Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien.
Der Autor dankt Simona Beckemeier für ihre Unterstützung bei der Literaturrecherche sowie der Umsetzung der Datenanalyse mit MAXQDA.
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Deutschlands bilaterale Partnerschaften im Indo-Pazifik zu diversifizieren ist eines der zentralen Ziele deutscher Politik. Diese Diversifizierung soll zum einen die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren, zum anderen – im Kontext systemischer Rivalität mit autoritären Staaten – eine Kooperation mit solchen Staaten herbeiführen, mit denen Deutschland gemeinsame Werte teilt: mit sogenannten Wertepartnern.
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Dabei wird jedoch nicht klar benannt, welche Werte grundlegend für Wertepartnerschaften sind. Auch bleibt unklar, welche Staaten im Indo-Pazifik zur Gruppe der Wertepartner gezählt werden und wie die Wertepartnerschaften sich von »normalen« bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten in der Region unterscheiden.
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Die Studie zeigt vielmehr, dass die Bedeutsamkeit, die der Kooperation mit Wertepartnern rhetorisch beigemessen wird, im Widerspruch steht zu dem vagen Konzept »Wertepartnerschaft« und seiner geringen Aussagekraft für die Grundlagen bilateraler Kooperation.
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Der Vergleich von Wertepartnern mit einer Kontrollgruppe von Nicht-Wertepartnern für unterschiedliche Politikbereiche ergibt einen gemischten Befund. Die angenommene Korrelation zwischen einer Zuschreibung als Wertepartner und engerer internationaler Kooperation auf der Basis gemeinsamer Normen und Werte ist empirisch kaum darstellbar.
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Es empfiehlt sich eine umfassende Revision des bislang diffusen Konzepts der Wertepartnerschaften – entweder durch eine normative Schärfung, verbunden mit einer Einengung des Kreises der als Wertepartner bezeichneten Staaten, oder durch Tilgung des Begriffs aus dem politischen Vokabular.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Empfehlungen
2 Partnersuche im Indo-Pazifik: Diversifizierung statt Konzentration auf China
3 Wertepartnerschaften als eine Form von Sonderbeziehungen in der internationalen Politik
4 Werte und Wertepartner im Indo-Pazifik
4.3 Internationale Kooperation und Wertepartner im Indo-Pazifik
4.3.1 Regelbasierte internationale Ordnung
4.3.2 Freier Handel, offene Volkswirtschaften
4.3.4 Rechtsstaatlichkeit und Rechtsstaatsförderung
4.3.5 Internationale Menschenrechtsnormen
Problemstellung und Empfehlungen
Der Indo-Pazifik zwischen der Ostküste Afrikas und der amerikanischen Pazifikküste ist die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt und zudem zentraler Austragungsraum der sino-amerikanischen Großmächterivalität. Eine Destabilisierung selbst von Teilen der Region infolge einer weiteren Verschlechterung der sino-amerikanischen Beziehungen hätte massive negative Auswirkungen auf die vor allem wirtschaftlichen Interessen Deutschlands im Indo-Pazifik. Denn über Jahrzehnte hat Deutschland hauptsächlich auf einen regionalen Partner gesetzt: die Volksrepublik China. Die entsprechend über Jahrzehnte aufgebaute Abhängigkeit von der VR China soll nun durch eine gezielte Politik der Diversifizierung der Partnerschaften reduziert werden. Dies soll jedoch nicht nur die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China verringern. Vielmehr wird die Debatte um eine Diversifizierung der regionalen Partner eingebettet in einen breiteren internationalen Kontext, in dem man Deutschland in einem globalen Systemwettbewerb mit autoritär verfassten Staaten sieht, allen voran mit China. Deutschland ist daher seit einiger Zeit verstärkt auf Partnersuche im Indo-Pazifik.
In diesem Zusammenhang kommt den sogenannten Wertepartnerschaften besondere Bedeutung zu – also Partnern, die als gleichgesinnt wahrgenommen werden und mit denen Deutschland, im Kontext eines systemischen Wettbewerbs zwischen liberalen Demokratien und autoritär verfassten, illiberalen Staaten, gemeinsame Werte teilt. Über derartige Allgemeinplätze hinaus bleibt das Konzept der Wertepartner(schaft) indes weitgehend nebulös. Weder benennen Entscheidungsträgerinnen und ‑träger klar, welche Werte konstitutiv für Wertepartnerschaften sind, noch welche Staaten der Region zur Gruppe der Wertepartner gezählt werden und wie die Wertepartnerschaften sich von »normalen« bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten in der Region unterscheiden. Hier setzt die vorliegende Studie an.
Die Analyse macht deutlich, dass die Bedeutsamkeit, die der Kooperation mit sogenannten Wertepartnern rhetorisch zugestanden wird, nicht nur im Widerspruch zu dem vagen Konzept von Wertepartnerschaften steht, sondern auch zu seiner äußerst geringen Bedeutung in der politischen Praxis. Erkennbar ist dies erstens daran, dass der Begriff »Wertepartner« auf eine durchaus heterogene Gruppe von Staaten angewendet wird, deren Mitglieder sehr unterschiedliche Qualitäten in puncto demokratischer Regierungsführung aufweisen. Zweitens zeigt die Analyse der im Zusammenhang mit Wertepartnerschaften verwendeten Attribute, dass diese mehrheitlich gar nicht so sehr auf normative Governance-Aspekte fokussieren, sondern vielmehr auf das erwartbare internationale Verhalten der Wertepartner – beispielsweise hinsichtlich des Erhalts der regelbasierten internationalen Ordnung. Ein drittes Ergebnis der Untersuchung ist, dass kein beobachtbarer Zusammenhang besteht zwischen der Zuschreibung als Wertepartner und der internationalen Kooperation mit einem so charakterisierten Staat auf der Grundlage geteilter Normen und Werte. Ganz im Gegenteil: Der Vergleich von Wertepartnern mit einer Kontrollgruppe von Nicht-Wertepartnern für unterschiedliche Politikbereiche (u. a. internationale Menschenrechtspolitik oder Schutz der Rechtsstaatlichkeit) ergibt derart gemischte Befunde, dass die angenommene Korrelation zwischen einer Zuschreibung als Wertepartner und engerer internationaler Kooperation auf der Basis gemeinsamer Normen und Werte empirisch kaum darstellbar ist.
In Anbetracht dieser Befunde empfiehlt sich eine umfassende Revision des bislang diffusen Konzepts der Wertepartnerschaften. Mindestens zwei Vorgehensweisen sind hier denkbar: Zum einen wäre eine Nachschärfung des Konzepts im Sinne eines engen, auf liberalen Werten fußenden Normengerüsts möglich. In deren Folge würden einige der derzeitigen Wertepartner nicht mehr als solche bezeichnet. Der Kreis der Wertepartner im Indo-Pazifik würde somit auf einige wenige Staaten begrenzt, mit denen eine weitgehende Normenkonvergenz besteht und mit denen internationale Kooperation in den jeweiligen Politikfeldern eng abgestimmt werden könnte. Die andere Option wäre, den vagen, inkohärenten Begriff »Wertepartnerschaft« stillschweigend aus dem politischen Vokabular zu tilgen. Statt durch dieses Label eine allgemeine Sonderbeziehung zu bestimmten Staaten zu signalisieren, würden dann bei der Partnersuche im Indo-Pazifik spezifische gemeinsame Interessen in den Mittelpunkt gerückt. Dies würde der bislang zu beobachtenden Praxis deutscher Außenpolitik in der Region mehr entsprechen.
Partnersuche im Indo-Pazifik: Diversifizierung statt Konzentration auf China
Der Indo-Pazifik ist wegen seiner starken wirtschaftlichen Dynamiken von steigender geoökonomischer Bedeutung für Deutschland. Im indopazifischen Raum liegen nicht nur wichtige Handels- und Investitionspartner Deutschlands wie China, Japan, Südkorea, Indien oder die südostasiatische Staatengemeinschaft Association of Southeast Asian Nations (ASEAN),1 sondern er beherbergt zudem einige der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Der Indo-Pazifik ist allerdings weit mehr als ein geographischer oder wirtschaftlicher Raum. Er ist auch eine ordnungspolitische Antwort auf den Aufstieg Chinas und die damit zusammenhängenden Machtansprüche Pekings in der Region. Denn Pekings Machtansprüche werden mittlerweile nicht mehr nur von den USA, sondern auch von immer mehr Anrainerstaaten als strategische Herausforderung angesehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass genau in dieser Region die amerikanisch-chinesische Rivalität primär ausgetragen wird, deren Verlauf wiederum die Entwicklung der regionalen wie internationalen Ordnung maßgeblich beeinflussen wird, ist »Indo-Pazifik« ebenso ein dezidiert geopolitischer Begriff.2
Diesen Entwicklungen hat die Bundesregierung 2020 unter Kanzlerin Angela Merkel mit ihren Leitlinien zum Indo-Pazifik versucht, Rechnung zu tragen. In den Leitlinien hat die damalige Bundesregierung nicht nur die Interessen Deutschlands im Indo-Pazifik definiert, sondern auch eine Reihe außenpolitischer Ziele dargelegt. Eine der zentralen Zielsetzungen – auch der aktuellen Bundesregierung – besteht darin, die in erster Linie wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China zu verringern, einem China, das unter der Führung Xi Jinpings in Berlin längst nicht mehr nur als Wirtschaftspartner betrachtet wird, sondern gleichermaßen als Konkurrent und systemischer Rivale. Die Reduzierung der Abhängigkeit von China, in Berlin oft »De-risking« genannt, soll vornehmlich durch eine Diversifizierung der Beziehungen Berlins erreicht werden, das heißt durch eine Hinwendung zu anderen Partnern in der Region.3
Jahrzehntelang konzentrierte sich deutsche Asienpolitik auf die bilaterale Kooperation mit der VR China. Andere Staaten Asiens, selbst regionale Schwergewichte wie Japan oder Indien, spielten über Jahrzehnte weder in den strategischen Debatten noch im beobachtbaren außen- und sicherheitspolitischen Agieren Deutschlands eine nennenswerte Rolle. Ebenso wenig bei Handel und Investitionen.
Die Diversifizierung erfolgt aus Sicht Berlins jedoch nicht allein aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Vielmehr wird die Debatte um eine Diversifizierung der regionalen Partner in einen breiteren internationalen Kontext eingebettet, in dem man Deutschland in einem globalen Systemwettbewerb sieht.4 In diesem stehen autoritär verfasste Staaten, allen voran China und Russland, liberalen Demokratien wie Deutschland gegenüber und setzen, so die dominierende Sichtweise in Berlin, nicht nur die regelbasierte Ordnung, das Völkerrecht und die universellen Menschenrechte unter Druck, sondern versuchen darüber hinaus durch hybride Bedrohungen, Desinformation und Manipulation liberale Gesellschaften zu schwächen.
Im Prozess der Diversifizierung erfahren jene Partner besondere Aufmerksamkeit, mit denen Deutschland gemeinsame Werte teilt.
Daher geht es mit Blick auf die Diversifizierung der Partner Deutschlands im Indo-Pazifik immer auch um die »Stärkung der politischen Dimension der Beziehungen«, weswegen »dem Schulterschluss mit den Demokratien und Wertepartnern der Region besondere Bedeutung« zukommt.5 Im Prozess der Diversifizierung gilt somit jenen Partnern besonderes Augenmerk, die als »gleichgesinnt«6 wahrgenommen werden und mit denen Deutschland gemeinsame Werte teilt.
So sieht es auch die amtierende Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag von einer »wertebasierten«7 Aufstellung der deutschen Außenpolitik spricht und auf eine Intensivierung der Beziehungen zu Wertepartnern in der Region Indo-Pazifik abzielt.8 Erste Anzeichen hierfür gibt es bereits, zum Beispiel in der Sicherheitspolitik: Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland nahmen 2022 zum ersten Mal als Gäste an einem Nato-Gipfel teil. Und Staaten aus Europa, unter anderem Deutschland mit der Entsendung der Fregatte »Bayern«, engagieren sich wiederum verstärkt sicherheitspolitisch im Indo-Pazifik.
Dahinter steht offensichtlich die Annahme, dass die sogenannten Wertepartner aufgrund einer Wertekongruenz enge und verlässliche Partner für die deutsche Außenpolitik im Indo-Pazifik darstellen. Jedoch fällt auf, dass in der Debatte um die Diversifizierung von offizieller Seite weder klar benannt wird, welche Gruppe von Staaten im indopazifischen Raum zur Kategorie »Wertepartner« gehört, noch eindeutig definiert wird, welche Werte genau konstitutiv für Wertepartnerschaften sind. Nicht zuletzt dieser Umstand öffnet Kritikern einer stärker wertebasierten deutschen Außenpolitik eine Angriffsfläche.9
Auch die politikwissenschaftliche Forschung zu Sonderbeziehungen, die sich mit »strategischen Partnerschaften«, »Wertepartnerschaften« und verwandten Formen bilateraler Beziehungen auseinandersetzt, liefert mit Blick auf Asien bzw. den Indo-Pazifik kaum Ergebnisse. Im Fokus dieser Forschungsarbeiten standen lange Zeit die Beziehungen Deutschlands zu anderen europäischen Staaten wie Frankreich oder Polen, die Beziehungen zu Israel oder aber die transatlantischen Beziehungen. Etwaige Sonderbeziehungen Deutschlands mit Partnern in Asien bzw. dem Indo-Pazifik sind hingegen, mit Ausnahme der deutsch-chinesischen strategischen Partnerschaft,10 bislang kaum erforscht. Generell bleibt so die Debatte um Wertepartner im Indo-Pazifik nebulös und schwer fassbar.
Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie geht drei eng miteinander verbundenen Forschungsfragen nach. Erstens: Welche Staaten werden von deutscher Seite als Wertepartner bezeichnet bzw. welche bilateralen Beziehungen zu Staaten in der Region werden als Wertepartnerschaften verstanden? Zweitens: Welche Normen und Werte sind für die Wertepartnerschaften im Indo-Pazifik zentral? Und drittens: Wie unterscheiden sich (konzeptionell und in der Praxis) die sogenannten Wertepartnerschaften von »normalen« bilateralen Beziehungen zu Staaten der Region? Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre von 2020, dem Jahr, in dem der Begriff »Indo-Pazifik« Einzug hielt in den offiziellen Sprachgebrauch (bis dato wurde von »Asien-Pazifik« gesprochen), bis 2022.
Obwohl der Begriff »Wertepartnerschaften« mit Bezug auf den Indo-Pazifik erst seit einigen Jahren Verwendung findet, wird in der Studie davon ausgegangen, dass die Wertepartnerschaften an sich auf einer angenommenen Wertekonvergenz beruhen, die bereits in der Vergangenheit Bestand hatte und gewissermaßen das historische Fundament bildet, auf dem nunmehr die Klassifizierung als Wertepartner erfolgt. (Andernfalls würde die Zuschreibung mit primär transformatorischen Annahmen verbunden; das heißt, es würde davon ausgegangen, dass die Charakterisierung als Wertepartner in der Zukunft zu liberaler Transformation beim Wertepartner führte und darüber letztlich mittel- oder langfristig eine Wertekonvergenz bewirkt würde.)
Da es sich bei dem Begriff »Wertepartner« bzw. »Wertepartnerschaft« in erster Linie um eine politische Zuschreibung handelt, vorgenommen von politischen Entscheidungsträgern und ‑trägerinnen, und weniger um ein feststehendes Konzept oder um eine analytische Kategorie, geht diese Studie induktiv vor. In einem ersten Analyseschritt sollen die Wertepartner im Indo-Pazifik identifiziert werden. Dies geschieht mit Hilfe eines umfangreichen Dokumentenkorpus aus Strategiepapieren und anderen offiziellen Dokumenten, aus Transkriptionen von Parlamentsdebatten und Pressekonferenzen sowie Medieninterviews. Im zweiten Schritt werden die im Zusammenhang mit den Wertepartnern bzw. Wertepartnerschaften im Indo-Pazifik am häufigsten aufgeführten Normen und Werte ermittelt, und zwar durch eine qualitative Inhaltsanalyse des Dokumentenkorpus. Weil die Werte und Normen fast nie erschöpfend aufgelistet werden, sollen aus der Salienz bestimmter Attribute wesentliche Rückschlüsse auf das normative Fundament von Wertepartnerschaften gezogen werden. Je häufiger also Attribute wie »Demokratie / demokratisch« oder »Rechtsstaat / Rechtsstaatlichkeit« im politischen Diskurs Erwähnung finden, desto wichtiger erscheint, ob der höheren Salienz, diese Attribution als Teil der normativen Basis der Wertepartnerschaften.
Im dritten Schritt schließlich werden auf Grundlage der identifizierten Attribute von Wertepartnerschaften Politikbereiche ausgemacht, die als bedeutsam für die internationale Kooperation mit Wertepartnern gelten können. Für diese Politikfelder wird anhand eines Vergleichs zwischen acht der genannten Wertepartner und einer gleich großen Kontrollgruppe von Nicht-Wertepartnern11 untersucht, ob sich die angenommene Wertekongruenz darstellen lässt und ob sich hinsichtlich dieser angenommenen Wertekongruenz Unterschiede in der Kooperation Deutschlands mit Wertepartnern und Nicht-Wertepartnern nachzeichnen lassen.
Wertepartnerschaften als eine Form von Sonderbeziehungen in der internationalen Politik
Der Begriff »Sonderbeziehung« (special relationship) wird auf diplomatischer Ebene seit Jahrzehnten häufig gebraucht, um bilaterale Beziehungen in der internationalen Politik zu charakterisieren. Er geht zurück auf Winston Churchill, der die intensiven Beziehungen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich 1946 als »special relationship« bezeichnete und dies mit ihren engen historischen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und insbesondere militärischen Verbindungen begründete.12 Seitdem haben politische Entscheidungsträger und ‑trägerinnen ebenso wie Personen aus der Wissenschaft den Begriff verwendet, um eine Vielzahl bilateraler Beziehungen zu beschreiben oder zu analysieren. Neben den Beziehungen zwischen Washington und London wurden unter anderem auch die französisch-deutschen, israelisch-deutschen, polnisch-deutschen sowie die amerikanisch-australischen als Sonderbeziehungen gekennzeichnet. Die Popularität dieses Konzepts steht jedoch zumindest teilweise im Widerspruch zu seiner mangelnden analytischen und definitorischen Klarheit. Zwar ist gemeinhin festzustellen, dass Sonderbeziehungen
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(fast) immer bilaterale Beziehungen zwischen Staaten bzw. staatlichen Entitäten umfassen,
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einen partikularistischen und exklusiven Charakter besitzen, womit sie die formelle, qua Völkerrecht kodifizierte Gleichheit aller Staaten aufheben,
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fast durchweg als positives Attribut verstanden werden sowie
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oftmals als dauerhafter, stabiler Gegenpol zu temporären Ad-hoc-Partnerschaften gedeutet werden, und zwar sowohl von den Partnern selbst als auch von Dritten.13
Zudem wird argumentiert, dass Sonderbeziehungen sich von »normalen« bilateralen Beziehungen dadurch unterscheiden, dass Erstere nicht allein auf geteilten politischen und wirtschaftlichen, materiellen Interessen basieren. Sie fußten zusätzlich auf einer gemeinsamen Wertebasis.14 Weithin vorherrschend ist hierbei die Annahme, der Regimetypus (Demokratie) sei konstitutiv für die Formierung und den Fortbestand einer Sonderbeziehung. Aber auch diese Argumentation wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert: Denn eine reine, völlig utilitaristische Interessenpolitik kommt in der Realität selten vor. Und die Bedeutung demokratischer Governance für die Entstehung von Sonderbeziehungen ist durch vergleichende Forschungsarbeiten in Frage gestellt worden, die belegen, dass sowohl demokratische als auch autoritäre Staaten Sonderbeziehungen eingehen: »[…] die Etablierung und der Fortbestand von Sonderbeziehungen zwischen Staaten [kann] nicht eindeutig auf die Komplementarität des Regimetypus zurückgeführt werden«.15
Vielmehr legen systematisch erhobene Befunde nahe, dass eine Kombination von »materiellen Zielsetzungen« und »ideellen Überzeugungen« Regierungen dazu veranlasst, Sonderbeziehungen anzustreben oder zu erhalten. Ungeklärt ist in der Forschung allerdings weiterhin,
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welche Rolle der Regimetyp bei der Formierung von Sonderbeziehungen spielt,
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in welchem Verhältnis materielle Zielsetzungen und ideelle Überzeugungen zueinander stehen,
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welche Bedeutung die Anerkennung einer bilateralen Beziehung als »Sonderbeziehung« durch Drittstaaten hat und
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welche Faktoren einen Wandel (bzw. gar eine Terminierung) von Sonderbeziehungen erklären können.16
Daher kommen selbst einschlägige Fachpublikationen zu dem Schluss, dass das Konzept »Sonderbeziehungen« bislang in den internationalen Beziehungen in definitorischer Hinsicht sehr vage bleibt und sein analytischer Nutzen in vielerlei Hinsicht als fragwürdig einzuschätzen ist. Wenn der Begriff als analytische Kategorie verwendet wird, dann werden Deutungsmuster und Definitionen zumeist direkt aus den Darstellungen politischer Akteure übernommen.17 Mehr noch, der Begriff wird mittlerweile für die Beschreibung einer Vielzahl sehr unterschiedlicher bilateraler Beziehungen gebraucht – von den britisch-amerikanischen18 über die deutsch-chinesischen19 bis hin zu den chinesisch-äthiopischen.20
»Wertepartnerschaften« sind vor allem eine Kategorie der politischen Praxis und weniger eine analytische Kategorie.
Hinzu kommt, dass unter dem Oberbegriff »Sonderbeziehungen« Begriffe wie »strategische Partnerschaft«21 und »Wertepartnerschaft« subsumiert werden und somit als Teil einer (wachsenden) Familie an Sonderbeziehungen in der internationalen Politik verortbar sind. »Strategische Partnerschaften« und »Wertepartnerschaften« werden in der politischen Praxis zudem mit sehr ähnlichen Attributen versehen und die beiden Begriffe teils sogar synonym verwendet. Im Gegensatz zur konzeptionellen Vagheit wird in der außenpolitischen Praxis von »Sonderbeziehungen«, »strategischen Partnerschaften« und »Wertepartnerschaften« in einer Art und Weise gesprochen, die zumindest suggeriert, es handele sich hierbei um feststehende, klar definierte Begriffe.
Wenn man aber alle möglichen bilateralen Beziehungen allein durch den Umstand, dass sie von offizieller Seite als Sonderbeziehung tituliert werden, gleichsam auch analytisch als solche betrachtet, stellt dies den Nutzen einer derartig weiten und offenen analytischen Kategorie in Frage: »If special relationships are everywhere, then they are nowhere.«22 Einige Beobachter stellen den Begriff »Sonderbeziehungen« deshalb generell als »Mythos« dar.23
All dies macht eine deduktive Annäherung an das Thema Wertepartnerschaften schwierig. Trotzdem ist der Begriff derzeit aus der politischen Praxis nicht wegzudenken, so dass eine Nichtbeschäftigung allein aufgrund konzeptioneller Unklarheiten keine Alternative ist. »Sonderbeziehungen«, inklusive »Wertepartnerschaften«, so die Grundannahme dieser Untersuchung, sind in erster Linie eine Kategorie der politischen Praxis und weniger eine analytische Kategorie.
Werte und Wertepartner im Indo-Pazifik
Wertepartner
In den 2020 veröffentlichten Leitlinien für den Indo-Pazifik werden explizit Singapur, Australien, Japan und Südkorea als Wertepartner Deutschlands aufgeführt. Im Koalitionsvertrag von 2021 werden Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea als Wertepartner genannt.24 Deutsche Regierungsvertreter und ‑vertreterinnen haben zudem in den letzten Jahren auch die Mongolei,25 Indien,26 Taiwan27 und Indonesien28 öffentlich als Wertepartner bezeichnet. Der Begriff wird dabei vom Kanzleramt über unterschiedliche Ministerien bis hin zum Bundestag verwendet. Daraus ergibt sich eine Liste von neun Akteuren in der Region, die deutsche Offizielle seit Einzug des Begriffs »Indo-Pazifik« als Wertepartner klassifiziert haben: Australien, Indien, Indonesien, Japan, die Mongolei, Neuseeland, Singapur, Südkorea und Taiwan. Die kumulative Auflistung ist hier nötig gewesen, da es in offiziellen Strategiepapieren wie den Indo-Pazifik-Leitlinien keine erschöpfende Aufzählung der regionalen Wertepartner gibt.
Während dem Dreiklang aus »Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten«29 als normativer Grundlage einer »wertebasierten«30 Außenpolitik offenbar große Bedeutung beigemessen wird, sprechen die Indo-Pazifik-Leitlinien explizit von »Demokratien und Wertepartnern«.31 Daraus lässt sich im Gegenzug zunächst ableiten, dass Wertepartner nicht zwangsläufig immer Demokratien sein müssen. Allerdings werden alle neun als Wertepartner im Indo-Pazifik klassifizierten Staaten in den gängigen Indizes auch als Demokratien eingestuft (siehe Seite 18ff). Ebenso gelten alle neun als relativ liberale Volkswirtschaften. In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sich die genannten Staaten in einem äußerst weiten Spektrum bewegen, was die Qualität demokratischer Regierungsführung sowie Marktliberalismus angeht. Daraus wiederum kann man schließen, dass die Zuschreibung als Wertepartner einigermaßen statisch erfolgt. Mit Blick auf den offiziellen Diskurs ist nämlich nicht ersichtlich, dass etwa innenpolitische Veränderungen wie demokratische Regression oder die systematische Verletzung von Menschen- oder Bürgerrechten notwendigerweise eine Veränderung des Status als Wertepartner nach sich ziehen. Die Bandbreite der »Qualität« demokratischer Regime, die offiziell als Wertepartner fungieren, stützt diese Annahme.
Nichtsdestotrotz lässt die aktuelle Auswahl der Wertepartner die Schlussfolgerung zu, dass die implizierten fundamentalen Werte und Normen zunächst dezidiert demokratischer wie liberaler Natur sind. Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung bekräftigen diese Folgerung: Beispielsweise ist Indien, als Wertepartner Deutschlands, »aufstrebende Wirtschaftsmacht und gefestigte Demokratie«.32 Und die Partnerschaft mit Japan »trägt gerade in schwierigen Zeiten, weil sie auf gemeinsamen Werten beruht«. Dazu gehört vor allem das gemeinsame Eintreten Deutschlands und Japans »für Freiheit, Offenheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie«. »Offenheit« wird in diesem Kontext überwiegend als »offene Volkswirtschaften« verstanden.33
Zugrunde liegende Werte
Die systematische Analyse des Inhalts offizieller Dokumente im Hinblick auf die zentralen Attribute, die zur Beschreibung von Wertepartnerschaften benutzt werden, stützt die zuvor angesprochenen anekdotischen Beobachtungen indes nur teilweise. Denn es fällt auf, dass die am häufigsten vorgenommene Attribution eines gemeinsamen bzw. geteilten Wertes im Zusammenhang mit einer Wertepartnerschaft das gemeinsame bzw. geteilte Streben für den Erhalt oder die Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung ist. In fast 80 Prozent der insgesamt 38 analysierten Dokumente wird im Zusammenhang mit Wertepartnerschaften im Indo-Pazifik das Attribut »Erhalt« bzw. »Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung« verwendet (siehe Tabelle 1, Seite 13). Zum Beispiel verwies Bundeskanzler Scholz darauf bei einer Pressekonferenz in Tokio: »Deutschland und Japan stehen Seite an Seite bei der Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung, bei der Aufrechterhaltung der Grundprinzipien der UN-Charta und in unserem Einsatz für die universellen Menschenrechte.«34
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Diese Attribution wird in einigen Fällen zusätzlich mit dem Adjektiv »liberal« versehen, das heißt, es ist von der »liberalen regelbasierten internationalen Ordnung« die Rede – jedoch nicht immer. Daher bleibt unklar, was genau als normatives Fundament der erwähnten regelbasierten internationalen Ordnung angesehen wird: das Völkerrecht, basierend auf der souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN), oder liberalere Interpretationen einer regelbasierten Ordnung, die den Schutz individueller Freiheits- und Menschenrechte stärker betonen. Offizielle Strategiepapiere wie die Nationale Sicherheitsstrategie bieten ebenfalls keine Klärung, da hier die internationale Ordnung gleichsam als auf zweierlei Grundlagen fußend dargestellt wird: zum einen auf dem »Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen«,35 zum anderen auf »freien Entfaltungsmöglichkeiten für alle Menschen, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschrieben«.36 In jedem Fall aber macht die Inhaltsanalyse deutlich, dass zumindest in puncto Salienz Attribute wie »Demokratie / Regierungsform«, »Rechtsstaatlichkeit« oder »Menschenrechte« viel weniger häufig Verwendung finden als etwa der »Erhalt« bzw. die »Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung«.
Am zweithäufigsten, in über 50 Prozent der untersuchten Dokumente, werden »regionale Sicherheit« bzw. »regionale Stabilität im Indo-Pazifik« attribuiert. Beispielsweise nennen die Indo-Pazifik-Leitlinien »die cybersicherheitspolitische Zusammenarbeit und den Dialog mit Wertepartnern der Region (u. a. Singapur, Australien, Japan, Südkorea)«, die unter anderem zum Ziel haben, »den Schutz der eigenen Informations- und Kommunikationssysteme, die kollektive Verteidigungsfähigkeit und Resilienz gegenüber wachsenden Bedrohungen im Cyber- und Informationsraum zu stärken«.37
Am dritthäufigsten ist das Attribut »offene Märkte« bzw. »freie Marktwirtschaft« anzutreffen. Zum Beispiel bezeichnete die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Entsendung der Fregatte »Bayern« in den Indo-Pazifik als »ein klares Zeichen für freie Handelswege« – ein Symbol, »das insbesondere von unseren Partnern im Indo-Pazifik, die die gleichen Werte teilen wie wir, sehr wohl wahrgenommen wird«.38 Dieses Attribut wird oft verknüpft mit der Darstellung Deutschlands als »Handelsnation«. So heißt es in den Indo-Pazifik-Leitlinien: »Als global agierende Handelsnation und Verfechter einer regelbasierten internationalen Ordnung hat Deutschland – eingebettet in die Europäische Union – ein hohes Interesse, an den Wachstumsdynamiken Asiens zu partizipieren und an der Gestaltung des Indo-Pazifiks sowie der Umsetzung globaler Normen in regionalen Strukturen mitzuwirken.«39
Erst an vierter Stelle kommt das Attribut »Demokratie« ins Spiel. »Menschenrechte« und »Rechtsstaatlichkeit« werden noch deutlich seltener ins Feld geführt: Sie werden in weniger als 20 Prozent der untersuchten Dokumente thematisiert und bilden damit das Schlusslicht.
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Analysiert man Mehrfachnennungen von Attributen im Zusammenhang mit Wertepartnern bzw. Wertepartnerschaften im Indo-Pazifik, zeigt sich, dass »internationale Ordnung« und »Sicherheit« am häufigsten miteinander kombiniert werden. Am zweithäufigsten ist die Kombination »internationale Ordnung« und »Wirtschaft«, gleichauf mit »internationale Ordnung« und »Demokratie« (siehe Tabelle 2, Seite 14). Zentrale Attribute, allein oder in Kombination, die im deutschen Diskurs zum Indo-Pazifik den Wertepartnern sowie der Kooperation mit diesen zugeschrieben werden, sind somit nur bedingt deckungsgleich mit dem erwartbaren Dreiklang aus Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Statt dass sie auf normative Governance-Aspekte abheben, handelt es sich oft um Attribute, die auf das zu erwartende internationale Verhalten dieser Partner verweisen – beispielsweise hinsichtlich des Erhalts der regelbasierten internationalen Ordnung.
Des Weiteren wird offenbar, dass im Verständnis der Mehrheit der untersuchten deutschen außenpolitischen Akteure diese Motive und Ziele auf allgemeiner Ebene vor allem defensiver Natur sind. Es geht um die Abwehr von Bedrohungen und Herausforderungen, den Schutz im Verbund mit Wertepartnern. Die Bedrohungen und Herausforderungen umfassen die Gefährdung von Frieden und internationaler Stabilität, eine drohende Fragmentierung der regelbasierten internationalen Ordnung, aber ebenso die Unsicherheit im Cyberspace (insbesondere Desinformationskampagnen im Internet), den wachsenden Einfluss autoritärer Staaten sowie den Klimawandel. All dem soll sich Deutschland, so die inhärente Annahme, durch Wertepartnerschaften strategisch besser entgegenstellen können.
Internationale Kooperation und Wertepartner im Indo-Pazifik
Die Art und Weise, wie der Begriff »Wertepartnerschaft« laut vorstehender Analyse verwendet wird, wird dazu genutzt bzw. dient dazu, eine besondere Beziehung, eine besondere Verbundenheit mit einem oder mehreren Wertepartnern darzustellen, beruhend auf gemeinsamen Normen und Werten. Der Begriff wird damit ausschließlich positiv konnotiert gebraucht. Hierbei ist implizit immer auch die Abgrenzung zur Gruppe der Nicht-Wertepartner relevant. Diese stehen entweder ursächlich hinter den genannten Herausforderungen (z. B. indem sie die regelbasierte internationale Ordnung in Frage stellen) oder sie eignen sich nicht in vergleichbarem Maße wie Wertepartner für Kooperationen.
Die verwendeten Attribute sind zudem mehr als eine reine Beschreibung einer Sonderbeziehung auf Grundlage postulierter gemeinsamer Werte. In fast allen untersuchten Quellen verweisen sie überdies auf außenpolitische Motive und angenommene geteilte strategische Ziele der Wertepartner. Zumindest implizit kann man deshalb davon ausgehen, dass bei den handelnden Akteuren die Vorstellung präsent ist, mittels Schließung einer Wertepartnerschaft und auf der Basis einer postulierten Wertekongruenz ließen sich diese außenpolitischen Motive bzw. Ziele besser verfolgen. Die Akteure nehmen also an, die spezifischen Werte, die die Grundlage der Wertepartnerschaft bilden (sollen), stünden in einem Zusammenhang mit dem, was die deutsche Außenpolitik erreichen will. Daher sei Ziel und Zweck von Wertepartnerschaften mindestens, die postulierten gemeinsamen Werte durch die Kooperation mit Wertepartnern international zu bewahren oder gar zu stärken.
Auf den ersten Blick entspricht diese Annahme der Realität, betrachtet man etwa den Institutionalisierungsgrad der bilateralen Beziehungen mit einigen (obgleich nicht mit allen) sogenannten Wertepartnern Deutschlands: Beispielsweise unterhält Berlin Regierungskonsultationen mit den USA, Frankreich, den Niederlanden und Indien. Allerdings auch mit Nicht-Wertepartnern wie China, was die Aussagekraft des Grades der Institutionalisierung bilateraler Beziehungen wiederum schmälert.
In der Folge wird anhand der fünf Interessenfelder Schutz der regelbasierten internationalen Ordnung, freier Handel / offene Märkte, demokratisches Regieren, Rechtsstaatlichkeit sowie internationale Menschenrechtsnormen überprüft, inwiefern die oben genannten Annahmen begründet sind. Dies geschieht mit Hilfe eines Vergleichs zwischen einer acht Länder umfassenden Experimentalgruppe aus den identifizierten Wertepartnern im Indo-Pazifik und einer gleich großen Kontrollgruppe von regionalen Nicht-Wertepartnern.
Regelbasierte internationale Ordnung
Im Zusammenhang mit der Bedeutung von Wertepartnerschaften im Indo-Pazifik äußern deutsche Offizielle immer wieder das Ziel, die regelbasierte internationale Ordnung zu erhalten und die multilaterale Kooperation zu stärken. Mit Blick auf den Stellenwert dieser Ziele war 2022 sicherlich die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine das zentrale Ereignis. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützte Deutschland 2022 fünf verschiedene Resolutionen, über die im Rahmen der VN-Generalversammlung in New York abgestimmt wurde. Deutschland stimmte bei allen Resolutionen mit Ja. Das Abstimmungsverhalten der acht indopazifischen Wertepartner bei den fünf Resolutionen ist, wenngleich keines der acht Länder gegen eine der von Deutschland unterstützten Resolutionen votierte, durchaus heterogener, als das Label »Wertepartner« vermuten lässt (siehe Tabelle 3, Seite 16).
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Zunächst fällt auf, dass sich Indien und die Mongolei bei allen fünf Resolutionen enthielten. Namentlich die Weigerung Indiens, mit Ja zu stimmen, löste sowohl in deutschen diplomatischen Kreisen als auch in der deutschen Presse Verwunderung und Kritik aus, vor allem im Kontext der ersten Resolution: Verwunderung über die Enthaltung Neu Delhis bei einer Resolution, die von fast allen anderen Demokratien der Welt offen unterstützt wurde und die Indien als größte Demokratie der Welt doch quasi »naturgemäß« hätte mittragen müssen. Die Kritik bezog sich auf die indische Positionierung in den VN, die in der Wahrnehmung deutscher Beobachter vornehmlich auf indischen Partikularinteressen fußte, das heißt insbesondere Waffen- und Energielieferungen aus Russland.40
Bei der Kontrollgruppe der Nicht-Wertepartner ist das Abstimmungsverhalten ebenfalls heterogen. Fidschi, Kambodscha oder Malaysia werden zwar nicht als Wertepartner klassifiziert, unterscheiden sich in ihrem Abstimmungsverhalten aber nicht grundlegend von dem der Wertepartner Indonesien oder Singapur. Sie liegen sogar näher an der deutschen Position als die Wertepartner Indien und Mongolei. Kambodscha gehörte zusammen mit Deutschland und anderen Staaten zu den Initiatoren der VN-Resolution A/RES/ES-11/4. Andere Länder wie China oder Vietnam sind jedoch in ihrem Abstimmungsverhalten erwartungsgemäß weit von der Positionierung Deutschlands entfernt.
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Freier Handel, offene Volkswirtschaften
Um die deutsche (und europäische) wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren, wird regelmäßig eine »Freihandelsinitiative« angemahnt, die »nur transatlantisch und in Kombination mit unseren Wertepartnern im [Indo-]Pazifik Sinn macht« und die dazu führen soll, dass der Handel und das Investitionsvolumen mit »marktwirtschaftlichen Demokratien« ausgebaut werden.41 Ein zentrales Instrument hierfür ist der Abschluss von Freihandelsabkommen zwischen der EU und Wertepartnern im Indo-Pazifik.42
Für diese Gruppe ergibt sich ein relativ homogenes Bild: Die Liste abgeschlossener wie geplanter EU-Freihandelsabkommen mit Wertepartnern im Indo-Pazifik zeigt, dass nur mit der Mongolei bisher keins angestrebt wird (siehe Tabelle 4, Seite 17). Vier Wertepartner haben bereits Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet bzw. ratifiziert (Japan, Neuseeland,43 Singapur und Südkorea), andere befinden sich in Verhandlungen darüber (Indien, Indonesien). Die Verhandlungen mit Australien wurden allerdings im Herbst 2023 erfolglos abgebrochen und liegen seitdem auf Eis.
Zudem gibt es mit Vietnam und der VR China auch in der Kontrollgruppe wichtige Akteure, die erfolgreich Freihandelsabkommen mit der EU ausverhandelt haben – im Falle Chinas hat jedoch von europäischer Seite die Ratifizierung bislang nicht stattgefunden. Die Verhandlungen mit Thailand dauern noch an.
Demokratisches Regieren
Im Bereich demokratisches Regieren ist der Unterschied zwischen Wertepartnern und Nicht-Wertepartnern recht deutlich erkennbar. Die Übersicht in Tabelle 5 (Seite 19) zeigt, wie die Wertepartner in den gängigen Demokratieindizes eingestuft werden. Zwar sind dies abstrakt vorgenommene Bewertungen, die scheinbar wenig Konkretes zur tatsächlichen Qualität der Regierungsführung unter demokratischen Gesichtspunkten liefern. Diese Bewertungen decken sich jedoch weitgehend mit den Berichten staatlicher wie nichtstaatlicher Organisationen zur Qualität demokratischer Regierungsführung in den einzelnen Ländern. Im Democracy Index werden alle deutschen Wertepartner im Indo-Pazifik als Demokratien gelistet, keiner von ihnen wird als hybrides Regime zwischen Demokratie und Autokratie oder gar als autoritäres Regime eingestuft.
Allerdings werden vier Wertepartner als »flawed democracies« klassifiziert: Indien, Indonesien, die Mongolei und Singapur. Das heißt, in diesen Ländern werden zwar freie und faire Wahlen abgehalten, in Bezug auf die Rechte politischer Oppositioneller oder die Medienfreiheit zum Beispiel sind aber Einschränkungen demokratischer Teilhabe zu verzeichnen. Untermauert wird diese Einschätzung durch die Bewertung dieser vier Länder in den aufgeführten Freiheitsindizes (Global Freedom Index, Human Freedom Index, Rangliste der Pressefreiheit), die kaum einen Unterschied zur Bewertung von Nicht-Wertepartnern wie Bangladesch oder Malaysia aufweist.
Ein Blick auf die Kontrollgruppe wiederum zeigt, dass sich in den fünf ausgewählten Rankings für Malaysia, Thailand und Sri Lanka kein signifikanter Unterschied zu Wertepartnern wie Indien oder Indonesien feststellen lässt. Erstere werden beispielsweise ebenso als »flawed democracies« eingeordnet wie Letztere.
Im Übrigen besteht eine Korrelation zwischen der Klassifizierung von Wertepartnern wie Indien als »flawed democracy« und der internationalen Kooperation dieser Länder im Bereich Demokratieförderung. So ist Indien seit Jahren ein eher zurückhaltender Partner, wenn es um regionale und globale Demokratieförderung geht. Die Gründe dafür liegen unter anderem darin, dass Neu Delhi unter der Regierung Modi nach innen ein immer stärker ethnisch definiertes Verständnis von Demokratie vertritt44 und nach außen anderen Normen wie »staatlicher Souveränität« und »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten« einen wesentlich höheren