Eine neue SWP-Studie untersucht die Partnerschaftsbeziehungen der NATO. Im Interview erklärt der Autor Markus Kaim, wieso die Beziehungen einer Neuordnung bedürfen und welche Rolle der EU in diesem Politikfeld zufällt.
Kurz gesagt, 06.07.2016 Research AreasMarkus Kaim
Eine neue SWP-Studie untersucht die Partnerschaftsbeziehungen der NATO. Im Interview erklärt der Autor Markus Kaim, wieso die Beziehungen einer Neuordnung bedürfen und welche Rolle der EU nach dem Rückzug der USA als globale Ordnungsmacht in diesem Politikfeld zufällt.
Was waren die erklärten Ziele der NATO, als sie 1994 erstmals Partnerschaftsbeziehungen eingegangen ist und damit ihr Verhältnis zu Ländern außerhalb des Bündnisses auf eine institutionelle Grundlage gestellt hat?
Markus Kaim: Die NATO hat mit diesen neuen Formaten den Wandel von einem System kollektiver Verteidigung des Ost-West-Konfliktes zu einem Sicherheitsanbieter für den euro-atlantischen Raum und dessen Nachbarschaft vollzogen. Dabei ging und geht es zwar vordergründig um Unterstützung für andere Staaten und regionale Organisationen. Es stand jedoch seit Beginn die Annahme dahinter, dass die Kooperationen auf Dauer der Sicherheit des Bündnisgebietes dienen würden.
Und ist das so? Wie wichtig sind die Partnerschaftsbeziehungen für die Sicherheit im Bündnisgebiet?
Sie werden angesichts nach wie vor begrenzter Ressourcen und eines in vielen NATO-Staaten begrenzten Willens, sich unmittelbar in Krisen und Konflikten zu engagieren, weiter an Bedeutung gewinnen und damit zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Gestaltungsinstrument der Allianz.
Wie hat sich die Partnerschaftspolitik über die Jahre verändert?
Die politischen Ambitionen der NATO haben sich immer wieder erheblich verändert, und das zeigt sich in den sehr unterschiedlichen Partnerschaften, die über die Zeit entstanden sind. Sie spiegeln zentrale sicherheitspolitische Ereignisse und Entwicklungslinien der internationalen Politik, auf die die NATO mit bestimmten Prioritätensetzungen reagiert hat, etwa auf Terrorismusbekämpfung oder auf das Krisenmanagement. Zudem lassen sie auch die Wandlungen im Selbstverständnis der Allianz erkennen – als einer Sicherheitsorganisation, die sich verändert, weil die Welt um sie herum im Umbruch ist.
Sie sprechen in Ihrer Studie von einem institutionellen Wildwuchs der Partnerschaftsbeziehungen. Wo liegt das Problem?
In den vergangenen zwanzig Jahren ist der Kreis der beteiligten Länder immer größer, die damit verbundene Agenda immer heterogener und die von der NATO verfolgte Zielsetzung immer vielgestaltiger geworden. Dieser institutionelle Wildwuchs der Partnerschaftsbeziehungen steht in einem immer größeren Kontrast zu den Erwartungen an ihr Potential. So ist zum Beispiel die Ukraine Mitglied des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates, einer Gruppe von Staaten, die die NATO dabei unterstützt hat, ihren jeweiligen nationalen Sicherheitssektor gemäß westlichen Standards zu reformieren und an die Allianz heranzuführen. Zugleich existiert seit 1997 mit der NATO-Ukraine-Kommission ein zusätzliches Gremium für die bilaterale Kooperation mit Kiew. Diese Doppelung zeigt, dass ein kohärenter strategischer Blick auf die Ukraine nicht existiert.
Was schlagen Sie vor, um Abhilfe zu schaffen?
Es ist überfällig, die existierenden Formate auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und eine politische Priorisierung vorzunehmen. Würde die NATO das gesamte Tableau der Partnerschaftsformate heute von Grund auf neu ordnen, läge es nahe, diese klarer in verschiedenen »Körben« zu gruppieren. Sinnvolle Kriterien wären hierbei zum einen die Inhalte der Kooperation, zum anderen gemeinsame politische Ordnungsvorstellungen. Allerdings ist es unrealistisch, eine solch grundlegende institutionelle und politische Ordnung in die Beziehungen zu bringen – bei einem Politikfeld, das über fünfundzwanzig Jahre gewachsen ist, das dabei verschiedenen Zielen bzw. Prioritäten unterworfen war und das zuletzt nach der Prämisse größtmöglicher Flexibilität gestaltet wurde.
Was sind dann realistische Ziele, die beim NATO-Gipfel in Warschau erreicht werden können?
Wichtig ist zunächst einmal ein realistisches Erwartungsmanagement: Partnerschaften mögen die politischen und militärischen Handlungsmöglichkeiten der NATO punktuell erweitern. Doch unrealistisch wäre die Annahme, sie könnten ein eigenständiges Engagement der Allianz vollständig überflüssig machen. Auf dieser Grundlage ist der Warschauer Gipfel eine willkommene Gelegenheit, um in der Partnerschaftspolitik einige Weichen zu stellen, vor allem weil sie mittlerweile für so gut wie alle Politikfelder relevant ist.
Welche Weichen sollten konkret gestellt werden?
Die NATO sollte stärker herausarbeiten, was ihre Ziele innerhalb der einzelnen Partnerschaftsformate sind. Idealerweise bricht sie die Ziele in zeitlich überschaubare Aktionsprogramme mit einer Dauer von ein bis zwei Jahren herunter, so dass Erfolg bzw. Misserfolg des jeweiligen Vorgehens klarer erkennbar sind. Damit geht die Notwendigkeit einher, eine Priorisierung unter den Partnern vorzunehmen – einige von ihnen sind wichtiger für die NATO als andere. Dies mag sich mit einem Wandel der Anforderungen auch wieder ändern. Ihre aktuellen Prioritäten sollte die Allianz aber deutlich herausstreichen, um die Wertschätzung für die engsten Kooperationspartner zu unterstreichen und diese zu ermutigen, die Zusammenarbeit weiterzuführen.
Welche Rolle spielt der Rückzug der USA aus ihrer globalen Führungsrolle für die Partnerschaftsbeziehungen?
Es ist anzunehmen, dass die USA auch nach den Präsidentschaftswahlen im November an ihrer zurückhaltenden Außenpolitik des selektiven Engagements festhalten werden. Anders formuliert: Ihre traditionelle ordnungspolitische Rolle für die internationale Politik werden sie in der uns seit Jahrzehnten vertrauten Form nicht länger spielen. Entsprechend werden die Erwartungen an die Europäische Union steigen, mehr Verantwortung in der internationalen Politik zu übernehmen, auch für die Partnerschaftsbeziehungen.
Kann die EU diese Rolle ausfüllen?
Was die Einbindung von Partnern in ihre Außen- und Sicherheitspolitik betrifft, verfügt die EU sogar über mehr Erfahrungen als die NATO. Zahlreiche Drittstaaten haben mit nationalen Kontingenten an EU-Operationen teilgenommen und so deren Legitimität und Effektivität gestärkt. Manche von ihnen – vor allem aus der euro-atlantischen Nachbarschaft – gehören zu jenen Akteuren, mit denen auch die NATO im Rahmen von Partnerschaftsformaten zusammenarbeitet. Einige andere Staaten haben Kooperationserfahrungen mit Operationen der EU gemacht, die auch für die NATO politisch und/oder militärisch interessant sein könnten. Dies betrifft zum Beispiel Angola, Südafrika, Malaysia oder die Philippinen. Vorstellbar ist zudem, dass in Zukunft bestimmte nichteuropäische Staaten – etwa Japan – größere Verantwortung beim internationalen Krisenmanagement übernehmen bzw. entsprechende Erfahrungen sammeln möchten und dabei aus verschiedensten politischen Gründen die Kooperation mit der NATO – noch – scheuen. Sie könnten stattdessen mit der EU kooperieren.
Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.
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