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Die Afrikanische Freihandelszone

Perspektiven für Afrika und die europäische Politik

SWP-Aktuell 2020/A 12, 20.02.2020, 8 Seiten

doi:10.18449/2020A12

Forschungsgebiete

Im Mai 2019 ist das Abkommen über die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) in Kraft getreten. Perspektivisch soll die AfCFTA die Grundlage für einen umfassenden afri­kanischen Markt schaffen; zu­nächst setzt sie komplizierte, voraussichtlich lang andauernde Verhandlungen in Gang. An deren Ende wird zwar nicht vollständiger Freihandel in Afrika stehen, aber doch ein Zollabbau, der Handel und Produktion anregen sowie regionale Wertschöpfungsketten stärken könnte. Überlegungen, die Handelspolitik der Europäischen Union (EU) gegenüber Afrika anzupassen – und dass dies ein Thema für die deutsche Rats­präsi­dentschaft sein könnte –, sind allerdings verfrüht. Trotzdem sollten Deutschland und die EU die Errichtung der AfCFTA weiter begleiten, denn sie ist ein wichtiger poli­ti­scher Prozess mit auf lange Sicht hohem wirtschaftlichem Potential für Afrika.

Den Vertrag über die AfCFTA haben 54 Staaten Afrikas unterzeichnet und 28 ratifiziert (Stand Oktober 2019). Die damit entstehende Freihandelszone strebt, kurz zusammengefasst, folgende Ziele an: Auf 90 Prozent der Zoll­linien im Warenhandel sollen die Zölle ab­ge­schafft werden. Für 7 Prozent der sensiblen Produkte ge­schieht dies erst über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren; dauerhaft geschützt blei­ben 3 Prozent der Zolllinien, jedoch nicht mehr als 10 Prozent des Import­wertes. Die AfCFTA soll einen Markt schaffen mit einer Größe von 1,2 Mil­liarden Menschen und einem gemeinsamen Brutto­inlandsprodukt (BIP) von etwa 2,5 Billionen US-Dollar.

Themen der AfCFTA

Die Marktöffnungsziele sind im Abkommen festgeschrieben, doch ist bisher un­klar, wie sie erreicht werden sollen. We­sent­liche Grundlagen für die tatsächliche Handels­liberalisierung sind noch nicht ausver­han­delt, zum Beispiel konkrete Ver­ein­barun­gen darüber, für welche Produkte die Zölle wann und wie weit gesenkt werden (sog. Liberalisierungslisten), sowie die Ursprungsregeln. Letztere sind in jedem Frei­handels­abkommen nötig, um zu ver­hindern, dass Exporteure aus Drittländern über Umwege Waren einführen und so die beschlossene Zollfreiheit nutzen. Ursprungs­regeln de­finieren deshalb, wie stark ein Produkt im Partnerland des Abkommens bearbeitet worden sein muss, um in den Genuss der Zollermäßigung zu kom­men. Im AfCFTA-Abkommen fehlen diese Bestimmungen noch. Sein Inkrafttreten bedeutet daher für den Waren­verkehr weitere Ver­handlungen; ökonomische Folgen werden fürs Erste auf sich warten lassen.

Ein Hinweis am Rande: Der Begriff des »Inkrafttretens« des AfCFTA-Abkommens hat in Europa zu einigen Missverständnissen geführt, da er hier anders verstanden wird. Tritt ein europäisches Freihandels­abkommen (FHA) in Kraft, führt dies direkt zur Sen­kung der Zölle auf Waren, so dass ökonomische Wirkungen sich sofort ent­falten können.

Die AfCFTA soll nicht nur den Güter­verkehr, sondern auch den Handel mit Dienstleistungen liberalisieren. Allerdings stehen die Verhandlungen zu Dienst­leistungen ebenfalls noch am Anfang, ein etwaiges Ergebnis und seine Wirkungen sind also noch nicht abzuschätzen. Die afrika­nischen Staaten haben mit dieser Art Verhandlungen noch weniger Erfahrung als mit solchen zur Öffnung des Waren­handels, entsprechend groß sind die Her­aus­forde­rungen. Zwar sind die Verhandlungen an­gelehnt an eine multilateral vereinbarte Grundlage – das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der Welthandelsorganisation (WTO) –, doch haben die in Afrika bestehenden regionalen Integrations­gemeinschaften (Regional Economic Com­munities, RECs) bisher unterschiedliche Ansätze gewählt und unterschiedliche Erfahrungen gemacht, was die Dienstleistungsliberalisierung angeht. Der Haupt­vorteil der AfCFTA für den Dienstleistungsbereich liegt momentan darin, dass ein gemeinsames Vor­gehen entworfen wurde. Die Verhandlungen werden einige Zeit in Anspruch neh­men, wie die Erfahrung auf regionaler Ebene lehrt. In der Ent­wick­lungs­gemeinschaft des südlichen Afrika (South­ern African Development Commu­nity, SADC) etwa wurde sechs Jahre über die interne Marktöffnung für sechs Dienst­leistungs­sektoren diskutiert.

Die afrikanischen Staaten streben mit dem AfCFTA-Vertrag ein umfassendes, modernes Abkommen an, das neben Waren- und Dienstleistungshandel auch neue Themen abdecken soll. Regelungen zur Personen­freizügigkeit zielen auf weit­reichende Freiheiten sowie die Abschaffung von Visa ab. Nach Artikel 34 kann jedoch jedes Land jede Art von Ein­schränkung vornehmen, mithin muss sich der tatsäch­liche Wert der Vereinbarung erst noch erweisen. In einer zweiten Verhandlungsphase soll ein Regelwerk für Investi­tionen, Wettbewerbspolitik und geistige Eigentums­rechte erarbeitet werden. Der vorge­sehene Zeitraum dafür (bis Anfang 2020) wurde indessen nicht eingehalten. Inhalt­lich ist es unwahrscheinlich, dass die Part­ner über bestehende regionale Koope­ratio­nen oder das Regelwerk der WTO hinausgehen werden, was die neuen Themen anbetrifft.

Zunächst mehr Regionalabkommen

Es ist noch nicht vollkommen klar, wie der weitere Verhandlungsprozess ablaufen wird. Zwar weckt das Ziel, eine einzige afri­kanische Freihandelszone unter der Ägide der Afrikanischen Union (AU) zu schaffen, die Assoziation, es würde ein einziges afri­kanisches Liberalisierungsinstrument ent­stehen, innerhalb dessen jedes Land sein Liberalisierungsangebot allen ande­ren Mit­gliedern der AU vorlegt und dann über alle diese Angebote ein Ab­kommen verhandelt würde. Dies entspräche dem Vorgehen in der WTO. Es zeichnet sich freilich schon jetzt ab, dass es anders kommen wird.

In der Präambel des AfCFTA-Abkommens werden acht RECs als Bausteine (»building blocks«) zur Errichtung der AfCFTA bezeich­net (vgl. Grafik auf Seite 3). Die Liberalisierung des Handels im Rahmen der AfCFTA wird über die RECs hinaus vorerst zwischen afrikanischen Ländern und Regionen statt­finden, zwischen denen bisher noch keine FHAs existieren – also beispielsweise zwischen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (East African Community, EAC) und

der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrika­nischen Staaten (Economic Community of West African States, ECOWAS). So be­schreibt der Annex zum Bericht über die AfCFTA, der die Ergebnisse der Versammlung der AU vom 10. bis 11. Feb­ruar 2019 enthält, das weitere Vor­gehen. Die Zahl der inner­afrikanischen Integrationsgemeinschaften wird also erst einmal weiter steigen, bis die AfCFTA umgesetzt ist.

Inhaltlich werden die Verhandlungen dadurch verkompliziert, dass der Stand der Integration in den einzelnen RECs verschie­den ist. Nicht alle sind schon heute Frei­handelszonen, die den internen Handel liberalisiert haben – so ist die Union des Arabischen Maghreb (Union du Maghreb Arabe, UMA) praktisch bedeutungslos, während die SADC bereits 90 Prozent ihres internen Handels libe­ralisiert hat.

Zudem gibt es Überschneidungen zwischen den RECs (vgl. Grafik). Die meis­ten afrikanischen Staaten gehören mehr als einer Freihandelszone an, mit unter Um­ständen unterschiedlichen Zöllen, Ursprungs­regeln und Standards. Zur Be­schrei­bung der Situation wird daher gern das Bild von der »Spaghettischüssel« der RECs in Afrika bemüht. Wie diese Probleme gelöst werden sollen und wie schnell eine weitere Markt­öffnung hin zur AfCFTA erfolgen kann, hängt somit vom politischen Willen und Engagement der einzelnen Regierungen und Regionalgemeinschaften ab sowie von ihren Fortschritten. Die AU kann hier lediglich die Rolle des Mahners und ge­gebenenfalls Fazilitators einnehmen.

Sorge vor Wettbewerb als Hemmnis der Integration

Eine der schwierigsten Fragen für die wei­tere Gestaltung der AfCFTA ist die Sorge kleiner Länder vor zunehmendem Wett­bewerb mit größeren, exportstarken Län­dern. Der Internationale Währungsfonds (IWF) weist darauf hin, dass die inner­afrikanischen Handelsströme von einigen wenigen »hubs« dominiert werden: Côte d’Ivoire, Kenia, Senegal und Südafrika. Diese sind in der AfCFTA in einer besseren Ausgangssituation und können sich von ihr als Erste eine Steigerung ihrer Exporte versprechen.

Laut IWF ist es für den Fortgang der Verhandlungen deshalb sehr wichtig, die Bedenken der schwächeren Volkswirt­schaften ernst zu nehmen. Gerade diese Länder vertreten aber eher protektionis­tische Positionen und zögern, ihre eigenen Märkte zu öffnen, unter anderem weil sie befürchten, innerhalb einer Freihandels­zone wachse die Konkurrenz. In den Ver­handlungen versucht man, diesen Sorgen zu begegnen, indem Bestimmungen zur »Sonderbehandlung schwächerer Länder (special and dif­ferential treatment)« dis­kutiert werden. Den am wenigsten ent­wickelten Ländern (Least Developed Coun­tries, LDCs) in der AfCFTA wurde bereits zugestanden, ihre Zollsenkungen über den Zeitraum von 13 Jahren vor­zu­nehmen statt binnen der für die übrigen Länder geltenden 10 Jahre. Die Sonder­behandlung in Form von Ausnahmen von der Markt­öffnung hingegen soll es nicht automatisch geben, sondern interessierte Länder müssen ihre Bedürftigkeit anhand spezifischer Krite­rien nachweisen. Dies birgt indes die Gefahr, dass Länder mit geringen recht­lichen und finanziellen Kapa­zitäten Prob­leme haben werden, die Sonderbehandlung zu be­antragen und zu erhalten, und statt­dessen eingegangenen Verpflichtungen zur Marktöffnung ein­fach nicht nachkommen.

Perspektiven für die weiteren Verhandlungen

Das Sekretariat der AU hat mit den Ver­hand­lungen zum AfCFTA-Abkommen und dessen Ratifi­zierung eine neue Dyna­mik für die regio­nale Integration entfacht. Der Schritt von Verhandlungen – und sogar Verhandlungs­ergebnissen – hin zu kon­kre­ten öko­nomischen Wirkungen ist jedoch groß. Aus Regierungen im südlichen Afrika sind auch Stimmen zu hören, die sich von dem Druck der AU, schnell Ergebnisse zu liefern, dis­tanzieren. Darüber hinaus weisen sie auf eine Schwierigkeit hin­: Zwar einige man sich auf einen Zeitrahmen, die Gefahr sei aber, dass die Um­setzung der beschlossenen Schritte ver­schleppt würde. Zu vermuten steht daher, dass die weitere Integration in den­jenigen Regionen dynamisch(er) ver­laufen wird, die sich auch bisher einer eher offenen Han­delspolitik verschrieben haben. So ver­lautete aus dem südlichen Afrika, Ver­handlungen zwischen der Zollunion des südlichen Afrika (Southern African Customs Union, SACU) und der EAC seien weit fort­geschritten. Dagegen wird die Öffnung zwischen Ländern, die eher einen protek­tionistischen Ansatz verfolgen, wie Nigeria oder Simbabwe, auch weiterhin bestenfalls schleppend vorankommen.

Hinzu kommt, dass Zollsenkungen nicht in allen Regionen im glei­chen Maße an­regend auf den internen Handel wirken. Andere Faktoren begrenzen den Handel nämlich oft mehr als Zölle, zum Beispiel hohe Handelskosten durch Quoten und Lizenzen, Anforderungen des Gesundheits- und Pflanzenschutzes, technische Standards und bürokratische Verfahren. Ein anderes Problem ist die mangelnde Exportdiversifizierung vieler afrikanischer Länder. Staaten mit höherer Pro­dukt­diversi­fizierung sind stärker in den regio­nalen Handel integriert. Die Folge: In einigen Regionen ist der Anteil des internen Handels am Außenhandel ein­zelner Länder nach Zollsenkungen rapide angestiegen – etwa in der SADC –, in ande­ren Regionen hingegen nicht – etwa in der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (Communauté Economique et Monétaire de l’Afrique Centrale, CEMAC).

Wenn auch noch keine ökonomischen Ergebnisse der AfCFTA vorliegen, sind doch bedeutende Zwischenschritte erreicht: So wurde das gemeinsame Ziel einer 90‑pro­zen­tigen Marktöffnung innerhalb Afrikas ver­pflichtend fest­geschrieben, ein wichtiger Konsens. Der wirklich große Vorteil der AfCFTA besteht momentan aber darin, dass sie Verfahren zur Liberalisierung entworfen hat, wie ein »Template«, das heißt die Struk­­tur der Angebotslisten, die für die weite­ren bilateralen und regionalen Ver­handlungen gebraucht und im Verhandlungsprozess aus­getauscht werden. Einmal von einem Land oder einer Region ange­wandt, erleich­tert es alle fol­gen­den Ver­hand­lungen mit afri­kanischen Partnern. Die Regie­rung in Namibia bei­spielsweise soll die Tem­plates der AfCFTA bereits eingesetzt haben für die Verhandlungen innerhalb der Tripartite aus EAC, SADC und Gemeinsamem Markt Ost- und Südafrikas (Common Market for East­ern and Southern Africa, COMESA).

Schließlich lenkt die Gründung der AfCFTA das Interesse der Privatwirtschaft stärker auf den afrikanischen Markt. So betrachtet Nigers Präsident die positiven Ergebnisse der intraafrikanischen Handels­messe in Kairo im Dezember 2018 als erstes Resultat der AfCFTA. Dort sind zwischen 1086 Ausstellern Verträge im Wert von über 30 Milliarden US-Dollar geschlossen worden.

Das öko­nomische Potential der AfCFTA

Viele gute Gründe sprechen dafür, die AfCFTA zu vollenden. Gerade den klei­neren afrikanischen Volkswirtschaften – wie etwa Namibia mit circa 2,5 Millio­nen Ein­wohnern – würde eine Vergrößerung des Marktes in einer Freihandelszone es er­lauben, Skalenerträge in der Produktion zu realisieren. Diese können weiter ansteigen wegen des hohen Bevölkerungswachstums, bei gleichzeitig zunehmendem Mittelstand. Die Bevölkerung Afrikas soll sich nach Schät­zungen der Vereinten Nationen (VN) bis 2050 auf circa 2,6 Milliarden Menschen verdoppeln.

Der Anteil der innerafrikanischen Im­porte an den afrikanischen Importen ins­gesamt hat sich über die letzten beiden Jahrzehnte knapp ver­drei­facht auf etwa 13 Prozent (73,6 Mil­liar­den US-Dollar). Diese erfreuliche Entwicklung überdeckt jedoch sehr unterschiedliche Trends in ein­zelnen Subregionen. Während Südafrika allein fast 35 Prozent der intraafrikanischen Exporte liefert und 15,5 Prozent der Im­porte aufnimmt, sind andere große Länder schlecht integriert. Alge­rien, Ägypten und Nigeria, die zusammen die Hälfte des afri­ka­nischen BIP erwirtschaften, sind nur wenig am intraafrikanischen Handel betei­ligt, nämlich mit 11 Pro­zent ihres Handels. Die SADC dagegen weist einen hohen Inte­grationsstand auf, ihre Mitglieder wickeln mit 20 Prozent einen bedeutenden Teil des Handels untereinander ab. Ein Großteil – etwa drei Viertel – des intrakontinentalen Handels findet innerhalb der wichtigsten Regionalorganisationen statt, vor allem im östlichen und südlichen Afrika.

Der innerafrikanische Handel birgt ein hohes Potential, regionale Wert­schöpfungs­ketten aufzubauen und damit Wachstum wie Ent­wicklung günstig zu beeinflussen. Dies deshalb, weil mehr Fertigwaren inner­halb Afrikas ge­handelt werden, als afrika­nische Staaten in Drittländer exportieren. Der Anteil von Produkten mit höherer Wert­schöpfung, wie Fahrzeuge oder Kos­metika, am intrakontinentalen Handel liegt bei etwa 40 Prozent (Grundstoffe 44 Pro­zent, land­wirtschaftliche Produkte ca. 16 Pro­zent). Die Exporte in Länder außer­halb Afrikas sind im Gegensatz dazu noch wesentlich von Rohstoffen dominiert (ca. 75 Prozent).

In welcher Größenordnung könnte nun die AfCFTA zum innerafrikanischen Handel beitragen? Oben wurde bereits dar­gelegt, dass es sehr lange dauern wird, bis sich ökonomische Wirkun­gen einstellen. Wenn am Ende 90 Prozent des Handels innerhalb der AfCFTA liberalisiert sein werden, führt dies laut IWF zu einer Zunahme des Han­dels von 16 Prozent – eine relativ beschei­dene Zahl. Der Grund: 90 Prozent Liberalisierung spiegeln kein sehr hohes Ambitions­niveau, auch wenn es sich viel anhört. Aber ein Großteil der Importe ist in den meisten Ländern ohnehin frei, in Namibia bei­spiels­weise etwa 60 Prozent. Werden also 10 Pro­zent der Produkte von der Zoll­senkung ausgenommen, können damit die dynamisch­sten Teile des Handels ausgeklammert wer­den. Die Wissenschaftler Peter Draper und Andreas Freytag gelangen sogar zu der Folgerung, dass die AfCFTA auf Grund dieses Mangels an Ehrgeiz keine wirk­lich sinnvolle Libe­ralisierung bewirken wird.

Die Verhandlungen und der Start der AfCFTA haben sowohl in Afrika als auch außerhalb eine gewisse Dynamik und Erwartungshaltung hervorgerufen, tat­säch­lich zu ökonomischen Ergebnissen zu kommen. Doch gerade an­gesichts der er­nüch­ternden Bilanz bisheriger Bemühungen zur Liberalisierung in manchen Regio­nen bestehen zwei reale Gefahren. Zum einen könnten zwar Beschlüsse zu Zoll­senkungen gefasst wer­den, die Ver­hand­lungsergebnisse dann aber nicht umgesetzt. Zum anderen könnten die begleitenden Bestimmungen so wenig ambitioniert sein, dass selbst die Umsetzung kaum zu Ände­rungen im realen Handel führt; zum Bei­spiel wenn die Ursprungsregeln sehr streng formuliert werden oder die Ausnahme­regelungen sehr großzügig. Dies wäre die schlechteste Lösung: Mit viel Aufwand hätte man ein geringes Ergebnis erzielt, überdies fiele der Ansporn für weitere Liberalisierung zunächst einmal weg.

Wenig Auswirkungen auf Abkommen mit Drittstaaten

Schon heute besteht eine Reihe von Ab­kommen zwischen afrikanischen Staaten oder Regionen und Staaten oder Regionen außerhalb Afrikas. Die wichtigsten sind die Wirt­schaftspartnerschaftsabkommen (WPAs) mit der EU. Darüber hinaus gibt es Frei­handels­abkommen oder Präferenz­abkom­men (wobei Letztere nur eine Aus­wahl von Sektoren abdecken) mit anderen Län­dern und Regionen wie der Europäischen Frei­handelszone (European Free Trade Asso­ciation, EFTA) oder dem Mercosur. Andere FHAs werden derzeit verhandelt – so mit Großbritan­nien oder zwischen der SACU und Indien, demnächst auch mit den USA.

FHAs mit Ländern und Regionen außerhalb Afrikas bleiben nach Artikel 4 des AfCFTA-Protokolls zum Han­del mit Waren wie bisher möglich, solange sie den Zielen der AfCFTA nicht entgegenstehen.

Was bedeutet das konkret? Artikel 4 klärt eindeutig, dass die AfCFTA bestehende Abkommen wie die WPAs nicht in Frage stellt – und verneint damit zugleich die in Deutschland so gern aufgeworfene Frage, ob nicht wegen der afrikanischen Handels­integration die WPAs er­setzt wer­den müssten durch ein umfassendes neues Abkommen zwischen der EU und der AU. Der Artikel regelt zudem, dass einzelne Länder und Regionen auch in Zukunft mit Drittländern neue Abkommen schließen können. Dies ist deshalb kein Problem, weil die AfCFTA im Gegensatz zu einer Zoll­union keine einheitlichen Zollsätze gegen­über Drittländern vorsieht. Als Freihandelszone liberalisiert sie nur den Handel zwischen den beteiligten Ländern. Jedem Land bleibt daher unbenommen, eigene Abkommen einschließlich unterschied­licher Außenzölle zu vereinbaren.

Für Afrika ist dabei Folgendes wichtig: Die Zölle gegenüber Drittländern außerhalb Afrikas dürfen nicht niedriger sein als inner­halb Afrikas. Auf diese Weise soll ver­mieden werden, dass beispielsweise ein Abkommen mit dem Merco­sur Handels­präferenzen für Lateinamerika schafft, die den inner­afrikanischen Han­del benach­teiligen. Artikel 4 des AfCFTA-Protokolls zum Warenhandel verlangt deshalb, dass alle Präferenzen, die Drittländern unter einem FHA mit afrikanischen Staaten ge­währt werden, nach dem Prinzip der Gegen­seitig­keit (Reziprozität) auch den afrikanischen Partnern in der AfCFTA gewährt werden müssen. Glei­ches ist für Dienst­leistungen vorgesehen. Wenn etwa die SACU gegenüber Indien einen Zoll senkt, muss sie dies ihren Partnern in der AfCFTA (z. B. zukünf­tig möglicherweise Côte d’Ivoire) gleichfalls anbieten, sofern diese bereit sind, den ent­sprechenden Zoll ebenfalls zu senken.

Die EU-WPAs enthalten bereits solche sogenannten regionalen Integrations­klauseln, sogar ohne die Forderung der Reziprozität. Freilich gelten diese nur innerhalb der jewei­ligen WPA-Regionen, nicht darüber hinaus. Die regionale Integra­tionsklausel in der AfCFTA ist daher eine wesentliche Erweiterung, die sicherstellt, dass auch gegenüber allen anderen afrika­nischen Partnern – nicht nur innerhalb der jeweiligen WPA-Region – mindestens so niedrige Zölle gelten wie gegenüber der EU (oder Partnern in anderen künftigen FHAs). Diese Bestimmung ist zentral, er­schwert aber die weiteren Verhandlungen eher, selbst die innerafrikanischen. Denn bei kommenden – auch bilateralen – Verhandlungen muss immer mit bedacht werden, inwieweit etwaige Zollsenkungen ebenso gegenüber den afrikanischen Partnern in der AfCFTA wirksam werden können.

Schlussfolgerungen für die deutsche und europäische Politik

Die AfCFTA kann nur als sehr langfristiges Projekt verstanden werden. Ihre Ausgestaltung birgt die Chance, über die Zunahme des innerafrikanischen Handels mit Fertig­waren zu mehr Wertschöpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei­zutragen. Die EU sollte diesen Prozess weiterhin durch handelsbezogene Entwicklungs­politik (Aid for Trade, AfT) begleiten. Das bedeutet zum einen, die Verhandlungs­prozesse sowie das Sekretariat der AU zu unter­stützen und die Umsetzung der in der AU getroffenen Beschlüsse durch die natio­nalen Regierungen zu fördern. Ent­schei­dend wird indes noch für längere Zeit sein, die Integration innerhalb der RECs und die Handelsverhand­lungen zwischen ihnen voranzubringen. Denn die AfCFTA wird über diese Zwischenschritte realisiert. Schließlich sind die RECs die »building blocks« der AfCFTA.

Um konkrete Ergebnisse zu erreichen, wird es außerdem nötig sein, die Privat­wirtschaft in die Lage zu versetzen, die neu ent­stehenden Marktchancen auch tatsächlich zu nutzen. Dazu braucht es Informatio­nen über die Märkte, aber häufig gleicher­maßen eine Stär­kung der Wettbewerbs­fähigkeit der Waren­produktion. Um Inves­titionen anzu­locken – lokale, regionale oder aus Drittländern –, müssen die afrika­nischen Länder die Rahmenbedingungen weiter verbessern und Handels­erleich­te­rungen verwirklichen. Der G20 Compact with Africa (CwA) ebenso wie der European External Investment Plan unter der Allianz Afrika–Europa sind Rahmen, innerhalb derer solche Bemühungen auch in Zukunft unterstützt werden sollten.

Die Verhandlungen über das Folge­abkommen des Cotonou-Vertrags zwischen der EU und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) bieten Raum, Grund­sätze für derartige AfT-Ansätze zur Förde­rung regionaler Integration zu vereinbaren. Sofern es nicht gelingt, sie bald abzuschließen, bliebe dies für die deutsche Ratspräsidentschaft zu tun, die dann gegebenenfalls noch Akzente setzen kann. Dabei ist davon auszugehen, dass das Thema AfT zur Förde­rung regionaler Integration harmonisch behandelt werden kann – im Gegensatz zu »echten Knackpunkten« der Post-Cotonou-Verhandlungen wie der Frage, auf welche Weise das Thema Migration zu verankern ist.

In Deutschland wurde bereits diskutiert, ob die EU als Konsequenz aus der Ratifizierung des AfCFTA-Abkommens Verhand­lungen mit der AU über ein EU-AU-Handels­abkommen aufnehmen sollte, das die be­stehenden WPAs überflüssig macht. Solche Verhandlungen wären der­zeit weder mög­lich noch sinnvoll. Für die afrikanische Seite besteht dazu kein Anreiz, da der Groß­teil der Staaten Subsahara-Afrikas schon heute vollkommen freien Zugang zum Markt der EU hat. Dies gilt nicht nur für alle Länder, die ein WPA umsetzen, son­dern auch für alle LDCs, die von ein­seitigen EU-Handelspräferenzen profitieren. Die Staaten Nordafrikas sowie Südafrika genie­ßen weitgehende Zollfreiheit für indus­t­rielle Güter. Dennoch hatte der vorige Präsident der Europäischen Kommission Juncker bereits in einer Rede angeboten, dass die EU zu Han­dels­verhand­lungen mit der AU bereit wäre, wenn die AfCFTA voll­endet sei und dies von afrikanischer Seite gewünscht wäre. Die EU hat damit die not­wendige politische Bereitschaft gezeigt, auf die Afrika zurückkommen kann. Damit ist allerdings auf längere Sicht nicht zu rechnen.

Schließlich werden die afrikanischen Staaten ihre Energie und ihre Kapazitäten für die Verhandlungen zur Vollendung der AfCFTA benötigen. Gerade angesichts der derzeitigen Schwäche des multilateralen Systems haben sie zudem ein Interesse an Freihandelsabkommen mit anderen Part­nern vor allem in Asien, aber auch in Lateinamerika sowie mit den USA. Die afri­kanische Verhandlungsmacht wäre zwar größer, würde man schon gemeinsam als gesamtafrikanische Zollunion auftreten können – das Langfristziel der AU –, doch muss erst einmal der erste Schritt, die AfCFTA, zu Ende geführt werden.

Lektürehinweise

African Union, Report on the African Continental Free Trade Area (AfCFTA), By H. E. Mahamadou Issoufou, President of the Republic of Niger and Leader on AfCFTA, Assembly of the Union, Thirty-Second Ordinary Session, 10–11 February 2019, Addis Ababa, Ethiopia, Assembly/AU/4(XXXII)

International Monetary Fund, Sub-Saharan Africa Regional Economic Outlook: Recovery Amid Elevated Uncertainty, April 2019

Peter Draper / Andreas Freytag, Die Afrikanische Freihandelszone. Viel Lärm um Nichts oder Meilenstein der wirtschaftlichen Integration?, Afrikapost aktuell, 27. Juni 2019

Lily Sommer / Jamie MacLeod, »How Important is Special and Differential Treatment for an Inclusive AfCFTA?«, in: David Luke / Jamie MacLeod (Hrsg.), Inclusive Trade in Africa. The African Continental Free Trade Area in Comparative Perspective, London 2019, S. 69–86

Dr. Evita Schmieg ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Das Aktuell entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Außenwirtschaft und Entwicklungsländer im Lichte der Ziele zur nachhaltigen Entwicklung«.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364