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4. Kein Grund zum Optimismus
Kein Grund zum Optimismus
Es ist eher davon auszugehen, daß die Roma-Problematik so oder so als strukturelles Problem längerfristig präsent bleiben wird. Denn selbst wenn die ambitionierten Pläne greifen, werden sichtbare und in "die Breite" gehende Effekte erst nach mehreren Jahren, vielleicht erst in einer Generation eintreten. Eine Stabilisierung und leichte Verbesserung der Situation der Roma-Minderheit und ihrer Koexistenz mit der Nicht-Roma-Mehrheit wäre bereits als relativer Erfolg zu beurteilen.
Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, daß es zu einer ungünstigen Ausprägung einzelner oder mehrerer Problemfelder bzw. Kontextfaktoren kommt, welche zu Rückschlägen bei der Integration der Roma-Minderheit führen könnten.
- Ein geringeres Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosenzahlen würden die Arbeitsmarktchancen der Roma zusätzlich schmälern.
- Sollten die Staatsfinanzen reformiert werden und – etwa aufgrund sinkender wirtschaftlicher Dynamik – Haushaltsengpässe entstehen, könnten Mittel, von denen spezifisch oder generell (etwa im Sozialbereich) Roma profitieren, gekürzt werden.
- Nicht ausgeschlossen werden kann ein Erstarken nationalistischer Gruppierungen, z.B. eine Rückkehr der nationalistischen tschechischen Republikaner ins Parlament. Dies würde zu einer Verschlechterung des politischen und gesellschaftlichen Klimas führen und eine Minderung der Akzeptanz von Pro-Roma-Politiken mit sich bringen.
- Jederzeit ist eine Zunahme rassistischer Gewalt möglich, die einen weiteren Vertrauensverlust der Roma gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, aber auch gegenüber den Behörden hervorrufen würde. Nach Gewalttätigkeiten gegen Roma wurde (bislang allerdings ohne größere Resonanz) von einigen Roma-Aktivisten die Gründung von eigenen Bürgerwehren angekündigt.
- Mit der EU-Mitgliedschaft fällt ein external stick weg, der die Regierung für die Roma-Thematik sensibilisierte – nämlich die Disziplinierung im Rahmen des Beitrittsprozesses.
Unabhängig davon, ob sich negative Tendenzen verdichten oder sich eine allmähliche Stabilisierung durchsetzen wird – mit einem kurzfristigen Wandel zum Besseren wird nicht zu rechnen sein. Für viele Roma, die traditionell stärker in den Dimensionen der Gegenwart als in längerfristigen Kategorien denken, wird insofern der Eindruck der Stagnation im Vordergrund stehen. Was heißt dies für das Verhalten der Roma und ihrer Repräsentanten?
- Ungeduld und Unzufriedenheit unter den Roma werden nicht abnehmen. Unterschiedliche Strategien, auch bei der Frage der Kooperation mit "offiziellen" Stellen werden weiterhin präsent sein. Eine allfällige Zunahme negativer Trends (etwa Gewalt, wachsende Diskriminierung) hätte eher eine Radikalisierung von Teilen der Roma-Bewegung als ein durch äußeren Druck bewirktes Zusammenwirken der unterschiedlichen Roma-Gruppen zur Folge. Fragmentierung wird vermutlich weiterhin ein dominantes Charakteristikum der Roma-Gemeinschaft sein. Damit ist aber die Möglichkeit, mit einheitlicher Stimme zu sprechen, prinzipiell eingeschränkt.
- Es ist eher wahrscheinlich, daß die Emigrationsneigung zunimmt. Allerdings wird einem wachsenden Wanderungsdruck eine stärker restriktive Haltung möglicher Zielländer entgegentreten. Asylbewerber aus dem künftigen EU-Mitglied Tschechische Republik können kaum damit rechnen, in einem anderen Mitgliedsland Asyl zu erhalten, auch in anderen Zielländern werden die Chancen auf den Erhalt eines Asyl- oder Flüchtlingsstatus erheblich sinken. Eingedenk der o.a. Erkenntnisse über das Migrationsverhalten der tschechischen Roma kann indes nicht ausgeschlossen werden, daß es zunächst noch zu spontanen Auswanderungswellen in bestimmte Länder kommt. Differentiale in der Höhe der sozialen Sicherungssysteme kommen als eventueller Migrationsanreiz nur eingeschränkt in Betracht, da sich tschechische Staatsbürger (eines künftigen EU-Mitgliedslandes Tschechische Republik) nicht direkt in die soziale Sicherung "einklinken" können.
- Insgesamt ist daher eine Fortführung von Prozessen der Demobilisierung und Resignation sowie eine Zunahme von sozialen Pathologien wahrscheinlich. Eine Entfernung von der Mehrheitsgesellschaft ist möglich. Lediglich bei einer Dynamisierung und Ausweitung der integrationsunterstützenden Maßnahmen könnte Besserung eintreten. Bei alledem ist zu bedenken, daß die Roma-Problematik nicht so brisant ist wie in anderen Ländern der Region, etwa in Rumänien oder in der benachbarten Slowakei, wo ein Roma-Anteil von 8-10% der Bevölkerung (mit regionalen Konzentrationen von teils über 20%) besteht.