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Erdoğan als Bauherr in Nordzypern

Sein Besuch in der »Türkischen Republik Nordzypern« zementiert die Wende in der türkischen Zypernpolitik und verstärkt die Isolation Ankaras

SWP-Aktuell 2021/A 53, 02.08.2021, 4 Pages

doi:10.18449/2021A53

Research Areas

Vor seiner Reise in den türkisch besetzten Norden der Insel am 20. Juli 2021 kündigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine »frohe Botschaft« für die nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern (TRNZ) an. Spekula­tio­nen schossen ins Kraut, der Präsident werde zum 47. Jahrestag der türkischen Invasion verkünden, Aserbaidschan, Pakistan oder Kirgistan stünden bereit, diplomatische Beziehungen mit der TRNZ aufzunehmen. Doch Erdoğan gab lediglich den Bau eines pompösen Präsidentenpalastes bekannt, der einem künftigen, unabhängigen »Zyperntürkischen Staat« angemessen sein soll. Noch schreckt der türkische Präsident also davor zurück, seinen Worten von der internationalen Anerkennung der TRNZ Taten folgen zu lassen. Doch der Besuch zeigt, dass Ankara auf die endgültige Teilung der Insel hinarbeitet – und außerdem, dass in Nordzypern einzig und allein Erdoğan das Sagen hat.

Seit am 18. Oktober 2020 der national-konservative »Ministerpräsident« der TRNZ Ersin Tatar die Wahl zum »Staatspräsidenten« gewonnen hat, hat sich die Türkei vom Ziel der Wiedervereinigung der beiden Inselhälften in einer bikommunalen und bizonalen Föderation verabschiedet. Unter Anleitung des türkischen Präsidenten hat Tatar erklärt, nur die internationale An­erkennung der TRNZ und eine Zwei-Staaten-Lösung könne zu einer friedlichen Einigung auf Zypern führen. Tatar rühmt sich der Unterstützung Erdoğans und sagt, er sei stolz darauf, der Mann der Türkei im Nor­den Zyperns zu sein.

In Ankara hat sich in der Regierung – aber auch in Teilen der säkularen Opposi­tion – erneut die Sichtweise durchgesetzt, dass Zypern primär unter sicherheitspoli­tischen Gesichtspunkten betrachtet werden müsse. Für Erdoğans inoffiziellen Koalitions­partner Devlet Bahçeli, Vorsitzender der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), sind die türkischen Truppen auf Zypern nicht nur ein wesentlicher Beitrag für die nationale Sicherheit Anatoliens, sondern auch unverzichtbares Element der weit ausgreifenden Strategie der Türkei für die Region.

Marginalisierung der türkischen Zyprioten

Wo es – aus Sicht Ankaras – um so exis­tentielle Interessen der Türkei geht, kann das Heft des Handelns nicht den türkischen Zyprioten überlassen werden. Dabei pos­tu­liert Ankara stets, die Zyperntürken seien souverän und die Türkei ver­trete ausschließ­lich deren Rechte. Zwar ist die TRNZ seit ihrer Grün­dung 1983 wirtschaftlich ab­hängig von der Türkei, und sicherheitspolitisch bestimmt das türkische Militär die Dinge. Doch schreckte Ankara bisher davor zurück, seine Ziele brachial gegen die Zypern­türken durchzusetzen. Dies hat sich 2020 im Vorfeld der Wahl geändert, die der türkische Wunschkandidat Ersin Tatar gewonnen hat.

Zur Wahl selbst sagte Mustafa Akıncı, der auf eine Föderation ausgerichtete Vor­gänger Tatars im Amt des Staatspräsidenten, noch nie habe es eine solch konzertierte Aktion des türkischen Geheimdienstes, des Militärs sowie der Diplomaten und Politiker Ankaras gegeben. Des Weiteren sei noch nie so mit Druck und offenen Drohungen vorgegangen und niemals zuvor seien in solchem Umfang finanzielle Mittel eingesetzt worden. Akıncı trat erneut zur Wahl an, obwohl ihm und seiner Fami­lie mit ernst­haften Kon­sequenzen gedroht wurde, Mit­arbeiter ohne sein Wissen in die türki­sche Botschaft in Nikosia und nach Ankara zitiert wurden und er als Agent der USA und der Republik Zypern verunglimpft wurde.

Der türkische Geheimdienst übte auch Druck auf Gegenkandidaten Tatars aus, die dem rechten Lager angehören. Dies erklärte einer von ihnen am 4. September 2020 öffent­lich: Sertaç Denktaş, der Sohn des Grün­dungspräsidenten der TRNZ.

All dies waren Gründe dafür, dass die linksliberale Opposition der Rede Erdoğans im Parlament der TRNZ fernblieb. Tatar beschuldigte sie daraufhin des Vaterlands­verrats, was zeigt, dass das autoritäre poli­tische Klima der Türkei nun ebenso im Norden Zyperns um sich greift.

Vollmundige Ankündigung

Wie ein Vater seinen Kindern hatte Erdoğan vor seiner Zypernreise der türki­schen Öffentlichkeit gute Nachrichten angekündigt, und die Presse hatte die Erwartungen tüchtig in die Höhe getrieben. Nicht nur von der diplomatischen An­erkennung der TRNZ war die Rede, sondern auch von einem großen Infrastruktur­programm. Die TRNZ werde durch den »Zyperntürkischen Staat« ersetzt, der eine neue Verfassung sowie ein Präsidialsystem nach dem Muster der Türkei erhalte. Nicht zuletzt werde das ehemalige touristische Zentrum Varosha (türkisch Maraş) bei Famagusta im türkisch besetzten Norden der Insel für Investoren zugänglich gemacht. Die Region ist griechi­sches Eigen­tum und seit der türkischen Invasion 1974 gesperrt. Zwei Resolutionen der Ver­einten Nationen (VN) fordern die Rückgabe des Gebiets an seine ursprüng­lichen Besitzer.

Erdoğan reiste mit zwei Flugzeugen und großem Gefolge nach Zypern, gleich einem siegreichen Feldherrn. Ihn begleiteten unter anderem der MHP-Vorsitzende Bahçeli, acht Minister, der Generalstabschef und die Kom­mandeure aller Waffengattungen. West­liche Politiker, die Ankara aufforderten, sich an den international vereinbarten Rahmen für die Lösung des Zypernkonflikts zu halten und VN-Resolutionen zu beachten, bekamen eine harsche Antwort. EU-Kom­mis­sions­präsidentin Ursula von der Leyen hatte die Position der EU bekräftigt, näm­lich dass diese niemals eine Zwei-Staaten-Lösung auf Zypern anerkennen werde. Erdoğan wies sie mit den Worten zurecht: »Hast Du je gehört, dass Erdoğan sich seine Rede vorschreiben lässt?« Warnungen des EU-Außen­beauf­trag­ten Josep Borrell und US-amerika­ni­scher Senatoren beider Parteien schlug Erdoğan ebenfalls in den Wind.

Ankaras Salamitaktik

Vor dieser Kulisse nimmt sich die »frohe Botschaft«, die Erdoğan schließlich im Parlament der TRNZ verkündete, bescheiden aus. Der neue Staat ist nicht ausgerufen worden, das Präsidialsystem wird nicht sofort eingeführt, doch wird schon einmal ein Präsidentenpalast gebaut, ein nationaler Freizeitpark angelegt, und das Parlament erhält ein neues, größeres Gebäude. Die säku­lare und nationalistische Opposition in der Türkei, die seit jeher Zugeständnisse in der Zypernfrage ablehnt, verhehlt ihre Ent­täuschung nicht. Ihre Presse ruft nach kon­kre­ten Schrit­ten zur Anerkennung der TRNZ durch befreundete Staaten. Die aktuelle Ausein­andersetzung um Erdgas­vorkommen im öst­lichen Mittelmeer habe die strategische Bedeutung Zyperns für die Türkei aber­mals deutlich gemacht.

Einen ganz anderen Ton schlägt die Regierungspresse der Türkei an. Sie präsen­tiert die Bauvorhaben als Zeichen der Ent­schlossenheit und als »Symbole für den Aufbau des Zyperntürkischen Staates«. Wie im Inneren verfolge Erdoğan auch in der Außenpolitik eine Politik der kleinen Schritte. Geduldig lege er Stein auf Stein, und die Frage sei nicht ob, sondern nur wann der neue Staat gegründet werde.

Zur Anwendung kommt diese Taktik in Varosha, dem bereits genannten ehemaligen touristischen Zentrum Famagustas. Im Juli 2019 gab Tatar, damals Ministerpräsident der TRNZ, bekannt, seine Regierung bereite die Öffnung des gesperrten Areals vor. Unter zyperntürkischer Verwaltung würde den zyperngriechischen Besitzern der Immobilien die erneute wirtschaftliche Nutzung ermöglicht bzw. eine Entschädigung gezahlt. Gut ein Jahr später, im Okto­ber 2020, ließ Tatar anlässlich eines Besuchs Erdoğans auf der Insel erstmals die Pforten des Sperrgebiets öffnen und lud die zypern­türkische Bevölkerung zur Begehung ein.

Der nächste Schritt ist während Erdoğans Besuch im Juli 2021 erfolgt. Für Immobilien, die zusammen nur 3,5 Prozent des Territoriums ausmachen, sollen die frühe­ren Eigentümer jetzt Anträge stellen kön­nen, um die Gebäude unter türkischer Verwaltung wieder in Besitz zu nehmen oder eine Entschädigung zu erhalten.

Internationale Reaktionen

In Washington bezeichnete US-Außen­minister Antony Blinken Erdoğans Vor­gehensweise als »provokativ, nicht akzep­tabel und im Widerspruch stehend zur Selbstverpflich­tung der Türkei zu konstruktivem Vorgehen in den Verhandlungen«. Groß­britannien – neben Griechenland und der Türkei einer der drei Garantiestaaten für die 1960 gegründete Republik Zypern – hat festgestellt, das türkische Vorgehen verletze VN-Resolutionen, und Konsultationen im Sicherheitsrat angekündigt. Frank­reich und Israel, Kairo und Moskau äußer­ten sich ähnlich.

Der VN-Sicherheitsrat »verurteilt« in einer Erklärung seines Präsidenten vom 23. Juli »die Bekanntmachung des türki­schen Präsidenten und des Führers der türkischen Zyprioten vom 20. Juli 2021 über die Öff­nung eines Teilgebiets des gesperrten Areals von Varosha«. Er fordert die Rücknahme der Maßnahme und unter­streicht, dass er sich für eine bikommu­nale und bizonale Föderation auf Zypern einsetzt.

Türkische Pfadabhängigkeit und die Signifikanz europäischer Politik

In der Türkei heißt es bisweilen, Zypern sei das Feld, auf dem die Außenpolitik ihren bislang größten Erfolg verbuchen konnte. Schließlich hat Ankara es vermocht, die international unisono verurteilte Besetzung des Inselnordens seit nun fast fünf Jahr­zehnten aufrechtzuerhalten, ohne dafür nennenswerte Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Im Kalten Krieg waren die relativ starke Präsenz kommunistischer Bewegungen in Griechenland und auf Zypern, die britischen Militärbasen auf der Insel sowie die zentrale Rolle der Türkei für die Nato Gründe dafür, dass Ankara in Sachen Zypern nur geringem internationalen Druck aus­gesetzt war.

1975 gründete Ankara den sogenannten Türkisch Födera­tiven Staat auf Zypern (Kıbrıs Türk Federe Devleti), der 1983 von der TRNZ abgelöst worden ist. Auf diesem Weg hat die Türkei die Eigenstaatlichkeit der Zypern­türken behutsam, aber sukzessive voran­getrieben. Doch abweichend von der in der Türkei gepfleg­ten Rhetorik hat Ankara niemals ernsthaft versucht, befreundete Staaten zur diplomatischen Anerkennung der TRNZ zu bewegen. Ankara folgte stets dem Credo von Rauf Denktaş, dem Grün­dungspräsidenten der TRNZ, wonach die Lösung des Problems für die Türkei darin liegt, den Schwebezustand zwischen dem Völkerrecht und der faktischen Situation fortbestehen zu lassen.

Im Grunde ist es für Ankara ein denkbar schlechter Moment, die Lage auf Zypern weiter zu eskalieren. Anders als noch vor wenigen Jahren ist die Türkei in der Region heute weitgehend isoliert. Unter Präsident Joe Biden betreiben die USA Ankara gegen­über eine weit prinzipienfestere Politik als unter Donald Trump, und die Zusammen­arbeit der Türkei mit Moskau stößt an ihre Grenzen.

Dass es bei Erdoğans Besuch auf Zypern nicht zur Gründung des neuen Staates gekommen ist und Erdoğan andere Staaten nicht aufgefordert hat, die TRNZ anzuerkennen, aber auch, dass nur ein kleiner Teil Varoshas unter zyperntürkische Verwaltung genommen worden ist – all das ist zweifellos der international einhelligen Ab­lehnung der neuen Zypernpolitik Ankaras geschuldet.

Als Tatar im Juli 2019 erstmals die Öff­nung Varoshas ins Gespräch brachte und in den Monaten vor seiner Wahl zum Staats­präsidenten im Oktober 2020 die Orientierung auf die Zwei-Staaten-Lösung bekannt gab, befand sich Ankara im östlichen Mittel­meer noch auf klarem Konfrontations­kurs. Joe Biden war noch nicht gewählt, und Washington und Brüssel sprachen noch nicht von einer gemeinsamen Strategie gegenüber Ankara. Damals wurde die neue Zypernpolitik aufs Gleis gesetzt und in der Türkei wie in der TRNZ Erwartungen geschürt, die heute nicht zu erfüllen sind.

Die internationale Ablehnung allein wird Ankara jedoch nicht davon abhalten, seine Salamitaktik fortzuführen und dafür zu sorgen, dass Schritt für Schritt ganz Varosha unter türkische Verwaltung fällt, in türkischen Besitz genommen wird und sich auf diese Weise die türkische Eigenstaatlichkeit auf der Insel weiter verfestigt. Erdoğan selbst bezeichnet dies als Ziel seiner Politik.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich darüber im Klaren sein, dass Ankaras Vorgehen in der Zypernpolitik nicht da­durch motiviert ist, die Interessen der türki­schen Zyprioten zu verteidigen, sondern Teil seiner expansiven Strategie im öst­lichen Mittelmeer ist. Zwar kann die Türkei ihre Ziele aktuell nicht weiterverfolgen, weil sie isoliert ist; doch hält Ankara unver­mindert an ihnen fest und wird seine ex­pan­sive Politik wieder aufnehmen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.

Der Europäische Rat hat in seinen letzten Entschließungen Deeskalation im östlichen Mittelmeer zur Voraussetzung dafür ge­macht, enger mit der Türkei zu kooperieren. Die vorgesehene positive Agenda kann nicht umgesetzt werden, wenn Ankara den Zypern­konflikt anheizt.

In der griechisch dominierten Republik Zypern hat aufgrund des türkischen Vor­gehens in den letzten Monaten ein Um­den­ken begonnen. Nikosia scheint heute eher bereit, in einem föderativen Staat die Macht mit den türkischen Zyprioten zu teilen. Auch hier kann Brüssel seinen Einfluss gel­tend machen.

Dr. Günter Seufert ist Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS).

Das Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) wird gefördert durch die Stiftung Mercator und das Auswärtige Amt.

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