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Die Wasserstoffagenden der arabischen Golfstaaten

Zwischen ökonomischer Diversifizierung und Machterhalt

SWP-Aktuell 2022/A 43, 11.07.2022, 8 Pages

doi:10.18449/2022A43

Research Areas

Mit ambitionierten Plänen brechen die Staaten des Golf-Kooperationsrats auf in die Wasserstoffzukunft. Insbesondere Saudi-Arabien, Oman und die Vereinigten Arabi­schen Emirate (VAE) verfolgen ehrgeizige Vorhaben, die Europa und Asien-Pazifik mit Wasser­stoff versorgen sollen. Zahlreiche Absichtserklärungen wurden abgeschlossen, erste Großprojekte auf den Weg gebracht. Für die Golfstaaten geht es nicht nur um Diver­sifizierung, sondern vor allem darum, bestehende Wirtschafts- und Machtstruktu­ren aufrechtzuerhalten. Dies wäre möglich, da sich die Wasserstoffwirtschaft in den vorhandenen institutionellen und fiskalischen Rahmen der Petroleumindustrie ein­fügt. Gleichzeitig ist sie eine wirksame Möglichkeit, den Klimaschutz international voran­zu­tragen, birgt für Deutschland und Europa jedoch Zielkonflikte und offene Fragen.

Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar, die VAE und Oman (im Folgenden Golfstaaten) beheimaten rund ein Drittel der globalen Erdölreserven und etwa ein Fünftel der Welt­erdgas­reserven. Nun haben die Golf­staaten umfangreiche Pläne für eine Wasser­stoff­wirtschaft vorgelegt. Während hohe Solar­erträge und reichlich Fläche exzellente Be­dingungen für die Produktion von grü­nem Wasser­stoff aus erneuerbarem Strom dar­stellen, bieten Ressourcen und Geologie Anknüpfungspunkte für blauen Wasserstoff, der aus Erdgas unter CO2-Abscheidung gewon­nen wird. Eine üppige Finan­zierung, direkte Entscheidungswege sowie die vor­handene Infrastruktur prädestinieren die Golfstaaten als First Mover in Sachen Wasser­stoff. Jedoch geht es für sie um mehr als bloße Diversifizierung: nämlich darum, Wirtschafts- und Machtstrukturen auch in einer dekarbonisierten Welt zu erhalten.

Wasserstoffpolitik in den arabischen Golfstaaten

Saudi-Arabiens Minister für Energie, Abdulaziz bin Salman al-Saud, verkündete im Oktober 2021 das Ziel, zum weltgrößten Wasserstoffproduzenten zu werden. Eine formalisierte Wasserstoffstrategie existiert nicht; allerdings orientiert sich die Wasser­stoffpolitik des Landes grundsätzlich an der 2016 veröffentlichten Vision 2030, die eine holistische Transformation Saudi-Arabiens vorsieht und als zentrales Projekt des Kron­prinzen Mohammed bin Salman (MBS) gilt. Zwar geht auch sie nicht explizit auf Wasser­stoff ein, nennt aber als strategische Ziele, Wertschöpfung und Exporte abseits des Öls signifikant zu erhöhen sowie erneuerbare Energien und die Erdgasindustrie auszubauen. Auch das Konzept der Circular Car­bon Economy, von saudischen Akteuren mitentwickelt und während der G20-Präsi­dentschaft des Königreichs von der Gruppe angenommen, bietet einen Anknüpfungs­punkt, insbesondere für blauen Wasserstoff. Im Rahmen der vier Rs – Reduce, Reuse, Recyle, Remove – setzt das Konzept neben Energieeffizienz, CO2-neutraler Strom­erzeugung und natürlicher CO2-Reduktion vor allem auf den umfangreichen Einsatz von CO2-Abscheidung. Das abgeschiedene CO2 findet Anwendung als produktiver Input in der Industrie (falls eine Nachfrage geschaffen werden kann) oder für die ter­tiäre Ölgewinnung durch Injektion in Öl­lagerstätten (sogenanntes CO2-Fluten).

Die omanische Vision 2040 spricht eben­falls nicht explizit von Wasserstoff, sondern fordert allgemein die »Diversifizierung von Energiequellen«. Die im Februar 2020 ange­kündigte natio­nale Wasserstoffstrategie wird zeitnah erwartet. Federführend daran beteiligt ist EJAAD, eine Kollaborationsplatt­form zwischen Ölministerium, For­schungs­ministerium und dem staatlichen Ölkonzern. Im August 2021 wurde die »Hy-Fly Alliance« gegründet, die Behörden, den Öl- und Gas­sektor, Bildungs- und Forschungs­einrich­tungen sowie die Häfen Sohar und Duqm in einer gemeinsamen Plattform zusammenbringt. Zugleich wurden in mehreren Minis­terien Referate für Wasserstoff eingerichtet, überdies ein staatlicher Wasserstoffkonzern namens Hydrogen Development Oman.

Die VAE haben im November 2021 auf dem COP26-Gipfel bekannt gegeben, dass sie an einer »Hydrogen Roadmap« arbeiten, deren erklärtes Ziel laute, dass das Land beim Wasserstoff eine Führungs­rolle ein­nehmen solle. Geplant seien der Aufbau neuer Wertschöpfungsketten im Hinblick auf den Export von kohlenstoffarmem Wasser­stoff und dessen Derivaten sowie die wasserstoff­basierte Herstellung von Stahl und Kerosin. Dafür sollen ein klarer regu­la­to­rischer Rah­men mit geeig­neten Politi­ken, Standards und Zertifizierungen geschaffen werden. Veröffentlicht ist die Road­map noch nicht, allerdings haben die VAE bereits einen Anteil von 25 Pro­zent am globalen Wasser­stoff­markt als Ziel aus­gegeben. Die Wasser­stoffpläne wer­den auch in Zu­sam­menhang gesetzt mit der 2017 beschlossenen Energy Strategy 2050, der zufolge bis 2050 der Anteil sauberer Energie im Primär­energie­verbrauch auf 25 bis 50 Pro­zent er­höht wer­den soll. Die im De­zem­ber 2020 ak­tua­lisier­ten national fest­gelegten Beiträge (NDCs) der VAE bezeichnen Wasserstoff als »Energie­träger der Zukunft«.

Der Ansatz Katars steht dem diametral entgegen. Weder gibt es einen politischen Rahmen noch Ankündigungen, die inlän­dische Wasserstoffproduktion zu steigern. Stattdessen setzt Katar auf seine Posi­tion als weltführender Exporteur von Flüssig­gas (LNG) und auf Abkommen zur Herstellung von blauem Wasserstoff in den jeweiligen Zielländern. Katar baut seine Beziehungen zu Importeuren sowie Kooperationen im Was­ser­stoffsektor weiter aus, was auch seine NDCs widerspiegeln. Diese führen Wasserstoff als Mittel zur Beitragserfüllung an.

Kuwait hat bis dato noch keinen nationalen Wasserstoffplan verabschiedet, aber die regierungsnahe KFAS hat im Januar 2021 ein Whitepaper für eine Strategie vorgelegt – das mit der übergeord­neten Vision 2035 »New Kuwait« kon­gru­ent ist. Es schlägt vor, CO2-Abscheidung und erneuerbare Ener­gien zu fördern sowie Produktionsanlagen für grünen und blauen Wasserstoff aufzubauen. Ferner wird ange­raten, Wasserstoff im eige­nen Land zu nut­zen und die Zusammen­arbeit mit anderen Golfstaaten zu intensivie­ren. Obwohl das Whitepaper den Fokus auf blauen Wasser­stoff legt, scheint grüner Wasserstoff realis­tischer, da Kuwait ein Netto­importeur von Erdgas ist.

Bahrains Umgang mit Wasserstoff war bis­lang zögerlich. Zwar wurden im Novem­ber 2020 Studien zum Potenzial einer in­län­dischen Wasserstoffökonomie in Auftrag gegeben, jedoch wollte die Regierung nach eigenen Angaben deren Entwicklung nur beobachten. Erst die im Januar 2022 ver­öffentlichte Industriestrategie 2022–2026 berücksichtigt die mögliche Produktion von grünem und blauem Wasserstoff.

Schlüsselakteure in den Wasserstoff-Entwicklungsplänen

In erster Linie sind die Energieministerien dafür verantwortlich, die für den Aufbau einer Wasserstoff­ökonomie nötigen Pro­zesse zu gestalten. Die Ministerien orientie­ren sich an den nationalen Plänen und schlie­ßen federführend Kooperations­abkommen ab. In Saudi-Arabien, Oman und Katar kommt den Ministerien (bzw. den jeweiligen Ministern) auf diese Weise die zentrale Rolle in der nationalen Wasserstoffpolitik zu. Insbesondere in den VAE, aber auch in Oman wur­den in den letzten zwei Jahren zahl­reiche Allianzen und Ko­mi­tees gegründet, die koordinieren und Stra­­tegien ausarbeiten.

Andere wichtige Akteure sind die eng mit den Ministerien verbundenen nationalen Öl­konzerne: Saudi Aramco, Kuwait Petro­leum Corporation (KPC), Bahrain Petroleum Company (BAPCO), QatarEnergy (QE), Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) in den VAE und Petro­leum Devel­opment Oman (PDO). Bei ihnen handelt es sich um vertikal integrierte Unter­nehmen in öffentlicher Hand (mit der Ausnahme PDO, das zu 40 Pro­zent den internationalen Ölkonzernen Royal Dutch Shell, Total und Partex gehört, sowie einer geringen Anzahl von Aramco-Aktien in privater Hand). Zu ihren Auf­gaben gehört neben dem opera­tio­nalen Ölgeschäft auch die konkrete Ausge­staltung der Petro­leumpolitik. In diesem Rahmen wird ihnen zunehmend ein Mandat für die Um­setzung von Wasser­stoffpolitik übertragen.

Parallel dazu werden die Energie- und Wasserversorger bzw. Netzagenturen ein­ge­bunden, beispielsweise für die Versorgung mit entsalztem Wasser, gege­benen­falls auch für die Erzeugung erneuer­barer Energie. Von regionaler Bedeutung ist Saudi-Arabi­ens ACWA Power, das für Investitionen in das Strom- und Wassernetz zuständig ist.

Ein Schlüsselakteur in den Golfstaaten sind Staatsfonds. Sie verwal­ten das aus dem Petroleumgeschäft stam­mende öffentliche Vermögen durch profit­orientierte Investitio­nen, agieren jedoch ebenso als Finanzierer nationaler Entwicklungsprojekte. Dies sind der saudi-arabische Public Investment Fund (PIF, ca. 500 Mrd. US-Dollar Volumen), die Kuwait Investment Authority (ca. 700 Mrd. US-Dollar), die Qatar Investment Authority (ca. 450 Mrd. US-Dollar), der Oman Petro­leum Reserve Fund (ca. 1,3 Mrd. US-Dollar) und die Oman Investment Authority (ca. 17 Mrd. US-Dollar) sowie Mumtalakat für Bahrain (ca. 17,5 Mrd. US-Dollar). In den VAE gibt es aufgrund der föderalen, kom­plexen Herrschafts­struktur eine Vielzahl von Staatsfonds. Der Haupt­akteur im Wasser­stoff ist Mubadala, der im Gegensatz zu anderen VAE-Fonds Nach­haltigkeit und öko­nomische Diversifizierung als Ziele auf­führt.

Trotz dieser günstigen finanziellen Vor­aussetzungen haben die Golfstaaten hin­sicht­lich der Finanzierung nicht zwingend einen Wettbewerbsvorteil, denn gleichzeitig benötigen sie anderswo größere Summen: Während Energie und Fläche reichlich vor­handen sind, ist Wasser rar. Das für die Wasserstoffherstellung notwendige Süß­wasser wird mithilfe von Entsalzungs­anla­gen gewonnen. Die dafür zusätzlich auf­gewendete Energie wirkt sich mit rund einem Prozent kaum auf die Grenzkosten der Wasserstoffproduktion aus; allerdings liegen die Kosten für die Entsalzungsanlagen im Milliardenbereich und erhöhen den Kapitalbedarf der Projekte erheblich.

Ein weiterer Schlüs­sel­akteur, vor allem in Oman, sind Sonderwirtschaftszonen. Sie verfügen über ihnen eigens zuge­teiltes Land, Infrastruktur sowie Expertise im Export. Wasserstoffanlagen sollen teilweise in diesen Sonderwirtschaftszonen entstehen, sodass diese an der Planung und Ausgestaltung der Projekte beteiligt sind. In Oman sind dies Sohar, Duqm und Salalah. Saudi-Arabien plant, Neom – ein als Teil der Vision 2030 vorgesehenes, kontroverses Utopia an der Rotmeerküste – eng mit einer großskalierten Anlage für grünes Am­moniak (das als Folgeprodukt oder Trans­port­vehikel genutzt wird) zu verzahnen.

Schließlich wirken ausgewählte nationale Forschungsinstitutionen an der Wasserstofftransformation am Golf mit, ins­beson­dere die saudische Universität KAUST, der ein­fluss­reiche Think-Tank KAPSARC, die Khalifah-Universität (VAE) und die Sultan-Qaboos-Universität (Oman), und nicht zu­letzt internationale Netzwerke.

Grafik

Die der Grafik zugrunde liegenden Quellen sind aufgelistet unter https://bit.ly/SWP22A43Links.

Erste Initiativen für eine Wasserstoffwirtschaft

Ambitionierte Pläne

Saudi-Arabien hat mehrere Großprojekte im Wasserstoffsektor angekündigt und teil­weise auch schon umgesetzt. Ein Schwer­punkt ist die Rotmeerküste: Das Prestigeprojekt der saudi­schen Wasserstoff­wirt­schaft ist in der geplanten Metropole Neom (s. Grafik) beheimatet. Es kooperiert mit ACWA Power und dem US-Produzenten Air Products als exklusivem Vertriebspartner für grünes Ammoniak, hergestellt aus 4 Gigawatt (GW) Erneuer­baren. Thyssenkrupp stellt den Elektrolyseur für die Anlage bereit, die mit benutztem Trink­wasser aus Neom arbeiten soll.

An der Golfküste will Saudi-Arabien mit­hilfe von Schiefergas blauen Wasserstoff pro­duzieren. Im Oktober 2021 wurde bekannt gegeben, dass ein Großteil des Jafurah-Felds mit einem Wert von 110 Mil­liarden US-Dol­lar hierfür genutzt werden soll. In Jubail In­dustrial City wurde eine bestehende Was­ser­stoffanlage aufgerüstet für die Her­stel­lung von blauem Wasserstoff. Allein im Januar 2022 wurden acht weitere Abkommen für Wasser­stoff­projekte auf den Weg gebracht, überdies Vor­haben zur in­län­dischen Nut­zung wasser­stoffgetriebener Fahrzeuge. Sogar die Herstellung pinken Wasserstoffs aus Atom­energie wurde ins Spiel gebracht.

Oman hingegen konzentriert sich auf grüne Wasserstoffprojekte. Im Mittelpunkt steht ein Projekt der omanischen Ölinvestmentgesellschaft OQ, einer Tochtergesellschaft des kuwaitischen Staatsfonds, und des Hongkonger Unternehmens InterContinental Energy: Ab 2028 soll ein 25 GW Wind- und Solarkomplex mit Elektrolyseur gebaut werden. Über den Hafen von Duqm (s. Grafik), einem Hydrogen Valley der »Mission Inno­vation Hydrogen Valley Plat­form« der EU, soll das Projekt Europa und Asien versorgen.

Die VAE haben in Zusammenarbeit mit Siemens Energy und der einheimischen DEWA die erste Pro­duktionsanlage für grü­nen Wasserstoff im Nahen Osten, angedockt an den Al Maktoum Solar Park, errich­tet (in Betrieb seit 2021, s. Grafik). Ein Kon­sortium aus der Mubadala-Tochter Masdar, Siemens Energy, Lufthansa und anderen VAE-Part­nern soll eine weitere Anlage bauen mit Schwerpunkt auf Wasser­stoff­derivaten für den Land- und Luftverkehr. Die emiratische Helios, eine Zweck­gesell­schaft für den Aus­bau Erneuerbarer, hat im August 2021 Thyssenkrupp mit einer Mach­barkeits­studie für die Her­stel­lung von grü­nem Am­moniak in Kizad beauftragt. Im De­zember 2021 haben der französische Kon­zern Engie und Masdar eine Allianz zum Ausbau eines Hubs für grünen Wasser­stoff in den VAE gegründet.

Was den Vertrieb angeht, orientieren sich die Golfstaaten bislang vor allem an Asien-Pazifik: Nachdem Saudi Aramco im September 2020 in einem Modellversuch mit dem japanischen Institute of Energy Economics weltweit zum ersten Mal blauen Wasserstoff per Schiff geliefert hatte, wurden Absichtserklärungen mit Japans größtem Raffinerieunternehmen, Eneos Corporation, und Südkoreas Hyundai Heavy Industries unterzeichnet. Letztere bezieht sich auf die Lieferung von LNG, aus welchem in Süd­korea blauer Wasserstoff hergestellt werden soll – dies entspricht auch der offensicht­lichen Strategie Katars, das weiter auf den Ex­port von LNG setzt und hier bereits Ab­sichts­erklärungen mit Südkorea und Groß­britannien abschließen konnte.

Zudem wurden Abkommen zwischen dem saudi­schen PIF und den südkorea­ni­schen Unter­nehmen Posco und Samsung C&T über die Herstellung von grünem Wasserstoff getroffen; weiterhin planen südkoreanische Unternehmen den Bau einer Anlage für grünes Ammoniak in den VAE. Ferner will Saudi-Arabien bei blauem Was­ser­stoff inten­siver mit China koope­rieren. Schon 2018 hat die emiratische ADNOC ein Ab­kommen mit dem japanischen Wirt­schafts­ministerium und Süd­koreas GS En­ergy zu Ammoniak als Trans­portkraftstoff und zu blauem Ammoniak abgeschlossen.

Eine regional koordinierte Wasserstoffpolitik bleibt fraglich

Auch zwischen den Golfstaaten sind Kol­laborationen angedacht. Dadurch könnte benötigtes Kapital gebündelt, Synergien begünstigt und die notwendige Spezialisierung erleichtert werden. Einige aktuelle Beispiele: Das saudische Neom arbeitet für den Solar­ausbau mit der emiratischen Helios zusam­men. Bei einem Staatsbesuch des saudi­schen Kronprinzen MBS in Oman im Dezem­ber 2021 wurden Absichtserklärungen über eine verstärkte Kooperation im Bereich Wasser­stoff unterzeichnet. Das Duqm-Was­ser­stoffprojekt erhält ebenfalls finan­zi­elle Unter­stützung aus der Region – von einer Toch­ter des kuwaitischen Staatsfonds.

Bis dato waren Kooperation und Koordination unter den Golfstaaten aber unzu­ver­lässig und ambivalent. Statt komparative Vorteile zu nutzen, kam es zuletzt zwischen den Staaten zum direkten Wettbewerb im Ausbau einzelner ölferner Sektoren. Grund dafür war unter anderem die hohe Ab­hängig­keit der nationalen Entscheidungsfindungen von internationalen Berater­firmen, deren oft kurzsichtige Empfehlungen nur wenig regionale Differenzierung vor­sehen und von teils zweifelhafter Qua­lität sind. Darüber hinaus waren gemein­same Großprojekte bisher nur von mäßi­gem Erfolg gekrönt. Auch die diplomatische Eskalation zwischen Saudi-Arabien, den VAE und Katar 2017 hat die tiefen poli­ti­schen Fissuren zwischen den Staaten zu Tage treten lassen. In Anbetracht ähnlicher Zwischenfälle mit anderen Staa­ten können bei den aktuellen Machtverhält­nissen in Riyad und Abu Dhabi künftige Disruptionen nicht ausgeschlossen werden.

Gründe und Perspektiven für eine Zusammenarbeit mit Deutschland

Diversifizierung und Klimapolitik

Ökonomische Diversifizierung wird häufig als eine aktuelle Herausforderung für die Golfstaaten dargestellt, obgleich sie sich seit einem halben Jahrhundert auf deren Agen­den befindet. So nennt beispielsweise schon Saudi-Arabiens erster Entwicklungsplan für 1970–75 die »Diversifizierung der Quellen des Volkseinkommens und die Reduktion der Abhängigkeit vom Öl« als Ziel. Der Fort­schritt diesbezüglich ist jedoch gering, selbst in den als diversifiziert wahrgenomme­nen VAE. Dies steht im Gegensatz zu inter­natio­nalen Klimaschutzzielen: Nach Modellschät­zungen verlangt eine Eindämmung der Erderwärmung auf 2 °C, dass etwa die Hälfte der regio­nalen Öl- und Gasreserven nicht mehr ver­brannt wird. Dabei hatten die Golf­staa­ten bislang kaum Anreize, die Wertschöp­fung jenseits von Öl und Gas auszubauen:

Erstens finanzieren die ressourcenreichen Monarchien ihre Staatshaushalte, je nach Land, zu 60 bis 95 Prozent aus dem Petroleumsektor. Dieser bietet damit einen gewaltigen Geldfluss unter direkter Regie­rungs­kontrolle. Den nationalen Bevölkerungen wird in Form von Einkommenstransfers, Stellen im öffentlichen Sektor und öffent­licher Versorgung ein Teil der Ein­nahmen ausgezahlt. Die Königshäuser festi­gen so, durch die Wahrung von öko­nomischer (wie auch sicherheitspolitischer) Stabilität, ihre Position. Eine Abkehr vom Petroleum­sektor hin zu anderen Branchen und einem steuerfinanzierten Haushalt würde dieses Modell sowie den Zugang zu den Geldflüssen behindern. Das vorhan­dene System lässt ein enormes Trägheitsmoment entstehen, das Diver­si­fi­zie­rung und Dekarbonisierung ausbremst.

Dies erklärt jedoch zugleich, weshalb die Golf­monarchien dem Wasserstoff gegenüber auf­geschlossen sind: Eine durch den öffent­lichen Sektor entwickelte Wasserstoff­ökonomie kann Eigentums- und Machtverhältnisse aufrechterhalten – mithin würde dieses Trägheits­moment abgeschwächt.

Zweitens fehlen marktliche Anreize. Bei Preisen von 80 US-Dollar pro Fass Erdöl und 0,60 US-Dollar pro Kubikmeter Gas lagert unter dem Golf ein Vermögen von etwa 130 Billionen US-Dollar. Auf absehbare Zeit bleibt der Export von Erdöl- und Erdgasprodukten ein äußerst lukratives Geschäft. Zur Einordnung: Die Produktions­kosten eines Fasses Erdöl aus der Region betragen durch­schnittlich 10 US-Dollar, teils auch weniger. Damit liegt die Region am unteren Ende der Angebotskurve und könnte selbst bei einem Rückgang der Weltnachfrage über Dekaden noch Profite erwarten.

Der Export von Wasserstoff könnte für die Golfstaaten eine direkte Alter­native zu fos­si­len Exporten schaffen, auf bestehende Infra­struktur und Kenntnisse aufbauen und damit entsprechend die Dekarbonisierung der Exporte vorantreiben. Grüner Wasserstoff bietet den Golfstaaten langfristig eine Ab­siche­rung gegen die wirtschaftlichen und politischen Folgen internationaler Klimaschutzbestrebungen; kurz- und mittelfristig wird er hingegen kaum fossile Exporte ver­drängen können. Blauer Wasserstoff ermög­licht eine alternative Verwertung der Erd­gas­reserven und verhindert kurz- wie auch langfristig CO2-Emissionen, die sonst bei der Verbrennung des Gases anfallen würden. Der globale Klimaschutz könnte so durch Exporte von (namentlich blauem) Wasserstoff aus dem Golf profitieren.

Deutsche und europäische Klimapolitik hat bislang den Fehler gemacht, dass sie den einheimischen Verbrauch fossiler Brenn­stoffe (und uni­laterale Senkungen desselben) zum Hauptindikator für wirk­samen Klima­schutz (v)erklärt hat; zudem wurde blauer Wasserstoff in den bisherigen Plänen stief­mütterlich behandelt. Wenngleich die EU ein signifikanter Energie­importeur ist, stehen Exporteuren fossiler Brennstoffe ebenso andere Märkte offen. Effek­tiver Klimaschutz kann nur gemeinsam gelingen; das heißt, die Inter­essen von Exporteuren müssen ein­bezogen werden. Der bis­herige euro­päische Weg verkennt, dass Exporteure prag­matisch sind und teils auch am länge­ren Hebel sit­zen: Falls in den Golf­staaten Alter­nativen wie die Wasserstoffwende fehl­schlagen, bleibt ihnen der Ab­ver­kauf von Fossilen im In- und Ausland, notfalls zu Niedrigpreisen. Diversifizierung ist letzt­lich im lokalen Dis­kurs der Golf­staaten primär Mittel zum Zweck, um Wohlstand lang­fristig zu sichern.

Dieses Kalkül ist kein Geheimnis. Saudi-Arabien etwa hat es beinahe wörtlich so formuliert: Im November 2021 machte Energieminister al-Saud die für 2060 ge­plante Klimaneutralität seines Landes vom Erfolg ökonomischer Diversifizierung und Wohlstandsgewinnung abhängig. Klima­politisch bedingte Exportausfälle, so der Minister, würden nötigenfalls durch inlän­dischen Verbrauch kompensiert – mit ent­sprechendem Wachstum nationaler Emis­sionen. Ein ähnlicher Mechanismus war bereits im Iran zu sehen, wo infolge der US-Exportsanktionen der inländische Ölkonsum deutlich anstieg.

Neue Partnerschaften

Im Jahr 2021 wurde im Rahmen des Deutsch-Saudischen Energiedialogs eine gemeinsame Absichtserklärung abgeschlossen, die vor­sieht, deutsche Technologie in saudischen Wasserstoffprojekten zu nutzen und den Export von grünem Wasserstoff anzubahnen. Auch ein deutsch-saudisches Wasserstoffdiplomatiebüro wurde eröffnet. Ein ähnliches, indes vageres und weniger weit­reichendes Abkommen wurde mit den VAE vereinbart und beinhaltet die Einrich­tung einer partnerschaftlichen Task-Force für Projektfindung und Barrierenabbau.

Industriepolitisch besteht beim Modus Operandi der Golfstaaten ihrerseits vor allem Inter­esse an spezialisierten Partnerschaften für einzelne Elemente der Wert­schöpfungskette, weniger daran, Aufträge für ganze Projekte zu vergeben. Deutsche Unternehmen können hier ihre Expertise im Bau einzelner Anlagen (z. B. Elektrolyseure) einbringen, aber es wird schwierig sein, sich an anderen Stellen gegen­über spezialisierten Firmen, wie dem US-Wasser­stoff­konzern Air Products, zu behaupten.

Die deutschen Bestrebungen, Energie­importe aus Russland zu verringern, messen dem Golf eine neue Rolle zu. Die Reise von Wirtschafts- und Klimaschutz­minister Habeck in die Region im März 2022 führte zwar in Katar »nur« zu einer Absichtserklärung, in den VAE wurden jedoch vier Koope­rationsprojekte beschlossen mit dem Ziel, Wasserstoff herzustellen und nach Deutsch­land zu transportieren. Diese vier Projekte verwenden jeweils unterschied­liche Tech­no­logien und sind wichtige Testläufe, um offene Fragen zu klären. Überraschend ist, dass in beiden Fällen erstmals und entgegen bisheriger Pläne nebst grünem auch blauer Wasserstoff Teil der Abkommen ist. Damit zeigt sich das Bundes­ministerium für Wirt­schaft und Klimaschutz tech­nologieoffen.

Fazit und Empfehlungen

Am Golf herrscht Aufbruchstimmung – wenn auch nicht überall im gleichen Maß. Während Saudi-Arabien ohne formalen Rahmen Großprojekte initiiert, schafft Oman neue Strukturen und stößt vielfältige Pro­jekte an. Die VAE haben einen politischen Rahmen angekündigt und erste Pro­jekte erfolgreich realisiert. Katar setzt wei­ter auf LNG und die Herstellung von blauem Was­ser­stoff im Zielland. Kuwait und Bahrain beschränken sich zurzeit noch auf Eigen­kapitalzuschüsse und Machbarkeitsstudien. In der »Farbenlehre« agieren die Golfstaaten agnostisch: Oman konzentriert sich auf Grün, die VAE und Saudi-Arabien planen eine Balance zwischen Grün und Blau.

Es wird sich jedoch zeigen, welche der ge­planten Projekte letzt­endlich durchgeführt werden – dass einer Projektanbahnung nichts folgt, ist in der Region nicht unüblich. Zudem muss irgendwann auch die Gret­chen­frage des Transports beantwortet werden: Ammoniak, Wasserstoff oder gleich beim LNG bleiben? Für Katar ist diese Frage auf­grund vorhandener Infrastruktur einfach zu beantworten, in anderen Fällen scheint sie noch offen. Deutsch­land und die EU sollten eine einheit­liche Linie zu Fragen des Trans­ports entwickeln und sich gege­be­nen­falls eher an kleineren, dafür aber voll­stän­dig durchdachten Pilotprojekten beteiligen.

Das starke Interesse am Wasserstoff, das die Regierungen der Golfstaaten an den Tag legen, ist wenig intrinsisch, sondern orien­tiert sich an Wohlstandssicherung und ist vom Versprechen ausländischer Nachfrage beeinflusst. Wasserstoff eröffnet den Golf­staaten die Möglichkeit, wirtschafts- und machtpolitische Strukturen auch bei einer globalen Energiewende weit­gehend aufrecht­zuerhalten. Grüner Wasserstoff komplemen­tiert bestehende (fossile) Energieexporte und ermöglicht langfristige Absicherung. Blauer Wasserstoff bietet mittel- bis lang­fristige Nutzungsperspektiven für Erdgas und ist hauptsächlich für Katar, die VAE und Saudi-Arabien von großem Interesse. Wasser­­stoff­importe aus der Region nach Europa kön­nen so auf beiden Seiten des Handels zum Klimaschutz beitragen.

Damit ergeben sich indes zwei zentrale Dilemmata für Deutschland und die EU als prospektive Importeure:

Erstens werden bei einer Wasserstoff­kooperation mit den Golfstaaten Barrieren für den Klimaschutz vor allem deshalb abgebaut, weil die Wasserstoffökonomie den Golfstaaten ermöglicht, existierende macht­politische Strukturen beizubehalten. Das heißt aber auch, dass die soziale Ent­wicklung behindert wird. Die prekäre Lage von Arbeitsmigranten, die Situation von Men­schen­rechten und die (fehlende) politi­sche Partizipation können sich kaum ver­bessern, wenn die etablierten Machtstrukturen durch die Wasserstoffökonomie auch zukünf­tig geschützt werden. Allgemein stellt sich die Frage, wie konsequent es ist, Russland unter Berufung auf den Ukraine-Krieg ener­gie­poli­tisch den Rücken zu keh­ren, sich dann aber an Autokratien zu wen­den, die wieder­um im Jemen Krieg führen. Einer­seits werden Deutschland und Europa inner­halb ihrer Gesellschaften einen neuen Konsens dar­über finden müssen, wo in der Energie- und Klimapolitik die Grenze zwi­schen Prag­matismus und Prin­zi­pien gezo­gen werden soll. Ande­rerseits wird es umso wich­tiger, Nuancen zwischen einzelnen Staaten zu betonen. Hinsichtlich Autokratismus, Kriegs­beteili­gung, Menschenrechtslage und ab­seh­barer Zuverlässigkeit als Handelspart­ner gibt es große Unter­schiede zwischen den einzelnen Golfstaaten, die es zu evalu­ieren und zu berücksichtigen gilt.

Zweitens verdeutlicht das Beispiel der Golfstaaten das immer relevanter wer­dende Spannungsfeld zwischen nationalen und globalen Klimaambitionen. Deutschland und Europa haben sich vorgenommen, nur auf klimaneutralen, grünen Wasserstoff zu setzen. Klimaschonender (wenngleich nicht ‑neutraler), blauer Wasserstoff wider­spricht zwar eigenen Ansprüchen, kann aber das globale Angebot CO2-inten­siver Brenn­stoffe langfristig verringern und damit verhindern, dass die Emissionen einfach anderswo auftreten. Klimaschutz muss als globales Quer­schnitts­thema ver­standen werden und indi­vi­duelle Perspektiven mit­bedenken. Er lässt sich nicht uni­lateral und ein­dimensional, quasi mit dem Rammbock, durchsetzen. Unter ande­rem verkennt ein solcher Ansatz, dass die Golf­staaten als hoch­effiziente Öl- und Gas­produ­zenten Klima­bestrebungen ihrer­seits unilateral massiv behindern können. Des­halb ist eine Klima­außenpolitik nötig, die die diplomatischen, geopolitischen und handelspolitischen Verflechtungen von Klimapolitik in einem globalen Rahmen betrachtet. Das sollte Deutschland und die EU motivieren, ideo­logische Versteifungen auf grünen Wasser­stoff weiter zu hinter­fragen. Technologie­offenheit ist ein wesent­licher Schritt zu wirkungsvoller und umsetz­barer Energie- und Klimapolitik.

Dr. Dawud Ansari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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