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Parlamentswahlen in Estland

Ruf nach neuer Politik

Arbeitspapier 01, 15.03.2003, 4 Pages

Ruf nach neuer Politik

Wer mit wem?

Aufgrund der unübersichtlichen Struktur im neuen Reichstag ist eine Vielzahl von Regierungsbündnissen möglich. Da Res Publica-Chef Parts eine Kooperation mit dem Zentrum wiederholt ausgeschlossen hat, ergaben sich zwei grundlegende Koalitionsvarianten: eine mit der Res Publica und eine mit der Zentrumspartei. Im zuerst genannten Fall entstünde eine Art Koalition der rechten Mitte, im zweiten Fall handelte es sich um eine (eventuell um die Volksunion erweiterte) Neuauflage des bisherigen Regierungsbündnisses aus Zentrum und Reformpartei.

In den Tagen nach der Wahl zeichnete sich rasch die Bildung einer Anti-Savisaar Koalition aus Res Publica, Reformpartei und Volksunion an. Diese – nach den estnischen Anfangsbuchstaben der möglichen Bündnispartner – „Drei-R-Koalition“ genannte Allianz könnte um die konservative Pro Patria erweitert werden. Ein derartiges Viererbündnis könnte sich mit 67 von 101 Sitzen auf eine breite Mehrheit stützen und hätte über die dem Präsidenten nahestehende Volksunion einen „Draht“ zum Staatsoberhaupt.

Indem sich die Reformpartei der Res Publica zuwandte, schlug sie die Offerten des Zentrums aus, welches signalisiert hatte, Reform-Chef Kallas könnte (wie bisher) als Juniorpartner das Amt des Premierministers zu übernehmen. Nicht zu übersehen ist jedenfalls die starke Stellung der Reformpartei. Sie hat sowohl für Res Publica als auch für das Zentrum Schlüsselbedeutung. Sollte sich die Reformpartei auf eine Koalition unter Führung der Res Publica einlassen, besäße sie unter Verweis auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Zentrum in Zukunft ein beachtliches Drohpotential in der Koalition. Daß die Liberalen zu einem fliegenden Wechsel ihrer Koalitionspartner in der Lage sind, haben sie bereits während der abgelaufenen Legislaturperiode demonstriert, als sich Siim Kallas von Konservativen und Moderaten abwandte und mit Savisaar zusammenspannte.

Wird die Res Publica, worauf vieles hindeutet, an einer Koalition beteiligt, könnte sich ihre Unerfahrenheit in Regierungsgeschäften und im Umgang mit ihren Koalitionspartnern als Nachteil erweisen. Allerdings hat sich in der vergangenen Dekade mehrfach gezeigt, daß in Estland neue und teils sehr junge politische Akteure oft professionell gearbeitet haben und frischer Wind der Leistungsfähigkeit der estnischen Politik keinen Abbruch tun muß. Gut möglich ist indes, daß die zerfaserten Mehrheitsverhältnisse zusammen mit persönlichen Animositäten und taktischen Winkelzügen für jede Regierungskoalition das Risiko eines vorzeitigen Auseinanderbrechens bergen. Häufige parteipolitische Frontwechsel und Neubildungen von Koalitionen und Regierungen waren auch schon bisher ein Markenzeichen estnischer und baltischer Politik. Insofern bleiben alle Koalitionsoptionen auch nach der Regierungsbildung relevant.

Mögliche Koalitionen

Bündnis Mandate
Res Publica – Reformpartei – Pro Patria 54
Res Publica – Reformpartei – Pro Patria – Moderate 60
Res Publica – Reformpartei –Volksunion 60
Res Publica – Reformpartei – Pro Patria – Volksunion 67
Zentrum – Reformpartei 47
Zentrum-Reformpartei-Volksunion 60