Direkt zum Seiteninhalt springen

Das »window of opportunity« in Korea schließt sich

Zum Stand der US-Nordkorea-Beziehungen und zu den Herausforderungen für die EU

SWP-Aktuell 2019/A 71, 19.12.2019, 8 Seiten

doi:10.18449/2019A71

Forschungsgebiete

Trotz eines weiteren persönlichen Treffens zwischen Donald Trump und Kim Jong Un im Juni und einer neuerlichen Begegnung auf Arbeitsebene zwischen Vertreterinnen und Vertretern beider Länder im Oktober liegen die Positionen Pyongyangs und Washingtons im Hinblick auf eine Denuklearisierung Nordkoreas nach wie vor weit auseinander. Eine Verständigung über zentrale Fragen, zum Beispiel darüber, was Denuklearisierung genau bedeuten und wie der zukünftige Verhandlungs­prozess ablaufen soll, setzt jedoch voraus, dass es ausreichend Raum für flexible Diplomatie und auf allen Seiten den entsprechenden politischen Willen gibt. Auch Europa sollte aktiv auf eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der internationalen Gemeinschaft und Nordkorea hinarbeiten. Denn die politischen Rahmenbedingungen in Pyongyang und Washington lassen erwarten, dass sich das gegenwärtige »window of opportunity« für eine Lösung der Nuklearfrage im kommenden Jahr wieder schließen und Nord­korea sein selbstauferlegtes Moratorium für Nuklear- und Interkontinental­raketentests wieder aufheben könnte.

Nach einer dramatischen Zuspitzung im Jahr 2017, die die USA und Nordkorea an den Rand einer ernsten Krise führte, gelang es Anfang 2018 erst dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in mit seiner »Olym­pia-Diplomatie«, die Spirale der Eska­lation zu durchbrechen. Erneut durch süd­korea­nische Vermittlung kam es im Juni 2018 auch zum historischen Gipfeltreffen zwi­schen Donald Trump und Kim Jong Un in Singapur. Die Trump-Administration stellte dabei alle bisherigen Ansätze im Umgang mit Nordkorea auf den Kopf, indem sie auf den direkten persönlichen Austausch der beiden Staatsführer am Beginn eines dann anzuschließenden Verhandlungsprozesses setzte. So diente die Begegnung in Singapur zunächst dazu, einen direkten Zugang zu Kim Jong Un herzustellen. Dieser verpflich­tete sich persönlich zur nuklearen Abrüs­tung – ein wichtiger Fort­schritt in den Verhandlungen mit einem Land, in dem die Entscheidungen des Machthabers dogmatischen Rang besitzen. Die Aufnahme eines direkten Dialogs mit dem politischen Füh­rer Nordkoreas war für einen US-Präsiden­ten ein politisch riskanter, diplomatisch aber letztlich wichtiger Schritt, um nach Jahrzehnten der Konfrontation die Bezie­hungen zwischen beiden Ländern neu zu gestalten. Andererseits haben die Treffen auch die Grenzen dieser persönlichkeits­getriebenen Gipfeldiplomatie offengelegt, denn die Begegnungen wurden nicht durch robuste inhaltliche Gespräche auf Arbeitsebene unterfüttert. Nach einer mehr­monatigen Weigerung Pyongyangs, in einen solchen Dialog einzusteigen, gelang es erst durch eine schwedische Vermittlungs­initiative im Januar 2019, also im unmittelbaren Vorfeld des zweiten Gipfel­treffens von Hanoi, die ersten direkten Kon­sultationen auf Arbeitsebene aufzunehmen. Den Verhandlungsführern wurde jedoch offenbar weder ausreichend Zeit noch ge­nügend Spielraum eingeräumt, um die nur grob formulierten Absichtserklärungen des Singapur-Abkommens genauer auszudifferenzieren und den nachfolgenden Gipfel umfassend vorzubereiten. Das Treffen von Hanoi, das ohne Abkommen vorzeitig be­endet wurde, machte dieses Manko beson­ders offensichtlich. Das entscheidende Pro­blem des im Jahr 2018 wiederaufgenommenen Verhandlungs­prozesses zwischen den USA und Nordkorea ist das Fehlen einer grundlegenden Verständigung über den Fahrplan zur Denuklearisierung Nord­koreas, über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen und über die Schaffung eines Friedens­regimes auf der koreanischen Halbinsel. So gelang es in Hanoi nicht, den Abstand zwischen den weit auseinander­liegenden Positionen Washingtons und Pyongyangs zu verringern. Nicht einmal eine prozedurale Einigung konnte erreicht werden. Vielmehr bestanden die USA da­rauf, dass Nordkorea vollständig denuklea­risiert sein müsse, bevor es Konzessionen etwa in Form von Sanktionserleichterungen erhält. Nordkorea forderte hingegen, dass die USA zunächst fünf große Pakete von Wirtschaftssanktionen aufheben. Erst dann werde es die Demontage des Atomkomplexes Yong­byon angehen.

Die Folgen des gescheiterten Gipfeltreffens von Hanoi

Das Scheitern des Gipfels von Hanoi ver­komplizierte die Situation vor allem aus zwei Gründen:

Für Nordkorea und insbesondere für Kim Jong Un bedeutete der Abbruch der Ge­sprä­che einen Gesichtsverlust. Nach dem Gipfel brach Nordkorea vorerst jegliche Kon­takte zu den USA ab, unterzog die eigene Politik gegenüber Washington einer umfassenden Überprüfung und tauschte das Personal, das für die Beziehungen mit den USA zuständig war, zu großen Teilen aus. Auf einer Sitzung der Obersten Volksversammlung Mitte April 2019 betonte Kim Jong Un in einer Grund­satzrede, dass die Tür für neue Gespräche zwar offen sei, der Norden jedoch nur »bis zum Ende dieses Jahres mit Geduld auf eine mutige Entscheidung der USA warten« werde. Be­reits in seiner Neujahrsansprache am 1. Januar 2019 hatte Kim erklärt, dass, wenn die USA die Geduld des Nordens falsch einschätzten, Nordkorea dazu »ge­zwungen sein könnte, einen neuen Weg zu gehen, um die Souveränität des Landes und die höchsten Interessen des Staates zu ver­teidigen und Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel zu erreichen«. Im Mai 2019 führte Nordkorea erstmals seit Ende 2017 wieder Raketentests durch.

Innerhalb der US-Regierung schien das Scheitern des Gipfels von Hanoi denjenigen in die Hände gespielt zu haben, die einen härteren Ansatz gegenüber Nordkorea befürworten. So hat die Trump-Regierung ihre Definition von Denuklearisierung in­zwischen offensichtlich erheblich erweitert. Sie fordert nun, dass auch alle biologischen und chemischen Waffenbestände im Ver­bund mit der Zerstörung aller Atomsprengköpfe und spaltbaren Materialien beseitigt werden müssten. Ferner wurde bekannt, dass die USA auch verlangen, dass alle im Nuklear­bereich tätigen Expertinnen und Experten in den zivilen Bereich überführt werden müssen. Am 7. März 2019 erklärte Donald Trumps damaliger Nationaler Sicher­heitsberater John Bolton ausdrücklich, dass Nordkorea seine Programme für nukleare, chemische und biologische Waffen voll­ständig aufgeben müsse, bevor die USA die Sanktionen spürbar erleichtern könnten.

Zwar hielten beide Seiten auch nach dem Gipfel von Hanoi einige wenige direkte Kom­munikationskanäle offen, nicht zuletzt über einen direkten schriftlichen Austausch zwischen Trump und Kim; inhaltliche Ver­handlungen, die die konträren Positionen der beiden Länder einander angenähert hätten, fanden jedoch nicht statt.

Die Entwicklungen seit dem »Gipfel« von Panmunjom

An dem Mangel an Verhandlungsdynamik änderte sich auch nach dem weithin als historisch bezeichneten Treffen zwischen Donald Trump und Kim Jong Un nichts, das am 30. Juni 2019 an der innerkoreanischen Grenze stattfand. Zwar ist die symbolische Bedeutung einer Begegnung an diesem Ort als Geste der Aussöhnung verfeindeter Staaten und als Akt der Vertrauensbildung in einem tiefgreifenden Konflikt wie jenem zwischen den USA und Nordkorea nicht geringzuschätzen. Doch gelang es auch unter diesen Vorzeichen nicht, ein neues Momentum für die Fortsetzung des Dialogs auf Arbeitsebene zu erzeugen. Im Gegenteil spitzte sich die Situation in den folgenden Monaten weiter zu. So führte Nordkorea ab Ende Juli mehrere Raketentests, zum Teil auch neuer Waffensysteme, durch, darun­ter auch mit ballistischen Kurzstrecken­raketen auf Festbrennstoffbasis. Nach nord­koreanischen Angaben waren diese Tests auch eine Reaktion auf die gemeinsamen Militärübungen der USA und Südkoreas und auf den Erwerb von 40 amerikanischen F‑35-Kampfjets durch Seoul. Jenseits dieser erneuten Zuspitzung gab es jedoch auch immer wieder Signale, die auf eine Rück­kehr beider Länder an den Verhandlungstisch hindeuteten. Am 9. Sep­tember ver­meldete die nordkoreanische Vize-Außen­ministerin Choe Son Hui, dass Pyongyang und Washington den Dialog auf Arbeitsebene binnen kurzem wiederaufnehmen würden – eine Aussage, die auch vom Generaldirektor der Abteilung für ameri­kanische Angelegenheiten im nord­korea­nischen Außenministerium bestätigt wurde. Mit dem Hinweis, dass ein Gespräch über die Denuklearisierung nur möglich sei, wenn die Bedrohungen und Hürden besei­tigt würden, die Nordkoreas Sicherheit und Entwicklung behinderten, machte er indes deutlich, dass in den Verhandlungen große Schwierigkeiten zu überwinden wären. Das Treffen, zu dem beide Seiten schließlich am 5. Oktober in Schweden zusammenkamen, wurde jedoch nach nur einem Tag wieder abgebrochen, wobei sich die Bewertung des Dialogs zwischen Washing­ton und Pyong­yang fundamental unterschied: Während die USA von einem produktiven Austausch sprachen, bezeichnete der Chefunterhändler Nord­koreas, Kim Myong Gil, das Meeting als gescheitert, da die USA ihre Haltung nicht modifiziert hätten.

Wege zur Überbrückung der Posi­tionen Nordkoreas und der USA

Um die weit auseinanderliegenden Positio­nen Nordkoreas und der USA zu über­brü­cken, führt letztlich kein Weg an einer In­tensivierung des Dialogs mit Pyongyang vor­bei. Dabei ist Nordkorea sicherlich alles andere als ein einfacher Verhandlungs­partner; auch sollte das Gespräch mit Pyong­yang kein Selbstzweck sein. Doch lehrt die Erfahrung der bisherigen Versuche, die Nuklearfrage auf der koreanischen Halb­insel diplomatisch zu lösen, eines deutlich: Auch wenn es von Seiten Nordkoreas in der Vergangenheit regelmäßig Provokationen gab, so ließen sich immer nur dann Fort­schritte in den Bemühungen zur friedlichen Beilegung des zentralen Konfliktthemas er­reichen, wenn die internationale Gemeinschaft und Nordkorea im direkten diplo­matischen Austausch miteinander standen. Dabei haben die Entwicklungen seit dem gescheiterten Gipfel von Hanoi erneut klar gezeigt, dass ein begrenztes Engagement nicht ausreicht, um die komplexe Frage der nuklearen Abrüstung Nordkoreas zu lösen. Vielmehr muss einerseits der Diplomatie auf Arbeitsebene ein größerer Spielraum und mehr Flexibilität gewährt werden. Und andererseits bedarf es eines Sets geeigneter Formate zur Adressierung der zahlreichen Herausforderungen, die mit einer möglichen Denuklearisierung Nordkoreas einhergehen.

Spielraum für die Diplomatie

Die Aufnahme substantieller Denuklearisie­rungsverhandlungen zwischen den USA und Nordkorea setzt Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten voraus. So ist es unrealistisch zu erwarten, dass Washington weitreichende Zugeständnisse macht, ohne dass Pyongyang eine nachprüfbare Ver­pflichtung zur Abrüstung eingegangen ist. Es ist jedoch ebenso unrealistisch zu erwar­ten, dass Kim Jong Un einem Verhandlungs­ansatz zustimmt, der keine Garantien zum Schutz seines Regimes enthält und Nord­korea keine Möglichkeiten bietet, seine wirtschaftliche Entwicklung parallel zur Denuklearisierung (und nicht etwa erst da­nach) zu forcieren. Wenn die USA und Nordkorea offiziell auf ihren jeweiligen Maximalpositionen beharren, wird der diplomatische Prozess 2020 nicht von der Stelle kommen. Es ist daher unerlässlich, dass beide Seiten ihre Verhandlungspositio­nen modifizieren. Nur wenn sie signalisieren, dass sie für Kompromisse offen sind, werden sie sich über das Endziel von Ver­handlungen verständigen und eine ent­sprechende Roadmap formulieren können, die kurz-, mittel- und langfristige Zwischen­ergebnisse benennt. Ein mehrstufiger An­satz, der politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Regelungen umfasst und auch auf die Normalisierung der Bezie­hungen und die Errichtung eines Friedens­regimes auf der koreanischen Halbinsel ausgerichtet ist, wäre ein vielversprechendes Verhandlungskonzept.

In einem ersten Schritt aber müssten sich die USA und Nordkorea darüber einig werden, was am Ende eines solchen Pro­zesses erreicht sein soll: die vollständige Denuklearisierung Nordkoreas im Gegenzug für die Schaffung eines Friedensregimes, die Auf­hebung von Sanktionen und die Normalisierung der Beziehungen. Alle diese Ziele müssten in sich wiederum klar defi­niert sein.

Der zweite Schritt bestünde in der Ausarbeitung eines abgestuften Fahrplans, um diese Ziele zu erreichen. Eine solche Road­map müsste realistische Zwischenetappen benennen, wobei verschiedene Optionen existieren – von einem umfassenden Benchmarking des nordkoreanischen Atom­waffenprogramms über ein vorübergehen­des Einfrieren des spaltbaren Materials des Nukleararsenals bis hin zu einer Deckelung des Arsenals selbst. Das unmittelbare Ziel der Festlegung solcher Zwischenschritte ist es, die Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel zu verbessern, die Grundlagen für eine eventuelle Denuklearisierung zu schaf­fen und erste verifizierte Schritte auf dem Weg dorthin zu gehen, die eine gewisse Lockerung der Sanktionen ermöglichen. Gerade das Thema Verifikation hat sich in vergangenen Verhandlungen als ein beson­ders schwer zu überwindendes Problem er­wiesen. Doch die internationale Gemeinschaft sollte gerade in dieser Frage, an der die Glaubwürdigkeit des Denuklearisierungs­prozesses hängt, keine Abstriche machen. Im Gegenzug für überprüfbare Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung sollten die USA, aber auch die EU, ihrerseits zu einer partiellen Sanktionserleichterung bereit sein.

Die Weigerung der US-Administration, eine begrenzte Sanktionsentlastung als Teil des Verhandlungsprozesses in Betracht zu zie­hen, ist durchaus kritisch zu betrachten. Leider wird diese Haltung auch von der EU und insbesondere der E3 (Deutschland, Frankreich und England) geteilt. Vor allem dass Washington es ablehnt, der südkoreanischen Moon-Regierung die Wiederaufnah­me gemeinsamer Wirtschaftsprojekte mit Nordkorea zu gestatten, ist kurzsichtig; nicht zuletzt da diese Politik ein Problem in den innerkoreanischen Beziehungen zemen­tiert, das sich erneut nach dem Gipfel von Hanoi ganz deutlich manifestiert hat: die direkte Abhängigkeit des innerkoreanischen Verhältnisses von der Dynamik der US-Nordkorea-Beziehungen. Zum anderen würde die Gewährung begrenzter Erleichterungen durchaus im Einklang mit der Logik stehen, aus der heraus die Sanktionen gegen Nordkorea erlassen worden sind. Denn mit den Zwangsmaßnahmen sollte letztlich nicht (nur) negatives Verhalten bestraft werden; sie sollten auch positive Anreize bieten, um der Diplomatie mehr Raum zu geben. Das heißt aber auch, dass die Arbeitsebene ein klares Mandat für Ver­handlungsinhalte und ‑spielräume bekom­men müsste, was insbesondere auf Seiten Nordkoreas eine Ausweitung der zu sehr auf die Gipfelebene verengten Kommu­ni­kation mit den USA erfordert. Die lang­anhaltende Weigerung Pyongyangs, sich auf Arbeitsebene mit amerikanischen Ge­sprächspartnern an einen Tisch zu setzen, erstickt a priori das Potential von Diplo­matie und verstellt den Weg für eine nach­haltige Lösung der Nuklearfrage.

Flexibilität in den Formaten

Im Umgang mit der Bedrohung, die von den Nuklear- und Raketenprogrammen Nordkoreas ausgeht, hat die internationale Gemeinschaft seit den 1990er Jahren meh­rere bilaterale und auch multilaterale Ini­tiativen zum Dialog mit Pyongyang gestar­tet. Auch wenn keine dieser Initiativen bis heute zum eigentlichen Ziel der Denukle­arisierung Nordkoreas geführt hat, greift es zu kurz, diese Ansätze als per se gescheitert zu betrachten. Vielmehr gilt es, die rich­tigen Lektionen aus den vorausgegangenen Verhandlungsvorstößen zu ziehen. Das gilt auch und gerade für die Frage, welches For­mat zur Bearbeitung der zahlreichen Heraus­forderungen angemessen ist, die mit der Denuklearisierung Nordkoreas verknüpft sind. Denn neben der atomaren Abrüstung müssen unter anderem ein Friedensregime auf der koreanischen Halbinsel etabliert, die regionalen Beziehungen normalisiert und ein multilateraler Sicherheitsmechanis­mus für Korea kreiert werden. Ohne Zweifel wird die Diplomatie auf der koreanischen Halbinsel derzeit von bilateralen Prozessen dominiert. Die genannten flankierenden Verhandlungsziele werden es aber notwen­dig machen, weitere Akteure wie etwa China, Japan und die Vereinten Nationen einzubeziehen und neue Formate ins Leben zu rufen. Zu den Erfahrungen, die aus den zu­rückliegenden Denuklearisierungs­verhandlungen mit Nord­korea gewonnen wurden, zählt nicht zuletzt, dass Formate wie etwa die Sechs-Parteien-Gespräche über­frachtet gewesen sind, weil man in ihrem Rahmen eine Vielzahl oftmals miteinander verwobener issues mitverhandeln wollte.

Ein möglicher Beitrag Europas

Nach Jahrzehnten der Konfrontation und immer wieder gescheiterter Versuche einer Verständigung zwischen Nordkorea und der internationalen Gemeinschaft hat die seit 2018 zu beobachtende Rückkehr der Diplo­matie auf der koreanischen Halbinsel er­neut ein »window of opportunity« geöffnet. Auch Europa kann und sollte konkrete Bei­träge leisten, um dieses Fenster offen zu halten – nicht zuletzt, weil ein Scheitern des gegenwärtig angebahnten Verhandlungs­prozesses enorme Gefahren für den Frieden und die Stabilität in Ostasien und darüber hinaus bedeuten würde.

Auf Seiten der EU sollte diese Erkenntnis mit der Einsicht einhergehen, dass die bis­herige Strategie gegenüber Nordkorea zwei entscheidende Schwächen aufwies. Zum einen hat der als »critical engagement« be­zeichnete Ansatz nicht dazu beigetragen, die erklärten Ziele der EU gegenüber Pyong­yang zu erreichen, nämlich durch eine De­nuklearisierung Nordkoreas die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und in der Region nachhaltig abzubauen, das inter­nationale Nichtverbreitungsregime zu stär­ken und die Menschenrechtssituation in Nordkorea zu verbessern. Dies bedeutet selbstredend nicht, dass die Ziele als solche irrig wären, sondern vielmehr, dass die Methode, sie zu verwirklichen, ungenügend gewesen ist. Zweitens hat die Strategie des »critical engagement« auch ausgesprochen negative strategische Konsequenzen für die EU. Die zunehmende Fokussierung auf Sank­tionen als zentrales Mittel im Umgang mit Nordkorea ging mit einer spürbaren Reduktion diplomatischer Initiativen ein­her. Dadurch ist die EU-Politik gegenüber Nordkorea immer passiver und reaktiver geworden. Mehr noch, die EU verknüpfte Fortschritte in der Nuklearfrage direkt mit Fortschritten in anderen Bereichen der Bezie­hungen zu Pyongyang. Aufgrund des äußerst begrenzten diplomatischen Ein­flusses der EU in der Nuklearfrage hat diese Strategie den Spielraum Brüssels zusätzlich eingeschränkt und die Glaubwürdigkeit der Europäer als Akteur in Sicherheitsfragen in Nordostasien weiter dezimiert.

Angesichts der Konsequenzen, die auch für Europa zu erwarten sind, wenn der diplomatische Prozess mit Nordkorea schei­tert, ist es dringend geboten, dass Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten dem Konflikt auf der koreanischen Halb­insel endlich den adäquaten politischen Stellenwert beimessen. Die EU sollte eine mit den regionalen Partnern abgestimmte, aber dennoch unabhängige und auf den Interessen Europas basierende Politik for­mulieren – und diese gegenüber den Hauptakteuren im Korea-Konflikt klar kom­munizieren. Denn wenn auch der direkte diplomatische Einfluss Europas begrenzt ist, hat Brüssel im Hinblick auf die korea­nische Halbinsel nichts­destotrotz starke strategische Interessen: Dazu zählen unter anderem die regionale Sicherheit in Ost­asien, die Legitimität des Nichtverbreitungs­regimes, die Achtung der Menschenrechte und die Stär­kung der multilateralen Zu­sammen­arbeit. Bei den Bemühungen, ihre Rolle auf der korea­nischen Halbinsel neu zu bestimmen, kann es der EU nicht darum gehen, einen strategischen Part in der Nuklearfrage zu übernehmen – dies wäre weder realistisch noch hilfreich. Vielmehr sollte sich Europa dezidierter auf seine Stärken stützen und seine außenpolitischen Vorteile (wie etwa seine vielfältigen Bezie­hungen zu allen am Konflikt beteiligten Parteien) besser ausspielen und sich somit auf spezifische und realistische Initiativen konzentrieren, die einen klaren Mehrwert für eine diplomatische Lösung der Nuklearfrage schaffen.

Wie diese Stärken gewinnbringend ein­gebracht werden können und welchen Bei­trag Europa zur Konfliktbewältigung in Korea leisten kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Schweden, das immer wieder eine Brücke zwischen Nordkorea, den USA und Europa gebildet und auch den Dialog zwi­schen Washington und Pyongyang wieder­holt arrangiert und gefördert hat. Zuletzt richtete Schweden 2019 beide Treffen der Verhandlungsführer Nord­koreas und der USA auf Arbeitsebene aus. Solche Initiativen einzelner EU-Mitgliedstaaten sind von großer Bedeutung. Allerdings wurden sie von Brüssel zuletzt eher geduldet als poli­tisch effektiv unterstützt.

Auch wenn die Neuformulierung der europäischen Strategie gegenüber Nord­korea sicherlich ein langfristiges Unter­fangen darstellt, gibt es doch konkrete Ini­tia­tiven, die von der EU und/oder ihren Mit­gliedstaaten auch kurzfristig umgesetzt werden können und sollten.

Wiederaufnahme des politischen Dialogs der EU mit Nordkorea

Der politische Dialog zwischen der EU und Nordkorea, der erstmals im Dezember 1998 stattfand, diente in erster Linie der Ver­besserung der bilateralen Beziehungen. Der seither 14 Mal auf »senior-level« abgehaltene Dialog wurde für Brüssel zweifellos zu einer der wichtigsten Ressourcen gegenüber Pyongyang. Im Rahmen dieses Formats wur­den verschiedene Themen erörtert, darunter die Massenvernichtungswaffenprogramme Nordkoreas, die Situation der Menschenrechte dort, die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea, Möglichkeiten zum Abbau der Spannungen auf der korea­nischen Halbinsel, die Unterstützung mit Nahrungsmitteln und die humanitäre Hilfe der EU. Im Einklang mit ihrer zunehmend restriktiven Politik, die Sanktionen in den Mittelpunkt stellte und den offiziellen Aus­tausch mit Nordkorea reduzierte, stoppte die EU den politischen Dialog jedoch ein­seitig nach der vorerst letzten Verhandlungs­runde im Juni 2015. Nordkorea selbst schlug 2018 eine Wiederaufnahme der Gespräche vor – ein An­gebot, das zwar von einigen Mitgliedsstaaten unterstützt, aber insbesondere von den E3 mit dem Hinweis abgelehnt wurde, Nordkorea müsse zuvor »mehr tun«. Diese Entscheidung ist be­dauer­lich, denn die EU hätte durch eine Rückkehr zum politischen Dialog nichts zu verlieren und durchaus etwas zu gewinnen: Das Gesprächsformat bie­tet Brüssel eine der wenigen Gelegenheiten, die von Europa als besonders wichtig erachteten Fragen – wie etwa die friedliche Beilegung des Atom­konflikts, Nonproliferation oder Menschenrechte – in einem in­stitutionalisierten Rahmen direkt mit Nordkorea zu erörtern. Um den eigentlichen Entscheidungsträgern in Pyongyang näher zu kommen, sollte Brüssel sogar die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Dialog aufzuwerten und auf eine höhere diplomatische Ebene zu heben. Ein stabiler Gesprächskanal zwischen der EU und Nordkorea könnte dazu beitragen, ein tieferes Verständnis von den nordkorea­nischen Motiven und Zielen zu gewinnen, und würde möglicherweise gleichzeitig das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Seiten verbessern – was sich unabhängig davon positiv auswirken würde, ob die laufenden Ver­handlungen zwischen Nord­korea und den USA sowie zwischen den beiden Koreas erfolgreich sind oder nicht.

Expertengespräche und Track‑1.5‑Dialoge

Parallel zur Wiederaufnahme des politischen Dialogs sollten die EU und/oder ein­zelne Mitgliedstaaten den Austausch von Expertinnen und Experten sowie Offiziellen auf Track-1.5-Ebene zu jenen Themen­bereichen forcieren, zu denen Europa einen zweckmäßigen Beitrag leisten kann. Ins­besondere nach dem Kollaps der Sechs-Par­teien-Gespräche, als der offizielle Dialog mit Nordkorea weitestgehend erlahmte, haben Think-Tanks und akademische Ein­richtungen in mehreren europäischen Län­dern (zum Beispiel in Schweden, Norwegen, Finnland und Spanien) bereits Foren ge­schaffen, in denen nordkoreanische und westliche Fachleute und (ehemalige) Regie­rungsvertreterinnen bzw. ‑vertreter zu dis­kreten Gesprächen zusammenkamen. Tat­sächlich gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Nordkorea derartigen Dialogen durch­aus Bedeutung zumisst. Denn solche Platt­formen bieten unter anderem die Gelegenheit für »back-channel messaging« oder auch dazu, sogenannte »Versuchsballons« zu lancieren. Auch wenn sich die verschiedenen Track-1.5-Initiativen, in die Nord­korea eingebunden ist, erheblich im Hin­blick auf ihren jeweiligen Institutionalisierungsgrad, die behandelten Themen und Ziele sowie ihre personelle Zusammensetzung unterscheiden, so lässt sich doch all­gemein feststellen, dass solche Tref­fen dazu beitragen, zusätzliche Informationen über Nordkorea, seine Positionen und die institu­tionellen und politischen Dynamiken zu ge­winnen, die diesen Positionen zugrunde lie­gen. Wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten sich miteinander abstimmen und die Institutionalisierung von Track-1.5-Gesprächen (etwa über die technischen Aspekte der Denuklea­risierung) initiieren würden, könnten solche Kanäle den offiziellen Dialog Europas mit Nordkorea ergänzen und auf diese Weise eine zentrale Lücke in den komplexen Pro­zessen der Denuklearisierung und Friedens­konsolidierung in Korea schließen. Mit ihrer Expertise im Bereich Nichtverbreitung, auf die sich die EU und ihre Mitglieder nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen aus den Verhandlungen mit dem Iran stützen kön­nen, wären europäische Staaten ein glaub­würdiger Gastgeber für solche Foren. Dies setzt jedoch voraus, dass innerhalb der EU und speziell auf Seiten der E3-Staaten der entsprechende politische Wille vorhanden ist. Nur dann kann solchen Initiativen ein angemessenes diplomatisches Gewicht ver­liehen werden.

Die Zeichen stehen auf einem konfliktreichen Jahr 2020

Wenn die komplexe Aufgabe, die mit der Denuklearisierung Nordkoreas verknüpft ist, bewältigt werden soll, muss zuerst ein robuster diplomatischer Prozess zwischen der internationalen Gemeinschaft (und vor allem den USA) und Nordkorea etabliert werden. Neben den oben diskutierten Her­ausforderungen sprechen jedoch auch die aktuell ungünstigen politischen Rahmen­bedingungen in Washington und Pyongyang dafür, dass die Zeit, um einen solchen Prozess zu initiieren, begrenzt ist. So ist einerseits zu erwarten, dass die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA eine zu­nehmend spannungsgeladene Atmosphäre für die Gespräche zwischen Washington und Pyongyang schaffen werden. Nord­korea strebt eine schnelle Abmilderung des Sanktionsdrucks an. Doch die von Kim Jong Un gesetzte Frist, der zufolge der Dia­log bis zum Jahresende wieder­aufgenom­men sein muss, lässt vermuten, dass das nordkoreanische Regime danach zu einer Politik der Kriseninduzierung zurückkehren könnte, etwa durch die Wiederaufnahme der Tests von Langstreckenraketen und Nuklearwaffen. Länger abzuwarten und auf Verhaltensänderungen Nordkoreas durch die Sanktionspolitik zu hoffen, ist für die internationale Gemeinschaft daher keine sinnvolle Option. Denn diese abwartende Haltung basiert auf der Prämisse, dass die Situation auf der koreanischen Halbinsel statisch ist – doch sie ist alles andere als das. Zwar ist die Gefahr einer militärischen Eskalation dank der diplomatischen An­nähe­rung der vergangenen Monate und des Teststopps, den sich Nord­korea im Hin­blick auf Nuklearwaffen und ballistische Lang­streckenraketen verordnet hat, vor­über­gehend eingedämmt. Doch könnte Pyong­yang seine Bemühungen zur Auswei­tung und technischen Verbesserung seines Atom­waffen- und Raketenarsenals schnell wiederaufnehmen. Je länger die internationale Gemeinschaft und insbesondere die USA auf ein »besseres« Abkommen warten, desto größer ist die Gefahr, dass die gegen­wärtige Gelegenheit verpasst wird, die Bedrohung, die von Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogrammen ausgeht, weiter steigt und eine Verhandlungslösung in der Zukunft damit zusätzlich erschwert wird.

Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN 1611-6364