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Policy Workshop III: Afrikas Urbanisierung nachhaltig und gerecht gestalten

Megatrends Spotlight 2022 18, 08.11.2022

Rasante Urbanisierungsprozesse in Afrika stellen politische Entscheidungsträger*innen vor große Herausforderungen. Im jüngsten Megatrends Afrika-Workshop diskutierten Expert*innen, wie urbane Governance die Verstädterung nachhaltig und integrativ gestalten kann.

Nirgendwo wachsen Städte so schnell wie in Afrika. Seit 1950 ist die städtische Bevölkerung um 2.000 Prozent von 27 Millionen auf 567 Millionen im Jahr 2015 gewachsen – und ein Ende des Trends ist nicht in Sicht. Der Kontinent wächst (es wird erwartet, dass sich die Bevölkerung bis 2050 verdoppelt) und so nimmt auch die Zahl und Größe der Städte zu. In den nächsten 30 Jahren werden zusätzlich 950 Millionen Menschen dort leben. Vor allem kleinen und mittelgroßen Städten steht eine tiefgreifende Transformation bevor; eine, die sie zu urbanen Zentren und größeren Städten machen wird.

Städte nachhaltig und gerecht gestalten – aber wie?

Das schnelle Wachstum der Städte hat seinen Preis. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Urbanisierung schneller vollzieht als politische Entscheidungsträger*innen sie mit Initiativen steuern können. Schlecht verwaltete städtische Räume lassen viele Bürger*innen zurück. Das zeigen die eklatanten Ungleichheiten in vielen afrikanischen Städten wie Lagos, Kampala oder Dakar und die alltäglichen Mühen ihrer Bewohner*innen. Nur wenige profitieren von den wirtschaftlichen Möglichkeiten in den (Groß-)Städten. Die Mehrheit lebt in informellen Siedlungen, die diese Zentren umgeben. Sie haben keinen oder nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und sehen sich mit verschiedenen sozioökonomischen Herausforderungen konfrontiert.

Politische Entscheidungsträger*innen, Stadtplaner*innen und Entwicklungsakteure arbeiten daher auf eine alternative urbane Zukunft hin: eine Initiative nach der nächsten soll helfen, Städte anders zu gestalten: nachhaltig, integrativ, florierend. Oft geht es dabei um Investitionen und den Aufbau von Kapazitäten.

Doch technische Aspekte sind nur eine Seite der Medaille. Die andere ist von politischer Natur: Welche Governance-Ansätze, welche städtische Verwaltung und institutionellen Rahmenbedingungen werden gebraucht? Wer ist involviert, wer wird ausgegrenzt, sollte aber einbezogen sein? Wem gegenüber sind lokale Regierungen rechenschaftspflichtig? Während unseres Policy-Workshops am 20. Oktober gingen wir diesen Fragen mit den Urban-Governance-Expert*innen Sina Schlimmer (IFRI), Michael Roll (IDOS) und Astrid Haas nach.

Der Bau "neuer Städte" – ein umstrittener Top-down-Ansatz

Sina Schlimmer (IFRI) stellte ihre Forschungsergebnisse über den neuen städtischen Knotenpunkt Diamniadio im Senegal vor. Diamniadio ist ein Vorzeigeprojekt von Präsident Macky Sall. Hier sollte neuer städtischer Lebensraum entstehen, der das überfüllte Dakar entlastet.

Bislang blieb das Projekt hinter diesem Anspruch zurück. Damniadio fehlt es an städtischem Flair. Nur wenige Bauprojekte sind abgeschlossen, noch weniger Gebäude sind bewohnt. Urbanes Leben findet nur während der Arbeitszeiten statt. Die Menschen pendeln in die neue Stadt, leben aber weiterhin in Dakar. Die Hauptstadt wird zum "Schlafzimmer der in Diamniadio arbeitenden Bürger", so Schlimmer.

Diamniadio ist Teil eines größeren Trends. Auch in Tansania, Ghana, Nigeria und Kenia entstehen neue Städte. Der künstliche Aufbau im top-down Verfahren ist unter Wissenschaftler*innen umstritten.

Schlimmer stellte fest, dass die Akteure der Zivilgesellschaft praktisch vom Planungs- und Umsetzungsprozess ausgeschlossen waren. "Damniadio ist der politische und territoriale Fußabdruck von Macky Sall." Er habe neue Institutionen geschaffen, um die Macht von der lokalen auf die präsidiale Ebene zu verlagern, insbesondere bei der Landvergabe. Infolgedessen hätten sich die sozialen Spannungen verschärft. In der Verwaltung entstanden Grauzonen, während sich die Stadtbewohner*innen nur begrenzt in die Planungen einbringen konnten.

Lagos – zwischen urbanem Ideal und sozialer Realität

Michael Roll ging in seinem Vortrag auf städtische Reformen ein, die seit 1999 in Lagos stattfanden. Um die Jahrtausendwende war die nigerianische Metropole ein Handelszentrum, dem der Verfall drohte. Große Infrastrukturprojekte sollten die Stadt wiederbeleben. Der Bau neuer Autobahnen und Brücken wurde von Reformen in der Stadtverwaltung begleitet. Die Abfallentsorgung wurde neu organisiert, das Steuersystem umgestellt.

Diese Reformen kamen aber meist nur einer Minderheit der Stadtbewohner*innen zu Gute. Die meisten Bürger*innen blieben von ihnen unberührt oder litten sogar darunter. Bei weiten Teilen der Bevölkerung setzte sich das Gefühl durch, von der städtischen Verwaltung vernachlässigt zu werden. Das hat sich negativ auf die politische Beteiligung ausgewirkt: heute ist die Wahlbeteiligung in Lagos extrem niedrig. Diejenigen, die in informellen Siedlungen leben, sind vom politischen System ausgeschlossen. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Interessen zu artikulieren. Da auf ihre Belange oft nicht eingegangen wird, gehen die Menschen auf die Straße. Die Regierung reagiert darauf meistens mit Gewalt – so gesehen etwa im Fall der #EndSARS-Proteste.

Laut Roll könnten folgende Faktoren zu einer Verbesserung beitragen: (1) eine aufgeschlossene und empathische politische Eliten, die Teil lokaler Netzwerke sind und im Idealfall in sozialen Bewegungen aktiv waren; (2) eine Vision von der Stadt, die auf ihrem einzigartigen Leben und ihrer Kultur basiert; und (3) starke soziale Bewegungen, die für Veränderungen eintreten.

Finanzierung: es gibt kein Patentrezept

Schließlich wäre da noch die Frage der Finanzierung, die Stadtökonomin Astrid Haas zufolge ist eine zentrale Herausforderung ist. Es sei nicht leicht, eigene Einnahmen zu generieren, um damit eine nachhaltige Urbanisierung zu finanzieren. "Es gibt kein Patentrezept", so Haas. Verwaltungsreformen könnten ein konsequenter erster Schritt sein, um die Kreditwürdigkeit der Städte zu verbessern. Diese erwirkten oft schnelleren Wandel als viel komplexere politische Reformen, die eine Reihe verschiedener Akteure auf den verschiedenen Regierungsebenen einbeziehen.

Darüber hinaus geht es politische Entscheidungsträger*innen und Entwicklungsakteure vor allem um bankfähige (Englisch: „bankable“) Projekte. Haas wies auf zwei Probleme mit diesem Ansatz hin: (1) nicht alle Projekte erfüllen dieses Kriterium, insbesondere wenn es um die Bereitstellung von Dienstleistungen geht, die öffentliche Mittel benötigen; und (2) einzelne profitable Projekt könnten das Blatt für eine Stadt nicht wenden. Vielmehr benötigen sie eine transformative Projektpipeline sowie kontinuierliche Finanzmittel, die Projekte von der Planung bis zur Instandhaltung begleiten.

Die Debatte konzentriere sich ausschließlich auf große Metropolen wie Lagos und Kampala, betonte Haas. Die am schnellsten wachsenden städtischen Gebiete in Afrika aber seien kleine und mittlere Städte, so genannte Sekundärstädte. Gerade sie brauchen nachhaltige Investitionen, damit sie nicht vor den gleichen Herausforderungen stehen werden wie ihre größeren Schwestern.

Welche Wege gibt es hin zu einer integrativen städtischen Verwaltung in Afrika?

Schnell wachsende Städte gehen mit negativen Folgen einher. Für sie gibt es keine einfachen Lösungen. Alle Teilnehmer*innen waren sich einig, dass die derzeitigen Initiativen den Bedürfnissen der Bürger*innen und der betroffenen Gemeinden oft nicht gerecht werden.

Geber müssen sektorübergreifend arbeiten, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Anstatt einfach nur etwas Neues zu schaffen, sollten die Beteiligten Projekte – insbesondere, wenn es um große Bauprojekte geht – in die bestehende Landschaft und Umgebung einer Stadt integrieren. Es muss vermieden werden, dass Geisterstädte neben dicht besiedelten Metropolen entstehen.

Zu diesem Zweck sprachen unsere Diskussionsteilnehmer*innen drei Empfehlungen aus: (1) Regierungen sollten sowohl die Zivilgesellschaft als auch den Privatsektor in die Stadtplanung einbeziehen; (2) Verwaltungskapazitäten sollten gestärkt werden und (3) Projektzyklen sollten dem Zeithorizont der Stadtplanung entsprechen und sich stärker an den langfristigen Haushaltsbedarf der Städte anpassen.