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Gesundheit und Sicherheit

Warum die Eindämmung von Infektionskrankheiten allein nicht ausreicht

SWP-Aktuell 2019/A 41, 29.07.2019, 4 Seiten

doi:10.18449/2019A41

Forschungsgebiete

Die Ebolafieber-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo ver­deutlicht, wie dringlich es ist, die Zusammenarbeit zwischen Sicherheits-, Gesundheits- und Ent­wick­lungsakteuren auszubauen. Da die Krankheit sich ausbreitet, hat die Weltgesundheits­organisation (WHO) den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. In Krisen­situatio­nen sind die Zusammenhänge von Gesundheit und Sicherheit hochkomplex. Welche Be­völkerungsgruppen und welche Krankheit mit welcher Begründung als angebliches Gesundheitsrisiko wahrgenommen werden, ist eine normative Frage für Geberländer. Politische Konsequenzen hat sie vor allem für betroffene Entwicklungsländer. Wo Gesundheit und Sicherheit gemeinsame Ziele sind, reicht es nicht aus, nur Infektions­krankhei­ten in Entwicklungsländern einzudämmen. Vielmehr müssen dort krisen­resistente, funk­tionsfähige und zugängliche Gesundheitssysteme etabliert werden. Dies fördert die Umsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit, schafft Ver­trauen in staat­liche Strukturen und berücksichtigt Sicherheitsinteressen anderer Staaten. Die Bundesregierung könnte sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) für eine Politik unter dem Narrativ »Sta­bi­lität durch Gesundheit« einsetzen.

Seit August 2018 grassiert im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo erneut das Ebolafieber. Bislang erkrankten mehr als 2500 Men­schen, über 1700 davon starben. Das Fieber brach in einer konflikt­geprägten Region aus, in der staatlichen Autoritäten misstraut wird und Milizen Gewalttaten ver­üben. Angriffe auf huma­ni­täres und medi­zinisches Personal forder­ten auch zivile Opfer, darunter ein Mit­arbeiter der WHO. Deshalb sahen sich internationale Organi­sationen gezwungen, ihre Nothilfe zurück­zufahren oder einzu­stellen. Die schwierige Sicherheitslage hat massive Aus­wirkungen auf die öffentliche Ordnung, die Gesundheitsversorgung und die Eindämmung der Krankheit. Inzwischen hat die WHO eine »gesundheit­liche Notlage inter­nationaler Tragweite« ausgerufen, nachdem sich die Epidemie in die ugandische Grenz­region und die kongo­lesische Mil­lionen­stadt Goma ausgeweitet hatte. Die WHO benötigt nun verstärkt inter­nationale Unter­stützung und bat be­sonders Nachbarstaaten, die Grenzen offen zu halten, damit Hilfe ankommen kann.

Aufgrund der Epidemie durfte die Bevölkerung in den betroffenen, von der Oppo­sition dominierten Provinzen nicht an der Präsidentschaftswahl teilnehmen. Zudem regte sich in der Bevölkerung von Beginn an Widerstand gegen die Hilfsmaßnahmen. Darin drückte sich der Unmut über anhal­tende Missstände und deren mangelnde Beachtung seitens der inter­nationalen Gemeinschaft aus. Erst jetzt, als eine hoch­ansteckende Krankheit zum wie­derholten Male ausbrach, richtete sich die glo­bale Auf­merksamkeit auf die Krisen­region, ob­wohl es dort seit Langem an hinreichenden Versorgungsstrukturen fehlt. Diese Situa­tion bildet den Nährboden für den Aus­bruch von Krankheiten, untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und destabi­lisiert ihn zusätzlich.

Gesundheit und Sicherheit – strittiges Konzept mit Tradition

Die erste internationale Hygienekonferenz im Jahr 1851 bildete den Ausgangspunkt internationaler Gesundheitszusammen­arbeit. Seitdem treiben Industriestaaten die Weiterentwicklung des internationalen Infektionsschutzregimes voran, nicht zu­letzt aufgrund eigener Sicherheitsinteressen. Vor allem Sicherheitsakteure haben das Kon­zept der sogenannten globalen Gesund­heitssicherheit (global health security) in wissenschaftlichen Debatten und den inter­nationalen Beziehungen etabliert.

Im Jahr 2007 nannte die WHO folgende Themen als relevant für Gesundheitssicher­heit:

  • Umweltveränderungen,

  • Armut,

  • Ernährungsunsicherheit,

  • Gewalt,

  • Konflikte und humanitäre Krisen,

  • Stärkung von Gesundheitssystemen,

  • HIV/Aids,

  • Krankheiten mit massiven Auswirkungen auf wirtschaftliche Stabilität,

  • chemische, biologische und nukleare Angriffe und Unfälle,

  • wieder und neu auftretende (Infek­tions-) Krankheiten.

Hinzu kommen antimikrobielle Resistenzen, die seit einiger Zeit als sicherheitsrelevant betrachtet werden. Diese Vielfalt zeigt, dass es keine einheitliche Definition sogenannter Ge­sund­heitssicherheit gibt. Dennoch gelten die verbindlichen inter-nationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO als Ausgangsvereinbarung. Sie enthalten für alle Mitgliedstaaten Vor­gaben zur Vorbeugung gegen sowie Meldung und Eindämmung von Infektionskrankheiten. Bei einem schwerwiegenden, unerwarteten und ungewöhn­lichen grenzüberschreitenden Ausbruch kann die WHO eine »gesund­heitliche Not­lage internationaler Tragweite« ausrufen, um internationale Nothilfe aus­zuweiten. Dabei sind betroffene Länder angehalten, Krankheitsfälle sofort der WHO zu melden. Außerdem sind alle Staa­ten verpflichtet, ihre Grenzen offen zu halten und den Handel nicht einzuschränken. Jedoch werden diese Regeln nicht immer befolgt. Mitunter werden Krankheitsfälle verschwiegen, und der Waren- und Reise­verkehr wird aus Angst vor Ausbreitung der Krankheit reduziert. Dies schwächt den betroffenen Staat und die Märkte dort.

In der Einschätzung darüber, wer oder was als Gesundheitsrisiko wahrgenommen wird und aus welchem Grund, offenbaren sich Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Sicherheit. Gesundheitsthemen werden »versicherheitlicht«, indem ein Ak­teur ein angebliches Gesundheitsrisiko, etwa in Gestalt einer Infektionskrankheit, identifiziert und bei weiteren Akteuren für diese Einord­nung und damit die Akzeptanz als Risiko wirbt. Motiviert durch eigene Sicher­heits­interessen, können dominante Akteure die Versicherheitlichung intensivieren und beschleunigen, indem sie den Diskurs ge­zielt lenken. Personen mit be­stimmten (Infek­tions-) Krankheiten können so als kollektives Risiko dargestellt werden. Auf diese Weise kann das Recht des Einzel­nen auf Gesundheit hinter nationale Sicherheitsinteressen zurückgestellt werden.

Besonders deutlich wird der Vorrang nationaler Sicher­heitsinteressen, wenn Industrieländer Geld und Expertenwissen fast ausschließlich für die Erken­nung und Behandlung von Infektionskrankheiten sowie die Abwehr von Bioterroris­mus bereit­­stellen. Prä­vention und Rehabilitation kommen dagegen häufig zu kurz. Zentrales Ziel der neuen »Strategie zu Gesundheits­sicherheit« der USA ist der Schutz der eige­nen Bevölke­rung und der von Partnerländern vor Infek­tionskrankheiten.

Investitionen in Gesundheitssicherheit fließen vor allem in Entwicklungsländer. Dort leiden jedoch viele Menschen zusätz­lich zu Infektionskrankheiten an Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen sowie Diabetes (doppelte Krankheitslast). Oft fehlen den Gesundheits­systemen vor Ort Mittel für eine bedarfs­gerechte Gesundheitsversorgung, die sich nicht überwiegend auf Infek­tionskrank­heiten konzentriert. Unabdingbar als Basis politischen Handelns ist daher eine umfas­sende wissen­schaftliche Ein­schätzung von Gesundheitsrisiken im lokalen Kontext.

Gesundheit, Sicherheit, Stabilität

Gesundheit als nichttraditionelles Sicher­heitsthema steht seit 2000 immer häu­figer auf der Agenda des VN-Sicherheitsrats. Das liegt zum einen an neuen, schwerwiegenden Gesundheitskrisen in instabilen politischen Kontexten. Zum anderen wer­den im Sicher­heitsrat immer öfter Themen bespro­chen, die einer erweiterten Sicherheitslogik folgen, etwa Klima­wandel als Sicherheitsproblem.

In der Resolution des Sicherheitsrats von 2014 zum Ebolafieber-Ausbruch in West­afrika wurde eine Infektionskrankheit ex­plizit und direkt als Bedrohung für Frie­den und Sicherheit beschrieben. Damit rief der Sicherheitsrat die erste kol­lektive Gesundheitsmission der VN (United Nations Mission for Ebola Emergency Response, UNMEER) ins Leben. Allerdings ist der Schutz öffent­licher Gesundheit verfassungsmäßige Auf­gabe der WHO. Daher riet deren unabhängig besetzter Ebola-Zwischenbewertungs­ausschuss für den Fall künftiger Gesund­heitskrisen von weiteren VN-Missionen ab.

Anlässlich der Situation in der Demo­kratischen Republik Kongo sprach der WHO-Generaldirektor im Oktober 2018 vor dem VN-Sicher­heitsrat. Dieser verabschiedete darauf­hin Resolution 2439 mit Forderungen zum Schutz und Zugang medizinischer humanitärer Helfender. Seit Mai 2019 gibt es einen Notfallkoordinator der VN für den Ebola-Ausbruch: David Gressly war zuvor stell­vertretender Leiter der Friedensmission MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo und personifiziert die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Sicherheit.

Die bisherigen Resolutionen mit explizitem Gesundheitsbezug stellten entweder einen Zusammenhang zwischen Gesundheitsrisiken und Frieden, Stabilität und Sicherheit her oder befassten sich mit dem Schutz humanitären Personals. Wenig Auf­merksamkeit dagegen erhielten die Vor­beugung gegen Epidemien sowie der Auf­bau resilienter und leistungsfähiger Gesund­heitssysteme. Für diese Themen ist der Wirt­schafts- und Sozialrat (ECOSOC) zuständig.

Gesundheitlichen Herausforderungen lässt sich künftig besser begeg­nen, wenn der Zusammenhang von Gesundheit, Sicher­heit und Stabilität in den Blick genommen wird. Das umfasst die sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Bedingungen und Auswirkungen einer Krankheit. So destabilisierten die wirtschaftlichen Fol­gen von HIV/Aids mehrere Jahre lang die besonders betroffenen Regionen Afrikas: Krankheitsbedingter Arbeitsausfall führte zu Produktivitäts­einbußen, höheren Kosten für medizinische Versorgung und reduzierten Investitionen aus dem Ausland. Dies kann wach­sende Einkommensunterschiede, mehr Armut und schließlich sozia­len und politischen Unfrieden zur Folge haben. Für 41 Staaten Subsahara-Afrikas, in denen rund fünf Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert sind, wurde in Modellrechnungen eine Reduktion des Bruttoinlandsprodukts um mehr als zwei Prozent pro Jahr ermittelt. Wenn eine hohe Krankheitslast vorliegt, das Vertrauen in staatliche Gesundheitsstrukturen sinkt und staatliche Leistungen nicht mehr finan­­zierbar sind, können Krank­heiten sogar den Wendepunkt in der Ent­wicklung vom fra­gilen zum gescheiterten Staat markieren.

Zeit für ein neues Narrativ

Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, den Multi­lateralismus wertegeleitet zu stärken. Das ließe sich zum Beispiel an der Schnittstelle von Gesundheit, Sicherheit und Stabi­lisierung in die Tat umsetzen. Der Begriff Gesundheitssicherheit sollte kritisch hinter­fragt werden. Er ist Ausdruck der Domi­nanz und der Interessen von Industriestaaten und vernachlässigt tatsächliche Bedarfe von Partnerländern. Um das Recht auf Gesundheit durchzusetzen, muss globa­le Gesundheitspolitik Interessen anderer Politikfelder berücksichtigen, moderierend wirken sowie für Gesundheitsprioritäten und ethische Implikationen einstehen. Das beinhaltet die Unterstützung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen, Präventivmaßnahmen, die Erkennung und Behandlung akuter und chronischer Krankheiten sowie Rehabi­litation. Es gilt also, sich nicht auf die Be­hand­lung von Infektionskrankheiten zu beschränken. Ein neues Narrativ könnte helfen, die Glaubwürdigkeit eines deutschen gesundheitspolitischen Engagements in Foren der Vereinten Natio­nen zu erhöhen. So ließen sich dafür auch Part­ner im glo­balen Süden finden. Statt Bedrohungs­szenarien könnten die gemeinsamen Risi­ken und die Ver­wundbarkeit aller Menschen in den Mittel­punkt rücken und das Narrativ »Sta­bilität durch Gesundheit« verfolgt werden. Das setzt voraus, sich vom Begriff Gesundheitssicherheit abzuwenden und stattdessen Gleichwertigkeit von Gesundheit, Sicher­heit und Stabilität anzustreben.

Deutschlands Handlungs­möglichkeiten

Deutschland könnte Themen der Agenda des Sicherheitsrats aufgreifen, die an der Schnittstelle von Gesundheit, Sicherheit und Stabilität liegen. Das böte Gelegenheit, das Narrativ »Stabilität durch Gesundheit« mit Blick auf Synergieeffekte an­zuwenden. Zwischen Partnerländern wäre dann über lokale Bedarfe nach all­gemeiner Gesundheitsversorgung und die Behandlung von Infektionskrankheiten ebenso zu verhandeln wie über den Schutz humanitärer Akteure und Einrichtungen. Im Sicher­heitsrat bilden die Arria-Formel-Sitzungen, benannt nach dem einstigen venezolanischen Botschafter bei den VN, das geeignetste Forum, um in diese präven­tive Rich­tung zu wirken. In diesem Rahmen lassen sich drohende humanitäre Krisen im Lichte ihrer systemischen Zusammenhänge be­trach­ten. Auch kann in diesem Format für entsprechende Allianzen geworben werden.

Geber- und Empfängerländer sollten sich mit vereinten Kräften bemühen, Gesundheitssysteme auch im Kontext bilate­raler Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Zu diesem Zweck sollte gemäß den Emp­fehlungen der WHO das Konzept der all­ge­meinen Gesundheitsversorgung favo­ri­siert werden. Das hieße, universellen Zu­gang zu bedarfsgerechten Gesundheits­leistungen zu fördern und zu verhindern, dass Betrof­­fene wegen hoher privater Ge­sund­heits­ausgaben in finanzielle Not geraten.

Der Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo führt vor Augen, wie dringlich intensivere Zusammenarbeit ist. Das gilt für die Kooperation zwischen Gesundheits-, Sicherheits- und Entwicklungs­akteuren auf lokaler und nationaler Ebene, aber auch zwischen WHO, Sicherheitsrat und ECOSOC. Ge­meinsames Ziel deutscher Global­-Health-Akteure sollte sein, funk­tionsfähige und zugängliche Gesundheitsstrukturen auf­zubauen und dauerhaft zu sichern. Das Auswärtige Amt sowie die Bun­desministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für Gesundheit, für Bildung und Forschung sowie der Verteidigung soll­ten dabei die gesellschaftliche Funktion des Gesundheits­sektors als stabilisierender Faktor verstärkt in den Blick nehmen.

Daniel Gulati ist Wissenschaftler, Maike Voss Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Beide arbeiten im Projekt »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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