären Strafzölle oder Beschränkungen des Zu­gangs zum Europäischen Binnenmarkt für Länder denkbar, aus denen Waffen nach Libyen exportiert werden. Dass sich außen- und sicherheitspolitische Forderungen unter Zuhilfenahme wirtschaftspolitischer Maßnahmen grundsätzlich wirksam gel­tend machen lassen, zeigt das aktuelle Vor­gehen der amerikanischen Regierung in der Auseinandersetzung mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien um eine gemeinsame Iran-Politik. Gleichwohl dürf­ten solche Maßnahmen eine offene Kon­frontation mit jenen EU-Mitgliedstaaten bedeuten, die in den Libyen-Konflikt invol­viert sind.

Eine zweite Möglichkeit wären Wirtschaftssanktionen. Die Abhängigkeit spe­ziell der türkischen Wirtschaft von der EU ist offensichtlich und bietet einen mächtigen Hebel gegenüber Präsident Erdoğan. Wirtschaftssanktionen hätten außerdem indirekte Wirkung auf die am Konflikt beteiligten EU-Mitgliedstaaten. Denn eine Sanktionspolitik lässt sich nur umsetzen, wenn sich die EU-Mitgliedstaaten strikt an das VN-Waffenembargo halten. Aber auch in diesem Kontext ist in Rechnung zu stel­len, dass die führenden EU-Mitgliedstaaten nicht gewillt sind, wegen Libyen einen Kon­flikt mit Ägypten und den VAE zu riskieren. Selbst wenn sich die EU-Mitglieder also auf Sanktionen gegen die Türkei einigen würden, besäße die EU noch keine Druck­mittel, die bei den übrigen zentralen Kon­fliktakteuren Wirkung zeigen könnten.

Trotz der Schwierigkeiten, die mit der Durch­setzung des Waffenembargos ver­bunden sind, sollte die EU auch bedenken, welche Folgen ihr Nicht-Handeln haben könnte. Anders als einzelne EU-Mitglied­staaten ist die EU zwar kein relevanter Akteur im Libyen-Konflikt. Akzeptierte sie aber, dass sie angesichts der skizzierten Handlungsbeschränkungen keine realis­tische Möglichkeit besitzt, das Waffen­embargo durchzusetzen, würde die EU in zweierlei Hinsicht ein fatales Signal aus­senden:

Zum einen würde die EU damit nicht nur den Anspruch aufgeben, als Ordnungs­macht in der eigenen Nachbarschaft auf­zutreten. Die Strukturen und Instrumente, die sie für das Krisenmanagement ent­wickelt hat, blieben ineffektiv. Dabei wäre die EU weiterhin von den Folgen des Libyen-Konflikts betroffen (weitere Desta­bilisierung Nordafrikas; Migrationsbewegungen; Stärkung terroristischer Gruppen), könnte diese aber nicht beeinflussen. Zu­sätzlich würde der politische Impuls der Berliner Konferenz folgenlos verpuffen.

Zum Zweiten würde die EU aber auch mit Blick auf die veränderten geopolitischen Realitäten eklatant versagen, die die kommenden Jahre prägen werden. Die Vereinigten Staaten haben unter Präsident Donald Trump deutlich gemacht, dass der libysche Bürgerkrieg und seine Folgen für sie keine außenpolitische Priorität genie­ßen. Damit ist Libyen ein Ergebnis und zu­gleich Symbol des Rückzugs der Vereinigten Staaten aus der Weltpolitik. Andere Akteure füllen die von den USA hinterlassene Lücke zurzeit politisch wie militärisch. In dieser Hinsicht ist Libyen auch ein Mene­tekel für die globale Rolle der EU und ihren welt­politischen Gestaltungswillen.

Lektürehinweise

Wolfram Lacher, Internationale Pläne, libysche Realitäten. Die Beschwichtigung Khalifa Haftars droht den Konflikt zu verschärfen, SWP-Aktuell 65/2019, November 2019

Wolfram Lacher, Gefährliche Wendung in Libyen. Neue Kräfteverhältnisse erschweren eine politische Konfliktlösung, SWP‑Aktuell 12/2019, März 2019

Dr. habil. Markus Kaim, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, ist zurzeit
Helmut Schmidt Fellow der Zeit-Stiftung und des German Marshall Fund.
Major i. G. René Schulz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

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