Die EU hat ihren seit 2005 bestehenden Aktionsplan mit Israel bis 2025 verlängert. Dies erlaubt auch neue Prioritäten zu verhandeln. Dabei sollten die Umsetzung liberal-demokratischer Werte und friedliche Konfliktbearbeitung im Mittelpunkt stehen, meinen Muriel Asseburg und Nimrod Goren.
Das stärkste Band, das Europa und Israel verbindet, ist »unser Glaube an die Demokratie und an die demokratischen Werte«, so die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede an der Ben-Gurion-Universität in Israel am 14. Juni 2022. »Heute, mehr als je zuvor, sollten Demokratien wie Europa und Israel enger zusammenrücken«, um Gefahren wie dem schleichenden Demokratieabbau zu begegnen.
In der Tat war im vergangenen Jahrzehnt ein weltweiter Trend des »democratic backsliding«, also der Erosion liberal-demokratischer Institutionen und Prinzipien, zu beobachten. Dieser Trend hat auch Europa und Israel nicht verschont: In Ländern wie Polen und Ungarn werden die Unabhängigkeit der Justiz und liberal-demokratische Werte in Frage gestellt. Auch in anderen Ländern Europas greifen völkische Diskurse um sich; die Geschichtsschreibung wird zunehmend im Dienste neudefinierter Identitäts- und Souveränitätsansprüche politisiert. Dies hat auch Spaltungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten befördert und die Beziehungen zwischen Israel und Europa belastet – unter anderem dadurch, dass der ehemalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu während seiner Amtszeit Allianzen mit illiberalen europäischen Kräften wie seinem ungarischen Amtskollegen Victor Orban geschmiedet hat.
Die Gefahr eines weiteren Abbaus liberal-demokratischer Institutionen ist keineswegs gebannt: In Israel steht im November die Parlamentswahl an. Sie könnte durchaus eine von der Rechten dominierte Koalition an die Macht bringen, die Elemente der extremen Rechten umfasst. In Europa dürften der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland massive sozioökonomische Auswirkungen haben – und womöglich soziale Unruhen schüren sowie populistischen Kräften Auftrieb verleihen.
Die europäische und israelische Zivilgesellschaft und Politik sollten daher gemeinsam gegen demokratische Rückschritte vorgehen, indem sie systematisch die liberale Demokratie stärken. Das heißt einerseits, dass Europäerinnen und Europäer Position beziehen, wenn eine israelische Regierung Gesetzesvorlagen einbringt, um etwa die Meinungsfreiheit oder die Normenkontrolle des Obersten Gerichts einzuschränken. Auf der anderen Seite sollten Israelis über eine rein pragmatische und transaktionale Außenpolitik hinausgehen und ihr Interesse an der Stärkung der liberalen Demokratie in Europa betonen, anstatt sich mit illiberalen Kräften zu verbünden.
In Israel stehen von Seiten der Rechten vor allem jene Nichtregierungsorganisationen unter Druck, die sich für eine solidarische Gesellschaft, israelisch-palästinensischen Frieden und die Menschenrechte einsetzen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten diese Organisationen nicht nur finanziell unterstützen, sondern sich auch politisch hinter sie stellen. Zudem sollten sich europäische Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Israel gezielt mit Amtskollegen treffen, die sich für liberal-demokratische Werte einsetzen. Gleichzeitig sollten progressive Israelis pro-demokratische Akteure in Europa unterstützen, die sich unter anderem gegen illiberale Tendenzen und populistische Politik einsetzen.
Dazu gehört auch, sich gegenüber Politik und Öffentlichkeit dafür einzusetzen, in Europa den Raum für vielstimmige und konstruktive Debatten über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu erhalten. Denn ohne eine Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts und ohne Gleichstellung zwischen den jüdischen und palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern Israels wird Israel weiterhin unter einem Demokratiedefizit leiden. Auch wenn die Hürden auf dem Weg zu einer Zweistaatenregelung immer höher werden und andere Themen auf die europäische Agenda drängen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten den Wechselbeziehungen zwischen Demokratie, Konfliktregelung und gesellschaftlichem Miteinander in Israel Rechnung tragen und ihr Engagement für eine friedliche Konfliktbearbeitung verstärken.
In diesem Zusammenhang gilt es auch, das Potenzial der Abraham-Abkommen zwischen Israel und arabischen Staaten für konstruktive Schritte auf dem Weg zu einem Frieden in Nahost auszuloten sowie dessen negative Auswirkungen auf die israelisch-palästinensische Arena abzumildern. Ein europäischer Ansatz könnte darin bestehen, sich für eine Aussöhnung zwischen der palästinensischen und der emiratischen Führung einzusetzen, die Voraussetzung für ein konstruktives, gemeinsames Vorgehen ist. Gelingt dies, könnte die EU Arbeitsgruppen initiieren, in denen die arabischen Staaten, Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde über konkrete Kooperationsmöglichkeiten sprechen, von denen alle Beteiligten profitieren.
Im März 2022 hat die EU beschlossen, ihren Aktionsplan mit Israel um weitere drei Jahre zu verlängern. Damit will sie den Vertragsparteien auch die Gelegenheit geben, »ihre Zusammenarbeit in den kommenden Jahren weiter voranzubringen, einschließlich im Rahmen einer möglichen Verhandlung von Prioritäten der Partnerschaft«. Die Gespräche über solche Prioritäten sollten genutzt werden, um die Zusammenarbeit bei der Umsetzung liberal-demokratischer Werte und friedlicher Konfliktbearbeitung in den Fokus einer neuen Agenda für die bilateralen Beziehungen zu rücken.
Das impliziert auch, dass die Beziehungen nicht durch Sicherheitsfragen dominiert werden. Zwar dürfte der Krieg in der Ukraine zu einem Ausbau der israelisch-europäischen Sicherheitszusammenarbeit führen. Dies sollte aber in einer Art und Weise geschehen, die liberal-demokratische Werte nicht gefährdet. Zudem sollte die zivile Kooperation, etwa in den Bereichen Wissenschaft, Bildung, Umwelt oder Kultur, im Vordergrund stehen. Dabei gilt es auch sicherzustellen, dass die hierfür bereitgestellten europäischen Gelder nicht in die Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten fließen.
Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Nimrod Goren ist Gründer und Präsident von Mitvim – The Israeli Institute for Regional Foreign Policies. In einer gemeinsamen Studie analysieren Muriel Asseburg, Ehud Eiran, Toby Greene, Nimrod Goren, Kai-Olaf Lang, Eyal Ronen und Stephan Stetter die Entwicklungen im Detail und arbeiten Politikempfehlungen aus.
Challenges for Israel, the EU and Israel-Europe Relations
Während die Neuwahlen in Israel mitunter als gelebte Demokratie gefeiert werden, sind sie tatsächlich das Gegenteil: Ein Ausdruck der Instabilität des politischen Systems. Dahinter steht ein Abwehrkampf gegen eine fundamentale Transformation des Landes, meint Peter Lintl.
Eine konfliktträchtige neue regionale Ordnung gewinnt Kontur
doi:10.18449/2021A50
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben ihre Beziehungen zu Israel offiziell normalisiert. Erfährt damit auch das Besatzungsregime Israels eine Normalisierung oder ergibt sich sogar die Chance, ein neues Kapitel im Dialog über den Frieden aufzuschlagen? Nana Brink diskutiert diese Fragen mit Muriel Asseburg, Peter Lintl und Guido Steinberg.
Europeans, Israel and Israeli-Palestinian Peacemaking