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Potentiale bilateraler Migrationsabkommen

Von Symbolpolitik zu praktischer Umsetzung

SWP-Aktuell 2024/A 48, 13.09.2024, 7 Pages

doi:10.18449/2024A48

Research Areas

Die migrationsbezogene Kooperation mit Drittstaaten hat Konjunktur. Bilaterale Abkommen mit Herkunfts-, Aufnahme- und Transitstaaten gelten zunehmend als ein wichtiges Instrument zur Bewältigung der Herausforderungen, die mit Zuwanderung verbunden sind. Mit dem Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen hat die Ampel-Regierung ein Amt geschaffen, das die politischen Zielsetzungen in den Be­reichen Rückführung und Anwerbung in einem umfassenden Ansatz zusammen­führen soll. In der Hoffnung auf eine klare innenpolitische Signalwirkung wurden zügig erste Vereinbarungen getroffen. Über ihren symbolischen Gehalt hinaus haben die Abkommen das Potential, nicht nur Ausgangspunkt für eine lang­fristig tragfähige migra­tionspolitische Kooperation zu sein, sondern auch zur Entwicklung der Her­kunftsländer beizutragen. Um dieses Potential tatsächlich auszuschöpfen, bedarf es eines differenzierteren Interessenausgleichs zwischen den jeweiligen Partnerländern und Deutschland, eines Ausbaus der Anwerbungsstrukturen und einer Steigerung der Konsistenz in der externen Migrationspolitik.

Irreguläre Migration reduzieren und regu­läre (Arbeits-)Migration ermöglichen, lautet ein erklärtes Ziel der Ampel-Koalition. Während die öffentliche Debatte von stark restriktiven Vorschlägen wie der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten oder gar der Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl beherrscht wird, verfolgt der 2023 neu bestellte Sonderbevollmäch­tigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen (im Folgenden kurz: Sonderbevollmächtigter) einen umfassenden Ansatz: Bei der Aushandlung der im Koalitions­vertrag angekündigten praxistauglichen und partnerschaftlichen Vereinbarungen mit Herkunftsländern sollen Anwerbe- und Rückführungsinteressen Deutschlands gleichermaßen berücksichtigt werden. In­stitutionell verortet im Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI), kommt dem Sonderbevollmächtigten die wichtige Aufgabe zu, die unterschiedlichen Ressorts, die für migrationspolitische Entscheidungen relevant sind, an einen Tisch zu brin­gen und die Grundzüge einer deutschen Migra­tionsdiplomatie zu gestalten.

Aktueller Stand bilateraler Verhandlungen

Bis zum Amtsantritt des Sonderbevollmächtigten Joachim Stamp im Februar 2023 hatte die Bundesregierung mit nur einem Land – Indien – ein umfassendes bila­te­rales Mobilitäts- und Migrationsabkommen ausgehandelt. Seitdem sind ein Abkommen mit Georgien unterzeichnet und migrations­politische Vereinbarungen mit Marokko und Kolumbien geschlossen worden. Im September 2024 folgen Abkommen mit Kenia und Usbekistan. Weitere Sondierungs­gespräche bzw. Verhandlungen laufen unter anderem mit Moldau, Kirgisis­tan, Ghana und den Philippinen.

Flexible Formate

Da es sich bei Migration um ein inhärent transnationales Phänomen handelt, ist es sinnvoll, Steuerungsversuche in Koopera­tion mit anderen Staaten anzugehen. An Bedeutung gewinnen dabei zunehmend einzelstaatliche Initiativen und bilaterale Formate wie die von Deutschland angestreb­ten umfassenden Migrationsabkommen mit Drittstaaten außerhalb der EU. Solche Ab­kommen eröffnen Regierungen die Mög­lichkeit, eigene migrationspolitische Prio­ritäten gezielter zu verfolgen.

Die bisherige Arbeit des Sonderbevollmächtigten zeigt, dass die jeweiligen Partnerschaften in einigen Fällen die Form völker­rechtlich verbindlicher Verträge annehmen (Indien, Georgien und Kenia), in anderen als informelle Vereinbarungen zur verbesserten operativen Zusammenarbeit konzipiert sind (Marokko und Kolum­bien). Diese Flexibilität der Formate erlaubt es, innenpolitische Sensibilitäten der Partner­länder – etwa bei öffentlichem Wider­stand gegen geplante Rückführungen – zu be­rücksichtigen. Auch die deutschen Priori­täten unterscheiden sich je nach Partnerland: So steht etwa bei Indien oder Kenia die Anwerbung im Vordergrund, während bei den Verhandlungen mit anderen Län­dern Rückführungsinteressen handlungs­leitend sind.

Das große Interesse der Bundesregierung an Rückführungen nach Afghanistan und Syrien wird sich angesichts der Ächtung der jeweiligen Machthaber sicherlich nicht in formellen Abkommen niederschlagen. Auch informelle Absprachen mit diesen Regimen kommen kaum in Frage. Anders verhält es sich bei Gesprächen mit (Nachbar-)ländern, die eventuell an den Rückführungen zu beteiligen sind. Hier sind entsprechende informelle Vereinbarungen denkbar.

Bekannte Inhalte

Vielen potentiellen Partnern ist an einer engeren Zusammenarbeit im Bereich Arbeitsmigration gelegen. Oft wollen sie die migrationsbezogenen Verhandlungen dazu nutzen, die bilaterale Zusammenarbeit mit Deutschland insgesamt zu intensivieren. Auf deutscher Seite hingegen besteht grund­sätzlich ein Interesse sowohl an Anwerbung als auch an Rückführung. Aufgrund des demographischen Wandels ist Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge eine Netto­zuwanderung von 400.000 Arbeitskräften jährlich bis 2060 erforderlich, um das Arbeitskräfteangebot konstant zu halten. Laut Aus­länderzentralregister waren zum Stichtag 30.6.2024 insgesamt rund 227.000 Personen ausreisepflichtig, davon circa 44.000 ohne Duldung. Dabei geht es in beiden Bereichen letztlich darum, geltendes Recht effektiver anzuwenden: Die völkerrechtlichen Bestimmungen zur Pflicht der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger sind klar. Die Migrationspartnerschaften sollen die prak­tische Umsetzung dieser Verpflichtung durch Verbesserungen in der operativen Zusammenarbeit unterstützen. Entsprechend enthalten die Vereinbarungen häufig standardisierte Abläufe für Rück­führungen, etwa beim Identitäts­abgleich oder beim physischen Transfer und der Übergabe.

Im Bereich Anwerbung dagegen konzen­trieren sich die Bemühungen der Bundes­regierung darauf, dass die legalen Zuwanderungswege, die durch das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) im letzten Jahr noch einmal erweitert wurden, stärker genutzt werden. Anders als Länder wie Italien und Spanien, die in Verhandlungen um Migrationsabkommen konkrete Zuwanderungskontingente anbieten, sieht die deutsche Rechtslage über wenige Aus­nah­men hinaus, etwa bei der Saisonarbeit, der kurzfristigen Beschäftigung oder im Rahmen der Westbalkanregelung, keine Vereinbarung über die Anwerbung größe­rer Gruppen von Arbeitskräften aus dem Ausland vor. Partnerländer hingegen wün­schen sich häufig feste Zusagen für Arbeits­migration in einem substanziellen Umfang.

Innenpolitische Signalwirkung

In Deutschland sind die Erwartungen an die neuen bilateralen Migrationsabkommen hoch. Sie sollen– angesichts der aufgelade­nen innenpolitischen Debatte über irregu­läre Zuwanderung und des weiteren Er­starkens der in Teilen gesichert rechts­extremen AfD – der Bevölkerung vor allem Handlungsfähigkeit im Bereich Rückkehr demonstrieren. Gleichzeitig will die Bundes­regierung damit zeigen, dass sie den Mangel an Arbeitskräften in zahlreichen Branchen als strukturelles Wachstumshemmnis ernst nimmt und bei Engpässen gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland anwirbt.

Vor diesem Hintergrund erfüllen sowohl die Aufnahme von Verhandlungen mit wichtigen Herkunfts- und Transitländern, mehr aber noch der erfolgreiche Abschluss von Vereinbarungen eine wichtige innen­politische Funktion: Sie dienen dazu, öffent­lichkeitswirksam Tatkraft und Umsetzungs­willen zu signalisieren. Zusätzlich ist die Dynamik der Verhandlungen von der Ziel­setzung be­stimmt, vor den nächsten Bundestagswahlen eine möglichst große Zahl an Abkommen erfolgreich abzuschließen. Viele Fragen der praktischen Umsetzung sind allerdings noch offen.

Großbaustellen der externen Migrationspolitik

Die derzeitige Fokussierung auf einen zü­gi­gen Abschluss möglichst vieler bilateraler Migrationsabkommen geht mit dem Risiko einher, dass sich die Bedeutung der einzel­nen Vereinbarungen weitgehend auf ihren deklaratorischen Charakter beschränkt. Um die praktische Relevanz getroffener Über­einkünfte zu gewährleisten, sind verstärkte Bemühungen in drei Bereichen unabdingbar.

Verbesserte Kontextanalyse für tragfähigen Interessenausgleich

Mit dem Begriff »partnerschaftlich« hat der Koalitionsvertrag einen Anspruch an die zu vereinbarenden Migrationsabkommen formuliert, der sich nicht nur normativ, sondern auch instrumentell begründen lässt. Wenn Abkommen die Interessen beider Seiten adäquat widerspiegeln, erhöht dies nicht nur die Chance, dass sie wirksam umgesetzt werden, sondern auch die Wahr­scheinlichkeit, dass sie über Regierungswechsel hinaus Bestand haben.

Bei der Aufnahme bilateraler Verhandlungen bedarf es dafür zunächst eines detaillierten Verständnisses, welche Rolle grenzüberschreitende Mobilität im Entwick­lungs­modell des betreffenden Landes spielt. Zu der hierfür erforderlichen Analyse kön­nen insbesondere vor Ort tätige deutsche Entwicklungsorganisationen sowie die Referent:innen für wirtschaftliche Zusammenarbeit an den Botschaften beitragen. Sodann müssen unter anderem folgende Fragen beantwortet werden: Leitet sich aus dem jeweiligen Modell eine Präferenz für zeitlich befristete oder auf Dauer angelegte Migration ab? Welchen Stellenwert hat Familiennachzug? Wie groß ist der Bedarf an Aus- und Weiterbildungskomponenten innerhalb von Migrationsprogrammen?

Allerdings kann eine solch differenzierte Analyse mit den derzeit verfügbaren Kapa­zitäten oft nicht geleistet werden. So wird beispielsweise das Interesse potentieller Partnerländer an einem Ausbau der Arbeits­migration nach Deutschland meist als ge­geben vorausgesetzt. Dies ist nicht immer berechtigt: So wird in einigen Staaten vor allem die Anwerbung von Gesundheits­fachkräften kritisch gesehen, während es in Län­dern, die selbst von demographischer Alte­rung betroffen sind, zu einem generellen Umdenken hinsichtlich der Abwanderung von Arbeitskräften kommt. Die pau­schale Annahme einer Interessen­konver­genz im Bereich Arbeitsmigration ist ins­besondere dann kontraproduktiv, wenn sie den Blick für ein umfassendes Verständnis der Ziele der Partnerländer in anderen Bereichen verstellt.

Abzuwarten bleibt, ob das rechtliche Kon­strukt der Westbalkanregelung – wie im Rahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung im Sommer 2024 an­gekündigt – auf weitere Drittstaaten über­tragen wird. Wenn die deutsche Seite weiter­hin keine Kontingente anbieten kann, ver­stärkt dies den Bedarf, die Anliegen der Partner in anderen Politikfeldern genau zu analysieren.

Auch für eine verbesserte Zusammen­arbeit im Bereich Rückkehr ist eine vertiefte Kenntnis der Partnerinteressen hilfreich, wobei grundsätzlich gilt, dass die Rückübernahme abgelehnter Asylsuchender kein eigenständiges Politikziel der meisten Regierungen darstellt. Die im Hinblick auf diese Thematik zu beantwortenden Fragen sind daher anders gelagert: Welche poli­tischen und operativen Hürden bestehen hier? Durch welche Anreize kann die Bundesregierung die Kooperations­bereit­schaft der Herkunftsländer erhöhen? Welche Ziele verfolgen autoritär regierte Staaten, die in Sachen Rückkehr kooperieren? Sich darüber klar zu werden, ist gerade mit Blick auf geächtete Regime wie in Afghanistan und Syrien von Belang, für die jede Art von internationaler Zusammenarbeit einen Zu­wachs an Legiti­mität bedeu­tet. Ein breites Repertoire an Angeboten und Anreizen, die bei den Partnern auf Interesse stoßen, er­höht die Wahrscheinlichkeit, mehr Ko­ope­ration auch beim schwie­rigen Thema Rück­führungen zu erreichen.

Ausbau der Umsetzungsstrukturen

Sowohl die Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden und Migrant:innen ohne gültigen Aufenthaltstitel als auch die An­werbung dringend benötigter Arbeitskräfte im Ausland ist voraussetzungsvoll und scheitert oft an praktischen Hürden. Inner­halb Deutschlands sind diese in beiden Bereichen ähnlich gelagert und umfassen komplexe bürokratische Vorgaben, eine klein­teilige föderale Aufgabenverteilung, veraltete Kommunikationswege sowie eine unzulängliche personelle Ausstattung. So­wohl mit Blick auf Rückführung als auch auf Anwerbung sind diese im Inland ver­orteten Hemmschuhe hinlänglich be­kannt und müssten durch modernisierte Verfahren und zielgenaue Investitionen angegangen werden.

In der Zusammenarbeit mit den Partnerländern sind die Hindernisse in beiden Bereichen dagegen unterschiedlich – und entsprechend gibt es hier auch grundlegend unterschiedliche Handlungsbedarfe. Der Erfolg von Rückführungen steht und fällt mit dem politischen Willen auf Seiten der Herkunftsländer, umfassend zu kooperieren. Dabei ist das grundsätzliche Ein­verständnis zur Rückübernahme nur der erste Schritt (wobei insbesondere die Rück­übernahme von Dritt­staatsangehörigen politisch hochkontrovers ist). In einem zweiten Schritt geht es darum, dass sich dieses Ein­verständnis im Partnerland auch in die Bereitschaft übersetzt, Rückführungen praktisch durchzuführen – statt durch Verzögerungen und bürokratische Schein­hürden ins Leere zu laufen. Letztlich braucht es passende Anreize, um Partner­regierungen zur Kooperation zu bewegen. Entsprechende Angebote können beispielsweise in der Unterstützung von Reintegration oder in der Öffnung zusätzlicher lega­ler Zugangswege bestehen.

Auch wenn das Thema Anwerbung poli­tisch deutlich weniger sensibel ist als Rück­führung, braucht es hierfür eine ungleich komplexere Umsetzungsstruktur in den Herkunftsländern. Besondere Heraus­forde­rungen stellen unter anderem die häufig unzulängliche Kompatibilität von Ausbildungssystemen, der Spracherwerb (ein Stand­ortnachteil gegenüber englischsprachigen Ländern) sowie die häufig langen Warte­zeiten bei der Anerkennung von Qualifikationen und der Visavergabe dar. Aufgrund dieser strukturellen Hürden reichen die rechtlichen Änderungen, die mit der Re­form des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vorgenommen wurden, alleine nicht aus. Um das Potential der neuen Zu­gangswege bestmöglich zu nutzen, sind Maßnahmen in den folgenden Bereichen geboten:

(1) Erleichterung selbstorganisierter Migration: Anwerbebemühungen wie das Triple-Win-Programm, das durch die Bundes­agentur für Arbeit (BA) und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) um­gesetzt wird, und Projekte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung (BMZ) zur Unterstützung regulärer Arbeitsmigration setzen wichtige Impulse für die faire Rekrutierung von Arbeitskräften. Sie holen meist aber nur einige Hundert Arbeitskräfte nach Deutschland. Vor diesem Hintergrund sollten verstärkt Maßnahmen zur Förderung der selbstorganisierten Arbeitsmigration ergriffen werden. Neben den schon bestehenden Online-Angeboten zur Infor­mation über reguläre Arbeitsmigration können hier die vom BMZ in einigen Staa­ten etablierten Zentren für Migration und Entwicklung (ZME) einen Beitrag in Form eines flankierenden persönlichen Beratungs­angebots leisten. Auch in Deutschland an­sässige Diasporaorganisationen könnten bei Interesse in Informationskampagnen ein­gebunden werden.

(2) Stärkere Verzahnung deutscher Außenstrukturen: Bislang sind die zur Förderung von Arbeitsmigration relevanten deutschen Akteure und Strukturen in den Herkunftsländern nicht hinreichend koordiniert. Je nach Land sind dies die deutsche Botschaft bzw. das Konsulat, die Außenhandels­kammer, das Goethe-Institut, die ZMEs sowie relevante Entwicklungsprojekte und deutsche Unternehmen. Deren Aktivitäten müssen besser miteinander verzahnt werden. Dies betrifft alle Schritte, von der Bereitstellung rechtlicher Informationen über Angebote der beruflichen Bildung und des Spracherwerbs, konkrete Unterstützungsleistungen bei Bewerbungsprozessen und bei der Anerkennung beruflicher Qualifikationen bis hin zur Visavergabe. Das gilt auch für die Anwerbebemühungen einzelner Bundesländer und Ministerien. Angesichts der Tatsache, dass das AA vor kurzem im Ressortkreis die Verantwortung für die Fachkräfteanwerbung in zehn Schwerpunktländern übernommen hat, liegt es nahe, die jeweilige Botschaft vor Ort mit der Koordinationsrolle zu betrauen.

(3) Stärkere Einbindung von Unternehmen: Den Rufen der Unternehmen und ihrer Verbände nach Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte folgend, hat die Bundesregierung ihre Aktivitäten in diesem Bereich ausgebaut. Dabei stellt sich die Frage nach einer angemessenen Kosten- und Verantwortungsteilung zwischen Regierung und Privatwirtschaft. Auch wenn staatliche Akteure eine wichtige Rolle bei der Pilotie­rung und Anschubfinanzierung von An­werbe­initiativen übernehmen, sollten sie sich mittelfristig darauf konzentrieren, zentrale Abläufe wie die Visavergabe weiter zu beschleunigen und andere administra­tive Engpässe zu beheben. Das Gros der Kosten für Spracherwerb, Nachqualifizierung und allgemeine Verwaltungsgebühren dagegen sollte von den Unternehmen ge­schultert werden, die von den zusätzlichen Arbeitskräften profitieren. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden aber auf lange Sicht weiterhin organisatorische Unterstützung bei der Anwerbung im Aus­land benötigen. Eine stärkere Priorisierung entsprechender Aufgaben im Bundes­ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) könnte hier einen wich­tigen Beitrag leisten.

(4) Bessere Nutzung und Kontrolle privater Rekrutierungsakteure: Private Rekrutierungsfirmen in Drittstaaten stellen für migra­tionsinteressierte Arbeitskräfte eine Alter­native zu einem völlig selbstorganisierten Vorgehen dar. Häufig verfügen sie bereits über Erfahrung und können schnell und kostengünstig agieren. Dabei sind Begleitmaßnahmen, die eine faire und sichere Migration garantieren, unverzichtbar – ge­rade in diesem oft von unlauteren Akteuren geprägten Markt. Der Schutz der Arbeitsmigrant:innen vor missbräuch­lichen Rekru­tierungsmethoden und vor einer Vermittlung in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sollte in Kooperation mit den Partnerländern sichergestellt werden. Dies beinhaltet die Unterstützung der jeweiligen verantwort­lichen Institutionen im Partnerland, damit diese private Rekrutierungs­akteure besser kontrollieren können. Das ist auch im deut­schen Interesse: irreguläre Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung kön­nen zu un­erwünschten Neben­effekten wie Lohn­dumping führen und so die Akzeptanz für Arbeitsmigration in Deutschland mindern. Erfahrungsgemäß ist dieser Schutz nicht nur, aber insbesondere für Arbeitsmigrantinnen zentral. Eine wich­tige Kontrollfunktion hierbei können auch transnationale Zusammenschlüsse von Gewerkschaften übernehmen.

Mehr Konsistenz in der externen Migrationspolitik

Ausschlaggebend dafür, dass Migrations­abkommen auch wirklich funktionieren, ist letztlich ein kohärenter Ansatz der Bundes­regierung. Diesbezüglich gibt es durchaus Fortschritte, unter anderem die kürzlich erfolgte Einigung auf zehn Schwerpunktländer für die Fachkräfteanwerbung, deren Auswahl auch die Potentialanalyse der BA zugrunde liegt. Durch die Einberufung regelmäßiger ressortübergreifender Runden zur Vorbereitung der Verhandlung von Migrationsabkommen leistet der Sonder­bevollmächtigte zudem einen wichtigen Beitrag zur besseren Abstimmung unter den Ministerien. Damit werden die grund­legend unterschiedlichen Zielvorstellungen der einzelnen Akteure aber nicht aus­geräumt. Das bei den Abkommen und dem FEG federführende BMI legt den Fokus auf Rückkehrfragen, für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Aus­wärtige Amt (AA) steht eher Anwerbung im Vordergrund. Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) engagiert sich in der Anwerbung von Gesundheits- und Pflege­personal, während sich das BMWK bisher nur zurückhaltend einbringt. Das BMZ wie­derum setzt auf die Entwicklungswirkung regulärer Arbeitsmigration und möchte Brain Drain verhindern. Die sich hieraus ergebenden divergierenden Interessen hin­sichtlich der Inhalte von Migra­tionspartner­schaften müssen mit Blick auf die Texte der Vereinbarungen in einen für alle beteiligten Ministerien akzeptablen Ausgleich ge­bracht werden. Eine Gefahr, die hiermit einhergeht, ist ein allzu statisches Verständ­nis von Migrationsabkommen als Dokumente, in denen ressortspezifische Prioritä­ten und Positionen auf Dauer festgeschrieben werden. Zielführender wäre es, die Ab­kommen als Ausgangspunkt einer dyna­mischen, kontinuierlich an praktischen Erfordernissen anzupassenden Ko­operation zu verstehen, die Raum für sich verändernde Interessenlagen und für ein verstärktes Engagement von Unternehmen im Bereich Anwerbung bietet. Gelingt dies nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Res­sorts ihre jeweiligen Ziele im Rahmen von Paral­lelprozessen verfolgen, was zu inhalt­lichen Widersprüchen und Ineffizienzen führen kann.

Das letzte Jahr der laufenden Legislaturperiode bietet eine Gelegenheit, eine vor­läufige Bilanz der deutschen Bemühungen um verstärkte Migrationskooperation zu ziehen. Trotz der Fortschritte in Form kon­kreter bilateraler Abkommen bleibt die Frage ungeklärt, in welchem Ministerium die Hauptzuständigkeit für diesen Aufgaben­bereich am besten angesiedelt werden sollte. Sofern sie nicht beim BMI verbleibt, kommen alternativ das AA und das Kanzler­amt in Frage. Für das Auswärtige Amt spricht nicht nur die notwendige Einbindung der Auslandsvertretungen und ins­besondere der Konsulate, sondern auch die Tatsache, dass seit Mitte 2024 die AA-Struk­turen im Bereich Fachkräftegewinnung deutlich ausgebaut wurden – in Form eines eigen­ständigen Referats und zusätz­licher personeller Kapazitäten durch Um­strukturierungen. Für das Kanzleramt wiederum spricht die direktere Durchsetzbarkeit dort gefasster Beschlüsse gegenüber anderen Ministerien. In jedem Fall sollte das Amt des Sonderbevollmächtigten in das dann federführende Ressort verlagert und dort in der Hierarchie auf­gewertet werden. Zudem sollte der Stab des Bevollmächtigten durch eine angemessene Ressourcenausstattung in die Lage versetzt werden, nicht nur die Aushandlung neuer Abkommen zu initiieren und koordinieren, sondern auch deren Umsetzung langfristig zu begleiten. Um hierbei die Perspektive der Partner­länder und potentieller Arbeitsmigrant:in­nen besser zu berücksichtigen, sollte die diesbezügliche Expertise des BMZ systematischer in Wert gesetzt werden.

Ausblick: langfristig tragfähige Zusammenarbeit etablieren

Die umfassenden Migrationsabkommen, um die sich die Bundesregierung derzeit bemüht, sind ein Gegenentwurf sowohl zu bilateralen Verhandlungen, die sich ein­seitig auf Rückkehrförderung konzentrieren, als auch zu den Migrationsdeals auf euro­päischer Ebene, die auf die Auslagerung von Grenzkontrollen und Asylverfahren zielen. Ihr doppelter Schwerpunkt auf Rückführungen und Anwerbung bildet das Spannungsfeld ab zwischen einer auf­geheiz­ten innenpolitischen Stimmung, die sich auf Restriktion und Abwehr fokussiert, und der Zukunftsaufgabe, Arbeitsmigration nach Deutschland zu fördern. Damit bergen sie das Potential für ein zeitgemäßes Ver­ständnis der Vielschichtigkeit migrationspolitischer Herausforderungen sowie für deren konstruktive und entwicklungs­orientierte Bearbeitung gemeinsam mit den Herkunftsländern. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass migrationspolitische Verein­barungen einseitig in den Dienst restriktiver Ansinnen – wie die vielfach geforderte Auslagerung von Asylverfahren in Dritt­staaten – gestellt werden.

Grundsätzlich gilt: Für den Aufbau einer dauerhaft tragfähigen Migrationskoopera­tion reicht der erfolgreiche Abschluss eines Abkommens nicht aus; entscheidend ist, dass die Übereinkunft dauerhaft partnerschaftlich begleitet wird – aktuellen Pro­jektionen zufolge bleibt der Arbeitskräftebedarf in Deutschland über Jahrzehnte hoch. Dies wiederum erfordert neben den oben identifizierten Handlungsbedarfen in den Bereichen Interessenausgleich, Um­setzungsstrukturen und Ressortabstimmung, zweierlei:

Zum einen braucht es einen umfassenden Kulturwandel auf allen Verwaltungsebenen, im Zuge dessen Migrationskooperation als wichtiges Ziel der deutschen Politik anerkannt wird. Dies würde bedeuten, dass alle beteiligten Akteure ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um Arbeitsmigration nach Deutschland einfach und schnell zu ermöglichen.

Zum anderen müssen belastbare bilate­rale Arbeitsstrukturen etabliert werden. So kann regelmäßig überprüft werden, ob die Abkommen ihre erhoffte Wirkung erzielen, und gegebenenfalls nachgesteuert werden. Bei Bedarf könnten die Partnerländer ge­zielt durch EZ-Programme im Bereich Migrationsgovernance unterstützt werden.

Perspektivisch wäre es wünschenswert, wenn der Ansatz umfassender Migrationskooperation nicht auf einzelstaatliche Initiativen beschränkt bliebe, sondern auf die europäische Ebene übertragen würde. Ein innerhalb der EU abgestimmtes Vor­gehen würde die Verhandlungsmacht der Mitgliedstaaten gegenüber Herkunfts­ländern stärken – was nicht nur beim Thema Rückkehr zu schnelleren Er­folgen beitragen könnte, sondern vor dem Hinter­grund eines sich verschärfenden glo­balen Wettbewerbs um Arbeitskräfte gerade im Bereich Anwerbung von zunehmender Be­deutung sein wird. Hieraus ergibt sich für die nächste Europäische Kommission der Handlungsauftrag, die Instrumente der Migrationskooperation der Mitgliedstaaten mit denen der EU zusammenbringen.

Nadine Biehler, David Kipp und Dr. Anne Koch sind Wissenschaftler:innen in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dieser Beitrag wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.

Dieses Werk ist lizenziert unter CC BY 4.0

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DOI: 10.18449/2024A48