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Interview: Entwicklungszusammenarbeit muss demografische Chancen nutzen

Eine neue SWP-Studie analysiert die Chancen und Risiken des Jugendüberhangs. Im Interview erläutern die Autoren Steffen Angenendt und Silvia Popp ihre Studienergebnisse.

Kurz gesagt, 07.06.2013 Forschungsgebiete

Eine neue SWP-Studie beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken des Jugendüberhangs, also eines überproportionalen Anteils von 15- bis 24-Jährigen an der Bevölkerung. Die Autoren Steffen Angenendt und Silvia Popp identifizieren Länder mit Jugendüberhängen und analysieren die Risiken und Chancen, die sich aus den demografischen Entwicklungen ergeben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit die demografischen Trends in den Partnerländern stärker als bisher berücksichtigen sollte. Im Interview erläutern sie ihre Studienergebnisse.

Man hört häufig, dass eine Gesellschaft anfälliger für Gewalt ist, wenn der Anteil an Jugendlichen besonders hoch ist. Die Jugendproteste in den arabischen Staaten scheinen für diese These zu sprechen. Deckt sich diese Sichtweise mit Ihren Forschungsergebnissen?

Angenendt: Solche Thesen über „wütende junge Männer“ und das Sicherheitsrisiko, das sie angeblich darstellen, finden in der Öffentlichkeit immer wieder Aufmerksamkeit und Zustimmung - gerade weil sie dramatisieren. Prinzipiell sind zwar Staaten mit einer jungen Bevölkerungsstruktur konfliktanfälliger als Staaten, die über eine ältere Bevölkerungsstruktur verfügen, aber demografische Faktoren allein sind nicht ausschlaggebend für die Entstehung von Konflikten.

Welche anderen Faktoren spielen denn eine Rolle?

Popp: Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen entscheiden darüber, ob ein hoher Anteil Jugendlicher konfliktträchtig ist. Das Bildungsniveau spielt dabei eine wichtige Rolle, denn wenn die Jugendlichen nicht den Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechend qualifiziert werden, haben sie auch keine Beschäftigungsperspektive. Ebenso wichtig wie die Qualifizierung ist auch die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten, denn Qualifizierung bringt nichts, wenn die Arbeitskräfte nicht nachgefragt werden. Genau das aber ist in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern mit einem großen Jugendanteil derzeit der Fall. Hier braucht man integrierte Beschäftigungskonzepte, die gleichzeitig Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage fördern.

Können Sie uns Länder nennen, in denen der Jugendüberhang besonders problematisch ist?

Angenendt: Man muss zunächst sehen, dass es unterschiedliche Problemlagen gibt: Einige Länder mit einem hohen Jugendüberhang, wie beispielsweise viele der Länder Subsahara-Afrikas, weisen anhaltend starke Geburtenraten auf, was die Jugendüberhänge zu einem dauerhaften Problem zu machen droht. Das sind oft gerade die ärmsten Länder, die auch künftig kaum Möglichkeiten haben werden, die benötigten Beschäftigungsangebote für die jungen Menschen zu schaffen. Diese Länder sollten neben allen anderen Hilfen noch stärker bei ihren Bemühungen um Familienplanung und reproduktive Gesundheit unterstützt werden. Der ungedeckte Bedarf vieler Frauen an Verhütungsmitteln ist immens, wie Studien immer wieder zeigen.

Popp: Dann aber gibt es auch Länder, in denen die Geburtenraten bereits abgenommen haben und in denen die früheren Jugendüberhänge bereits zu altern beginnen. Dies trifft auf viele Länder Nordafrikas, Süd- und Zentralasiens und Lateinamerikas zu. Gerade wenn in diesen Ländern die jüngeren Menschen keine angemessene Beschäftigung gefunden haben und deshalb nicht selbst für das Alter vorsorgen können, drohen hier später Riesenprobleme. Hier kann die Entwicklungszusammenarbeit vorbeugen, indem sie Bemühungen um sekundäre Bildung und Ausbildung unterstützt, die Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum fördert und die Länder in Hinblick auf den Aufbau von alternativen Sozialversicherungssystemen berät.

Gibt es auch Länder, in denen sich der Jugendüberhang positiv auswirkt?

Popp: Ja. Man kann feststellen, dass in den 1970er Jahren die günstige demografische Struktur in den Tigerstaaten Südasiens zu deren Wirtschaftswunder beigetragen hat: Dort gab es einen großen Anteil Jugendlicher, geringe Geburtenraten und wenige Alte. Und es ist den Ländern gelungen, den jungen Menschen Beschäftigungsangebote zu machen. Das ist heute in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern anders. Aber auch hier kann ein großer Anteil junger Menschen einen Wachstums- und Entwicklungsschub auslösen, wenn die dafür nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, vor allem wenn die Jugendlichen gut ausgebildet werden und dann auch eine Nachfrage nach diesen Kenntnissen und Fähigkeiten besteht.

Wie kann deutsche Entwicklungszusammenarbeit die Länder bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen unterstützen?

Angenendt: Dazu müssen vor allem demografische Entwicklungen systematischer beachtet werden, ähnlich wie es jetzt schon bei der Berücksichtigung der Geschlechterdimension gemacht wird. Das sollte mit einer Sensibilisierung für die demografischen Prozesse beginnen und sich in der Bereitschaft fortsetzen, auch mittel- und langfristige demografische Entwicklungen in die Länderanalysen einzubeziehen. Das geschieht in vielen Fällen schon, sollte aber in Form eines Demografie-Mainstreamings, einer systematischen Beachtung demografischer Trends in entwicklungspolitischen Länder- und Sektorprogrammen, verankert werden. Da die demografischen Lagen der Partnerländer sehr unterschiedlich sind und sich auch die Rahmenbedingungen unterscheiden, kann nur so entschieden werden, welche Maßnahmen für das einzelne Land geeignet sind.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.

Das Interview ist auch bei EurActiv.de erschienen.