Wackelige Brandmauer? Wie Rechtsaußenparteien die Politik in Europa beeinflussen
SWP-Podcast 2025/P 24, 02.10.2025 Research AreasNationalistische und populistische Parteien sind in vielen EU-Mitgliedstaaten auf dem Vormarsch. Kai-Olaf Lang und Nicolai von Ondarza erklären, welche Unterschiede es zwischen den Parteien gibt und wie diese den Kurs der EU in der Klima-, Migrations- und Sicherheitspolitik beeinflussen.
Hinweis: Dieses Transkript wurde mithilfe von KI generiert. Es handelt sich somit nicht um einen redaktionell erstellten und lektorierten Text.
Moderator: Auf diesen Mann kommt es an in Europa.
O-Ton Manfred Weber (EVP): Und es zeigt sich halt auch, dass die Mechanismen, die wir in Europa heute haben, wirklich kräftig durchgestalten zu können, nicht ausreichen, weil uns die Einstimmigkeit immer wieder blockiert.
Moderator: Das ist Manfred Weber, CSU-Europapolitiker und Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Er ist, so sagt es zumindest einer meiner Gäste heute in dieser Folge des SWP-Podcasts, entscheidend für den weiteren Umgang mit den Parteien und Fraktionen rechts der EVP. Rassemblement National aus Frankreich, AfD aus Deutschland, die ungarische Fidesz-Partei von Viktor Orban oder auch Ano aus Tschechien. Soll die EVP mit ihnen im großen Stil kooperieren und so kräftig durchgestalten, wie Weber es nennt? Oder soll sie es eben nicht, weil so auf die schleichende Integration der Rechten eine schleichende Entkernung der politischen Mitte folgen könnte? Und wie immer, was hat Donald Trump damit zu tun? Fragen, die wir jetzt klären mit Dr. Nicolai von Ondarza und Dr. Kai Olaf-Lang aus der Forschungsgruppe EU-Europa. Hallo Ihnen beiden. Hallo. Hallo. Und mein Name ist Dominik Schottner. Hallo auch von meiner Seite. Herr von Ondarza, ich wähle mal ein Bild für die Europäische Union. Das sind 27 Länder, eine große Politik-WG, in der es aber auch einige Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gibt, die dieses Konstrukt nach ihren Regeln, ich sag mal diplomatisch grundlegend verändern wollen. Wo sitzen denn heute schon rechtspopulistische und Rechtsextreme in den Regierungen, die genau das wollen?
Nicolai von Ondarza: Ja, Rechtsaußenparteien sind mittlerweile in vielen Regierungen in Europa beteiligt. Ich würde das Bild aber ein bisschen erweitern. Eher eine Eigentümergemeinschaft. Also jedes Land hat so seine eigene Wohnung, wo es auch die eigenen Regeln setzt, schickt dann aber in die Eigentümergemeinschaft ihre Vertreter. Und die letzten Jahre und Jahrzehnte waren das dann immer die Parteien der Mitte, die die Regierungen gebildet haben. Aber mittlerweile, wenn wir uns sozusagen die politische Landkarte in Europa angucken, dann sind es neun Länder, in denen Rechtsaußenparteien, also die rechts der christdemokratisch-konservativen Parteien stehen, die dann an den Regierungen beteiligt sind. Das kann sehr unterschiedlich sein. Reicht von fast alleiniger Regierung wie Viktor Orban in Ungarn über Giorgia Meloni in Italien, die eine Koalitionsregierung anführt, bis hin zu Rechtsaußenparteien, die als Juniorpartner in Koalitionen beteiligt sind. Aber die entscheiden eben mit und schicken dann ihre Vertreter zur Eigentümergemeinschaft, die dann gemeinsam über die Regeln in dem Europäischen Haus entscheidet. Was vielleicht aber auch noch wichtig ist, es war die Frage nach rechtsaußen- und rechtsextremen Parteien. Man muss sagen, dass die Parteien vom Rechtsaußenspektrum, die an Regierungen beteiligt sind, größtenteils eher noch zu den etwas moderateren Nationalkonservativen gehören, die zum Beispiel wie Giorgia Meloni grundsätzlich die europäische Integration unterstützen und nicht komplett sich von der EU abwenden wollen. Und das Dritte, was vielleicht noch wichtig zu sagen ist, wir sind ja gestartet mit der Frage nach Herrn Weber und der Rolle der Europäischen Volkspartei. In sieben von neun von diesen Staaten regiert gemeinsam die EVP mit den Rechtsaußen, entweder als größerer oder kleinerer Partner. Also hier sieht man schon, wenn Rechtsaußen in Europa regiert, dann eigentlich immer mit der Mitte-Rechtspartei-EVP.
Moderator: Und welche Rolle Manfred Weber da vielleicht auch persönlich spielt und wie seine EVP da auch den Rechtsaußenparteien vielleicht den Weg ebnet oder eben gerade nicht, das besprechen wir auch. Herr Lang, wir wollen uns ja heute auch insbesondere Mittel- und Osteuropa anschauen, Ihr Feld der Expertise, auch weil dort ein, ich sag mal, Schwerpunkt von erstarkenden rechten Parteien sich findet. Warum ist das so? Oder stimmt das gar nicht?
Kai-Olaf Lang: Also wenn wir auf die Wahlgeografie schauen, auf die elektorale Landkarte in der Europäischen Union, dann sehen wir natürlich, dass nationalistische Parteien unterschiedlicher Couleur im Osten, im Westen, im Norden und im Süden Terraingewinne in den letzten Jahren und Jahrzehnten verbuchen konnten. Aber natürlich gibt es in Ost-Mitteleuropa, ich glaube, ein paar Besonderheiten, die vielleicht auch ganz instruktiv sind. Also einerseits liegen sie im Trend, aber vielleicht sind es auch die Trendsetter. Und ich glaube, dazu gehören unter anderem folgende Faktoren. Ich glaube, im östlichen Teil der Europäischen Union, also Ländern und Gesellschaften, die ja auch sehr starke Transformationsprozesse durchlaufen sind, deren Demokratien 1989, 1990 dann erstmal wieder gestartet werden mussten, gibt es zum einen ein sehr starkes Gefühl des Desencanto in den Gesellschaften, also der Frustration, der Enttäuschung, weil oft die Erwartungen sehr hoch waren. Das heißt, lange Zeit, zumindest war es in diesen Ländern so, dass es nicht einen Amtsbonus, einen Kanzlerbonus oder so etwas gab für regierende Parteien, sondern in der Fachterminologie nennt man das Anti-Incumbency-Voting. Also die Parteien, die am Ruder sind, die müssen mit den Kosten des Regierens fertig werden. Das heißt, man hat gute Chancen, wenn man in der Opposition ist. Und das sind halt oftmals auch nationalistische, populistische Parteien gewesen. Zweites Element, natürlich gibt es gerade in diesem Teil Europas, auch in Teilen der Gesellschaft und der politischen Klasse, eine starke Sehnsucht nach Souveränität. Also Themen, die natürlich von Parteien bedient werden, die sehr stark sich auch abgrenzen gegenüber Kompetenzen der Europäischen Union. Und das Dritte ist sicherlich, die Parteiensysteme sind überall in der Europäischen Union natürlich in einem Prozess der Entinstitutionalisierung. Aber wir sehen im östlichen Teil natürlich, auch wenn es sich teilweise gefestigt hat, dass die Bindungen zwischen der Wählerschaft und etablierten Parteien nicht so stark waren, dass oftmals Parteiensysteme entweder polarisiert sind, dann sind sie einigermaßen stabil, oder aber fragmentiert sind und sehr oft Neueinsteiger, die mit sehr markigen Parolen kommen, oftmals gute Chancen haben. Ich würde, wenn ich einen Strich drunter mache, zwei Dinge betonen. Wir sehen im östlichen Mitteleuropa natürlich, wie schillernd dieses Phänomen ist. Und wir haben ja heute auch Schwierigkeiten mit rechts und links in der politischen Parteienlandschaft. Also wir sehen gerade im östlichen Mitteleuropa, dass es eher Populisten, antipolitische Gruppierungen teilweise sind, auch unkonventionelle Reformparteien, die teilweise auftauchen. Und zum anderen geht es, glaube ich, sehr stark um Nationalismus. Und der Nationalismus kann von rechts kommen. Der kann aber auch, wie im Falle der Slowakei mit Herrn Fico und seiner Koalition, eher von links kommen. Und dann haben wir Herrn Babiš in der Tschechischen Republik. Der ist da sehr schwer eigentlich in Kategorien zu pressen, auch wenn er mit Viktor Orban und der Partei der Patrioten für Europa sich eigentlich einigermaßen klar aufgestellt hat.
Moderator: Ja, Babiš ist ein gutes Stichwort. Der ist ja einer von diesen Quereinsteigern, würde man heutzutage wahrscheinlich sagen. Er ist Milliardär mit einer, ich glaube, landwirtschaftlichen Firma groß geworden, reich geworden und hat dann vor einem guten Jahrzehnt entschieden, jetzt würde er gern in die Politik gehen. In diesen Tagen, während wir jetzt sprechen sozusagen, wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt. Und Babiš liegt in den Umfragen klar vorne. Was verspricht er den Menschen, was offensichtlich so gut ankommt?
Kai-Olaf Lang: Obwohl er ein Großunternehmer ist, laut der Forbes-Liste Tschechien siebtreichster Mann des Landes, hat er es immer wieder verstanden, sich als Stimme des Volkes zu profilieren. Und seine Gruppierung, die er ursprünglich mal als liberale Partei gestartet ist, hat dann sehr stark so eine Art mitfühlenden Populismus im Prinzip praktiziert. Er hat im Grunde es in einen Bereich vorgestoßen, der verwaist war, weil die tschechische Sozialdemokratie beispielsweise nicht mehr ein marginales Phänomen ist. Das ist, glaube ich, der eine Punkt. Und dadurch grenzt er sich inhaltlich ab, insbesondere von der jetzigen Regierung, die einen liberal-konservativen, fiskal-konservativen Ansatz hat. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt bei dem Ganzen. Und dazu spürt Babis, und das ist im Grunde das Opportunistische oder Populistische, wenn man so will, wie die Stimmungen sind. Und er läuft diesen Stimmungen hinterher, bedient sie und spürt natürlich, dass das Thema Migration, die Aversion gegen die Klimapolitik, auf die er und diese einigen, die hohen Energiepreise im Lande schieben, dass das zieht. Und damit versucht er auch in puncto Ukraine, Krieg und so weiter zu punkten. Also es ist im Prinzip auch ein klassischer Populist, weil er eben anpassungsfähig ist. Klingt wie Donald Trump. Er ist aber eigentlich kein Trump. Er ist sicherlich auch, er ist eher viel stärker als Self-Made-Man, der Trump ja ist nicht. Und er hat kein ideologisches Hinterland wie die MAGA-Bewegung. Es gibt keine Think-Tanks um Ano herum. Es gibt keine publizistische Landschaft. Es ist schon sehr stark eine One-Man-Show. Und Babis lebt auch sehr stark davon, dass er direkt kommuniziert. Dass er im Grunde sehr basal, sehr einfach, würden manche sagen, kommuniziert und eben in den sozialen Medien natürlich auch sehr präsent ist. Er macht halt ein Filmchen auf Instagram mit einem Gockelhahn. Und er sagt, dieser Gockelhahn, der mag kein Getreide aus der Ukraine. Und ich bin da auch skeptisch, weil es unsere Landwirte in die Prädouille bringt. Also das verfängt dann bei vielen.
Moderator: Und warum ist das Thema Ukraine so präsent in Tschechien? Und wo ordnet sich Tschechien beziehungsweise Babis dann da eben ein mit den anderen mittelosteuropäischen Regierungen, die ja auch ihr jeweils eigenes Süppchen da kochen?
Kai-Olaf Lang: Das Thema Ukraine ist natürlich überall präsent. Aber es gibt natürlich zum einen das Thema Flüchtlinge aus der Ukraine, Flüchtlinge und Wohlfahrtsmaßnahmen, Sozialleistungen, die sie kommen und Ähnliches. Das war auch bei den letzten polnischen Präsidentschaftswahlen ein großes Thema und vieles andere mehr. Und er kokettiert natürlich mit der Idee, er und die Anno sind ein wenig die Friedenspartei. Aber man muss dazu sagen, er ist nicht so jemand wie die harten Nationalisten von der Partei mit dem schönen Namen SPD, die wirklich recht extrem sind. Nein, oder auch wie die wie die im Wesentlichen um die frühere, um die kommunistische Partei herum formierte Gruppierung Stachilo, die im Grunde russlandfreundlich sind. Er sagt halt, naja, wir müssen unser Ukraine-Engagement ein bisschen zurückschrauben, bilateral und die Munitionsinitiative, die die Regierung Fiala da angestoßen hat und einen wichtigen Akzent auch der Unterstützung der Ukraine, für die Ukraine damit setzte. Das würde er nicht mehr machen. Aber ich glaube nicht, dass er in puncto Sanktionen beispielsweise versuchen würde, den Stock in die Speichen der Europäischen Union zu stecken. Also auch hier wieder, er spürt Stimmungen auf in einem beachtlichen Teil der Wählerschaft, aber vielleicht nicht mal in der großen Mehrheit. Aber irgendwie meint er, dass er damit punkten kann.
Moderator: Über Tschechien hinaus ist das Thema Ukraine auch sehr interessant, weil es eben zeigt, wie gespalten und unterschiedlich diese Rechtsaußenparteien sind.
Nicolai von Ondarza: Also es gibt eben diejenigen wie Viktor Orban oder auch Babiš, die sich sehr kritisch gegenüber der Ukraine äußern. Es gibt aber auch mittlerweile eine ganze Reihe an Rechtsaußenparteien, die sich im Sinne einer eurotransatlantischen Ordnung, dann manchmal auch im Schulterschluss mit Donald Trump, für eine Unterstützung der Ukraine äußern. Also ich denke da beispielsweise an Giorgia Meloni in Italien, die eine sehr, sehr starke Pro-Ukraine-Position vertritt. Die nordischen Rechtsaußenparteien, die in Finnland an der Regierung beteiligt sind, in Schweden die Minderheitsregierung tolerieren, haben sich auch sehr dem nationalen Konsens zur Unterstützung der Ukraine und pro EU, pro NATO angeschlossen. Und das zeigt eben auch, dass selbst, wenn diese Rechtsaußenparteien an nationalen Regierungen beteiligt sind und mitentscheiden, sie nicht als Block europaweit auftreten, der die EU in eine Richtung zieht, sondern durchaus immer noch nationale große Unterschiede haben.
Moderator: Wir wollen das Bild ein bisschen weiten, den Blick ein bisschen weiten Herr von Ondarza und wir schauen vor allem in der Zeit ein bisschen nach vorne. 2027, also in ein bisschen weniger als zwei Jahren, wird auch spätestens dann in Frankreich gewählt werden, in Polen gewählt werden, in Spanien gewählt werden. Und in all diesen Ländern sind rechte bis ultrarechte Parteien nicht nur schon da, sondern auch sehr präsent da und haben gute Chancen, künftig in irgendeiner Form an der Regierung beteiligt zu sein. Welche Auswirkungen wird das auf Europa haben?
Nicolai von Ondarza: Ja, wenn man sich diese, wir kommen noch mal auf das Bild zurück, der Eigentümergemeinschaft mit den einzelnen 27 Wohnungen anguckt, dann ist es eben nicht nur ein Phänomen in Mittel- und Osteuropa, dass Rechtsaußenparteien gewinnen, sondern wenn man sozusagen guckt, sind es eigentlich nur drei EU-Staaten, wo keine Rechtsaußenpartei im Parlament vertreten ist. Und in den meisten sind sie eben, wenn sie nicht an der Regierung beteiligt sind, zumindest erste oder zweitstärkste Oppositionspartei. Und das heißt eigentlich, dass bei jeder europäischen Wahl und in 27 Staaten finden eigentlich permanent immer Wahlen statt. Man gucken muss, kommen sie jetzt an die Regierung, was bedeutet das? Und ich glaube, es sind so zwei, drei Sachen. Die wichtigen Wahlen sind jetzt schon genannt worden. Das sind 27 mit Sicherheit Frankreich, Polen, Spanien und Italien, also vier der größten EU-Staaten. Und worauf man da achten soll, wären für mich drei Dinge. Das Erste ist, bei allen diesen besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Rechtsaußenparteien entweder den Wahlkampf sehr stark bedingen oder Teil der Regierung werden. Das Zweite ist, gerade Frankreich ist so wichtig, weil da die Präsidentschaftswahl wirklich eine Hopp- oder Top-Entscheidung ist. Und wenn da Marine Le Pen oder Jordan Bardella die Wahl gewinnt vom Rassemblement National, dann können sie wirklich den französischen Staat umgestalten. Und das Dritte ist, dass diese Wahlkämpfe ja auch ihren Schatten vorauswerfen. Also all die Regierungen in diesen Staaten, das können wir jetzt ja auch von Deutschland gucken darauf, wie wirkt sich Entscheidungen auf europäischer Ebene auf meine nationale Politik an. Und das schränkt den Handlungsspielraum ein, gerade in einer Zeit, wo Europa so außen- und sicherheitspolitisch herausgefordert ist. Und da müssen die politischen Verantwortlichen einen Weg finden, diese Parteien ein Stück weit auch so zu integrieren, dass nicht jede dieser Wahl zu einer Existenzfrage Europas wird. Weil wenn wir in eine Europäische Union hineinkommen, wo man sich vor jeder Wahl die Frage stellt, kann die EU das überleben, wenn in Frankreich, wenn in Italien, wenn in Polen, wenn in Spanien die Rechtsaußenpartei gewinnt? Ich glaube, dann hat diese Europäische Union keine Zukunft.
Moderator: Wir sprechen ja, oder Sie sprachen jetzt gerade immer über die nationalen Ebenen. Gibt es denn etwas, da sind wir auch wieder beim Bild des Hauses, sowas wie eine Brandmauer in den jeweiligen Ländern? Oder ist die eigentlich, ist das eine rein deutsche Erfindung?
Nicolai von Ondarza: Das ist keine rein deutsche Erfindung. Also in Brüssel spricht man von dem Condon Sanitaire, also sozusagen den Ring. Eher ein medizinischer Begriff. Das gibt es in vielen, aber eben nicht allen europäischen Gesellschaften. Und da sieht man auch durchaus die großen Unterschiede. Beispielsweise im skandinavischen Raum ist es relativ normal, Rechtsaußenparteien, wenn sie eine gewisse Größe erreichen, an den Regierungen zu beteiligen. Wir haben gesehen, in den Niederlanden gab es jetzt eine Regierung, die aber dann zerbrochen ist. Da wird ja auch bald wieder gewählt. Also das ist schon durchaus ein Element, was sich in vielen europäischen Staaten wiederfindet. In Deutschland aber besonders stark, wegen unserer Geschichte. Aber auch, weil die AfD im Vergleich zu vielen anderen europäischen Rechtsaußenparteien mittlerweile relativ extrem geworden ist, sodass beispielsweise ja auch Marine Le Pen nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten wollte und sie aus der gemeinsamen Fraktion geworfen hat. Im europäischen Parlament. Im europäischen Parlament. Und das bedeutet, dass bei dieser Diskussion über wie weit wirken Rechtsaußenparteien auf europäischer Ebene mit, diese Differenzierung zwischen den verschiedenen Strömungen so wichtig ist. Und wir in unserer Analyse schon sehr, sehr stark konstatieren, dass dieser moderate Teil der Nationalkonservativen, auf europäischer Ebene nennen sie sich die europäischen Konservativen und Reformer, immer stärker Teil des europäischen Mainstream werden. Aber der ganz, ganz harte Teil der europäischen Rechtsaußenparteien durchaus noch, ob man es jetzt Brandmauer, Kordon Sanitär nennt, weder auf Regierungsebene noch im europäischen Parlament wirklich an den Entscheidungen mit dabei ist.
Kai-Olaf Lang: Wobei man natürlich auch sieht, dass selbst innerhalb dieses EKR ja eine sehr breite Spannbreite abgedeckt wird. Da haben wir Parteien wie die Recht und Gerechtigkeit bis hin auf der anderen Seite zu Herrn Fiala, dem jetzigen Regierungschef mit seiner ODS, der eine liberal-konservative Partei ist, wo es noch so ein paar, so eine europaskeptische Unterströmung gibt, der aber sehr pragmatisch und mittig ausgerichtet ist und der ja eine, in Anführungszeichen, europafreundliche Koalition anführt und der der Gegenspieler von Babis ist. Und nehmen Sie mal ein ganz anderes Beispiel. Litauen, sozialdemokratisch geführte Regierung mit einer Koalition, in der eine Partei ist, mit dem schönen Namen, die Morgendämmerung der Memel, also des Flusses. Das ist aber jemand, der sehr stark antisemitische Äußerungen hat, der Parteichef und auch andere merkwürdige Figuren, die da drin sind. Sozialdemokratische Partei, die mit denen kooperiert. Das Land blieb aber auf Kurs. Das ist außenpolitisch, europapolitisch, sicherheitspolitisch natürlich auf Kurs geblieben. Das heißt, ich würde das so sehen, diese Frage mit der Brandmauer, in vielen Ländern stellt sie sich gar nicht, weil wir nämlich dort eine harte Lagerbildung haben. In Ungarn oder in Polen geht es ja nicht darum, ob die Liberalen mit den Nationalkonservativen zusammenarbeiten, sondern dort heißt es einfach, wer wen, welches der beiden Lager obsiegt. Und in anderen Ländern geht man eben, wie das Nicolai von Ondarza ja schon dargestellt hat, pragmatische damit um und lässt sich entweder tolerieren oder geht teilweise sogar Koalitionen ein.
Moderator: Das heißt also, wir sehen, dass dieses, ich nenne es jetzt mal Lager, einfach der Einfachheit halber ja auch sehr dynamisch ist. Da gibt es auch Wechsel zwischen den Fraktionen, Austritte, Neugründungen. Wir müssen kurz noch Manfred Weber da an der Stelle ins Spiel bringen, weil er ja hin und wieder zumindestens auch vor die Frage gestellt ist, sage ich mal ganz diplomatisch, vielleicht mit ihnen zu kooperieren. Wie macht er das? Wie schlägt er sich da bislang?
Nicolai von Ondarza: Ich würde weitergehen. Er wird nicht nur vor die Frage gestellt, sondern es ist für Manfred Weber als Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zunehmend ein taktisches Mittel und eine zentrale Frage, welche Mehrheiten auf europäischer Ebene gesucht werden. Denn die EU wird ja immer gescholten als nicht komplett demokratisch, aber man sieht sehr gut, gerade Europawahlen haben auch Auswirkungen. Denn seit letzten Juni ist es so, dass es im EU-Parlament zwei alternative Mehrheiten gibt. Es gibt einmal, ich nenne sie mal die von der Leyen-Mehrheit der pro-europäischen Mitte, also die konservative EVP zusammen mit Sozialdemokraten und europäischen Liberalen. Die treffen die Grundsatzentscheidung über die Zukunft der Europäischen Union, haben Frau von der Leyen als Kommissionspräsidentin gewählt. Und dann gibt es eine alternative Mehrheit von Mitte rechts bis ganz rechts außen, also von der EVP über den jetzt eben genannten EKR zu den Patrioten für Europa bis hin zu einzelnen Abgeordneten der AfD mit ihrer Mini-Fraktion. Und diese Mehrheit ist jetzt nicht nur rechnerisch möglich, sondern wurde in den letzten Monaten schon mehrfach benutzt in Einzelfällen, wo also Manfred Weber mit seiner EVP entschieden hat, hier wollen wir nicht den Kompromiss mit Mitte links suchen, sondern wollen unsere Politik besser durchsetzen in Kooperation, in Einzelfällen mit Rechtsaußenparteien. Und das betrifft manchmal so, ich nenne es mal vornehm obskure außenpolitische Resolutionen wie zu Venezuela oder Kolumbien. Es betrifft aber eben auch Kernprojekte der Europäischen Union wie einen Rückbau des Green Deals bei der Entwaldungsverordnung oder einen Beschluss im Europäischen Parlament, sich die Finanzierung von Zivilgesellschaft genauer anzugucken. Etwas, was gerade Nationalkonservative vorangetrieben hat. Was heißt das in Zahlen? Also kann man sagen, die stimmen bei jeder zweiten Abstimmung gemeinsam oder bei jeder dritten? Also das ist noch sehr unterschiedlich. Also in Zahlen kann man sagen, hauptsächlich entscheidet immer noch die proeuropäische Mitte. Aber diese Nationalkonservativen, die europäischen konservativen Reformer, sind mittlerweile näher an dieser Mitte dran als die europäischen Grünen. Die werden also zum politischen Mainstream.
Moderator: Ganz kurz zu diesen Reformern gehört, unter anderem Georgia Meloni.
Nicolai von Ondarza: Genau, dazu gehört Meloni, aber eben auch die polnische PIS. Und dann die ganz weiter rechts außenstehenden selbsternannten Patrioten für Europa. Mit denen stimmt die EVP eben weiterhin nur in sehr ausgewählten Fällen. Ich glaube, wir kommen jetzt auf ungefähr sechs bis sieben Einzelfälle. Das heißt, es ist immer noch eine Ausnahme, aber eine Ausnahme, die zumindest regelmäßig genutzt wird und natürlich auch als Druckmittel bei allen Verhandlungen in Brüssel eine Rolle spielt, wo Manfred Weber und die EVP zu den Sozialdemokraten und Liberalen sagen können, wenn ihr keinen Kompromiss angeht, dann haben wir eben eine alternative Option. Und das verändert die ganze Dynamik im Brüsseler Verhandlungssystem im Europäischen Parlament.
Moderator: Was sagen die Grünen, die Linken dazu? Wie verhalten die sich dann? Knicken die ein oder halten die dagegen?
Nicolai von Ondarza: Die stehen vor einer schwierigen Lage, vor allen Dingen eben die Sozialdemokraten und Liberale, weil sie eben wissen, dass es ohne die EVP auch für sie keine Mehrheit mehr gibt. Das heißt, es gibt entweder nur die Mehrheit der Mitte oder die Mehrheit rechts bis rechtsaußen. Und das bringt in dieser Situation die EVP in eine starke Rolle. Teilweise versuchen die europäischen Sozialdemokraten, das da natürlich dagegen zu halten und machen das politisch zu einem Thema. Wir erinnern uns, kurz vor der Sommerpause gab es ein Misstrauensvotum gegen die Kommission von Ursula von der Leyen, die von rechtsaußen angestrebt worden war, wo dann aber die Sozialdemokraten gesagt haben, wir stimmen nur dafür, wenn dieses Taktieren aufhört. Und Ursula von der Leyen ist durchaus beispielsweise bei ihrer State of the Union-Rede im September auf die Parteien links der Mitte zugegangen und hat signalisiert, ich will weiter mit euch zusammenarbeiten. Aber in derselben Plenarsitzung hat die EVP noch mal mit rechtsaußen zusammen abgestimmt. Also dieses Spiel wird gespielt. Die Sozialdemokraten wie der Europäische Wahlen haben einen Einfluss. Sie sind jetzt in einer schwächeren Position und müssen das erst mal akzeptieren. Aber auch für die EVP ist das natürlich ein schwieriges Spiel, denn wir sehen das Risiko in einzelnen Nationalstaaten, dass sie über diese Kooperation mit rechtsaußen die Politik legitimiert und auch überholt werden kann. Beispielsweise Italien, wo die EVP-Parteien lange dominiert waren und jetzt der Juniorpartner in einer Koalition mit Giorgia Meloni sind.
Moderator: Herr Lang, zum Schluss. Wie kann Deutschland auf Nachbarländer wie Tschechien oder eben auch Polen, oder ist kein Nachbarland, aber liegt nicht so wahnsinnig weit weg, die Slowakei, einwirken in dieser Sache möglicherweise?
Kai-Olaf Lang: Also das Bild ist wahrscheinlich jetzt auch schräg, aber die Europäische Union ist in gewisser Weise so eine Art Aktiengesellschaft, bei der alle Anteilseigner eine goldene Aktie besitzen. Also auch eine Sperrminorität in vielen Bereichen. Das heißt, man muss versuchen, sehr oft da Kompromisse zu finden und diejenigen, die sich querlegen, von ihrer Position wegzubekommen. Das ist natürlich nochmal eine andere Ebene als das Brüsseler Institutionensystem, wobei ich schon glaube, auch in Brüssel gibt es natürlich Argumente dafür, im Prinzip wohl dosiert und wohl überlegt, Hände auszustrecken und Brücken zu bauen. Das heißt, auch für Deutschland natürlich, wir haben Nachbarländer, beispielsweise im östlichen Mitteleuropa, aber nicht nur dort, wo es eben Regierungen ganz unterschiedlicher Einfärbung gibt. Und diese Nachbarländer werden auch bleiben. Und die werden auch in der Europäischen Union bleiben. Das heißt, ich würde sagen, so eine Strategie natürlich auch weiterhin des Engagements, der Einbindung und der Differenzierung. Weil, ich wiederhole mich wahrscheinlich, aber das ist eben ein sehr schillerndes Konglomerat von sehr unterschiedlichen Parteien. Der Krieg und die Ukraine sind ein gutes Beispiel, wo wir ja sehen, wir haben in Ungarn eine Regierung, die doch sehr dezidiert in Fragen der Sicherheitspolitik auftritt, sehr nahe, auch in Teilen an russischen Narrativen, die gleichzeitig den ukrainischen EU-Beitritt sehr skeptisch sieht und auch da blockiert. Dann haben wir einen Herrn Fico in der Slowakei, der in puncto Sicherheit ähnlich agiert wie Ungarn, der sich auch mit Putin trifft und so weiter, der aber gleichzeitig der Auffassung ist, der EU-Beitritt der Ukraine, der muss befördert werden. Das sei eben das Interesse der Slowakei. Und in Polen haben wir Nationalkonservative, die natürlich in puncto Verteidigung und Unterstützung der Ukraine, wenn es um geopolitische Fragen geht, den westlichen Mainstream mit ausmachen oder sogar die Bannerträger eines sehr entschlossenen Kurses sind. Und bei Babiš müssen wir mal schauen, wie das ist. Aber ich glaube, der ist da eben offen dafür, dass er sich zumindest bei vielen Fragen dann nicht Quertreiber sein wird. Und das zeigt eben, dass es auch Chancen gibt, diese Differenzen dann zu nutzen, aber eben auch einen Auftrag, gerade für Deutschland als Zentralmacht, das dafür sorgen muss, dass halt in dieser diversen Europäischen Union nicht alles stagniert.
Moderator: Die schleichende Integration von Rechtsaußenparteien in Europa. Welche Folgen das hat, das haben uns erklärt Dr. Nicolai von Ondarza und Dr. Kai Olaf-Lang aus der Forschungsgruppe EU-Europa. Vielen herzlichen Dank Ihnen beiden. Danke. Gerne. Und herzlichen Dank auch an Maya Dähne, die die Redaktion für diesen Podcast hatte. Wenn Sie sich weiter für dieses Thema interessieren, schauen Sie gerne mal in die Shownotes direkt unter diesem Podcast oder abonnieren Sie unseren SWP-Newsletter. Folgen Sie gerne uns auch auf den Social-Media-Kanälen bei LinkedIn und Blue Sky. Und ganz besonders freuen wir uns über Feedback zu diesem Podcast. Sie können ihn gerne abonnieren, Sie können ihn bewerten und natürlich an andere Interessierte weiterempfehlen. Ich bin Dominik Schottner. Bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie neugierig.
Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa. Seine Forschungsschwerpunkte sind Polen, Ostmitteleuropa und die baltischen Staaten.Dr. Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa. Er beschäftigt sich mit Grundsatzfragen europäischer Integration und dem politischen System der EU.
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