Die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat von ihrer Vorgängerin einige Baustellen übernommen. Neben den großen Themenfeldern Rüstung und Haushalt kommt der Trendwende Personal, wie es in der Bundeswehr heißt, besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, aus dem EU-Ausland dringend benötigte Fachkräfte wie IT-Spezialisten und Ärzte für die Bundeswehr anzuwerben. Dabei gilt deren Augenmerk vor allem in Deutschland lebenden und Deutsch sprechenden Staatsbürgern aus Polen, Italien und Rumänien, insgesamt rund 595 000 Personen. Wichtige Themen der Debatte sind potentielle Loyalitätskonflikte, die Attraktivität der Gehälter sowie die Qualität der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Junge Bewerber legen vor allem auf die letzten beiden Punkte Wert. Die Staatsbürgerschaft spielt dagegen keine entscheidende Rolle.
Demografischer Wandel und Fachkräftemangel stellen nicht nur europäische Streitkräfte vor große Herausforderungen. In direkter Konkurrenz mit der freien Wirtschaft fällt es dem Militär zunehmend schwer, geeignetes Personal für immer komplexere Waffensysteme oder den Cyberbereich zu gewinnen. Daher nimmt die militärische Führung innovative Rekrutierungskonzepte und die Zusammenarbeit mit dem zivilen Sektor stärker in den Blick. Einige Länder öffnen ihre Streitkräfte für Bürger anderer Staaten. Seit 2016 dürfen EU-Bürger und Ausländer in den Streitkräften von acht EU-Staaten sowie der USA und Kanada dienen. Deutschland ist also keineswegs Vorreiter, sondern befände sich mit einer Änderung der bisherigen Praxis in guter Gesellschaft.
In wissenschaftlichen Abhandlungen und der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass nur Stellen mit besonderer Nähe zum Staat, also bei Justiz, Polizei oder Militär, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgenommen sein können. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese besondere Nähe heute noch durch die Staatsbürgerschaft begründet werden kann oder ob nicht eher andere Aspekte von Bedeutung sind. Es ist bekannt, dass Spezialisten in Deutschland in der freien Wirtschaft gemeinhin besser bezahlt werden als im öffentlichen Dienst. Doch wie sieht es im Falle der Bundeswehr im direkten Vergleich zu europäischen Streitkräften aus? Wie stellen sich die Arbeits- und Lebensbedingungen dar?
EU-Bürger in europäischen Streitkräften
Die in Deutschland schon länger währende Debatte über die Öffnung der Bundeswehr für EU-Bürger schlug sich auch im Weißbuch 2016 nieder. Dort wurde eine solche Öffnung als Möglichkeit der Personalgewinnung aufgenommen. Jüngst wurde darüber erneut öffentlich diskutiert. Unter den Bürgern der 28 EU-Mitgliedstaaten wächst die Zustimmung für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie den Aufbau einer europäischen Armee. Das zeigt, dass dieses Thema nicht nur personalwirtschaftliche Aspekte umfasst. Es geht auch um die Frage, wie nationalstaatlich Streitkräfte heute noch sein müssen.
Der deutsche Vorstoß, die Bundeswehr für EU-Bürger zu öffnen, löste Bedenken in anderen Staaten aus. Polen zum Beispiel befürchtet eine größere Abwanderung, weil Deutschland bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen bietet. Solche Besorgnis ist aber nur bedingt nachvollziehbar, denn EU-Bürger können schon heute Militärdienst in europäischen Streitkräften verrichten. Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, die Slowakei, Spanien und Zypern gestatten es Bürgern der EU und bzw. oder anderer Staaten, unter gewissen Voraussetzungen in ihre Streitkräfte einzutreten. Dazu zählen unter anderem abgeleistete Wehrpflicht im Herkunftsland, Wohnsitzauflagen, Sprachkenntnisse, keine Vorstrafen oder die Herkunft aus bestimmten Ländern. Seit Januar 2004 erlaubt Belgien Bürgern der EU und der Schweiz, in seinen Streitkräften tätig zu sein, und hat damit die weitreichendste Öffnung vollzogen. Allerdings dienten 2016 nur 136 aktive ausländische Soldaten im belgischen Militär, was bei einer Sollstärke von 25 000 Soldaten weniger als einem Prozent entspricht. In Großbritannien sind es rund 10 000 ausländische Soldaten, die sich jedoch größtenteils aus dem Commonwealth und den nepalesischen Gurkhas rekrutieren. Nur etwa 65 Soldaten stammen aus anderen EU-Staaten, zum Beispiel Irland. Luxemburgs Militär hat seit 2003 ungefähr 300 EU-Ausländer eingestellt. Das meiste ausländische Personal rekrutieren die USA, nämlich pro Jahr um die 5000 sogenannte Green-Card-Soldaten. Es kann also keine Rede davon sein, dass in großem Maßstab Fachkräfte aus anderen Ländern abgeworben werden oder abwandern.
Rechtlich bedeutsam für die Aufnahme von EU-Bürgern in die Streitkräfte der jeweiligen Mitgliedstaaten ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. Sie gilt nicht für eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung (Artikel 45 Absatz 4 AEUV), kann aber in Anspruch genommen werden, wenn nationale Gesetzgebungen eine Öffnung der Polizei oder Armee zulassen, wie das Beispiel Belgien zeigt. In Deutschland und besonders für die Bundeswehr sieht § 37 Absatz 1 Nr. 1 des Soldatengesetzes (SG) vor, dass die deutsche Staatsbürgerschaft Voraussetzung für die Berufung von Zeit- und Berufssoldaten ist. Bereits § 37 Absatz 2 SG eröffnet aber dem Bundesministerium der Verteidigung die Möglichkeit, in Ausnahmefällen von dieser Bestimmung abzuweichen. Schon heute dient ein rumänischer Staatsangehöriger als Sanitätsoffizier in der Bundeswehr. Mit einer Anpassung des SG könnte Deutschland also seine Streitkräfte für Ausländer öffnen.
Die Frage der Staatsbürgerschaft
Kritiker einer Öffnung von Streitkräften für Ausländer führen vor allem das besondere Treueverhältnis und die Loyalität zum Staat an, die sich durch die Staatsbürgerschaft manifestiere. Mit ihr assoziieren sie den Verteidigungswillen oder die Wehrbereitschaft. Wissenschaftliche Erhebungen belegen aber, dass die Wehrbereitschaft bei der muslimischen Bevölkerung vieler europäischer Länder höher ist als die der Einheimischen, auch in Deutschland. Für den Willen zur Verteidigung des Landes, in dem man lebt, spielt die Staatsbürgerschaft demnach nur eine untergeordnete Rolle. So würde etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Türken, ob mit deutscher Staatsbürgerschaft oder ohne, bei einem Angriff auf Deutschland zur Verteidigung beitragen.
Das größte Vertrauen bringen ausländische Staatsbürger oft den Streitkräften ihres Gastlandes entgegen, erst danach weiteren staatlichen Institutionen oder Sozialsystemen. Im ersten Zwischenbericht zur Jugendstudie 2015 der Helmut-Schmidt-Universität heißt es dazu, dass 84 Prozent aller befragten Ausländer der Bundeswehr gegenüber neutral bis positiv eingestellt sind. Je größer der Wunsch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, desto höher ist die Motivation, in die Bundeswehr einzutreten. Daraus lässt sich folgern, dass der Dienst in Streitkräften ein gewisses Integrationspotential aufweist und die Staatsbürgerschaft selbst lediglich einen Anreiz für eine Bewerbung darstellt, aber keinen Indikator für den Willen zur Verteidigung des Gastlandes. Bei deutschen Jugendlichen sind Staatsbürgerschaft oder Dienst am Vaterland nicht wichtig für die Wahl des Soldatenberufes. Ausschlaggebend sind eher Faktoren wie ein gutes Einkommen, Kameradschaft oder ein sicherer Arbeitsplatz. Für Jugendliche ist der Begriff Staatsbürgerschaft generell kein bedeutendes Merkmal ihres Alltags und fällt daher in ihrer Lebenswirklichkeit kaum ins Gewicht.
Aus politischer Sicht wird die Loyalität gegenüber dem Staat durch den Amts- oder Diensteid offenkundig, welcher bei der Ernennung zum Soldaten auf Zeit oder Beamten abgelegt werden muss. Diese Loyalität ist nicht an die Staatsbürgerschaft gebunden. Die Landesverteidigung steht nicht mehr an oberster Stelle, sondern wird nur noch im Kontext der Bündnisverteidigung gesehen und ist eine gleichberechtigte Aufgabe neben den internationalen Einsätzen der Bundeswehr. Die Bundeswehr als Freiwilligenarmee beruft sich in keinem ihrer derzeitigen Einsätze und keiner ihrer einsatzgleichen Verpflichtungen, wie Enhanced Forward Presence im Baltikum, auf die Verteidigung Deutschlands. Im Vordergrund stehen Bündnissolidarität, Schutz der Menschenrechte, Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder Aufbau staatlicher Strukturen. Diese Aspekte sind in Teilen im Grundgesetz verankert, darüber hinaus aber universell gültig in einer wie auch immer gearteten Wertegemeinschaft, der sich viele Menschen ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft zugehörig fühlen.
Aus wissenschaftlicher Sicht spricht daher wenig für eine starke kausale Verbindung zwischen Staatsbürgerschaft und Wehrhaftigkeit oder Verteidigungswillen der jeweiligen Bevölkerung. Der Dienst in den Streitkräften kann vielmehr einen positiven Beitrag zur Integration und damit zum Erwerb der Staatsbürgerschaft leisten, basierend auf dem gemeinsamen Eintreten für Menschenrechte und den Prinzipien der westlichen Wertegemeinschaft.
Europäische Besoldungsstrukturen und Arbeitszeiten im Vergleich
Angenehme Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung sind wichtig für potentielle Bewerber. Dass sich diese beiden Faktoren bereits innerhalb eines Landes unterscheiden können, zeigt der Fachkräftemangel in Deutschland. Dort wächst die Zahl ausländischer Fachkräfte in den letzten Jahren kontinuierlich und bietet auch Streitkräften eine Möglichkeit, Personal zu gewinnen. Welche Anreize sich für Bewerber im Vergleich der europäischen Streitkräfte ergeben, lässt sich anhand der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der europäischen Besoldungsstrukturen darstellen.
Das Europäische Parlament und der Europäische Rat verabschiedeten 2003 die Richtlinie 2003/88/EG und damit die Grundlagen der Arbeitszeitgestaltung für die Mitgliedstaaten. In einem Bericht resümierte die Europäische Kommission 2017, die Richtlinie sei größtenteils umgesetzt worden, doch in den Streitkräften gebe es Probleme bei der Begrenzung der Höchstarbeitszeit. Defizite hatte auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages im Jahr 2016 festgestellt. Demnach wurde die Richtlinie in acht Mitgliedstaaten der EU nicht für die Streitkräfte umgesetzt, weitere vier Staaten antworteten nicht auf eine entsprechende Anfrage. In den weiteren Staaten bestehen überdies erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung. Deutschland hat mit die weitreichendsten Regelungen für die Streitkräfte getroffen, etwa dass grundsätzlich jede Überstunde in Freizeit abgegolten werden soll. Deshalb weist die Bundeswehr unter den europäischen Streitkräften sehr attraktive Arbeitszeitregelungen auf.
Nicht nur möglichst vorteilhafte Arbeitszeitbestimmungen, auch gute Bezahlung ist ein wichtiger Anreiz für Bewerber. Der direkte Vergleich von 26 europäischen Streitkräften zeigt, dass Deutschland zur Spitzengruppe bei der Besoldung gehört, selbst wenn die Kaufkraftparität der jeweiligen Länder auf Eurobasis berücksichtigt wird.
Was die Offiziere betrifft, gehört Deutschland hinsichtlich Einstiegsbesoldung und Durchschnittsgehältern zu den besten drei in Europa (lässt man die Streitkräfte von Luxemburg und der Schweiz aufgrund ihrer geringen Größe und des Schweizer Milizsystems einmal außen vor). Bei den Unteroffizieren und Mannschaften weist Deutschland die höchste Einstiegsbesoldung und die besten Durchschnittsgehälter auf, wenn man Kaufkraftparität zugrunde legt. Das Einstiegsgehalt eines Offiziers in Serbien beläuft sich auf 481 € brutto im Monat, in Deutschland dagegen auf 3366 €. Bei den Mannschaften und Unteroffizieren beträgt das Einstiegsgehalt in Polen 755 €, während in Deutschland 2275 € gezahlt werden.
In der Konkurrenz zu anderen europäischen Streitkräften um Fachkräfte kann die Bundeswehr also attraktive Arbeitsbedingungen, den hohen Lebensstandard in Deutschland sowie gute Gehälter als Vorteile für sich verbuchen.
Fazit
Will die Bundeswehr ein innovatives Personalgewinnungskonzept verfolgen, sollte sie dabei eine Reihe von Aspekten berücksichtigen. So spielt das Argument der Staatsbürgerschaft keine wesentliche Rolle, weder aus Sicht möglicher Bewerber noch für die Auftragserfüllung der Bundeswehr. Vielmehr sollte die Möglichkeit für ausländische Bewerber, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, als Vorteil im Sinne einer gesteuerten Integrationspolitik verstanden werden, ähnlich dem französischen oder dem amerikanischen System.
Zudem wurde in Staaten, die ausländische Bewerber bereits für ihre Streitkräfte zugelassen haben, bisher nur relativ wenig Personal aus anderen Ländern eingestellt. Angesichts dieser Tendenz und der vielen in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger wäre es daher kaum sinnvoll, die Bundeswehr lediglich für EU-Bürger zu öffnen. Stattdessen sollte sie generell all jenen Migranten offenstehen, welche die erforderlichen Qualifikationen mitbringen, zum Beispiel ausreichende Deutschkenntnisse. In puncto Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Besoldung befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich in einer sehr guten Ausgangslage und sollte diese gezielt nutzen. Außerdem kommt es den kleineren Staaten im Rahmen multinationaler Kooperationen wie dem Framework Nations Concept zugute, wenn die Bundeswehr personell und materiell gut ausgestattet ist.
Es steht also nicht zu befürchten, dass eine Söldnertruppe aufgebaut wird oder dass Deutschland massenhaft Personal in Nachbarländern abwirbt, um seinen Bedarf an Fachkräften und Spezialisten zu decken. Vielmehr handelt es sich um eine moderne Form der Rekrutierung, mit der versucht wird, personalwirtschaftliche Wettbewerbsvorteile auszuschöpfen.
Major i. G. René Schulz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
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doi: 10.18449/2019A48