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Das de facto politisch unabhängige Taiwan wird von der Volksrepublik China und deren Wiedervereinigungsanspruch immer stärker unter Druck gesetzt. Neben militärischen Drohgebärden nutzt Peking dabei wirtschaftliche und politische Mittel sowie Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Dies gefährdet Stabilität und Status quo in der Taiwan-Straße.
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Taiwan ist in Ostasiens geopolitischen Dynamiken von immenser Bedeutung: geostrategisch als Teil der ersten Inselkette, die den Zugang der VR China zum Pazifik einschränkt, und wirtschaftlich-technologisch als führender Produzent von Mikrochips. Im globalen Systemkonflikt zwischen liberal-demokratischen und autoritären Gesellschaftsordnungen besitzt Taiwan als konsolidierte, pluralistische Demokratie und politisches Gegenmodell zum autoritären System der VR China eine herausragende Stellung.
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Deutschlands und Europas Interesse liegt darin, Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße zu wahren, Taiwans ökonomische und technologische Potentiale besser zu nutzen und wertebasierte Unterstützung für dessen freiheitliches Gesellschaftssystem zu leisten.
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Deutschland bekennt sich zu einer Ein-China-Politik, welche die diplomatische Anerkennung Taiwans ausschließt. Trotzdem existieren Spielräume, um die Beziehungen zu Taiwan auszubauen und zu intensivieren und so Chinas Politik der Einschüchterung und Isolation Taiwans entgegenzuwirken.
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Die Taiwan-Politiken der USA, Japans, Singapurs, Südkoreas, Australiens, Indiens sowie europäischer Partner offenbaren Möglichkeiten, engere Beziehungen zu Taiwan zu gestalten und zugleich an der Ein-China-Politik festzuhalten. Handlungsoptionen bestehen in der Außen- und Sicherheitspolitik, der Handels- und Wirtschaftspolitik sowie der Kulturpolitik.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Taiwans Zwangslage
1.1 Veränderte Rahmenbedingungen
1.2 Chinesisches Kalkül und das Risiko eines militärischen Konflikts
1.5 Die internationale Gemeinschaft und die Taiwan-Frage
2 Außenpolitik Taiwans: Ständiger Drahtseilakt
2.2 Außenpolitik Taiwans: Institutionen und Akteure
2.3 Internationale Repräsentation und diplomatische Anerkennung
2.4 Außenpolitik: Prinzipien und Schwerpunkte
3 Handels- und Technologiepartner Taiwan
3.1 Taiwan in der Weltwirtschaft
3.2 Neue Herausforderungen für Taiwans Wirtschaftspolitik
3.3 Strategische Positionierung in der Halbleiterindustrie
3.4 Taiwans defensive Außenwirtschaftspolitik
3.4.4 Bilaterale und regionale Ebene
4 Die Taiwan-Politik der USA – Balanceakt unter erschwerten Bedingungen
4.1 Die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Taiwan
4.2 Sicherheits- und verteidigungspolitische Beziehungen
4.3 Wirtschaftliche Interessen der USA gegenüber Taiwan
4.4 Gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Austausch
5 Japan-Taiwan: More than meets the eye
5.1 Neubewertung von Taiwans Bedeutung
5.2.1 Quasi-diplomatische Kanäle
5.2.2 Funktionale und Think-Tank-Dialoge
5.2.3 Parlamentarier- und Parteiendialog
5.3 Sicherheitspolitische Beziehungen
5.4 Wirtschaftliche Beziehungen
5.5 Kultur und Zivilgesellschaft
6 Viel Diplomatie ohne diplomatische Beziehungen: Singapurs Außenpolitik und Taiwan
6.2.1 Umgang mit Druck aus Peking
6.5 Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
7 Im Schatten des »Systems 1992« – Die Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan
7.2.1 Abbruch diplomatischer Beziehungen und Trennung von Politik und Wirtschaft
7.3 Sicherheitspolitische Beziehungen
7.4 Wirtschaftliche Beziehungen
7.4.1 Handel und Investitionen
7.4.2 Aktueller Stand und Herausforderungen der Wirtschaftskooperation
7.4.3 Erschließung weiterer Kooperationsfelder
7.5 Bildungs- und Kulturbeziehungen und »People-to-People Exchange«
8 Australien und Taiwan: Wachsende Übereinstimmung in Zeiten der Großmächterivalität
8.1 Australien, die Republik China (ROC) und Japan
8.2 Australiens Ein-China-Politik
8.3 Australiens Hinwendung zu Asien
8.4 Wirtschaftliche Beziehungen
8.5 Beziehungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
8.6 Politische Beziehungen im Kontext regionaler Interessen
8.7 Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
9 Im Schatten Chinas: die indisch-taiwanischen Beziehungen
9.1 Die politischen Beziehungen
9.4 Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
10 Europäisch-taiwanische Beziehungen (EU, ausgewählte Mitgliedstaaten und Großbritannien)
10.2 Europa und Taiwan: Gesamtbild
10.3 Die Europäische Union als Partner Taiwans
10.3.3 Kultur und Wissenschaft
10.4 Deutschland als Partner Taiwans
10.4.3 Kultur und Wissenschaft
10.5 Frankreich als Partner Taiwans
10.5.3 Kultur und Wissenschaft
10.6 Großbritannien als Partner Taiwans
10.6.3 Kultur und Wissenschaft
11 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
11.4 Deutsche und europäische Interessen
11.5.1 Außen- und Sicherheitspolitik
11.5.2 Handels- und Wirtschaftspolitik
11.5.3 Wissenschafts- und Kulturpolitik
Taiwan ist de facto ein unabhängiges Land, doch immer weniger Staaten erkennen es auch formell an. Im Dezember 2021 traf das nur noch auf 14 (kleinere) Staaten zu. Darüber hinaus hat Taiwan sich in den letzten drei Jahrzehnten von einer Militärherrschaft zu einer konsolidierten Demokratie gewandelt. Seit 2016, als die Demokratische Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party, DPP) die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan erneut gewann, sind die Spannungen im Verhältnis zwischen der Volksrepublik China (VRCh) und der Republik China auf Taiwan (Republic of China, ROC) gewachsen. Peking vertritt die Auffassung, die Insel sei »untrennbarer Bestandteil« des chinesischen Territoriums. Auf den Wahlausgang 2016 reagierte die chinesische Führung, indem sie den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck erhöhte – und das, obwohl Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen angekündigt hatte, sich um Stabilität in der Taiwan-Straße zu bemühen.
Chinas militärische Drohgebärden gegenüber Taiwan sorgen international für einige Unruhe. Seit März 2019 lässt Peking Flugzeuge der chinesischen Luftwaffe durch Taiwans Luftraumüberwachungszone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) südwestlich der Insel fliegen (siehe Karte 1, S. 6). Im Jahr 2021 registrierte das taiwanische Verteidigungsministerium rund 950 solcher Flüge, also weit mehr als die 380 Fälle des Jahres 2020.1 Zwar sind bisher keine chinesischen Maschinen in Taiwans nationalen Luftraum eingedrungen, der zwölf Seemeilen vor dessen Küste beginnt. Trotzdem werden diese Flüge in Taiwan als Provokation wahrgenommen. Die ADIZ ist eine von Taiwan einseitig ausgerufene Zone, in der sich Flugzeuge gegenüber taiwanischen Behörden identifizieren sollen. Ähnliche Zonen haben auch Taiwans Nachbarländer ausgewiesen, darunter China.
Besorgnis erregt in Taiwan außerdem, dass seit März 2020 chinesische Flugzeuge auch nachts in die ADIZ fliegen und in Manövern manchmal eine scharfe Linkskurve ziehen, was im Falle eines militärischen Konflikts einen neuen möglichen Angriffsvektor beschreiben könnte.2 Neben der Luftwaffe hat auch die chinesische Marine ihre Präsenz um Taiwan verstärkt. Zudem zeigt sich das taiwanische Verteidigungsministerium irritiert, dass Chinas Militär auf mehreren seiner Trainingsgelände Nachbildungen taiwanischer Gebäude errichtet hat.3
Taiwan kritisiert nicht nur Pekings militärische Machtdemonstrationen, sondern beschuldigt die chinesische Führung auch, hinter Cyberattacken gegen Regierungsbehörden und andere Akteure zu stehen sowie gezielt Fehlinformationen zu streuen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.4 Zudem hat China in den letzten Jahren auch im Bereich Wirtschaft die Muskeln spielen lassen, indem es beispielsweise den Strom chinesischer Touristen nach Taiwan drosselte oder einen Importstopp für taiwanische Ananas verhängte.
Die Spannungen in der Taiwan-Straße haben besonders die USA alarmiert. Zwar ist Washington keine Bündnisverpflichtung gegenüber Taipei eingegangen, muss laut dem Taiwan Relations Act von 1979 aber dafür Sorge tragen, dass Taiwans Status nur auf friedlichem Weg verändert wird. Im März 2021 warnte der scheidende US-Kommandant für den Indopazifik, Admiral Philip Davidson, vor einem Konflikt innerhalb der nächsten sechs Jahre. Auch für seinen Nachfolger Admiral John Aquilino ist ein Konflikt mit China »viel näher, als die meisten denken«.5 Taiwans Präsidentin Tsai äußerte im Januar 2020 etwas vorsichtiger die Einschätzung, dass die Möglichkeit von Krieg nicht ausgeschlossen werden könne.6
Veränderte Rahmenbedingungen
Es sind drei Entwicklungen, welche die bisherige Stabilität in der Taiwan-Straße heute deutlich prekärer erscheinen lassen als vor zwei Jahrzehnten: Erstens hat die VR China unter der Führung Xi Jinpings politisch, wirtschaftlich, technologisch und militärisch nochmals erheblich an Macht gewonnen. Weil sich die Kräfteverhältnisse zugunsten Chinas verschoben haben, genießen die USA in der Region nicht mehr den unangefochtenen Status der militärisch überlegenen Macht.7 China hat beispielsweise mit Mittelstrecken- und Antischiffsraketen seine Fähigkeiten deutlich ausgebaut, den Zugang zur Region zu verwehren oder die Operationsfreiheit darin einzuschränken (Anti-Access/Area-Denial). Amerikanischen Medienberichten zufolge zeigen auch Taiwan-Konfliktsimulationen des Pentagons, dass die USA sich ihrer Überlegenheit nicht sicher sein können.8
Zweitens grenzt sich die Bevölkerung Taiwans immer stärker von Festlandschina ab, indem sie ihre Eigenidentität betont. Laut Umfragen steigt der Anteil derer, die sich nur noch als Taiwanerinnen bzw. Taiwaner identifizieren, während immer weniger Befragte sowohl eine taiwanische als auch eine chinesische Identität für sich reklamieren.9 In einer Umfrage Ende 2019 zum Beispiel bezeichneten sich 66% als Taiwaner bzw. Taiwanerinnen, gegenüber 28%, welche zugleich die chinesische und die taiwanische Identität als für sich zutreffend ansahen.10 Junge Leute zwischen 18 und 29 Jahren fühlen sich dabei mit der überwältigenden Mehrheit von 83% nur als Taiwanerinnen bzw. Taiwaner. Tendenziell steigt damit der Anteil derer, die mehr politische oder anderweitige Abgrenzung von der VR China befürworten. Peking könnte daraus den Schluss ziehen, dass die Aussichten auf eine friedliche Vereinigung mit Taiwan schwinden.
Drittens lässt sich das Verhältnis zwischen den USA und China immer mehr als Großmachtkonflikt charakterisieren, bei dem beide Seiten, getrieben von gegenseitigem Misstrauen, um Macht und Status konkurrieren. Für beide Seiten ist Taiwan im geopolitischen Ringen um die Vorherrschaft von großer Bedeutung. Mit seiner geographischen Lage als Teil der ersten Inselkette ist Taiwan strategisch wichtig (siehe Karte 2, S. 8). Auch im Technologiewettbewerb zwischen den USA und China spielt Taiwan eine Schlüsselrolle, da es aufgrund seiner überragenden technologischen Kompetenz weltweit führend in der Halbleiterproduktion ist. Für die Großmächte geht es in Taiwan überdies um ihren Systemkonflikt zwischen liberal-demokratischer und autoritärer Gesellschaftsordnung. Vor diesem Hintergrund ist Peking das demokratische System Taiwans zweifellos ein Dorn im Auge, da es ein Gegenmodell zum eigenen System bietet. Die USA und China sehen Taiwan daher zunehmend als entscheidenden Baustein in ihrem Wettstreit um Dominanz und in ihrer Systemkonkurrenz.
Chinesisches Kalkül und das Risiko eines militärischen Konflikts
Die wachsende Präsenz chinesischer Flugzeuge und Schiffe in Gebieten um Taiwan erhöht das Risiko unbeabsichtigter Zwischenfälle, die militärisch eskalieren könnten. Unterschiedlich aber wird beurteilt, ob China bewusst ein militärisches Vorgehen wählen könnte, um Taiwan unter seine Kontrolle zu bringen. Offiziell befürwortet China eine friedliche Wiedervereinigung, schließt militärische Mittel aber nicht grundsätzlich aus.11 Als Hinweis auf die Bereitschaft, möglicherweise auch militärisch zu handeln, gilt eine Rede von Präsident Xi Jinping aus dem Jahr 2019. Darin definierte er die Vereinigung mit Taiwan als »Kerninteresse«, dessen Verwirklichung nicht von Generation zu Generation weitergegeben werden dürfe.12 Gleichzeitig verwies er aber auch mehrfach auf Chinas Wunsch nach einer friedlichen Vereinigung. Manche Beobachter glauben, dass der 68-jährige Xi mit dieser Rede seinen Willen öffentlich machte, als politisches Vermächtnis eine Vereinigung unter seiner Führung ins Werk zu setzen – denn der nächste Präsident wird wohl einer jüngeren Generation angehören. Ein mögliches Zeitfenster dafür böte die als wahrscheinlich geltende dritte Amtszeit Xis von 2022 bis 2027.
Allerdings hat Xi in neueren Reden nicht wiederholt, dass die Weitergabe der Taiwan-Frage an nachkommende Generationen vermieden werden müsse. Bei seiner Rede zum 100. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei im Juli 2021 etwa bezeichnete er die Wiedervereinigung als »historische Mission und unerschütterliche Verpflichtung« der Partei und äußerte abermals den Wunsch nach einem friedlichen Prozess.13 Damit deutete er an, dass die Legitimität der Partei auch davon abhängt, ob diese die Taiwan-Frage lösen kann. Wann dies geschehen soll, lässt sich aus Xis Äußerungen jedoch nicht ableiten.
Zudem spricht einiges dagegen, dass China tatsächlich zu militärischen Mitteln greifen wird, um eine Wiedervereinigung zu erzwingen.14 Xi Jinping hat für die nächsten Jahre eine ehrgeizige innenpolitische Agenda für sein Land formuliert. Eine militärische Auseinandersetzung würde seine Pläne gefährden, denn China müsste nicht nur mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen des Westens rechnen, sondern auch mit einem militärischen Eingreifen der USA. Dies hätte unabsehbare Folgen. Solange in Peking die Hoffnung besteht, eine Vereinigung auf friedlichem Wege erreichen zu können (»siegen, ohne zu kämpfen«), ist es wenig wahrscheinlich, dass die chinesische Führung sich zur Annexion Taiwans entschließt. Kategorisch ausgeschlossen werden kann ein militärischer Konflikt freilich nicht, denn Peking könnte auch zu dem Schluss gelangen, dass ein Erfolg garantiert und der Preis für ein solches Vorgehen akzeptabel ist. Die weitere Entwicklung des Krieges in der Ukraine könnte Chinas Überlegungen ebenfalls mitbeeinflussen. Es ist allerdings zu früh, um beurteilen zu können, welche Lehren Chinas Führung und Militär aus der russischen Invasion ziehen wird.
Chinas Zermürbungstaktik
Einstweilen versucht die VR China, Taiwans Regierung und Bevölkerung unter Druck zu setzen und durch sogenannte Grauzonen-Aktivitäten zu zermürben. Dazu zählen Desinformationskampagnen, Cyberangriffe, militärische Drohgesten und »Übungen« in unmittelbarer Umgebung sowie Bemühungen, Taiwan international zu isolieren. Damit bringt Peking zum Ausdruck, dass es eine formale Unabhängigkeit Taiwans nicht akzeptieren würde. Außerdem soll Pekings Zermürbungstaktik die Bevölkerung der Insel zur Einsicht bewegen, dass eine Vereinigung angesichts des Kräfteverhältnisses unausweichlich und damit Widerstand zwecklos sei.
Die häufigen Flüge durch Taiwans ADIZ sind eine große Belastung für das taiwanische Militär, denn es muss sich in ständiger Bereitschaft halten, um mit Abfang-Flügen zu reagieren. Durch Desinformation und andere innenpolitische Maßnahmen versucht China die taiwanische Gesellschaft zu spalten sowie das Vertrauen in die eigene Regierung und die allgemeine Zuversicht zu schwächen. Solche Aktivitäten, mit denen China den Willen und die Denkweise der Bevölkerung beeinflusst, bezeichnet Taiwan als »kognitive Kriegsführung«.15 Die chinesische Führung setzt aber auch wirtschaftliche und finanzielle Anreize für Unternehmer, Führungskräfte, Ingenieure und Studierende aus Taiwan, um diese ans chinesische Festland zu binden. Damit will China Unterstützer aus der taiwanischen Wirtschaft gewinnen16 und Abhängigkeiten verstärken. Gleichzeitig bewirkt dieses Vorgehen auch eine industrielle Aushöhlung Taiwans durch Abwerbung talentierter Kräfte.
Taiwans Resilienz
Chinas Drohungen und Einschüchterungsversuche haben in den letzten Jahren aber eher die Entschlossenheit Taiwans gestärkt, die eigenen Demokratie- und Freiheitsrechte zu verteidigen. Begründet ist Taiwans Resilienz und Stehvermögen in der nicht verhandelbaren demokratischen Identität des Landes, die auf liberalen Normen und Werten beruht. Die demokratische Transition seit den späten 1980er Jahren hat sich als nachhaltig erfolgreich erwiesen. Aus Taiwans Perspektive kann daher eine Änderung des Status quo nicht einfach verfügt werden.
Taiwans Außenbeziehungen sind ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Bemühungen, die De-facto-Unabhängigkeit der Insel zu sichern. In Taiwans politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Außenkontakten geht es immer auch um einen sichtbaren Ausweis von Eigenständigkeit, um den Gewinn von Anerkennung und Reputation. Daher kommt nicht nur den offiziellen Bemühungen um internationale Repräsentation und diplomatische Anerkennung politische Bedeutung zu. Wichtig ist auch, dass Taiwan freiwillig internationale Verträge und Normen einhält, obgleich es selbst nicht deren Signatarstaat sein kann. Weiterhin grundlegend für die Bewahrung der Unabhängigkeit Taiwans sind seine wirtschaftliche Leistungskraft, sein technologisches Innovationsvermögen und seine tiefe Einbettung in die internationale Arbeitsteilung. Taiwans Unternehmen besetzen Knotenpunkte in den globalen Lieferketten. Seine Kompetenzen und Produktionskapazitäten sind für die globale Halbleiterindustrie unverzichtbar geworden.
Die internationale Gemeinschaft und die Taiwan-Frage
Um Taiwan in seiner Existenz als demokratischer Staat zu unterstützen und die Gefahr eines militärischen Vorgehens Pekings zu verringern, ist es aus Sicht des Auslands wichtig, die Beziehungen zu Taipei in allen Bereichen – Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur – zu stärken. Auch bei einem prinzipiellen Festhalten an der Ein-China-Politik gibt es dafür Spielräume. Diese besser zu nutzen erfordert nicht nur Einfallsreichtum und Kreativität, sondern auch den politischen Willen, die Reaktionen Pekings – überwiegend wirtschaftlicher Druck und Strafmaßnahmen – auszuhalten.
Die weitaus meisten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft haben sich bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur VR China in der einen oder anderen Form zur Ein-China-Politik bekannt. Das schließt die diplomatische und formelle Anerkennung Taiwans aus. Allerdings unterhalten fast alle dieser Länder gleichzeitig informelle Beziehungen zu der Insel und haben dort Quasi-Botschaften. Eine wachsende Zahl westlicher Länder sowie Japan, Australien und Neuseeland sprechen sich immer vernehmlicher für die Wahrung von Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße aus und lehnen jeden Versuch ab, den Status quo unilateral und gegen den Willen der anderen Seite zu verändern.
Die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Studie vergleichen systematisch, wie Staaten, die von Deutschland und Europa als wichtige Partner eingestuft werden, ihre Beziehungen zu Taiwan über die Jahre gestaltet haben. Betrachtet werden die USA, Japan, Singapur, Südkorea, Australien, Indien, Europa allgemein mit Schwerpunkt EU sowie Frankreich, Deutschland und Großbritannien.
Die vergleichenden Länderanalysen sollen offenlegen, welche Spielräume andere Länder in ihrem Verhältnis zu Taiwan nutzen, um die Beziehungen zu stärken, auf diese Weise zur Stabilität in der Taiwan-Straße beizutragen und Chinas Übermacht entgegenzuwirken.
Die Politik Taiwans (offiziell Republik China: Republic of China, ROC) wird vor allem von drei Faktoren bestimmt. Der erste Faktor ist die Volksrepublik China (VRCh). Obwohl Taiwan de facto ein Land mit eigener Außenpolitik und eigenen Streitkräften ist, werden seine Außenbeziehungen maßgeblich von der VRCh beeinflusst. Diese erhebt den Anspruch, die einzig legitime Regierung ganz Chinas zu sein, und betrachtet Taiwan als dessen untrennbaren Teil. Er-klärtes Ziel der chinesischen Führung ist die »Wieder«-Vereinigung mit Taiwan. Der zweite Faktor ist Taiwans Innenpolitik. Vereinfacht gesprochen, spielen hier sowohl die Polarisierung zwischen den beiden dominierenden politischen Parteien als auch die umstrittene Identität eine Rolle. Während die »Festlandspartei« Kuomintang (KMT) eher für die chinesische Identität der Insel steht, vertritt die »Unabhängigkeitspartei« Demokratische Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party, DPP) eine spezifisch taiwanische Identität. Der dritte Faktor sind die USA als Hauptsicherheitsgarant Taiwans. Dabei ist Washington weder an einer Eskalation des Konflikts der beiden Seiten interessiert noch an einer zu starken Annäherung zwischen ihnen.1
Historischer Rückblick
Die Republik China war 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (VN) und hatte auch einen Ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat. Nachdem die regierende nationalistische KMT 1949 im Bürgerkrieg auf dem chinesischen Festland den Kommunisten unterlegen war, zog sich die Regierung mit ihren verbliebenen Truppen auf die Insel Taiwan zurück und vertrat von dort aus die Ansprüche der Republik China auf das gesamte chinesische Territorium.2 Sie repräsentierte China auch weiterhin in den VN und im Sicherheitsrat. Die Insel selbst war 1683 dem chinesischen Kaiserreich als Teil der Küstenprovinz Fujian einverleibt worden. Als Japan den Krieg 1894/95 gegen China gewonnen hatte, ging Taiwan gemäß dem Vertrag von Shimonoseki 1895 in japanischen Besitz über und blieb dies bis 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Pazifik wurde Taiwan mit einigen vorgelagerten kleineren Inseln wie Jinmen (auch Kinmen), Matsu (beide waren von Japan besetzt) und Penghu an die ROC zurückgegeben, die zu der Zeit von der KMT regiert wurde (siehe Karte 1, S. 6). Nach ihrem Rückzug auf die Insel übernahm die KMT dort die Alleinherrschaft und errichtete eine Militärdiktatur. Bis 1987 galt das Kriegsrecht.
Mit den Besuchen von US-Außenminister Henry Kissinger 1971 und US-Präsident Richard Nixon 1972 in der Volksrepublik China sowie der damit eingeleiteten Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Washington – die allerdings erst 1979 endgültig erfolgte – veränderte sich der diplomatische Status der ROC in der internationalen Staatengemeinschaft nachhaltig. Im Jahr 1971 wurde die VRCh gemäß Resolution 2758 der VN-Generalversammlung Mitglied der VN und übernahm als alleiniger Vertreter Chinas außerdem den Sitz der ROC im Sicherheitsrat.3 Auch aus allen Unterorganisationen der VN wurde die ROC bzw. Taiwan damit ausgeschlossen. Viele westliche Länder erkannten nun ebenfalls die VRCh diplomatisch an und folgten – in verschiedenen Varianten – einer »Ein-China-Politik«, wie es auch die USA im Kommuniqué von Shanghai 1972 einräumten. Danach vertraten die Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße die Haltung, es gebe nur ein China, und Taiwan sei ein Bestandteil davon.4
In einigen regionalen Organisationen musste Taiwan statt »ROC« eine andere Benennung akzeptieren, um weiterhin repräsentiert zu sein: Bei der Gründung der Asian Development Bank (ADB) im Jahr 1966 vertrat die ROC dort zunächst ganz China, konnte aber nach dem Beitritt der VRCh (1986) unter der Bezeichnung »Taipei, China« in der Entwicklungsbank verbleiben. Unter dem Namen »Chinese Taipei«5 wurde Taiwan 1991 gleichzeitig mit der VRCh und Hongkong, damals noch britische Kronkolonie, Mitglied der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC), die zwei Jahre zuvor gegründet worden war.6 Zu anderen offiziellen regionalen Foren wie dem ASEAN Regional Forum (ARF, gegründet 1994) hatte die ROC bzw. Taiwan von Beginn an keinen Zugang. Das Land ist allenfalls in dazugehörigen informellen Track-2-Foren vertreten.
Die ROC war zwar 1945 mit dem Etikett »China« auch Gründungsmitglied des Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund, IMF), verlor aber ihren Sitz 1980 an die VRCh.7 Gleiches gilt für die Mitgliedschaft der ROC in der Weltbank. Einzige Ausnahme ist die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO), der die Insel kurz nach der VRCh am 1. Januar 2002 beitrat, und zwar als »separates Zollgebiet Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu«.8
Außenpolitik Taiwans: Institutionen und Akteure
Die Außenpolitik der ROC bzw. Taiwans entspricht organisatorisch weitgehend derjenigen anderer Staaten mit einem Präsidialsystem. Der Präsident oder die Präsidentin gibt die Richtung vor und setzt Schwerpunkte; die Außenvertretung obliegt dem Außenministerium. Dies gilt auch für die Quasi-Vertretungen, die das Land in 60 von denjenigen Staaten der Welt unterhält, welche keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan unterhalten, darunter auch in den meisten EU-Staaten.9 Diese inoffiziellen Botschaften firmieren als »Wirtschafts- und Kulturbüro« oder »Vertretung Taipeis«. Fachministerien der ROC wie etwa für Wirtschaft, Kultur oder anderes spielen in ihren jeweiligen Bereichen ebenfalls eine außenpolitische Rolle.
Um die Beziehungen zwischen Peking und Taipei zu koordinieren, wurden eigens zwei Institutionen geschaffen.
Es gibt allerdings eine Besonderheit: Für Planung und Koordinierung der Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Taiwan-Straße wurden zwei spezielle Institutionen aus der Taufe gehoben. In Taiwan ist dies der Rat für Festlandsangelegenheiten (Mainland Affairs Council, MAC).10 Sein Gegenstück in der VRCh bildet das Taiwan Affairs Office (TAO). Beide haben den Rang von Ministerien.
In Taiwan wurde zunächst 1988 das Inter-Agency Mainland Affairs Committee geschaffen, seit die VRCh erstmals Verwandtenbesuche aus Taiwan auf dem Festland zuließ. Das Committee wurde schließlich 1991 als eigenständige Regierungseinrichtung MAC formalisiert. Dieser ist nicht nur für die VRCh zuständig, sondern auch für Hongkong und Macao sowie die Innere Mongolei und Tibet, denn laut ihrer Verfassung erhebt die ROC in der Tradition Vorkriegs-Chinas ebenfalls weiterhin formell Anspruch auf ganz China. Zwar gab es in der zweiten Amtsperiode des taiwanischen Präsidenten Ma Ying-jeou (2012–2016) direkte Treffen zwischen den Leitern von MAC und TAO. Offizielle Linie ist aber, dass die VRCh und Taiwan nicht miteinander verhandeln. Daher obliegen die direkten Kontakte und Verhandlungen zwischen den beiden Seiten in der Regel Vertretern zweier weiterer, eigens dafür gegründeter inoffizieller Organisationen. Auf taiwanischer Seite ist dies die Straits Exchange Foundation (SEF), auf dem Festland die Association for Relations Across the Taiwan Straits (ARATS).
Es ist eigentlich nicht Aufgabe des Außenministeriums der ROC, sich um die Beziehungen zum Festland zu kümmern. Dennoch beobachtet es vor allem die Versuche Pekings, Taiwans internationale Präsenz zurückzudrängen. Seit 2009 veröffentlicht das Ministerium eine fortlaufende Auflistung mit Fällen, in denen es Taiwans Souveränität durch andere Staaten oder internationale Organisationen und Vereinigungen – meist auf Druck der VRCh – verletzt sieht.11
Die Entwicklungszusammenarbeit ist ebenfalls im Außenministerium angesiedelt. Im Jahr 2009 publizierte es erstmals ein Weißbuch zu Taiwans Entwicklungshilfe,12 und in unregelmäßigen Abständen erscheinen Berichte des Ministeriums zur internationalen Kooperation und Entwicklung.13 Abgewickelt werden Projekte im Wesentlichen durch den International Cooperation and Development Fund (TaiwanICDF oder ICDF),14 unter anderem im Auftrag des Außenministeriums. Die Aktivitäten erstrecken sich nicht nur auf die diplomatischen Partner Taiwans, die mit Ausnahme des Vatikans allesamt Entwicklungsländer sind, sondern auch auf andere Partnerländer. Im Mittelpunkt stehen Themen aus den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft, Gesundheit und Medizin, Erziehung sowie Informations- und Kommunikationstechnologie. Der ICDF kooperiert auch mit internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Weil Taiwan nur von wenigen Staaten diplomatisch anerkannt und aus zahlreichen internationalen Organisationen ausgeschlossen wurde, spielen NGOs eine wichtige ergänzende Rolle in der Außenpolitik des Landes und werden von der Regierung finanziell unterstützt. Oft sind sie Taiwans einzige Möglichkeit, an internationalen Ereignissen teilzunehmen, wie beispielsweise der Conference of Parties (COP) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UN Framework Convention on Climate Change, UNFCCC). Im Außenministerium wurde dafür bereits im Jahr 2000 eine eigene Kommission zusammengestellt, die seit 2012 als Department for NGO International Affairs firmiert.15
Internationale Repräsentation und diplomatische Anerkennung
Die Anzahl der Staaten, die diplomatische Beziehungen mit der Republik China unterhalten, schrumpfte im Laufe der Jahrzehnte zusammen. In den Jahren 2000 bis 2008 stellte die laut Parteistatut für Taiwans Unabhängigkeit eintretende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) den Präsidenten. Während dieser Zeit versuchte die VRCh aktiv, diplomatische Verbündete Taiwans zu einem Wechsel zu motivieren. In dieser Phase der »Scheckbuchdiplomatie« setzten beide Seiten Entwicklungshilfe als Instrument ein. Auch blockierte die VRCh immer rigoroser Taiwans Zugang zu internationalen Organisationen. Peking beschuldigte den Präsidenten Chen Shui-bian, Taiwans Status einseitig und sukzessive zu verändern, indem er veranlasste, den National Unification Council aufzulösen, neue Reisepässe einzuführen, öffentliche Gebäude umzubenennen und weitere Schritte der »Taiwanisierung« zu unternehmen.16 Zwischen 1993 und 2006 versuchte die ROC jedes Jahr, direkt oder durch ihre diplomatischen Partner einen besseren Status bei den VN zu erlangen, schaffte es damit aber nie auf die Agenda. Im Jahr 2007, noch unter der Präsidentschaft Chen Shui-bians, forderte seine Regierung die Aufnahme des Landes als Vollmitglied in die VN unter der Bezeichnung »Taiwan«. Der damalige VN-Generalsekretär Ban Ki-moon erteilte diesem Versuch eine kategorische Absage.17 Bei der Präsidentschaftswahl im folgenden Jahr sollte die Bevölkerung dann per Referendum über Taiwans Repräsentation in den VN entscheiden. Die rivalisierenden Parteien DPP und KMT formulierten jeweils eigene Fragen und ließen darüber abstimmen. Beide Referenden verfehlten jedoch das notwendige Quorum.
Als die KMT 2008 sowohl die Parlaments- als auch die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, setzte eine Phase der Annäherung zwischen den Kontrahenten beidseits der Taiwan-Straße ein. Der neue taiwanische Präsident Ma Ying-jeou rief 2010 zu einem »diplomatischen Waffenstillstand« (diplomatic truce) auf, und obwohl Peking auf diesen Vorschlag nie offiziell reagierte, verlor Taiwan in den nächsten acht Jahren keinen seiner damals noch 23 diplomatischen Verbündeten.18 Taiwan verzichtete auch auf direkte Vorstöße in den VN und konzentrierte sich stattdessen auf die Forderung nach »sinnvoller Beteiligung« (meaningful participation) an Sonderorganisationen der VN. Dies war zumindest teilweise erfolgreich. Ab 2009 gestattete die VRCh über einige Jahre hinweg Taipeis Teilnahme als Beobachter an der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (World Health Assembly, WHA). Seit 2013 durften zudem taiwanische Repräsentanten mit Pekings Plazet an der nur alle drei Jahre stattfindenden Versammlung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO) teilnehmen. Allerdings bedurfte es dazu jeweils einer gesonderten Einladung, die zu jeder Versammlung neu ausgesprochen werden musste.19 Weitere internationale Organisationen, in denen Taiwan nach wie vor zumindest Beobachterstatus anstrebt, aber erfolglos blieb, sind Interpol und die UNFCCC.
Seit 2016 hat sich Pekings Haltung gegenüber Taipei verhärtet, und die Insel verliert Verbündete.
Seit Tsai Ing-wens Sieg bei der Präsidentschaftswahl und der Rückkehr der DPP an die Macht im Jahr 2016 zeigt die VRCh jedoch keinerlei Entgegenkommen mehr. Trotz großer internationaler Unterstützung für eine funktionale Beteiligung Taiwans an internationalen Organisationen, die keine Staatlichkeit voraussetzen, blockiert Peking wieder konsequent jeden Schritt in diese Richtung.20 Seit 2017 wird Taipei nicht mehr zu WHA und ICAO eingeladen. Auch der Ausbruch der Covid-19-Pandemie änderte nichts an Pekings harter Haltung. Taiwan blieb der Zugang zur WHO bzw. WHA auch in dieser Ausnahmesituation verwehrt, da jegliches Zugeständnis in Sachen internationaler Kooperation als Anerkennung von Taiwans Staatlichkeit interpretiert werden könnte.
Die Zahl der diplomatischen Verbündeten Taiwans ist seit Tsai Ing-wens Amtsübernahme weiter gesunken. Im Juli 2021 unterhielt Taiwan nur noch zu 15 Staaten offizielle Beziehungen, überwiegend in Mittelamerika und im Südpazifik.21 In Europa war in diesem Kontext schon seit langem einzig der Vatikanstaat als Verbündeter verblieben, dem deshalb besondere Bedeutung zukommt.
Diplomatische Beziehungen wenigstens zu einigen Staaten aufrechtzuerhalten ist nicht nur für Taiwans Selbstwertgefühl und Würde wichtig. Diese Beziehungen bieten auch Gelegenheit für eine wenn auch beschränkte Teilhabe an internationalen Angelegenheiten sowie für Staatsbesuche und Reisen ranghoher Politiker, denen der Besuch anderer Staaten verwehrt bleibt.22 Solche offiziellen Reisen wurden üblicherweise auch für Zwischenstopps (zum »Auftanken«) und inoffizielle Treffen genutzt, besonders in den USA.23 Zudem hatte Taiwan in der Vergangenheit eine bessere Chance, zu internationalen Zusammenkünften eingeladen zu werden, wenn diese in einem der Staaten stattfanden, zu denen es diplomatische Beziehungen unterhielt.
Außenpolitik: Prinzipien und Schwerpunkte
Seit Beginn der Demokratisierung in den 1980er Jahren hat Taiwan in seiner Außenpolitik verschiedene Phasen durchlaufen, die stark vom jeweiligen Präsidenten oder der Präsidentin geprägt waren. Lee Teng-hui (KMT), der erste demokratisch gewählte Präsident der ROC,24 setzte auf eine flexible Außenpolitik, mit der er vor allem das internationale Standing der ROC verbessern wollte, selbst wenn dies Zugeständnisse in der Bezeichnung erforderlich machte. Sein Nachfolger Chen Shui-bian (DPP, 2000–2008) betrieb – auch als Reaktion auf die Gesprächsverweigerung und das Misstrauen seitens Pekings – eine Diplomatie der Nullsummenlogik, die nicht nur seine politischen Gegner als »Diplomatie der verbrannten Erde« (scorched earth diplomacy) titulierten. Auch das Verhältnis zu den USA wurde durch Chens Politik erheblich belastet, da Washington sie als unnötige Provokation Pekings auffasste.
Ma Ying-jeou (KMT, 2008–2016) kehrte dann zu der pragmatischen und flexiblen Haltung zurück, die in Lees Regierungszeit vorgeherrscht hatte und als »praktikable Diplomatie« (viable diplomacy) bezeichnet wird.25 Die Schwerpunkte lagen darauf, die noch bestehenden diplomatischen Beziehungen in einem »diplomatischen Waffenstillstand« zu konsolidieren, das Verhältnis zu anderen Staaten zu verbessern, vor allem zu den USA und zu Japan, eine funktionale Beteiligung Taiwans an internationalen Organisationen, auch über NGOs, zu ermöglichen, die taiwanische Wirtschaft wiederzubeleben und dafür bilaterale und regionale Freihandelsabkommen wie die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) und die Trans-Pacific Partnership (TPP) zu nutzen sowie schließlich Kulturdiplomatie als Ausdruck taiwanischer soft power zu betreiben.26 Nach der turbulenten Periode unter Chen Shui-bian konnten mit diesem pragmatischen Ansatz vor allem die Beziehungen zu den USA normalisiert werden. Was den internationalen Spielraum anbelangt, war die Bilanz, wie oben ausgeführt, gemischt: Die wenigen Erfolge blieben abhängig vom guten Willen der VRCh, denn Peking wollte keinesfalls Präzedenzfälle schaffen, die auch nach einem neuerlichen Regierungswechsel in Taipei weiter gegolten hätten.
Präsidentin Tsai Ing-wen, die seit 2016 im Amt ist, knüpfte zwar an Richtung und Prinzipien der Vorgängerregierung an, setzte dabei aber eigene Schwerpunkte. Im Unterschied zur Regierung Ma Ying-jeous konnte die DPP-Regierung nicht auf eine entgegenkommende Haltung Pekings bauen, obwohl Tsai sich zu Stabilität in der Taiwan-Straße bekannte. Immerhin gelang es ihr, Washington davon zu überzeugen, dass von ihr keine Überraschungen wie zuvor unter Chen Shui-bian zu befürchten waren.27
Ein zentrales Merkmal der Außenpolitik unter Tsai, das auch schon unter Ma eine Rolle spielte, besteht darin, dass Taiwan bewusst und freiwillig international vereinbarte Standards einhält und internationale Verträge erfüllt, auch wenn es keine Möglichkeit hat, diesen Vereinbarungen formell beizutreten. Taiwan agiert, als wäre es Mitglied der wesentlichen internationalen Organisationen, und versucht dazu beizutragen, deren Ziele zu erreichen bzw. umzusetzen.28 Damit präsentiert sich Taiwan als verantwortungsvoller Akteur in der internationalen Gemeinschaft und als vorbildliche Demokratie. Dies gilt für die Einhaltung der Menschenrechte, den Kampf gegen den Klimawandel und die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der VN.29 Bei der Entwicklungszusammenarbeit richtet sich Taiwan nach OECD-Standards.30 Unter der Tsai-Regierung setzt Taiwan bewusst seine »herzliche Macht« (warm power) dem diplomatischen Instrumentarium der VRCh entgegen. Dieses Arsenal Pekings wird mittlerweile als »scharfe Macht« (sharp power) bezeichnet, weil die chinesische Führung unter anderem wirtschaftlichen Druck ausübt sowie systematische Desinformation und eine aggressive, sogenannte Wolfskrieger-Diplomatie betreibt.31
Interessant im Zusammenhang mit Taiwans »Als ob«-Verhalten sind die Streitigkeiten im Ost- und Südchinesischen Meer. Taiwan vertritt hier historisch deckungsgleiche maritime Ansprüche wie die VRCh32 und hielt an diesen auch unter der Präsidentschaft Tsai Ing-wens fest. Es bezieht sich dabei aber auf Prinzipien der internationalen Seerechtskonvention der VN und plädiert dafür, die Freiheit der Schifffahrt und Überflugrechte zu garantieren.33 Taiwan war auch bereit, sich an den Verhandlungen in Den Haag über das Südchinesische Meer zu beteiligen, wurde aber nicht gehört. Schon aus diesem Grund lehnte Taiwan das Urteil des Gerichthofs ab.34
Unter Tsais Regierung startete Taiwan im Jahr 2017 erneut eine Kampagne, um seinen Status bei den VN aufzuwerten.35 Diese basiert auf drei Forderungen: verbesserter Zugang der Bevölkerung Taiwans zum VN-System, Beendigung der Diskriminierung von Bürgern Taiwans beim Betreten von VN-Gebäuden36 und schließlich Einbeziehung Taiwans in Zusammenkünfte, Mechanismen und Aktivitäten im SDG-Kontext. In der Substanz stellt diese Kampagne nichts Neues dar, und es ist keine Überraschung, dass sie ebenso ergebnislos blieb wie frühere Versuche.
Mit seiner »New Southbound Policy« will Taiwan die Abhängigkeit von der Volksrepublik reduzieren.
Eine Initiative, die Taiwan nach dem Amtsantritt Tsai Ing-wens 2016 unter neuem Namen wiederbelebte, ist die »New Southbound Policy« (NSP) – eine »Go South«-Politik hatte es auch schon unter den Präsidenten Lee und Chen gegeben.37 Die NSP zielt darauf ab, die Beziehungen zu den Staaten Süd- und Südostasiens sowie zu Australien und Neuseeland zu intensivieren und so die einseitige, vor allem wirtschaftliche Abhängigkeit von der VRCh zu reduzieren. Ursprünglich standen dabei die zehn ASEAN-Staaten und Indien im Mittelpunkt. Mit der Ausweitung des geographischen Blickfeldes stellt Taiwan einen expliziten Bezug zwischen der NSP und den Indopazifik-Konzepten der USA, Japans und anderer Staaten her und schließt sich deren Strategie eines »freien und offenen Indopazifiks« an.38 Die NSP umfasst vier Dimensionen: Wirtschafts- und Handelskooperation, Austausch von Talenten, gemeinsame Nutzung von Ressourcen und regionale Konnektivität. Während Mas Präsidentschaft hatte die Annäherung an die VRCh im Vordergrund gestanden – in den beiden Amtsperioden waren 23 bilaterale Abkommen ausgehandelt worden. Zudem hatte sich in jener Zeit die wirtschaftliche Integration Taiwans mit dem Festland verstärkt, aber auch seine Abhängigkeit von der VRCh. Im Zentrum der NSP hingegen steht die Diversifizierung.
Fazit
Der offizielle und informelle Bewegungsspielraum für Taiwans Außenpolitik bleibt durch die VRCh massiv eingeschränkt: Selbst in der Phase der Annäherung zwischen den beiden Seiten während der zwei Amtszeiten Ma Ying-jeous achtete Peking darauf, keinen Präzedenzfall zu schaffen, aus dem sich ein Recht Taiwans auf dauerhafte Teilnahme an internationalen Organisationen – wenn auch nur als Beobachter – hätte ableiten lassen. Die Aufnahme in internationale Organisationen oder in regionale Freihandelsabkommen wie das RCEP oder das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) wird Taiwan kaum gegen Pekings Widerstand durchsetzen können. Daran ändert auch nichts, dass die Unterstützung aus anderen Ländern wie zuletzt in der gemeinsamen Erklärung der G7-Staaten lauter und deutlicher geworden ist. Peking hat seine Instrumente ausgeweitet und geschärft, mit denen es nicht nur Druck auf Taiwan selbst, sondern auch auf internationale Organisationen, andere Staaten und Unternehmen ausübt.
Um die innenpolitische Unterstützung der jeweils eigenen Wählerschaft nicht zu verlieren, muss jede Regierung in Taiwan, sei sie von der KMT oder der DPP geführt, eine Balance finden zwischen der Annäherung an das Festland einerseits und dem Eintreten für die Souveränität und Würde Taiwans andererseits. Taiwans Außenpolitik muss dabei nach Möglichkeit Schritte vermeiden, welche die VRCh oder die USA als einseitige Infragestellung des Status quo, der sich ohnehin ständig verändert, wahrnehmen könnten. Schließlich muss Taipei darauf achten, sich nicht von außen benutzen zu lassen, beispielsweise in den Streitigkeiten im Südchinesischen Meer.
Unterhalb der Schwelle formeller diplomatischer Beziehungen versucht Taiwans Diplomatie Spielräume systematisch und klug zu nutzen. Das Land bleibt aber abhängig davon, wie weit seine jeweiligen Partner bereit sind, dies zuzulassen und mitzutragen. Taiwan kann allerdings einiges in die Waagschale werfen. Dazu gehören wirtschaftliche Stärken wie etwa bei der Produktion von Halbleitern, international regelkonformes Verhalten, normative, kulturelle und gesellschaftliche soft power sowie reichlich Erfahrung im Umgang mit Chinas außenpolitischem Instrumentarium, besonders Cyberangriffen, Desinformation, militärischen Drohungen, aber auch wirtschaftlichen Verlockungen. All das macht Taiwan zu einem attraktiven Partner auch für jene, die nicht diplomatisch mit ihm verbunden sind.
Für Taiwan, dessen nationale Existenz von dem übermächtigen Nachbarn China politisch bestritten wird, hängt das staatliche Überleben von der eigenen wirtschaftlichen und technologischen Stärke mindestens so sehr ab wie von seiner Diplomatie und Außenpolitik. Wirtschaftlich und technologisch steht Taiwan unter ständigem Druck, eine Spitzenposition einzunehmen, die Abhängigkeit von China so gering wie möglich zu halten und für Dritte attraktiv zu bleiben. Aus der Außensicht stellen sich die Fragen, wie Taiwan mit dieser Drucksituation umgeht und wie und wo eine gehaltvolle ökonomische und technologische Zusammenarbeit möglich ist.
Taiwan in der Weltwirtschaft
Trotz der geringen Bevölkerungsgröße (23,6 Millionen) und der diplomatischen Außenseiterrolle des Landes sollte das weltwirtschaftliche Gewicht Taiwans nicht unterschätzt werden. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 668,5 Milliarden US-Dollar lag Taiwan im Jahr 2020 unter den Volkswirtschaften weltweit immerhin auf dem 21. Rang und war die sechstgrößte in Asien nach China, Japan, Indien, Korea und Indonesien. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 28.306 US-Dollar (2020) ist Taiwan das viertwohlhabendste Land Asiens, nach Singapur, Japan und Korea.1
Selbst für asiatische Maßstäbe ist Taiwans Volkswirtschaft makroökonomisch äußerst stabil. Wie schon in der Asienkrise (1997/98) und der globalen Finanzmarktkrise (2008/09) erwies sich Taiwan auch in der Pandemiekrise 2020 als außerordentlich krisenresilient. Obwohl Taiwan geographisch nicht weit vom Infektionsherd China entfernt liegt, konnte es lange Zeit größere Infektionsausbrüche vermeiden2 und profitierte zudem von der steigenden globalen Nachfrage nach elektronischen Bauelementen sowie Büro- und Konsumelektronik. Taiwan wies 2020 einen geschätzten Zuwachs des BIP von real 3,1% auf. Damit wuchs seine Wirtschaftsleistung erstmals seit Chinas Tiananmen-Krisenjahr 1989 stärker als die der Volksrepublik. Derweil verharrte im Jahr 2020 die Arbeitslosenrate bei 3,9%, die Inflationsrate unverändert bei 0%. Zwar stiegen öffentliches Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung auf 4,7% bzw. 35,6%. Gleichzeitig erhöhten sich bei einem Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von 9,6% des BIP aber auch die Währungsreserven auf den Rekordstand von 541 Milliarden US-Dollar, so dass Taiwan nun nach China, Japan, der Schweiz, Russland und Indien das Land mit den weltweit sechstgrößten Währungsreserven ist.3
Ein außergewöhnlich hoher Anteil der taiwanischen Wertschöpfung, nämlich 36%, entfällt auf das verarbeitende Gewerbe.4 Als industrieller Fertigungsstandort ist Taiwan sehr breit aufgestellt und dabei überwiegend mittelständisch strukturiert. Einigen wenigen Großunternehmen wie Foxconn, Pegatron, Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), MediaTec und Formosa Petrochemical stehen zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen gegenüber, die der taiwanischen Volkswirtschaft ihre anerkannt hohe Dynamik und Flexibilität verleihen. Während der industrielle Schwerpunkt in den Bereichen Elektronik, Information und Kommunikation liegt, verfügt Taiwan auch über beträchtliche Kapazitäten in traditionellen Industriesektoren. Dazu zählen Maschinen- und Fahrzeugbau, Chemie, Kunststoff, Stahl, Pharmazeutik, Textil, Bekleidung und Nahrungsmittelverarbeitung.
Die besonderen Wettbewerbsstärken Taiwans liegen in der Auftragsfertigung für multinationale Industriekonzerne. Attraktiv sind taiwanische Firmen als Auftragnehmer nicht allein wegen ihrer Kostenvorteile, nicht zuletzt aufgrund der oft aufs Festland und ins Ausland verlagerten Produktion, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, Fertigungsprozesse rasch und flexibel an Kundenwünsche, Markterfordernisse und technologischen Wandel anzupassen. Von Vorteil sind dabei die industrielle Breite Taiwans, das kooperative wirtschaftliche Umfeld und die internationale Vernetzung.
Über Produktions- und Lieferketten ist Taiwan tief in die regionale Arbeitsteilung von »Factory Asia« eingebettet. In Relation zur inländischen Wertschöpfung belief sich der Anteil der Exporte und Importe 2020 wertmäßig auf 94,4%, der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen (Bestände) auf 52%.5 Auch wenn damit für Taiwan politische Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten einhergehen, ist China der bei weitem wichtigste Handelspartner (Export 24,6%, Import 20,3%) und Investitionsstandort (55%) für das Land (siehe Grafiken 1 und 2). Dies mag angesichts der politischen Gegensätze paradox erscheinen, kann aber wegen der ökonomischen Komplementarität und geographisch-kulturellen Nähe der beiden Volkswirtschaften auch nicht überraschen. Die Verlagerung arbeits- und ressourcenintensiver Fertigungsprozesse auf das chinesische Festland war durchweg ein unternehmerischer Bottom-up-Prozess. Als unwiderstehliche Investitionsanreize erwiesen sich die unmittelbaren Kosteneinsparungen und vor allem die Aussicht auf enorme Gewinne im Zuge expandierender Festlandproduktion.
Obwohl noch bis 2008 direkte Schiffs- und Flugverbindungen verboten waren und die Regierung in Taipei immer wieder mit Subventionen versuchte, taiwanische Auslandsinvestitionen nach Südostasien zu lenken, investierte Taiwans Wirtschaft vornehmlich auf dem Festland. Am Jahresende 2020 beliefen sich Taiwans Festlandsinvestitionen auf 192,4 Milliarden US-Dollar, was 55% seiner gesamten Auslandsinvestitionen entsprach. Allerdings sind Taiwans laufende Investitionen in China seit dem Jahr 2015 rückläufig, sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ im Vergleich zu seinen übrigen Auslandsinvestitionen.6 Eine ähnliche Entwicklung ist in Taiwans Außenhandel festzustellen. Zwar hat der China-Handel des Landes auch in der vergangenen Dekade in absoluten Werten weiter zugenommen. Aber der Stellenwert Chinas in Taiwans Export stagniert seit 2010 unterhalb von 30%, im Import seit 2015 bei rund 20% des Gesamtwertes.
Die Kehrseite der ökonomischen Vernetzung mit dem Festland ist die höhere politische Abhängigkeit der Insel von der Volksrepublik.
Die Kehrseite der profitablen ökonomischen Vernetzung mit dem Festland ist die erhöhte politische Abhängigkeit der Insel von der Volksrepublik und größere Verwundbarkeit ihr gegenüber. Obgleich um 2015 ein Diversifizierungstrend einsetzte, bleibt das Volumen von Taiwans Außenhandel mit den USA (Export 11,7%, Import 12,7%), Japan (Export 6,6%, Import 16%), dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) (Export 17,6%, Import 12,6%) und der Europäischen Union (EU) (Export 12,7%, Import 10,8%) noch immer deutlich geringer als der Cross-Strait-Handel (siehe Grafiken 1 und 2).
Als Investor in Taiwans Wirtschaft spielt die Volksrepublik China aufgrund der taiwanischen Restriktionen nach wie vor eine geringe Rolle. Unter den Auslandsinvestoren dominieren die EU (25,7%), die USA (13,1%) und Japan (12,4%) (siehe Grafik 2).
Neue Herausforderungen für Taiwans Wirtschaftspolitik
In der Entwicklung Taiwans zu einem fortgeschrittenen Industrieland hat der Staat immer eine führende Rolle gespielt. So dominierte die Staatswirtschaft in den Nachkriegsjahren zunächst Produktion und Außenhandel. Aber schon in den 1960er Jahren schaltete die Politik auf eine marktwirtschaftliche, außenorientierte Industriepolitik um und legte dabei den Schwerpunkt auf eine regelgebundene sektorale Innovations- und Investitionsförderung. Ihre wichtigsten Instrumente waren und sind die breite Förderung einheimischer MINT-Fakultäten und -Studiengänge, die Etablierung staatlicher Forschungsprojekte in prospektiven Industriebereichen, die Errichtung und der Betrieb gut funktionierender Industrie- und Technologieparks sowie die aktive Ein- bzw. Anwerbung von Direktinvestitionen und chinesischstämmigen Ingenieuren aus dem Ausland. Zuweilen trat auch der Staat selbst als Unternehmer auf, etwa wenn sich die mittelständisch strukturierte einheimische Industrie wegen Kapitalmangels oder unzureichender Risikobereitschaft und Forschungsorientierung nicht selbst engagierte.7 Beispielsweise sind in der Mikroelektronik und im Flugzeugbau wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen aus dem Spin-off vormals staatlicher Forschungseinrichtungen entstanden.8
Trotz aller Entwicklungserfolge in Industrie und Wirtschaft ist Taiwan mit strukturellen Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Nach den Worten von Präsidentin Tsai Ing-wen sind Taiwans Entwicklung durch die fünf Knappheiten bei Land, Wasser, Energie, Arbeitskräften und Talenten Grenzen gesetzt. Nach der Millenniumswende haben nicht nur die lohnintensiven Textil-, Bekleidungs- und Metallverarbeitungsbetriebe Taiwan den Rücken gekehrt, sondern auch viele Betriebe mit hoher Wertschöpfung. So finden inzwischen rund 80% der Produktion taiwanischer Firmen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auf dem chinesischen Festland statt.9 Im Perlflussdelta und im Großraum Shanghai sind Forschungs- und Produktionsökosysteme entstanden, die jenen Taiwans ebenbürtig, wenn nicht überlegen sind. Neben Kostenvorteilen, der unmittelbaren Präsenz im chinesischen Markt und der massiven industriepolitischen Förderung durch verschiedene chinesische Körperschaften spricht mittlerweile auch das innovative und dynamische industrielle Umfeld für das Festland.
Zwar hat es Taiwans Wirtschaft verstanden, mittels Kostenanpassungen, Produktivitätsverbesserungen und betrieblicher Flexibilität seinen ungewöhnlich hohen Industrieanteil an der inländischen Wertschöpfung zu halten. Nur in Ansätzen aber ist es gelungen, neue Industrien zu entwickeln.10 Der zögerliche industrielle Strukturwandel hat auch makroökonomisch problematische Konsequenzen. So stagnierten in den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts die Löhne, und die Bruttoanlageinvestitionen entwickelten sich verhalten. Daher blieb das gesamtwirtschaftliche Wachstum schwach, anders als etwa in Südkorea. Die Schere in der Verteilung von Einkommen und Vermögen ging derweil auseinander.
Strategische Positionierung in der Halbleiterindustrie
Ein Bereich, in dem Taiwan sich ausgezeichnet im globalen Wettbewerb behauptet, ist die Mikroelektronik. Eine Schlüsselstellung hält Taiwan in der Produktion von Halbleitern, dem materiellen Grundstoff und technologischen Treiber des Digitalisierungszeitalters. Im Jahr 2020 erwirtschafteten taiwanische Unternehmen 20,1% des Weltumsatzes im Chip-Design, 77,3% in der Chip-Fertigung und 57,7% in der Chip-Verpackung und -Testung. Firmen aus Taiwan gehören zu den Weltmarktführern, so MediaTec in der Chip-Entwicklung, TSMC und United Microelectronics Corporation (UMC) in der Chip-Fertigung, Globalwafers in der Wafer-Fertigung (dem Silikon-Substrat der Chip-Produktion) sowie Advanced Semiconductor Engineering (ASE) im Chip-Verpacken und -Testen.11 Elektronische Bauelemente sind das mit Abstand wichtigste Exportprodukt des Landes (siehe Grafik 3). China, die ASEAN-Staaten, Japan und Korea sind die bedeutendsten Abnehmer.
Der Erfolg der taiwanischen Halbleiterindustrie beruht auf einer Reihe von Faktoren. Dies sind die generell guten lokalen Standortbedingungen für industrielle Produktion im Land, der langanhaltende Brain-Drain von in den USA ausgebildeten chinesischstämmigen Ingenieuren aus dem Silicon Valley, der Nachfragesog taiwanischer und chinesischer Chip-Anwendungsindustrien sowie eine langfristig planende, intensive industriepolitische Förderung.12
Eindrucksvoll ist die Branchendominanz von TSMC. Im Auftrag von Halbleiterfirmen ohne eigene Fertigungsstätten (»fabless«) führte das Unternehmen Ende der 1980er Jahre die Spezialisierung auf Chip-Fertigung als unternehmerische Innovation ein. Inzwischen hat sich dieses Geschäftsmodell der Auftragsfertigung (»foundry«) gegenüber der integrierten Halbleiterproduktion weitgehend durchgesetzt. Im Jahr 2020 hielt TSMC 55% des Weltmarktes in der Chip-Auftragsfertigung und avancierte zum elftgrößten Unternehmen weltweit, gemessen an der Marktkapitalisierung. TSMC ist auch Innovationsführer, denn dem Konzern gelang es als erstem, die kommerzielle Halbleiterproduktion mit einer Strukturbreite von 5 Nanometer aufzunehmen.13 Gegenwärtig beabsichtigt das Unternehmen seinen technologischen Vorsprung auszubauen. Dazu plant es bis 2024 massive Investitionen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar, die in den Aufbau der Halbleiterproduktion mit Strukturbreiten von 3 bzw. 2 Nanometer fließen sollen. Gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) soll die 1-Nanometer-Technologie entwickelt werden.14
Der taiwanische Konzern TSMC ist in der globalen Halbleiterindustrie nahezu konkurrenzlos.
Kraft seiner Marktmacht und seiner Technologieführerschaft im Bereich der Hochleistungsprozessoren ist die Stellung des Konzerns TSMC in der globalen Halbleiterindustrie einzigartig. De facto ist er in den neueren Produktgenerationen nur noch einem begrenzten Wettbewerb ausgesetzt. Der immense Investitionsbedarf für Entwicklung und Installation ist eine effektive Markteintrittshürde. Als First Mover und zeitweiliger Monopolist in den frühen Produktlebenszyklen von Halbleitern kann TSMC hohe Absatzpreise durchsetzen und lukrative Pionierrenten abschöpfen. Die Unverzichtbarkeit von Halbleitern der neuesten Generation in Anwendungen wie der Künstlichen Intelligenz, Hochgeschwindigkeitsrechnern, Cloud-Servern, 5G-Kommunikationssystemen, Autonomem Fahren oder militärischen Drohnen verleiht der Unternehmenspolitik von TSMC gleichsam eine geopolitische Dimension. Denn die quasi monopolartige Existenz technologisch führender Halbleiterproduktionsstätten in Taiwan hat nicht nur für die globalen industriellen Wertschöpfungsketten strategische Bedeutung, sondern auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Ein gegen Taiwan gerichteter kriegerischer Akt Chinas würde die Versorgung des Festlandes mit diesem so kritischen Input gefährden. Metaphorisch gesprochen verfügt Taiwan über einen »Schutzschild aus Silizium« (»silicon shield«).15
Aus taiwanischer Perspektive ist es günstig, dass das kommerzielle Interesse von TSMC und das außenpolitische Interesse Taiwans derzeit durchaus kongruent sind in dem Bestreben, die zentrale Position der Insel als global führender Standort der Halbleiterproduktion zu verteidigen und damit den strategischen Wert Taiwans als Teil der technologischen Einflusssphäre Amerikas zu unterstreichen. Entscheidend dabei ist, dass TSMC seinen Kompetenzvorsprung mit eigener Pilotproduktion der jeweils neuesten Chip-Generationen in Taiwan behauptet. Sobald Fertigungsstätten in Auslandsmärkten wie Amerika, Japan und eventuell Europa errichtet werden, könnte TSMC seine weltweit führende Marktstellung sogar noch ausbauen.
Zwar muss TSMC zwischen Peking und Washington einen gewissen Spagat vollziehen, doch positioniert sich das Unternehmen klar auf der Seite Amerikas. Sicherlich verfolgt TSMC kommerzielle Interessen in der Volksrepublik, dem bei weitem wichtigsten Absatzmarkt für Halbleiter überhaupt: Mehr als 50% der jährlichen Weltproduktion an Chips werden zur industriellen Weiterverarbeitung in China verwendet.16 TSMC hat angekündigt, seine Fertigungsstätte älterer Generation in Nanjing zu erweitern und zu modernisieren. Wichtiger aber bleibt für TSMC seine Anbindung an Amerika. Denn der Konzern erzielt zwei Drittel seines Umsatzes mit amerikanischen Firmen, ist auf industrielle Zulieferungen aus den USA (sowie Japan, Korea und Europa) existentiell angewiesen und arbeitet in der Entwicklung mit amerikanischen Forschungsinstitutionen eng zusammen. Es war daher für TSMC unausweichlich, den von der Trump-Administration im Mai 2020 erlassenen Exportkontrollmaßnahmen Folge zu leisten und die Chip-Lieferungen an den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei einzustellen, damals immerhin der nach Apple zweitwichtigste Kunde des Unternehmens. Außerdem sagte TSMC zu, 12 Milliarden US-Dollar zu investieren, um eine 5-Nanometer-Produktionsanlage in Arizona zu errichten. Da die Produktionskosten in den USA aber etwa 20% höher liegen als in Taiwan, konnte TSMC mit Amerika Ausgleichssubventionen aushandeln.17
Die Probleme und Sorgen von TSMC in Bezug auf China sind ähnlich gelagert wie die Amerikas. Der Konzern muss sich immer wieder chinesischer Patentrechtsverstöße und Industriespionage erwehren und ist der konstanten Abwerbung seiner Ingenieure ausgesetzt. Währenddessen hat sich Chinas Industriepolitik zum Ziel gesetzt, über die gesamte Wertschöpfungskette eine global führende Halbleiterindustrie zu entwickeln und mittelfristig den heimischen Markt aus heimischer Produktion zu decken. Zu diesem Zwecke erhalten chinesische Unternehmen exorbitante Subventionen für Forschung, Entwicklung und Produktion.18 Demgegenüber versucht Taiwans Regierung durch Investitionsrestriktionen und neuerdings durch Abwerbeverbote die Abwanderung der industriellen Kompetenzen nach China zu unterbinden.19 Hilfreich muss es da aus taiwanischer Perspektive anmuten, dass die amerikanische Regierung im Dezember 2020 auch gegenüber dem chinesischen Unternehmen Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC) Exportkontrollmaßnahmen erließ, dem wichtigsten chinesischen Wettbewerber von TSMC.20 Ohne den Import der für technologisch fortgeschrittene Halbleiterproduktion erforderlichen Anlagen, Ausrüstungen und Materialien wird SMIC bis auf weiteres nur die weniger lukrativen Halbleiter älterer Generationen herstellen können.21 Insofern profitiert Taiwans Halbleiterindustrie von Amerikas konfrontativer Handelspolitik gegenüber China.
Taiwans defensive Außenwirtschaftspolitik
Taiwans tiefe Integration in die internationale Arbeitsteilung, die prominente Rolle taiwanischer Unternehmen in den regionalen Wertschöpfungsketten sowie die Offenheit der Insel für Importe und Direktinvestitionen verdeutlichen unmittelbar, wie notwendig und wichtig eine für die Insel probate Außenwirtschafts- und Handelspolitik ist. Angesichts der von Peking negierten Souveränität Taiwans ist die handelspolitische Ausrichtung zwangsläufig defensiv. Nicht die Erweiterung der Exportmöglichkeiten und damit die Zuwächse an Einkommen, Beschäftigung und Wachstum stehen im Vordergrund. Vielmehr geht es im Zuge der weltweit steigenden Zahl handelspolitischer Abkommen darum, Diskriminierungen zu vermeiden oder wenigstens zu begrenzen, denn die in bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen vereinbarten Liberalisierungen gelten nicht für Drittstaaten. Länder wie Taiwan, die an den Abkommen nicht beteiligt sind, werden von den Vergünstigungen ausgeschlossen und dürfen bei der Weiterentwicklung von Handelsregeln nicht mitwirken. Taiwans Unternehmen und die von ihnen gelenkten Produktions- und Lieferketten müssen aber anschlussfähig bleiben, wenn anderswo neue Standards für Zollabwicklung, Ursprungsregeln, Investitionen und Nachhaltigkeit gesetzt werden. Güter und Dienstleistungen »Made in Taiwan« müssen ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wahren, wenn für sie andernorts vereinbarte Zollliberalisierungen nicht gelten.
In diesem Sinne als defensiv zu verstehen ist auch die allgemeinpolitische Maßgabe an Taiwans Außenwirtschaftspolitik, auf eine Diversifizierung der eigenen Absatz- und Investitionsmärkte hinzuwirken. Groß ist nämlich die Sorge, dass Taiwans Widerstand gegen Chinas Annexionsstreben gebrochen werden könnte, wenn die ökonomische Abhängigkeit vom Festland und damit die politische Verwundbarkeit gegenüber der Volksrepublik übermächtig werden.
Jenseits der ökonomischen Motive hat Taiwans Handelspolitik zwangsläufig auch eine politische Komponente. Jedes handelspolitische Abkommen mit einem Drittstaat, jede Mitgliedschaft Taiwans in multilateralen Organisationen steht symbolhaft für die staatliche Souveränität des Landes und hat damit einen außenpolitischen Wert an sich. Gleichwohl liegt die institutionelle Zuständigkeit für Handelspolitik beim Wirtschaftsministerium.
Vor dem Hintergrund dieser extremen Rahmenbedingungen verfolgt Taiwan mit seiner Handelspolitik ambitionierte Ziele auf multilateraler, unilateraler und bilateraler Ebene.
Multilaterale Ebene
Unter der Bezeichnung Zollgebiet Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu trat Taiwan am 1. Januar 2002 der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) bei, genau einen Monat später als die Volksrepublik China. Seitdem ist es eigenständiges WTO-Mitglied mit allen Rechten und Pflichten. Vor allem genießt Taiwan reziprok, also auf Grundlage der Gegenseitigkeit und zum wechselseitigen Nutzen, Meistbegünstigung im Marktzugang der WTO-Welt und ist im Gegenzug an die gegebenen Zusagen in der Importliberalisierung und Zollsetzung gebunden. Als WTO-Mitglied nahm Taiwan aktiv an der später gescheiterten Doha-Welthandelsrunde teil und ist mehreren plurilateralen WTO-Abkommen beigetreten, allen voran dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (2009) und dem Informationstechnologie-Abkommen (1996/2015).22 Taiwan scheut auch nicht davor zurück, den WTO-Streitschlichtungsmechanismus zu nutzen, wenn es sich durch Importprotektion zu Unrecht benachteiligt sieht. Tatsächlich endeten die insgesamt sieben von Taiwan angestrengten Verfahren gegen die EU, Indien, Indonesien, Kanada und die USA erfolgreich, soweit sie bis dato abgeschlossen wurden. Andererseits wurde gegen Taiwan bisher kein Streitschlichtungsverfahren eingeleitet, was als Beleg für die offene, rechtsstaatskonforme Handelspolitik der Insel gelten kann. Durch die Teilnahme als Drittstaat an bislang 129 Konsultationen im Rahmen von Streitschlichtungsverfahren zeigt Taiwan Präsenz auf der internationalen Bühne und baut juristische Kompetenzen im internationalen Handelsrecht auf.23
Unilaterale Ebene
Seit jeher verfolgte Taiwan eine aktive Außenwirtschaftspolitik, um Entwicklung, Industrialisierung und Wachstum zu befördern.24 Um den in oder aus Taiwan heraus operierenden multinationalen Unternehmen die erforderlichen außenwirtschaftlichen Freiräume zu gewähren, öffnete das Land bereits vor dem WTO-Beitritt 2002 sukzessive seine Importmärkte und senkte die Industriezölle auf ein vergleichsweise niedriges Niveau. Gegenwärtig beläuft sich der gebundene Durchschnittzollsatz Taiwans auf 6,9%, der handelsgewichtete Durchschnittszollsatz auf 1,9%. Zum Schutz der heimischen Landwirtschaft ist der gebundene Agrar-Durchschnittszollsatz mit 18,5% allerdings hoch.25
Angesichts der unwiderstehlichen ökonomischen Attraktivität der Volksrepublik drohte Taiwans Außenorientierung etwa ab Mitte der 1990er Jahre eine selbstzerstörerische Wirkung zu entfalten. Befürchtet wurde zum einen eine industrielle Aushöhlung Taiwans, da zahlreiche Produktionsstätten auf das Festland verlegt wurden. Zum anderen wurde geargwöhnt, die politische Loyalität seiner in China investierenden Unternehmer könne so weit erodieren, dass diese als ökonomische Interessensvertreter der Volksrepublik zur »fünften Kolonne« Pekings in Taiwan werden könnten. Gegen diesen Trend setzten die Administrationen Lee Teng-hui und Chen Shui-bian (1996–2008) eine »Go South«-Politik, die proaktiv taiwanische Auslandsinvestitionen in Südostasien förderte. Angesichts unvergleichlich günstiger Standortbedingungen und überragender Gewinnmöglichkeiten in China konnte diese Politik das Investitionsverhalten von Taiwans Unternehmen aber nicht nennenswert ändern.26
Unter einem weitaus günstigeren Stern dagegen steht die gleichfalls auf Diversifizierung der Auslandsinvestitionen abzielende »New Southbound Policy« der gegenwärtigen Administration unter Präsidentin Tsai Ing-wen. Aufgrund gestiegener Arbeitskosten, strengerer Umweltauflagen und eines zunehmend schwierigen politischen Umfelds auf dem Festland hatten sich Taiwans Investoren ohnehin schon seit etwa Mitte der 2010er Jahre verstärkt Südostasien zugewendet. Die Decoupling-Politik der Trump-Administration lieferte seit 2018 ein weiteres Argument, außerhalb von China zu investieren.27 Tatsächlich hat Taiwans Außenhandel mit Südostasien in den vergangenen Jahren überproportional zugenommen. Bemerkenswert ist der Anstieg von Taiwans Direktinvestitionen in den ASEAN-Staaten von 1,8 Milliarden US-Dollar (2015) auf 4,9 Milliarden US-Dollar (2020).28 Die »New Southbound Policy« hat zudem nicht nur die Staaten Südostasiens im Blick, sondern auch Indien, Südasien sowie Australien und Neuseeland. Taiwan strebt generell ein partnerschaftliches Verhältnis mit all diesen Ländern an, jenseits eines rein dem ökonomischen Kalkül folgenden Interesses an Lohnveredelung und Exportplattformen. Neben Lieferkettenkooperationen, betrieblicher Ausbildung und Investitionsgarantien sind auch Tourismus, Bildung und People-to-people-Beziehungen tragende Elemente der Initiative »New Southbound Policy«.29 Gerade derartige diplomatische Erfolge in den Beziehungen Taiwans zu seinen südlichen Nachbarn aber sind ein gewichtiger Grund dafür, dass Peking prinzipielle Vorbehalte gegen die Internationalisierung der taiwanischen Wirtschaft hegt und systematisch versucht, Taipeis Handlungsspielräume einzuengen. Beispielsweise verweigerte Peking die Teilnahme an der Belt and Road Initiative (BRI) und eine Mitgliedschaft in der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (Asian Infrastructure Investment Bank, AIIB).30
Cross-Strait
Im Zuge von Chinas Öffnung und Entwicklung sind die beiden Volkswirtschaften diesseits und jenseits der Taiwan-Straße der ökonomischen Logik folgend über Handel, Investitionen und Personenverkehr eng zusammengewachsen, ungeachtet der Bemühungen der Administration unter Chen Shui-bian (2000–2008), Investitionen auf dem Festland zu unterbinden. Das im Jahr 2010 von der Administration unter Präsident Ma Ying-jeou (2008–2016) mit der Volksrepublik geschlossene Rahmenabkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Framework Agreement, ECFA) lässt sich gewissermaßen als politische Flankierung dieses ökonomischen Prozesses verstehen. Das Abkommen sah sektorale Marktöffnungen und erste Zollsenkungen im Warenverkehr vor. Es sollte den Rahmen für weitere Vereinbarungen zwischen Peking und Taipei bilden. Bereits im Jahr 2008 waren die Verkehrs- und Telekommunikationsverbindungen sowie der direkte Warenhandel, die sogenannten three links, wieder aufgenommen worden.
Die mit dem ECFA verbundenen politischen Kalküle hätten aber gegensätzlicher kaum sein können. Während Peking das Abkommen als notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zur Einbindung der Insel in den chinesischen Wirtschaftsraum und zur politischen Wiedervereinigung betrachtete, sah Taipei das ECFA als Instrument, um die angestrebten bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen mit Drittstaaten zu schließen. Daher überrascht es kaum, dass die handelspolitische Annäherung cross-strait in eine Sackgasse geriet. Als das 2013 von der Ma-Administration ausgehandelte Cross-Strait-Dienstleistungsabkommen (Service Trade Agreement, CSSTA) Befürchtungen einer chinesischen Dominanz über Taiwans Infrastruktur, Binnenwirtschaft und Medien weckte, protestierten zivilgesellschaftliche Gruppen unter der Bezeichnung »Sonnenblumenbewegung« und die oppositionelle Democratic Progressive Party (DPP) heftig gegen das Abkommen. Das innenpolitisch kontroverse CSSTA wurde nie vom Legislativ-Yuan (dem Parlament Taiwans) ratifiziert. Verhandlungen über ein ebenfalls avisiertes Freihandelsabkommen wurden erst gar nicht aufgenommen. Peking wiederum verlegte sich darauf, Taiwans Bemühungen um handelspolitische Vereinbarungen mit Dritten zu hintertreiben.31
Bilaterale und regionale Ebene
Die von Peking vehement verfochtene Ein-China-Politik beschränkt systematisch die Möglichkeiten Taiwans, mit Drittstaaten bilaterale Handelsabkommen zu schließen oder einem regionalen Handelsabkommen beizutreten. Wenig Zweifel besteht an Pekings Entschlossenheit, bei Verletzung der Ein-China-Politik dem Drittstaat wirtschaftlichen oder politischen Schaden zuzufügen.
Taipei kann nur dann Handelsabkommen schließen, wenn Peking zustimmt oder die Partner dessen Druck widerstehen.
Vor diesem Hintergrund sind für Taiwan nur dann handelspolitische Vereinbarungen möglich, wenn Peking diesen ausdrücklich zustimmt oder der bzw. die Partner bereit sind, dem Druck der Volksrepublik zu widerstehen. Taiwans Beitritte zur WTO (2002) und zur Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Asia-Pacific Economic Cooperation, APEC, 1991) erfolgten mit dem Einverständnis Pekings. Der Grund für die Zustimmung war, dass auch China damals eine Mitgliedschaft angestrebt hatte und eine politische Verknüpfung zwischen den beiden Beitrittsanträgen bestand. Gleichwohl sind die Mitgliedschaften Taiwans in WTO und APEC außerordentlich bedeutsam für die handelspolitischen Ambitionen der Insel. Die Bezeichnung Taiwans in der WTO als separates Zollgebiet Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu eröffnet einen politisch gangbaren Weg für bilaterale Abkommen, ohne das Ein-China-Prinzip zu verletzen. APEC bildet den außenpolitischen Rahmen dafür, die lang gehegte Vision einer pazifischen Freihandelszone (Free Trade Area of the Asia-Pacific, FTAAP)32 zu verwirklichen oder zumindest multilaterale Freihandelsabkommen zu schließen, wie beispielsweise die asiatische Freihandelszone Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) oder das transpazifische Partnerschaftsabkommen Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP).33
Ein Beitritt zur RCEP dürfte für Taiwan bis auf weiteres allerdings ausgeschlossen sein, denn dem wird das RCEP-Mitglied China kaum zustimmen. Die Chancen auf einen Beitritt zum CPTPP stehen dagegen etwas besser. Tatsächlich hat Taiwan – wie kurz vorher auch China – offiziell Ende September 2021 einen entsprechenden Antrag eingereicht. Die CPTPP-Beitrittskriterien dürfte Taiwan anders als China auch gut und schnell erfüllen können, selbst wenn die Liberalisierung des Agrarimports für Taipei innenpolitisch heikel ist. Zu erwarten ist aber, dass China auf alle CPTPP-Mitglieder politischen Druck ausüben wird, der Aufnahme Taiwans zu widersprechen. Es ist daher vorstellbar, dass mittelfristig die Beitrittsgesuche Taiwans und Chinas politisch verknüpft werden, wie dies auch bei APEC und WTO der Fall war.
Die wirtschaftlichen Kooperationsabkommen, die Taiwan (als Zollgebiet Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu) mit Neuseeland (ANZTEC, 2013) und mit Singapur (ASTEP, 2014) abschloss, besaßen Pekings Einverständnis. Neuseeland und Singapur hatten schon einige Jahre vorher jeweils ein Freihandelsabkommen mit China vereinbart, und unter der damaligen Administration Ma Ying-jeous war Peking gegenüber Taipeis Bemühungen um Handelsabkommen mit Dritten deutlich toleranter als in der Gegenwart. Dieses Fenster der Gelegenheit, mit Pekings Plazet Handelsabkommen mit Drittstaaten abzuschließen, war aber offenbar nur kurze Zeit geöffnet. Schon die 2013 mit Indonesien, den Philippinen und Malaysia aufgenommenen Verhandlungen kamen über die Erstellung einer Machbarkeitsstudie nicht hinaus.34 Leichter scheint es Taiwan zu fallen, bilaterale Investitionsabkommen zu schließen, so geschehen unter anderem mit Mazedonien (1999, seit 2019 Nordmazedonien), Indien (2002/2018), Japan (2011), den Philippinen (2017) und Vietnam (2019). Mit Kanada wurden am Jahresanfang 2022 Verhandlungen für ein bilaterales Investitionsabkommen aufgenommen.
Außerdem hat Taiwan eine Reihe von Freihandelsabkommen mit Staaten unterzeichnet, die diplomatische Beziehungen mit Taiwan (als Republik China) unterhalten oder dies früher taten. Zu nennen sind die Freihandelsabkommen mit Panama (2003), Guatemala (2005), Nicaragua (2006), El Salvador und Honduras (2007). Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen wurden 2019 mit Eswatini, Paraguay, Belize und den Marshallinseln vereinbart.35 Bei all diesen Ländern handelt es sich indes um Partner, die im Welthandel eine marginale Rolle spielen. Ihr Anteil am Außenhandel Taiwans belief sich 2019 gerade einmal auf 5%.
Wirtschaftlich und politisch weit wichtiger für Taiwan sind die handelspolitischen Vereinbarungen, die es mit den USA und Japan getroffen hat. Beide Länder respektierten dabei das Ein-China-Prinzip und nahmen diplomatische Konflikte mit China in Kauf.36 Japan hat mit der taiwanischen Administration eine Reihe sektoraler Abkommen geschlossen, dabei indes direkte Regierungskontakte vermieden. Das betrifft vor allem Abkommen zu Investitionen (2011), Open Skies (2011), Finanzinformationsaustausch (2012), Fischerei (2013), Industrie (2012), E-Commerce (2013) und Patentschutz (2013).
Die USA unterhalten mit Taiwan seit 1994 ein Handels- und Investitionsrahmenabkommen (Trade and Investment Framework Agreement, TIFA). Beide Seiten hielten es immer für grundsätzlich möglich, sich auf ein Freihandelsabkommen zu verständigen. Innenpolitische Hürden standen dem aber meist entgegen. Für geraume Zeit scheiterten schon die Vorgespräche an Taiwans Weigerung, Importe an Rind- und Schweinefleisch bei Verwendung des Futtermittelzusatzes Ractopamin zuzulassen. Zu Jahresbeginn 2021 hat Taiwan diese Importrestriktion gelockert, und das gegen diese Maßnahme angestrengte Referendum scheiterte in der Abstimmung am 18. Dezember 2021. In den USA wiederum steht der Abschluss handelspolitischer Abkommen weit unten auf der Prioritätenliste der gegenwärtigen Biden-Administration.
Fazit
Trotz seiner geringen Größe ist Taiwan ein gewichtiger Akteur in Welthandel und Weltwirtschaft. Vor allem im Bereich der elektronischen Bauelemente nimmt Taiwan eine Schlüsselrolle ein. Der Konzern TSMC besitzt aufgrund seiner technologisch führenden Produktionsstätten und global dominanten Marktstellung strategische Relevanz nicht nur bei der Versorgung globaler Wertschöpfungsketten, sondern auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Andererseits ist Taiwan im Zuge seiner Integration in die industrielle Festlandproduktion ökonomisch erpressbar und politisch verwundbar geworden. Die Trendwende hin zu einer außenwirtschaftlichen Diversifizierung nach Südostasien und Indien ab Mitte der 2010er Jahre hat Taiwans ökonomische Abhängigkeit von China nicht merklich abgemildert. Zugleich steht Taiwans Außenwirtschaftspolitik angesichts der weltweit wachsenden Zahl von Freihandels- und Investitionsabkommen vor der schwierigen Aufgabe, die gegen das Land wirkenden Diskriminierungen zu begrenzen und Anschluss an neue handelspolitische Regelsetzungen zu halten. Zwar ist Taiwan in Anbetracht seiner Mitgliedschaften in der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), APEC und WTO auf der Ebene der Außenwirtschaft diplomatisch erfolgreicher als in anderen Bereichen. Die Bemühungen des Landes um bilaterale und regionale Handels- und Investitionsabkommen bleiben aber Stückwerk.
Die Taiwan-Politik der USA – Balanceakt unter erschwerten Bedingungen
Marco Overhaus
Die Ein-China-Politik der USA und die inoffiziellen Beziehungen zu Taiwan beruhen seit über 40 Jahren weitgehend auf demselben politischen und rechtlichen Fundament. Auf dieser Basis hat sich das bilaterale Verhältnis eher schrittweise als grundlegend fortentwickelt. Dabei hat Washington einen delikaten Balanceakt vollzogen, nämlich zwischen dem Streben nach einem stabilen und berechenbaren Verhältnis zu Peking, dem Eintreten für die Sicherheit Taiwans und dem Versuch, Taipei nicht zu einseitigen Schritten hin zur Unabhängigkeit zu ermutigen.
Es sind vor allem zwei Entwicklungen, die diesen Balanceakt zunehmend erschweren. Zum einen hat sich in Washington während der letzten Jahre die überparteilich geteilte Wahrnehmung verfestigt, dass es sich bei der Rivalität mit China um ein episches Ringen zwischen dem marktwirtschaftlich-demokratischen System des Westens einerseits und dem staatskapitalistisch-autoritären Gegenmodell Chinas andererseits handelt. Das gilt umso mehr seit dem Amtsantritt von US-Präsident Joseph Biden, der die Selbstbehauptung der Demokratien gegenüber Autokratien zu einem programmatischen Wesensmerkmal seiner Außenpolitik erhoben hat. Zugleich hat die Zerschlagung demokratischer Institutionen in Hongkong endgültig verdeutlicht, dass das Angebot »Ein Land, zwei Systeme« der Volksrepublik China an Taiwan eine Farce ist.
Zum anderen wächst in den USA die Befürchtung, dass China aufgrund des sich zu seinem Vorteil verschiebenden Kräfteverhältnisses eher früher als später versuchen könnte, mit militärischem Zwang über den Status Taiwans zu entscheiden. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die eigene Abschreckungsfähigkeit.
Diese Entwicklungen haben in Washington dazu beigetragen, den innenpolitischen Druck zugunsten einer Intensivierung der Beziehungen mit Taiwan sowie eines Ausbaus der US-amerikanischen Verteidigungskapazitäten im Indopazifik weiter zu erhöhen. Zugleich scheute sowohl die Trump- als auch bislang die Biden-Administration eine grundsätzliche Neuorientierung der amerikanischen Taiwan-Politik. Zu schwer wiegt die Sorge vor einer militärischen Konfrontation mit China.
Die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Taiwan
Als die USA 1972 die Normalisierung ihrer Beziehungen zur Volksrepublik China einleiteten, verkündete die Nixon-Administration in einem gemeinsamen Kommuniqué, dass sie die Position »aller Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße« anerkenne, wonach es »nur ein China« gebe und »Taiwan ein Teil von China« sei.1 Die Taiwan-Frage solle von »den Chinesen« auf friedlichem Wege selbst beantwortet werden. Das zweite gemeinsame Kommuniqué der USA und der Volksrepublik von 1979 besiegelte mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugleich das Ende der formalen Beziehungen mit Taiwan. Damit erkannte Washington an, dass »die Regierung der Volksrepublik die einzige rechtmäßige Regierung Chinas« sei.2
Kurz bevor 1982 ein drittes amerikanisch-chinesisches Kommuniqué veröffentlicht wurde, gab US-Präsident Ronald Reagan dem taiwanischen Präsidenten Chiang Ching-kuo – allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit – einige Zusicherungen (assurances), denen sich auch die folgenden US-Regierungen bis heute verpflichtet fühlen. Demnach versprach Washington3 Taiwan unter anderem, dass die USA weder eine Vermittlerrolle zwischen Peking und Taipei anstrebten noch Taiwan zu Verhandlungen mit der Volksrepublik drängen würden. Ein weiterer Punkt auf der Liste der Zusicherungen betraf die Position der USA zur Souveränität der Insel. Diese Haltung war indes mehrdeutig und ist es bis heute.
Der Taiwan Relations Act (TRA) von 1979 bildet den rechtlichen und politisch-institutionellen Rahmen der inoffiziellen Beziehungen. So sah er die Gründung des American Institute in Taiwan (AIT) vor, das als Nichtregierungs-/Nonprofit-Organisation4 anstelle einer regulären Botschaft die Interessen der USA in Taiwan vertritt. Trotz dieses rechtlichen Konstrukts als Nonprofit übernimmt das AIT quasistaatliche Aufgaben, beispielsweise im konsularischen Bereich. Es wird aus dem Budget des US-Außenministeriums finanziert. Das Personal des AIT rekrutiert sich zwar überwiegend aus dem US-Außenministerium sowie anderen amerikanischen Regierungsbehörden, doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besitzen keinen Diplomatenstatus. So wird das AIT auch nicht von einem Botschafter oder einer Botschafterin geleitet, sondern von einer Direktorin. Gegenwärtig hat Sandra Oudkirk diese Position inne, eine Diplomatin des US-Außenministeriums.
Der TRA enthält auch die rechtliche Grundlage für die Interessenvertretung Taiwans in den USA. Seit Anfang der 1990er Jahre heißt sie Taipei Economic and Cultural Representative Office (TECRO) und verfügt über zwölf Zweigstellen in den USA. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ebenfalls nicht den offiziellen Status von Diplomaten, genießen aber ähnliche Privilegien wie diese.5
Der politische Dialog zwischen den beiden Seiten wird dadurch erschwert, dass formale Regierungsbeziehungen fehlen. Erst seit Anfang der 1990er Jahre erlauben die USA den Besuch hochrangiger Regierungsvertreter in Taiwan, sofern sie »wirtschaftliche und technische« Ministerien oder Behörden vertreten. Carla Hills war als Handelsbeauftragte der Administration unter George H. W. Bush 1992 die erste Vertreterin mit Kabinettsrang, die Taiwan nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen besuchte. Lediglich fünf weitere Besuche durch US-Vertreterinnen und -Vertreter auf dieser Ebene verzeichnete der Congressional Research Service bis 2014.6 Erst 2020 entsandten die USA während der Präsidentschaft Donald Trumps mit Gesundheitsminister Alex M. Azar II erneut ein Kabinettsmitglied auf die Insel. Da Azar Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen traf, gilt dies als das hochrangigste bilaterale Treffen »seit Jahrzehnten«.7
Der Besuch hochrangiger US-Vertreterinnen und -Vertreter in Taiwan ist weiterhin eher die Ausnahme als die Regel.
Seit 1979 hat indes kein Präsident, kein Außen- und kein Verteidigungsminister der USA Taiwan besucht, wenngleich in den (sozialen) Medien berichtet wurde, US-Außenminister Mike Pompeo habe einen solchen Schritt erwogen. Auch reisten bis Anfang der 2000er Jahre grundsätzlich weder hohe Beamte aus dem Außen- und dem Verteidigungsministerium noch ranghohe Militärs nach Taiwan.8 In den letzten Jahren scheint sich diese Praxis allerdings geändert zu haben. Im März 2018 trat der Taiwan Travel Act in Kraft, mit dem der Kongress unter anderem Regierungskontakte »auf allen Ebenen« fordert.9 Berichten zufolge besuchten Taiwan daraufhin sowohl Beamte des Außen- und des Verteidigungsministeriums auf Ebene des Deputy Assistant Secretary als auch ein Zwei-Sterne-General des Indopazifik-Kommandos.10 Einige Beobachter äußerten, dies seien keineswegs Präzedenzfälle gewesen, und es habe schon vorher entsprechend hochrangige Visiten gegeben. Dennoch scheinen sie weiterhin eher die Ausnahme als die Regel zu sein.
Weitreichende Einschränkungen gelten auch, wenn es um den Besuch politischer Vertreterinnen und Vertreter Taiwans in den USA geht. Im Zuge einer regierungsinternen Überprüfung der US-amerikanischen Taiwan-Politik (Taiwan Policy Review) hatte die Clinton-Administration 199411 unter anderem festgelegt, dass die politische Führung Taiwans – der Präsident bzw. die Präsidentin, Vizepräsident oder Premierminister – lediglich für kurzfristige Transits in die USA einreisen durften.12 Diese werden dessen ungeachtet auch für politische Gespräche genutzt, etwa mit Mitgliedern des US-Kongresses.
Für Regierungskontakte in Washington gibt es ebenfalls exekutive Reglements, denen unter anderem zu entnehmen ist, in welchen Gebäuden sich Abgesandte der USA und Taiwans treffen dürfen. Wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt sorgte Außenminister Pompeo im Januar 2021 für Schlagzeilen, als er ankündigte, dass er sämtliche bestehenden Beschränkungen aufheben werde.13
Die Biden-Administration hat diese weitreichende Entscheidung aber offensichtlich nicht vollzogen. Antony Blinken bekräftigte bei seiner Senatsanhörung zwar, dass er als neuer Außenminister »mehr Raum für Kontakte« schaffen wolle.14 Das US-Außenministerium teilte später lediglich mit, dass neue Richtlinien die Vorgaben für Kontakte liberalisieren würden, nannte aber keine Details.15 Von hoher symbolischer Bedeutung war allerdings, dass Biden die höchste Vertreterin Taiwans in den USA zu seiner Inaugurationsfeier im Januar 2021 einlud. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen hatte kein ins Amt kommender US-Präsident einen solchen Schritt getan.
Ein ebenfalls wichtiger Aspekt der US-amerikanischen Politik gegenüber Taipei ist der Rückhalt für Taiwan in internationalen Organisationen und Foren. In der Folge der bereits erwähnten Taiwan Policy Review unterstützt Washington seither Taiwans Mitgliedschaft in jenen internationalen Organisationen, die keine Staatlichkeit voraussetzen. Wo eine Vollmitgliedschaft formal nicht möglich ist, setzen sich die USA dafür ein, dass Taiwan sich auf andere Art und Weise Gehör verschaffen kann, zum Beispiel als Beobachter.16 Auch die Biden-Administration hat sich zu diesem Ziel bekannt und forderte beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation auf, Taiwans Teilnahme an deren Generalversammlung, der World Health Assembly, wieder zu ermöglichen.
Sicherheits- und verteidigungspolitische Beziehungen
Aufeinanderfolgende US-Administrationen und überparteiliche Mehrheiten im Kongress haben das amerikanische Interesse an der Sicherheit Taiwans weit nachdrücklicher hervorgehoben als bei vielen anderen sicherheitspolitischen Partnerschaften der USA. Zwar wird unter dem Stichwort »strategische Ambiguität«17 oft darauf verwiesen, dass die USA sich nicht festlegen, ob und wenn ja wie sie im Falle eines militärischen Angriffs Taiwan zu Hilfe kommen würden. Zumindest mit Blick auf das »Wie« einer Reaktion zeichnet eine solche Ambiguität allerdings auch formelle US-Allianzen wie die Nato aus. Im Taiwan Relations Act ist festgeschrieben, dass die USA Taiwan mit »defensiven« Rüstungsgütern versorgen und zugleich selbst die militärischen Fähigkeiten aufrechterhalten, einem eventuellen Angriff auf Taiwan entgegenzutreten.18
Bis zur Taiwan-Krise 1995/96 fußten die sicherheits- und verteidigungspolitischen Beziehungen zwischen den USA und Taiwan fast ausschließlich auf den amerikanischen Rüstungsverkäufen. Seit 2003 behandeln die USA Taiwan zudem wie einen wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten (Major Non-NATO Ally). Mit diesem Status gehen Erleichterungen in der Rüstungskooperation einher.19 In den Haushaltsjahren 2016 bis 2020 haben die USA im Rahmen ihres Programms Foreign Military Sales Waffen im Wert von zirka 16,7 Milliarden US-Dollar an Taiwan verkauft, wobei die Zahlen von Jahr zu Jahr erheblich schwankten.20 Im Haushaltsjahr 2020 war Taiwan mit 11,8 Milliarden US-Dollar sogar der größte Kunde Washingtons. Zu den Waffensystemen, deren Verkauf die Trump- bzw. Biden-Administration in den Jahren 2017 bis 2021 beim US-Kongress beantragte, zählen unter anderem F-16-Kampfflugzeuge, Abrams-Kampfpanzer, Harpoon-Raketensysteme für die Küstenverteidigung sowie Artilleriewaffen.21
Die Taiwan-Krise Mitte der 1990er Jahre hat aus Sicht der USA zwar die eigene Abschreckungsfähigkeit gegenüber China belegt, zugleich aber verdeutlicht, dass der Verkauf von Waffensystemen an Taiwan allein nicht ausreicht, um die Verteidigungsfähigkeit der Insel zu gewährleisten.22 Daher haben Taipei und Washington seither ihren Austausch auch jenseits der Rüstungsverkäufe ausgebaut und intensiviert. So wurden amerikanische Bildungsprogramme für taiwanische Militärangehörige zugänglich gemacht, gemeinsame Beurteilungen der militärischen Fähigkeiten Taiwans verfasst und bilaterale Dialogformate eingerichtet.23
US-Militärbeobachter nehmen schon seit längerem regelmäßig an Übungen des taiwanischen Militärs teil,24 aber gemeinsame Manöver fanden zumindest offiziell lange nicht statt. Im November 2020 berichteten lokale taiwanische Medien jedoch über die Präsenz von Spezialkräften des US-Heeres sowie der US-Marineinfanterie für gemeinsame Übungen in Taiwan,25 und auch 2021 gab es diese offenbar. Das Wall Street Journal sprach im Oktober 2021 von etwa zwei Dutzend US-Spezialkräften in Taiwan.26 Möglicherweise wurden gemeinsame Manöver auch schon in früheren Jahren abgehalten.27 Den Wechsel von einer stillen Präsenz weniger Militärberater im Zusammenhang mit US-Waffenverkäufen hin zu einer aktiveren Rolle der USA bei der Ausbildung taiwanischer Marinekräfte scheint bereits die Trump-Administration eingeleitet zu haben.28
In einem Bericht vom Oktober 2020, der auf Gesprächen mit ehemaligen US-Regierungsbeamten beruht, listet die Task Force on U.S. Policy Toward Taiwan am Center for Strategic and International Studies (CSIS) insgesamt neun Dialogformate auf, die regelmäßig stattfinden. Teilnehmer aus den USA sind demnach senior officials, officials bzw. military leaders aus dem Außen- und dem Verteidigungsministerium sowie dem Nationalen Sicherheitsrat.29
Bei der öffentlichen Darstellung dieser Dialogformate lässt die US-Administration äußerste Zurückhaltung walten. Informationen dazu sind weder auf der Internetseite des Außen- noch auf jener des Verteidigungsministeriums zu finden. Regelmäßige Dialoge auf politischer Ebene, wie beispielsweise die »Zwei-plus-Zwei«-Gespräche der Außen- und Verteidigungsminister in den Bündnissen mit Japan und Südkorea, werden zwischen den USA und Taiwan nicht geführt.
In Washington wird debattiert, ob sich die USA expliziter zur Verteidigung Taiwans bekennen sollten.
In den USA hat sich in jüngster Zeit die Debatte darüber intensiviert, ob und wie die sicherheits- und verteidigungspolitischen Beziehungen zu Taiwan weiterentwickelt werden können. Dabei geht es im Kern um die Frage, ob Washington die »strategische Ambiguität« hinsichtlich seiner Sicherheitszusagen gegenüber Taipei aufgeben und sich stattdessen viel expliziter zur Verteidigung Taiwans bekennen solle.
Hintergrund dieser Diskussionen ist die verbreitete Wahrnehmung in Washington, dass sich die militärischen Kräfteverhältnisse in Asien zugunsten Chinas verschieben. Demnach schrumpfen die militärischen Vorteile, die Taiwan aufgrund seines technologischen Vorsprungs und seiner Insellage genoss. Zudem investiert China seit Jahren gezielt in sogenannte Anti-Access/Area-Denial-Fähigkeiten wie ballistische Raketen und Marschflugkörper. Diese Fähigkeiten würden es den USA im Konfliktfall enorm erschweren, Taiwan überhaupt zu Hilfe zu kommen.
Folglich sehen sich die USA immer stärker in die Defensive gedrängt und gehen davon aus, dass China seine gewachsene militärische Stärke früher oder später nutzen wird, um in Taiwan Fakten zu schaffen. Es mehren sich Zweifel an der Fähigkeit der USA, China vor einem Angriff auf Taiwan abzuschrecken, der als See- oder Luftblockade, gezielte Luftschläge oder gar Invasion der Insel durch die Volksbefreiungsarmee denkbar wäre.30 So erregte im Frühjahr 2021 der damalige Chef des Indopazifik-Kommandos der US-Streitkräfte einige Aufmerksamkeit, als er vor dem US-Kongress äußerte, China könne bereits in sechs Jahren den Versuch einer gewaltsamen Vereinigung mit Taiwan unternehmen.31
Im Oktober 2021 sorgte dann US-Präsident Biden für Verwirrung innerhalb und außerhalb der USA, weil er öffentlich den Anschein erweckte, die USA hätten eine ausdrückliche Bündnisverpflichtung, Taiwan gegen einen Angriff zu verteidigen.32 Bislang sieht es aber nicht so aus, als wollten die USA unter der Biden-Administration den offenen, mehrdeutigen Charakter der sicherheits- und verteidigungspolitischen Beziehungen grundsätzlich abwandeln.33
Bidens Sprecherin »präzisierte« die Aussagen des Präsidenten dahingehend, dass sich Grundlagen und Ausrichtung der amerikanischen Taiwan-Politik einschließlich des Taiwan Relations Act nicht verändert hätten. Stattdessen setzt die Biden-Administration wie schon die Vorgängerregierung darauf, Washingtons Abschreckungsfähigkeit gegenüber Peking wieder zu stärken, indem sie gezielt in militärische Fähigkeiten investiert und sich geographisch auf den indopazifischen Raum konzentriert.
Wirtschaftliche Interessen der USA gegenüber Taiwan
Taiwan ist ein wichtiger Markt für amerikanische Produzenten aus dem verarbeitenden Gewerbe und der Landwirtschaft. Mit einem Volumen von 31 Milliarden US-Dollar bei den US-Exporten und 54 Milliarden US-Dollar bei den US-Importen stand Taiwan 2019 für die USA jeweils an 13. Stelle ihrer Handelspartner.34 Darüber hinaus besitzt Taiwan essentielle wirtschaftliche und technologische Bedeutung für die USA, da taiwanische Firmen Marktführer im Bereich Mikroelektronik sind.35 Dennoch galten die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen lange Zeit als eher vernachlässigtes Feld in den Beziehungen zwischen den USA und Taiwan.
Aus Sicht der USA spielt Taiwan als Hochtechnologieland eine herausragende Rolle im globalen Ringen um technologische Führerschaft, vor allem mit China. Taiwanische Firmen, allen voran die Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC), sind weltweit führend bei der Herstellung von Halbleitern und Mikrochips. Wie fragil die Lieferketten bei diesen Produkten sind, bekamen zuletzt die Autohersteller in den USA und weltweit zu spüren.36 Zudem sind taiwanische Konzerne wie TSMC Technologieführer bei der Fertigung besonders fortgeschrittener Chips und Prozessoren. Diese sind unverzichtbar für Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, 5G-Quanten-Computer und autonome Systeme, welche allesamt auch militärisch enorm relevant sind.
Zu den größten Kunden von TSMC zählen sowohl US-amerikanische Unternehmen wie etwa Apple als auch chinesische Firmen wie beispielsweise Huawei. Im Mai 2020 erließ die Trump-Administration Exportkontrollen, sodass TSMC die Lieferung von Chips an Huawei einstellen musste. Vor dem Hintergrund politischen Drucks und wirtschaftlicher Anreize kündigte TSMC bereits im Mai 2020 an, eine neue Chip-Fabrik in Arizona zu errichten und für den Zeitraum 2021–2029 rund 12 Milliarden US-Dollar in diese zu investieren.37 Die Trump-Administration feierte dies als wichtigen Schritt, »um Lieferketten für kritische Technologien zurück in die USA zu verlagern«.38
Auch Präsident Biden hat bekundet, künftig Produktionskapazitäten wieder in den USA anzusiedeln, um die Verwundbarkeiten und Abhängigkeiten bei kritischen Versorgungsketten im Bereich Chip-Produktion zu reduzieren.39 Dazu sollen erhebliche öffentliche Mittel für den Ausbau der heimischen Infrastruktur bereitgestellt werden.
In den USA mehren sich die Stimmen, welche die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Taiwan vertiefen und formalisieren wollen.
In den USA wurden zuletzt jene Stimmen zahlreicher und lauter, welche die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Taiwan insgesamt vertiefen und formalisieren wollen. Bereits 1994 schlossen Washington und Taipei ein Abkommen (Trade and Investment Framework Agreement, TIFA), mit dem sie vor allem einen Rahmen für regelmäßige Konsultationen über wirtschafts- und handelspolitische Fragen schaffen wollten. Überlegungen zum Abschluss eines bilateralen Handelsabkommens kamen jedoch jahrelang nicht von der Stelle, weil sie durch Streitigkeiten über taiwanische Importbeschränkungen bei landwirtschaftlichen Produkten wie Rind- und Schweinefleisch blockiert wurden. Zuletzt stieg der innenpolitische Druck von Seiten des US-Kongresses, ein umfassendes Abkommen mit Taiwan zu erreichen. Ein Hauptargument dafür ist die wachsende wirtschaftliche und technologische Rivalität mit China.40
Die Biden-Administration hat erkennen lassen, dass sie eine Vertiefung der handelspolitischen Beziehungen mit Taiwan unterstützen würde. Im Juni 2021 fanden erstmals seit 2016 wieder Handelsgespräche im Rahmen des TIFA statt.41 Diese hatte die Trump-Administration ausgesetzt. Offen blieb zunächst, ob dabei auch Verhandlungen über ein formales Handelsabkommen angestoßen werden sollten, und wenn ja, in welchem Umfang. Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai erklärte im Zusammenhang mit den wieder aufgenommenen Gesprächen, es beständen weiterhin Hürden aus Sicht der USA, darunter die Zugangsbeschränkungen des taiwanischen Marktes für amerikanisches Rindfleisch und andere Agrarprodukte.42
Gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Austausch
Die USA haben sich nicht nur dafür eingesetzt, die internationale Vernetzung Taiwans im Rahmen der inoffiziellen Beziehungen zu stärken. Darüber hinaus sollte auch der gesellschaftliche und wissenschaftliche Austausch zwischen den USA, Taiwan und weiteren Staaten gefördert werden. Ein wesentliches Instrument dazu ist das Global Cooperation and Training Framework (GCTF),43 das im Juni 2015 durch ein Memorandum of Understanding zwischen dem AIT und TECRO begründet wurde. Im März 2019 kam Japan als Partnerland hinzu. Die drei Partner werben für das GCTF als Forum zur Bewältigung globaler Probleme und organisieren in diesem Kontext Expertenworkshops zu so unterschiedlichen Themen wie der Bekämpfung digitaler Piraterie oder dem Schutz der Weltmeere.44
Dem gesellschaftlichen Austausch zwischen den USA und Taiwan sollen ferner die 148 Städtepartnerschaften dienen. Seit 2012 kommen Taiwanerinnen und Taiwaner in den Genuss des Visa-Waiver-Programms. Es erlaubt ihnen, ohne Visum in die USA einzureisen. Laut dem letzten Stand der Informationen aus dem US-Außenministerium 2018 war Taiwan zudem siebtgrößtes Ursprungsland für internationale Studenten in den USA. Dieser Austausch wird durch das Fulbright-Programm und das International Leadership Program gefördert.45
Im Dezember 2020 unterzeichneten AIT und TECRO ein Memorandum of Understanding zur Förderung der Bildungskooperation. Es soll unter anderem mehr US-amerikanische Studierende dazu ermutigen, in Taiwan Chinesisch zu lernen.46 Wenige Tage später besiegelten die beiden Vertretungen darüber hinaus ein Abkommen, um den Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bzw. Expertinnen und Experten aus den beiden Ländern zu erleichtern.47 Das Abkommen enthält überdies Bestimmungen zum gegenseitigen Schutz geistigen Eigentums.
Fazit
Die sich verschärfende politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Rivalität mit China und die Zerstörung demokratischer Institutionen in Hongkong haben Stimmen in den USA lauter werden lassen, die Beziehungen zu Taiwan grundsätzlich zu überdenken. Bislang gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass Washington den Kurs der letzten Jahrzehnte aufgibt. Nach wie vor gelten die traditionellen Prinzipien der amerikanischen Taiwan-Politik, nämlich die Beziehungen inoffiziell zu halten, eine eindeutige Position zur Souveränität Taiwans zu vermeiden und eine friedliche Lösung zu fordern. Im Einklang damit haben die USA lediglich einige zwar sichtbare, aber kleine Schritte getan, um die Beziehungen zu vertiefen.
So wurden Beschränkungen persönlicher Kontakte auf politischer Ebene, auf Ebene hoher Beamter sowie zwischen den Militärs gelockert. Dennoch finden diese Kontakte meist wie bisher im Schatten der Vertraulichkeit statt. Noch immer gibt es keine regelmäßigen und institutionalisierten Dialogformate auf politischer Ebene, erst recht nicht in den besonders sensiblen Bereichen der Außen- und Verteidigungspolitik.
Trotz entsprechender Forderungen aus dem Kongress und der sicherheitspolitischen Think-Tank-Landschaft sperrte sich sowohl die Trump- als auch die Biden-Administration dagegen, sich eindeutiger auf den militärischen Schutz Taiwans vor einem Angriff Chinas zu verpflichten. Den Entscheidungsträgerinnen und ‑trägern in Washington ist weiterhin bewusst, wie wichtig die Taiwan-Frage für das Verhältnis zu China ist und welche militärischen Risiken eine Konfrontation in der Taiwan-Straße auch für die USA birgt. Deshalb ist auch künftig nicht davon auszugehen, dass eine erneute Taiwan-Krise durch einen einseitigen Schritt Washingtons ausgelöst würde, der den Status quo gefährdet. Die Frage wäre eher, ob Chinas gewachsenes Selbstbewusstsein die Führung in Peking zum Versuch verleiten könnte, selbst Fakten gegenüber Taiwan zu schaffen.
Japan-Taiwan: More than meets the eye
Alexandra Sakaki*
Japan ist geographisch gesehen Taiwans nächster Nachbar: Mit Yonaguni, einer kleinen bewohnten Insel, ist Japans westlichster Punkt gerade mal rund 110 Kilometer1 von Taiwan entfernt. Nach dem Sino-Japanischen Krieg (1894/95) war Taiwan von 1895 bis 1945 japanische Kolonie. Dieses historische Kapitel prägt bis heute die bilateralen Beziehungen, allerdings nicht unbedingt negativ. Die Bewertung der japanischen Kolonialzeit in Taiwan fällt weniger kritisch aus als etwa in Südkorea oder der VR China. Im Vergleich zu den nachfolgenden »Besatzern« Taiwans – den Festlandchinesen unter der Kuomintang – gingen die japanischen Herrscher gegen die Bevölkerung Taiwans weniger repressiv vor und trieben in Bereichen wie Infrastruktur und Bildung die Modernisierung entscheidend voran.2 Enge kulturelle und gesellschaftliche Verbindungen zwischen Japan und Taiwan konnten daher auch nach 1945 aufrechterhalten werden und begünstigten die Vertiefung und Verbesserung des bilateralen Verhältnisses.
Im Jahr 1972 brach Tokio mit der Anerkennung der Volksrepublik China als »alleinige rechtmäßige Regierung Chinas«3 allerdings seine offiziellen Kontakte mit Taipei ab. Dennoch pflegt Japan nicht nur enge wirtschaftliche, kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen mit Taiwan, sondern hat auch eine Vielzahl politischer Kanäle ausgebaut, die einen Austausch auf Arbeitsebene ermöglichen. Nach Tokios Dafürhalten handelt es sich dabei um »nichtstaatliche« Beziehungen.
Grundsätzlich hat sich an diesem Ansatz Japans in den letzten Jahren nichts geändert. Trotzdem lassen sich wichtige Veränderungen im japanischen Denken zu Taiwan beobachten: Debatten der letzten fünf bis zehn Jahre bezeugen ein deutlich gestiegenes Bewusstsein unter politischen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern von Taiwans internationaler Rolle und Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund spricht Japans diplomatisches Blaubuch 2020 erstmals von Taiwan als einem »äußerst kritischen Partner und wichtigen Freund.«4 Zehn Jahre zuvor hatte das Weißbuch dagegen gerade mal mit einem Halbsatz auf die Unsicherheiten in der Taiwan-Straße hingewiesen.5 Aufsehen erregte auch das gemeinsame Statement von Premierminister Suga Yoshihide und US‑Präsident Joe Biden vom April 2021, in dem beide die »Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße«6 hervorhoben – die erste Erwähnung in einer solchen Erklärung, seitdem Japan seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen hat.
Neubewertung von Taiwans Bedeutung
Drei Faktoren haben zu dieser Neubewertung von Taiwans Bedeutung beigetragen: Erstens ist in Japan die Wahrnehmung einer Bedrohung durch die VR China gewachsen. Das militärische regionale Gleichgewicht fällt zunehmend zugunsten Chinas aus; Peking tritt nach innen wie nach außen immer kompromissloser auf. Mit militärischer und paramilitärischer Präsenz setzt die Volksrepublik nicht nur Taiwan, sondern auch Japan unter Druck – vor allem im Gebiet rund um die von Tokio kontrollierten, aber von der VR China (und ebenso von Taiwan) beanspruchten Senkaku-/Diaoyu-Inseln, ungefähr 170 Kilometer7 von Taiwan entfernt (siehe Karte 1, S. 6). Wachsendes Misstrauen zwischen den Großmächten USA und China sorgt zudem für ein erhöhtes Eskalationsrisiko bei Zwischenfällen.
Aus japanischer Sicht lässt sich daher eine militärische Auseinandersetzung um Taiwan nicht mehr grundsätzlich ausschließen. Die Diskussionen über dieses Risiko haben sich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine noch einmal intensiviert. In einem solchen Szenario wäre Japan unmittelbar betroffen – einerseits aufgrund seiner geographischen Nähe und andererseits wegen der Militärbasen des US-Bündnispartners auf der Insel Okinawa, die für mögliche amerikanische Operationen von zentraler Bedeutung wären. In Japan hat sich daher die Sichtweise durchgesetzt, dass eine militärische Krise um Taiwan eine unmittelbare Krise für Japan bedeuten würde.8
Die japanische Öffentlichkeit nimmt zunehmend eine Verbundenheit mit Taiwan wahr.
Zweitens nimmt die japanische Öffentlichkeit zunehmend eine gesellschaftliche Verbundenheit mit Taiwan wahr. Die großzügigen, weitgehend privaten Spenden aus Taiwan nach der Dreifachkatastrophe in Japan vom März 2011 haben auf Seiten der Japaner ein nachhaltiges Gefühl der Dankbarkeit hinterlassen. Die Hilfen beliefen sich auf rund 20 Milliarden Yen (etwa 200 Millionen Euro) – nach den USA der größte Beitrag aus dem Ausland.9 Gleichzeitig ist das Bewusstsein für gemeinsame Wertvorstellungen wie Demokratie und Menschenrechte gestiegen. Taiwans Status als pluralistische, reife Demokratie steht in deutlichem Gegensatz zum autoritären und repressiven System Pekings.
Drittens ist vor allem seit Beginn der Covid-19-Krise in Japan in noch stärkerem Maße Taiwans Bedeutung als Technologiepartner deutlich geworden. Die weltweit gestiegene Nachfrage nach Halbleitern und die daraus resultierenden Lieferengpässe haben die herausragende Stellung von TSMC, dem weltweit führenden Chip-Produzenten, in diesem Markt unterstrichen. TSMC beliefert auch japanische Konzerne.10 Zugleich verschärft sich die technologische Rivalität der USA mit China. Tokio sieht daher die Notwendigkeit, Taiwan als Technologiepartner strategisch besser an sich zu binden.11
Politische Beziehungen
Nach 1972 entwickelten Tokio und Taipei verschiedene quasi-diplomatische sowie informelle politische Kanäle für den Austausch. Taiwans Demokratisierung in den 1990er Jahren gab den Beziehungen Aufwind. Die eher positive Bewertung der japanischen Kolonialzeit in Taiwan führt dazu, dass Geschichtsstreitigkeiten selten die Agenda der Beziehungen zwischen den beiden Inselstaaten dominieren. Der größte Streitpunkt – der Territorialkonflikt um die Senkaku‑/ Diaoyu-Inseln – konnte 2013 mit einem Fischereiabkommen entschärft werden.
Quasi-diplomatische Kanäle
Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen gründete Japan 1972 die Interchange Association – eine De-facto-Botschaft in Taipei, die kulturelle, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Kontakte fördern soll. Taiwan etablierte mit der Association of East Asian Relations ein Pendant in Tokio. Beide Repräsentanzen übernehmen nicht nur die Federführung im politischen Dialog, sie verhandeln und unterschreiben auch stellvertretend bilaterale Abkommen, wie etwa ein Investitionsschutzabkommen 2011 und eine ganze Reihe weiterer meist funktionaler Vereinbarungen der letzten Jahre (siehe Tabelle 1). Im Jahr 2013 unterzeichneten beide Seiten ein Fischereiabkommen, das taiwanischen und japanischen Fischern die Nutzung umstrittener Gewässer um die Senkaku-/Diaoyu-Inseln ermöglicht. Dadurch hat sich der Inselstreit weitgehend beruhigt, auch wenn die Souveränitätsfrage fortbesteht.12
Als Tokios Repräsentanz 2017 in Japan-Taiwan Exchange Association umbenannt wurde, war dies symbolträchtig: Japan richtete sich damit nicht nur gegen Chinas Bestreben, anstelle von »Taiwan« international den Begriff »Chinese Taipei« durchzusetzen, die Nebeneinanderstellung von Japan und Taiwan im Namen suggeriert auch die Ebenbürtigkeit der Republik China als politischer Akteur. Taipei folgte wenige Monate später, indem es seine Repräsentanz in Taiwan-Japan Relations Association umtaufte. Die japanische Repräsentanz wird von einem hochrangigen Vertreter des Außenministeriums geführt.
Über die De-facto-Botschaften kommt es auch zu Zusammentreffen zwischen Ministerialbeamten beider Seiten. Kontakt zwischen Spitzenvertretern der Außen- und Verteidigungsministerien wird vermieden. In anderen Bereichen gelten Begegnungen bis hin zur Direktoren- oder gar Vizeministerebene als grundsätzlich machbar, setzen aber eine Einzelfallprüfung voraus.13 Japans hochrangigster Besucher in Taiwan seit 1972 war Akama Jiro, Staatssekretär für Innere Angelegenheiten und Kommunikation, der im März 2017 für eine Tourismusmesse anreiste.14 Zur olympischen Eröffnungsfeier im Juli 2021 wurde eigentlich Taipeis Ministerin für digitale Angelegenheiten Audrey Tang in Tokio erwartet. Doch konnte dieser Plan pandemiebedingt nicht realisiert werden.15
Ein weiterer bilateraler politischer Gesprächskanal besteht über ehemalige Staatsoberhäupter. Seit 2003 haben beispielsweise die ehemaligen Premierminister Mori Yoshiro, Aso Taro und Abe Shinzo Taiwan besucht und dort Gespräche mit hochrangigen Politikern geführt.16 In der anderen Richtung war der ehemalige taiwanische Präsident Lee Teng-hui wiederholt Gast in Japan. Regelmäßig fliegen auch Präsidentschaftskandidaten Taiwans nach Japan, um sich mit dortigen Politikern auszutauschen.17 So soll die heutige Präsidentin Tsai Ing-wen beispielsweise im Jahr 2015 vor ihrer erfolgreichen Wahl Premierminister Abe Shinzo getroffen haben.18
Funktionale und Think-Tank-Dialoge
Seit 2019 ist Japan, vertreten durch die Japan-Taiwan Exchange Association, offizieller Mitausrichter des Global Cooperation and Training Framework (GCTF), das die USA und Taiwan 2015 ins Leben gerufen haben und bei dem Japan von Beginn an Beobachterstatus innehatte.19 GCTF ist eine Kooperationsplattform, die Taiwan den Austausch mit Experten und Regierungsbeamten anderer Länder ermöglicht. Die dort behandelten Themen umfassen etwa öffentliche Gesundheit, Energieeffizienz, Cybersicherheit oder Katastrophenhilfe.20 Positiv ist aus japanischer Sicht, dass das GCTF auf keine starken Gegenreaktionen Pekings trifft.21
Tabelle 1 Ausgewählte Vereinbarungen zwischen |
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Monat/ |
Vereinbarung |
4 / 2010 |
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9 / 2011 |
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11 / 2011 |
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4 / 2012 |
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4 / 2013 |
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11 / 2013 |
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11 / 2014 |
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11 / 2015 |
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11 / 2017 |
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12 / 2017 |
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11 / 2018 |
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12 / 2018 |
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10 / 2019 |
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Quelle: Auswertung der Internetseite der Japan-Taiwan Exchange Association, <https://www.koryu.or.jp/>; eigene Übersetzung und verkürzte Darstellung der Vereinbarungen. |
Japan und Taiwan haben eine Reihe von Think-Tank-Dialogen institutionalisiert.
Japan und Taiwan haben auch eine Reihe von Think-Tank-Dialogen institutionalisiert. Offiziell werden diese auf Track-2-Ebene geführt. Allerdings nehmen regelmäßig Ministerialbeamte oder Politiker beider Seiten teil – beispielsweise als »Beobachter« oder Besucher bei gemeinsamen Essen, so dass es sich de facto eher um Track-1.5-Formate handelt.22
Zu diesen Foren des Austauschs zählt auch ein trilateraler Dialog mit den USA, organisiert von den Think-Tanks Japan Institute for International Affairs, Prospect Foundation (Taiwan) sowie dem amerikanischen Project 2049 Institute. Das Gesprächsformat, das seit 2011 existiert, läuft seit 2018 unter dem Namen Taiwan-US-Japan Indo-Pacific Security Dialogue. Neben Wissenschaftlern nehmen auch Parlamentarier und ehemalige hochrangige Ministerialbürokraten daran teil.23
Seit 2019 gibt es mit dem Japan-Taiwan Strategic Dialogue auch ein bilaterales Forum mit Fokus Sicherheitspolitik. Organisiert wird dieser auf japanischer Seite vom Security Strategy Research Institute of Japan – einem unabhängigen Think-Tank mit Nähe zum Veteranenverband. Bisher nahmen beispielsweise japanische Generalleutnants und Vizeadmiräle der Streitkräfte im Ruhestand teil.24
Parlamentarier- und Parteiendialog
Gegenseitige Besuche von Parlamentariergruppen bilden einen weiteren wichtigen Kommunikationskanal. Die zentrale Institution auf japanischer Seite ist hier der parteiübergreifende Japan-ROC Diet Members’ Consultative Council, besser bekannt als Nikkakon. Im Jahr 2019 zählte Nikkakon nach Angaben ihres Vorsitzenden Furuya Keiji 287 Mitglieder – immerhin rund 40% der japanischen Parlamentarier beider Kammern.25 Auf Initiative von Nikkakon verabschiedete das Oberhaus im Juni 2021 erstmals und einstimmig eine Resolution, die Taiwans Teilnahme an der Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) befürwortet.26
Nikkakon initiierte auch federführend einen trilateralen »strategischen Dialog« mit Parlamentariern Taiwans und der USA. Das erste Treffen fand im Juli 2021 per Videokonferenz statt. Etwa 30 Teilnehmer diskutierten über Themen wie wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Umgang mit dem militärischen Druck Chinas oder die Vision eines »freien und offenen Indopazifiks«.27 Der japanische Verteidigungsminister Kishi Nobuo nahm zwar selbst nicht teil, ließ aber immerhin ein Grußwort verlesen.28
Auf japanische Initiative hin fand im August 2021 erstmals auch ein digitaler Dialog zwischen den Regierungsparteien beider Seiten statt. Dieser stellt ein Substitut für das sogenannte 2+2-Gesprächsformat dar, das im Falle anderer Länder die jeweiligen Außen- und Verteidigungsminister zusammenbringt. Für Taiwans Fortschrittspartei (DPP) nahmen je ein Repräsentant der parlamentarischen Ausschüsse für Außen- und Verteidigungspolitik teil; die Liberaldemokratische Partei Japans (LDP) vertraten die Leiter der entsprechenden parteiinternen Ausschüsse.29 Neben der Kooperation im Halbleiterbereich thematisierten beide Seiten den Umgang mit Chinas militärischem Druck. Der Dialog soll in Zukunft fortgesetzt werden.
Sicherheitspolitische Beziehungen
Taiwans sicherheitspolitische Bedeutung für Japan liegt nicht allein in seiner geographischen Nähe, sondern auch in seiner Lage entlang wichtigen maritimen Handelsrouten. Schon 1978 unterstrich der damalige Leiter der japanischen Defense Agency Kanemaru Shin daher, dass Taiwans Sicherheit für Japan wichtig sei.30 Bis heute gibt es aber keinerlei direkten Austausch zwischen den Streitkräften beider Länder.31 Allerdings entsendet Tokio seit 2003 einen Zwei-Sterne-General im Ruhestand an seine De-facto-Botschaft.32
Lange Zeit galt in Japan die militärische Überlegenheit der USA gegenüber China als Garant für Stabilität in der Taiwan-Straße. Daran änderte auch die Taiwan-Krise von 1995/96 wenig.33 Mittlerweile blickt Tokio – wie eingangs erwähnt – jedoch mit Sorge auf Chinas militärische Aufrüstung und Modernisierung.
Japan lässt bewusst offen, ob und inwiefern es sich an einem militärischen Konflikt um Taiwan an der Seite der USA beteiligen würde.
Tokios Politik gegenüber Taiwan ist seit 1997 von »strategischer Ambiguität« gekennzeichnet – mit gewissen Parallelen zur US-Politik: Japan lässt bewusst offen, ob und inwiefern es sich an einem militärischen Konflikt um Taiwan an der Seite der USA beteiligen würde. Dadurch will es die Abschreckung gegenüber der VR China erhöhen und zum Fortbestand des Status quo Taiwans beitragen. 1997 erweiterte Tokio die mögliche Rolle seiner Verteidigungsstreitkräfte innerhalb des Bündnisses mit den USA auf »Unterstützung im rückwärtigen Bereich« (rear-area support), also auf logistische Unterstützung in »Situationen in Gebieten rund um Japan«.34 Theoretisch ist die Regelung auf eine Krise um Taiwan anwendbar.35 Auch die japanischen Sicherheitsgesetze von 2015 könnten im Falle eines Taiwan-Konflikts greifen. Danach darf Tokio sich an der Seite der USA an Kampfhandlungen beteiligen, wenn die Lage als unmittelbare Bedrohung für Japan eingestuft wird – eine politische Einzelfallentscheidung, die aber aufgrund der Nähe Taiwans leicht zu begründen wäre.36
Die gemeinsame Erklärung von Suga und Biden vom April 2021 unterstreicht insofern Japans »strategische Ambiguität«, als darin die Stabilität in der Taiwan-Straße als gemeinsames Ziel der Bündnispartner hervorgehoben wird. Der Vorschlag dazu kam offenbar von Biden; Suga ging trotz anfänglicher Sorge um Chinas Reaktion darauf ein.37 Anschließend setzte sich Tokio dafür ein, dass ähnliche Formulierungen zu Taiwan beispielsweise in der Gipfelerklärung mit der EU vom Mai 2021 und in der G7-Abschlusserklärung im Juni 2021 aufgegriffen wurden. Keine Auskünfte gibt die japanische Regierung indes darüber, ob es nach der Suga-Biden-Erklärung militärische Planungen für Zwischenfälle um Taiwan eigenständig oder im Bündnis vorantreibt.
Wirtschaftliche Beziehungen
Japan und Taiwan sind füreinander wichtige Wirtschaftspartner. Mit einem bilateralen Handelsvolumen von rund 68,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 war Japan nach der VR China und den USA Taiwans drittwichtigster Handelspartner.38 Bei Taiwans Importen steht Japan sogar nach der VR China an zweiter Stelle, wobei chemische Erzeugnisse, elektronische Bauelemente und Maschinen mehr als die Hälfte der Einfuhren ausmachen.39
Andersherum war Taiwan für Japan im selben Jahr viertgrößter Handelspartner, nach der VR China, den USA und nur knapp hinter Südkorea.40 Damit entfielen auf den benachbarten Inselstaat etwa 5,6% des japanischen Außenhandels.41 Den größten sektoralen Anteil an den japanischen Importen aus Taiwan haben mit rund 43% elektronische Bauelemente, insbesondere Halbleiter.
Nach den Niederlanden, den britischen Überseegebieten in der Karibik und den USA ist Japan die viertgrößte Quelle von Auslandsinvestitionen in Taiwan.42 Das kumulative Volumen von 23,5 Milliarden US-Dollar an japanischen Kapitaleinlagen entspricht 12,4% der ausländischen Investitionsbestände in Taiwan.43 Dessen Investitionen in Japan belaufen sich demgegenüber auf 9,6 Milliarden US-Dollar.44 Positiv ausgewirkt haben dürfte sich auf beiden Seiten das umfassende Investitionsabkommen von 2011, das alle wesentlichen Schutzstandards für Investoren beinhaltet, die unter Industrieländern üblich sind, und auch Diskriminierungsverbote (Inländergleichbehandlung, Meistbegünstigung) umfasst.45 Insgesamt ergänzen sich Japan und Taiwan wirtschaftlich. Firmen beider Seiten arbeiten in der IT- und Elektronikbranche eng zusammen. Taiwans Halbleiterbranche ist von japanischen Firmen abhängig, die zum Beispiel Maschinen und chemische Komponenten für die Herstellung liefern. Angesichts der gestiegenen internationalen Nachfrage nach Halbleitern hat eine Reihe japanischer Zulieferer in Taiwan investiert. So gab Shin-Etsu Chemical beispielsweise im Oktober 2020 bekannt, sich an einer neuen Fotolack-Produktionsstätte in Taiwan beteiligen zu wollen.46
Japan wirbt um taiwanische Investitionen in die eigene Halbleiterfertigung und in die Forschung in diesem Bereich.
Umgekehrt wirbt Tokio auch gezielt um taiwanische Investitionen in die japanische Halbleiterfertigung und in die Forschung in diesem Technologiesegment. Japan möchte seine Konkurrenzfähigkeit in digitalen Schlüsseltechnologien wie der Halbleiterproduktion verbessern und für Sicherheit in den Lieferketten sorgen. Ende Mai 2021 gab TSMC bekannt, dass es unter Beteiligung japanischer Unternehmen ein Zentrum für Forschung und Entwicklung in Ibaraki, nördlich von Tokio, aufbauen wird. Die japanische Regierung übernimmt etwa die Hälfte der Projektkosten von rund 37 Milliarden Yen (ungefähr 276 Millionen Euro).47 Im Oktober 2021 offenbarte TSMC zudem Pläne für den Bau eines Halbleiterwerks in Japan. Die Firma Sony ist an dem Projekt beteiligt. Die japanische Regierung wird Medienberichten zufolge etwa die Hälfte der Gesamtkosten von 800 Milliarden Yen (ungefähr 6 Milliarden Euro) subventionieren.48 Taiwanische Firmen wiederum hoffen, durch Investitionen in Japan oder Kooperation mit dortigen Firmen ihren technologischen Vorsprung gegenüber Konkurrenten verteidigen zu können.
Die Quasi-Botschaften Japans und Taiwans richten seit 1976 jährlich die Japan-Taiwan Economic and Trade Conference aus, um bilaterale Wirtschaftsfragen zu erörtern. Diskussionen über ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Staaten liegen auf Eis, seit Taipei im Gefolge der japanischen Dreifachkatastrophe 2011 den Import von Lebensmitteln aus fünf Präfekturen wegen möglicher Strahlenbelastung verbot.49 Wenngleich Taiwan im Februar 2022 die Importrestriktionen aufhob, bleibt abzuwarten, ob derartige Überlegungen wieder aufgegriffen werden.50 In Japan wird der Sinn eines Freihandelsabkommens hinterfragt, da das zweiseitige Zollniveau niedrig ist und wie erwähnt seit 2011 ein bilaterales Investitionsabkommen besteht.51
Von größerer Bedeutung könnte dagegen ein Beitritt Taiwans zum multilateralen Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) sein, bei dem Japan als faktische Führungsmacht gilt.52 Im September 2021 stellte Taipei einen Antrag auf Aufnahme in diesen Handelsblock, nachdem die VR China sich ebenfalls um Mitgliedschaft beworben hatte.53 Die japanische Regierung hat wiederholt ihre Unterstützung für Taiwan bei diesem Unterfangen signalisiert, sofern der Inselnachbar die Beitrittskriterien erfüllt.54 Allerdings fürchtet sie, dass die VR China bei einer solchen Aufnahme den Druck auf Taiwan erhöhen würde.55
Kultur und Zivilgesellschaft
Auch in den Bereichen Kultur, Zivilgesellschaft und Bildung gibt es enge bilaterale Beziehungen. Befördert werden diese durch eine positive gesellschaftliche Wahrnehmung des jeweils anderen Landes.56 Seit 2005 gilt eine Visa-Befreiung bei Aufenthalten bis zu 90 Tagen für taiwanische Einreisende in Japan, was dem zwischenmenschlichen Austausch zugutekommt.57 2011 schloss Japan ein Open-Skies-Agreement mit Taiwan, woraufhin neue bilaterale Flugrouten eingerichtet wurden.58
Bis zur Covid-19-Pandemie florierte der bilaterale Tourismus. 2019 besuchten erstmals mehr als 2 Millionen japanische Touristen Taiwan; nur aus der VR China kamen in jenem Jahr mehr Menschen auf die Insel.59 Umgekehrt reisten 2019 fast 4,9 Millionen Taiwanerinnen und Taiwaner nach Japan – die drittgrößte ausländische Besuchergruppe.60
Auch zwischen Schulen und Universitäten der beiden Seiten gibt es regen Austausch. Die De-facto-Botschaft Japans unterstützt finanziell Zentren für Japan-Studien an taiwanischen Universitäten, so etwa an der National Taiwan University.61 2019 waren mehr als 10.000 japanische Studierende an taiwanischen Universitäten eingeschrieben – eine Verfünffachung gegenüber zehn Jahren zuvor.62 Junge Leute in Taiwan zeigen ebenfalls Interesse an Japan, wie beispielsweise die steigende Antragszahl für Working-Holiday-Visa in Japan belegt. Für solche Visa verdoppelte Japan im Falle Taiwans 2019 die Quote von 5.000 auf 10.000 pro Jahr.63
Auf Lokalebene gibt es zudem ein Netz an Partnerschaften zwischen Städten oder Präfekturen der beiden Seiten. Insgesamt existieren 99 solcher Partnerschaften, von denen allein 77 in den letzten zehn Jahren entstanden sind.64 Dadurch wird auch der Austausch zwischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der beiden Seiten gefördert, was von politischer Bedeutung ist, da vor allem in Taiwan der Karriereweg solcher Lokalpolitiker oft in die nationale Politik führt.65
Fazit
Auf politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene entwickeln sich die Japan-Taiwan-Beziehungen insgesamt positiv. Japanische Debatten zeugen von einem wachsenden politischen Bewusstsein für die Rolle und Bedeutung des südlichen Nachbarn. Trotzdem wahrt Tokio den Anschein einer Ein-China-Politik.
Mit dem gestiegenen Bewusstsein geht auf Seiten der japanischen Führung aber eine größere Bereitschaft einher, die eigene Taiwan-Politik nicht mehr komplett der VR-China-Politik unterzuordnen. Als Peking im März 2021 wegen eines angeblichen Schildlausbefalls einen Importstopp für taiwanische Ananas erließ, zeigte sich Tokio solidarisch mit Taipei, indem es 10.000 Tonnen der Früchte abnahm.66 Trotz eigener schleppender Impfkampagne lieferte Tokio im Juni und Juli 2021 zudem etwa 3,4 Millionen Covid-19-Impfdosen an Taiwan, nachdem Taipei Peking beschuldigt hatte, eine Lieferung von BioNTech-Impfstoff aus Deutschland zu blockieren.67
In Tokio gibt es eine Fülle kreativer Ideen für die Fortentwicklung der Beziehungen zu Taiwan. So erarbeitete ein neu gegründetes »Taiwan Project Team« der regierenden LDP im Juni 2021 diesbezügliche Vorschläge. Die Projektmitglieder verweisen beispielsweise auf die Möglichkeit, Musikfeste und andere Kulturveranstaltungen der Streitkräfte als Vorwand zu nutzen, um Kontakte zwischen aktiven Militärangehörigen der beiden Seiten anzubahnen.68 Auch unter der Prämisse der Ein-China-Politik sieht Japan also noch Spielräume für den Ausbau der Beziehungen zu Taiwan.
Viel Diplomatie ohne diplomatische Beziehungen: Singapurs Außenpolitik und Taiwan
Felix Heiduk
Einleitung
Singapur erkennt Taiwan diplomatisch nicht an, hat aber – vielleicht mehr als jeder andere Staat Südostasiens – umfassende und intensive Beziehungen zu Taiwan aufgebaut und über Jahrzehnte gepflegt. Dies hat vor allem historische Gründe, denn die Beziehungen zwischen der Insel Taiwan und der Stadt Singapur reichen mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurück. Während der britischen Kolonialherrschaft über Britisch-Malaya siedelten sich in Singapur Arbeitsmigranten an, die vornehmlich aus Südchina stammten, vor allem aus den Provinzen Fujian, Guangdong und Hainan, aber auch Taiwan.1 Als Folge dieser Migrationsbewegungen entstanden transnationale Familiennetzwerke zwischen Südchina und Singapur, die teilweise bis heute bestehen. Die chinesische Migration bewirkte zudem, dass sprachliche, religiöse und kulturelle Praktiken von Südchina nach Singapur gelangten. Beispielsweise entstanden religiöse Netzwerke zwischen buddhistischen Tempeln auf Taiwan und vielen Orten Südostasiens.2
Im 20. Jahrhundert unterhielt Singapur als Teil Britisch-Malayas zunächst diplomatische Beziehungen zur Republik China (1912–1949), die ab 1928 von der Kuomintang (KMT) regiert wurde. Als Singapur 1965 unabhängig wurde, erkannte die bis heute regierende People’s Action Party (PAP) für kurze Zeit die Republik China unter Führung Chiang Kai-sheks an. Der Beschluss der Vereinten Nationen im Jahr 1971, die Volksrepublik (VR) China als rechtmäßige Vertreterin anzuerkennen,3 wirkte sich zwar auch auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Singapur und Taiwan aus, verhinderte jedoch nicht eine weitere Annäherung der beiden. Auf politischer Ebene einte Taiwan und Singapur in der Ära des Kalten Krieges unter anderem ihr Antikommunismus. Aber auch auf wirtschaftlicher und vor allem militärischer Ebene wurden die Beziehungen intensiviert. Handelsvertretungen wurden bereits 1969 eingerichtet, und durch das »Exercise Starlight«-Abkommen von 1975 wurde Taiwan zu einem der zentralen Partner beim Aufbau der singapurischen Streitkräfte. Die Vereinbarung beinhaltete unter anderem das Training singapurischer Streitkräfte auf taiwanischen Militärbasen und die Ausbildung der Singapore Armed Forces (SAF) durch taiwanische Militärs.4 Im Gegensatz dazu nahm Singapur erst in den 1970er Jahren inoffizielle Beziehungen zur VR China auf, und erst seit dem 3. Oktober 1990 unterhält es als letzter Staat Südostasiens auch offizielle diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik.5 Schon vor diesem Datum hatte Singapurs damaliger Premier Lee Kuan Yew offiziell eine Ein-China-Politik vertreten, der zufolge die Frage der Wiedervereinigung Taiwans mit der VR China zur internen Angelegenheit Chinas erklärt und eine Unabhängigkeit Taiwans rundheraus abgelehnt wurde.
Politische Beziehungen
Vor allem die politische Dynastie um Singapurs Gründervater Lee Kuan Yew und dessen Sohn und derzeitigen Premierminister Lee Hsien Loong verfügt über umfangreiche politische Kontakte zu Taipei. Lee Kuan Yew reiste mehrmals nach Taiwan, wie auch sein Sohn, dessen letzter privater Besuch 2004 kurz vor seinem Amtsantritt als Premierminister erfolgte. Wie eng die persönlichen Beziehungen der Familie Lee zur KMT sind, lässt sich etwa daran ablesen, dass der damalige taiwanische Premier Ma Ying-jeou 2015 bei den Trauerfeiern zur Beerdigung Lee Kuan Yews zugegen war. Ma nahm jedoch nicht am offiziellen Staatsakt teil, sondern besuchte stattdessen als Ehrengast der Familie deren Trauerfeier, die noch vor dem Staatsbegräbnis abgehalten wurde. Wenngleich diese Anekdote in erster Linie die intensiven persönlichen Verbindungen zwischen der politischen Elite Singapurs und der KMT illustriert, so ist sie auch bezeichnend für einige der Herausforderungen, mit denen Singapurs Diplomaten in ihren Beziehungen zwischen Taiwan und der VR China kreativ umgehen müssen.
Zur derzeit in Taipei regierenden Democratic Progressive Party (DPP) bestehen hingegen traditionell weniger enge Beziehungen. Der Unabhängigkeitskurs der DPP wird von Singapur seit Jahren kritisch kommentiert.6 Die singapurische Regierungspartei PAP vertritt den Standpunkt, die Betonung taiwanischer Eigenstaatlichkeit durch die DPP sei vor allem innenpolitisch motiviert, erweise sich außenpolitisch jedoch als kontraproduktiv, da sie Peking verärgere und damit die Instabilität in der Region fördere. Gleichzeitig sind Singapurs Beziehungen zu Taiwan schwieriger geworden. Das liegt vor allem an den zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Singapur und der VR China, unter anderem durch hohe singapurische Direktinvestitionen dort im Kontext der Belt and Road Initiative.7 Zwar ist Singapur aufgrund seiner breit angelegten, weltweiten Handelsbeziehungen ökonomisch weniger abhängig von der VR China als viele Nachbarländer wie auch Taiwan. Allerdings ist die singapurische Führung stets darauf bedacht, Peking nicht zu brüskieren.
Dennoch hat Singapur über wechselnde Regierungen in Taipei hinweg enge politische Beziehungen zu Taiwan aufgebaut, ohne dabei von seiner Interpretation der Ein-China-Politik merklich abzuweichen. International agiert Singapur in diesem Zusammenhang sehr »still« bzw. »leise« bezüglich Taiwans.8 Es gibt zum Beispiel weder offizielle Unterstützungsbekundungen für Taiwan in internationalen Organisationen noch offizielle Besuche singapurischer Regierungsvertreter oder Parlamentarier auf der Insel. Politische Führungspersönlichkeiten besuchen Taiwan stets privat oder erst nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst.9 Und auch bilaterale Dialoge sind rar. Aus Taiwan reisen jedoch regelmäßig Mitarbeiter des Wirtschafts- oder des Verteidigungsministeriums zu Gesprächen nach Singapur – allerdings unter Ausschluss jeglicher Presseberichterstattung.10 Auch werden regelmäßig taiwanische Vertreter qua ihrer Funktion als Experten bzw. Wissenschaftler zum Shangri-La-Dialog eingeladen, einem der bedeutendsten sicherheitspolitischen Dialogforen der Region. Im Stadtstaat fanden wiederholt Treffen auf Regierungsebene zwischen Taiwan und der VR China statt, wie zum Beispiel zuletzt 2015 die Zusammenkunft von Xi Jinping und Ma Ying-jeou.11
Singapur erkennt Taiwan diplomatisch nicht an, hat aber ein Freihandelsabkommen mit dem Inselstaat geschlossen.
Singapur erkennt Taiwan zwar diplomatisch nicht an, was den Stadtstaat jedoch nicht davon abhielt, mit Taipei bilaterale Abkommen zu schließen, so etwa ein Freihandelsabkommen und eine Vereinbarung über das militärische Ausbildungsprogramm Exercise Starlight. Taiwanischen Diplomaten in Taiwans inoffizieller Vertretung, dem Taipei Representative Office, gewährt Singapur zudem Privilegien, die einem formellen diplomatischen Status gleichkommen.12 Sie gelten im Gegenzug auch für die Mitarbeiter der Vertretung Singapurs auf Taiwan, dem 1979 eingerichteten Singapore Trade Office. Unter anderem handelt es sich um die Gewährung diplomatischer Immunität, die Verwendung von Diplomatenpässen, die Nutzung diplomatischer Privilegien an Flughäfen sowie Steuerbefreiungen.13
Kooperationen mit Taiwan gibt es überdies in vielen Bereichen auf technischer Ebene. Zum Beispiel unterstützt Taiwan Singapur dabei, seinen öffentlichen Nahverkehr zu verbessern.14 Ein weiteres Themenfeld ist der öffentliche Wohnungsbau, wo taiwanische Besuchsdelegationen in Singapur Ideen und »best practices« erwerben konnten.15 Vertreten durch Experten bzw. Wissenschaftler, nimmt der Stadtstaat auch am ursprünglich von den USA und Taiwan gegründeten Global Cooperation and Training Framework (GCTF) teil, unter anderem wenn es um Themen wie Industriespionage und Schutz geistigen Eigentums geht.16 Auf wissenschaftlicher Ebene existieren zudem Kooperationen mit Taiwan im ASEAN-Kontext. So ist das Singapore Institute of International Affairs (SIIA) Mitglied des Netzwerks ASEAN Institutes of Strategic and International Studies (ASEAN ISIS). Zusammen mit Taiwans Institute of International Relations (IIR) der National Chengchi University veranstaltet das Netzwerk regelmäßig wissenschaftliche Dialoge zu außen- und sicherheitspolitischen Belangen.17
Umgang mit Druck aus Peking
In den letzten Jahren hat die VR China wiederholt auf direkte und indirekte Weise versucht, Einfluss auf Singapurs Umgang mit Taiwan zu nehmen. Aus Sicht Singapurs ist hierbei bemerkenswert, dass die Volksrepublik den Stadtstaat offenbar als in ethnischer, kultureller und sprachlicher Hinsicht »chinesisches Land« betrachtet und daher erwartet, dass er sich sozusagen »naturgemäß« Pekings Positionen anschließen oder ihnen zumindest nicht widersprechen solle. Für Singapur hieße dies jedoch, seine eigenen nationalen Interessen hintanzustellen.18 Weil Singapur sich bisweilen nicht so verhielt, wie Peking erwartete, entstanden immer wieder Konflikte. Beispielsweise protestierte die VR China 2004 vehement gegen einen privaten Besuch des stellvertretenden singapurischen Regierungschefs Lee Hsien Loong in Taiwan kurz vor seiner Vereidigung als Premierminister. Peking wertete Loongs Verhalten als Unterstützung für die »Separatisten« in Taipei. Singapur konterte, die Reise sei privater und damit inoffizieller Natur, und stellte klar, es werde nicht von seiner Ein-China-Politik abweichen und die Unabhängigkeit Taiwans nach wie vor nicht unterstützen. Zugleich pochte Singapur auf seine Unabhängigkeit und Souveränität und wies Pekings Forderung, die Reise abzusagen, zurück.19
Ein weiteres Beispiel sind die Proteste der VR China gegen Ausbildung und Training im Rahmen von Exercise Starlight 2016. Nach der Wahl Tsai Ing-wens zur Präsidentin Taiwans im selben Jahr verlangte Peking, künftig keine militärischen Ausbildungs- und Trainingsprogramme mehr auf Taiwan durchzuführen. Singapur lehnte ab und verwies erneut auf seine Souveränität. Im November 2016 ließ Peking daraufhin militärische Transportfahrzeuge der SAF, die nach dem Ende von Exercise Starlight per Schiff auf dem Weg nach Singapur waren, in Hongkong wegen angeblichen illegalen Waffenhandels festsetzen.20 In Singapur wurde dies von vielen als Test interpretiert, inwieweit sich der Stadtstaat chinesischem Druck beugen würde. Peking schlug vor, Singapur könne die militärischen Ausbildungsprogramme von Taiwan auf die Insel Hainan verlegen, doch die Regierung Singapurs gab dem Druck nicht nach. Beobachter mutmaßten, Singapur habe sich deshalb geweigert, weil es einer erweiterten verteidigungspolitischen Kooperation mit Peking misstraute und weil Taipei und Washington diplomatisch intervenierten.21
Mehrere Monate später wurden die Militärfahrzeuge in Hongkong stillschweigend freigegeben und zurück nach Singapur verschifft.22 Laut dessen Außenminister wurde der Konflikt schließlich auf der Basis internationalen Rechts und gegenseitigen Respekts beigelegt.23
Nicht nur direkt, sondern auch indirekt versucht die VR China, mehr Einfluss auf Singapurs Außenpolitik zu gewinnen. So jedenfalls argumentieren Think-Tanks wie auch ehemalige singapurische Diplomaten. Dem Bericht einer US-Denkfabrik zufolge gebe es Hinweise darauf, dass Wirtschaftslobbyisten Marktzugänge zur VR China als Lockmittel benutzten, um für prochinesische Positionen etwa im Konflikt um das Südchinesische Meer zu werben. Auch instrumentalisiere Peking kulturelle Austauschforen mit Singapur und chinesischsprachige Medien für propagandistische Zwecke.24 Beobachter wie etwa der frühere Diplomat Bilahari Kausikan glauben zudem, Peking stelle die »multiethnische« Identitätspolitik Singapurs aktiv in Frage, indem es kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen Singapurs mehrheitlich chinesischstämmiger Bevölkerung und der VR China hervorhebe und gezielt den Unterschied zwischen den Begriffen »chinesische Staatsbürger« und »Auslandschinesen« verwische. Singapurs Identitätspolitik sei aber fundamentaler Bestandteil der Unabhängigkeit wie der inneren Stabilität des Stadtstaats.25
Generell ist jedoch festzustellen, dass signifikante Veränderungen auf der politischen Ebene im Umgang Singapurs mit Taiwan bislang ausgeblieben sind, obwohl die Spannungen zwischen der VR China und Taiwan wachsen. Singapurs Regierung bekennt sich nach wie vor klar zur Ein-China-Politik und positioniert sich unmissverständlich gegen jedwede Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans. Dabei wird Taiwan als diplomatisch überaus sensibles Thema aufgefasst, und es wird möglichst vermieden, Peking zu provozieren. Gleichzeitig hat sich der Stadtstaat erfolgreich dagegen gewehrt, dass die VR China die engen militärpolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen Singapurs zu Taipei beeinflusst – und dies, obwohl Singapur weder militärpolitisch noch wirtschaftlich von Taiwan abhängig ist. Wie singapurische Beobachter es einschätzen, gäbe Singapur seine Souveränität zumindest teilweise auf, wenn es auf Druck der VR China seine Beziehungen zu Taiwan herabstufte.
Kommentatoren zufolge hat jedoch ein Wandel auf regionaler Ebene, vor allem die sich zuspitzende sino-amerikanische Rivalität, den Spielraum Singapurs in seinen Beziehungen zu Taiwan schrumpfen lassen.26 Hinzu kommen Veränderungen in Taiwans Innenpolitik, besonders infolge des Amtsantritts und der Wiederwahl Tsai Ing-wens, die sich ebenfalls auf die singapurisch-taiwanischen Beziehungen ausgewirkt haben. Einer womöglich drohenden Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Peking und Taipei versucht Singapur entgegenzuwirken. So betont es kontinuierlich die freundliche Beziehung zu beiden Akteuren, hält an seiner Ein-China-Politik und seiner Neutralität fest und bietet an, als Vermittler zu dienen, sollte dies von beiden Konfliktparteien gewünscht sein.27 Derzeit ist es daher wenig wahrscheinlich, dass die politischen Beziehungen Singapurs zu Taiwan und der VR China weiter vertieft werden.
Sicherheitspolitik
Singapurs Beziehungen zu Taiwan stechen hauptsächlich durch ihre intensiven militärischen Kooperationen hervor. Seit 1975 gibt es, wie oben erwähnt, mit Exercise Starlight ein formelles jährliches Trainingsprogramm für singapurische Militärs auf der Insel.
Singapur und Taiwan unterhalten eine intensive militärische Kooperation.
In den 1980er und 1990er Jahren nahmen jeweils bis zu 15.000 Soldaten an dem Programm teil, und Taiwan war lange der wichtigste Partner Singapurs für militärische Trainings und Manöver, die aufgrund der begrenzten Landfläche des Stadtstaates auf dessen Gebiet nicht möglich sind. Die Trainings umfassen mittlerweile auch Aspekte wie Terrorabwehr und den Umgang mit Naturkatastrophen. Um die gemeinsamen militärischen Trainings und Manöver besser zu koordinieren, reisen immer wieder Delegationen des taiwanischen Verteidigungsministeriums und 2014 sogar des Verteidigungsministers nach Singapur. Die Regierung dort schließt allerdings kategorisch aus, Taiwan im Falle einer Krise (militärisch) zu unterstützen.
Seit Anfang der 2000er Jahre ist Singapur militärische Kooperationen auch mit anderen Staaten wie Australien, Brunei oder auch der VR China eingegangen, aber Exercise Starlight mit derzeit jährlich etwa 3.000 teilnehmenden singapurischen Soldaten besteht bis heute fort.28 Gleichzeitig hat Singapur jedoch seine militärische Zusammenarbeit mit der VR China ausgeweitet. Im Rahmen des seit 2008 existierenden und 2019 erweiterten Agreement on Defense Exchanges and Security Cooperation (ADESC) finden regelmäßig Militärübungen gemeinsam mit der Volksbefreiungsarmee (People’s Liberation Army, PLA) statt, ebenso wie regelmäßige Dialoge auf Ministerebene oder auch gegenseitige Hafenbesuche der Marine.29
Wirtschaft
Singapur ist das einzige südostasiatische Land und neben Neuseeland das einzige Land im Indopazifik, welches trotz diplomatischer Nichtanerkennung ein Freihandelsabkommen mit Taiwan geschlossen hat. Dieses Agreement between Singapore and the Separate Customs Territory of Taiwan, Penghu, Kinmen and Matsu on Economic Partnership (ASTEP) vom November 2013 sollte zur Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Taiwan und Singapur beitragen. Das ASTEP hat zum Ziel, die gegenseitigen Marktzugänge zu liberalisieren. Zölle für den Güterhandel wurden entweder direkt mit Abschluss des Abkommens aufgehoben oder mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel für landwirtschaftliche Produkte, innerhalb der folgenden 15 Jahre nach und nach auf null reduziert. Es enthält darüber hinaus aber auch Kapitel zu Wettbewerbspolitik, Zollverfahren, Mechanismen für die Beilegung von Streitigkeiten, E-Handel, Rechte an geistigem Eigentum, Investitionen, technische Handelshindernisse und Dienstleistungen.
Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 2013 war Singapur für Taiwan fünftgrößter Handelspartner und viertgrößter Exportmarkt; für Singapur wiederum war Taiwan der achtgrößte Handelspartner und der zehntgrößte Exportmarkt.30 2020 gingen 5,4% aller Warenexporte aus Taiwan nach Singapur, und 3% aller taiwanischen Warenimporte kamen aus Singapur. Im selben Jahr wurden 4,9% aller singapurischen Erzeugnisse nach Taiwan ausgeführt, während 8,8% aller nach Singapur eingeführten Produkte aus Taiwan stammten. 4,3% aller taiwanischen Direktinvestitionen im Ausland wurden in Singapur getätigt, wohingegen singapurische Direktinvestitionen in Taiwan einen Anteil von 4,6% ausmachten. Vom Volumen her ist Singapur für taiwanische Exporte augenblicklich die fünftgrößte Destination nach der VR China, Hongkong, den USA und Japan. Für Singapur ist Taiwan derzeit der siebtgrößte Exportmarkt nach der VR China, Hongkong, Malaysia, den USA, Indonesien und Japan. Insgesamt ergibt sich für Singapur jedoch ein klares Handelsbilanzdefizit im Hinblick auf Taiwan, da der Stadtstaat wesentlich mehr Waren aus Taiwan einführt (2020 im Wert von über 28 Milliarden US-Dollar) als dorthin ausführt (2020 im Wert von mehr als 17 Milliarden US-Dollar).31
Die engen Handelsbeziehungen zwischen Taiwan und Singapur sind nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch wichtig.
Zwar sind beide Länder exportorientierte Volkswirtschaften, doch Konkurrenzbeziehungen bestehen nur in wenigen Wirtschaftssektoren, zum Beispiel im Maschinenbau oder bei der Künstlichen Intelligenz.32 Taiwan exportiert vor allem Halbleiter, Maschinen, Elektronikartikel und landwirtschaftliche Produkte, während Singapur stärker auf Dienstleistungen und den Finanzsektor setzt. Beobachter sehen die Volkswirtschaften der beiden Länder daher als komplementär an.33 Für Taiwan und Singapur gehört der jeweils andere allerdings nicht zu den bedeutendsten Handelspartnern, denn unter anderem die VR China, Hongkong und die USA sind in diesem Kontext weitaus wichtiger für beide. Neben den konkreten wirtschaftlichen Vorteilen der engen Handelsbeziehungen und besonders des ASTEP heben Kommentatoren daher immer auch strategische Aspekte hervor.34
Aus Sicht Taiwans war das Freihandelsabkommen mit Singapur 2013 in strategischer Hinsicht außerordentlich bedeutsam, denn es ermöglicht Taiwan, durch Diversifizierung seine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von der VR China mittelfristig zu reduzieren. Auch hoffte Taipei, auf Basis der Übereinkünfte mit Neuseeland und Singapur in naher Zukunft weitere Freihandelsabkommen mit anderen ASEAN-Staaten schließen zu können. Außerdem bezeichnete Taiwans damaliger Außenminister David Lin die Vereinbarung mit Singapur als »wegbereitend« für einen späteren Beitritt seines Landes zu regionalen Freihandelsabkommen wie der seinerzeit verhandelten Trans-Pacific Partnership (TPP) und der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP).35 Für Singapur, das auf den Export angewiesen ist, war der Vertrag mit Taiwan Teil seiner Strategie, den Freihandel in der Region auszuweiten. Singapurs Regierung betrachtet bilaterale wie regionale Freihandelsabkommen als Hauptinstrumente dafür, dieses strategische Ziel zu erreichen.36 Zudem argumentieren Beobachter, trotz eines separaten Freihandelsabkommens zwischen Peking und Singapur sei auch Taiwan für singapurische Unternehmen attraktiv. Grund dafür sei, dass viele taiwanische Firmen über das Economic Cooperation Framework Agreement (ECFA) zwischen Peking und Taipei spezifische ökonomische Verbindungen mit dem chinesischen Festland haben, welche durch die Öffnung von Bereichen wie dem Bank- und dem Versicherungswesen ermöglicht wurden.37
Der Vertragsschluss 2013 fiel genau in die Phase der Annäherung zwischen der Kuomintang-Regierung in Taipei und der chinesischen Führung. Einiges spricht dafür, dass die VR China, mit der Singapur zuvor ebenfalls ein Freihandelsabkommen vereinbart hatte, dem Vertrag stillschweigend zugestimmt hat.38 Unterzeichnet wurde er streng genommen nicht von Regierungsseite: Für Taiwan setzten der Vertreter des Taipei Representative Office, Hsieh Fa-dah, und für Singapur sein Pendant Calvin Eu vom Singapore Trade Office ihre Unterschriften unter das Dokument. Die Vereinbarung mit Taiwan steht auch nicht auf der Liste der Freihandelsabkommen Singapurs, die vom Ministry of Trade and Industry herausgegeben wird.39
Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
Die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen Singapur und Taiwan sind zumindest in einigen Teilbereichen weniger intensiv, als es die engen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen nahelegen. Beispielsweise studieren im regionalen Vergleich sehr wenige Singapuris in Taiwan. Es gibt zwar ein eigens dafür eingerichtetes Stipendienprogramm,40 doch die weitaus meisten ausländischen Studierenden stammen aus anderen Ländern Südostasiens wie Indonesien oder Vietnam. Für singapurische Studierende ist ein Studienaufenthalt auf der Insel bisher wenig interessant, da die Universitäten in ihrem Heimatland besser ausgestattet und in den internationalen Universitätsrankings sehr viel höher platziert sind. Zudem bewerben sich Singapuris, unter anderem aufgrund ihrer Englischkenntnisse, auf Studienplätze an prestigeträchtigeren Universitäten in den USA, Australien oder im Vereinigten Königreich. Im akademischen Bereich gibt es trotzdem einige Kooperationen zwischen singapurischen und taiwanischen Universitäten, zum Beispiel bei der Entwicklung »smarter« Technologien.41 Die akademischen Kooperationen mit der VR China überwiegen jedoch bei weitem die mit Taiwan.42
Bedeutsamer ist hingegen der Austausch auf kultureller Ebene. Taiwan war viele Jahre lang das Zentrum der chinesischsprachigen Musikindustrie, vor allem des Mandarin Pop (»Mandopop«). Chinesischsprachige singapurische Musiker frequentierten daher regelmäßig Aufnahmestudios in Taiwan, veröffentlichten ihre Platten über taiwanische Plattenfirmen und traten auf der Insel auf. Taiwans Filmindustrie hat wesentliche Bedeutung für chinesischsprachige Filme. Entsprechend häufig halten sich chinesischsprachige Schauspieler aus Singapur für Filmproduktionen in Taiwan auf. Taiwanische Filme und Serien wurden seit den 1970er Jahren in Singapur vermarktet. Aber auch singapurische Filmstudios haben eine lange Tradition in der Produktion chinesischsprachiger Filme und Serien, die wiederum in Taiwan und anderen Staaten der Region vertrieben wurden. Durch die Verbreitung von Filmen und Musik entstanden gemeinsame kulturelle Marker und Referenzen zwischen Taiwan und Singapur.43
Auch haben wohltätige buddhistische Organisationen wie Tsu Chi, Dharma Drum oder Fo Guang Shan mit Stammsitz auf Taiwan unter anderem Ableger in Singapur errichtet. Diese religiösen Organisationen sehen sich neben ihrer karitativen Arbeit auch als Anlaufstellen für kulturellen Austausch zwischen Taiwan und seinen Nachbarn. Darüber hinaus gibt es über Jahrzehnte etablierte Netzwerke zwischen Tempeln in Taiwan und Singapur.44
Vor der Covid-19-Pandemie war Taiwan zudem ein beliebtes Ziel für singapurische Touristen. 2019 wurden auf der Insel über 460.000 Einreisen aus Singapur registriert, mit einer jährlichen Zuwachsrate von 5 bis 8% seit den 2000er Jahren.45 Ein bilaterales Abkommen ermöglicht singapurischen wie taiwanischen Staatsbürgern bis zu 30 Tage visafreien Aufenthalt in Taiwan bzw. Singapur.
Fazit
Trotz fehlender diplomatischer Anerkennung Taiwans seitens des Stadtstaats sind die singapurisch-taiwanischen Beziehungen durch eine Vielzahl diplomatischer Kontakte und daraus resultierende Kooperationen gekennzeichnet. Substantielle, enge Beziehungen bestehen mittlerweile in einer Reihe von Politikfeldern wie der Handels-, der Verteidigungs- oder auch der Kulturpolitik. Dies ist vor allem historisch begründet. Zum einen musste Singapur Verbündete finden, da es sich 1965 von Malaysia unabhängig erklärt hatte und infolgedessen vulnerabler geworden war. Zum anderen sah sich auch Taiwan gezwungen, neue Partner zu suchen, nachdem es 1971 seinen Sitz in den Vereinten Nationen verloren hatte und Gefahr lief, immer weiter isoliert zu werden. Zwischen den politischen Eliten Singapurs und Taiwans entstanden enge persönliche Beziehungen, auf deren Grundlage die bilaterale Zusammenarbeit ab Ende der 1960er Jahre intensiviert und über Abkommen wie Exercise Starlight oder ASTEP formalisiert wurde. Eine Abkehr von dieser Politik ist trotz wachsenden Drucks aus Peking bisher nicht zu beobachten, obwohl wirtschaftliche wie verteidigungspolitische Kooperationen Singapurs mit Taiwan in den letzten beiden Dekaden angesichts mannigfaltiger Alternativen materiell an Bedeutung verloren haben. Ein wichtiger Grund für die ungebrochene Intensität der bilateralen Beziehungen liegt in Singapurs Bestreben, seine Souveränität als ethnisch mehrheitlich chinesischer Stadtstaat gegenüber einer immer forscher auftretenden VR China zu behaupten.
Im Schatten des »Systems 1992« – Die Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan
Eric J. Ballbach
Einleitung
In der Diskussion der Beziehungen zwischen Südkorea (kurz ROK für Republik Korea) und Taiwan (kurz ROC für Republik China) wird oft auf die gemeinsam geteilte Geschichte verwiesen: von der Erfahrung der japanischen Besatzung über die antikommunistische Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur wirtschaftlichen Liberalisierung und politischen Demokratisierung in den 1980er und 1990er Jahren. Doch das Ende des Kalten Krieges und insbesondere die Normalisierung der Beziehungen zwischen Südkorea und der Volksrepublik (VR) China im Jahr 1992 führten zu einer Entfremdung zwischen den beiden Ländern. Dennoch haben Seoul und Taipei ihren wirtschaftlichen und kulturellen Austausch sukzessive ausgebaut, auch wenn es keine formellen diplomatischen Beziehungen gab bzw. gibt. Dies legte den Grundstein für ein Netz komplexer, in weiten Teilen höchst informeller und inoffizieller Beziehungen. Aus sicherheitspolitischer Perspektive bleibt Taiwan für Südkorea jedoch ein überaus heikles Thema – Seoul lehnt es angesichts seiner schwierigen geopolitischen Situation sowie des Primats der Nordkoreapolitik bis dato ab, im sicherheitspolitischen Bereich mit Taipei zusammenzuarbeiten.
Politische Beziehungen
Korea und Taiwan unterhalten eine historische Verbindung, die bis vor die Gründung der Republik Korea 1948 zurückreicht. So unterstützte die Kuomintang die Provisorische Regierung der Republik Korea bereits, als diese 19191 entstand, sowie bei ihrer anschließenden Anerkennung durch die Republik China. In der Zeit des Kalten Krieges waren sowohl die ROC auf Taiwan als auch Südkorea wichtige Verbündete der USA. Die im August 1948 aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen der ROC und Südkorea basierten auf dem von beiden verfolgten Grundsatz des Antikommunismus. Dies führte vor allem in den 1950er und 1960er Jahren zu einer engen politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Zusammenarbeit der beiden Länder.2
Das außenpolitische Kalkül Südkoreas änderte sich indes fundamental vor dem Hintergrund der Nixon-Doktrin, der Übernahme der Vertretung Chinas bei den Vereinten Nationen (VN) 1971 durch die Volksrepublik sowie der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der VR China am 1. Januar 1979 (die mit dem Abbruch der Beziehungen der USA zur Republik China verbunden war). So rückte Südkorea insbesondere von der strikt antikommunistischen Ausrichtung seiner Außenpolitik ab: In den 1970er Jahren kam es nicht nur zu ersten Verhandlungen mit Nordkorea – Seoul baute auch seine Beziehungen zu Peking in den folgenden Jahren nach und nach aus. Die sogenannte »Nordpolitik« des südkoreanischen Präsidenten Roh Tae-woo (Amtszeit 1988–1993) zielte explizit darauf ab, das Verhältnis Seouls zu den engsten Verbündeten Nordkoreas zu verbessern, um die militärischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel abzubauen und die Außen-(Handels-)Beziehungen Seouls zu diversifizieren.
Abbruch diplomatischer Beziehungen und Trennung von Politik und Wirtschaft
Nach geheimen Verhandlungen zwischen Südkorea und der VR China haben diese beiden Länder am 22. August 1992 diplomatische Beziehungen aufgenommen; Südkorea hat damit als letztes asiatisches Land die formellen diplomatischen Beziehungen zur ROC gekappt.3 Taipei reagierte mit offener Kritik und einer Reihe von Strafmaßnahmen gegen die Republik Korea. Insbesondere hob Taiwan das Luftverkehrsabkommen mit Südkorea auf, wodurch alle direkten kommerziellen Flugverbindungen nach Seoul eingestellt und südkoreanischen Flugzeugen die Nutzung des taiwanischen Luftraums verboten wurde. In den folgenden zwölf Jahren fanden zwischen den beiden Ländern nur Charterflüge statt.4 Darüber hinaus beendete Taiwan die Vorzugsbehandlung Südkoreas im Handel, leitete ein Antidumpingverfahren gegen koreanische Produkte ein und untersagte südkoreanischen Unternehmen, sich an öffentlichen Projekten in Taiwan zu beteiligen. Nicht zuletzt verbot Taiwan koreanischen Schiffen die Nutzung der Taiwan-Japan-Route und taiwanischen Staatsunternehmen diejenige koreanischer Frachtschiffe. In der Folge kühlten die Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan merklich ab, in Taiwan breitete sich eine zunehmend antikoreanische Stimmung aus.5
Kern der informellen Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan ist wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit.
Trotz der Verschlechterung des politischen Verhältnisses konnten es sich Südkorea und Taiwan auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interdependenz nicht leisten, die Beziehungen vollständig abzubrechen. Mit der Wiederaufnahme informeller Beziehungen 1993 verlagerte sich der Schwerpunkt von politischen und militärischen Fragen darauf, die wirtschaftliche Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und zu erweitern sowie den kulturellen Austausch zu fördern. Dieser Austausch im privaten Sektor bildete die Grundlage für den sukzessiven Aufbau eines Netzwerks informeller politischer Beziehungen.
Informelle Kooperation
Think-Tank-Kooperation und Track‑1.5‑Diplomatie
Nach dem Abbruch der offiziellen Beziehungen gehörten taiwanische und südkoreanische Think-Tanks zu den ersten Akteuren, die die entstandenen Lücken im offiziellen Dialog beider Länder zu füllen versuchten. Das wichtigste Track-1.5-Projekt, das Taipei-Seoul Forum/Seoul-Taipei Forum (TSF/STF), haben das Institute of International Relations in Taipei und das Seoul Forum for International Affairs ins Leben gerufen.6 Es fand erstmals 1989 statt und zeigt, wie persönliche Kontakte und intensive soziale Vernetzung über mehrere Jahrzehnte sowie Verbindungen zwischen Think-Tanks dazu beitrugen, die labilen bilateralen Beziehungen während einer extrem schwierigen Zeit zu erhalten.7 Dank hochrangiger politischer Unterstützung und einflussreicher Teilnehmer auf beiden Seiten entwickelte sich das Forum nach 1992 zu einem halboffiziellen diplomatischen Raum.8 Obwohl es von akademischen Einrichtungen ausgerichtet wird, sind die meisten Teilnehmer entweder ehemalige oder amtierende hochrangige Beamte. Das TSF/STF ermöglichte somit einen direkten Dialog zwischen Regierungsvertretern, Politikern, Wissenschaftlern und bedeutenden Think-Tanks in Taiwan und Südkorea, der auch dazu diente, Missverständnisse auszuräumen und einschlägige Fragen zu erörtern. So spielte das TSF/STF etwa eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen über das 2004 unterzeichnete Abkommen über die Wiederaufnahme direkter Luftverkehrsverbindungen, das das Ergebnis eines jahrelangen kontinuierlichen Dialogs zwischen Wissenschaft, Industrie und öffentlichem Sektor war.9
Diplomatische Missionen
Im Juli 1993 besuchte Taiwans stellvertretender Außenminister Fang Chin-yen Seoul, um die Möglichkeiten einer Wiederaufnahme der bilateralen Beziehungen auszuloten. Es war das erste Treffen auf Vizeministerebene seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen ein Jahr zuvor.10 Kurz darauf beschlossen beide Seiten, nicht nur informell wieder Kontakte zu pflegen, sondern verständigten sich darauf, quasidiplomatische Vertretungen einzurichten. Die koreanische Vertretung in Taipei ist im November 1993 eröffnet worden, diejenige Taiwans in Seoul im Januar 1994. Offiziell kümmern sich die beiden Büros um die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen und regeln konsularische Angelegenheiten. In der Praxis fungiert die koreanische Mission in Taipei jedoch als Repräsentanz Südkoreas in Taiwan und dient in Ermangelung offizieller diplomatischer Beziehungen als De-facto-Botschaft. Sie untersteht direkt dem Außenministerium der Republik Korea, ihr Leiter ist in der Regel ein hochrangiger Beamter. Die Missionsleiter beider Seiten nehmen regelmäßig an kulturellen, wirtschaftlichen und öffentlichen Veranstaltungen teil, begleiten aber auch hochrangige Besucher aus ihren jeweiligen Ländern und unterzeichnen offizielle Dokumente und Abkommen (wie etwa das oben genannte zur Wiederaufnahme direkter Flugverbindungen).
Parlamentarischer Austausch
Im August 1996 hat die südkoreanische Nationalversammlung die Parlamentarische Freundschaftsvereinigung zwischen der ROC und der ROK geschaffen. Als Reaktion darauf ist im Dezember 1996 die ROC-ROK Inter-Parliamentary Amity Association in Taipei gegründet worden, wo sie auch ansässig ist. Kurz vorher hatte die bis dato hochrangigste Delegation südkoreanischer Parlamentarier unter der Leitung des Abgeordneten Chung Jae Moon Taipei besucht. Das Kernziel der Vereinigungen ist die Förderung des parlamentarischen Austauschs. Der damalige Präsident des taiwanischen Parlaments, Liu Sung-pan, bezeichnete deren Gründung als einen entscheidenden Schritt, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wiederzubeleben, und stellte fest, die diplomatischen Bemühungen der Parlamentarier seien zu einem wichtigen Mittel geworden, die internationalen Beziehungen Taiwans zu verbessern.11
Die parlamentarischen Vereinigungen ebneten den Weg dafür, dass in den folgenden Jahren die Interaktionen sukzessive zunahmen und die informellen Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan gestärkt wurden. Vor allem nach der Wahl von Chen Shui-bian zum Präsidenten der ROC im Jahr 2000 fanden wechselseitige parlamentarische Besuche weitaus regelmäßiger statt. Die Abgeordneten erörterten dabei auch einschlägige Themen wie die Option, erneut Konsultationen auf Ebene der Wirtschafts- und Handelsminister aufzunehmen oder ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern zu unterzeichnen, ferner regionale Sicherheitsfragen und den möglichen Beitritt Taiwans (als Beobachter) zur Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Diplomatie der Ehemaligen
Ein weiterer informeller Kanal zwischen Taiwan und Südkorea ist die »Diplomatie der Ehemaligen«, das heißt die gegenseitigen Besuche ehemaliger hochrangiger Regierungsbeamter.
Von besonderer Bedeutung waren die wiederholten Reisen des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Young-sam nach Taiwan, der damit der profilierteste Besucher aus Südkorea nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern war. Insgesamt reiste Kim fünf Mal nach Taiwan, nachdem er 1998 aus dem Amt geschieden war.12 Bemerkenswert ist, dass viele dieser Besuche trotz Kritik aus China stattfanden und Kim bei allen persönlich mit Taiwans Präsident Chen zusammentraf. Bei den informellen Konsultationen wurde unter anderem darüber diskutiert, wie direkte Flugverbindungen wiederhergestellt werden könnten, welche Maßnahmen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stärken könnten, vor welchen Herausforderungen sie standen und ob jährliche Wirtschaftstreffen auf Ministerebene denkbar wären. Darüber hinaus gab es einen regelmäßigen Meinungsaustausch über strategische regionale Fragen, einschließlich darüber, wie Stabilität und Wohlstand im asiatisch-pazifischen Raum gefördert werden könnten.
Auf taiwanischer Seite besuchte die ehemalige Vizepräsidentin Annette Lu nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt (2008) mehrmals Südkorea. Während ihrer Aufenthalte traf sie koreanische Politiker wie etwa den stellvertretenden Sprecher der Nationalversammlung Lee Ju-young und führende Vertreter der Zivilgesellschaft. Lu sprach sich wiederholt dafür aus, die bilateralen Beziehungen zwischen Taiwan und Südkorea zu formalisieren, und forderte sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien Südkoreas auf, dieses Anliegen zu unterstützen.13
Sicherheitspolitische Beziehungen
Südkoreas Außenpolitik in Ostasien ist in weiten Teilen Ausdruck seiner schwierigen geopolitischen Lage. Mehr noch als andere Staaten in der Region muss es vorsichtig navigieren zwischen China und den Vereinigten Staaten, seiner eigenen Position innerhalb der Südkorea-US-Allianz und seinen bilateralen Beziehungen zu Japan und Nordkorea. Da die Nordkoreafrage insbesondere für liberale Regierungen in Seoul im Zentrum des außenpolitischen Interesses steht, ist Südkorea sehr um diplomatische Äquidistanz zu China und den USA bemüht – seinen größten Handelspartnern und den beiden wichtigsten externen Akteuren in der Koreafrage. Deshalb agiert Südkorea in sensiblen Angelegenheiten wie der Taiwanfrage äußerst zurückhaltend, nicht zuletzt um chinesische Strafmaßnahmen wie 2017 zu vermeiden.14
Südkorea zögert, die Beziehungen zu Taiwan zu vertiefen, da es Chinas Reaktionen fürchtet.
Die Chancen einer vertieften Beziehung zu Taiwan werden den Gefahren untergeordnet, die eine Verschlechterung des Verhältnisses zur VR China vermutlich mit sich brächte. Auch wenn der neu gewählte Präsident Yoon Suk-yeol eine kritischere Haltung gegenüber China einnimmt und für eine enger an die USA angelehnte Außenpolitik steht, bleibt es daher unwahrscheinlich, dass Südkorea Taiwan direkt oder indirekt sicherheitspolitisch entgegenkommen wird oder das Streben Taipeis nach internationaler Anerkennung unmittelbarer als bisher unterstützt.15 Gleichwohl haben die südkoreanischen Entscheidungsträger 2017 auch eine bittere Lektion aus den Risiken einer (zu) großen Abhängigkeit von der chinesischen Wirtschaft gelernt.
Die sich verschärfende Rivalität zwischen China und den USA wird die Zwänge der südkoreanischen Außenpolitik weiter verstärken – und es ist anzunehmen, dass es für Seoul zukünftig immer schwieriger wird, zwischen den USA und China zu navigieren. Gleichzeitig ist eine wachsende Besorgnis über die Entwicklung der Lage in der Taiwan-Straße zu erkennen. Denn selbst wenn bis dato nicht damit gerechnet wird, dass die USA Südkorea in einem Krisenfall um direkte militärische Unterstützung bitten würden, so beträfe ein Zwischenfall in jener Region auch Südkorea unmittelbar, etwa wenn US-Truppen in Südkorea dortige Militärstützpunkte einbinden bzw. nutzen würden.
Wirtschaftliche Beziehungen
Handel und Investitionen
Im Jahr 2020 belief sich der bilaterale Handel zwischen Taiwan und Südkorea auf 34,9 Milliarden US-Dollar. Dies ist ein Anstieg von rund 30% gegenüber 2010 und knapp 170% gegenüber dem Wert aus dem Jahr 2000. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) ist Südkorea gegenwärtig der siebtwichtigste Exportmarkt und die sechstwichtigste Importquelle für Taiwan. Die Liste der Export- und Importgüter wird angeführt von elektronischen Bauelementen (51,2% / 50,6%), petrochemischen und chemischen Erzeugnissen (20,4% / 21,6%) sowie Maschinen (6,0% / 4,6%).16
Während weltweit und auch unter aktiver Teilnahme Südkoreas und Taiwans die Direktinvestitionen in den 1990er und insbesondere in den 2000er Jahren stark anstiegen, ist das Niveau der Direktinvestitionen zwischen den beiden Volkswirtschaften erstaunlich niedrig: Laut der Investitionskommission des Wirtschaftsministeriums in Taipei investierten Taiwans Unternehmen bis einschließlich 2020 gerade einmal 1,6 Milliarden US-Dollar in Südkorea. Zu den wichtigsten Investitionssektoren gehören die Herstellung elektronischer Komponenten, das Finanz- und Versicherungswesen, die pharmazeutische Produktion, die Herstellung von Computer- und Elektronikprodukten sowie die Herstellung optischer Produkte. Im Vergleich dazu umfassten die Investitionen Südkoreas in Taiwan bis Jahresende 2020 lediglich 1,3 Milliarden US-Dollar, was einem Anteil von 0,7% entsprach. Sie flossen hauptsächlich in die Herstellung elektronischer Komponenten, den Groß- und Einzelhandel, die Herstellung von Computern, elektronischen und optischen Produkten, in das Finanz- und Versicherungswesen, die Informations- und Kommunikationsbranche sowie das Bauwesen.17
Aktueller Stand und Herausforderungen der Wirtschaftskooperation
Um die bilateralen Handelsbeziehungen zu fördern, wurde 2007 ein taiwanisch-südkoreanisches Forum für wirtschaftliche Zusammenarbeit veranstaltet.18 Die Tatsache, dass dies das erste seiner Art seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen war, unterstreicht einerseits die symbolische Bedeutung dieses hochrangigen Treffens. Andererseits spiegelt es das ungenutzte Potential der ökonomischen Kooperation zwischen den beiden Ländern wider, denn sowohl das niedrige Investitionsniveau wie auch die noch immer unter ihren Möglichkeiten operierenden Handelsbeziehungen sind in erster Linie auf die ungünstigen politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Zentrale Grundlagen wie etwa ein Investitionsschutzabkommen oder ein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen wurden bis heute nicht ausgehandelt.19 Ebenso blieben wiederholte Forderungen, Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufzunehmen, bislang ohne Ergebnis. Überdies bestehen verschiedene Beschränkungen, die die taiwanische Regierung koreanischen Schifffahrtsunternehmen auferlegt hat, weiter fort.20 Trotz anders gelagerter Interessen der südkoreanischen Wirtschaft sträubt sich Seoul, solche Gespräche zu forcieren, um einen Konflikt mit der VR China zu vermeiden.21 Jedoch haben Seoul und Taipei nacheinander eine Reihe kleinerer Abkommen und Memoranden über ihre Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen unterzeichnet; sie betreffen zum Beispiel den Austausch elektronischer Ursprungszeugnisse (2008), den Patent Prosecution Highway (PPH, 2015), den Austausch von Informationen über gewerblichen Rechtsschutz (2015), den elektronischen Austausch von Prioritätsdokumenten (PDX, 2015) sowie die gegenseitige Anerkennung zugelassener Wirtschaftsbeteiligter (2016).22
Erschließung weiterer Kooperationsfelder
Durch den beidseitig geteilten Wunsch nach einer außenpolitischen und ‑wirtschaftlichen Diversifizierung ergeben sich – unterhalb der sicherheitspolitischen Ebene – durchaus realistische Möglichkeiten, die Zusammenarbeit auszubauen.
Zum einen verfolgen Taiwans »New Southbound Policy« unter Präsidentin Tsai Ing-wen und Südkoreas »New Southern Policy« unter Präsident Moon Jae-in ähnliche Ziele, etwa in Bezug auf die Ausweitung strategischer Investitionen in den indopazifischen Raum. Eine vertiefte Zusammenarbeit in Südostasien, die auch der neu gewählte Präsident Südkoreas Yoon Suk-yeol explizit anstrebt, ist ebenfalls realistisch, zum Beispiel in der Finanzierung von Infrastrukturprojekten, nicht nur um der Attraktivität von Chinas Belt and Road Initiative (BRI) in der Region entgegenzuwirken. Obwohl taiwanische und südkoreanische Unternehmen unter anderem in der Halbleiterproduktion miteinander konkurrieren, besteht die Möglichkeit, enger zusammenzuarbeiten, etwa um die Widerstandsfähigkeit von Lieferketten zu verbessern.
Zum anderen könnten die Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan über das Global Cooperation and Training Framework (GCTF), an dem Südkorea bisher nur sporadisch partizipiert, vertieft werden. Das GCTF wurde unter der Schirmherrschaft des American Institute in Taiwan ins Leben gerufen und umfasst eine Reihe von Workshops, die es Taiwan gestatten, sein Fachwissen mit anderen Staaten zu teilen. Eine weiterreichende Kooperation zwischen Seoul und Taipei im Rahmen des GCTF ist gut vorstellbar, nicht zuletzt da es Probleme bearbeitet, auf die beide Länder reagieren müssen und die in der Regel weniger sensibel sind als traditionelle Sicherheitsfragen.
Bildungs- und Kulturbeziehungen und »People-to-People Exchange«
Die kulturellen und bildungspolitischen Beziehungen zwischen den beiden Seiten haben sich in den vergangenen Jahren erheblich intensiviert. Die Politikwissenschaftler Heo und Kim argumentieren in diesem Zusammenhang, dass die durch den Wirtschafts-, Kultur- und Bildungsaustausch entstandenen Netzwerke zwischen Südkorea und Taiwan eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der bilateralen Beziehungen gespielt haben.23 Neben politischen Fortschritten wie dem Luftverkehrsabkommen trug nicht zuletzt auch der Erfolg südkoreanischer Kulturprodukte (wie etwa Hallyu) maßgeblich dazu bei. Vor diesem Hintergrund wuchs die Zahl der taiwanischen Studenten in der ROK von 631 im Jahr 2003 auf 4.329 im Jahr 2018.24 Parallel dazu nahm ebenso die Zahl der wechselseitigen touristischen Besuche deutlich zu – von 300.000 im Jahr 1992 auf über 2,5 Millionen im Jahr 2019.25 Dabei stieg die Anzahl taiwanischer Touristen in Südkorea nach Angaben des taiwanischen Tourismusbüros zwischen 2013 und 2017 um 71,3% an. Somit stellt Taiwan die drittgrößte Gruppe internationaler Touristen in Südkorea nach China und Japan.26 Dies schlägt sich auch in einem starken Anstieg der Direktflüge nieder: Während es zwischen 1992 und 2004 gar keine gab, gibt es heute deren zehn pro Tag zwischen Taipei und wichtigen Zielen in Südkorea. Zum 1. Juli 2012 haben die beiden Länder gegenseitig die Visumspflicht für Besucher dahingehend geändert, dass letztere sich 90 Tage im jeweils anderen Land aufhalten dürfen.
Im akademischen Bereich haben 55 taiwanische Universitäten Partnerschaftsabkommen mit 92 koreanischen Universitäten und Hochschulen geschlossen. Die National Taiwan University allein unterhält 99 Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit verschiedenen Einrichtungen und Departments von 18 südkoreanischen Universitäten.27 Darüber hinaus haben viele akademische Organisationen in Südkorea und Taiwan Foren für den akademischen Austausch gegründet. Beispiele sind die Korea Society for Chinese Studies, der Korea-China Education Fund und der Taiwan Culture and Education Fund. Die Hankuk University of Foreign Studies in Seoul hat im Mai 2011 ein Forschungszentrum für zeitgenössische Taiwanstudien eröffnet; ähnliche Einrichtungen existieren in der Anyang-Universität und der Hallym-Universität.28
Fazit
Die Beziehungen zwischen Südkorea und Taiwan sind komplex, in weiten Teilen höchst informell und dennoch für beide Länder von zu großer Bedeutung, um sie zu ignorieren. Trotz Fortschritten in den wechselseitigen Beziehungen nach 1992, vor allem in Wirtschaft und Handel sowie der kulturellen Kooperation, haben es die beiden Länder nicht geschafft, ihr volles Potential in der Zusammenarbeit auszuschöpfen, insbesondere nicht in sicherheitspolitischen Fragen. Dies erklärt sich in erster Linie aus dem geopolitischen Dilemma Südkoreas und dem Primat der Nordkoreafrage für Seoul, die eine direkte sicherheitspolitische Kooperation mit Taiwan bis auf weiteres unwahrscheinlich macht. Bis dato hat Südkorea die strategische Entscheidung getroffen, dass die zu erwartenden Kosten einer Aufwertung seiner Beziehungen zu Taiwan die potentiellen Erträge übersteigen. Vor diesem Hintergrund ist zwar die Erschließung neuer Kooperationsfelder in weniger sensiblen Bereichen möglich – eine prinzipielle Abkehr vom bisherigen vorsichtigen Kurs steht jedoch vorerst nicht in Aussicht.
Australien und Taiwan: Wachsende Übereinstimmung in Zeiten der Großmächterivalität
Mark Harrison*
Das Verhältnis zwischen Australien und Taiwan lässt sich einerseits als normale internationale Beziehung verstehen, in der sich beide Seiten vor allem außenwirtschaftlich ergänzen. Andererseits herrschen zwischen Canberra und Taipei besondere und komplexe Verhältnisse – dafür sorgen die starke Präsenz der Volksrepublik China im gemeinsamen Umfeld, ihr Gebietsanspruch auf Taiwan und die davon ausgehenden Konsequenzen für die regionale Sicherheit. Taiwan ist Australiens zwölftgrößter Handelspartner und ein wichtiger Markt für australische Energie- und Rohstoffexporte. Gleichzeitig ist Taiwan ein kritischer Faktor für Australiens Verhältnis zu China, für seine Allianz mit den USA und seine Beziehungen in den pazifischen Raum. Der vielschichtige und zuweilen widersprüchliche Charakter der bilateralen Beziehungen korrespondiert mit umstrittenen Weichenstellungen der australischen Regierung, in denen die teils inkonsistenten Ziele ihrer Außenpolitik zutage treten. Hatte sich diese in den 1990er Jahren noch vorwiegend an wirtschaftlichen Themen orientiert, so wurde sie später zunehmend von der Sorge um Sicherheit und Verteidigung im indopazifischen Raum bestimmt. Zuletzt haben sich die Sichtweisen in Canberra und Taipei angenähert, was den Blick auf das China unter Führung Xi Jinpings und den internationalen Spielraum Taiwans angeht.
Australien, die Republik China (ROC) und Japan
Verkompliziert werden die Beziehungen zwischen Australien und Taiwan durch die Kolonialvergangenheit beider Länder und durch Chinas moderne Geschichte, zu der die Republik China (ROC) ebenso gehört wie die Volksrepublik (VR) China. Das australisch-taiwanische Verhältnis kann auch als das zwischen Australien und der Republik China verstanden werden. Insofern offenbaren sich hier Taiwans instabile Außenbeziehungen und sein Platz außerhalb des internationalen Systems.
Die Republik China wurde 1912 durch die chinesischen Nationalisten der Kuomintang (KMT) gegründet. Australien wiederum war bis in die 1940er Jahre in seiner Außenpolitik durch den Status als britisches Dominion eingeschränkt. Selbst nach dem Balfour-Bericht von 1926, der den Dominions das Recht gab, unabhängige Außenbeziehungen zu unterhalten, wurden Australiens externe Angelegenheiten noch weitgehend von Großbritannien bestimmt. Dennoch hatte Australien in den 1920er Jahren einen Handelsbeauftragten in Shanghai, und die ROC unterhielt während dieser Zeit eine diplomatische Vertretung in Australien.1 Dort gab es eine sehr vielfältige chinesische Diaspora; dazu gehörten auch Organisationen, die die ROC unterstützten, sowie überseeische Ortsverbände der KMT.2
Die Insel Taiwan war zu dieser Zeit ein japanisches Kolonialgebiet, und Australien betrachtete deren Bürger als Untertanen des kaiserlichen Japan. Die Beziehungen zu Taiwan wurden unter jenen zu Japan subsumiert, auch während des Zweiten Weltkriegs, als etwa tausend Taiwaner in Australien mit der Begründung interniert wurden, sie seien japanische Bürger.
Das bilaterale Verhältnis veränderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Regierung der Republik China zog sich 1949 nach Taipei – in den Hauptort der Insel Taiwan – zurück, und im Jahr darauf brach der Koreakrieg aus. Die Beziehungen zwischen Australien und Taiwan wurden nun durch den Kalten Krieg und den 1951 unterzeichneten ANZUS-Verteidigungsvertrag zwischen den USA, Australien und Neuseeland geprägt. Sowohl Australien als auch die ROC gehörten dem amerikanischen Bündnissystem an und hatten sich dem Widerstand gegen den Kommunismus verpflichtet; trotzdem blieb ihr bilaterales Verhältnis relativ kühl. Australien unterhielt diplomatische Beziehungen mit der Republik China, während es die Volksrepublik China nicht anerkannte. Dennoch hatte Canberra in den 1950er und 1960er Jahren über weite Strecken keinen Botschafter in Taipei.
Australiens Ein-China-Politik
1972 erkannte die australische Regierung im Zuge der Annäherung zwischen Washington und Peking die VR China an und brach ihre Beziehungen zu Taipei ab. In einem Kommuniqué zwischen Australien und der Volksrepublik hieß es damals:
»The Australian Government recognises the Government of the People’s Republic of China as the sole legal Government of China, acknowledges the position of the Chinese Government that Taiwan is a province of the People’s Republic of China, and has decided to remove its official representation from Taiwan before 25 January 1973.«3
Damit wurde der Grundstein für die australische Ein-China-Politik gelegt: Canberra versagt Taiwan die Anerkennung als Staat im internationalen System, bleibt jedoch in Bezug auf dessen Souveränität zweideutig und nimmt Pekings Haltung lediglich »zur Kenntnis«, dass Taiwan zum Gebiet der Volksrepublik gehöre. Bis Ende der 1970er Jahre waren die australisch-taiwanischen Beziehungen nichtexistent, da Canberra sich in dieser Zeit aktiv Peking zuwandte.
In der VR China wiederum begann nach dem Tod Mao Tse-tungs 1976 die Ära von »Reform und Öffnung«. Politik und Wirtschaft des Landes wurden zugunsten einer stärkeren internationalen Verflechtung umgestaltet. Dies betraf auch die Beziehungen Pekings zu Taipei. Der Brief an die taiwanischen Landsleute aus dem Jahr 1979, beschlossen vom Ständigen Ausschuss des 5. Nationalen Volkskongresses, zog einen formellen Schlussstrich unter die Mao-Periode und schuf neue Grundlagen für Pekings Taiwan-Politik, einschließlich der Formel »Ein Land – zwei Systeme« für die von Peking angestrebte Vereinigung der beiden Seiten und für die Beziehungen zwischen der KMT und der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).4
Auch die Vereinigten Staaten revidierten ihre bisherige Taiwan-Politik, indem sie 1979 die diplomatische Anerkennung der ROC für beendet erklärten, den US-ROC-Verteidigungsvertrag aufkündigten und den Taiwan Relations Act verabschiedeten. Letzterer diente Australien als Vorbild für die Wiederaufnahme inoffizieller Beziehungen zu Taiwan. 1981 wurde das Australian Commerce and Industry Office (ACIO) in Taipei eingerichtet, das viele der Funktionen einer Botschaft übernahm, jedoch ohne formelle diplomatische Anerkennung des Gastlandes. 2012 änderte das ACIO seinen Namen in Australian Office.5
Seit den 1980er Jahren unterhält Australien damit politische Kontakte zu Taiwan, die sich im Rahmen der Ein-China-Politik bewegen, und fördert den Austausch in Handel, Kultur und Bildung. Zwar gibt es bilaterale Regierungskontakte, doch ist Australien vorsichtig mit allen Schritten, die den Eindruck erwecken könnten, Taiwan werde als souveräner Staat behandelt. Der letzte Besuch eines australischen Premierministers auf der Insel war der von Harold Holt im Jahr 1966. Im Laufe der Zeit sind indes eine Reihe Track-1,5- oder Track-2-Dialoge unter Think-Tanks beider Seiten entstanden.
Australiens Hinwendung zu Asien
Auch jenseits der Reaktion auf die sino-amerikanische Annäherung und deren geopolitische Folgen begann Australien in den 1980er Jahren, seinen internationalen Kurs zu ändern. Dies schuf eine neue konzeptionelle Grundlage für die Beziehungen zu Taiwan, die fortan als australisch-taiwanische Beziehungen verstanden wurden und nicht mehr als Beziehungen zur Republik China.
Unter dem Schlagwort »Reform« leitete Australien in dieser Zeit eine Reihe von Maßnahmen ein, die darauf abzielten, die heimische Wirtschaft zu liberalisieren und den Export zu stärken. Diese ökonomische Wende war speziell auf Asien ausgerichtet; sie betraf die politische Kultur Australiens ebenso wie seine außen- und handelspolitische Orientierung. Die Identität des Landes als ehemalige britische Kolonie und militärischer Verbündeter der USA trat zurück, dafür suchte es nun wirtschaftlich und kulturell einen Platz in Asien. Motiviert wurde dieser Umbruch durch langfristige Veränderungen in den internationalen Beziehungen Australiens. Dazu gehörten Großbritanniens Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1973 und das Ende der verbliebenen Handelspräferenzen des britischen Empire.6
Für Australien war es Teil des eigenen Reformprozesses, die Beziehungen zu Taiwan voranzubringen.
Ihren Ausdruck fand die neue politische Linie in dem durch die australische Regierung beauftragten Bericht »Australia and the North East Asian Ascendancy«. Darin wurde empfohlen, sich ökonomisch an den schnell wachsenden Volkswirtschaften Asiens zu orientieren – insbesondere an Japan, aber auch den »Tigerstaaten« Taiwan und Südkorea. Diese Länder wurden zum einen als politische Vorbilder für Australien gepriesen, was ihre dynamischen, deregulierten und exportorientierten Ökonomien anging. Zum anderen bildeten sie selbst neue Schlüsselmärkte, die den australischen Exporteuren wachsende Mittelschichten und eine angemessene Konsumkultur boten, um den wirtschaftlichen Wohlstand des eigenen Landes zu sichern.
Dieser politische und wirtschaftliche Wandel in Australien schuf die Voraussetzungen für eine duale Struktur im Verhältnis zu Taiwan. Die Handelskontakte waren dynamisch und profitabel, während der diplomatische Austausch durch mehrere Faktoren erschwert wurde – den prekären internationalen Status Taiwans, das Fehlen einer formellen Anerkennung durch Canberra und die Beziehungen zwischen Australien, der VR China und den USA.
Wirtschaftliche Beziehungen
In den späten 1980er und den 1990er Jahren waren es die Handelsbeziehungen, die Australiens Politik gegenüber Taiwan beherrschten und das bilaterale Verhältnis stärkten. Dies entsprach zum einen Canberras nationalen Prioritäten, zum anderen spiegelte sich darin die Entwicklung einer globalen Handelsarchitektur in der Ära der »Globalisierung« nach dem Kalten Krieg. Die ökonomischen Beziehungen ergänzten sich wechselseitig, wobei Australien vor allem Rohstoffe und Agrargüter lieferte, Taiwan wiederum Industriewaren des Konsum- und des Technologiesektors.
Aus Sicht Australiens war es Teil des eigenen politischen und wirtschaftlichen Reformprozesses, die Beziehungen zu Taiwan voranzubringen. Der Inselstaat wiederum sah sich mit anderen Erfordernissen konfrontiert, litt er doch unter zunehmender Isolation. Für Taiwan war der funktionierende Handelsaustausch ein Mittel, um seinen internationalen Raum im Rahmen von Regierungskontakten zu wahren, selbst wenn keine formellen diplomatischen Beziehungen bestanden. So bildete Taipei den Ansatz heraus, seine internationalen Beziehungen zu »taiwanisieren«, statt zu versuchen, als »Republik China« direkt mit der VR China zu konkurrieren. Angesichts der Bemühungen Pekings, die außenpolitischen Spielräume Taiwans einzuschränken, suchte Taipei nach Wegen, seinen bestehenden Aktionsradius zu verteidigen und ihn mit neuen Hebeln im internationalen System zu erweitern.
Für diese sich überschneidenden Zwecke nutzten Australien und Taiwan in den 1990er Jahren die internationale wie regionale Handelsarchitektur, die sich nach dem Kalten Krieg entwickelte. 1989 war unter australischer Führung die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) gegründet worden. Australien bot sich damit eine regionale Architektur, die auf Freihandel, Investitionen und ökonomischer Entwicklung beruhte, mit den beteiligten Volkswirtschaften als Grundeinheiten. Dazu gehörten Staaten in Südost- und Nordostasien ebenso wie die USA und Kanada. Für Taiwan war die APEC eine Chance, ohne formelle diplomatische Kontakte regionale Beziehungen zu etablieren. Es trat dem Format im Jahr 1991 als »Chinese Taipei« bei, während zeitgleich die VR China und Hongkong separate Mitglieder wurden.
Die APEC konzentriert sich heute wie damals auf Handel und Investitionen; dabei liegt ihr Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit in den Bereichen geistiges Eigentum, Zölle und Angleichung der Handelsvorschriften, ebenso auf den neuen Wirtschaftssektoren. Überdies ermöglicht sie eine Kooperation zwischen den Regierungen auf den Feldern Technologie, Gesundheit und Arbeit. In diesem Zusammenhang veranstaltet die APEC zahlreiche Foren zu technischen Handelsfragen sowie einen jährlichen Wirtschaftsgipfel, an dem die Regierungschefs teilnehmen. Hochrangige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik vertreten den taiwanischen Präsidenten bei diesen Treffen.7
Jenseits der APEC wurden die australisch-taiwanischen Beziehungen in den 1990er und 2000er Jahren durch zwischenstaatliche Memoranda of Understanding (MoU) institutionalisiert. Diese konzentrierten sich auf technische Aspekte des Handels sowie auf bestimmte Felder der wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit. Insofern verblieben die bilateralen Absprachen innerhalb der Parameter von Australiens Ein-China-Politik, während sie zugleich die administrativen Voraussetzungen für eine effektive Beziehungspflege schufen. Zwei der MoU stammen von 1996: erstens eine Übereinkunft zwischen dem taiwanischen Amt für Wareninspektion und Quarantäne (Bureau of Commodity Inspection and Quarantine) und der australischen Gesellschaft für Qualitätssicherungsdienste (Quality Assurance Services Pty Limited), zweitens eine Vereinbarung zwischen dem Taipei Economic and Cultural Office und dem Australian Commerce and Industry Office, betreffend die Anwendung der Gesetze über Wettbewerb und fairen Handel. Im Jahr 2007 erfolgte ein Briefwechsel, ebenfalls zwischen dem taiwanischen Wirtschafts- und Kulturbüro und dem australischen Büro in Taipei, zur gegenseitigen Anerkennung von Geräten, die unter die Vereinbarung über die Regulierung elektromagnetischer Energie (EME) fallen. Weitere Abkommen betreffen Postdienste, Investitionen und branchenspezifische Handelsförderung; darunter ist eine bilaterale Übereinkunft zwischen dem taiwanischen Büro in Canberra und dem australischen Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft aus dem Jahr 2001, die sich der Zusammenarbeit in Landwirtschaft und Agrarindustrie widmet.
Unterdessen jedoch wurde die VR China zu einem immer wichtigeren Wirtschaftspartner für Australien. 1996 betrieb das Land erstmals mehr Handel mit der Volksrepublik als mit Taiwan, wobei im einen wie im anderen Fall das Volumen rund 5% von Australiens gesamtem internationalen Handel ausmachte. Japan hatte damals einen Anteil von 16%.8 Bis 2017 indes war der Handel mit Taiwan auf 3% des australischen Gesamthandels gesunken – während sich der Anteil Chinas auf 28% erhöht hatte. Die Volksrepublik war mittlerweile der mit Abstand größte Handelspartner Australiens. Zu dieser Entwicklung beigetragen hatten das 2014 zwischen Peking und Canberra geschlossene Abkommen über eine umfassende strategische Partnerschaft sowie das China-Australien-Freihandelsabkommen (ChAFTA) von 2015.
Während das Gewicht der VR China für die australische Wirtschaft in den späten 1990er und den 2000er Jahren wuchs, verloren die Beziehungen zu Taiwan für Australien an Bedeutung. In dem Maße, wie der Handel mit China die australische Außenpolitik zu dominieren begann, wurde Canberra sensibler für Pekings Haltung zum Status von Taiwan. Infolgedessen gerieten Fragen von Sicherheit, Verteidigung und Diplomatie im australisch-taiwanischen Verhältnis zuweilen in Widerspruch zu den nach wie vor positiven Handelsbeziehungen.
Diese Spannungen nahmen ab, als sich das Verhältnis zwischen Peking und Taipei am Ende der Amtszeit von Chinas Präsident Hu Jintao (2003–2013) und insbesondere unter der taiwanischen Regierung von Ma Ying-jeou (2008–2016) verbesserte. Der Handel wurde kurzzeitig wieder zum Motor der australisch-taiwanischen Beziehungen, wobei jede Seite versuchte, gemäß ihren jeweiligen Interessen neue Felder für den wirtschaftlichen Austausch zu erschließen.
Die australische Regierung zog Mitte der 2010er Jahre – nach dem erfolgreichen Abschluss des ChAFTA – ein Freihandelsabkommen mit Taiwan in Erwägung, was Taipei begrüßte. Auf taiwanischer Seite wurde mit Amtsantritt der Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei im Jahr 2016 ein neuer Ansatz eingeführt: die New Southbound Policy (NSBP oder NSP). Diese knüpfte an frühere Bestrebungen Taiwans an, vor allem an die »Go South«-Politik der Regierung Lee Teng-hui in den späten 1990er Jahren. Die NSBP zielte darauf ab, Handel und Investitionen zu diversifizieren und Taiwans diplomatische Präsenz in der Region zu verstärken. Sie richtete sich an Australien und Neuseeland sowie Süd- und Südostasien und diente als politischer Rahmen für eine Reihe bilateraler und multilateraler Arrangements zur Förderung von Handel, Investitionen und kulturellem Austausch. Die bilateralen und regionalen Beziehungen Taiwans wurden so gestärkt, ohne in Widerspruch zur jeweiligen Ein-China-Politik der Partnerstaaten zu geraten.
Diese politischen Initiativen griffen langjährige Sachfragen in den australisch-taiwanischen Beziehungen auf und erinnerten an die Entwicklungen der späten 1990er Jahre. Auf australischer Seite war der Impuls jedoch nur von kurzer Dauer. 2017 und 2018 teilte die Volksrepublik der Regierung in Canberra direkt mit, dass sie einem möglichen Freihandelsabkommen zwischen Australien und Taiwan ablehnend gegenüberstehe. Hintergrund waren die Vorbehalte Pekings gegenüber der neuen taiwanischen Regierung unter Präsidentin Tsai. Daraufhin wurde die Überlegung in Canberra fallengelassen.9
Anfang der 2020er Jahre ist das allgemeine Handelsprofil zwischen Australien, Taiwan und China weitgehend unverändert. Die Volksrepublik bleibt der größte Exportmarkt Australiens, während Taiwan ein zwar bedeutender, im Verhältnis aber doch weniger relevanter Wirtschaftspartner ist. Der Handel zwischen Australien und Taiwan hat ein jährliches Volumen von rund 12 Milliarden US-Dollar und weist seit langem eine konstante, durch Komplementarität geprägte Struktur auf. Die wichtigsten Exportsektoren für Australien sind Bergbau und Energie; zu den ausgeführten Gütern zählen Kohle, Eisenerz, Erdgas, Aluminium und Kupfer. Es gibt auch bedeutende Exporte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Milchprodukten nach Taiwan, wovon einzelne Regionen in Australien profitieren. Taiwan wiederum beliefert Australien mit Industriegütern wie insbesondere Erdölprodukten, Telekommunikationsgeräten, Fahrrädern und Computern.10
Beziehungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Ab Mitte der 1990er Jahre gewannen in den australisch-taiwanischen Beziehungen sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte an Gewicht. Die VR China sorgte für eine Krise, indem sie Raketen in die Gewässer um Taiwan abfeuerte – zunächst 1995, als der damalige Staatschef Lee gerade die USA besuchte, dann im Jahr darauf während des taiwanischen Präsidentschaftswahlkampfes. Als Reaktion bekräftigte Australien sein Bündnis mit den USA und leistete politische, allerdings keine militärische Unterstützung für amerikanische Marineaktionen in Taiwans Umgebung.11 Zugleich ließen die Spannungen in der Meerenge von Taiwan die australische Regierung zunehmend erkennen, dass ein gutes Verhältnis mit Taipei auf Kosten der Beziehungen zur Volksrepublik gehen könnte, die hartnäckig an ihrem Ein-China-Prinzip festhielt.
In den 2000er Jahren bemühten sich Canberra und Peking darum, die Parameter ihrer Beziehungen auszuweiten. Der Fokus sollte nicht mehr allein auf Handel und Investitionen liegen, sondern ebenso auf umfassenderen Sicherheitsfragen. In diesem Sinne unterstützte Australien die Volksrepublik nun auch im internationalen System. 2003 hielt der chinesische Präsident Hu Jintao eine Rede vor dem Parlament in Canberra – einen Tag nachdem US-Präsident George W. Bush dort aufgetreten war. 2014 unterzeichneten Australien und China während eines Staatsbesuchs von Präsident Xi Jinping das bereits erwähnte Abkommen über eine umfassende strategische Partnerschaft.
Mit den Veränderungen in den australisch-chinesischen Beziehungen und der wachsenden Entschlossenheit Pekings, seine politischen Ziele auf internationaler Ebene robust durchzusetzen, wandelte sich auch das australisch-taiwanische Verhältnis. Die Periode ging zu Ende, in der man sich auf die Förderung von Handel und Investitionen konzentriert hatte. Stattdessen entstand ein komplexes Gefüge von Handels-, Verteidigungs- und Sicherheitsbelangen, das durch Australiens Beziehungen zu China, den USA und anderen Ländern der Region geprägt ist.
Canberra sorgte sich angesichts der »Scheckbuchdiplomatie« Taiwans um die regionale Stabilität im Südpazifik.
Schlaglichtartig wurde die neue Konstellation deutlich, als 2004 der damalige australische Außenminister Alexander Downer erklärte, dass der ANZUS-Verteidigungspakt nicht zwangsläufig zum Tragen käme, sollte sich in der Straße von Taiwan ein militärischer Zusammenstoß ereignen, der China und die USA in einen umfassenderen Konflikt verwickeln würde. Auch wenn weiterhin darüber debattiert wird, welche australischen Verpflichtungen sich im Falle eines amerikanisch-chinesischen Konflikts aus dem ANZUS-Abkommen ergäben – Downers Stellungnahme ließ erkennen, wie kompliziert und widersprüchlich die australische Außenpolitik geworden war. In Frage stand (und steht) dabei sowohl der Platz des Landes im US-Bündnissystem als auch seine wirtschaftspolitische Ausrichtung auf Nordostasien.12 Die Beziehungen zu Taiwan erschienen nun im Lichte dessen, was in Australien als »China choice« bekannt wurde – also die mögliche Entscheidung, das Verhältnis zu Peking über jenes zu Washington zu stellen.13
Die Diskussion von 2004 über die australischen Verteidigungspflichten im Rahmen von ANZUS legte sich alsbald, zumal sich Canberra damals für das US-Engagement in Afghanistan und im Irak einsetzte. Doch war klar geworden, dass spezifische außenpolitische Ziele Australiens und Taiwans in Spannung zueinander standen.
Politische Beziehungen im Kontext regionaler Interessen
Konkurrierende Interessen im regionalen wie multilateralen Kontext erschweren die politischen und sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Canberra und Taipei. In den späten 1990er und den 2000er Jahren geriet das bilaterale Verhältnis in Turbulenzen, da beide Seiten unterschiedliche Ziele im Pazifik verfolgten. Canberra suchte die Entwicklung und eine stabile Regierungsführung in der Region zu fördern, während Taipei vor allem die Zahl seiner diplomatischen Verbündeten bewahren oder sogar vergrößern wollte.
Taiwan hat noch eine kleine Anzahl diplomatischer Partner in der Welt. Dabei ist die formelle Anerkennung ein grundlegender Maßstab für Taiwans staatliche Identität und seinen internationalen Manövrierraum. Auch der Grad an Spannungen zwischen Taipei und Peking hat mit diesem Faktor zu tun. Die Volksrepublik bemühte sich zu verschiedenen Zeiten aktiv darum, Taiwans diplomatische Verbündete zum Seitenwechsel zu bewegen, während Taipei versuchte, die Zahl der Staaten, von denen es anerkannt wird, zu halten.
In den späten 1990er und den 2000er Jahren wechselten verschiedene pazifische Regierungen von der Anerkennung Chinas zu Taiwan oder umgekehrt. Sowohl Peking als auch Taipei nutzten Entwicklungshilfe und Investitionen als Anreiz und zielten darauf, die Innenpolitik der pazifischen Länder im eigenen Sinne zu beeinflussen. Australien bekannte sich zum Grundsatz der Nichteinmischung in Entscheidungen der pazifischen Regierungen. Doch neigte es in dieser Zeit dazu, Taipeis Streben nach Anerkennung, insbesondere durch sogenannte Scheckbuchdiplomatie, als destabilisierend für die regionalen Staaten zu betrachten. Diese Sichtweise wurde noch verstärkt, als Australiens wirtschaftlicher Austausch mit China wuchs und sich die Beziehungen zwischen Canberra und Peking zudem auf das Feld regionaler Sicherheit ausdehnten. Da es an einer regionalen Sicherheitsarchitektur oder formellen diplomatischen Kontakten zwischen Australien und Taiwan fehlte, waren beide Seiten nur eingeschränkt in der Lage, mit dieser Problematik umzugehen.
Ein wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang war Papua-Neuguinea. 1999 entschied sich das Land unter Premierminister Bill Skate, im Gegenzug für zinsgünstige Kredite die ROC/Taiwan anzuerkennen. Doch schon eine Woche später trat Skate zurück, und sein Nachfolger Mekere Morauta machte den Beschluss rückgängig. Für Australien ist Papua-Neuguinea der engste Nachbar, dem es sich historisch in vielfältiger Weise verbunden sieht, und ein wichtiges Zielland von Entwicklungshilfe. Vor diesem Hintergrund war Canberra besorgt, das Land könnte politisch destabilisiert werden. 2006 unternahm Taipei einen weiteren Versuch, formelle Beziehungen mit Papua-Neuguinea zu etablieren, diesmal mit dem Angebot von 30 Millionen US-Dollar. Dies löste einen Skandal in Taiwan aus, dem mehrere hochrangige Minister zum Opfer fielen und der auch in Korruptionsvorwürfe gegen den damaligen Präsidenten Chen Shui-bian hineinspielte. Seitdem hat Papua-Neuguinea zwar die Beteiligung Taiwans an internationalen Organisationen umfassend unterstützt, die formellen Beziehungen zu Peking jedoch beibehalten und ausgebaut.14
Im Jahr 2004 war es der südpazifische Inselstaat Vanuatu, der Taiwan anerkannte. Die Regierung unter Premierminister Serge Vohor versuchte, Peking, Taipei und Canberra gegeneinander auszuspielen, um Entwicklungshilfe und Investitionen zu erlangen. Peking reagierte mit Hilfszusagen, und eine diplomatische Delegation aus Canberra reiste in Vanuatus Hauptstadt Port Vila, um die Politiker dort zur Rücknahme der Entscheidung zu bewegen. Das Parlament des Landes sprach Vohor das Misstrauen aus, er trat als Premierminister zurück, und Vanuatu erkannte wieder offiziell die VR China an.15
Besonders schwierig waren die Beziehungen zu den Salomonen, auf denen sich in den 2000er Jahren ein bewaffneter Konflikt geringer Intensität abspielte. Der Inselstaat hatte bereits 1983 Taiwan anerkannt, nachdem er Ende der vorangegangenen Dekade vom britischen Protektorat unabhängig geworden war. Wegen der politischen Unruhen um die Jahrtausendwende fiel es der Regierung der Salomonen schwer, internationale Hilfe und Investitionen anzuziehen. Sie versuchte, Taipei mit der Drohung, stattdessen Peking anzuerkennen, Vorzugsdarlehen zu entlocken, was Taipei in die wachsenden Sicherheitsprobleme des Pazifikstaates hineinzog. 2003 intervenierte Australien militärisch, um die Salomonen zu stabilisieren. Dadurch wurde Canberra jedoch direkt konfrontiert mit der missbräuchlichen Verwendung der von Taipei gewährten Entwicklungshilfe. Die Situation spitzte sich zu, als 2006 nationale Wahlen auf der Inselgruppe stattfanden. Verschiedene Kandidaten beschuldigten wahlweise Taipei oder Peking, sich in die Abstimmung einzumischen, damit die Salomonen ihre Beziehungen zu Taipei aufrechterhalten bzw. zu Peking wechseln würden. Der politische Aufruhr führte nach den Wahlen zu massiven Ausschreitungen, auch in der Hauptstadt Honiara, und zum Rücktritt von Premierminister Snyder Rini.16
Das pazifische Problempotential in den australisch-taiwanischen Beziehungen schwächte sich in den Jahren von 2008 bis 2016 ab, als Taiwan von Präsident Ma Ying-jeou regiert wurde. In dieser Zeit implementierten Taipei und Peking einen sogenannten diplomatischen Waffenstillstand. Beide Seiten hatten stillschweigend vereinbart, sich gegenseitig keine diplomatischen Verbündeten abzuwerben. In der Praxis bedeutete dies, dass Peking keine weiteren Versuche mehr unternahm, Länder in ihrer Anerkennung Taiwans umzustimmen – und umgekehrt.
Allerdings verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Peking und Taipei erneut, nachdem 2016 Tsai Ing-wen die taiwanische Präsidentschaft übernommen hatte. Zeitlich fiel dies in eine Phase, als sich auch das australisch-chinesische Verhältnis eintrübte. In den späten 2010er Jahren setzte sich Australien zunehmend dagegen zur Wehr, dass Peking sich in die Innenpolitik des Landes einzumischen suchte. Zu diesem Zweck traf Canberra eine Reihe politischer Entscheidungen; so wurde etwa das chinesische Unternehmen Huawei von Ausschreibungen für die australische Telekommunikationsinfrastruktur ausgeschlossen. Peking reagierte darauf mit Strafmaßnahmen gegen Australien. Dazu gehörten verschiedene Handelssanktionen auf Agrarprodukte, Meeresfrüchte und Wein. Diese Schritte waren für Australien politisch heikel, während sie nur begrenzte Auswirkungen auf China hatten.17
Die Wahl Tsai Ing-wens bedeutete auch das Ende des diplomatischen Waffenstillstands, und in der Folge verlor Taiwan die Anerkennung von fünf weiteren Staaten. Drei davon zählten zu Lateinamerika – Panama, El Salvador und die Dominikanische Republik. Im pazifischen Raum wechselten 2019 die Salomonen und der Inselstaat Kiribati zur Volksrepublik. Die Periode der Scheckbuchdiplomatie war zwar vorüber, aber Australien wurde nun im Rahmen des »Pacific Step-up« aktiv, mit dem es verstärktes Engagement in der Region signalisierte. Besorgt über die wachsende Präsenz Chinas, sprach sich Canberra gegen den Schwenk in der Anerkennungspolitik der Salomonen aus.18
Vor diesem Hintergrund hat sich das australische Nullsummen-Kalkül in Bezug auf die Beziehungen zu China und Taiwan abgeschwächt. Angesichts der Aktivitäten der chinesischen Luftwaffe in der Straße von Taiwan wurde Canberra bewusst, dass Pekings Verhalten gegenüber Taipei die Lage in der Meerenge destabilisiert und die regionale Sicherheit insgesamt bedroht. Diese Entwicklungen fielen in eine Zeit, in der sich das Verhältnis zwischen Australien und der Volksrepublik verschlechterte und die Beziehungen der USA zu Taiwan wie auch zu Australien eine Stärkung erfuhren.
Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
Im Rahmen der Ein-China-Politik hat Australien seine Beziehungen zu Taiwan auf den Feldern Kultur, Bildung und gesellschaftlicher Austausch entwickelt und ausgebaut. In Australien gibt es eine Gemeinschaft von in Taiwan geborenen Taiwanern und Taiwan-Australiern der zweiten und dritten Generation, die vor allem in Brisbane leben und sich landesweit auf mehrere Zehntausend Menschen belaufen.19 Außerdem kamen 2019, also vor der Corona-Pandemie, fast 200.000 Taiwanerinnen und Taiwaner mit Visa für Kurzaufenthalte nach Australien.20 2019 waren überdies mehr als 18.000 taiwanische Studenten an australischen Hochschulen eingeschrieben.21 Auch profitierten die gesellschaftlichen Beziehungen davon, dass beide Seiten den kreativen Austausch in Bereichen wie den bildenden und darstellenden Künsten unterstützten. Die gesellschaftlichen und kulturellen Kontakte werden jedoch weiterhin auf die Probe gestellt. Im Jahr 2020 erhielt ein staatliches Museum im westaustralischen Perth eine Beschwerde vom Konsulat der Volksrepublik, weil es eine Karte von China ausstellte, auf der Taiwan nicht verzeichnet war – und ähnliche Vorfälle sind häufig.22
Wachsende Angleichung
Die Parameter der bilateralen und multilateralen Beziehungen von Australien, Taiwan und der VR China sind weitgehend gesetzt. Die australische Ein-China-Politik bleibt in Kraft, was bedeutet, dass Taiwan von Canberra diplomatisch nicht anerkannt wird. Während für Australien die Volksrepublik den größten Handelspartner darstellt, ist der Warenaustausch mit Taiwan zwar bedeutend, aber weniger wichtig.
In einer Zeit wachsender sino-amerikanischer Rivalität sowie diplomatischer Spannungen zwischen China und Australien haben diese Parameter jedoch Anpassungen erfahren. Aspekte der regionalen Sicherheit und Australiens Verhältnis zu China, den USA und den pazifischen Inselstaaten erschweren es, handelsdominierte Beziehungen zu führen. Zur selben Zeit gleichen sich die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Parameter zwischen Australien und Taiwan zunehmend an. Handel und Investitionen entwickeln sich zu einem Faktor für Australien, um Taiwans De-facto-Souveränität und sein Ringen um internationalen Raum zu unterstützen. Canberra sieht darin eine notwendige Bedingung für Sicherheit und Stabilität der indopazifischen Region.
Signale dieser Annäherung sind, dass Australien ein neues diplomatisches Vokabular verwendet und eine hochrangigere Handelsförderung betreibt. In einer Reihe markanter bilateraler und multilateraler Stellungnahmen hat Canberra die Sicherheit Taiwans zum Bestandteil der regionalen Ordnung erklärt. Zur neuen Diktion gehören Wendungen wie »freier und offener Indopazifik« sowie »die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan«. Australien hat wiederholt gefordert, Taiwan an internationalen Organisationen zu beteiligen, gerade auch mit Blick auf die Weltgesundheitsversammlung während der Covid-19-Pandemie.23
Gleichzeitig haben Australien und Taiwan Handel und Investitionen vorangetrieben, nicht nur in traditionellen Wirtschaftssektoren wie Bergbau und Energie, sondern auch auf den neuen Feldern Wasserstoff, Raumfahrt sowie Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dazu gehören Initiativen wie der Handels- und Investitionsdialog zu Wasserstoff zwischen dem Australian Office – der australischen Quasi-Botschaft in Taipei – und dem taiwanischen Wirtschaftsministerium. Das Format fördert Handel und Investitionen zugunsten einer postkarbonischen Energiewende sowie Maßnahmen gegen den Klimawandel und ermöglicht dabei auch direkte Kontakte zwischen den Regierungen.24
Diese Aktivitäten erinnern an die bilaterale Handels- und Investitionsförderung, wie sie während der 1990er Jahre im Rahmen der APEC erfolgte. Australien versuchte damals, exportorientierte Handelsbeziehungen mit den asiatischen »Tigerstaaten« aufzubauen, während Taiwan sich bemühte, seine internationale Isolation durch regionale Handelsvereinbarungen zu überwinden. Im Vergleich dazu herrscht heute allerdings ein stärkerer Gleichklang zwischen den Ansätzen der beiden Länder. Die bilateralen Beziehungen umfassen ministerielle Begegnungen sowie Handel und Investitionen in neuen Wirtschaftssektoren, wodurch sowohl der ökonomische Austausch gefördert als auch Taiwans prekärer Status verbessert werden soll.
Diese modifizierten Parameter der australisch-taiwanischen Beziehungen werden sich in neuen regionalen Handelsarchitekturen bewähren müssen. Australien hat 2020 die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) unterzeichnet, die den Handels- und Wirtschaftsverkehr zwischen ASEAN-Mitgliedern und Ländern, mit denen ASEAN Freihandelsabkommen geschlossen hat, liberalisiert. Taiwan ist jedoch kein Mitglied von RCEP. Ein weiteres bedeutendes Abkommen ist das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP), das 2018 nach dem Rückzug der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) unterzeichnet wurde. Mitglieder des CPTPP sind elf Volkswirtschaften im östlichen und westlichen Pazifik, allerdings nicht die VR China und die Vereinigten Staaten. Sowohl Peking als auch Taipei haben Anträge auf Beitritt gestellt. Für die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Australien und Taiwan sind diese Veränderungen in der handelspolitischen Architektur der Region ein wichtiger Testfall.
Die australisch-taiwanischen Beziehungen können bislang nicht als normal bezeichnet werden. Eine förmliche Normalisierung scheint nur möglich, wenn die regionale Ordnung erodiert oder ganz zusammenbricht, etwa im Fall einer militärischen Krise in der Straße von Taiwan. Im Zeitalter des strategischen Wettbewerbs aber konvergieren zwischen Canberra und Taipei immer stärker die jeweiligen Interessen und Herangehensweisen bei internationalen Fragen, während Chinas Beziehungen zu Australien und anderen Ländern der Region schwieriger geworden sind. Wie in früheren Perioden können unvorhergesehene Ereignisse den gegenwärtigen Zustand zwar erschüttern, aber die grundlegenden Parameter des Handels und der regionalen Sicherheit werden die Beziehungen zwischen Australien und Taiwan auch in absehbarer Zukunft bestimmen.
Im Schatten Chinas: die indisch-taiwanischen Beziehungen
Christian Wagner*
Indien und Taiwan haben ihre wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit seit den 1990er Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Ausgangspunkt war die wirtschaftliche Liberalisierung Indiens 1991. Seitdem setzt die Regierung in Neu-Delhi auf ausländische Investitionen und strebt eine größere Integration in die Weltwirtschaft an. In diesem Kontext wurde auch Taiwan zu einem immer wichtigeren Partner.
Die Beziehungen zwischen Indien und Taiwan werden aber vor allem von ihrem jeweiligen Verhältnis zur Volksrepublik China geprägt. 2019 brachte die Europäische Union ihre ambivalenten Beziehungen zu China auf die Formel »Partner, Konkurrent und systemischer Rivale«. Diese trifft auch auf die Indische Union zu, denn in dem so skizzierten Spannungsfeld befindet sie sich seit Gründung der Volksrepublik 1949. Der ungeklärte Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten führte 1962 zu einem kurzen Krieg und belastet bis heute das bilaterale Verhältnis. Seit Ende der 1980er Jahre war eine politische und wirtschaftliche Annäherung zu verzeichnen. China ist seitdem zum größten bilateralen Handelspartner Indiens geworden, und die beiden Staaten arbeiten in Global-Governance-Foren zusammen.
Doch die Zusammenstöße in der Region Ladakh/ Aksai Chin im Sommer 2020, bei der 20 indische und eine unbekannte Zahl chinesischer Soldaten getötet wurden, erschütterten die Grundlagen für die Annäherung der letzten 30 Jahre. Die Spannungen an der Grenzlinie könnten eine Zäsur in den bilateralen Beziehungen bilden, denn China sieht sein Verhältnis zu Indien zunehmend im Kontext seiner Rivalität mit den USA, zu deren Lager Indien gezählt wird. Neu-Delhi hingegen betrachtet die Grenzfrage offiziell weiter als bilaterales Problem und nicht als Teil der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Peking und Washington.
Neu-Delhi dürfte an seiner Ein-China-Politik festhalten, um Peking nicht zu provozieren.
Die Verschlechterung des Verhältnisses zu China hat in Indien eine Debatte über mögliche Gegenstrategien ausgelöst, die auch um die Themen Tibet und Taiwan kreist. Angesichts des Machtungleichgewichts gegenüber China dürfte die Regierung in Neu-Delhi wenig geneigt sein, ihr Verhältnis zu Taiwan substantiell zu ändern. Zwar ist ein weiterer Ausbau der Beziehungen mit Taiwan in Bereichen wie Wirtschaft und Wissenschaft denkbar, doch dürfte Neu-Delhi trotz der Spannungen mit Peking an seiner Ein-China-Politik festhalten.
Die politischen Beziehungen
Die ersten politischen Kontakte zwischen China und Indien datieren aus dem Jahr 1942, als General Chiang Kai-shek als erster nichteuropäischer Politiker Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru besuchte, die Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, aus der die spätere Regierungspartei Indian National Congress (INC) hervorging.1 Nach der Unabhängigkeit 1947 konzentrierte sich die indische Regierung allerdings auf die Beziehungen zur Volksrepublik China. Premierminister Nehru beabsichtigte, Asiens Belangen mehr Geltung in der Weltpolitik zu verschaffen, und sah hierfür in China einen unverzichtbaren Partner. Indien war 1950 das erste nichtkommunistische Land, das seine diplomatischen Beziehungen mit der Republik China, also Taiwan, abbrach.2
Mitte der 1950er Jahre näherten sich Indien und China weiter an und unterzeichneten 1954 ein Abkommen über Tibet. Indien erhob fortan keine Ansprüche mehr auf Tibet und verständigte sich mit China auf die fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz (Panchsheel). Um die internationale Isolation des Landes zu beenden, setzte Nehru sich für eine Teilnahme Chinas an der Bandung-Konferenz 1955 ein, einer Zusammenkunft von 29 asiatischen und afrikanischen Ländern. Als Höhepunkt dieser Annäherung gilt der Slogan »Hindi Chini Bhai Bhai« (Inder und Chinesen sind Brüder), der die große Verbundenheit zwischen den beiden Staaten symbolisieren sollte. Ende der 1950er Jahre überschattete die ungelöste Grenzfrage jedoch die bilaterale Annäherung und mündete 1962 in einen kurzen Grenzkrieg. Indiens militärische Niederlage zerstörte Nehrus Hoffnung auf engere Zusammenarbeit.
Nehru verfolgte eine Außenpolitik jenseits des Ost-West-Konflikts und gehörte zu den maßgeblichen Architekten der 1962 gegründeten Bewegung der Blockfreien Staaten. Dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu China nach dem Krieg 1962 folgte indes keine Hinwendung zu Taiwan, da Indien wegen seiner auf Blockfreiheit ausgerichteten Außenpolitik die intensive Zusammenarbeit des Inselstaates mit den USA kritisch betrachtete. Die indische Regierung von Indira Gandhi unterstützte 1971 die Aufnahme Chinas zulasten Taiwans in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.3
Trotz seiner territorialen Konflikte mit China befürwortet Indien eine Ein-China-Politik. Die Gebietskonflikte zwischen den beiden Staaten verlaufen im Nordosten und im Nordwesten entlang der bis heute ungeklärten Grenzlinie. Im Nordosten beansprucht Peking den indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh als chinesisches Territorium. Im Nordwesten, in der zu Kaschmir zählenden Region Ladakh/Aksai Chin, sieht China nach den gewaltsamen Zwischenfällen vom Sommer 2020 wieder die bereits 1959 gezogene Grenzlinie als verbindlich an, die Indien aber nie anerkannt hat.4 Angesichts der Verschärfung des Grenzkonflikts mit China dürften Debatten über eine mögliche chinesische Ein-Indien-Politik,5 die Indiens territoriale Ansprüche akzeptiert hätte, gegenstandslos geworden sein.
Mit seinen Reformen von 1991 leitete Indien eine wirtschafts- und außenpolitische Wende ein. Die neue Wirtschaftspolitik öffnete den einheimischen Markt für ausländische Investitionen und förderte die Exportproduktion, um damit eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft zu erreichen. Außenpolitisch bewirkte in dieser Zeit die Look-East-Politik, dass Indien sich den Schwellenländern in Ost- und Südostasien zuwandte. Aufgrund der wirtschaftlichen Erfolge Taiwans wurde das Land in der Folge auch für Indien zu einem interessanten Partner.
Anfang der 1990er Jahre reiste erstmals eine indische Delegation nach Taiwan. 1995 wurden die India Taipei Association (ITA) in Taipei und das Taipei Economic and Cultural Center (TECC) in Neu-Delhi gegründet.6 Anfangs arbeiteten bei der indischen Vertretung in Taipei nur pensionierte Beamte. Seit 2003 entsandte das indische Außenministerium auch aktive Beamte dorthin.7 Obwohl ohne offiziellen diplomatischen Status, vergibt die ITA in Taiwan zudem indische Visa und Pässe und agiert damit wie eine Botschaft.8 2010 verständigten sich die beiden Staaten auf eine vereinfachte Visavergabe. Seither genehmigt Taiwan unter bestimmten Voraussetzungen die visafreie Einreise indischer Staatsbürger.9 Immer wieder wird gefordert, die Visaerteilung für Studien- und Arbeitsaufenthalte noch mehr zu erleichtern, um die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit auszuweiten.10
Die indisch-taiwanischen Beziehungen hängen stark von innenpolitischen Konstellationen ab.
Stets hingen die bilateralen Beziehungen von den jeweiligen innenpolitischen Konstellationen ab. Die Regierung der Democratic Progressive Party (DPP), die von 2000 bis 2008 in Taiwan im Amt war, begrüßte es, dass Indien ein Gegengewicht zu China bildete, und strebte einen Ausbau der Beziehungen zwischen Taipei und Neu-Delhi an.11 In Indien hatte die Regierung der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) 1998 zum ersten Mal seit 1974 Atomwaffen testen lassen, und Verteidigungsminister Fernandes hatte China zum »Feind Nummer eins« erklärt. Doch nach den Wahlsiegen der Kongresspartei 2004 in Indien und der KMT 2008 in Taiwan rückte das gemeinsame sicherheitspolitische Interesse, sich gegen China zu behaupten, in den Hintergrund. So lehnte die indische Regierung unter anderem Taipeis Vorschlag ab, den ehemaligen stellvertretenden Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates in Taiwan als Repräsentanten nach Indien zu entsenden, da er eine indisch-taiwanische Allianz gegen China befürwortet hatte.12
Als die BJP seit 2014 und die DPP seit 2016 erneut die Regierungen in ihren Ländern stellten, betonten sie die Bedrohung durch China wieder stärker und intensivierten das bilaterale Verhältnis.13 Mit ihrer 2016 verabschiedeten »New Southbound Policy« (NSP) wollte Taiwans DPP-Regierung die Beziehungen zu den Staaten in Süd- und Südostasien erweitern und dabei Australien und Neuseeland einschließen, wobei ein Schwerpunkt auch auf Indien als Handels- und Investitionspartner lag.14 Zuvor hatte die indische Regierung 2014 ihre Act-East-Politik eingeleitet und dabei die Bedeutung Ostasiens für Indiens wirtschaftliche Entwicklung unterstrichen. Im Jahr 2016 verstärkten sich auch die politischen Kontakte. So wurde im April in Taipei die Taiwan-India Parliamentary Friendship Association gegründet, und im Dezember riefen 22 indische Parlamentarier das India-Taiwan Parliamentary Friendship Forum ins Leben.15
Die Spannungen zwischen China und Taiwan wirkten sich auch auf die Beziehungen zu Indien aus. So beanstandete Peking 2017 den Besuch einer Delegation von Parlamentarierinnen aus Taiwan in Neu-Delhi und bat die indische Regierung darum, vorsichtiger in ihrer Taiwan-Politik zu sein. Auf Druck der chinesischen Regierung mussten Fluggesellschaften, darunter auch Air India, die Bezeichnung »Taiwan« in »Chinese Taipei« ändern.16
Auch wenn die indische Act-East-Strategie und die taiwanische NSP einander ergänzen,17 sollte nicht übersehen werden, dass die Annäherung zwischen Neu-Delhi und Taipei in einer Zeit erfolgte, in der auch die indisch-chinesischen Beziehungen einen beispiellosen Aufschwung erlebten. Zwischen 1990 und 2020 vereinbarten Indien und China fünf Abkommen, um die Lage entlang der umstrittenen Grenzlinie zu stabilisieren. Sie arbeiteten zudem in der BRICS-Gruppe zusammen und verfolgten in Global-Governance-Foren oft gemeinsame Interessen. China wurde zum größten bilateralen Handelspartner Indiens. Außerdem investierten beide Seiten politisch in den Ausbau ihrer Beziehungen. Neben ihren offiziellen Begegnungen kamen Premierminister Modi und der chinesische Präsident Xi 2017 und 2019 auch zu zwei informellen Gipfeltreffen zusammen, um die bilateralen Beziehungen ihrer Staaten zu verbessern.
Sicherheitspolitik
Aufgrund der eigenen sicherheitspolitischen Probleme mit China, die sich seit den Grenzzwischenfällen von 2020 weiter verschärft haben, ist Indien äußerst zurückhaltend im Hinblick auf jegliche Form sicherheitspolitischer Zusammenarbeit mit Taiwan. Daher sind auch die Kontakte zwischen den Sicherheitskräften eher dünn gesät. So besuchte der Chef der indischen Luftwaffe 2002 Taiwan, was aber erst durch Medienberichte aufgedeckt wurde.18 Im Jahr 2003 organisierten das Institute for Defence Studies and Analysis (IDSA), das dem indischen Verteidigungsministerium zugeordnet ist, und das Institute of International Relations (IIR) der Chengchi-Nationaluniversität in Taiwan eine Konferenz zum Thema Außenpolitik. 2006 gründete die DPP-Regierung den Taiwan-India Cooperation Council, der als strategische Allianz gegen China gewertet wurde. Zusätzlich wurden Mitglieder des taiwanischen Verteidigungsministeriums in das TECC nach Indien entsandt.19 Vertreter der Rechtsabteilung des indischen Außenministeriums nahmen 2008 und 2009 an bilateralen Verhandlungen mit Taiwan zu den Themen internationaler Terrorismus, transnationales organisiertes Verbrechen und Drogenhandel teil.20 In den letzten Jahren hat eine Reihe regierungsnaher Think-Tanks in Indien, wie Observer Research Foundation (ORF), National Maritime Foundation und Vivekananda International Foundation (VIF), Vereinbarungen mit Partnereinrichtungen in Taiwan geschlossen und gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt.
Die Berichte des indischen Verteidigungsministeriums weisen in der Zeit von 2014 bis 2019 nur einen Fall auf, in dem militärische Ausrüstungsgegenstände nach Taiwan exportiert wurden.21 Angesichts zunehmender Cyberangriffe in Indien und Taiwan, die China zugerechnet werden, befürworten indische Experten auch in diesem Bereich eine engere Zusammenarbeit zwischen Taipei und Neu-Delhi.22
Wirtschaft
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit stand von Beginn an im Zentrum der indisch-taiwanischen Beziehungen. Indiens Reformen nach 1991 öffneten den einheimischen Markt für ausländische Firmen, und die technologischen Erfolge taiwanischer Unternehmen rückten das Land auch in den Mittelpunkt der indischen Look-East/Act-East-Politik. Der bilaterale Handel wuchs zwischen 2000 und 2020 auf mehr als das Fünffache, nämlich von etwas über einer Milliarde auf rund 5,7 Milliarden US-Dollar.23
Im Jahr 2002 verständigten sich Taipei und Neu-Delhi auf ein Bilateral Investment Promotion and Protection Agreement (BIPA).24 Ein Jahr später begann das taiwanische Wirtschaftsministerium das Scheme for Strengthening Economic and Trade Relations with India, in dessen Rahmen taiwanische Handelsdelegationen nach Indien reisten.25 Weiterhin unterzeichneten Indien und Taiwan 2011 gemeinsame Vereinbarungen über Steuern und Zölle, und zwar das Double Tax Avoidance Agreement (DTAA) und das Agreement for Mutual Assistance in Customs Matters (CMAA).26 Zwei Jahre danach veröffentlichten ein taiwanischer und ein indischer Think-Tank eine Studie über ein mögliches Freihandelsabkommen zwischen den beiden Staaten. Die Verhandlungen hierzu sind aber nicht weiter fortgeschritten,27 unter anderem weil die indische Regierung von Premierminister Modi solchen Vereinbarungen kritisch gegenübersteht. So schloss Indien bis Ende 2020 kein neues Freihandelsabkommen und zog sich im November 2019 in letzter Minute aus der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zurück. Immerhin einigten sich Neu-Delhi und Taipei 2018 auf ein bilaterales Investitionsabkommen.28 Allerdings ist dies eine eher schwache Vereinbarung, da sie unter anderem keine Meistbegünstigungsklausel enthält. Zudem fehlen Garantien, die in anderen Verträgen oftmals zugesichert werden, zum Beispiel das Gebot gerechter und billiger Behandlung.29
Für Indien ist Taiwan als Handelspartner attraktiv, da es vor allem in Hochtechnologie investiert.
Taiwan ist für Indien als Handelspartner von besonderem Interesse, da es vor allem in Bereichen der Hochtechnologie investiert wie Nanotechnologie, Halbleiter, Luft- und Raumfahrt, Satellitenentwicklung, Biotechnologie und Landwirtschaft.30 Taiwanische Technologiekonzerne wie Foxconn und Wistron betreiben in Indien eigene Werke für die Handyproduktion auf dem wachsenden indischen Markt. 2020 vereinbarte Foxconn mit Neu-Delhi Investitionen in Höhe von rund fünf Milliarden US-Dollar in Indien und avancierte damit zum größten Elektronikproduzenten des Landes.31
Indien und Taiwan haben ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit auch auf klein- und mittelständische Firmen ausgeweitet. Zudem haben indische Bundesstaaten wie Karnataka, in dem die Hightech-Metropole Bangalore liegt, Abkommen mit taiwanischen Firmen zur Ansiedlung von Elektronikfirmen geschlossen.32 Bis Ende 2016 verfügten 90 taiwanische Firmen über Büros in Indien.33 2017 rief der Taiwan External Trade Development Council (TAITRA) ein India Center in Taiwan ins Leben. Im Jahr darauf wurde in Neu-Delhi ein TAITRA-Büro eröffnet, das auch als Taipei World Trade Center bekannt ist, und in Taipei wurde ein India-Taiwan Trade Forum abgehalten. Diese Maßnahmen sollten taiwanische Investoren auf ihre Möglichkeiten in Indien aufmerksam machen.34
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten haben sich seit Anfang der 1990er Jahre zwar ausgeweitet. Allerdings ist Indien kein bevorzugter Produktionsstandort für taiwanische Firmen. Zum einen klagen viele ausländische Unternehmen nach wie vor über Probleme in der Infrastruktur. Zum anderen sind die Folgen der neuen Wirtschaftspolitik der Eigenständigkeit, die Premierminister Modi im Mai 2020 verkündete, noch nicht abzuschätzen. Die indische Regierung will damit unter anderem den Anteil an lokaler Produktion erhöhen, um auf diese Weise die indische Wirtschaft mittelfristig zu stärken.
Kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen
Die kulturelle Zusammenarbeit hat sich zu einem weiteren Pfeiler in den bilateralen Beziehungen entwickelt. 2007 unterzeichneten Indien und Taiwan eine erste Vereinbarung über den Ausbau der Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Kultur. Im Jahr 2010 verständigten sich die beiden Staaten darauf, Universitätsabschlüsse gegenseitig anzuerkennen.35 Ein Jahr später eröffnete Indiens erstes Taiwan Education Center (TEC) in Neu-Delhi.36 Die TECs bieten Sprachkurse für Mandarin sowie Veranstaltungen über chinesische Kultur und Geschichte an. Taiwanische Lehrkräfte werden dabei vom Bildungsministerium in Taipei finanziell unterstützt.37 Die verschiedenen Initiativen haben dafür gesorgt, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit sich ausdehnte. Hatte es 2013 erst 30 bilaterale Wissenschaftsprojekte gegeben, stieg ihre Zahl bis 2019 auf 86.38
Vor allem der Sprachunterricht erweist sich für Indien als Vorteil, sind doch immer wieder Klagen darüber zu vernehmen, dass es dort vergleichsweise wenige China-Experten mit chinesischen Sprachkenntnissen gibt. Nach den Spannungen zwischen Indien und China im Jahr 2020 dürfte die Zahl der taiwanischen Lehrkräfte in Indien eher steigen. 2018 waren 2.398 indische Studierende an Taiwans Hochschulen immatrikuliert.39 Die taiwanische Regierung zeigte sich auch bereit, die Zahl der Stipendien für indische Studierende deutlich zu erhöhen. 2020 hatte sie bereits 1.143 solcher Stipendien vergeben.40
Der kulturelle Austausch durch Besuchsprogramme, Film- und Tanzfestivals sowie Ausstellungen wird von beiden Staaten unterstützt, bewegt sich aber auf niedrigem Niveau. Auch der Tourismus ließe sich noch deutlich steigern. So reisten 2019 nur ungefähr 35.000 indische Touristen nach Taiwan.41
Ausblick
Dem Verhältnis zwischen Indien und Taiwan sind durch die Beziehungen beider Staaten zu China relativ enge Grenzen gesetzt. Das Verhältnis zur Volksrepublik China war, ist und bleibt der zentrale Orientierungspunkt für das Verständnis indischer Außenpolitik. Seit den Grenzzwischenfällen in Ladakh im Sommer 2020 haben sich die Beziehungen zu China deutlich verschlechtert. Dennoch wird Indien an seiner Ein-China-Politik festhalten, auch wenn es die Beziehungen zu Taiwan weiter ausbaut. Angesichts des Machtungleichgewichts zwischen Indien und China und der unsicheren Situation im Grenzgebiet dürften die Entscheidungsträger in Neu-Delhi wenig Interesse verspüren, die Schwierigkeiten mit China weiter eskalieren zu lassen. China verfügt nämlich über mehr Möglichkeiten für Vergeltungsaktionen auf unterschiedlichen Ebenen, sollte Indien die Annäherung an Taiwan aus chinesischer Perspektive zu weit treiben. Der Schatten Chinas wird damit auch weiterhin über der Zusammenarbeit zwischen Indien und Taiwan liegen.
Europäisch-taiwanische Beziehungen (EU, ausgewählte Mitgliedstaaten und Großbritannien)
Volker Stanzel
Hintergrund
Historisch hatten immer nur wenige Staaten Europas wirtschaftliche oder andere Interessen in Taiwan. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die Insel ins Blickfeld europäischer Nationen. Zum einen politisch, als Zufluchtsort der vor Maos Kommunisten geflohenen, aber von den USA weiter unterstützten Regierung Chiang Kai-sheks, einer Militärdiktatur. Zum andern ab den 1980er Jahren wirtschaftlich, als einer der vier »kleinen Tiger« (neben Südkorea, Hongkong und Singapur), die ihr eigenes Wirtschaftswunder erlebten. Darüber hinaus ermöglichte Taiwan während der dreißig Jahre nach 1949, in denen die junge Volksrepublik China (VRCh) sich dem Austausch mit dem Westen weitgehend verschloss, angehenden westeuropäischen China-Experten Ausbildung und Begegnung mit chinesischer Kultur. Bis 1971 nahm Taiwan als »Republik China« den Sitz Chinas als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (VN) ein. Dessen ungeachtet vermieden westeuropäische Regierungen weitgehend (und osteuropäische kommunistische ohnehin) trotz amerikanischen Drucks, die Insel diplomatisch anzuerkennen.1
Ihr Schicksal wurde einer größeren europäischen Öffentlichkeit erst seit Beginn der 2000er Jahre bewusst, das heißt, seitdem die Volksrepublik einen Machtzuwachs erfährt, der eine kriegerische Auseinandersetzung um Taiwan nicht ausgeschlossen erscheinen lässt. Diese Gefahr ist seit der russischen Invasion der Ukraine noch stärker ins Bewusstsein auch der Europäer gedrungen.2
Europa und Taiwan: Gesamtbild
Auch wenn Taiwan als exportaktiver »kleiner Tiger« seit Beginn seiner Wirtschaftsboom-Jahre vielfältig in die internationalen Handelsketten eingebunden ist, hat es erst in den letzten beiden Jahrzehnten ein eigenes Profil entwickelt, das stark durch die Orientierung auf Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) geprägt ist. Das schlägt sich in den Handels- und Investitionsstatistiken nieder. Unter Taiwans Wirtschaftspartnern stehen die USA, Japan und die Volksrepublik weit oben, danach folgen europäische Staaten.
Die Staaten Europas und Taiwan teilen die gleichen liberalen und demokratischen Werte.
Als liberale Demokratie3 steht Taiwan auf dem gleichen Wertefundament wie die Staaten Europas. Dennoch halten sich die Europäer traditionell zurück, im Konflikt Taiwans mit der VRCh Stellung zu beziehen, zumal die Sicherheit der Insel unter dem Schutzschirm der USA gewährleistet zu sein scheint. Die europäischen Staaten haben sich seit den 1970er Jahren dazu bekannt, Pekings Position zu respektieren, es gebe nur »ein China«, zu dem Taiwan gehöre. Sie haben jedoch stets unterstrichen, dass eine Vereinigung Angelegenheit der Bewohner beiderseits der Straße von Taiwan sei und friedlich zu erfolgen habe. Zugleich vermeiden sie Gesten, die als Anerkennung der Staatlichkeit Taiwans aufgefasst werden könnten. Insbesondere versagen sie sich grundsätzlich jeden Kontakt auf höherer staatlicher Ebene, das heißt, dass der Staats- und der Regierungschef, der Vizepräsident sowie der Außen- und der Verteidigungsminister Taiwans EU-Staaten nicht besuchen dürfen. Gleiches gilt entsprechend in umgekehrter Richtung.4
Das neue unfriedliche Auftreten der Volksrepublik bringt Europa nun in eine schwierige Lage: Stellt es sich deutlich gegen Chinas Aggressivität, riskiert es einen Konflikt mit diesem wichtigen Wirtschaftspartner; hält es sich mit Kritik an Peking zurück, wird es in seiner Wertebindung unglaubwürdig.
Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die EU insgesamt sowie auf die drei wichtigsten Partner Taiwans in Europa, nämlich Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Allerdings weisen die Beziehungen einiger anderer europäischer Staaten zu Taiwan Aspekte auf, die indikativ für die komplizierte Lage Taiwans in der Welt sind und deshalb kurz vorab betrachtet werden:
So unterhält der Vatikan als einziger europäischer Staat noch diplomatische Beziehungen zur »Republik China«. Damit ist dieses europäische Standbein für Taiwan nicht nur von politisch-symbolischem Wert, sondern im kommerziellen und politischen Verkehr auch von logistisch-strategischer Bedeutung. Der Vatikan sucht dabei zu vermeiden, dass seine Beziehung zu Taiwan die über Jahrzehnte angestrebte Annäherung an Peking stört. Äußerungen Taiwans zur fortbestehenden Qualität seiner Beziehungen zum Vatikan nach dessen Vereinbarungen mit der VRCh 2019/20 ließ dieser unkommentiert.5
Die Niederlande sind einer der wichtigsten Empfänger taiwanischer Investitionen, vor allem weil der Konzern Philips schon frühzeitig daran beteiligt war, die Grundlagen der taiwanischen IKT-Industrie zu schaffen (bis hin zur Gründung der heute weltweit erfolgreichen Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, TSMC), aber auch wegen der steuerlichen Anreize, die sie ausländischen Investoren bieten.6 Waffenexporte nach Taiwan (U‑Boote) wie in den 1980er Jahren7 verfolgen die Niederlande heute nicht weiter. Ferner sind sie, mit Schweden, Partner Taiwans im Rahmen des Global Cooperation and Training Framework (GCTF). Diese Einrichtung, 2015 von den USA zusammen mit Taiwan ins Leben gerufen und inzwischen um Japan und Australien erweitert, bindet Taiwan in internationale Entwicklungsprojekte verschiedenster Art ein.8
Im Falle anderer EU-Staaten gibt es hin und wieder demonstrative Sympathiebekundungen gegenüber Taiwan, gewöhnlich in der Folge einer Verschlechterung der Beziehungen zur VRCh. Internationale Aufmerksamkeit fand der Taiwanbesuch einer 90-köpfigen tschechischen Delegation unter Leitung des Senatspräsidenten im August 2020. Bei dem Treffen spielte die Stellung der Tschechischen Republik als viertgrößter Handelspartner Taiwans in Europa ebenso eine Rolle wie die tschechische Haltung zu Menschenrechtsfragen in der Tradition Václav Havels, auch innenpolitische Auseinandersetzungen in Prag über die positive Einstellung des Staatspräsidenten zu China waren Thema. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums nannte den Besuch eine »verachtenswerte Handlung«. Der Premierminister Sloweniens stellte sich mit einer Erklärung hinter die Tschechische Republik. Der damalige deutsche Außenminister Heiko Maas sagte in der gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluss des Deutschlandbesuchs des chinesischen Außenministers Wang Yi am 1. September 2020, den Respekt, mit dem die EU ihren Partnern begegne, erwarte sie auch umgekehrt, Drohungen passten nicht dazu.9
Ein anderer Fall ist derjenige Litauens, dessen Präsident sich im Februar 2021 einer Konferenz der 17+1 mit Xi Jinping entzog,10 nachdem sich die Zusammenarbeit im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) als weniger fruchtbar gezeigt hatte als erwartet. Litauen erntete dafür scharfe Kritik Pekings. Darauf kündigte Litauen im Mai 2021 seinen Rückzug aus den 17+1 an, erklärte, mit Taiwan Vertretungen auszutauschen, und bezeichnete die Behandlung der Uighuren als »Völkermord«. Im Juni 2021, nach weiterer Kritik aus Peking, entschied die litauische Regierung, eine Vertretung Taiwans in Vilnius zuzulassen, und zwar nicht unter der Bezeichnung »Taipei-Vertretung«, sondern als »Taiwan-Vertretung«, womit Litauen von weltweiten Usancen abweicht. Peking reagierte nicht nur mit heftiger Kritik, sondern mit dem Abzug seines Botschafters aus dem Land und der Aufforderung, Litauen möge dasselbe mit seinem Botschafter in der VRCh tun.11
Zum Ärger Pekings besuchte im Oktober 2021 eine 66-köpfige Delegation taiwanischer Beamter (unter ihnen zwei im Ministerrang) die Tschechische Republik, die Slowakei und Litauen.12 Schließlich untersagte Anfang Dezember 2021 die Volksrepublik den Import von Waren aus Litauen und solchen aus anderen Ländern, die in Litauen hergestellte Komponenten enthielten, sowie den Export chinesischer Produkte nach Litauen. Die EU-Außenminister erklärten sich mit Litauen solidarisch, ohne aber Gegenmaßnahmen zu beschließen.13
Die Europäische Union als Partner Taiwans
Politik
Gerade angesichts der Vorsicht, mit der der Austausch mit Taiwan gehandhabt werden muss, sofern ein Staat oder ein Staatenverbund zugleich ertragreiche Beziehungen zur VRCh unterhalten möchte, ist das Netz der europäisch-taiwanischen Beziehungen bemerkenswert dicht geflochten.14 Die Beziehungen der EU zu Taiwan umfassen Handel und Investitionen, Wissenschaft und Forschung, Gesundheitswesen und Umweltfragen, digitale Wirtschaft und Cybersicherheit, bis hin zum Thema Menschenrechte. Dieser Austausch findet über eine Vielzahl von Kanälen statt, darunter offizielle Konsultations- und Dialogmechanismen auf verschiedenen Ebenen, einschließlich jährlicher Treffen von Fachministern zu Handelsfragen, Industriepolitik und Menschenrechten. Vor diesem Hintergrund, erklärt die Taiwan-Vertretung bei der EU, sei »der Bedarf an Track‑1.5-Dialogen zwischen beiden Seiten gering«.15
Um die politischeren Aspekte der EU-Taiwan-Beziehungen kümmert sich die Taiwan-Freundschaftsgruppe des Europaparlaments.
Die Dichte der Kontakte ist durch die Interessen dreier beteiligter Seiten zu erklären: Die VRCh ist sowohl mit Taiwan als auch der EU wirtschaftlich eng verbunden und profitiert damit ihrerseits vom europäisch-taiwanischen Austausch. Dennoch ist die Situation politisch stets dem Risiko von Verwerfungen ausgesetzt. Daher überlassen die EU-Institutionen seit langem die politischeren Aspekte der EU-Taiwan-Beziehungen der Taiwan-Freundschaftsgruppe des Europäischen Parlaments (EP). Sie wurde 1991 gegründet, in einer Phase, in der sich die Kuomintang-Regierung auf Taiwan bemühte, die internationalen Nachwirkungen des Tiananmen-Massakers im Jahr 1989 zu nutzen, um Taiwans internationalen Status zu verbessern – als »Republik China« mit dem Anspruch, irgendwann ganz China zu regieren. Deshalb richtete Taipei sein Augenmerk in demokratischen Staaten insbesondere auf Parlamentarier, die möglicherweise Einfluss auf die Exekutive ausüben konnten.
Die EP-Taiwan-Gruppe wurde bald eine treibende Kraft in der EU, die zahlreiche Berichte und Entschließungen zu Taiwan initiierte und die Insel immer wieder besuchte (in umgekehrter Richtung war das weniger der Fall). In jüngerer Zeit hat sie Resolutionen angestoßen, die die Beteiligung Taiwans an internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) und der Klimarahmenkonvention der VN (UNFCCC) fordern. Auf Initiative aus der Gruppe heraus nahm der Auswärtige Ausschuss des EP am 1. September 2021 einen Bericht an, der die EU auffordert, ihre politischen Beziehungen zu Taiwan »hochzustufen« und das »European Economic and Trade Office in Taiwan« in »European Union Office in Taiwan« umzubenennen.16 Bereits 2019 haben Parlamentarier aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich sowie aus der EP-Taiwan-Gruppe einen »Formosa Club« in Brüssel gegründet, um den Anliegen Taiwans durch europaweite parlamentarische Unterstützung mehr Gehör zu verschaffen.17
Die Wirtschaftslage in der EU würde durch einen militärischen oder auch mit wirtschaftlichen Mitteln ausgetragenen Konflikt zwischen der VRCh und Taiwan empfindlich getroffen. Hinzu käme die wahrscheinliche Ausweitung des Konflikts durch das Eingreifen der USA und deren mögliche Bitte an Europa, sie politisch, logistisch und/oder materiell zu unterstützen. Daher könnte man annehmen, dass Fragen der Sicherheitspolitik in europäischen Erwägungen zum Verhältnis zu Taiwan an vorderster Stelle stehen. Dies ist wegen der Konsequenzen für das Verhältnis zur VRCh nicht möglich, zumindest nicht öffentlich. So wird das Thema in den Brüsseler Darstellungen der Beziehungen zu Taiwan weitgehend ausgeklammert.18
Wirtschaft
Im Jahr 2020 gingen 12,7% (43,9 Mrd. US-Dollar) der taiwanischen Exporte in die EU und nach Großbritannien, 10,8% (31,1 Mrd. US-Dollar) der taiwanischen Importe kamen aus der EU und Großbritannien; außerdem ist die EU mit einem Anteil von 25,7% der wichtigste Auslandsinvestor in Taiwan.19 Vor diesem Hintergrund streben beide Seiten seit 2015 den Abschluss eines bilateralen Investitionsabkommens an – wobei die seither vergangene Zeit ein Indiz dafür ist, wie schwer die EU sich damit tut, einen solchen Schritt zu machen, der mit Sicherheit scharfe Reaktionen aus Peking zur Folge hätte.20
Die taiwanische Halbleiterindustrie ist weltweit führend. Sie möchte ihre Abhängigkeit von der Kooperation mit Unternehmen in der Volksrepublik minimieren, während europäische Firmen hoffen, durch Zusammenarbeit mit taiwanischen mittelfristig die Probleme zu lösen, die ihnen durch die weltweite Chip-Knappheit entstehen. Deshalb überlegt die EU derzeit, den Bau einer Halbleiterfabrik in Europa, wohl in Kooperation mit der taiwanischen TSMC, zu fördern.21 Taiwanische Produzenten aus dem IKT-Bereich haben in EU-Mitgliedstaaten wie der Tschechischen Republik bereits Industriecluster aufgebaut. Das taiwanische Unternehmen Global Wafers Co., der weltweit drittgrößte Anbieter von Siliziumwafern, erklärte im März 2021, 4,35 Milliarden Euro investieren zu wollen, um einen Anteil von 70,27% an der deutschen Siltronic AG zu erwerben. Damit würde Global Wafers seine Produktion verdoppeln und der zweitgrößte Waferhersteller der Welt werden. Solche Unternehmen investieren gewöhnlich nicht nur in Europa, sondern gleichzeitig auch in den USA und der VRCh, wodurch sie die internationale Verflechtung im IKT-Bereich vorantreiben.
Rüstungsexporte, von Taiwan immer wieder angefragt und naturgemäß attraktiv für die europäische Wirtschaft, bleiben der politischen Lage wegen grundsätzlich ausgeschlossen; allerdings gibt es des Öfteren Ausnahmen, insbesondere bei Dual-Use-Gütern.22
Kultur und Wissenschaft
Mit der Wirtschaftsentwicklung Taiwans und der Liberalisierung des Landes seit den 1990er Jahren hat sich der kulturelle Austausch vom klassischen chinakundlichen Bereich erweitert auf zahlreiche, vornehmlich wirtschaftsgetriebene Felder. So hat die EU Taiwan im Jahr 2013 als eines von 12 Zielländern ausgewählt, um die Zusammenarbeit im IKT-Bereich auszubauen. Bis Dezember 2020 haben taiwanische Forscher an 81 internationalen Programmen des Europäischen Forschungsrats teilgenommen, etwa zur Entwicklung der 5G-Technologie.23
In den eher traditionellen Bereich gehören vom taiwanischen Bildungsministerium jährlich angebotene Reisen, um die chinesische Kultur und Sprache (kennen) zu lernen, sowie Stipendienprogramme für europäische Studenten und Wissenschaftler. Das taiwanische Außenministerium hat ein Taiwan-Europe Connectivity Scholarship Program ins Leben gerufen, um die akademische Zusammenarbeit durch Partnerschaften zwischen Universitäten und Schulen zu intensivieren. Und nicht zuletzt hat die taiwanische Regierung Working-Holiday-Programme initiiert, an denen 11 EU-Staaten teilnehmen. Die EU organisiert seit 2005 das Taiwan European Film Festival (TEFF) und seit 2013 ist sie auf der Taipei International Book Exhibition (TIBE) vertreten, einer der größten Buchmessen in Asien. Die Europäische Bildungsmesse Taiwan (EEFT) schließlich ist eine Initiative, um junge Taiwaner auf die Bildungsmöglichkeiten in Europa aufmerksam zu machen.
Deutschland als Partner Taiwans
Politik
Die Bundesrepublik Deutschland hatte nach der Flucht Chiang Kai-sheks nach Taiwan niemals offizielle Beziehungen zur »Republik China«.24 Dennoch haben sich vielfältige Komponenten bilateralen Austauschs entwickelt: Seit 1956 wurde die Bundesrepublik durch Wirtschafts- bzw. Kulturbüros unter verschiedenen Bezeichnungen vertreten (die den Verdacht vermeiden sollten, es handele sich um »offizielle« Stellen, was eine Art diplomatischer Anerkennung hätte bedeuten können). Im Jahr 2000 wurde schließlich die Bezeichnung »Deutsches Institut Taipei« gewählt, von dem es nun heißt, es sei »die Auslandsvertretung Deutschlands in Taiwan«. Hinzu kommen das Goethe-Institut Taipei, das Deutsche Wirtschaftsbüro und ein Büro von Germany Trade and Invest (GTAI), ein Informationszentrum des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und die Deutsche Schule Taipei als Teil der Taipei European School.
Umgekehrt unterhält Taiwan inoffizielle Vertretungen in Berlin (1956 etabliert als »Freichina-Informationsdienst«, heute – gleichfalls nach einigen Namensänderungen – »Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland«), Hamburg, München und Frankfurt, dazu einen Wissenschaftsreferenten in Bonn. Mit diesen regionalen Vertretungen ist das »offizielle« Taiwan in Deutschland stärker repräsentiert als anderswo in Europa. Auch für Deutschland gilt jedoch das EU-Prinzip, jeden Austausch auf der Ebene der höchsten staatlichen Repräsentanten zu vermeiden. Anders als in den übrigen EU-Staaten schließt diese Gruppe im Falle Deutschlands neben den oben genannten fünf Funktionsträgern zusätzlich den Parlamentspräsidenten sowie den Obersten Richter ein.
Vorangetrieben wird diese Entwicklung von den beiderseitigen Wirtschaftsinteressen, gestützt aber auch durch die politische Nähe seit dem Beginn der Demokratisierung Taiwans in den 1980er Jahren. Sie spiegelt sich unter anderem in der Vielzahl von Konsultationsforen wider, zum Teil auf Ministerebene. Der enge Austausch wirkt in die politischen Stellungnahmen der Bundesregierung hinein. Am 21. Januar 2019 zum Beispiel erklärte Außenminister Heiko Maas in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu Xi Jinpings »an die Landsleute in Taiwan« gerichteten Rede vom 1. Januar 2019, dass die Bundesregierung die Androhung von Gewalt gegen Taiwan nach wie vor ablehne. Darüber hinaus befürwortet das Auswärtige Amt die Beteiligung Taiwans an internationalen Organisationen wie der ICAO und der UNFCCC sowie an der Weltgesundheitsversammlung (WHA), zunächst als »Beobachter«. Das bedeutet, die Bundesregierung ist zugleich weiterhin bemüht, Peking keinen Anlass zu der Behauptung zu geben, Deutschland unterstütze taiwanische Unabhängigkeitsbestrebungen.25
Der 1989 gegründete »Parlamentarische Freundeskreis Berlin–Taipei« im Deutschen Bundestag spielt angesichts dieser Qualität der offiziösen Beziehungen nur eine begleitende Rolle, versucht aber, die Entwicklung der Beziehungen immer wieder neu anzustoßen. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Während der Covid‑19-Pandemie initiierte die Parlamentariergruppe eine Spende taiwanischer medizinischer Masken nach Deutschland und unterstützte Taiwans Anstrengungen, den Impfstoff des Herstellers BioNTech/Pfizer auf einem anderen Weg als über die VRCh geliefert zu bekommen, wie es der Hersteller vorsah. Als bedeutende zivilgesellschaftliche Einrichtung steht neben der Parlamentariergruppe seit 1957 die Deutsch-Taiwanische Gesellschaft (1957 als »Deutsch-Chinesische Gesellschaft« gegründet), die »für die Aufrechterhaltung, Pflege und Stärkung der vielfältigen Beziehungen zwischen Deutschland und Taiwan« eintritt, das heißt »eine zeitgemäße Taiwanpolitik«.26
Die Zusammenarbeit findet in der Sicherheitspolitik eine Grenze. So hat die Bundesregierung es über die Jahrzehnte abgelehnt, Rüstungsgüter an Taiwan zu liefern (ebenso wie an die VRCh).27 Auch sind die deutschen Streitkräfte in der Region kaum sichtbar: Es hat fast zwei Jahrzehnte gedauert, bis die Bundesregierung (nach 2002) im Jahr 2021 wieder den Besuch einer Fregatte im Indo-Pazifik beschlossen hat. Dort sollte die Bayern – ein deutliches Signal an China – an Übungen mit Australien, Singapur, Japan und den USA teilnehmen und »ein Zeichen für freie Seewege und die Einhaltung des Völkerrechts« setzen.28
Wirtschaft
Deutschland ist Taiwans größter Handelspartner in Europa. Taiwan exportierte 2021 Waren im Wert von 8,17 Milliarden US-Dollar (ein Plus von 27,49% gegenüber dem Vorjahr) nach Deutschland, während es Waren im Gesamtwert von 12,5 Milliarden US-Dollar aus Deutschland importierte. Im Jahr 2020 lag Taiwan auf Rang 30 der wichtigsten deutschen Absatzmärkte, Deutschland als Bezugsmarkt für Taiwan auf Platz 36.29
Von der Qualität der deutsch-taiwanischen Wirtschaftsbeziehungen zeugen das Handelsvolumen, bilaterale Vereinbarungen und Foren.
Die Qualität der Wirtschaftsbeziehungen lässt sich auch an der Vielzahl bilateraler Vereinbarungen ermessen: So wurden in jüngerer Zeit ein Doppelbesteuerungs- und ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet, außerdem ein Abkommen zur Bekämpfung von Betrug im Dienstleistungssektor und je eines zur Zusammenarbeit in Energiefragen, zum autonomen Fahren sowie zur Zusammenarbeit in der Finanzaufsicht. Hinzu kommen gemeinsame Foren, die Unternehmen beider Seiten dazu anregen sollen, gemeinsam innovative Produkte, Dienstleistungen oder Industrien zu entwickeln, wie das »Taiwan-Germany Smart Manufacturing Forum«, das »Taiwan-Germany Energy Transformation Forum«, eine deutsch-taiwanische Ausschreibung für gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte mittelständischer Unternehmen30 sowie ein Forum für intelligente Fertigung und Systemintegration.
Kultur und Wissenschaft
Auch die kulturellen Beziehungen umfassen immer mehr von wirtschaftlichen Interessen getragene Bereiche. Zugleich hat die Attraktivität Taiwans für Studenten und Wissenschaftler zugenommen, weil der Zugang zu Institutionen in der VRCh durch Xi Jinpings Politik erschwert wird. Im Jahr 2020 waren 3.155 Studenten aus Taiwan in Deutschland und 1.062 Studenten aus Deutschland in Taiwan. Der Sprachtest TOCFL (Test of Chinese as a Foreign Language) wird jährlich in Berlin, Düsseldorf, München und Stuttgart abgehalten, mit etwa 100 Bewerbern pro Jahr. Darüber hinaus entsendet das taiwanische Bildungsministerium chinesischsprachige Lehrkräfte an deutsche Universitäten, derzeit an die Freie Universität Berlin und die Humboldt-Universität zu Berlin sowie nach Heidelberg, Göttingen, Tübingen, Münster, Trier und Regensburg. Nicht zuletzt unterhält es sogenannte Taiwan Studies Centers, die zum Teil durch Stiftungen finanziert werden (etwa an der Universität Tübingen).
Frankreich als Partner Taiwans
Politik
Der Weg der französischen Taiwanpolitik war anfangs von Besonderheiten gekennzeichnet. So nahm Präsident Charles de Gaulle bereits 1964, gegen amerikanische Bitten, mit der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen auf. Er sicherte Frankreich damit einen bevorzugten Status in der Pekinger Bewertung seiner westlichen Partner. Spätere Bemühungen um Beziehungen zu Taiwan gingen zwar von der gewachsenen wirtschaftlichen Bedeutung der Insel aus, hingen aber – unter Präsident François Mitterrand mit starker Menschenrechtsorientierung – auch zusammen mit den Tiananmen-Geschehnissen und der beginnenden Demokratisierung Taiwans. Dabei bezeichnete Frankreich, anders als die anderen Europäer, Taiwan nicht als Teil »Chinas«, sondern der »Volksrepublik China«. Paris erhielt dennoch – wohl Ausdruck des damals noch intensiven Wettbewerbs beider Teile Chinas um intensivere Bindungen zu europäischen Staaten – bald taiwanische Aufträge für seine Rüstungsindustrie. Diese führten wiederum zu »Strafen« Pekings, die Paris seinerseits durch Lieferungen an die VRCh zu neutralisieren suchte.31
Mit der Einrichtung einer inoffiziellen Vertretung Frankreichs in Taiwan im Jahr 1995 und einem »Bureau de représentation de Taipei en France« hatte der Status der französisch-taiwanischen Beziehungen schließlich den der meisten anderen EU-Staaten erreicht. Zuletzt besuchte im Oktober 2021 eine Delegation des französischen Senats Taiwan, unter Leitung eines ehemaligen Verteidigungsministers.32
Jedoch bleibt es der Bereich der Sicherheitspolitik, in dem sich Frankreichs Politik von der der anderen EU-Staaten unterscheidet: Frankreich versteht sich in seiner Indo-Pazifik-Strategie vom Juli 2021 als »Land des Indo-Pazifik«.33 So entsendet Frankreich als einziger EU-Staat immer wieder Kriegsschiffe auch in die Südchinesische See und damit in die direkte Nachbarschaft Taiwans, wo 2021 zudem ein Schiff vor Anker ging.34 Im Februar 2021 passierte ein nukleargetriebenes französisches U-Boot die Südchinesische See,35 im selben Jahr beteiligten sich französische Schiffe zusammen mit amerikanischen, japanischen, südkoreanischen, australischen, neuseeländischen und britischen an einer Serie unterschiedlicher Manöver zwischen Nordost- und Südostasien. Frankreich ist damit das einzige Land in der EU, das sich regelmäßig mit militärischer Symbolik gegen Chinas Vordringen im Pazifik stellt (und scharfe Kritik Pekings in Kauf nimmt).36