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Quadratur des Kreises im Indo-Pazifik

Sicherheitspolitische Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien

SWP-Aktuell 2021/A 29, 30.03.2021, 8 Seiten

doi:10.18449/2021A29

Forschungsgebiete

Die 2020 veröffentlichten Leitlinien der Bundesregierung für den Indo-Pazifik defi­nieren deutsche Interessen in der Region und führen darüber hinaus Initiativen auf, wie diese Interessen gesichert werden sollen. Die präzise sicherheitspolitische Über­setzung in praktische Maßnahmen befindet sich noch in einem frühen Stadium. Der als Indo-Pazifik bezeichnete Raum ist seit gut einem Jahrzehnt in den sicherheits­politischen Fokus gerückt und Ort des Agierens zahlreicher regionaler und externer Akteure. In diesem Raum systemischer Rivalität des Westens mit China positioniert sich Deutschland nun auch. Ein Mittel der Wahl, um die deutschen Interessen abzu­sichern, ist die Bundeswehr. Jedoch sind die deutschen Streitkräfte bereits mit den bestehenden Einsätzen und Verpflichtungen derart strapaziert, dass ein Engagement im Indo-Pazifik nur leistbar ist, wenn an anderer Stelle weniger getan wird. Somit scheint eine Koalition gleichgesinnter Akteure am besten geeignet, um dem Problem einer zunehmenden Überdehnung der Streitkräfte zu begegnen.

Mit den Leitlinien zum Indo-Pazifik defi­niert Deutschland seine Interessen in der Region und skizziert Maßnahmen, um ihnen Nach­druck zu ver­leihen. Neben einer politischen, einer rechtsstaatlichen, einer wirt­schaftlichen, einer humanitären, einer völkerrechtlichen und einer ökologischen Dimension bein­halten die Leitlinien auch eine sicherheitspolitische. Bisher hat sich die Bundesregierung zu diesem Themenkomplex zurückhaltend positioniert. Im Vorwort der Leitlinien betont sie, dass sie diese als Beitrag zu einer künftigen Stra­tegie der Europäischen Union (EU) für den Indo-Pazifik ansieht. Dies erklärt die deut­sche Präferenz, deutsche Initiativen in einen multilateralen Rahmen einzubetten und hierbei vorzugsweise die EU und regio­nale Part­ner vor Ort einzubeziehen.

Politische Geografie und strategische Semantik

Die Bundesregierung beschreibt das Gebiet des Indo-Pazifiks in den Leitlinien als die »Gesamtheit des vom Indischen Ozean und vom Pazifik geprägten Raums«. In diesem weit gefassten Verständnis reicht die Region von der afrikanischen Ostküste mit ihren Anrainerstaaten bis einschließlich zur West­küste des amerikanischen Konti­nents. Der Begriff »Indo-Pazi­fik« ist insbesondere in westlich orientierten Staaten gebräuchlich; allein seine Verwendung in deren politisch-strategischer Rhe­torik wird von vielen Be­ob­achtern als inhaltliche Botschaft aufgefasst, stellt er doch Indien und den Indischen Ozean in den Mittelpunkt, während gleich­zeitig die Bedeutung und Rolle Chinas weni­ger direkt angesprochen wird.

Gemein ist allen Beschreibungen des Raums eine geostrate­gische Interpretation, indem sie betonen, dass es sich um ein mehr­heitlich mari­tim geprägtes Gebiet han­delt, das als globaler wirtschaftlicher Dreh- und Angelpunkt ver­standen wird und den mit Abstand größten Anteil am globalen See­handel hat. Im Zentrum der indopazifi­schen Geografie – sowohl kartografisch wie auch ökonomisch – liegen am Über­gang vom Pazifik zum Indischen Ozean das Südchinesische Meer und die Meerengen der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Lom­bokstraße. Durch diese Meer­engen wer­den jährlich bis zu 30 Prozent des inter­nationalen Warenhandels geschifft. Diese Warenströme sind unabdingbar für eine funktionierende und florierende Welt­wirt­schaft. Sollte es zu einer Störung oder zu Kata­strophen auf See kommen, können sie jedoch auch eine Bedrohung darstellen für die mari­time Umwelt und die Sicherheit der Küsten und Hafenstädte sowie der dort lebenden Bevöl­kerung.

Darüber hinaus sind maritime Ressourcen – ob Mineralien oder Fisch – zuneh­mend umstritten, ebenso der Zugang zum Meer und seinen Res­sourcen. Schließ­lich besteht ein Kausalzusammenhang zwischen Handel und Wohlstand: Handel bedarf zu seiner vollen Entfaltung sicherer und stabi­ler Handelsrouten. Mithin hängt Wohlstand direkt von Sicherheit ab. Deutschlands Wohl­stand und ökonomische Prosperität sind auf siche­re Seewege angewiesen. Dies trifft in beson­derem Maße auf den Indo-Pazifik zu.

Sicherheitspolitische Aspekte der Indo-Pazifik-Leitlinien

Mit den Leitlinien richtet die Bundesregierung ihren Fokus erstmals explizit auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Region. Die potenziellen Bedrohungen sind vielschichtig: Neben der oftmals alles überlagernden strategischen, wirtschaft­lichen und systemischen Rivalität zwischen den USA und China gibt es im Indo-Pazifik drei Nuklearmächte (China, Indien, Pakis­tan) plus Nordkorea als schwer kalkulier­bare De‑facto‑Nuklearmacht. Diese bereits explo­sive Kon­stellation wird noch prekärer durch ungeklärte Grenzstreitigkeiten, innere und zwischenstaatliche Konflikte, regional und global agierende Terror-Organisatio­nen, Pira­terie, organisierte Kriminalität, die Aus­wir­kun­gen von Naturkatastrophen sowie Mig­ra­tionsbewegungen. Gerade die zuletzt ge­nannten Aspekte, die eher nichttraditio­nel­len Sicherheitsbedrohungen, sind bei den An­rainern des Indo-Pazifiks weit oben auf der sicherheitspolitischen Agenda zu finden.

Dieses breite Spektrum an sicherheits­politischen Bedro­hungen steht in einem offen­sichtlichen Spannungsverhältnis zu der Wahrnehmung des Indo-Pazifiks als Zentrum globaler Warenströme. Als Reaktion auf diese sicher­heitspolitische Lage beab­sich­tigt die Bundesregierung, das deutsche Engagement in der Region ­künftig auszu­weiten. So will sie die sicher­heits- und ver­teidigungspolitische Kooperation im Indo-Pazifik intensivieren, kontextabhängig mit einzelnen Staaten oder Organisationen wie dem südostasiatischen Staatenverbund ASEAN und mit Akteuren, die ebenfalls Inter­essen in der Region haben. Das kann sowohl unilateral als auch im Rahmen von EU, Nato oder Vereinten Nationen (VN) stattfinden.

Inhaltlich will sich Deutschland in folgen­den Berei­chen engagieren: Rüstungskont­rolle, Nonproliferation, Cybersicherheit, huma­nitäre und Katastrophenhilfe, Piraterie- und Ter­rorismusbekämpfung, Konflikt­bewäl­tigung sowie Prävention bis hin zum Erhalt der regelbasierten Ordnung inklusive der Durchsetzung internationaler Rechtsnormen wie des Seerechts­überein­kommens (SRÜ) der VN. Die Instru­mente, die die Bun­des­regierung dafür ein­setzen möchte, rei­chen von Ausbau und Vertiefung von Ko­ope­rationen in der Region über zivile und mili­tä­rische Diplomatie bis zu militä­rischer An­wesenheit im Rah­men von Übun­gen oder anderen Formen der Präsenz vor Ort.

Da der Indo-Pazifik in erster Linie ein maritim geprägter Raum ist, ist der Schwer­punkt der von der Bundesregierung in Aus­sicht gestell­ten sicherheitspolitischen Maß­nahmen für die Region maritimer Natur, über­wiegend sogar militärpolitischer. Deut­lich nachrangiger beschäftigen sich die Leit­linien mit Maßnahmen zur Terroris­mus­bekämpfung, dem Problem der Proli­fera­tion oder gar dem nordkoreanischen Nuklear­programm und dazu ergan­genen Sanktionen. Dementsprechend fällt die Wahl unter anderem auf die Deutsche Marine, wenn es darum geht, die in den Leitlinien genann­ten sicherheitspolitischen Initiativen um­zusetzen.

Politischer Auftrag versus militärische Grenzen

Seit dem Jahr 2020 plant die Deutsche Marine, ein Schiff in den Indo-Pazifik zu entsenden, nachdem sie, abgesehen von wiederkehrenden Beiträgen zu den Opera­tionen Enduring Freedom und Atalanta am Horn von Afrika, in den letzten zwei Jahr­zehnten in der Region nicht präsent war. Trotz wiederholter Anläufe war es in den letzten Jahren nicht leistbar, dass ein deut­sches Schiff dorthin fuhr, und zwar aus verschiedenen Gründen. Aus­schlaggebend hierfür war (und ist) das Verhältnis von durch die Deutsche Marine schon geleis­te­ten Beiträgen zu internatio­nalen Operationen, Einsätzen und einsatz­gleichen Ver­pflichtungen auf der einen Seite zur Ver­fügbarkeit entsprechend geeigneter Schiffe auf der anderen Seite. Ihre aktuellen Auf­träge fordern die Marine bereits derart, dass sie neue nur übernehmen kann, wenn die bestehenden reduziert werden – und ein Engagement im Indo-Pazifik ist solch eine Zusatzaufgabe. Die Marine verfügt nur über eine begrenzte Zahl von Ein­heiten, die auf­grund ihrer Ein­satzreichweite, Durch­halte­fähigkeit auf Hoher See und der dafür not­wendigen zeitweisen logistischen Unab­hän­gigkeit geeignet sind für eine Entsendung.

Die Bandbreite der Ein­sätze und einsatzgleichen Verpflichtungen der Marine ist viel­fältig und umfangreich. Deutschland stellt kontinuierlich Einheiten für die stehen­den Einsatzverbände der Nato ab. Je nach Art des Einsatzverbandes betrifft dies so­wohl vergleichsweise größere Ein­heiten wie Fregatten, Korvetten oder Ver­sorgungs­schiffe als auch kleinere und spezialisierte Boote wie Minenjagd- und Minenabwehr­einheiten. Darüber hinaus wird durch einen Teil des 2. Einsatzverbandes die Nato-Operation in der Ägäis mit Schiffen und Einheiten alimentiert. Seit Januar 2021 stellt die Marine hierfür eine weitere Ver­sorgungseinheit sowie einen Führungsstab. Außerdem entsendet sie Schiffe in Ein­sätze der VN und der EU. Derzeit gilt dies für die EU-geführte Operation Irini vor der Küste Libyens, zu der sie mit einem Einsatzgruppen­versorger und zeit­weilig – insofern verfügbar – mit einem Seefernaufklärungs­flugzeug beiträgt, und den VN-Einsatz UNIFIL, den Deutschland mit einer Korvette und dem Kern des maritimen Führungsstabes unter­stützt. Jenseits dieser Einsätze und einsatz­gleichen Verpflichtungen beteiligt sich die Marine an zahlreichen nationalen, multi­nationalen sowie Nato-Ausbildungs­abschnitten und ‑Übungen.

Die für all diese Vorhaben benötigten Schiffe werden aus der Gesamtheit der ein­satz­bereiten und zur Verfügung stehenden Einheiten der Marine ausgewählt. Das hat zur Folge, dass nicht immer das für die je­weilige Aufgabe am bes­ten geeig­nete Schiff verfügbar ist. Im Sinne einer Lastenverteilung bei Einsätzen und Verpflichtungen wer­den bisweilen Ein­heiten entsendet, deren ursprüngliche Ausrüstung und ur­sprüng­licher Auftrag den Anforderungen des Ein­satzes nur minimal ent­sprechen. Ein Bei­spiel dafür ist die Nutzung von Versorgungs­schiffen in den stehenden Einsatzverbän­den, insbesondere in der Nato-Operation in der Ägäis. Zwar haben sie operative Be­deu­tung im Rahmen der Versorgung und Unter­stützung der Ein­satzverbände, Fähig­keiten zum operativen Wirken im Sinne des Auf­trags sind jedoch nur bedingt vor­handen.

Zurzeit verfügt die Deutsche Marine, zählt man Hafenschlepper und andere Hilfs­schiffe nicht mit, über etwa 45 Ein­heiten. Werden die zuvor genannten Krite­rien der Einsetzbarkeit und Seetauglichkeit berück­sichtigt, kommen davon weniger als die Hälfte für einen Einsatz im Indo-Pazifik in Frage. Prädes­tiniert für einen solchen Auf­trag sind aufgrund ihrer Größe, Be­schaffen­heit, Reichweite und Fähigkeiten augenscheinlich die zehn Fregatten und drei Ein­satzgruppenversorger der Marine. Nimmt man einen größeren logistischen Aufwand und eine gewisse Ein­schränkung hinsichtlich der Seegebiete in Kauf, ist auch der Ein­satz von einer der fünf Kor­vetten vorstellbar.

Diese Schiffstypen bilden den Kern der Einheiten, die wegen ihrer Ausstattung und Fähigkeiten am ehesten in die Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen der Deut­schen Marine entsendet werden. Die Ver­füg­barkeit aller Schiffe unterliegt bestimmten Regelkreisen von Aus­bildung, Instandhaltung und Einsatzbereitschaft. Jedes Schiff muss periodisch diesen Regelkreis durchlaufen. In Form von Personalwechseln und Werftaufenthalten zur Instand­haltung und Modernisierung werden einer Einsatz­verfüg­barkeit um­fangreiche Ausbil­dungs­abschnitte vorgeschaltet. Dem­ent­sprechend kann die Marine im besten Fall zu jedem Zeitpunkt eines Jahres nur etwa auf ein Drittel bis ein Viertel der Schiffe für Opera­tionen, multinationale Übungen und Ein­sätze zurückgreifen. Verzögerungen bei Instandsetzungen, unvorhergesehene tech­nische Ausfälle oder die verspätete Aus­lie­ferung von neuen Einheiten limitiert die Zahl der verfügbaren Schiffe zusätzlich. Ein Zuwachs an Aufträgen und Einsätzen ist kaum noch leistbar.

Dennoch wurde bereits für das Jahr 2021 die Entsendung von mindestens einem deut­schen Marineschiff in den Indo-Pazifik an­ge­kündigt. Nach aktueller Planung soll die Fregatte Bayern ihre etwas mehr als sechs­monatige Reise in die Region im Au­gust 2021 aufnehmen. Eine kontinuierliche Prä­senz ist dadurch noch nicht gegeben und wäre nur zu bewerkstelligen, wenn die Marine andere Aufträge wie Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen ruhen lässt. Bestenfalls wird es der Marine in unregelmäßigen und schwer planbaren Zeitabständen möglich sein, einzelne Schiffe für eine solche Entsendung bereitzustellen.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Aus­wahl einer Einheit, die in den Indo-Pazifik entsendet wird, sollte der zu definie­rende operative Auftrag sein, da alle Schiffe der Marine unterschiedlichste Fähigkeiten be­sit­zen und Signale vermitteln. In diesem Zu­sam­menhang muss ein weiterer Faktor in die Überlegungen einfließen: die Bedrohungs­analyse. Eine Risikoabwägung ergibt, dass auch deutsche Schiffe unkalkulierbaren Bedrohungen ausgesetzt sein kön­nen. Analy­siert werden muss zum Beispiel die poten­zielle Gefahr durch terroristische Anschläge und Piraterie­aktivitäten. Weite­rer Bestandteil der Betrachtung sollte der Umstand sein, dass Berichten zufolge chine­sische Fisch­fang­flotten vermehrt dazu genutzt werden, territoriale Ansprüche zu untermauern, was wiederholt in gewaltsamen Auseinander­setzungen eskaliert ist. Solche Flotten und als Fischer getarnte maritime Milizen wer­den zur Aufklärung von Seegebieten und zur Drangsalierung fremder Schiffe einge­setzt. Hinzu kommt, dass die chinesische Küsten­wache autorisiert ist, innerhalb der von China beanspruchten Seegebiete Gewalt und militärische Mittel anzuwenden.

Als einzeln fahrende Einheit können alle deutschen Marineschiffe zumindest sich selbst gegen begrenzte Bedrohungen schüt­zen. Ein umfangreicherer Schutz ist indes nur in einem Verband mit mehreren Ein­heiten möglich; dasselbe gilt, wenn die Schiffe etwa zur Aufklärung, Lagebild-Er­stel­lung oder für andere operative Aufträge genutzt werden sollen. Eine Entsendung einzelner deutscher Schiffe in den Indo-Pazifik ist aus operativer Sicht einzig in einem Verbund und mit einem entsprechen­den Auftrag sinnvoll. In Gestalt eines ein­zel­nen Schiffes hat die deutsche Präsenz eher poli­tisch-symbolischen Charakter. Mit der Ent­sendung der Fregatte Bayern zeigt Deutschland Flagge im Indo-Pazifik und unterstreicht seine Absicht, sich dort künf­tig stärker zu engagieren.

Auf­grund der zu berücksichtigenden Konfliktlinien, Gefahren und Bedrohungen in der Region ist jede Präsenz eines deut­schen Kriegsschiffes mehr als nur eine bloße Ausbildungsfahrt. Die Bundesregierung ver­meidet bisher den Begriff »Einsatz«, wenn sie von der Entsendung der deutschen Fre­gatte in den Indo-Pazifik spricht. Denn ein »Einsatz« in Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1994 würde eine parlamentarische Mandatierung erfor­dern, bedeutete er doch, dass bewaffnete Streit­kräfte im Rahmen eines Bündnisses der kol­lektiven Sicherheit eingesetzt wer­den. Dieser Tatbestand ist hier aber nicht gegeben.

In den vergangenen Jahren war die Deut­sche Marine im indopazifischen Raum kaum vertreten. Am Horn von Afrika, ab­ge­stützt auf Djibouti, war die Marine zuletzt mit den Seefernaufklärern P‑3C im Rahmen der EU-Operation Atalanta präsent. Dieses Engagement, das heißt die Beteiligung an der Operation mit Einheiten, hat die Marine nun vorübergehend eingestellt und zieht ab Mai 2021 ebenfalls die unterstützende logistische Präsenz aus Djibouti ab. Das Mandat für diesen Einsatz wird vorerst ver­längert, die Marine hat jedoch keine Ein­heiten für eine dauerhafte Anwesenheit ver­füg­bar. Möglich bleibt eine zeitweise Be­teiligung, wenn deutsche Schiffe dieses See­gebiet passieren.

Analog zur Marine soll auch die Luftwaffe im indopazifischen Raum Flagge zeigen. Ab 2022 wird die Luftwaffe begin­nen, Tank- und Kampfflugzeuge im Rah­men von Lang­streckenverlegungen nach Australien zu entsenden. Dies dient nicht allein dem Trai­ning der Langstrecken­verlegung; viel­mehr ist es zu verstehen als Zeichen der Prä­senz in der Region, der Abschreckung gegenüber Störern der stabilen Ordnung im Indo-Pazi­fik und schließlich der Bereitschaft, schlag­kräftige Mittel der Luftwaffe einzusetzen.

Neben dem Aspekt eines politisch erwünschten Flaggezeigens kann die Entsen­dung eines deutschen Schiffes eine nicht zu vernachlässigende völkerrechtliche Be­deu­tung haben, nämlich wenn dadurch inter­nationale Rechtsnormen wie das VN-Seerechtsübereinkommen gestärkt werden gegen­über einseitigen Ansprüchen oder Prak­tiken. Mit ihren Leitlinien für den Indo-Pazifik bezieht die Bundesregierung hin­sichtlich dieser Konfliktlinie Stellung, in­dem sie das bestehende SRÜ unterstützt.

In dem Wechsel­spiel von einseitigen Ge­biets- und Rechtsansprüchen, Verstetigung im Sinne eines Gewohnheitsrechtes und dem Erhalt eines Status quo ante, basierend auf dem SRÜ, hat die Bundes­regierung bis­lang im Rahmen diplomatischer Noten agiert. Die Leitlinien für den Indo-Pazifik rufen insbe­sondere bei den Anrainern, aber auch bei Partnern und Alliierten die Erwar­tung hervor, dass Deutschland seine Posi­tion und sein Rechts­verständnis darüber hinaus­gehend bekräf­tigt, zum Beispiel indem deut­sche Schiffe sich an sogenannten »Freedom of Navigation«-Aktivitäten beteiligen oder diese eigenständig durchführen.

Solche Fahrten bergen allerdings immer die Gefahr einer Gegenreaktion und kön­nen Anlass für Zwischenfälle auf See und in der Luft sein. Auch dies muss in die Risiko­betrachtung vor einer Entsendung einflie­ßen. Behutsam wurde bei der Planung der Route für die Fregatte Bayern (soweit sie bis­her bekannt ist) auf Gebiete verzichtet, in denen es zu Konflikten mit China kom­men könnte. In dem Span­nungs­feld von politi­schen Zielen und stra­tegischen Bot­schaften, dem militärischen Auftrag und den verfüg­baren Ressourcen empfiehlt es sich jenseits einer wahrnehm­baren gele­gent­lichen Prä­senz in der Region, bereits bestehende Ko­ope­rationsstrukturen zu nutzen.

Verschiedenste Akteure – Handlungs­optionen für Deutsch­land

Die Bundesrepublik will ihre Aktivitäten im Indo-Pazifik in einen multinationalen Rah­men mit Partnern und Alliierten ein­betten, die ihre Werte teilen. Ein Agieren im mari­timen Umfeld mit dem Ziel, Inter­essen zu sichern, kann kaum ein Staat allein leis­ten. Gemäß den Leitlinien strebt Deutschland ein europäisches Handeln an, bevor­zugt im Rah­men der EU; zwingend not­wen­dig ist das aber nicht. Vielmehr er­scheint es hilf­reich, die Ziele, Interessen und Möglich­keiten verschiedenster Akteure mit den eige­nen abzugleichen und ent­spre­chen­de Bündnisse zu suchen.

Im sicherheitspolitischen Kontext könnten potenzielle Partner zunächst die soge­nannten Quad-Staaten des indopazifischen Raums sein, also die USA, Australien, Indien und Japan. Der Quadrilateral Security Dia­logue (Quad) ist bisher ein eher informell sicherheits- und militärpolitisch ausgerichteter Zusam­menschluss mit dem Ziel, einen freien und offenen Indo-Pazifik zu garan­tieren. Dazu koordinieren die Quad-Staaten vor allem ihre militärischen Koope­rationen und gemeinsame Übungen. Aktuell streben sie an, einerseits das Forum strukturell stär­ker zu institutionalisieren, andererseits weitere Teilnehmer zu einer engeren oder auch losen Assoziierung einzuladen.

Der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) konzentriert seine Aktivitäten auf vier Bereiche: maritime Kooperation, nach­haltige Entwicklung, wirtschaftliche Zusam­menarbeit sowie Vernetzung. Sicher­heits­politische Fragen hat man bislang bewusst aus­geklammert. Dennoch bieten die The­men­felder der ASEAN Deutschland eine in­di­rekte Möglichkeit, sie durch Initiativen und Maß­nahmen politisch zu unterstützen. Im Kon­text eines vernetzten Ansatzes könnte sich dies direkt auf Aspekte der Sicherheit aus­wirken.

Darüber hinaus gibt es einzelne Akteure, darunter europäische Staa­ten, mit eigenen, bisher oft nationalen Aktivitäten in der Region. Selbst wenn es Frankreichs Wunsch ist, auf politischer Ebene im Rahmen der EU eine nachhaltige Stra­tegie für den Raum zu erarbeiten, so unternimmt es doch allein schon aufgrund seiner überseeischen Terri­torien verschiedenste Aktivitäten im Indo-Pazifik, mal national, mal mit wechselnden Partnern. Der französische Präsi­dent Macron hat bei seinem Australien­besuch 2018 sogar den Vorstoß einer geostrategischen Re­kali­b­rierung der Machtverhältnisse in der Region gewagt und von einer sich herausbildenden Achse Frankreich–Indien–Australien ge­spro­chen. Die französische Perspektive auf den Indo-Pazifik ist primär sicherheitspolitischer Natur. Zusammen mit Frankreich erscheint die Nutzung vor­handener Infra­struktur in der Region ein erheblicher Vor­teil zu sein. Neben den Hafenanlagen und logistischen Versorgungs­möglichkeiten für Schiffe können Frank­reichs Übersee-Territorien und deren staatliche Nutzung eine Grundlage liefern für den Ausbau eines regionalen Lagebildes und für die Intensivierung vielschichtiger Forschungsprojekte in der Region.

Großbritannien entsendet in diesem Jahr seinen Flugzeugträger Queen Elizabeth zu­sam­men mit einem Verband, der durch US-amerikanische Einheiten unterstützt wird, in den Indo-Pazifik und das Südchinesische Meer. Im Zeichen der »Global Bri­tain«-An­sprüche der derzeitigen britischen Regie­rung stellt der Verband die größte britische Präsenz in der Region seit Jahr­zehnten dar. Steten Einfluss in diesem Teil der Welt hat sich Großbritannien nicht nur wegen des Commonwealth über die letzten Jahr­zehnte bewahrt. Durch bi- und multi­late­rale Koope­rationen (z. B. Five Power De­fence Arrange­ments), verbliebene über­see­ische Territorien (Pitcairn, Diego Garcia) und militärische Stütz­punkte in Singapur, Nepal und Brunei Darussalam haben sich die Briten den Sta­tus eines indopazifischen Akteurs erhalten. Das Vereinigte Königreich steht in einem Spannungs­verhältnis zwi­schen den selbst gesteckten Ambitionen aus dem »Schwenk zum Indo-Pazifik«, den Ab­lei­tungen aus dem »Global Britain«-Begeh­ren, seinen eige­nen nationalen Vertei­di­gungsaufgaben, den bi- und multilateral eingegangenen Engage­ments im Nord­europäischen Raum (z. B. Combined Joint Expeditionary Force, CJEF; Joint Expeditionary Force, JEF), den Bei­trägen und Ver­pflichtungen im Rahmen der Nato und absehbar limi­tierten Ressourcen. Das wirt­schafts- und sicherheitspoli­tische Interesse am Indo-Pazi­fik ist groß, jedoch wird Groß­britannien diesen Spagat dauerhaft kaum allein leisten können.

Die jüngst veröffentlichte Indo-Pazifik-Strategie der Niederlande richtet den Fokus auf die wirtschafts- und handelspolitisch wichtigen Seewege am Übergang des Pazi­fischen zum Indischen Ozean mit dem Süd­chinesischen und dem Ost­chinesischen Meer. Im Verband mit dem britischen Flug­zeugträger Queen Eliza­beth beabsichtigen die Niederlande, nach langer Zeit mit einer Fregatte in der Region Prä­senz zu zeigen.

Aufgrund der ähnlichen Zielsetzungen, wie sie den jeweiligen strategischen Doku­menten entnommen werden können, ist vorstellbar, dass ein gemeinsames Vorgehen Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der Niederlande leicht zu realisieren wäre. Die eingebrachten Fähigkeiten und Ressourcen könnten sich gegenseitig ergän­zen. Ein multinationales Vorgehen Deutsch­lands böte allein aus dieser Pers­pektive bereits objektive Vorteile. Die Ein­schiffung und Mitfahrt deutscher Austauschoffiziere auf französischen Schiffen, die auch im Indo-Pazifik operieren, ist fester Bestandteil eines schon seit 1989 mit Frankreich prak­ti­zierten bilateralen militä­rischen Austausch­programms. Aktuell meldet das Bundes­ministerium der Vertei­digung zwei deut­sche Offiziere auf fran­zösischen seegehen­den Einheiten, allerdings ohne die Region zu benennen, in der diese eingesetzt wer­den. Falls es der indo­pazi­fische Raum sein sollte, ist dieser Beitrag indes für Außen­stehende nicht wahr­nehmbar und hat kaum poli­tische Signal­wirkung. Wahrgenommen, vor allem in der Region, wird dagegen zum Beispiel die 2020 erfolgte Abstellung eines deut­schen Marineoffiziers als Verbindungs­element an das regional aktive Informations­zentrum der Marine Singapurs (IFC). Der­artige deutsche Beiträge haben Signal­wir­kung, insbesondere wenn der politische Auf­trag lautet: Präsenz zeigen.

Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein möglicher Partner für ein ge­meinsames Engagement. Die USA be­zeich­nen, maßgeblich angestoßen durch die Dokumente der letzten Jahre im Rah­men der Initia­tive »Free and Open Indo-Pacific«, den Raum zwischen der westlichen Grenze Indiens und der Westküste der USA als Indo-Pazifik. Dies stimmt mit dem mili­tä­rischen Verantwortungsbereich des US-Indo-Pazifik-Kommandos überein. Es ist damit auch der regionale Zuständigkeits­bereich der 5. und der 7. US-Flotte, die als stehende Vorposten in der Region stationiert sind. Die amerikanische Perspektive scheint daher zunächst in erster Linie sicher­heitspolitisch geprägt zu sein. Das im Januar 2021 von der letzten US-Administ­ration ent­klassifizierte und veröffentlichte stra­tegi­sche Rahmenkonzept für den Indo-Pazi­fik macht jedoch deutlich, dass aus Sicht der USA Wirtschafts- und Sicherheitspolitik glei­chermaßen zentral sind.

Derzeit spricht einiges dafür, dass die Biden-Administration die wesentlichen Grund­züge dieser Politik übernehmen und fortsetzen wird. Bisher agieren die USA in der Region in sicherheitspolitischen Aspek­ten viel unter eigener Ägide oder in wech­selnden Bünd­nissen. Die durch amerikanische Schiffe seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten »Freedom of Navigation«-Einsätze haben vor allem in den letzten Jahren im Zeichen sich anbahnender Groß­machtrivalitäten im Indo-Pazifik den Bei­geschmack amerika­nischer Machtprojektion gegenüber China bekommen. Das Rahmen­dokument der USA für den Indo-Pazifik ist zwar explizit auf China ausgerichtet, be­inhaltet gleichzeitig aber auch viele Gemein­samkeiten mit den deutschen Leit­linien, was Inter­essen und angestrebte Maß­nah­men in der Region angeht. Deutschland posi­tio­niert sich dennoch bei einigen The­men mit den Leitlinien weiterhin eher diplo­matisch und vorsichtig. Dies betrifft die­jenigen Dimen­sionen des sich ausbreitenden Wett­streits des Westens mit China, die im Indo-Pazifik dominieren, nämlich die systemische, die wirtschaftliche, die technologische – und auch die sicherheits­politische Dimension.

Ein ständiger Einsatzverband für den Indo-Pazifik

Unabhängig von der Definition des geo­grafischen Raums bestehen in den poli­ti­schen Interessen, in der Bedrohungs­analyse sowie in den angestrebten Handlungs­feldern und Maß­nahmen weit­reichende Analogien zwischen Deutschland und seinen westlichen Part­nern. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten für die Bundes­regierung, eigene Inter­essen und Maßnahmen in einen multi­nationalen Rahmen einzubetten. Ein posi­tiver Nebeneffekt wäre, dass die poten­ziel­le Über­dehnung nationaler militärischer Res­sourcen minimiert werden könnte.

Vorstellbar wäre die Einrichtung eines ständigen maritimen Einsatzverbandes für den indopazifischen Raum, einer soge­nann­ten Task Force, die nicht zwangsweise über stehende und fest zugewiesene Ein­heiten verfügen muss. Eine zeitweise Unter­stellung bei einem Transit in das geografische Gebiet oder beim Durchqueren des­selben, analog zu ande­ren laufenden Opera­tionen, gäbe den teil­nehmenden Nationen Flexi­bilität. Die Ein­heiten könnten wäh­rend ihrer Zuge­hörigkeit zum Einsatzverband zum Lage­bildaufbau beitragen und Auf­träge oder Auf­gaben längs ihrer Route über­nehmen. Ferner wären ein Aus­bil­dungs­­abschnitt oder ge­mein­same Manö­ver mit Streitkräften inner­halb des geografischen Raums und entlang der geplanten Routen denkbar. Die opera­tive Führung und Pla­nungsarbeit dieses Ein­satz­verbandes könnte in einem neuen, orts­festen und regional ansässigen Haupt­quartier erfolgen, in das ein Grundstock teilnehmender Nationen einzelne Stabsmitglieder entsendet. Die Quad-Staa­ten des Indo-Pazifiks wären geeig­net, den notwen­digen militärischen Kern zu bilden.

Dar­über hinaus könnten Indien, Indonesien oder Singapur als regionale Heimat der Stabsstruktur eingebunden werden. Indien versucht zurzeit, eine sicherheits- und mili­tär­politische Balance zu wahren, indem es innerhalb der Region mit den verschiedenen Akteuren und systemischen Polen in Inter­aktion tritt. So beteiligt es sich mit seinen Streitkräften an militärischen Übun­gen mit China, dem Iran oder Russland. Indonesien ist nicht nur der weltweit größte Inselstaat und unweit des Südchinesischen Meeres ge­legen, sondern auch Heimat der höchsten Anzahl an Muslimen. Singapur ist ein multi­kultureller Schmelztiegel und ökonomischer Knotenpunkt am Rande des Südchine­si­schen Meeres, nahe der Straße von Malakka.

Will Deutschland auch künftig seinem Interesse an freien und sicheren Seewegen sowie der Achtung bestehender völkerrechtlicher Normen Ausdruck verleihen, indem es gele­gentlich ein deutsches Kriegs­schiff in den Indo-Pazifik entsendet, wäre Folgen­des ratsam: Dem Auf­trag des Schiffes sollte einmalig ein parlamentarisches Man­dat zu Grunde gelegt werden, um seine Bedeutung hervorzuheben. Auch wenn dies formal nicht erforderlich ist und es da­nach noch immer kein Ein­satz im Rahmen eines Bünd­nisses kollek­tiver Sicher­heit wäre, würden mit der Entsendung, zumal auf Basis eines Mandats, zwei Signale gesetzt.

Das erste richtete sich eher nach innen in den deutschen politischen Raum und würde den sicherheitspolitischen Stellenwert des Indo-Pazifiks betonen. Außer­dem würde der politischen Ver­mittlung dessen im öffentlichen Diskurs ein ent­sprechendes Gewicht beigemessen. Das zweite Signal würde sich nach außen an Deutschlands Part­ner richten. Die Ent­scheidung, ein Kriegs­schiff zu entsenden, wäre in dem Fall nicht nur von der Regie­rung getroffen worden, sondern zusätzlich vom Parlament. Die da­mit verbundene Bot­schaft des poli­tischen Auftrags würde gestärkt; parteiübergreifend würde anerkannt, dass ein Engagement Deutschlands im Indo-Pazifik wichtig ist, um die Stabilität der Region zu gewährleisten, die wiederum für Deutschland relevant ist. Alliierte und Partner könnten dies als lang­fristige strategische Positio­nierung im Sinne einer politi­schen Kon­stante wahrnehmen.

Für die Fregatte änderte sich durch eine Mandatierung nichts, weder ihr Auftrag noch der recht­liche nationale und internatio­nale Rahmen. Das Signal, das von einem deut­schen Engagement im Indo-Pazifik aus­geht, selbst wenn es sich nur um eine ge­legent­liche Entsendung handelt, wäre bei den An­rai­nern in der Region sowie den deut­schen Partnern aber deutlicher sicht­bar. Der Ent­sen­dung eines Kriegs­schiffes wohnt immer eine starke diplo­matische Komponente inne.

Göran Swistek ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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