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Die schleichende Integration von Rechtsaußenparteien in Europa

Wo Rechtsaußenparteien in das EU-System eingebunden – und wo sie isoliert werden

SWP-Aktuell 2025/A 42, 19.09.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A42

Research Areas

Die Europäische Union operiert in weiten Teilen nach den Prinzipien einer Konsensdemokratie, die darauf ausgerichtet ist, möglichst das komplette politische Spektrum ihrer Mitgliedstaaten zu integrieren. Angesichts der Zuwächse von Rechts­außen­parteien auf nationaler wie auf europäischer Ebene vermehrt sich daher zunehmend auch ihr Einfluss in den EU-Institutionen. Die Analyse der zentralen Akteure auf EU‑Ebene zeigt: Spätestens seit den Europawahlen 2024 sind Vertreter:innen von Rechtsaußenparteien in nahezu allen EU-Entscheidungsprozessen präsent. Die Schwer­punkte ihres Einflusses liegen – aufgrund ihrer Teilhabe an nationalen Regierungen – im Europäischen Rat und im Rat der EU, zunehmend aber auch im nach rechts gerück­ten Europäischen Parlament, in dem inzwischen alternative Mehrheitskonstellationen möglich sind. Gleichzeitig bleiben die Unterschiede innerhalb des Rechtsaußenspektrums groß. Wie prägend dessen Einfluss ist und welche Strömung sich unter den Rechtsaußenparteien durchsetzt, hängt maßgeblich von der Europäischen Volks­partei (EVP) ab.

Rechtsaußenparteien verzeichnen seit einigen Jahren in vielen EU-Mitgliedstaaten substantielle Zuwächse. So haben sie bei den Europawahlen 2024 in 22 von 27 EU-Staaten Stimmenanteile hinzugewinnen können. Ohne fraktionslose Abgeordnete vereinen Rechtsaußenparteien nun etwas mehr als ein Viertel der Sitze (26%) des Europäischen Parlaments (EP) auf sich (siehe SWP-Aktuell 46/2024). Damit sind sie zwar von einer eigenen Mehrheit noch weit ent­fernt, haben aber eine Größe erreicht, welche die Machtverhältnisse im politischen System der EU, das auf Konsens und breite Mehrheiten ausgerichtet ist, beein­flusst. Es stellt sich die Frage, wie weit diese Gestaltungsmacht bereits reicht.

In der folgenden Analyse wird »Rechtsaußen« als Sammelbegriff genutzt, der sowohl »(populistisch) radikale«, national-konser­vative als auch »extreme« Varianten rechter Politik einschließt. Er dient dazu, kollektive politische Akteure auf europäischer Ebene zu bezeichnen, die sich am äußeren rechten Rand des ideologischen Links-Rechts-Spektrums und damit rechts von christdemokratisch-konserva­tiven Parteien der EVP-Fraktion verorten lassen. Die Einstufung von Parteien als »rechts­außen« basiert in dieser Analyse daher zunächst auf ihrer Zugehörigkeit zu einer der drei EP-Fraktionen rechts der EVP: den »Europäischen Konser­vativen und Reformern« (EKR), den »Patrio­ten für Europa« (PfE) oder der Fraktion »Europa der Souve­ränen Nationen« (ESN). In einem zweiten Schritt wurde geprüft, ob die betreffende Partei im Forschungsprojekt PopuList als »far right« klassifiziert wurde.

Fragmentierung im »Rechtsaußen«-Lager

Das Lager der Rechtsaußenparteien ist im Jahr 2025 auf europäischer Ebene weiterhin stark fragmentiert: Die als »gemäßigter« geltende EKR-Fraktion vertritt vorrangig nationalkonservative und »weiche« euro­skeptische Positionen. Sie hat sich 2009 gegründet und ist aus einer Kooperation der britischen Konservativen und der polnischen PiS hervorgegangen. Nach und nach hat sie sich um nationalkonservative und EU-kritische Parteien erweitert. Sie tritt dabei nicht als eine politische Kraft auf, die sich radikal gegen die europäische Integra­tion richtet. Vielmehr kritisiert sie den gegenwärtigen politischen Kurs innerhalb der EU‑Institutionen und wirft diesen vor, eine föderale Agenda zu verfolgen, die die Souveränität der Mitgliedstaaten untergrabe.

So nahm die EKR-Fraktion in den zurückliegenden Legislaturperioden des EPs häufig eine kooperative Rolle ein. Ihre Mit­gliedsparteien, etwa Giorgia Melonis Fratelli d’Italia oder die polnische PiS, stimmten in vielen Fragen mit der EVP und verstanden es, sich als anschlussfähig zu präsentieren. Ihre nationalkonservative Ausrichtung tritt jedoch bei den Themen Migration, Gleich­stellung oder Rechtsstaatlichkeit deutlich hervor. Auf diesen Feldern ist eine klare inhaltliche Abgrenzung der EKR gegenüber den Fraktionen der PfE und ESN kaum her­zustellen.

Der »harte Euroskeptizismus«, wie er größtenteils von der PfE-Fraktion vertreten wird, zielt nach den Erfahrungen des Brexits ganz überwiegend nicht auf einen Austritt aus der EU, sondern auf eine grund­legende Umkehr der europäischen Integra­tion. An deren Ende soll nach einer erheb­lichen Beschneidung der Kompetenzen der EU-Kommission und des EPs eine Rückkehr zu einem primär zwischenstaatlich organi­sierten, auf wirtschaftliche Kooperation reduzierten Europa stehen. Geprägt wird die Fraktion dabei insbesondere von den großen Mitgliedsparteien wie Viktor Orbáns Fidesz oder dem französischen Rassemblement National unter Marine Le Pen bzw. Jordan Bardella. Ungeachtet dessen lässt auch die PfE-Fraktion zunehmend die Bereitschaft erkennen, von Fundamental­opposition zu Politikgestaltung zu wechseln, etwa durch die Besetzung des Berichterstat­ter:innenpostens für die Festlegung des neuen Klimaziels bis 2040.

Die zu nicht unwesentlichen Teilen aus rechts­extremen Parteien bestehende ESN-Fraktion hingegen hat nach wie vor das Ge­präge einer »AfD plus«-Gruppe, die bisher mit ihrer Fundamentalopposition, dem harten Euroskeptizismus und geringen Größe keine herausgehobene parlamenta­rische Bedeutung erlangen konnte.

Zugewinne auf nationaler Ebene

Neben politischen Verschiebungen auf euro­päischer Ebene bleiben vor allem nationale Dynamiken enorm wichtig im Hinblick auf den Einfluss, den politische Parteien in der EU geltend machen können. Besonders sichtbar wird dies, wenn Rechtsaußen­parteien entweder Regierungsverantwortung übernehmen oder Blockadepositionen beziehen, wie es derzeit der neue polnische Präsident tun kann. Doch selbst wenn Wahl­erfolge auf nationaler Ebene nicht in exekutive Macht für Rechtsaußenakteure münden, können diese durch hohe Zu­gewinne an nationalen Parlamentsmandaten ihren politischen Einfluss so ausweiten, dass er bis auf die EU-Ebene hineinwirkt. Insbesondere in jenen Mitgliedstaaten, in denen sie nach Umfragen oder aufgrund ihrer parlamentarischen Stärke die führen­de Oppositionskraft dar­stellen, wie etwa in Frankreich oder Deutschland, üben Rechts­außenparteien erheblichen Einfluss auf die Diskurse zur Europapolitik aus.

Im Überblick (Stand August 2025) ergibt sich folgendes Bild: Derzeit stehen Parteien aus dem europäischen Rechtsaußenlager in vier Mitgliedstaaten (Belgien, Italien, Tsche­chien und Ungarn) an der Spitze der Regie­rung. In Belgien (N-VA) und Tschechien (ODS) stellen jeweils Parteien die Regierungs­führung, die dem moderateren Flügel der EKR angehören und zugleich mit weiter rechts stehenden PfE-Parteien konkurrieren. Mit Ausnahme der von der Fidesz (PfE) kontrollierten Regierung in Ungarn führen ausschließlich Parteien aus dem EKR-Lager die europäischen Rechtsaußenregierungen an. Ein Sonderfall ist die slowakische Regie­rung, in der eine nicht im EP vertretene Rechtsaußenpartei (SNS) als Juniorpartner fungiert, während Premierminister Fico mit seiner Partei Smer, nach dem Ausschluss aus der S&D-Fraktion, selbst zunehmend nach rechtsaußen rückt. In insgesamt fünf Mitgliedstaaten sind Rechtsaußenparteien als Juniorpartner:innen an Regierungs­koalitionen beteiligt (Bulgarien, Finnland, Italien, Kroatien, Slowakei) und im Fall Schwedens stützt die Partei der Schwedendemokraten (EKR) seit 2022 die dortige Minderheitsregierung. Eine Regierung mit einer PfE- oder ESN-Partei als Koalitionspartner gibt es seit dem Austritt der PVV aus dem niederländischen Kabinett nur noch mit der Lega in Italien. Insgesamt steht also ein Drittel aller Regierungen der Mitgliedstaaten entweder unter der Füh­rung von Rechtsaußenparteien oder werden anderweitig von diesen unterstützt.

Zudem wird im Hinblick auf die parteipolitische Zusammensetzung jener Regie­rungen die bedeutsame Rolle der EVP-Frak­tion deutlich: In sieben der neun Mitgliedstaaten, ausgenommen Slowakei und Ungarn, in denen Rechtsaußenparteien an der Regierung beteiligt sind, gehören zu­gleich auch Parteien der EVP der jeweiligen Regierungskoalition an.

Blickt man nach vorn, so zeigt eine syste­matische Analyse aller allgemeinen natio­nalen Wahlen innerhalb der EU bis Ende 2027, dass in mehreren Mitgliedstaaten das Risiko für eine Regierungsbeteiligung von Parteien aus dem Rechtsaußenspektrum hoch ist. Besonders relevant dürften folgen­de Wahlen werden: 2025 stehen zunächst Wahlen in Tschechien an, wo ANO (PfE) in den Umfragen aktuell führt. Im Unterschied zur ODS (EKR) hat ANO den Schulterschluss mit Orbáns Fidesz gesucht – zusammen mit der Slowakei könnte sich so die Kontur eines neuen Rechts­außen-Visegrád-Dreier­blocks abzeichnen; vorläufig jedoch ohne polnische Beteiligung. Genauso denkbar ist indes, dass sich in Ungarn ein gegenläufiger Trend durchsetzt: Bei den Prognosen für die im April 2026 erwarteten Parlaments­wahlen liegt Orbáns Fidesz derzeit nach vielen Jahren nur auf Platz zwei. Das Jahr 2027 dürfte in diesem Kontext besonders bedeutsam werden: In Frankreich stehen spätestens dann Präsidentschaftswahlen an, und der RN liegt in den Umfragen klar in Führung. In Spanien peilt Vox (PfE), derzeit drittstärkste Kraft, eine Regierungsbeteiligung an und in Polen liegt die PiS (EKR) in den Projektionen wieder gleichauf mit der Bürgerkoalition von Donald Tusk (EVP). Zusammengenommen deutet dies darauf hin, dass möglicherweise drei der einflussreichsten EU-Staa­ten im Jahr 2027 vor einem bedeutsamen poli­tischen Wandel stehen, der das Gewicht von Rechtsaußen­parteien in Regierungs­koalitionen ver­stärken könnte. Zugleich fiele dies in die kritische Phase der Verhand­lungen über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), was die politische Stabilität auf EU-Ebene zusätzlich beeinträchtigen würde.

Einfluss auf EU-Ebene

Trotz ihrer zunehmenden Wahlerfolge und der wachsenden Zahl an Regierungsbeteiligungen übersetzt sich der Einflusszugewinn der Rechtsaußenparteien auf europäischer Ebene nicht eins zu eins. Zwei Prinzipien stehen dabei im Widerspruch:

Auf der einen Seite ist die EU angesichts ihrer dualen Legitimation durch die Mit­glied­staaten und die Bürger:innen darauf ausgerichtet, möglichst alle großen poli­tischen Strömungen zu integrieren und, soweit möglich, Entscheidungen im Kon­sens zu treffen bzw. breite Mehrheiten zu organisieren. Damit sollen strukturelle Minderheiten vermieden werden und die demokratische Legitimation in der weiter­hin sehr heterogenen EU auf eine breite Basis gestellt werden. Allein das EP beruht auf dem reinen Mehrheitsprinzip, dort werden jedoch in der Regel ebenfalls über­große, wechselnde Mehrheiten gebildet, so dass traditionell das breite demokratische Spektrum mit einbezogen wurde.

Im Widerspruch dazu haben viele europäische Gesellschaften aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs heraus einen Cordon Sanitaire gegenüber Rechtsaußenparteien gebildet. Ent­sprechend waren diese trotz wachsender Wahlerfolge lange von der europäischen Konsensdemokratie ausgeschlossen – an nationalen Regierungen waren sie bis An­fang der 2020er Jahre selten beteiligt, im Ratssystem daher kaum relevant und im Europäischen Parlament nicht mehrheitsfähig. Mit zunehmenden Erfolgen auf einzelstaatlicher und euro­päischer Ebene beginnt sich dies nun zu ändern: In den EU‑Institutionen zeigt sich bereits eine wachsende Mitwirkung.

Direkter Einfluss im Europäischen Rat und Rat der EU

Der direkteste Einflussvektor für nationale Regierungen ist die Ratsstruktur der EU. Dort vertreten die Mitgliedstaaten ihre Interessen unmittelbar. Ein Cordon Sanitaire gegen Regierungen mit Beteiligung von Rechtsaußenparteien greift hier nicht. Als einziges Instrument bleibt der Entzug be­stimmter Mitgliedsrechte, etwa des Stimm­rechts, gemäß Artikel 7 EUV, bei einer schwerwiegenden und anhaltenden Ver­letzung der EU-Grundwerte. Diese »nukleare Option« erfordert jedoch ein einstimmiges Votum aller übrigen Mitgliedstaaten – und wurde bislang nie angewendet (siehe SWP-Aktuell 50/2024). Doch auch politisch achten die nationalen Regierungen im EU-System in der Regel darauf, sich gegenseitig weitgehend unabhängig von ihrer politischen Programmatik zu respektieren. Wäh­rend im Jahr 2000 die damalige Beteiligung der FPÖ (heute PfE) an der neu gebildeten Koalition in Wien noch zu einer – letztlich erfolglosen und später aufgehobenen – Aus­grenzung der österreichischen Regierung seitens der 14 übrigen Mitgliedstaaten führte, wurde etwa die Einbeziehung der PVV als größter Koalitionspartner in die Regierung der Niederlande im Juni 2024 von den europäischen Partnern als weit­gehend regulärer Vorgang behandelt.

Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, wirkt sich so­mit die politische Couleur nationaler Regie­rungen am unmittelbarsten aus. Aktuell (Stand September 2025) wird der Europäische Rat von Staats- und Regierungschefs aus EVP-Parteien dominiert (11 von 27 Mit­gliedern, die 43,5% der EU-Bevölkerung re­präsentieren). Aus der EKR-Parteienfamilie stammen drei (Belgien, Italien, Tschechien), die eine normale, der Größe ihrer jeweiligen Länder entsprechende Rolle spielen, insbesondere Giorgia Meloni als Regierungs­chefin Italiens. Eine systematische Koordi­nation vor den jeweiligen Treffen des Euro­päischen Rates, wie sie etwa in der EVP oder bei den europäischen Sozialdemokraten stattfindet, gibt es jedoch weder im EKR noch bei den Patrioten für Europa. Ohne­hin ist Viktor Orbán aktuell noch der ein­zige Vertreter der PfE im Europäischen Rat, wo er derzeit durch seine zu­nehmende Entfremdung vom Rest der EU und eine transaktionale Nutzung von Vetos hervorsticht.

Da der Europäische Rat – mit wenigen Ausnahmen, wie etwa der Nominierung der Kommissionspräsidentin – mit Einstimmig­keit entscheidet, ist das Blockadepotential dort besonders hoch. Hier zeigen sich deut­liche Unterschiede zwischen EKR und PfE: Während kaum ein Europäischer Rat ohne öffentliche Veto-Drohungen Orbáns und zunehmend auch des slowakischen Minis­terpräsidenten Robert Fico vergeht, sind Regierungen mit EKR-Chefs fester Teil der kleineren Ver­hand­lungsrunden am Rande des Europäischen Rates. Unter dem Ein­druck der zweiten Trump-Präsidentschaft wächst allerdings die Bereitschaft vieler Mitgliedstaaten, Veto­spieler zu isolieren oder Entscheidungen verstärkt außerhalb des EU-Rahmens zu treffen, um ihre eigene Handlungsfähigkeit zu sichern. So hat der Europäische Rat 2025 mehrfach Erklärungen im Format EU-26 ohne Ungarn zur Ukraine abgegeben.

Diffuser ist das Bild im Rat der EU. Hier werden die Mitgliedstaaten jeweils von ihren Minister:innen vertreten, so dass sich angesichts unterschiedlicher Koalitions­zusammensetzungen ständig variierende parteipolitische Konstellationen ergeben. So führte etwa das von einem Konservativen geleitete niederländische Außenministe­rium im Mai 2025 – noch vor dem Austritt der PVV aus der niederländischen Regierung – eine Gruppe von 20 EU-Mitglied­staaten an, die Ungarn im Rat der EU wegen des Vorgehens gegen die Budapester Pride Parade die Verletzung von EU-Grundwerten vorwarf und scharf kritisierte. Die Einfluss­möglichkeiten der Regierungen im Rat vari­ieren zudem je nach Entscheidungsverfah­ren. Dort, wo Einstimmigkeit geboten ist, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik oder der Erweiterungspolitik, gilt dasselbe wie im Europäischen Rat: Einzelne Regie­rungen können Beschlüsse jederzeit durch Vetos blockieren oder Zugeständnisse er­zwingen; bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit können jedoch einzelne Mitgliedstaaten überstimmt werden. Trotz­dem streben die nationalen Regierungen in der Regel Konsens an und das Überstimmen einzelner nationaler Regierungen bleibt die Ausnahme (siehe SWP-Aktuell 24/2024). Dennoch sticht Ungarn mittlerweile heraus. Im Jahr 2024 hat es bei 15,8 Prozent aller öffentlichen Abstimmungen im Rat mit »Nein« gestimmt. Damit war es häufiger in der Minderheit, als Großbritannien es vor dem Brexit je gewesen ist. Weder Italien noch Tschechien fallen in einer solchen Weise auf. Beide Staaten sind auch beim Abstimmungs­verhalten im Rat der EU im regulären Mittelfeld (siehe SWP Council Monitor).

Für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit im Rat ist die Organisation von Blockademinderheiten entscheidend: Nötig ist eine Gruppe von mindestens vier Mit­gliedstaaten, die gemeinsam mindestens 35 Prozent der EU‑Bevölkerung vertreten. Italien, Ungarn, Tschechien und Belgien kommen derzeit auf etwa 20 Prozent – mit der Slowakei auf rund 21 Prozent. Damit liegt eine Blockademinderheit zwar noch unterhalb des Quorums; um dieses zu er­reichen, ist aber nur das Hinzukommen eines größeren Mitgliedstaats (wie etwa Frankreich) erforderlich. Ausschlaggebender ist jedoch, dass diese Regierungen bislang weder eine kohärente Gruppe noch eine abgestimmte politische Kraft bilden – zu unterschiedlich sind Koalitionskonstellatio­nen und ideologische Linien der jeweiligen Rechtsaußenparteien.

Institutionelle Differenzierung und praktische Zusammenarbeit im EP

Im EP zeigt sich seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode mit Blick auf den Cordon Sanitaire mehr und mehr eine insti­tutio­nelle Differenzierung zugunsten der EKR-Fraktion, die deutlich stärker eingebunden ist als PfE und ESN.

Die EKR-Fraktion war bereits in der ver­gangenen Wahlperiode im Präsidium des EPs vertreten und mit dem Ausschuss­vorsitz des Haushaltsausschusses betraut. Nun stellt sie zwei Vizepräsident:innen sowie die Vorsitzenden dreier Ausschüsse, darunter solche mit wirkmächtigen Themen wie Haushalt und Landwirtschaft. Die PfE-Fraktion hingegen wird – trotz ihrer nominellen Stärke – ebenso wie die ESN-Fraktion durch die EP-Mehrheit institutionell marginalisiert und ist so weder im Präsidium noch in Ausschussvorsitzen repräsentiert (siehe SWP-Aktuell 46/2024). Im Juli 2025 übernahm die PfE jedoch den Berichterstatter:innenposten für die Ver­handlungen zum neuen EU-Klimaziel 2040; die EKR sicherte sich das entsprechende Amt für den geplanten »EU Space Act«. Da­mit steuern beide Rechtsaußenfraktionen federführend für das EP die Verhandlungen mit Rat und Kommission in zwei zentralen Legislativvorhaben und erhalten so die Möglichkeit, maßgeblichen Einfluss auf das Design der Gesetzgebung auszuüben. Basiert der überwiegende Teil der Mehrheitsfindung im EP zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin auf der proeuro­päi­schen Mehrheit von EVP, S&D, Renew und teilweise den Grünen, lassen sich auch hier zunehmend Risse im lange etablierten Cordon Sanitaire erkennen.

Bereits im September 2024, nur wenige Monate nach der Konstituierung des Parla­ments, realisierte sich erstmals die seit den EP‑Wahlen 2024 rechnerisch mögliche Mehrheit aus EVP, EKR, PfE und Teilen der ESN. Gegenstand war die Verabschiedung einer Resolution als Reaktion auf die vene­zolanischen Scheinwahlen. Vorher war eine Einigung über einen Resolutionstext zwischen den Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Akteuren gescheitert. Die gestiegene Bereit­schaft der EVP, gemeinsam mit Rechts­außenfraktionen Mehrheiten zu organisieren, zeigte sich im bisherigen Verlauf der Wahlperiode insbesondere im Bereich der europäischen Klima- und Umweltpolitik. So wurde im November 2024 die EU-Ent­wal­dungs­verord­nung, unter anderem im Hinblick auf den Zeitpunkt ihres Wirksam­werdens, mit den Stimmen von EVP, EKR, PfE und ESN deut­lich abgeschwächt. Zudem setzten EVP, EKR und PfE im Sommer 2025 gegen Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und europäische Linke die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Untersuchung der EU-Finanzierung von NGOs durch.

Eine Auswertung der neunten Wahl­periode zeigt, dass eine Mehrheitsbildung von EVP und den damaligen Rechtsaußenfraktionen ID und EKR nur in begrenztem Umfang stattfand. Nachweisbar ist ein solches gemeinsames Votum bei einem von der Kommission vorgelegten Gesetzes­vorschlag zu genetisch veränderten Pflanzen im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren sowie bei zwei Abstimmungen zu Künst­licher Intelligenz und zur Fischereipolitik, mit denen Resolutionen gegen die Stimmen von S&D und Grünen verabschiedet wur­den. In zwei weiteren Fällen kam es zu Mehr­heiten ausschließlich mit einer der beiden Rechtsaußenfraktionen: mit der ID in der Entwicklungshilfepolitik und mit der EKR in Fragen der Finanzmärkte. Eine deutlich größere Bereitschaft zur Kooperation lässt sich bisher in der zehnten Wahlperiode be­obachten. Über die Venezuela-Resolution und die Entwaldungsverordnung hinaus kamen Mehrheiten aus EVP, EKR, PfE und Teilen der ESN in drei weiteren Fällen zu­stande: bei zwei Gesetzgebungsvorhaben im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Kohäsions- und Sozialfondspolitik) sowie bei einer weiteren Resolution zum Petitions­ausschuss des EP.

Diese Form der gemeinsamen Mehrheitsbildung gründet sich – zumindest, was die EKR-Fraktion betrifft – auf eine teilweise vorhandene inhaltliche Anschlussfähigkeit: Eine Analyse des gesamten Abstimmungs­verhaltens der neunten Wahlperiode zeigt, dass die EVP mit Renew (93 %) und der S&D (89 %) und den Grünen/EFA (80%) die höchs­ten Übereinstimmungswerte verzeichnete. Auf Platz vier folgt dann die EKR mit 68 Pro­zent. Eine Differenzierung nach Politik­feldern offenbart zudem, dass die Über­einstimmung zwischen EVP und EKR in zentralen Bereichen wie Umwelt- und Klima­politik, Außen- und Sicherheitspolitik, Industrie- und Wirtschaftspolitik oder Landwirtschaftspolitik jeweils über 65 Pro­zent lag. Die Übereinstimmung mit der ID‑Fraktion – deren zentrale personelle und inhaltliche Bestandteile weitgehend in der neu gegründeten PfE-Fraktion auf­gegangen sind– lag in der neunten Wahl­periode lediglich bei 40 Prozent und damit sogar hinter jener mit der Linksfraktion. Im ersten Jahr der zehnten Wahlperiode ist ein ähnlicher Trend zu beobachten: Die Übereinstimmung des Abstimmungsverhaltens der EVP mit dem der EKR liegt derzeit bei 72 Prozent. PfE (43%) und ESN (23%) belegen die beiden letzten Plätze. Dies deu­tet darauf hin, dass punktuelle strategische Allianzen nicht zwangsläufig mit einer umfassenderen inhaltlichen Annäherung einhergehen. Gleichzeitig bleibt diese punktuelle Bereitschaft, gemeinsam mit Rechts­außenfraktionen Mehrheiten zu organisieren, auch mit Blick auf das pro­europäische Zentrum, auf das sich die Kommission stützt, nicht folgenlos. So wurde im Zuge des im Juli 2025 aus den Reihen der EKR initiierten Misstrauens­votums gegen Ursula von der Leyen auch aus den Reihen von S&D und Renew deut­liche Kritik an der Bereitschaft der EVP laut, Mehrheiten am rechten Rand zu suchen, bis hin zur Dro­hung, die Zusammenarbeit aufzukündigen.

Begrenzte Rolle in der EU‑Kommission

In der EU-Kommission ist die Beteiligung von Politiker:innen von Rechtsaußen­parteien noch am schwächsten ausgeprägt. Mitglieder der Kommission werden von den nationalen Regierungen vorgeschlagen und – nach Anhörungen und Zustimmungs­votum im EP – vom Rat ernannt (Art. 17 EUV). Rechtlich sollen sie ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit ausüben. Da jeder Mitgliedstaat nur ein Kommissionsmitglied vorschlägt, repräsentiert dieses jedoch in der Regel die parteipolitische Orientierung der jeweils größten Regierungspartei zum Zeitpunkt der Nominierung.

Demgemäß beschränkt sich die direkte Einbindung von Vertretern des Rechts­außen­spektrums in das Kollegium der EU-Kommission auf zwei Personen: Zum einen auf den italienischen Kommissar Raffaele Fitto, Mitglied von Fratelli d’Italia (EKR) und nun Vizepräsident der EU-Kommission für Kohäsion und Reformen. Seine Nominierung durch die Meloni-Regierung stieß im Mitte-Links-Spektrum des EPs auf deutliche Kritik. Fitto setzte sich jedoch mit Unterstützung der EVP in den Anhörungen durch. Zum anderen auf den ungarischen Kom­missar Olivér Várhelyi, formal parteilos, politisch jedoch Fidesz (PfE) nahestehend, der derzeit das Ressort für Gesundheit und Tierschutz ver­antwortet. Nach umstrittenen Äußerungen Várhelyis im Verlauf seiner Anhörung, zum Beispiel zu Impfungen oder Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt, wurden ihm Teile seines ursprünglichen Portfolios entzogen, etwa der Bereich der reproduktiven Gesundheit. Seit Amtsantritt der neuen Kommission sind öffentliche Kontroversen um beide weitgehend aus­geblieben.

Eine zunehmende Integration in die EU

In der Summe lässt sich feststellen, dass die Integration von Teilen des Rechtsaußen­spektrums in das politische System der EU bereits fortgeschritten ist und weiter zu­nimmt. Vor allem die Mitgliedsparteien der EKR wurden an vielen Stellen normalisiert: im Europäischen Rat, im Rat der EU ebenso wie in der EU-Kommission und als Teil wechselnder Mehrheiten im EP. Diese Nor­malisierung kann durchaus auf die Parteien der EVP zurückgeführt werden, die in industrie- oder klimapolitischen Fragen zunehmend inhaltliche Schnittmengen mit der EKR erkennen. Eine deutlich andere Haltung zur Lockerung des Cordon Sanitaire haben hin­gegen Akteure der Sozialdemokratie, der Grünen und des Liberalismus, die eine Zusammenarbeit auch mit EKR-Parteien sehr viel kritischer bewerten.

Besonders herausfordernd dürfte diese institutionelle Differenzierung im Hinblick auf den Cordon Sanitaire zudem deshalb werden, weil die Trennlinie zwischen der EKR und dem radikaleren bzw. extremen Spektrum unscharf bleibt. Mehrere EKR-Mitgliedsparteien waren früher Teil der ID-Fraktion, Teile der PfE gehörten früher zum EKR. Und weil die Grenzen so fließend sind, erfasst die Inte­gration in die EU-Institu­tionen auch das erweiterte Rechtsaußenspektrum: Im Europäischen Rat beeinflusst Viktor Orbán mit seinen Vetos jede Ent­scheidung. Im Rat der EU gibt es zwar keine Gruppierung von Regierungen mit Rechts­außenparteien; diese sind aber an den Beschlüssen regulär beteiligt. Vor allem aber im EP sind alter­native Mehrheiten ohne Mitte-Links-Par­teien nur möglich, wenn EKR und PfE zu­stimmen.

Drei Faktoren bestimmen maßgeblich, wie folgenreich diese Integration auf die letztlich beschlossene EU-Politik ist:

Der erste ist, wie so oft in der EU, die unterschiedlichen Entscheidungsverfahren. Gilt im Europäischen Rat bzw. Rat der EU die Einstimmigkeit, so müssen am Ende alle nationalen Regierungen zustimmen. Dabei gibt es in der politischen Realität immer noch Unterschiede, wie groß die Macht­ressourcen der jeweiligen Mitgliedstaaten sind. Gleichwohl gilt: Der kleinste gemeinsame Nenner bei großen europäischen Beschlüssen setzt mittlerweile immer auch das Einverständnis von Regierungen voraus, die von Rechtsaußenparteien geführt wer­den. Gilt hingegen die qualifizierte Mehr­heit und ist das EP beteiligt, so sind die Mitentscheidungsrechte diffuser, und es kommt darauf an, ob und wie Regierungen mit Rechtsaußenbeteiligung und die Frak­tionen im EP Mehrheiten (bzw. Blockademinderheiten) bilden.

Der zweite Faktor ist, wie politisch geeint die unterschiedlichen Rechtsaußenparteien auf europäischer Ebene sind, sowohl in ihren Funktionen als Vertreter:innen natio­naler Regierungen als auch im EP. Deutlich wird dies insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa mit Blick auf Russ­land, die Ukraine oder China. Während sich PfE- und ESN-Abgeordnete hier häufig gegen die proeuropäische Parlamentsmehrheit stellen, zeigt sich das EKR-Lager sichtlich anschlussfähiger an die Mitte (siehe SWP-Aktuell 8/2024). Auch in der Wirtschafts­politik gibt es beträchtliche Unterschiede, zwischen libertären und protektionistischen Ansätzen, die jedoch nicht not­wen­diger­weise entlang der Achse EKR-PfE verlaufen. Größer werden die Gemeinsamkeiten bei Kulturkampfthemen und am stärksten sind sie bei den Themenkomplexen Klima- und Migrationspolitik.

Der dritte, entscheidende Faktor ist dann die Überschneidung mit den politischen Positionen und das Verhalten der EVP. Ob auf nationaler Ebene oder im EU-Parla­ment: Mehrheiten und damit politische Gestaltungsmacht erhalten Rechtsaußenparteien in der Regel nur mit Unterstützung oder als Juniorpartner von Mitte-Rechts. In der Kon­sequenz ist ihr Einfluss auf EU-Ebene dort am höchsten, wo sie der EVP alternative Mehrheiten anbieten können und die EVP bereit und willens ist, diese zu nutzen. In der aktuellen Legislaturperiode ist dies nicht der Fall bei Grundsatzentscheidungen zur europäischen Integration oder der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs­politik, wohl aber zunehmend bei der Wirtschafts- und Klimapolitik und bei der Migrationspolitik.

Angesichts ihrer relativen Stärke auf nationaler wie europäischer Ebene wird der EVP also in den kommenden Jahren der europäischen Integration eine zentrale Rolle zukommen. Ihre inhaltliche und strategische Ausrichtung wird maßgeblich mitbestimmen, ob sich die EU weiterhin auf ein proeuropäisches Zentrum stützen kann. Die EVP wird sich langfristig ent­schei­den müssen, ob und in welchem Um­fang sie ihr »doppeltes Spiel« wechselnder Mehrheiten quer über das politische Spek­trum hinweg fortsetzen will. Die Rechts­außenparteien werden versuchen, sie durch inhaltliche Angebote zu einem kompletten Politikwechsel zu bewegen. Will die EVP hingegen dem proeuropäischen Lager ver­bunden bleiben, wird sie früher oder später den zunehmend widersprüchlichen Kurs zwischen wertebasierter Positionierung und punktueller Mehrheitsbeschaffung mit Rechtsaußenfraktionen aufgeben müssen. Denn: Innerhalb des Mitte-Links-Lagers wachsen die Vorbehalte und Spannungen gegenüber der EVP und drohen so, das bisherige Gleichgewicht ins Wanken zu bringen und die Fragilität der proeuro­päischen Mehrheit zu verstärken.

Max Becker ist Forschungsassistent, Johanna Flach studentische Mitarbeiterin und Nicolai von Ondarza Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa.
Die Autorin und die Autoren danken Paul Bochtler für seine Unterstützung bei der Datenerhebung.

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