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Amerikanische Chinapolitik und transatlantische Beziehungen

SWP-Aktuell 2020/A 68, 02.09.2020, 8 Seiten

doi:10.18449/2020A68

Forschungsgebiete

In den USA hat eine konfrontativ-kompetitive Politik gegenüber China Gestalt an­genommen. Sie beruht auf dem problematischen Narrativ, die Politik des Engagements sei eine Selbsttäuschung und amerikanischen Interessen abträglich gewesen. Washington will verbündete Staaten in die neue Chinapolitik einbeziehen. Die Covid-Pandemie und die wechselseitigen Beschuldigungen haben den Abwärtstrend in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen verstärkt. Für Deutschland und Europa wird sich mehr denn je die Frage stellen, wie man sich im eskalierenden amerikanisch-chinesischen Konflikt positioniert, wie viel Schulterschluss mit den USA geboten, wie viel eigenständige Politik gegenüber Peking notwendig und möglich ist.

In den USA unter Trump ist die neue China­politik zu einem »whole-of-government approach« geworden. Dieser Ansatz hat, wie es in einem im Mai 2020 vom Weißen Haus veröffentlichten Papier mit dem Titel »United States Strategic Approach to the People’s Republic of China« heißt, erklärter­maßen zwei Ziele: zum einen die Resilienz amerikanischer Institutionen, Bündnisse und Partnerschaften gegenüber der Volks­republik China zu stärken; zum anderen Peking dazu zu »zwingen«, Handlungen zu unterlassen, die grundlegenden Interessen der USA und ihrer Verbündeten schaden.

China als existentielle Bedrohung

Vorbei sind die Zeiten, in denen Donald Trump den chinesischen Präsidenten pries und wie noch im Januar 2020 von den sehr guten amerikanisch-chinesischen Beziehun­gen schwadronierte, den besten seit langem. Mit Blick auf die Wahlen im November 2020 hat die Trump-Administration eine orchestrierte Kampagne initiiert, in der sie China als Bedrohung für den amerikanischen »way of life« stilisiert und nicht nur verbal, sondern mit einer Reihe von Maß­nahmen eine harte Linie demonstriert: Da­zu zählen Sanktionen wegen der Internierung von Uiguren, wegen der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes für Hong Kong, Beschränkungen für chinesische Journalisten, die Schließung des chinesischen Kon­sulats in Houston und die Ausweisung der dortigen chinesischen Diplomaten wegen angeblicher Spionage. Eingebettet sind diese Schritte in eine Reihe von Reden führender Mitglieder der Administration – Reden, die in ihrer Zuspitzung kaum zu übertreffen sind und an die Rhetorik zu Beginn des Kal­ten Krieges mit der Sowjetunion erinnern.

Eingesetzt hat diese Kampagne mit einer Rede von Sicherheitsberater Robert C. O’Brien im Juni 2020, in der die »Fehlkalku­lation«, China werde sich im Zuge seiner wirtschaftlichen Entwicklung und inter­nationalen Einbindung liberalisieren, zum »größten Fehlschlag der amerikanischen Außenpolitik seit den 1930er Jahren« er­klärt wurde. Die marxistisch-leninistische Kommunistische Partei Chinas (KPCh) sei unter der Führung ihres Generalsekretärs Xi Jinpin, der sich als »Nachfolger« Stalins ver­stehe, einer totalitären Ideologie ver­haftet, in der das Individuum keinen eigen­stän­digen Wert besitze. Die Partei wolle nicht nur die chi­nesischen Bürger in ihrem Handeln und Denken kontrollieren, son­dern die Welt nach ihren Vorstellungen neu gestalten.

FBI-Direktor Christopher Wray fokussierte in seiner Rede am 7. Juli 2020 auf die ökonomische und sicherheitspolitische Be­drohung, die von der chinesischen Regie­rung und der KPCh und ihren Spionage- und Einflussoperationen in den USA aus­gehe, insbesondere mit Blick auf die wirt­schaftliche und technologische Führungsrolle der USA. China, so seine Behauptung, wolle mit allen Mitteln die »einzige Super­macht der Welt« werden.

Die Kommunistische Partei Chinas, so legte Justizminister William P. Barr Mitte Juli nach, will »das regelbasierte internationale System umstürzen und die Welt sicher für die Diktatur machen«. Im Konflikt mit Peking gehe es darum, »ob die USA und ihre liberalen demokratischen Verbündeten weiter ihr Schicksal in der Hand behalten oder die KP Chinas und deren autokratische Tributpflichtige die Zukunft kontrollieren werden«. Die Volksrepublik führe einen »wirtschaftlichen Blitzkrieg«, um die USA als die herausragende Supermacht abzu­lö­sen. Sie bedrohe die technologische Füh­rungsposition der USA und lege es darauf an, die »digitale Infrastruktur« der Welt zu dominieren. Auf dem Weg dahin plündere China die USA nicht nur aus, schlimmer noch: China nutze seinen wirtschaftlichen Einfluss, um die Vereinigten Staaten zu ver­ändern, es wolle auch in den USA »ideologische Konformität« erzwingen und betreibe entsprechende Einflussoperationen. Ameri­kanische Unternehmen hätten sich dem Druck Pekings unter­worfen, Hollywood etwa, aber vor allem die großen Technologiekonzerne, namentlich Google, Microsoft, Yahoo und Apple, seien zu »Schachfiguren chinesischen Einflusses« (»pawns of Chinese influence«) geworden. Über amerikanische Unternehmen, aber auch amerikanische Universitäten und Forschungseinrichtun­gen nehme China politischen Einfluss in den USA. Die KP Chinas stelle nicht nur eine Bedrohung für den amerikanischen »way of life« dar, sondern auch für »Leben und Existenz« der Amerikaner.

Das alte Paradigma des, wie Außenminister Michael Pompeo es in seiner Rede vom 23. Juli bezeichnete, »blinden Engagements« müsse überwunden werden. Die »totalitäre Ideologie« sei der Nährboden für das chine­sische Streben nach »globaler Vorherrschaft«. Amerika könne daher nicht mehr länger die »ideologischen Differenzen« igno­rieren. Das heutige China sei kein »normales Land«. So sei es der Zweck der Nationalen Volksarmee nicht nur, die Herrschaft der Partei zu sichern, sondern auch, den Umfang des »Chinesischen Imperiums« zu erweitern. Im weiteren Verlauf seiner Rede unterschied Pompeo scharf zwischen der KP und der »freiheitsliebenden« chinesischen Bevölkerung. Am Ende bemühte sich der Außen­minister, Optimismus auszustrahlen, die »freie Welt« werde gewinnen.«

Die Bedrohung durch China als Thema des Wahlkampfs

Die rhetorische Zuspitzung und Ideologisierung des Konflikts mit China ist Teil von Trumps Wahlkampfstrategie. Der Präsident und seine Berater setzen offenbar darauf, das Thema China offensiv im Wahlkampf zu nutzen. So wird der Herausforderer Joseph Biden als »weich« und in seiner Hal­tung gegenüber China als nachgiebig an­gegangen. Zu­gespitzt heißt es in einem Wahlkampfspot von America First Action, eines für Trump agierenden Super-PACs (Political Action Committee): Wer Peking stoppen wolle, müsse Biden stoppen. Und wenn er, Trump, nicht die Wahl gewinne, so der Präsident im August 2020, werde China die USA »besitzen« und würden die Amerikaner Chinesisch lernen müssen. Das National Republican Senatorial Committee hat an republikanische Kandidaten ein aus­führliches, von einer Beratungsfirma erstell­tes Memorandum verschickt, in dem dar­gelegt wird, wie die Wahlkämpfe mit An­grif­fen gegen China geführt werden kön­nen. Entsprechend spielte das »China bashing« eine große Rolle auf dem Nomi­nie­rungsparteitag der Republikaner.

China ist, nimmt man die Rhetorik der Trump-Administration zum Maßstab, ein totalitärer Gegner, der auf nichts weniger zielt als auf die Zerstörung des »American way of life«. Diese Einschätzung ist, worauf Kritiker in den USA hinweisen, genauso maßlos übertrieben, wie die Denunzierung der bisherigen Engagement-Politik gegen­über China historisch fragwürdig ist. Den amerikanischen Präsidenten von Nixon bis Obama ging es weniger um die Förderung von Menschenrechten und Demokratie, sondern zuallererst um den Schutz wirt­schaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen. Und damit waren die USA keineswegs erfolglos, weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch. Doch das Zerrbild einer in der Vergangenheit verfehlten, nai­ven Politik dient der Trump-Administration dazu, die zukünftigen Handlungsmöglichkeiten diskursiv einzuengen. Die ideologisch aufgeladene Rhetorik scheint in den USA, einem zerrissenen Land mit Unsicherheit über seine künftige Rolle in der Welt, auf Resonanz zu treffen.

Zumindest ist der Boden für die Mobilisierung von Wählern durch die Darstellung einer chinesischen Bedrohung bereitet, nimmt man Meinungsumfragen als Indiz. So ist die Einstellung zu China in der ameri­kanischen Öffentlichkeit kritischer gewor­den. Rund zwei Drittel der Amerikaner haben eine unvorteilhafte (unfavorable) Meinung von China. Damit liegt dieser Wert um 20 Prozent höher als zu Beginn von Trumps Amtszeit. Es ist die schlechteste Bewertung Chinas, seit das Pew Research Center diese Frage 2005 zum ersten Mal stellte. Diese negative Sicht ist unter repu­blikanischen Wählern ausgeprägter als unter demokratischen, aber auch unter diesen erscheint China mehrheitlich nicht in einem positiven Licht. Wie eine Umfrage des Pew Research Center zeigt, die zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 2020 durchgeführt wurde, hält der Trend an: Dieses Mal äußer­ten sich bereits 73 Prozent ablehnend über China. Fast vier Fünftel der Befragten wei­sen dem Land einen nennenswerten bis gro­ßen Anteil an Verantwortung für die welt­weite Ausbreitung des Corona-Virus zu. Ein Viertel der Amerikaner sieht in der Volks­republik einen Gegner, für fast drei Fünftel ist sie ein Rivale (competitor). Als Partner wird sie nur von 16 Prozent betrachtet.

Auch wenn die öffentliche Meinung gegenüber China umgeschlagen ist, so dürfte unter einem Präsidenten Biden eine differenzierte Politik gegenüber Peking zu erwarten sein. Nimmt man Bidens Äuße­rungen, die von Beratern und das Wahl­programm der Demokratischen Partei als Indiz, dann wird strategische Rivalität der konzeptionelle Rahmen für die Gestaltung der Beziehungen zu China bleiben, jedoch eingebettet in eine weniger konfrontative Rhetorik. Investitionen in Forschung und Entwicklung, um den technologischen Vor­sprung der USA zu halten, sind angekündigt. In Handels- und Menschenrechts­fragen ist harter Druck zu erwarten, aber die Chinapolitik dürfte zugleich von dem Bewusstsein getragen sein, dass trotz der Rivalität eine Kooperation mit Peking im Bereich der Klima- und Nicht­verbreitungs­politik notwendig ist. Die Demokraten set­zen vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Verbündeten, um die Verhandlungs­position gegenüber China in den strittigen Wirtschaftsfragen zu stärken.

Die harschen Töne aus den Reihen der Republikaner und die Serie von Sanktionen gegen China haben nicht nur eine innen­politische Funktion, sondern auch eine außenpolitische: Vielleicht nicht für den Präsidenten selbst, aber für wichtige Mit­glie­der seiner Administration geht es offen­sichtlich darum, die als Fehl­schlag diskre­di­tierte Politik des politischen, wirtschaft­lichen und gesellschaftlichen Engagements gegenüber China zu liquidieren und durch eine irreversible Konfrontation in den Be­ziehungen zu ersetzen, die im Fall der Wahl­niederlage Trumps den Handlungsspielraum einer Biden-Administration einschränken würde. Durch die offensive Konfrontation und eine Rhetorik, die die Befürchtung der KPCh, die USA zielten auf einen Regimewandel in Peking, zu bestätigen scheint, soll China offenbar zu harten Reaktionen provoziert werden – was die Dynamik in Richtung Abkopplung vorantreiben dürfte.

Dynamik in Richtung zumindest partieller Abkopplung

Man mag darüber spekulieren, in welchem Maße die wirtschaftlich-technologische Ab­kopplung von China das Ziel der Trump-Administration ist. Innerhalb der Adminis­tration gibt es nach wie vor unterschied­liche Positionen. So konkurrieren Vertreter einer möglichst umfassenden wirtschaft­lichen Abkopplung mit jenen, die auf eine Öffnung des chinesischen Markts drängen – was im Erfolgsfall zu einer Verdichtung der wirtschaftlichen Beziehungen führen würde. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer sprach Mitte Juni 2020 vor dem Kongress davon, Entkopplung sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder die Politik der Regierung noch eine »vernünftige Op­tion«. Prä­sident stellte einen Tag später in einem Tweet klar, die USA hätten durchaus die Op­tion einer »vollständigen Abkopplung von China

Die China-Falken in der Administration sehen sich durch die Covid-Pandemie in ihrer Überzeugung bestätigt, dass die wirt­schaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China möglichst minimiert werden müssen. Teil dieser Bemühungen ist die Initiative zum Aufbau eines »Eco­nomic Prosperity Network«, eines Verbunds ver­trau­ens­würdiger und verlässlicher Fir­men und Staaten, mit denen amerikanische Unternehmen zusammenarbeiten sollen, um so die Abhängigkeit von China zu ver­ringern.

Was sich als Teil einer neuen China-Strategie bereits abzeichnet, ist zumindest eine Politik der »selektiven Abkopplung« in kritischen Bereichen, das heißt im Bereich fortgeschrittener Technologien und im digi­talen Bereich. Dabei geht es den USA zum einen darum, ihre technologische Führungs­rolle gegenüber dem Rivalen China zu be­wahren, eine Führungsrolle, von der nach den Worten William Barrs Lebensstandard und Sicherheit der USA abhingen. Zum anderen beabsichtigt die Trump-Adminis­tration eine stärkere digitale Abschottung gegenüber China, um den Möglichkeiten Pekings zur Einflussnahme und zu Spio­nage und Sabotage entgegenzuwirken. Da­zu gehört das sich abzeichnende Verbot der chinesischen Apps TikTok und WeChat in den USA.

Kernstück dieser Politik ist indes die Kam­pagne gegen Huawei, bei der die Schrauben immer fester gezogen wurden, um dem Konzern und jenen Firmen, die mit ihm zu­sammenarbeiten, den Zugang zu Com­puter­chips und der für ihre Herstellung notwen­digen Technologie zu verweigern. Die USA nutzen ihre Führungsposition bei der Pro­duktion von Computerchips, um Chinas Entwicklung in diesem Bereich zu bremsen. Firmen in anderen Staaten müssen eine Ausfuhrlizenz beantragen, wenn sie Chips an Huawei liefern wollen, bei deren Her­stel­lung amerikanische Tech­nologie ein­gesetzt wird. Chips werden in einem auf­wendigen Fertigungsprozess produziert, den chinesische Unternehmen nicht ohne Weiteres meistern können. Über die für die Fabrikation von Halbleitern notwendige Ausrüstung verfügen nur wenige Produk­tionsländer, vor allem die USA, Japan und die Niederlande (insgesamt 90%). Die Nie­der­lande haben die Überzeugungsversuche und den Druck Washingtons bereits zu spü­ren bekommen; die niederländische Regie­rung verweigerte der Firma ASML die Ge­nehmigung, ihre Spezialmaschinen zur Herstellung der schnellsten Halbleiter nach China zu liefern.

Die USA haben nicht allein Huawei im Visier. Sie versuchen zum Beispiel auch, europäische Staaten von Auftragsvergaben an Nuctech Co. abzubringen, eine Firma, die Screening-Systeme für Waren, Gepäck und Passagiere an Flughäfen, Häfen und Gren­zen herstellt. Nuctech bewirbt sich nach amerikanischen Angaben in mehr als einem Dutzend europäischer Staaten um Aufträge. Das Unternehmen besitze in Europa bereits einen großen Marktanteil an solchen Scan­nern. Im Bereich des Gütertransports auf See stammen angeblich 90 Prozent, an Flughäfen knapp 50 Prozent der Geräte von der chinesischen Firma, Zah­len, deren Höhe Nuctech bestreitet. Auf amerikanischen Flughäfen sind Anlagen des chinesischen Herstellers 2014 von der U.S. Transportation Security Administration weitgehend verboten worden. Scanner an See- und Flug­häfen sind zunehmend mit Datenbanken verbunden, die Informationen über Fracht und Passagiere speichern. Aus amerikanischer Sicht stellt der mög­liche Zugang einer chinesischen Firma zu solchen Daten über zivile und militärische Transporte ein Sicher­heitsrisiko für die Nato-Mitglieder dar. Washington wirbt im Übrigen darum, dass amerikanische Unter­nehmen bei anstehenden Auftragsvergaben zum Zuge kommen.

Noch – und das bedauern Befürworter einer partiellen wirtschaftlich-technologi­schen Entflechtung – hat sich tatsächlich nicht so viel getan. Aber die »Vergeltungs­logik«, die inzwischen die amerikanisch-chinesischen Beziehungen prägt und Un­sicherheit erzeugt, schafft eine Dynamik, die auch jene Bereiche erfassen könnte, die bislang eher von der Konfliktverschärfung und der Entflechtungstendenz verschont geblieben sind: insbesondere der Finanz­sektor. In den letzten Jahren hat die Inte­gra­tion Chinas in die globalen Finanzmärkte stark zugenommen. Ein Bereich, in dem von einer Tendenz zur finanziellen Abkopp­lung gesprochen werden kann, sind die chinesischen Direktinvestitionen in den USA. Hier gab es einen beträchtlichen Rück­gang. Dies scheint in erster Linie eine Folge erweiterter Beschränkungen für abfließendes Kapital auf chinesischer Seite zu sein, hängt aber sicherlich auch damit zusammen, dass das Committee on Foreign Invest­ment in the United States (CFIUS) chinesische Investitionen stärker unter die Lupe nimmt.

Vorangetrieben wird die Dynamik einer selektiven Abkopplung auch von der Ver­schärfung der amerikanischen Export­kontrollen. Aus Sicht der gegen­wärtigen Ad­ministration gibt es keine rein »zivilen« Aus­fuhren nach China mehr; der chinesische Ansatz der »military-civil fusion« habe eine solche Differenzierung zwischen mili­täri­scher und ziviler Nutzung hinfällig ge­macht. China – so die in Washington vorherrschen­de Sichtweise – setze Technologie mit dem Ziel ein, militärische Dominanz zu erlan­gen. Entsprechend haben die USA in ihrer Exportkontrollpolitik im Hinblick auf China die Kategorie »Civil End User« ab­geschafft. Zudem sollen bestimmte Ausnah­men auf­gehoben werden, die es anderen Staaten bisher erlauben, Technologien amerikanischen Ursprungs nach China zu exportieren, ohne eine Geneh­migung des US-Han­dels­ministeriums einzuholen.

Washington will andere Staaten in die Politik verschärfter Restriktionen einbeziehen. So hat das Außenministerium einen Prozess eingeleitet, der unter der Bezeichnung »Multilateral Action on Sensitive Tech­nologies (MAST)« firmiert und Regie­rungsvertreter aus 15 Industriestaaten zu­sammenbringt. Ziel ist es, »Koalitionen der Vorsicht« zu bilden – und zwar mit Blick auf Ausfuhrbeschränkungen, Investi­tions­kontrollen, Visascreening und die Risiken, die sich aus der internationalen wissenschaft­lichen und technologischen Zusammenarbeit mit China ergeben.

China als Problem der transatlantischen Beziehungen

Die USA – das ist selbst der bündnisskeptischen Trump-Administration klar – kön­nen der Herausforderung durch China nicht ohne die Mitwirkung anderer Staaten begegnen. Diese Einsicht spiegelte sich etwa in der vagen Bemerkung von Außenminister Pompeo im Juli 2020 wider, es sei viel­leicht an der Zeit für eine »neue Gruppierung gleichgesinnter Staaten, ein neues Bündnis der Demokratien«. Das Wissen um die Notwendigkeit internationaler Kooperation dürfte auch erklären, warum die USA am 25. Juni 2020 dem Vorschlag Josep Borrells, des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, zustimmten, einen US-EU-Dialog zu China einzurichten. Die amerikanische Erwartung ist, dass die Diskussionen »action-oriented« sind und zu »more co­ordinated policy outcomes« im Sinne geteilter Interessen führen. Für die EU soll es bei diesem Dialog insbesondere darum gehen, die globalen chinesischen Am­bitionen und die damit verbundenen Herausforderungen zu analysieren, die euro­päisch-amerikanische Koordination in Sachen China zu verstärken und sich über die jeweiligen Ansätze auszutauschen.

Notwendig und sinnvoll ist ein solcher Dialog zweifellos, da die amerikanischen und europäischen Interessen mit Blick auf China keineswegs deckungsgleich sind. Gewiss ist Europa daran gelegen, nicht zum Objekt chinesischer Weltmachtpolitik zu werden. China wird nicht mehr länger vor allem aus wirtschaftlichem Blick­winkel gesehen. Das Land ist, wie es in einem Papier der Europäischen Kommission vom März 2019 heißt, je nach Politikfeld »Koopera­tionspartner«, »wirtschaftlicher Konkurrent« und »systemischer Rivale«. Doch Chinas Aufstieg berührt die USA und Europa in unterschiedlichem Maße, so dass auch die Bedrohungswahrnehmungen weiterhin voneinander abweichen werden. Die USA sehen in China eine langfristige Bedrohung ihrer eigenen internationalen Führungs­position, also auch für die damit verknüpften sicherheitspolitischen und wirtschaft­lichen Privilegien und Vor­teile. Zwischen Europa und China besteht jedoch weder ein Status­konflikt noch die damit verbundene globale Einflusskonkurrenz. Auch ist ihre Beziehung nicht von Sicherheitsdilemmata geprägt, wie dies zwischen den USA und China der Fall ist, die sich als potentielle militärische Gegner sehen und ihre jewei­ligen Planungen danach ausrichten. Für Europa ist die sicherheitspolitische Perspek­tive nicht vorrangig und überschattet daher auch nicht alle anderen Bereiche. Zwar hat die Covid-Pandemie auch in Europa zu einer veränderten Sicht der Abhängigkeiten von China geführt; jedoch nicht im Sinne einer möglichst weiten Entkopplung, son­dern einer Diversifizierung von Lieferketten und Produktionsstätten.

Im Übrigen läuft nicht alles, was Peking anstrebt, automatisch dem europäischen Interesse zuwider. Wenn es China gelänge, ein international weithin akzeptiertes digi­tales Zahlungssystem, einen Digitalyuan, zu etablieren, würde dies die Domi­nanz des Dollars und damit die strukturelle Macht der USA beschränken. Europäische Staaten und Firmen haben in der Ausein­anderset­zung über die Iran-Sanktionen und Nord Stream 2 die Macht der wirtschaftlichen Zwangsmittel der USA deutlich zu spüren bekommen, die sich auf die starke Rolle des Dollars und der zentralen Bedeutung amerikanischer Finanzinstitutionen stützt. Viel­leicht löst ja allein die Aussicht, dass sich andere Staaten über ein breit genutztes digitales Zahlungssystem dem Zugriff ameri­kanischer Finanzsanktionen entziehen könnten, eine gewisse Nachdenklichkeit in Washington aus, ob der Einsatz unilateraler Sanktionen gegen Verbündete längerfristig nicht kontraproduktiv sein könnte.

Vor diesem Hintergrund teils konvergierender, teils divergierender Interessen auf beiden Seiten des Atlantiks ist es nur allzu verständlich, dass Josep Borrell, der Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheits­politik, davon spricht, Europa müsse einem eigenen Weg folgen, der seinen eigenen Grundüberzeugungen und Interessen ent­spreche. Das bedeute nicht, dass es eine Äquidistanz zu den USA und zu China gebe; Geschichte und Werte hätten eine große Af­finität zu den USA geschaffen. Aber Europa habe trotz aller Schwierigkeiten bei einer Reihe von globalen Fragen nach wie vor das Interesse, mit Peking zusammenzuarbeiten. Zwischen Europa und China bestehe keine strategische Rivalität und zeichne sich auch keine Ten­denz zu einer breitflächigen wirt­schaft­lichen Entkopplung ab.

Vielleicht ließe sich ein solcher, die euro­päische Ernüchterung im Umgang mit China spiegelnder Ansatz treffend als »realistisches Engagement« bezeichnen, um einen Begriff aufzunehmen, den die Finan­cial Times ins Spiel gebracht hat für eine Politik, die nicht auf Abschottung und Ent­flechtung, sondern auf Reziprozität setzt; eine Politik, die Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Verhältnis zu China nicht ausspart, sondern für sie eintritt, und die von dem Bemühen getragen ist, mit Peking an der Bereit­stellung globaler öffent­licher Güter zusammenzuarbeiten.

In einem transatlantischen Dialog zu China wären auch Antworten auf Fragen zu suchen, bei denen die gegenwärtige Admi­nistration stumm bleibt und eine mögliche Biden-Administration vermutlich einige Zeit braucht, um sich zu positionieren: Was sind eigentlich die langfristigen Ziele Washingtons gegen­über China? Welche Regeln sollen im Rahmen der stra­tegischen Rivalität gelten? Welche Rolle ist anderen Ländern in dieser Machtkonkurrenz zu­gewiesen? Zwar hat sich die Stimmung unter den politischen Akteuren in den USA gegenüber China ver­härtet, aber noch lässt sich nicht von einem breiten Konsens da­rüber sprechen, was die strategischen Ziele in der Rivalität mit China sind und welcher Art und Architektur internationaler Zusam­menarbeit es bedarf, um sie zu erreichen.

Kommt es zur Aufnahme eines trans­atlantischen Dialogs über China, dürfte es auf Seiten der EU mehr denn je nötig sein, sich über den »Kompass« für den Umgang mit China klar zu verständigen, und zwar in einer Weise, die den USA signalisiert, was zusammen machbar ist, was nicht. Einfach wird dies nicht sein, da sich die Interessenlagen der einzelnen europäischen Länder mit Blick auf die Volksrepublik unterschei­den. Vor allem die wirtschaftlichen Inter­essen variieren in ihrer Intensität stark. Der Anteil Chinas am gesamten Warenverkehr (Exporte und Importe) der EU lag 2019 mit 16 Prozent fast so hoch wie der Anteil der USA (18%). Doch nicht alle EU-Staaten sind gleichermaßen wirtschaftlich mit China verflochten. Deutschland sticht mit weitem Abstand hervor.

Eine neue Organisation zur Abstimmung der Chinapolitik?

Zu klären wäre sicher auch, wie sich Deutschland verhalten sollte, wenn Washington die Idee forciert, eine Art Bündnis oder Koalition führender demo­kratischer Staaten zu schmieden, eine Idee, die gegenwärtig in den USA in unterschied­lichen Varianten diskutiert wird – wieder diskutiert wird, muss man sagen. Vorschläge dieser Art gab es in der amerikanischen Debatte verschiedentlich in den 2000er Jah­ren; sie liefen damals unter dem Namen »Bund der Demokratien«. Es ging dabei in erste Linie um eine Institution, die als Legi­timationsquelle für den Einsatz mili­täri­scher Gewalt gedacht war und somit in dieser Funktion eine Konkurrenz zu den Vereinten Nationen dargestellt hätte.

Wenn jetzt von einer »Allianz der Demo­kratien« oder in einer anderen Variante von den D‑10 als einer Koalition der wich­tigsten demokratischen Staaten die Rede ist, so re­flektiert dies die neu entstehende Trenn­linie in der internationalen Politik. Für liberale Internationalisten wie den Politik­wissenschaftler John Ikenberry ist eine D‑10 als »steering committee« der wichtigsten Demokratien gewissermaßen die letzte Bastion gegen eine Abkehr der USA von der liberalen internationalen Ordnung. Die bri­tische Regierung scheint Gefallen an einer Variante dieser Idee gefunden zu haben: die G7-Staaten zusammen mit Südkorea, Indien und Australien als Gremium zur Abstimmung in der 5G-Mobilfunk-Problematik und in der Frage der Sicherung verwund­barer Lieferketten. Bei diesen zwei Themen geht es zwar vor allem um China, aber mit einer solchen funktionalen Ausrichtung soll der Eindruck vermieden werden, der Zusammenschluss sei als ein gegen Peking gerichtetes Bündnis konzipiert. Befürworter der Konstituierung einer D‑10 sehen darin die Möglichkeit, die Beziehungen zu den USA zu stärken und diese dahingehend einzubinden, dass es für sie schwerer wird, unilateral gegenüber China zu agieren – und im Falle der Wahl von Joe Biden, ein Gremium zu etablieren, das offen ist für eine thematische Ausweitung.

In der amerikanischen Debatte gibt es noch andere Vorschläge, die alle in Rich­tung Einbindung verbündeter und befreun­deter Staaten in die neue Chinapolitik der USA gehen, zum Beispiel die Idee, eine neue Allianz zu formieren, die nicht wie die Nato auf militärische Bedrohungen aus­gerichtet ist, sondern auf die gemeinsame Abwehr geoökonomischer Zwangsmaßnah­men und Erpressungsversuche von Seiten Chinas; oder die Gründung einer »Techno­logie-Allianz«: Dabei ginge es um die Schaf­fung eines internationalen Regimes, unter dessen Dach die multilaterale Kooperation in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Sicherheit der Lieferketten, Exportkontrollen und Bekämpfung der illegalen Nutzung von Tech­nologien institutionalisiert würde.

Sollte Trump wiedergewählt werden, dürfte es fraglich sein, ob die US-Adminis­tration Gefallen an der Neugründung eines dauerhaften multilateralen Gremiums zur Abstimmung der Politik gegenüber China finden und dort zu Kompromissen bereit sein könnte. Zu sehr betrachtet die Trump-Administration die Beziehungen zu China als Nullsummenspiel; zu sehr setzt sie auf Zwangsmittel als Instrument der Wahl; zu undifferenziert ist ihre Sicht Chinas als einer durch und durch revisionistischen Macht; zu sehr hat sie den Machtkonflikt mit Peking ideologisch aufgeladen, zu sehr präferiert sie im Verkehr mit verbündeten Staaten einen bilateralen Ansatz. Eher wäre zu erwarten, dass ein wie immer geartetes Bündnis der Demokratien darauf ausgerich­tet wäre, die europäischen und asiatisch-pazifischen »Mitglieder« auf die Linie der USA zu bringen und so das Einflusspoten­tial der USA in der Auseinandersetzung mit China zu erhöhen. Eine solche »Allianz« wäre, wie Sven Biscop vom Brüsseler Egmont-Institut, schrieb, »ein Bündnis für die USA, um das amerikanische Interesse zu fördern, dem die Interessen der Verbündeten am Ende unvermeidlich untergeordnet wären«.

Sollte jedoch eine Biden-Administration die Initiative zur Etablierung eines Koordi­nationsmechanismus aufgreifen und forcie­ren, so würde sich die Situation vermutlich anders darstellen, zumal wenn eine solche Initiative nicht ideologisch als Bündnis der »freien Welt« gegen China aufgeladen wür­de. Dann wäre mit Blick auf eine Mitwirkung der EU zu überlegen, wie diese in einem solchen Gremium am besten vertre­ten wäre, ob nach der G7-Formel (Präsident des Europäischen Rates und Kommissionspräsidentin) oder in anderer Form. Strate­gisch wäre vor allem darüber nachzudenken, wie sich das amerikanische Interesse an Abstimmung im Sinne konditionierter Zusammenarbeit nutzen ließe. Es liegt auf der Hand, die Bereitschaft zur Abstimmung in der Technologiepolitik, insbesondere bei Exportrestriktionen, mit dem amerikanischen Verzicht auf extraterritoriale Sank­tio­nen gegen europäische Firmen und Bürger zu verbinden. Nur muss man sich bewusst sein, dass die Bindewirkung einer politischen Zusage seitens der Administration be­grenzt ist. Oft ist der Kongress die treibende Kraft für derartige Strafmaßnahmen. Gera­de wenn es um den Einsatz von Sanktionen geht, findet sich immer wieder eine über­parteiliche Koalition zusammen. Damit ist auch in der Chinapolitik zu rech­nen, die immer mehr zu dem großen Thema der transatlantischen Beziehungen werden dürfte.

Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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