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Effektivität und Legitimität der G7

Bewährungsprobe für die deutsche Präsidentschaft in Kriegszeiten

SWP-Aktuell 2023/A 12, 10.02.2023, 6 Pages

doi:10.18449/2023A12

Research Areas

Am 1. Januar 2023 hat Deutschland den G7-Vorsitz an Japan übergeben. Für ihr Präsidentschaftsjahr hatte sich die Bundesregierung eine progressive Agenda vor­genommen, die jedoch früh vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine über­lagert wurde. Dennoch sind einige materielle Erträge zu verzeichnen, darunter der Klimaclub. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen lässt sich zwar noch nicht prüfen; sehr wohl kann aber die Kriseneffektivität der G7 beurteilt werden, ebenso wie die Frage, wie legitim sie regiert. Die Kritik an mangelnder Legitimität des globalen Regierens durch informelle Foren (Club Governance) ist nicht neu. Sie macht sich daran fest, dass die von wenigen Regierungen initiierten Vorhaben sich auf eine Viel­zahl von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren auswirken, die auf den Politikprozess kaum Einfluss nehmen können. Selektive Partizipation, mangelnde Trans­parenz und fehlende Rechenschaft sind Kritikpunkte, die häufig gegen Club Gover­nance vorgebracht werden. In diesen drei Dimensionen wie auch mit Blick auf die Kriseneffektivität schneidet die G7 recht gut ab.

Die Übernahme der G7-Präsidentschaft am 1. Januar 2022 markierte den ersten großen Auftritt der neuen Bundesregierung, die Anfang Dezember 2021 die Arbeit aufgenom­men hatte, auf der internationalen Bühne. Anlassgerecht hatten die Koalitions­parteien ein ambitioniertes Programm für das Präsidentschaftsjahr vereinbart. Unter dem Motto »Fort­schritt für eine gerechte Welt« war geplant, drei thematische Schwer­punkte zu ent­falten: (inter-)natio­nale Soli­darität, Schutz der globalen Gemein­güter und nachhaltiges Wirtschaften. Soziale, ökologische und öko­nomische Aspekte der globalen Transforma­tion hin zu einer nach­haltigen Zukunft sollten damit gleicher­maßen adressiert werden. Nach Beginn des russischen An­griffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 dominierten allerdings andere Themen einen gro­ßen Teil des inter­nationalen Han­delns der Bundesregierung: Es ging darum, sich außen- und sicherheits­politisch mit ihren Partnern und Verbün­deten abzustim­men und zu koordinieren. Darunter litt auch das vorgesehene G7-Arbeits­programm.

Effektive Politikkoordinierung

Dessen ungeachtet hat die G7 ihre Fähigkeit zur effektiven Politikkoordinierung unter Krisenbedingungen bewiesen. In mehreren Sondersitzungen trafen sich die Regierungsspitzen, um gemeinsame Antworten auf die komplexen Herausforderungen zu fin­den, die aus den weltweiten Auswirkungen der russischen Aggression resultieren. De­mon­strativ lud die G7 – ebenso wie EU und Nato – den ukrainischen Präsidenten Selenskyj mehrfach dazu ein, virtuell an diesen Treffen teilzunehmen. Wenn der japanische Premier Kishida wie angekündigt im Februar Kyjiw besuchen sollte, wer­den Staats- und Regierungschefs aller G7-Mitglieder Selenskyj seit Beginn der Inva­sion auch persönlich getroffen haben.

Zusammen mit EU und Nato bildet die G7 so etwas wie eine »Unterstützungs-Troika« für die Ukraine, die nicht nur akute Hilfsleistungen konzipiert, sondern sich darüber hinaus vorausschauend für den Wiederaufbau des Landes engagiert. Im Vergleich zu EU und Nato fielen die Diffe­renzen über Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine und über die geopolitischen Konsequenzen des Konflikts in der G7 jedoch deutlich geringer aus. Vor allem Ungarn verzögerte in der EU mehrfach die Entscheidungsfindung über Sanktionsmaßnahmen, während die Türkei die Erwei­terung der Nato um Finnland und Schweden gleichzeitig bislang blockiert. Gemessen daran hat sich die G7 bei der re­aktiven Krisenkoordinierung wie auch der perspektivischen Krisenbewältigung als überdurchschnittlich effektiv erwiesen.

Die Koordination politischer Maßnahmen zur Krisenreaktion und ‑bewältigung ist zwar eine Aufgabe, die in die DNA in­for­meller Governance-Foren wie der G7 oder der G20 eingeschrieben sein sollte – schließ­lich ist die G7 als Reaktion auf die ökonomischen Verwerfungen entstanden, die der erste Ölpreisschock 1973 ausgelöst hatte und denen durch ein makroökonomisch ab­gestimmtes Vorgehen zwischen den damals wichtigsten Industrienationen begegnet werden sollte. Und 2008 wurde die G20 während der sich ausbreitenden globalen Finanz­krise auf die Ebene der Staats- und Regie­rungschefs gehoben, um die inter­nationale Reaktion auf den welt­weiten Wirtschaftseinbruch auf höchster Ebene zu managen.

Die Wirksamkeit der Krisenpolitik eines plurilateralen Government Clubs wie der G7 hängt indes stark vom Engagement der Mitgliedstaaten ab. Unter ihnen spielt die Regie­rung, die turnusgemäß an der Spitze der jeweiligen Formation steht, eine maß­gebliche Rolle, weil sie die Agenda setzen und den Club einberufen kann (convening power). Das erfordert allerdings die Bereit­schaft, die Initiative zu ergreifen: Im Jahr 2020 hatten die USA die G7-Präsidentschaft inne. Da die Trump-Administration aus programmatischen Grün­den (America first) internationaler Kooperation gegenüber äußerst skep­tisch eingestellt war, wurde die­ses Governance-Forum aber kaum genutzt. Ein öffent­lichkeitswirksames und reputa­tions­trächtiges Gipfeltreffen der Staats- und Regie­rungs­chefs kam nicht zustande. Dies hatte zur Folge, dass inmitten der Covid‑19-Pandemie ein ver­fügbares Instrument zur Ab­stimmung in der globa­len Krisenpolitik faktisch weit­gehend ignoriert wurde – im Gegensatz zu heute.

Effektiv, aber auch legitim?

Die politische Gleichgesinntheit der Staats- und Regierungschefs ist auch deshalb so wirkmächtig, weil die G7 nur schwach insti­tutionalisiert ist. Anders als EU und Nato ist die G7 keine Vertragsorganisation. Viel­mehr handelt es sich um einen infor­mellen Zusammenschluss demo­kratischer Regie­rungen, die entwickelte Industrie­natio­nen repräsentieren. Die G7 unterliegt somit keinen verbindlichen Regeln oder Ver­fah­ren, deren Verletzung formell geprüft und gege­benenfalls sank­tioniert werden könnte. Sie unterhält keine gesonderten administrativen Einrichtungen, stattdessen übernimmt der Regierungs­apparat der jeweiligen Prä­sidentschaft die Organisationsaufgaben. Das macht die G7 zu einem vergleichsweise agi­len und effek­tiven Forum für Global Gover­nance, sofern die Regierungen in ihren Ein­schätzungen übereinstimmen.

Die strategische Konvergenz, die in Hin­sicht auf den russischen Aggressionskrieg zwischen den G7-Regierungen besteht, erklärt denn auch die Effektivität, mit der die deutsche Präsidentschaft die Ukraine-Unterstützung koordiniert hat bzw. koordi­nieren konnte. Anfängliche Befürchtungen, dass der Regierungswechsel in Italien im Oktober 2022 den Zusammenhalt schwä­chen könnte, sind nicht eingetreten.

Die Kehrseite der Handlungswirksamkeit von exekutiver Gleichgesinntheit findet ihren Ausdruck in der Kritik an der Legiti­mität des Regierens durch Government Clubs. Diese Kritik macht auf den inhärenten Widerspruch zwischen Infor­malität einerseits und einem geordneten, repräsentativen Politikprozess andererseits aufmerksam. Legitime Herrschafts­ausübung bedarf der Kontrolle und Recht­fertigung. In einer Demokratie decken öffentliche Institutionen wie Parlamente und Justiz, aber auch private Einrichtungen wie Medien oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unter­schiedliche Aspekte dieser beiden Anfor­de­rungen ab. Ulti­mativ bewertet wird das poli­tische Handeln der Regierenden in Wahlen, in denen ihre Herrschaftsausübung bestä­tigt oder verworfen wird.

Das geringe Ausmaß an Institutionalisierung beeinträchtigt die Legitimität von Club Governance, wie sie durch die G7 erfolgt. Denn in Institutionen abgelagerte Legi­ti­mi­tät steht ihr nur mittelbar zur Ver­fügung. Im Unterschied zu EU und Nato hat sie keine eigene parlamentarische Komponente, sei es wie im Fall der Nato eine par­la­men­tarische Versammlung, die sich aus Dele­gierten der Mitgliedstaaten zusammensetzt, oder gar eine grundständige Völkervertretung wie das Europäische Parlament, das in allen Mitglied­staaten der Union direkt ge­wählt wird.

Demgegenüber spielt die Legislative in der G7 bislang eine eher begleitende Rolle. Dem Bundestag legt die Bundesregierung nach den Gipfeln einen kurzen Bericht vor und zu den »Heimgipfeln« werden Regie­rungs­erklärungen abgegeben. Zudem treffen sich traditionell Vertretungen der Parlaments­präsidien der Mitgliedstaaten reihum in der jeweils gastgebenden Nation. All dies findet jedoch nur geringen politi­schen und öffentlichen Widerhall. Das letztjährige Tref­fen der Parlamentspräsidien erzielte allerdings vergleichsweise viel Auf­merk­sam­keit, da der Sprecher der ukrainischen Rada eingeladen war, womit die G7-Parlamente ihre Unterstützung für das Aggressions­opfer ausgedrückt haben.

Als informelles Governance-Forum kann die G7 für ihr Regieren auf internationaler Ebene nur indirekt zur Rechenschaft gezo­gen werden, nämlich durch in den Natio­nal­staaten angestammte Institutionen wie Parlamente und Gerichte. Dieser Umstand wäre relativ unproblematisch, wenn die G7 keine rele­vanten Governance-Leistungen erbringen würde. Dass sie jedoch ein effek­ti­ves Forum internationalen Regierens sein kann, wird offensichtlich, wenn man sich die Bedeu­tung vergegenwärtigt, die ihr bei der Kon­zipierung poli­tischer Maßnahmen zur Unter­stützung der Ukraine zukommt. Die direkten und indirekten Aus­wirkungen von Handelssanktionen oder Wirtschaftsembargos auf die Mitgliedstaaten der G7 sowie darüber hinaus für die internatio­nale Staatengemeinschaft im Ganzen sind nicht unerheblich, wie etwa Energieverteuerungen oder die Inflationssteigerung zeigen.

Dimensionen von Legitimität

Aufgrund ihrer schwachen Institutionalisierung stellt sich für die G7 die Frage, wie sich ihr Regieren gegenüber staatlichen und nicht­staatlichen Akteuren verantworten lässt, somit in besonderer Weise. Rele­vante Dimensionen von Legitimität sind in diesem Zusammenhang vor allem die Mög­lichkei­ten der Teilhabe (auf nationaler, trans- und internationaler Ebene) sowie Trans­parenz und Rechenschaft. Die deut­sche Präsidentschaft hat sich für Verbesserungen in allen drei Bereichen eingesetzt.

Dialog mit nichtstaatlichen Akteuren

Neben dem policymaking auf Regierungsebene umfasst der G7-Prozess zahlreiche Seitenstränge, die verschiedene Interessengruppen zusammenbringen, die sogenannten Engagementgruppen. Diese reprä­sen­tieren zentrale Segmente der orga­nisier­ten Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft der Mitgliedstaaten. Während der deutschen Präsidentschaft gehörten dazu Busi­ness7, Civil7, Labour7, Science7, Think7, Women7 und Youth7. Ihr Mandat erstreckt sich darauf, die Positionen und Interessen der repräsentierten Gruppen in den zwi­schen­staatlichen Arbeitsprozess ein­zuspei­sen. So werden etwa Stellungnahmen und Beratungspapiere zu den inhaltlichen Schwerpunkten der jeweiligen Präsidentschaft erarbeitet, die diverse nationale, transnationale und thematische Perspektiven abbilden.

Die Wirksamkeit der Arbeit der Engagementgruppen wird davon beeinflusst, ob und in welchem Ausmaß die jeweilige G7-Präsident­schaft materielle und immaterielle Unter­stützungsleistungen zur Verfügung stellt. Geldmittel ermöglichen etwa eine bessere internationale Vernetzung, wäh­rend die Teilnahme hochrangiger Regierungs­mitglieder an Veranstaltungen der Engage­mentgruppen dazu beiträgt, dass diese für ihre Anliegen öffentliche Auf­merksamkeit erzielen. Beispielsweise waren 2022 bei der Spitzenveranstaltung von Science7 sowohl die indonesische als auch die ukrainische Akademie der Wis­senschaften vertreten. Da­mit wurde eine Brücke zur G20 geschlagen, deren Vorsitz Indonesien innehatte, und die Solidarität mit der Ukraine unter­strichen.

Die Aufmerksamkeit und Wertschätzung der Bundes­regierung für die Engagementgruppen zeigte sich darin, dass hoch­rangige Regierungsmitglieder am inhalt­lichen Aus­tausch teilgenommen haben. Ausdrücklich bedankte sich Bundeskanzler Scholz am Ende der G7-Präsident­schaft im Dezember 2022 für die geleistete Arbeit.

Mit Blick auf die Zukunft stellt sich die Frage nach weiteren Engagementgruppen, die von der G7 mandatiert werden könnten, sodass ihre Interessen Eingang in den Politik­prozess fänden. Mit Urban7, einem welt­weiten Zusammenschluss von Städten und Kommunen, steht ein Aspirant bereit. 2022 fand erstmals im Rahmen der G7 ein Spitzen­treffen der für nachhaltige Stadt­entwick­lung zuständigen Ministerien statt, um über Chancen und Herausforderungen der trans­formativen Entwicklung urbaner Räume zu beraten. Die japanische Präsidentschaft be­absichtigt, diesen Aus­tausch fortzusetzen.

Wie stark die G7-Präsi­dentschaft die Engagementgruppen unterstützt, variiert jedoch je nach G7-Vorsitzland. Aktuell be­klagen sich einige Gruppen darüber, dass die japanische Regierung deutlich weniger Unterstützung anbietet, als es 2022 der Fall war. Dies könnte Aus­wirkungen darauf haben, in welchem Umfang sich zum Bei­spiel die ukrainische Zivilgesellschaft im laufenden Jahr beteiligen kann; letztes Jahr konnte sie in viele Arbeitsprozesse einbe­zogen werden.

Austausch mit Gastländern

Der Dialog mit Drittstaaten kann dazu die­nen, die internationale Akzeptanz von Club Governance zu steigern. Daher lädt die G7 regelmäßig Gastländer zu ihren Gipfel­tref­fen ein. 2022 waren dies Argen­tinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika. Hoch­rangige Besuche während der Präsi­dent­schaft demonstrieren die Ver­bunden­heit zwischen der G7 und diesen ausgewählten Staaten. So reiste der Bundes­kanz­ler nach Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika und empfing den argenti­nischen Präsidenten in Berlin.

Der russische Angriff auf die Ukraine be­lastete indes auch den Austausch mit den Gastländern, die aus sehr unterschiedlichen Per­spektiven auf diesen Konflikt blicken. Argen­tinien steht der G7-Position dabei am näch­sten, wie bei denjenigen Abstimmungen über Resolutionen der Vereinten Natio­nen (VN) deut­lich wurde, die Russland ver­urteilen. Hin­gegen bilden Indien und Süd­afrika zusam­men mit Brasilien, China und Russland das informelle Governance-Forum BRICS, das sich als eine Art Gegengewicht aufstrebender Wirtschaftsmächte zu den etablierten Industriestaaten der G7 versteht. Indonesien als Gastgeber der G20, die Russ­land einschließt, stand vor der Herausforde­rung, diesen äußerst heterogenen Government Club zusammenzuhalten. Schließlich bezog Senegal als Vorsitz der Afri­kanischen Union eine neutrale Position.

Die Tagesordnung des G7-Gipfels im Juni auf Schloss Elmau berücksichtigte diese unter­schiedlichen Standpunkte insofern, als sie keinen direkten Austausch zwischen dem virtuell teilnehmenden ukrainischen Präsidenten Selens­kyj und den vor Ort an­wesenden Regierungsspitzen der Gast­länder vorsah. Dennoch hatte deren Ein­bin­dung in den G7-Prozess durchaus Wirkung, wie beim G20-Gipfel im November in Indone­sien sichtbar wurde: Der russische Präsident Putin reiste erst gar nicht zum Gipfel nach Bali an, Argen­tinien und Indien kritisierten Russland dort schär­fer als zuvor.

Transparenz und Rechenschaft

Seit 2010 publiziert die G7 alle drei Jahre einen umfassenden Bericht, aus dem her­vorgeht, inwieweit die selbst eingegangenen Verpflichtungen eingehalten werden. Der Bericht deckt alle Themen mit entwick­lungs­orientiertem Bezug ab; damit wird der Groß­teil der politischen Arbeit der G7 er­fasst. Bewer­tet wird der Stand der Um­set­zung von Maß­nahmen, die im Lauf der Zeit vereinbart worden sind. Es fällt in den Aufgabenbereich der jeweiligen G7-Präsi­dentschaft, diesen so­genannten Fort­schritts­bericht aus­zuarbeiten. Zuständig für das Vorhaben ist die Accountability Working Group (AWG), die bei ihrer Arbeit von inter­nationalen Organi­sationen, Forschungs­instituten und NGOs unterstützt wird.

Potentiell ist diese transparente Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit ein relevanter Beitrag, um die Legitimität der G7 zu vergrößern. Allerdings regt sich Kri­tik daran, dass es sich um ein self report­ing handelt, das die Regierungen selbst vornehmen. Auch wird die unzureichende Reflexion der G7 über die Ergebnisse der Selbstberichterstattung bemängelt und dar­auf hingewiesen, dass die Arbeit am jeweils aktuellen Fortschrittsbericht wich­tiger ge­nommen werde als die Ausein­ander­setzung mit den Befunden früherer Berichte. Zudem ist die Rückkopplung der Ergeb­nisse zwi­schen den Präsidentschaften nur schwach ausgeprägt, sodass Lerneffekte kaum zur Gel­tung kommen können.

Begegnen könnte die G7 dieser Kritik, indem sie Schatten­berichte mandatiert, die unabhängig erstellt werden und den Umset­zungsstand der Selbstverpflichtungen tiefer­gehend überprüfen. Diese Aufgabe könnten NGOs in den ein­zelnen Mitgliedstaaten über­nehmen, die sich auf transnationaler Ebene zu einer Koalition zusammenfinden. Par­allel dazu könnten inter­nationale Orga­nisa­tionen die sektoralen Verpflichtungen in den Blick nehmen. So würde die Perfor­manz der G7 gleichzeitig von subnationaler und supranationaler Ebene aus betrachtet.

Größere Transparenz verspricht auch eine Datenbank herzustellen, die im Rah­men der deutschen G7-Präsidentschaft ein­gerich­tet wurde. Sie bietet eine Plattform mit Doku­menten aus den G7- sowie den G20-Prozes­sen, die man nach Begriffen durch­suchen und anhand ver­schie­dener Krite­rien wie der politischen Ebene (Staats- und Regie­rungs­chefs, Minister­treffen usw.) oder der zu­stän­digen Präsidentschaft filtern kann. Visua­li­sierungsmöglichkeiten stehen ebenfalls zur Verfügung.

Eine sinnvolle Ergänzung dazu wäre eine Datenbank, in der die Selbstverpflichtungen der G7-Mitglieder aufgeführt und Informationen über den jeweiligen Umsetzungsstand erhältlich sind. Idealerweise sollte sie von einer unabhängigen Institution – oder einem transnationalen Zusammenschluss solcher Einrichtungen – betrieben werden. Das wäre nicht zuletzt eine wichtige Hilfe für die nationalen Par­lamente, die sich auf diese Weise unabhängig von Regierungs­berichten schnell orientieren könnten über Fortschritte (und Hürden) auf dem Weg zu einer gerechteren Welt.

Gemischtes Fazit

Am Ende muss das Fazit der deutschen G7-Präsidentschaft gemischt ausfallen. Positiv zu vermerken sind hier zwei Dinge: Un­geachtet dessen, dass die G7 stark von den Anforderungen des Krisenmanage­ments beansprucht war, kann sie erstens klare Fortschritte hinsichtlich der Legi­timität ihres Regierens verzeichnen, gemessen an den Kriterien Partizipation, Transparenz und Rechenschaft. Diese Fort­schritte gilt es nun, auch unter nach­folgenden Präsidentschaften zu sichern. Zweitens hat sich die Wirksamkeit der G7 in der Krise gezeigt, gemessen an der ver­gleichsweise effektiven Koordinierung der Unterstützung für die Ukraine.

Parallel dazu verschlechtern sich indes die globalen Rahmenbedingungen für pro­gressive Transformationspolitik, das eigent­liche Ziel der Präsidentschaftsagenda. Zum einen bindet der Krieg Zeit, Aufmerksamkeit und materielle Ressourcen insbesondere der die Ukraine unterstützenden Staaten. Zum anderen verschärft sich als Folge der russischen Militärintervention die ökonomi­sche Instabilität ebenso wie die Versorgungs- und Ernährungsunsicherheit be­trächt­lich, gerade in ohnehin benachteiligten Weltregionen.

Unter diesen Vorzeichen ist es vielleicht nicht überraschend, aber dennoch ernüch­ternd, dass die internationale Staaten­gemein­schaft sich nicht auf eine umfassende Sank­tio­nierung des Aggressors verständigen konnte. Zwar haben sich Befürch­tungen nicht bestätigt, dass sich etwa die G20 im Streit über die Iso­lierung Russlands beim Gip­feltreffen auf Bali spalten könnte. Und den Verstoß gegen Grundsätze der VN-Charta – wie die Erhaltung der territorialen Integrität und politischen Selbstbestim­mung der Ukraine –, den der völkerrechts­widrige Angriffskrieg darstellt, hat die große Mehrheit der VN-Mitglieder mehrfach auf das Schärfste missbilligt. Konkrete Maß­nahmen gegen Russland ergreift jedoch nur etwa ein Viertel von ihnen. Wich­tige Part­ner Russlands, aber auch der G7, wie China, Brasilien, Indien und Süd­afrika, nehmen eine neutrale Position ein oder sym­pa­thisie­ren gar mit der russischen Sicht­weise. Ge­mein­same Anstrengungen zu unternehmen, um die Herausforderungen der globalen Trans­formation zu bewältigen, wird schwie­riger.

Dr. Lars Brozus ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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