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Was den Westen und Russland in der Ukraine verbindet

Weder Russland noch der Westen können der Entstehung eines großen versagenden Staatswesens in Europa tatenlos zusehen. Der Westen wird bei seiner Unterstützung für die Ukraine auf ein konstruktives Zusammenwirken mit Moskau angewiesen sein, meint Ekkehard Brose.

Kurz gesagt, 01.04.2014 Research Areas

Putins Landnahme auf der Krim hat die politische Großwetterlage geändert. Die Unsicherheit über seine Motive und sein weiteres Vorgehen ist groß; die Entwicklung in der Ukraine selbst ungewiss. Allerdings: Weder Russland noch der Westen können der Entstehung eines großen versagenden Staatswesens in Europa tatenlos zusehen. Der Westen wird bei seiner Unterstützung für die Ukraine auf ein konstruktives Zusammenwirken mit Moskau angewiesen sein, meint Ekkehard Brose.

Die Auflösung der Sowjetunion und ihres Machtbereiches ist das Trauma einer ganzen Generation im daraus hervorgegangenen Rumpfstaat Russland. Staatspräsident Putin hat dieses Empfinden in eine politische Strategie umgemünzt, welche Russland konsolidieren und Schritt um Schritt wieder auf Augenhöhe mit den USA führen soll. Er weiß, dass dazu neben militärischer Macht vor allem eine breite, leistungsfähige wirtschaftliche Basis unabdingbar ist. Auch deshalb positioniert sein Eurasien-Konzept Russland als Brücke zwischen dem aufstrebenden Asien und einem wohlhabenden Europa, an der wirtschaftlich und politisch kein Weg vorbei führen soll.

Die Annexion der Krim stellt das strategische Ziel Russlands gleich mehrfach in Frage. Putins rücksichtsloses Fakten-Schaffen begleitet von völkischen Untertönen verschreckt die ganze Region. Eurasien ist als Zwangsjacke sowjetischen Musters entlarvt und politisch tot. Auch die ohnehin prekäre russische Wirtschaft wird weiter geschwächt. Die Krim mit ihren schwerwiegenden Wirtschaftsproblemen lastet nunmehr zusätzlich auf Russland. Westliche Investitionen, als Quelle von Innovation für Russland unerlässlich, werden spärlicher fließen. Währungskurs, Aktienmarkt und Kapitalexporte senden bereits heute die untrüglichen ersten Zeichen. Putin zahlt für sein Vorgehen auf der Krim selbst gemessen an seinen eigenen Zielen einen sehr hohen Preis. Eine weitere Destabilisierung der Ukraine würde den Preis ins Unermessliche steigern. Deshalb erscheint eine weitere Aggression Russlands derzeit wenig plausibel. Das ist eine rationale Erwartung; keine Garantie. Der Westen muss für alle Fälle vorbereitet sein: Sollte Russland über die Krim hinaus weiter ausgreifen, militärisch drohen oder anderweitig destabilisierende Schritte unternehmen, so werden weitreichendere, schmerzhafte Sanktionen des Westens unausweichlich.

Die Gretchenfrage des Ost-West-Verhältnisses

Wie aber geht es weiter in der Ukraine? Eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage wird der Westen nur zusammen mit Russland finden können. Sie wird schon sehr bald zur Gretchenfrage der Gestaltung des weiteren Ost-West-Verhältnisses werden.

Fest steht: Weder Russland noch der Westen können der Entstehung eines großen versagenden Staatswesens in Europa tatenlos zusehen. Deswegen wird der Westen die Ukraine nach Kräften wirtschaftlich und politisch auf dem eingeschlagenen Weg unterstützen. Er wird dabei auch auf das zielgerichtete Zusammenwirken mit Russland angewiesen sein. Daher dürfen die Bemühungen, Russland insoweit einzubinden, auch nicht abreißen. Die Ukraine bedarf der Anbindung an westliche Märkte, Normen und Ideen ebenso notwendig wie des Erhalts russischer Exportmärkte, einer sicheren Gasversorgung und stabiler Beziehungen zu ihrem östlichen Nachbarn. Eine positive Wirtschaftsentwicklung ist entscheidende Voraussetzung für die politische Stabilisierung des Landes. Nur in Verbindung mit grundlegenden Reformen kann jedoch die Hilfe von außen zur Initialzündung eines wirtschaftlichen Aufbruchs im Innern werden. In diesem Kontext sollte man auch über Formen der Dezentralisierung nachdenken. Die Präsidentenwahlen im Mai bieten zunächst die Chance, die Legitimität der unmittelbar aus dem Maidan-Aufstand hervorgegangenen politischen Führung des Landes demokratisch zu stärken. Dann kommt es entscheidend darauf an, ob es der Ukraine gelingt, mit Korruption und Misswirtschaft zu brechen.

Einen Teil dieser komplizierten Gleichung bestimmt der Westen selbst: Die EU, der Internationale Währungsfonds, die reichen westlichen Staaten werden den überwiegenden Anteil an Geld und Expertise für einen “Marshallplan Ukraine“ zur Verfügung stellen müssen. Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle.

Für den anderen Teil der Unterstützung ist die Ukraine auf Russland angewiesen. Hier wird sich sehr schnell zeigen, ob Putin tatsächlich an fairen Bedingungen für eine stabile, freie Entwicklung in der Ukraine interessiert ist. Der Westen sollte ihn hier beim Wort nehmen. Wählt Putin wirtschaftlichen oder politischen Druck statt Kooperation, so wird dies die Ukraine – und auch den sie unterstützenden Westen - vor gewaltige Probleme stellen. Der daraus resultierende Dauerkonflikt im Osten Europas würde das internationale politische Klima auf Jahre vergiften und Russland selbst enorm schaden.

Ekkehard Brose verfasste diesen Text während eines Forschungsaufenthalts bei der SWP. Er ist Ministerialdirigent im Auswärtigen Amt und war von 1987 bis 1990 sowie von 2007 bis 2010, zuletzt als Wirtschaftsgesandter, an der Deutschen Botschaft in Moskau eingesetzt. Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

Der Text ist auch bei EurActiv.de, Handelsblatt.com und Zeit.de erschienen.