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Serbien nach der Ermordung von Zoran Đinđić

Arbeitspapier FG 2 2003/02, 15.03.2003, 4 Pages

3. Wie geht es politisch weiter?

Zum neuen Regierungs-Chef wurde der bisherige jugoislawische Bundesinnenminister Zoran Živkovic vorgeschlagen, der auch den Vorsitz der Demokratischen Partei übernommen hat. Als Bürgermeister der zweitgrößten serbischen Stadt, Niš, hat Živkovic, vor allem während der NATO-Bombardierung 1999, eine gewisse Popularität erreicht. Von ihm wird jedoch im allgemeinen nur erwartet, daß er bis zu Neuwahlen die Amtsgeschäfte führt. Er besitzt weder ausreichend politisches Ansehen in der Bevölkerung noch genügend Unterstützung seitens der DOS-Koalitionspartner, um sich für die Nachfolge von Đindic zu qualifizieren.

Vojislav Koštunica, der Vorsitzender der führenden oppositionellen Kraft, der Demokratischen Partei Serbiens (DSS), hat die Einführung des Ausnahmezustands scharf kritisiert und die Bildung einer "Konzentrationsregierung" (gemeint ist eine Allparteienregierung ohne Radikale) angeboten. Er sieht den Augenblick gekommen, um wieder eine aktive politische Größe zu werden, nachdem er durch die Umwandlung der Bundesrepublik Jugoslawien in die staatliche Gemeinschaft "Serbien und Montenegro" im Februar 2003 sein Amt als Bundespräsident verloren hat. Er drängt gleichzeitig auf vorgezogenen Neuwahlen, um seine nach wie vor vorhandene persönliche Popularität endlich auch in politische Macht umzuwandeln. Auf sein Angebot einer Allparteienregierung wird sich die derzeit regierende Koalition kaum einlassen, denn Koštunicas DSS würde darin unter Hinweis auf ihre Größe im Parlament die führende Position beanspruchen.

Jüngste Erhebungen geben vier politischen Parteien mehr als zehn Prozent Zustimmung in der Wählerschaft, während alle anderen, darunter auch viele, die jetzt in der 17-Parteien-Koalition DOS vertreten sind, kaum eine etwaige Wahlhürde von vier Prozent überwinden könnten. Diese vier Parteien mit mehr als zehn (aber alle weniger als zwanzig) Prozent Wähleranteil sind Koštunicas DSS, Đindics DS, Šešeljs SRS und die neu gegründete liberale "G17 Plus", die von den führenden Wirtschaftsreformern, dem ehemaligen Bundesvizepremier Milan Labus und dem Zentralbankpräsidenten Mladen Dinkic, geführt wird. Koštunica führt offenbar seit einiger Zeit vertrauliche Gespräche mit Dinkic über mögliche Formen der Zusammenarbeit. Sollten die Spitzen der DOS-Koalition aus dem Ausnahmezustand politisch erfolglos hervorgehen, erscheint eine Koalition zwischen DSS und "G17 Plus" realistisch. Es ist aber auch vorstellbar, daß sich einzelne Personen aus der DOS-Spitze, z.B. Vizepremier Covic, doch wieder zu einem Schwenk in Richtung Koštunica entscheiden.

Die neue Unübersichtlichkeit der politischen Szene Serbiens darf den Westen nicht davon abhalten, noch intensiver zu versuchen, auf die politischen Abläufe einzuwirken. Eine Stärkung der Wirtschaftshilfe und die Festlegung verbindlicher Verfahrensregeln für den EU-Beitritt Serbien und Montenegros sind zwei wirksame Hebel, um die politischen Akteure in Belgrad zu disziplinieren. Gleichzeitig müßte der Westen noch größere Sorgfalt in der Kosovo-Politik walten lassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß die Schwächung Serbiens ausgenutzt wird, um, wie Đindic zuletzt warnte, die faktische Unabhängigkeit der Provinz voranzutreiben.

© 2003 Stiftung Wissenschaft und Politik