Jump directly to page content

»Golden Dome« und das illusorische Versprechen der Unverwundbarkeit

US-Raketenabwehr unter Trump: Risiken und Chancen für Europa

SWP-Aktuell 2025/A 50, 21.11.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A50

Research Areas

Die aktuelle US-Administration plant, das gesamte Territorium der Vereinigten Staaten vor allen Luft- und Raketenangriffen zu schützen. Im Mittelpunkt steht der Einsatz großer Satellitenkonstellationen, die Langstreckenraketen kurz nach dem Start erkennen und abfan­gen können. Auch wenn vermutlich nur ein Bruchteil der ehrgeizigen Pläne umgesetzt werden kann, sind Fortschritte bei der Raketenabwehr in den kommenden Jahren wahrscheinlich. Für Deutschland und Europa lassen sich Risiken und mög­liche Vorteile – besonders hinsichtlich einer weltraumgestützten US-Raketenabwehr – derzeit nur schwer abschätzen. Den meisten Spielraum bewahrt sich Europa, indem es eine offene Auseinandersetzung mit Trumps Plänen vermei­det.

Präsident Trump verkündete im Januar 2025 die Golden-Dome-Initiative, ein US-amerikanisches Flugkörperabwehrprogramm, dessen grundlegende Idee auf ein Projekt aus der Zeit des Kalten Krieges zurückgeht. Das Projekt tauchte bereits als Versprechen in Trumps erster Amtszeit auf und wurde im Präsidentschaftswahlkampf 2024 erneut aufgegriffen.

Die Idee ist simpel, die Ambition außerordentlich: Trump will das gesamte US-Terri­torium gegen alle Arten von Luft­angriffen schützen – ob durch Flugzeuge, Drohnen oder Raketen –, unabhängig vom Ur­sprungsland, also auch gegen mögliche Angriffe aus Russland oder China. Zwar lassen sich neue Initiativen nur schwer von bestehenden Programmen abgrenzen. Doch die Regierung hat bereits eine Reihe gesetz­licher, administrativer und finanzieller Maß­­nahmen ergriffen, die zum Aufbau des Golden Dome beitragen sollen. Laut dem Weißen Haus soll das Projekt 175 Milliarden US-Dollar kosten und bis zum Ende von Trumps zweiter Amtszeit 2029 abge­schlossen sein.

Obwohl vieles noch unklar ist, steht fest, dass das System aus mehreren Ebenen an Land, auf See und im Weltraum bestehen soll, einschließlich weltraumgestützter Sensoren und Abfangsysteme. Die Abwehr ballistischer Langstreckenraketen bleibt jedoch der umstrittenste Teil der Initiative und steht daher im Mittelpunkt dieser Analyse.

Bemühungen, Grenzen und Ziele

Verschiedene Raketentypen erfordern unter­schiedliche Abwehrsysteme. Differenzierungen sind daher entscheidend. Ballis­tische Raketen unterscheiden sich in Ab­schussplattform, Nutzlast und Reich­weite. Alle Abwehrsysteme bestehen aus mehreren Schichten, um Bedrohungen durch Raketen mit unterschiedlicher Reich­weite, Geschwindigkeit und Flugbahn zu bekämp­fen.

Grafik

Das Abfangen von Raketen in ihrer Startphase

Washington betrachtet ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen (SRBMs und MRBMs) als taktische Waffen in regionalen Konflikten, da sie Streitkräfte oder Ver­bün­dete der USA bedrohen, jedoch nicht deren Staatsgebiet. Nur interkontinentale ballis­tische Raketen (ICBMs und SLBMs) mit mehreren Tausend Kilometern Reichweite gelten als strategische Bedrohung für das US-Territorium. Sie abzuwehren ist in allen drei Flugphasen äußerst schwie­rig.

Abwehrsysteme nutzen unterschiedliche Ansätze, um Waffen in jeder Flugphase zu neutralisieren. In der sehr kurzen Endphase kann eine Rakete nur durch Abfangsysteme aufgehalten werden, die in unmittelbarer Nähe zum Ziel stationiert sind. Dieser An­satz schützt wichtige Standorte wie Militär­stützpunkte. Er würde jedoch eine enorme Anzahl von Systemen erfordern, um ein großes Land wie etwa die USA zu verteidigen. Deshalb liegt der technologische Schwerpunkt seit langem auf der mittleren Flug­phase, in der mehr Zeit bleibt, den Sprengkopf zu orten und zu bekämpfen.

Weil sie befürchtete, globale Instabilität zu fördern, hat die US-Regierung in der Ver­gangenheit Raketenabwehrsysteme bewusst begrenzt und sich hauptsächlich auf Ab­schreckung gegenüber den Langstrecken-Atomraketen strategischer Konkurrenten beschränkt. In den letzten drei Jahrzehnten wurden aber begrenzte Raketenabwehr­kapazitäten entwickelt, um auf die Bedro­hung durch revisionistische, isolierte und destabi­lisierende Staaten zu reagieren – heute Nord­korea und in Zukunft womög­lich auch Iran. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass diese Akteure sich durch angedrohte Vergeltung nicht ab­schrecken lassen, weshalb die USA in die Lage versetzt werden müssen, Angriffe abzuwehren.

Das derzeit eingesetzte bodengestützte Raketenabwehrsystem (Ground-Based Mid­course Defense System), welches Raketen in der mittleren Flugphase abfangen soll, wurde genau für solche Bedrohungen konzipiert. Aber auch wenn sich die USA vor allem auf die Abwehr nordkoreanischer ICBMs kon­zentrieren – die bislang höchste Priorität genießt –, bleibt die Wirksamkeit des Sys­tems zweifel­haft. Kurz­fristige Durchbrüche in der Ent­wicklung solcher Abwehrsysteme sind kaum zu erwarten. Daher räumen US-Beamte ein, dass Investitionen im jetzigen System nicht ausreichen werden, um russi­sche oder chinesische Raketen abfangen zu können.

Im Gegensatz dazu hat es ent­scheidende Vorteile, Raketen während der Startphase (Boost Phase) abzufangen. In diesem Zeit­raum ist die Rakete am vulnerabelsten, da Gegenmaßnahmen – etwa mehrere manö­vrierfähige Sprengköpfe, Täusch­körper oder elektronische Störsender – typischerweise erst in der mittleren Flug­phase (Midcourse) zum Einsatz kommen.

Allerdings dauert die Startphase nur drei bis vier Minuten, was extremen Zeitdruck erzeugt. Deshalb müssten bodengestützte Abfangraketen sehr nahe am Abschussort positioniert werden. Bei großen Ländern wie Russland oder China oder in Ozeanen aber ist das unmöglich. Theoretisch ließe sich dieses Problem mit Abfangraketen in einer niedrigen Erd­umlaufbahn (etwa 2.000 Kilometer vom Abschussort entfernt) lösen. Weltraumgestützte Abfangraketen würden jedoch nicht über einem Ziel stationiert blei­ben, sondern in einer Umlaufbahn krei­sen. Das würde große Satellitenkonstellatio­nen erfordern – einige zur Erkennung von Abschüssen, andere zum Transport kine­tischer oder nichtkinetischer (wie Laser) Abfangwaffen –, um eine lückenlose Ab­deckung zu gewährleisten.

Hier liegt der Hauptschwerpunkt der Rake­tenabwehr innerhalb der Golden-Dome-Ini­tiative. Unabhängige Experten schätzen, dass für einen erfolgreichen Einsatz große Fortschritte in den Berei­chen Sensor­abdeckung, Gefechtsführung und Zuverlässigkeit der Abfangraketen nötig wären – ganz zu schweigen von beispiel­losen Investitionen in die Infra­struktur. Auf der anderen Seite behauptet die US-Regierung, die erforderlichen Tech­nologien seien größ­tenteils bereits vor­handen, warnt jedoch, die Verwirklichung des erforder­lichen »Systems aus Systemen« werde her­ausfordernd sein. Die Expertise unterschiedlicher Behörden und der Streit­kräfte muss gebündelt, Silodenken über­wunden und eine integrierte Architektur geschaffen werden.

Trumps unerreichbare Ziele

Historisch gesehen hat Washington in seiner Raketenabwehrpolitik bewusst eine gewisse Ambiguität bewahrt, um seine Gegner über Umfang und Ziele seiner Pro­gramme im Unklaren zu lassen. Im Gegen­satz dazu hat die Trump-Regierung kon­krete Ziele für Fähigkeiten, Budgets und Zeitpläne festgelegt. Es ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass Golden Dome seine erklär­ten Ziele erreichen wird.

Technologie. Die umfassende Ambition von Golden Dome, nämlich die USA gegen Angriffe aus allen Richtungen zu verteidigen, erhöht die Wahrscheinlichkeit des Schei­terns. Der Vergleich mit dem histori­schen Vorgängerprojekt, das eben­falls weltraumgestützte Abfangraketen vor­sah, ist wenig ermutigend. In den 1980er Jahren verfolgte die Regierung von Ronald Reagan die Strategic Defense Initiative (SDI) oder »Star Wars« mit dem weitaus bescheideneren Ziel, nur ein Drittel bis die Hälfte der an­kommenden sowjetischen Raketen abzufan­gen. Nachdem etwa 80 Milliarden Dollar ausgegeben worden waren, wurde das Pro­jekt vor allem wegen mangelnder technischer Umsetzbarkeit aufgegeben, ohne dass jemals Abfangraketen im Welt­raum statio­niert wurden.

Selbst wenn es technologische Durchbrüche gäbe, stehen die Gesetze der Physik der Errichtung eines Golden Dome ent­gegen. Zentrale Komponenten wie Abfang­systeme, die in der Startphase wir­ken, und weltraumgestützte Waffen sind bislang nicht erprobt. Ob und wann sie einsatz­bereit wären, ist völlig unklar. Auch wenn kommerzielle Anbieter Satelliten kostengünstig und effizient starten könn­ten, bräuchte Golden Dome gewaltige Konstellationen, um Raketen zu orten und sie zer­stören zu können. Zur Veranschaulichung: Das System hat nur wenige Minuten Zeit, um eine Rakete zu erkennen, als echte Bedrohung zu bestätigen und eine welt­raum­gestützte Einheit zum Abfangen zu steuern – eine enorme Herausforderung, allein in der Datenverarbeitung. Ist dieser kurze Zeitraum vorbei, muss der nächste Satellit das tatsächliche Abfangen übernehmen. Daher wären zahlreiche Satelli­ten notwendig, um eine einzige Rakete zu zerstören. Russland verfügt über rund 500 Trägerraketen, die Nuklearsprengköpfe in die USA befördern könnten. Trumps Ziel, Hunderte oder gar über tausend russische und chinesische Raketen zuverlässig ab­zufangen, würde vermutlich Zehntausende Satelliten benötigen.

Selbst wenn ein solches System eingesetzt würde, könnten Gegner versuchen, es zu überlasten, zu zerstören und möglicher­weise zu täuschen. Zumindest in Bezug auf die Kosten sind potentielle Angreifer weiter­hin im Vorteil gegenüber den Verteidigern. Offensivmaßnahmen dürften weitaus kostengünstiger bleiben als Verteidigungssysteme. Dies zwänge Washington, un­ver­hältnismäßig mehr zu investieren, um Schritt zu halten.

Die Gegner sind gut darauf vorbereitet, die US-Abwehrinvestitionen ins Leere laufen zu lassen. Schon heute erhöht China die Zahl seiner Raketensilos. Russ­land investiert derweil stark in neue strate­gische Waffen, die Raketenabwehrsysteme um­gehen sollen. Darunter befinden sich ein interkontinentaler Nuklear­torpedo und eine Langstreckenrakete, die den Globus umrunden kann, um die USA aus unerwarteter Richtung anzugreifen. Insgesamt deutet das Entwicklungstempo – vor allem in China – darauf hin, dass nur fundamentale technologische Durchbrüche es den USA ermöglichen würden, Abwehrsysteme zu konstruieren, die nicht durch deutlich günstigere Offensiv­systeme ausgeglichen werden können. Da­zu würden beispiels­weise weltraumbasierte Systeme zählen, die auch die Flugbahn extrem manövrierfähiger Waffensysteme verfolgen könnten.

Dasselbe Ungleichgewicht gilt für den Welt­raum. Während Teheran und Pjöng­jang nur über begrenzte Fähigkeiten zur Weltraumlageerfassung verfügen, besitzen Peking und erst recht Moskau hoch­entwickelte Fähigkeiten in diesem Bereich. Sowohl China als auch Russland haben darüber hinaus bewiesen, dass sie Satelliten in der erdnahen Umlaufbahn, wo weltraum­gestützte Abfangraketen wahrscheinlich stationiert wären, zerstören können. Neben dem Einsatz kinetischer Mittel ent­wickeln Russland und China nichtkineti­sche Weltraumabwehrfähigkeiten, etwa Signalstörer, Cyberfähigkeiten sowie Laser- und Teilchenstrahlenwaffen. Überdies gibt es Anzeichen dafür, dass Russ­land mög­licherweise fähig und willens wäre, eine Atom­waffe im Weltraum zu stationieren. Da­durch wäre es in der Lage, eine große Anzahl von US-Weltraum­ressourcen auf einmal zu ver­nichten. Das jedoch wäre für alle vom Welt­raum ab­hängigen Nationen mit hohen Kosten ver­bunden.

Mit dem Fortschritt der Golden-Dome-Technologien könnten Russland und China zusätzliche Gegenmaßnahmen erarbeiten, um die neuen Abwehrsysteme zu umgehen. Für herkömmliche Täuschkörper lässt die Startphase schon jetzt kaum Spiel­raum. Potentielle Angreifer könnten versuchen, diese Phase weiter zu verkürzen, die Infra­rotsignatur ihrer Raketenabgase zu ver­ringern oder ihre Flugkörper von unerwarteten Orten zu starten, um die US-Früh­warnung zu er­schweren. Leistungsstarke Raketenabwehrsysteme der USA werden Gegner voraussichtlich auch dazu veranlassen, in neue Technologien zu inves­tieren – etwa neu­artige Antriebssysteme, Tarn­methoden beim Start sowie elektro­nische und cyber­gestützte Gegenmaßnahmen.

Kosten. Die derzeitige Kostenschätzung von 175 Milliarden Dollar für die Errichtung des Golden Dome ist mit ziemlicher Sicherheit unrealistisch. Zieht man die bis­herigen Ausgaben und die voraussichtlichen Kosten für wesentliche Kom­ponenten in Betracht, werden die Gesamtkosten für einen vollständig entwickelten Golden Dome zweifellos viel höher ausfallen. Einige Schätzungen beziffern die Kosten auf über 500 Milliarden Dollar, andere sogar auf noch höhere Summen. Selbst wenn die Bemühungen des privaten Sektors unerwar­tet erhebliche Fort­schritte bei Geschwindigkeit, Innovation und Effizienz zeitigen soll­ten, ist es dennoch höchst unwahrscheinlich, dass die Finanzierungslücke geschlos­sen werden kann. Die Regie­rung scheint sich dieser Dis­krepanz be­wusst zu sein: Im Sommer 2025 legte die Missile Defense Agency des Pentagons einen Vertragsvorschlag in Höhe von 151 Milliarden Dollar vor­, der nur einen Bruchteil des gesam­ten Projektumfangs abdecken würde.

Schon eine einfache Analyse macht die finanzielle Unvereinbarkeit deutlich. Jeder Satellit in einer niedrigen Erdumlaufbahn muss alle drei bis fünf Jahre ausgetauscht werden. Das bedeutet, dass mindestens ein Fünftel der Konstellation jährlich ersetzt werden muss. Bei einem Golden-Dome-System mit 10.000 Satelliten wären dies 2.000 Ersatz­satelliten pro Jahr. Selbst wenn Abfangraketen in Massenproduktion her­gestellt wür­den und weitaus günstiger wären als heute, würden sie wohl immer noch mehrere Millionen Dollar pro Stück kosten. Analysten schätzen die nöti­gen Ausgaben auf etwa 20 Millionen Dollar je Abfangrakete. Das sind jährlich 40 Milli­ar­den allein für die Aufrechterhaltung der Konstellation, ohne die Betriebskosten. Zudem sollte nicht vergessen wer­den, dass die Abwehr ballis­tischer Raketen nur eine von vielen Kom­ponenten ist, die Trump unter Golden Dome zu bündeln versucht.

Zeitplan. Es ist äußerst unrealistisch, dass Trumps ehrgeiziger Plan bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2029 voll­ständig umgesetzt sein wird. Zum einen bedarf es voraussichtlich noch vieler Schlüs­sel­techno­logien, deren Entwicklung Jahrzehnte er­fordern oder zumindest einem kaum vor­hersehbaren Zeitplan folgen würde. Selbst wenn für Golden Dome nur die Integration bestehender Technologien notwendig wäre, hat noch kein militärisches oder ziviles Regierungsprogramm in Frie­dens­zeiten jemals eine derart komplexe Integration in einem so engen Zeitrahmen erreicht.

Jenseits ihrer üblichen Selbstüber­schätzung scheint selbst die Trump-Admi­nistra­tion erkannt zu haben, dass mehr Zeit benötigt wird. Das Pentagon scheint zu­nächst der Integration von Daten- und Sensornetzwerken Vorrang zu geben, bevor an der Fähigkeit gearbeitet werden soll, weltraum­gestützte Waffen zu positionieren. Der erste Schritt besteht im Aufbau einer Satellitenkonstellation zur Verfolgung von Raketen, doch selbst die­ser Teil dürfte vor dem Ende von Trumps Amts­periode kaum realisierbar sein. So geht selbst das Pentagon in seinem Umset­zungs­plan davon aus, dass bis Ende 2028 ledig­lich eine kon­trollierte Demonstration unter Idealbedingungen mög­lich ist.

Allmählicher Fortschritt

Auch wenn die Trump-Regierung die Golden-Dome-Vision wohl nicht voll­ständig verwirklichen wird, deuten aktuelle Pläne und Investitionen darauf hin, dass die USA in den kommenden Jah­ren nach und nach Fortschritte bei der Rake­tenabwehr machen werden – auch im Weltraum, wo Sensorik und Datenintegration im Mittelpunkt stehen werden. Dieser allmähliche Fort­schritt wird maßgeblich von verschiedenen Interessengruppen vor­an­getrieben, die Weiterentwicklungen in der Raketenabwehr unterstützen. Der An­trieb scheint aus einer Kom­bination von militärischen Notwendigkeiten, strategischen Überlegungen, poli­tischen Anreizen und widerstreitenden Befindlichkeiten des US-Präsidenten zu stammen.

Die militärische Notwendigkeit, die Raketenabwehr zu stärken, hat mit den Veränderungen der Bedrohungslage zu­genommen. Vor allem haben sich die Groß­machtbeziehungen verschlechtert, was die Gefahr erhöht, dass die nukleare Schwelle überschritten wird. Sowohl Russland als auch China haben in Fähigkeiten investiert, die nicht nur darauf abzielen, die Machtprojektion der USA einzuschränken, son­dern auch einen Konflikt über das Niveau hinaus zu eskalieren, das Washington zu akzeptieren bereit ist. Zudem erschweren technologische Fortschritte die Raketen­abwehr erheb­lich: Präzisionslenkung ist allgegenwärtig geworden, und neuartige Flugprofile kön­nen bestehende Abwehr­systeme unterlaufen und sie potentiell obsolet machen.

Strategische Überlegungen treiben den Ausbau der Raketenabwehr ebenfalls voran. Manche sehen die Raketenabwehr als Instru­ment einer Counterforce-Strategie, indem sie gegnerische Vergeltungsschläge nach einem möglichen Erstschlag der USA ein­schränkt und so die Schadensbegrenzung unterstützt sowie Abschreckung und Rück­versicherung verstärkt. Andere bezweifeln, dass sich Golden Dome umsetzen lässt, sehen in dem Projekt jedoch Chancen für größere US-Investitionen in fortschrittliche Techno­lo­gien, um China und Russ­land in einen langfristigen, für sie nach­teiligen strategischen Wett­bewerb zu zwingen. Wieder andere betrachten die Investitionen in die Raketen­abwehr als Druckmittel, welches Washington eine bessere Position bei künftigen Verhand­lungen mit Peking und Moskau über Rüs­tungskontrolle ver­schaffen könnte.

Politische Anreize spielen vermutlich ebenfalls eine große Rolle. Die Raketen­abwehr spricht unterschiedliche Lager an: Isolationisten sehen darin einen Weg zur Selbst­genügsamkeit, Hardliner ein Instru­ment glo­baler Machtausübung. Für Trump und seine Verbündeten steht Golden Dome eher für politische Symbolik als für strate­gisches Kalkül, ähnlich wie die Mauer-Pläne für die mexikanische Grenze. Die Initiative soll Souveränität und Stärke demonstrieren. Diese Fokus­sierung auf Sichtbarkeit könnte jedoch zu unrealistischen Ent­wicklungs- oder Einsatzentscheidungen führen, denn komplexe Systeme mit langen Zeitplänen werden einen Präsidenten, der die öffent­liche Wahrnehmung über hand­feste Ergeb­nisse stellt, wohl kaum zufriedenstellen.

Schließlich scheinen auch persönliche Eigenheiten Trumps Einsatz für Golden Dome zu prägen. Seine Haltung zu Nuklear­waffen und Militärausgaben ist widersprüch­lich. Einerseits fordert er Abrüstung und den Rückzug aus globalen Verpflichtungen. Andererseits besteht er auf mili­tä­rische Dominanz der USA, auch wenn er gleichzeitig deren Grundlage schwächt. Wie einst Reagans Unbehagen gegen­über Nuklearwaffen zu SDI führte, will auch Trump nicht auf die Strategie der nuklearen Vergeltung setzen und bevorzugt die scheinbar praktische, aber vor allem sicht­bare Lösung im Bereich Abwehrsysteme. Zudem spiegelt sein Vertrauen in pri­vat­wirtschaftliche Innovationen den Glauben wider, dass amerikanische Technologie strategische Probleme lösen kann – eine Sichtweise, die zum Ziel hat, die zentralen Kompromisse globaler Verpflichtungen, brei­ter Allianzen und nuklearer Abschreckung zu umgehen.

Keine offene Auseinandersetzung

Auch wenn Trumps ambitionierte Golden-Dome-Vision schließlich nur im Ansatz ver­wirklicht wird, werden dennoch beträcht­liche Ressourcen in den Ausbau der US-Rake­ten­abwehr fließen. Für Deutschland und Europa ergeben sich daraus schwierige Abwägungen. Die große Unsicherheit rund um die Initiative erschwert eindeutige Schluss­folgerungen.

Zu den potentiellen Vorteilen gehören Fortschritte in der US-Raketenabwehr, wel­che die Rückversicherung der USA gegen­über Verbündeten stärken könnten. Dar­über hinaus könnten zusätzliche Investitio­nen in die Raketenabwehr technologische Innovationen in anderen kritischen Berei­chen beför­dern, etwa in der weltraum­basierten Sensorik. Das könnte den USA einen Vor­sprung vor China und Russland verschaffen. Auch dies könnte die Fähigkeit der USA erweitern, Europa Rückversicherung zu bie­ten. Erwartete US-Inves­titionen in weltraumgestützte Frühwarn- und Ortungssysteme könnten die Nato-Raketen­abwehr durch frühere und präzi­sere Ziel­zuweisungen verbessern und die Erfolgschancen europäischer Abfangsysteme er­höhen. Voraussetzung dafür wären jedoch ein belastbarer, rascher Daten­austausch sowie Freigabevereinbarungen.

Unabhängig vom tatsächlichen Erfolg des Projekts könnten zusätzliche Investi­tio­nen im Bereich Raketenabwehr Russland in Zugzwang bringen, eigene Res­sourcen in Gegenmaßnahmen umzuleiten. Angesichts des an­gespannten russischen Verteidigungs­haushalts, der überforderten Industriekapa­zi­täten und der personellen Anforderungen könnte gesteigerter Druck Moskaus Fähig­keit einschränken, seine Streitkräfte wie­der­aufzubauen und sich glaubwürdig auf einen Konflikt mit der Nato vorzubereiten. Innenpolitisch könnte die Verlagerung weiterer Mittel von zivilen zu militärischen Zwecken die sozio­ökonomische Belas­tung vergrößern. Auch wenn es Russ­land bisher gelungen ist, trotz externer Belastungen seine Streitkräfte aufzustocken, könnte dieser zusätzliche Druck zu mehr euro­päi­scher Sicherheit beitragen und langfristig Raum für diplomatische Bemühungen eröffnen.

Golden Dome könnte greifbare Vorteile für Europas Raketenabwehr bringen, beson­ders dann, wenn in den USA Innovationssprünge zu verzeichnen sind. Außer­dem könnte Europa von Teilaufträgen für das Projekt profitieren. Ein solcher Aufbau europäischer Expertise könnte überdies die eigenen Bestrebungen in der Raketen­abwehr beschleunigen. Denkbar wäre auch, dass bereits exis­tierende euro­päische Syste­me Teil der US-Infrastruktur werden.

Neben diesen potentiellen Vorteilen müs­sen jedoch auch die möglichen Nach­teile aufgeführt werden. Denn auf der anderen Seite steht zu befürchten, dass Ausgaben für die Raketenabwehr Finanzmittel aus wichtigen Bereichen abziehen, die für Europa und die Nato von entscheidender Bedeutung sind, wie die Einsatz­bereitschaft konventioneller Streitkräfte und die militärische Präsenz an der Ost­flanke der Nato. Daher könnte die Entwicklung des kostspieligen Golden Dome zulasten zuverlässigerer Fähigkeiten gehen.

Ferner könnten Fortschritte in der Raketenabwehr die strategische Stabi­lität beein­trächtigen, besonders in Krisenzeiten. Glaubt ein Staat, dass seine Nuklearstreitkräfte bald durch einen Prä­ventivschlag neutralisiert werden könnten und er sich nicht mehr auf seine Zweitschlags­fähigkeit verlassen kann, steigt der Anreiz zum Erstschlag.

Zudem birgt das offene Streben der US-Regierung nach nuklearer Unverwundbarkeit durch Raketenabwehrsysteme die Gefahr, die diplomatische Glaubwürdigkeit der westlichen Verbündeten in Frage zu stellen. In internationalen Foren präsentieren sich die westlichen Verbündeten als verantwortungsbewusste Akteure im Nukle­ar­bereich, die sich für die Erhaltung der bestehenden nuklearen Ordnung ein­setzen – im Gegensatz zum revisionistischen und destruktiven Verhalten Pekings und mehr noch Moskaus. Diese Darstellung ist indes schwerer aufrechtzuerhalten, wenn Wash­ington bereit erscheint, weltraumgestützte Systeme zum eigenen Schutz einzusetzen, und damit die Abschreckungs­fähigkeit ande­rer zu untergraben versucht – und wenn Verbündete der USA diese Haltung sogar unterstützen.

Schließlich könnten Washingtons Pläne es vor allem China und Russland erleichtern, ihre geplanten asymmetrischen Fähig­keiten in diesem Bereich zu rechtferti­gen und dann bestehende Programme weiterzu­entwickeln. Vor allem der Schwerpunkt auf weltraumgestützter Raketenabwehr könnte Moskau und Peking einen Vorwand liefern, Waffen im Welt­raum zu stationieren oder mehr in sie zu investieren. Außerdem erhöhen weltraumgestützte Abfangraketen das Risi­ko von Fehleinschätzungen bei Weltraumoperatio­nen. Die größte Gefahr liegt jedoch in der Verletzlichkeit von Satellitensystemen im Orbit: Angriffe auf Weltraumobjekte kön­nen Kettenreaktionen der Zertrümmerung auslösen. Diese Trüm­mer können die mili­tärische und zivile Infrastruktur bedro­hen, von der moderne Gesellschaften zunehmend abhängig sind.

Die Vorteile des Projekts Golden Dome sind ungewiss. Es überwiegen die poten­tiellen Nachteile und Risiken für Europa. Deshalb haben die Europäer ein Interesse daran, dass das Projekt die transatlantischen Bezie­hungen so wenig wie möglich belastet. Aller­dings kann Europa nur be­grenzten Einfluss auf die Raketenabwehr­agenda der Trump-Regierung ausüben. Bislang hat das Weiße Haus europäischen Positionen kaum Beachtung geschenkt. Zudem werden die dem Projekt zugrunde liegenden Technologien überwiegend in den USA entwickelt, sodass Washington wenig Anlass dafür sehen dürfte, Europa einzubinden. Da die Rüstungskontrolle mit Russland und China ins Stocken geraten ist, fehlen Europa auch die diplomatischen Kanäle, um den Prozess aktiv mitzugestalten oder kooperative Lösun­gen voranzutreiben.

Um seinen Spielraum bestmöglich zu nutzen, sollte Europa vereint auf­treten und sich vor allem nicht als Hinder­nis für US-Innovationen positionieren, son­dern als Partner, der sich für eine verantwortungsvolle und strategisch sinnvolle Entwicklung der Raketenabwehr einsetzt. Zwar besitzt Europa keine direkten diplo­matischen Hebel. Dennoch hilft es der euro­päischen Positio­nierung, wenn die eigene Raketenabwehr und die eigenen Früherkennungs­systeme weiter geplant und ausgebaut wer­den. Gelingt es Europa auf diese Weise, von einer stärkeren Position aus zu verhandeln, erhöht es seine Chancen, von der Regierung Trump ernst genommen zu werden. Gleich­zeitig könn­ten europäische technologische Durchbrüche in Golden Dome ein­fließen, was wiederum den Verhandlungsspielraum erweitern würde. Europa sollte sich nicht öffentlich gegen die Pläne der Trump-Admi­nistration stellen, sondern Bedenken besser hinter verschlossenen Türen äußern. Hier­bei sollten die Fragilität des Weltraums und mögliche unbeabsichtigte Folgen hervorgehoben werden. Ferner sollte Deutschland die diplo­matischen Bemühungen um ver­antwortungsvolles Verhalten im Weltraum fortsetzen, auch im Rahmen der Vereinten Nationen.

Dr. Liviu Horovitz ist Wissenschaftler, Juliana Süß Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order).

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN (Print) 1611-6364

ISSN (Online) 2747-5018