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Offizielle US-Strategie zur nuklearen Rüstungskontrolle: »Nur der erste Schritt oder schon alles?«

Kurz gesagt, 09.06.2023 Research Areas

Die US-Regierung hat Russland und China Gespräche über nukleare Rüstungskontrolle »ohne Vorbedingungen« angeboten. Es ist unwahrscheinlich, dass diese auf das Angebot eingehen. Möglicherweise verfolgen die USA ohnehin einen anderen Ansatz, meinen Liviu Horovitz und Jonas Schneider.

Bislang hat die US-Administration unter Joe Biden im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle vor allem Ziele formuliert. Nun hat die US-Regierung dargelegt, wie sie die gestiegenen Risiken nuklearer Konflikte und eines Wettrüstens mit Russland und China eindämmen will. In einer mit Spannung erwarteten Rede bot der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, vergangene Woche Russland und China Gespräche über nukleare Rüstungskontrolle »ohne Vorbedingungen« an. Amerikas nukleare Modernisierung und konventionelle Waffen würden Moskau und Peking an den Verhandlungstisch bringen, so Sullivan.

Für eine fertige Strategie werfen die Pläne zu viele Fragen auf. Als Grundstein einer umfassenderen Herangehensweise, die den Druck auf Moskau und Peking sukzessive erhöht, wäre die Bekräftigung der Gesprächsbereitschaft zum jetzigen Zeitpunkt durchaus sinnvoll.

Kompetitive Rüstungskontrolle wird offizielle Politik

Die amerikanische Rüstungskontrollpolitik unter Biden folgt einer kompetitiven Logik: Abschreckung und Rüstungskontrolle werden als zwei Seiten einer Medaille verstanden. Vorbei sind die Jahrzehnte, in denen die Aufrechterhaltung des eigenen Nukleararsenals nur als vorübergehendes, notwendiges Übel angesehen wurde, bis weitere Abrüstungsschritte auf dem Weg zu einer kernwaffenfreien Welt folgen können.

Unter US-Präsident Biden gilt nun, dass der Ausbau der eigenen Abschreckungsfähigkeit es den USA erlaubt, nukleare Rüstungskontrolle aus einer Position der Stärke heraus zu betreiben. Die US-Regierung versteht Rüstungskontrolle ausdrücklich nicht als Mittel zur Überwindung der nuklearen Abschreckung, sondern zur Begrenzung der Fähigkeiten ihrer Rivalen Russland und China, damit die USA im geopolitischen Ringen der Großmächte im Idealfall ihre einseitigen militärischen Stärken besser ausspielen können.

Keine klaren Anreize für China und Russland

So richtig es war, diese Logik offen zu legen, um nach innen sowie gegenüber Verbündeten und Partnern die Marschrichtung vorzugeben – umso mehr stellt sich die Frage: Was gedenkt Bidens Team zu tun, um Russland und China für seine kompetitive Art der nuklearen Rüstungskontrolle zu gewinnen? Denn wenn die USA nach einer Einigung viele der technologischen und militärischen Vorteile in der Hand hätten, ergibt es für China und Russland wenig Sinn, sich an Rüstungskontrolle zu beteiligen. Hier konnten Sullivans Antworten in der vergangenen Woche noch nicht vollends überzeugen.

Warum das Angebot, »ohne Vorbedingungen« in Rüstungskontrollgespräche einzutreten, verlockend genug sein soll, um Moskau und Peking zum Umdenken zu bewegen, erschließt sich ebenfalls nicht. Die bedingungslose amerikanische Verhandlungsbereitschaft wurde unter Biden selten in Frage gestellt. Russland hingegen hat sein ohnehin begrenztes Interesse an Rüstungskontrolle in den vergangenen Jahren weiter reduziert. So begrüßten russische Vertreter Sullivans »ohne Vorbedingungen«-Angebot, stellten aber ihrerseits die Bedingung, dass die USA ihre grundsätzlich russlandfeindliche Politik – also die Unterstützung der Ukraine – aufgeben müssten. China wiederum hat sich stets geweigert, auch nur an Gesprächen über die Begrenzung seines Atomarsenals teilzunehmen.

Zwischen geringen Chancen und langfristigen Zielen

Auf die Frage, wie die Biden-Administration den Druck auf Russland und China zugunsten von Rüstungskontrolle erhöhen wolle, hatte Sullivan überraschend wenig Überzeugendes zu sagen. Er bestätigte die weitere Modernisierung der eigenen Atomstreitkräfte, lehnte aber den sich abzeichnenden Konsens unter US-Republikanern ab, dass das amerikanische Arsenal wachsen müsse, um mit den kombinierten Arsenalen Russlands und Chinas mithalten zu können. Die Biden-Administration werde sich weiterhin an die Obergrenzen von »New Start« halten, solange Russland dies auch tue, so Sullivan. Die USA bräuchten auch keine neu entwickelten Atomwaffen. Neben den bestehenden atomaren Fähigkeiten werde Bidens Amerika noch stärker auf nicht-nukleare Präzisionswaffen wie Hyperschallraketen setzen, um seine nuklearen Rivalen in Schach zu halten. Auch Weltraum- und Cyberfähigkeiten würden den USA helfen, ihren heutigen militärischen Vorsprung zu halten.

Ob das bereits eingepreiste US-Atomarsenal und bessere konventionelle Fähigkeiten als Druckmittel ausreichen, um Russland und China an den nuklearen Verhandlungstisch zu bringen und dort zu Zugeständnissen zu zwingen, darf bezweifelt werden. Die Biden-Administration scheint selbst nicht daran zu glauben, denn sie geht laut Sullivan davon aus, dass China in den 2030er Jahren nuklear ebenbürtig sein wird – trotz Amerikas vermeintlicher Trümpfe im Nuklear-, im Weltraum- und im Cyberbereich.

Historisch gesehen war die strategische Rüstungskontrollpolitik jedoch selten von Transparenz geprägt. Es ist daher möglich, dass Sullivans Zurückhaltung ein Zeichen dafür ist, dass die US-Regierung einen weitaus komplexeren und längerfristigen diplomatischen Ansatz verfolgt. Sollte dies der Fall sein, wäre das Ziel heute nicht, Moskau und Peking zum Umdenken zu bewegen, sondern die Voraussetzungen für eine spätere Druckstrategie zu schaffen. Heute hätten die USA öffentlich ihre Bereitschaft erklärt, »ohne Vorbedingungen« zu verhandeln; sie hätten das Wohlwollen der Verbündeten, der Partner und der internationalen Gemeinschaft gewonnen; sie könnten sich als verantwortungsbewusster Akteur moralisch im Recht fühlen.

Damit hätten die USA eine viel solidere Basis, um in einigen Jahren sagen zu können, sie hätten alles versucht und müssten jetzt endlich dazu übergehen, effektiven Druck auf Russland und China auszuüben, indem Washington glaubwürdig androht, konventionelle und nukleare Waffen auszubauen und zeitgleich Raketenabwehrsysteme zu verlegen. Eine solche Strategie würde beispielsweise eine erhöhte verstärkte Finanzierung der nuklearen Infrastruktur der USA, aber auch ein fundamentales Umdenken bei der Stationierung von Mittelstreckenraketen sowie eine Stärkung der militärischen Beziehungen zu den Verbündeten in Europa und Asien beinhalten.

Ob Sullivans Rede nur auf Optimismus beruht oder die Spitze eines strategischen Eisbergs ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Letzteres ist aus europäischer Sicht zu hoffen.