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Bidens Außenpolitik nach den Zwischenwahlen

Ringen um Ukraine-Unterstützung, zunehmendes Technologie-Decoupling von China

SWP-Aktuell 2022/A 73, 15.11.2022, 7 Pages

doi:10.18449/2022A73

Research Areas

Die Ergebnisse der US-Zwischenwahlen werden innenpolitische Reformen erschweren. In der Außenpolitik behält Präsident Joe Biden jedoch einigen Handlungsspielraum, umso mehr wenn es zu einer Mehrheit im US-Senat reicht. Die Unterstützung der Ukraine kann er fortsetzen, allerdings vermutlich in engeren finanziellen Gren­zen. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage werden sowohl die Republikaner als auch Teile der Demokraten auf eine restriktivere Fiskalpolitik drängen. In der China-Politik stärkt der Wahlsieg der Republikaner, die geschlossen eine harte Linie befür­worten, die Hardliner in der Regierung Biden. Die Republikaner werden im Kon­gress das Technologie-Decoupling von China vorantreiben, auch gegen die Bedenken und Interessen von Verbündeten und außenpolitischen Partnern. Das erhöht den Druck auf die Europäische Union (EU), dem von Biden eingeläuteten noch restriktiveren Kurs gegen gegenüber China zuzustimmen. Diese Frage könnte im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) zum Streitpunkt werden.

Die Demokraten haben ihre zuvor schon knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus eingebüßt, im Senat konnten sie eine Mehr­heit der Republikaner verhindern. Ob die Demokraten ihren Vorsprung sogar noch um eine Stimme ausbauen können, wird sich nach der Stichwahl im Bundesstaat Georgia im Dezember zeigen. Wie schon in den ersten beiden Amtsjahren wird Präsi­dent Biden nur ein geringer Spiel­raum bleiben, weitgehende Reformen vor­an­zu­bringen (Waffenkontrolle, Wahlrechts­reform, Gesetz zu einem Recht auf Abtrei­bung). Das liegt auch daran, dass Biden bei einigen dieser Themen mit Gegenstimmen aus der eigenen Partei rechnen muss (vgl. SWP-Aktuell 67/2022). Um seine außen­politische Agenda fortzuführen, kann der Präsident aber auf das Mittel der Exekutivverordnungen zu­rückgreifen. Ob Biden und die Demokraten außerdem über die Ver­gabe von Haushalts­mitteln außen- und sicher­heitspolitische Schwerpunkte setzen können, ist noch offen. Ohne poli­tische Kompromisse mit den Republikanern wird es nicht gehen.

In zwei für Europa zentralen Fragen – der Unterstützung für die Ukraine, damit diese sich im Angriffskrieg Russlands ver­teidigen kann, und in der China-Politik – überschneiden sich bislang die Interessen der Republikaner mit denen der Demo­kra­ten im Kongress sowie mit denen der Biden-Regierung. Deshalb ist dort mit Kon­tinuität zu rech­nen.

Bei der Bekämpfung des Klimawandels, die Biden anfangs als eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele definierte, wird sein Handlungsspielraum künftig begrenzt sein. Internationale Vereinbarungen, die eine Ratifizierung im Kongress erfor­dern, sind nahezu ausgeschlossen. Auf Basis der Infra­struktur- und Anti-Inflations­-Gesetze kann Biden jedoch private Investitionen in klima­freundliche Projekte und Technologien lenken.

Ringen um Ukraine-Unterstützung

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben die USA laut dem Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft insgesamt 52,3 Milliarden Euro an Hil­fen zugesagt, davon 27,6 Milliar­den an militärischer Unterstützung, 9,5 Mil­liar­den für humanitäre Hilfe und weitere 15,2 Mil­li­arden Euro an finanzieller Unter­stützung. Die Militärhilfen um­fassen die Lieferung von Waffen und militärischer Aus­rüstung aus den Beständen der US-Armee. Hinzu kamen weitere Notfallhilfen aus dem US-Haushalt. Außer­dem verabschiedete der US-Kongress im April 2022 den Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act – in Anlehnung an das gleichnamige Gesetz aus dem Zweiten Weltkrieg. Es erlaubt den Ex­port von Rüstungsgütern an die Ukraine sozusagen auf Kredit, da klar ist, dass dem Land ausreichende finan­zielle Mittel feh­len. Zusätzlich schafft es einen gesetzlichen Rah­men für die beschleunigte Bereitstellung.

Dieses Gesetz wurde mit einer überpartei­lichen Mehrheit beschlossen; ebenso ver­liefen weitere Abstimmungen über Haus­halts­mittel für die Ukraine im März, Mai und Ende Sep­tember 2022. Jedoch stimm­ten im Mai bereits 57 republikanische Ab­ge­ordnete im Repräsentantenhaus und 11 im Senat gegen das bisher größte Hilfs­paket für die Ukraine in Höhe von 40 Milli­arden Euro. Bei einer weiteren Abstimmung über Ukraine-Hilfen im September, aller­dings in Verbindung mit anderen Haus­halts­ausga­ben, gab es noch mehr Gegenstimmen.

Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland und Exportkontrollen bei Spitzentech­nologien sind das zweite Standbein der US-Unterstützung für die Ukraine. Seit Kriegs­beginn geht Washington mit umfassenden Sanktionen gegen einzelne Sektoren der russischen Wirtschaft und gegen Personen vor, einschließlich der poli­tischen Elite und Putin-treuer Oligarchen. Russlands Zentral­bankreserven wurden ein­gefroren und meh­rere Banken vom inter­nationalen Zahlungs­system SWIFT ausge­schlossen. Exportkont­rollen verhindern, dass Schlüsseltech­no­lo­gien nach Russland ausgeführt werden und im Angriffskrieg gegen die Ukraine einge­setzt werden könnten.

Diese Maßnahmen sind eng mit den Ver­bündeten und weite­ren Partnern der USA abgestimmt. Dreißig Länder beteiligen sich an den Sanktionen gegen­über Russland. Dar­über hinaus hat die US-Regierung schon im März im Zusammenspiel mit Groß­britan­nien einen Importstopp für russisches Roh­öl und andere fossile Brennstoffe ver­hängt sowie Investitionen von US-Personen im russischen Energiesektor untersagt. Zudem gelang es Biden, die G7-Staaten von einem gemeinsamen Vorgehen zu über­zeugen. Die EU kündigte kurz nach den USA einen schrittweisen Ausstieg aus russischen Öl- und Kohleimporten bis Jahresende an. Im Sommer einigten sich die G7 überdies auf ein Embargo für Gold aus Russland.

Der US-Präsident hat zugesagt, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist. Daran hängt auch seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner. Auch ohne die Kongressmehrheit wird Biden die Sanktionen und Exportkontrollen per Exekutivverordnung weiterführen oder sogar noch ausweiten können. Bei weiteren Militärhilfen für die Ukraine könnte es der Kongress dem Präsidenten allerdings schwer­machen.

Zwar erklärte der republikanische Mehr­heitsführer im Senat, Mitch McConnell, dass die Partei weiterhin uneingeschränkt an der Seite der Ukraine stehe. Laut einer Meinungsumfrage vom Oktober befürwortet bisher eine klare Mehrheit (66 Prozent) der Anhängerinnen und Anhänger der Repub­likaner die Ukraine-Hilfen. In den Wochen vor den Zwischenwahlen äußerten sich aber mehrere einflussreiche Politi­ke­rin­nen und Politiker der Repu­blikaner kri­tisch zu einer größeren finanziellen Unter­stüt­zung der Ukraine. Beispielsweise wehrte sich Kevin McCarthy, der als Mehr­heits­füh­rer der Republikaner im Repräsentanten­haus gehandelt wird, öffentlich da­gegen, der Ukraine einen »Blanko-Scheck« zu er­teilen. Auch unter Abgeordneten der Demo­kraten mehrten sich kritische Stim­men, die zwar die Finanzhilfen nicht infrage stellten, aber von Biden eine diplo­ma­tische Öffnung gegenüber Russland forderten.

Auch außerhalb des Kongresses versuchten einige einflussreiche, politisch rechts­gerichtete Gruppen den Druck auf die Regie­rung Biden zu erhöhen, die Hilfen für die Ukraine auslaufen zu lassen. Heritage Action, die Lobbyorganisation des konservativen Think-Tanks Heritage Foundation, stellte sich bereits seit Mai 2022 gegen Bidens Ukraine-Politik. Auf der vom frühe­ren Prä­si­denten Donald Trump gegründeten Social-Media-Plattform Truth Social sowie auf anderen eher rechtsgerichteten Platt­formen wurde ebenfalls gegen Präsident Selenskyj und gegen die Ukraine-Politik der Biden-Regierung Stimmung gemacht.

In Zukunft könnten die Republikaner der Biden-Regierung das Leben schwer­machen, wenn es um Vorhaben zur Unter­stützung der Ukraine geht und dafür über die Vergabe von Haushaltsmitteln verhandelt werden muss. Gerade weil die Repub­likaner damit gescheitert sind, in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit zu erlangen, könnten sie den geringen Hand­lungsspielraum, den sie hinzugewonnen haben, zu einer Blockade­politik nutzen. Das letzte Finanzpaket für die Ukraine vom September wird am 16. Dezember aus­laufen. Sobald der neue Kongress Anfang 2023 eröffnet wird, könn­ten die Republikaner androhen, weitere Haushaltsmittel (appropriations) für die Ukraine, die im Laufe des Jahres notwendig werden, auf den Prüf­stand zu stellen. Über den Vorsitz außen­politisch wichtiger Aus­schüsse im Repräsen­tantenhaus könnten sie weitere Haus­halts­vorlagen (continuing resolutions) bremsen und hätten die Ober­hand darüber, welche Aus­gabenvorschläge im Plenum beraten wer­den. Bei Ab­stim­mungen wird Biden vermut­lich nicht mehr allein auf die Stimmen der Demo­kraten bauen können – er wird Kom­promisse eingehen und politisches Kapital einsetzen müssen. In welcher Höhe der Kon­gress Ukraine-Hilfen bewilligen wird, wird darüber hinaus beeinflusst von Ent­wick­lun­gen wie der Inflation und einer wahr­schein­licher werdenden wirtschaftlichen Re­zes­sion sowie von der öffentlichen Meinung.

Scharfe Konkurrenz mit China

Der strategische Umgang mit China bleibt auch nach der Wahl oberste außenpolitische Priorität. Die Regierung Biden hat in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom Oktober dieses Jahres den Wettbewerb mit China als wich­tigstes Ziel ausgegeben. Chinas militärische Fähig­keiten sollen eingeschränkt und teils auch geschwächt werden. Vor allem außen­wirtschaftliche Instrumente sollen dazu dienen, die Volks­republik von solcher Spitzentechnologie auszuschließen, die zivil und mili­tä­risch genutzt werden kann (dual use). Aus Sicht der Biden-Regierung ist eine Unterscheidung zwischen den beiden Sphären im Fall Chinas nicht mehr mög­lich. Sie reagiere damit auf die 2017 be­schlos­sene Änderung des Statuts der Kom­mu­nistischen Partei Chinas, die Peking die Macht gegeben hat, jederzeit in jeden Wirtschaftssektor ein­greifen zu können. Die Aufhebung dieser Trennung erfordere, so Washington, eine neue Praxis bei Exportkontrollen.

Bislang hat die Regierung Biden den har­ten Kurs in der China-Politik, der unter der Präsidentschaft Trumps eingeschlagen wurde, nicht nur fortgesetzt, sondern ver­schärft. Biden hat die Zollpolitik beibehalten und das Technologie-Decoupling voran­getrieben. Einer Kooperation mit China, etwa in der Klimapolitik, erteilte er zwar nicht grundsätzlich eine Absage; in sicher­heits­politisch sensiblen Bereichen ist es nach Ansicht seiner Regierung jedoch an­gezeigt, chinesische Unter­nehmen voll­ständig auszuschließen. Daran knüpfen sich nicht zuletzt Erwar­tungen an die Ver­bündeten und andere außen­politische Part­ner, bei­spiels­weise im Hinblick auf Tele­kommunikations­technologie: Den Einsatz von 5G-Hardware des chinesischen Unter­nehmens Huawei in deutschen Netzen sieht die aktuelle US-Regierung nicht weniger kritisch als Trump, selbst wenn man auf europäische Partner keinen öffent­lichen Druck aufgebaut hat.

Der Kongress hat unter Biden eigenständig ein härteres Vorgehen gegen China ini­tiiert. Im Dezember 2021 ver­abschiedete er mit breiter überparteilicher Mehrheit in beiden Kammern das Gesetz zur Verhinderung uigurischer Zwangsarbeit in der Region Xinjang (Uyghur Forced Labor Prevention Act, UFLPA). Es soll bestimmte Importe verhindern, und zwar sowohl von Waren, die direkt aus Xinjang stammen, als auch von Rohstoffen und Komponenten, die zu irgend­einem Zeitpunkt im Produktions­prozess die Region passiert haben (etwa Baum­wolle oder Polysilizium für Solar­panele). Importeure müssen nachweisen können, dass sie keine Pro­dukte aus Zwangs­arbeit einführen. Die US-Behörden sind berechtigt, mit harten Stra­fen gegen Ver­stöße vorzugehen. Das Gesetz sieht außer­dem vor, dass andere Staa­ten mitziehen sollen.

Setzen die US-Behör­den das Gesetz nun in voller Härte um, könnten Forderungen im Kongress zuneh­men, die Biden-Regie­rung solle grö­ßeren Druck auf außenpolitische Partner aus­üben, ebenfalls gegen Chi­nas Exporte von Waren aus Zwangs­arbeit durchzugreifen. Die EU hat zwar selbst bereits eine Initia­tive gestartet, um Waren und Produkte aus Zwangsarbeit vom eige­nen Markt nehmen zu können. Aller­dings ist das Gesetz allgemein gehalten und rich­tet sich nicht ausdrücklich gegen China. Es wird voraussichtlich frühestens 2023 in Kraft treten, die Verantwortung für die Durchsetzung bei den Regierungen der Mitgliedstaaten liegen. Erst einige Jahre später könnte das Gesetz tatsächlich Wir­kung zeigen. Dem US-Kongress könnte dieser Ansatz nicht weit genug gehen.

Des Weiteren verabschiedete der Kongress im August 2022 mit großer Mehrheit den CHIPS and Science Act (CHIPS). Er soll die Abhängigkeit von in China produzierten einfachen Chips sowie von wichtigen Rohstoffen aus China so weit wie möglich reduzieren und zudem verhindern, dass die Volksrepublik in der Forschung zu und Entwicklung von anspruchsvollen Halbleiter­chips aufsteigt. Zusätzlich zu den Gesetzen erließ Biden zwei weit­reichende Exekutivverordnungen zu Ex­port- und zu Investi­tions­kontrollen, die darauf abzielen, China von Spitzentech­nologie abzuschneiden und sei­nen Zugang zu Anwendungen künst­licher Intelligenz zu blockieren. Weitere Kontrollen im Bereich der Biotechnologie könnten hinzukommen.

Zusammengenommen liefern der UFLPA, der CHIPS und die Exekutivverordnungen zu Investitions- und Exportkontrollen hin­sichtlich sensibler Technologien, Fertigungs­software und Anwendungen künstlicher In­tel­ligenz einen umfassenden Instrumenten­kasten für den »Wettbewerb« mit Peking, unterhalb der Schwelle militärischer Aus­einandersetzungen. Die neuen Regelungen unterstreichen den inzwischen überparteilichen Konsens dazu, noch tiefer in die Wirt­schaft einzugreifen und massive Sub­ven­tionen zugunsten der US-Produktion zuzulassen. Damit wächst auch der Druck auf außen­politische Partner, zum Schutz der eigenen Unternehmen in dem angeheizten inter­nationalen Wettbewerb eine aktivere Industriepolitik zu betreiben, ein­schließlich staatlicher Subventionen für bestimmte Sektoren der Wirtschaft.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2024 ist damit zu rechnen, dass sich Demo­kraten und Republikaner – wie schon in den letzten Wahlkämpfen – mit ihrer Kri­tik an China sowie Forderungen nach weite­ren Zöllen und Zwangsmaßnahmen regel­recht überbieten werden.

Klimapolitik

Die Klimapolitik stand für Biden anfangs weit oben auf der Agenda. In der neu an­gelegten »Klimaaußenpolitik« sind Biden und der Klimabeauftragte John Kerry je­doch an Grenzen gestoßen: Die Kooperation mit der EU in Klimafragen stockt. Kaum im Amt, schloss Biden zwei Dinge aus, einen Preis für Kohlendioxid (CO2) und einen Grenz­ausgleichsmechanismus, ähnlich dem CBAM der EU. Versuche, im Vorfeld der Welt­klimakonferenz 2022 in Ägypten (COP27) mit China zu kooperieren, sind diesen Sommer vorerst gescheitert. China hatte in Reaktion auf den Taiwan-Besuch der Mehr­heitsführerin im Kongress, Nancy Pelosi, weitere Gespräche mit den US-Klima­diplomaten abgesagt.

Trotzdem kann man der Biden-Regierung nicht absprechen, dass sie den Klimaschutz mit ambitionierten Investitionspaketen ent­scheidend vorangebracht hat: Biden hat neue Klimaziele festgelegt und mit dem Infra­strukturgesetz sowie dem jüngst ver­abschie­deten Anti-Inflations-Gesetz einen erheb­lichen Beitrag geleistet, um den CO2-Ver­brauch zu reduzieren. Das Weiße Haus geht von einer Verringerung um 40 Prozent bis 2030 gegenüber dem Ausstoß von 2005 aus.

Nachdem die Demokraten in min­destens einer Kammer des Kongresses die Mehrheit verloren haben, rücken weitere klima- und umweltpoli­tische Maßnahmen per Gesetz erst einmal in weite Ferne. Versuche Bidens, die Klima- und Umweltstandards per Exeku­tivverordnungen durchzusetzen, wird der US Supreme Court vermutlich wieder rück­gängig machen. Zuletzt untersagte das Gericht der Umweltbehörde EPA, die Treib­hausgas­emissionen von Kraftwerken unter dem Clean Air Act zu regulieren. Zwar steht einer Kooperation mit China nichts ent­gegen; bei der Reduzierung des Methan­ausstoßes etwa kann der Klimabeauftragte Kerry ge­meinsam mit der EU und mehr als 120 Län­dern, China inklusive, Ziele abstim­men. Um diese umzusetzen, wären dann jedoch wieder Kongressmehrheiten not­wendig.

Ähnlich sieht es bei der Frage der »Wieder­gutmachungszahlungen« aus, die reiche Industrienationen an ärmere Länder zum Ausgleich von Klimaschäden leisten sollen, wie auf der COP27 besprochen. Kerry könnte das befürworten, aber hohe staat­liche Zah­lungen in einen globalen Fonds wären schwer vorstellbar, selbst bei (dünnen) Mehr­heiten für die Demo­kraten. Um den­noch US-Zusagen an Schwellen- und Ent­wick­lungs­länder einzuhalten, Mittel zur Klima­finan­zierung in Höhe von 100 Milli­arden Euro zur Verfügung zu stellen, kon­zentriert sich Kerry weitgehend auf den Privatsektor. Die­sen möchte er für Investi­tionen gewin­nen, die Schwellen- und Ent­wicklungs­ländern zugutekämen.

Iran, internationale Vereinba­rungen, Nordkorea

Völliger Stillstand droht nach den Zwischen­wahlen bei außenpolitischen Initia­tiven, die mit einer internationalen Vertrags­ver­ein­barung einhergehen. Das bezieht sich insbesondere auf eine Erneue­rung des Atom­abkommens von 2015 mit Iran (JCPOA), die im Kongress verabschiedet werden müsste. Bei der Unterzeich­nung des Abkommens unter Präsident Barack Obama lehnte sich die republikanische Opposition dagegen auf. Kurz nach Amts­antritt beendete Donald Trump die US-Beteiligung am JCPOA. Trump schwenkte um auf einen Kurs des »maxi­malen Drucks«, entgegen den Bedenken und Interessen der anderen Vertragspartner. Seitdem ist klar, dass eine internationale Vereinbarung, die allein auf einer Exekutiv­verordnung fußt, wie das JCPOA, nicht dauer­haft trag­fähig ist. Eine bessere Lösung ist bisher nicht in Sicht.

Die ablehnende Haltung der Republikaner gegenüber vertraglichen Verpflichtungen auf internationaler Ebene geht jedoch über das JCPOA hinaus. Es wäre wahrschein­lich, dass die Republikaner jegliche Verträge zu Themen wie Globaler Gesundheit, Klima- und Umweltschutz, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung von Atom­waffen sowie Handels- und Investitions­abkommen blockieren. Ferner kann man davon ausgehen, dass sie im Repräsen­tantenhaus erneut die sogenannte Hastert-Regel anwenden, auch bekannt als »Mehr­heit der Mehrheit«-Regel. Der Sprecher des Repräsentantenhauses lässt danach nur noch Abstimmungen über Gesetzesvorlagen zu, denen schon im Vorfeld eine Mehrheit der Mehrheitspartei zustimmt.

Im Fall Nordkoreas, das vor der US-Wahl seine Nachbarn ein weiteres Mal mit Rake­ten­tests provoziert hat, zeigt sich immer deutlicher, dass die von den Vereinten Na­tio­nen be­schlossenen Sanktionen wir­kungs­los geblie­ben sind (vgl. SWP-Aktuell 65/2022). Sie konnten die Atombestrebungen des Macht­habers Kim Jong Un nicht ver­hin­dern. Vor allem Russland und China unterwandern die Sanktionen; dagegen waren so­wohl Trump als auch Biden bislang macht­los. Eigent­lich wäre das ein zentrales Feld für eine Neuausrichtung der US-Politik, die von beiden Parteien getragen werden müss­te. Ob es zu einer Kooperation über Partei­grenzen hinweg kommt, bleibt jedoch offen. Die politische Polarisierung und der zu er­war­tende erbitterte Kampf um die Präsident­schaft 2024 könnten dazu führen, dass selbst in einer so drängenden außenpolitischen Frage kein Konsens mehr erreicht wird.

Ausblick: Aufgaben für Europa

Auch nach dem für ihn überraschend posi­tiven Ergebnis bei den Zwischenwahlen ist Bidens innenpolitischer Handlungsspielraum weiterhin begrenzt; außenpolitisch dürfte er zumindest teilweise handlungs­fähig bleiben. Aus europäischer Perspektive sollten bei der Zusammenarbeit mit der Biden-Regierung drei Themen im Mittelpunkt stehen: 1) die Fortsetzung der Ukraine-Unterstützung, 2) der Umgang mit China, 3) die Klima­politik. In allen drei Bereichen besitzt die EU sowohl ein Inter­esse als auch Kapazitäten, eigene Strategien zu entwickeln und umzusetzen; außerdem gibt es ausreichende Überschneidungen mit den außenpolitischen Prioritäten Bidens. Daher verspricht die Zusammenarbeit mit seiner Regierung außenpolitische Erfolge für beide Seiten.

Bei der Unterstützung für die Ukraine ist auch im neuen Kongress kurzfristig mit Kon­tinuität zu rechnen. Trotzdem erhöht die noch unklare Positionierung der Repu­blikaner zu weiteren Hilfen für das Land den Druck auf die europäischen Staaten, eigene Beiträge zu seiner Unterstützung zu überprüfen. Um die Ukraine gegenüber Russ­land zu stärken, sollten die EU und die europäischen Nato-Partner im Zusammenspiel mit Washington mehr militärische Mittel zur Verfügung stellen. Zudem sollten sie gemeinsam mit Biden die um­fassenden Sanktionen gegen Russland sowie die Export­kontrollen fortführen, ihre Um­setzung überwachen und, wo nötig, nach­schärfen. Damit Deutschland Sanktionen effektiver durchsetzen kann, ist es erforderlich, das Sank­tions­durchsetzungs­gesetz II schnell zu verabschieden. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Initiative der Euro­päi­schen Kommission für eine EU-weite Zentral­stelle unterstützen, die überwachen soll, ob bzw. wie die Mitgliedstaaten Sank­tionen einhalten. Ziel ist es, Schlupflöcher wirk­sam zu schließen.

In Bezug auf Russland ist überdies zu empfehlen, dass die EU und die USA weiter gemeinsam daran arbeiten, die Einnahmen des Landes aus dem Export fossiler Energie­träger so weit wie möglich zu drosseln, ohne Verwer­fungen auf den Energiemärkten zu ver­ursachen. Bessere Rahmenbedingungen für ein eng mit Washington abge­stimmtes Vor­gehen wird es absehbar nicht geben. Gleich­zeitig besteht in den genannten Bereichen dringender Handlungsbedarf.

Was die China-Politik anbetrifft, sollte die EU bedenken, dass die Biden-Regierung ihren harten Kurs gegenüber der Volks­republik mit der Erwartung an die EU ver­bindet, einen ähnlichen Kurs einzuschlagen. Das schließt die Bereitschaft mit ein, mindestens vergleichbare außenwirtschaftliche Instrumente gegen die poli­tische Ein­flussnahme Chinas einzusetzen. Zum Bei­spiel könnte Washington von der EU for­dern, ihre Sanktionen gegen China auszu­weiten und ihre Investitionskontrollen nach­zu­bessern. Washington setzt im Bereich Spitzentechnologie (vor allem Halbleiter) zunehmend auf Exportkontrollen und könnte Ähnliches auch von der EU ver­langen. Die Regie­rung Biden hat immer wie­der betont, dass sie anstrebt, bei neuen, sicherheitspolitisch sensiblen Technologien gemeinsame Stan­dards zu setzen, ins­beson­dere bei den An­wen­dungen künstlicher Intelligenz. Ebenso ist anzu­neh­men, dass Washington von der EU härtere Maßnahmen gegen Menschenrechts­verletzungen in China erwartet, nach­dem der Kongress mit dem UFLPA ein sehr weitreichendes Gesetz gegen Einfuhren von Waren aus Zwangs­arbeit beschlossen hat.

Aus Sicht der Biden-Regierung ist der Trade and Technology Council (TTC) das ent­scheidende außenpolitische Format, um sich mit der EU in diesen Fragen abzustim­men. Mit asiatischen Staaten haben die USA ein vergleichbares Austausch- und Ver­hand­lungsformat geschaffen, den Indo-Pacific Economic Framework (IPEF). Nachdem sich Brüssel und Washington eng über Sanktionen und Exportkontrollen gegenüber Russ­land abgestimmt und sie konzertiert um­gesetzt haben, liegt es aus Washingtoner Perspektive nahe, den TTC auch für die Ver­ständigung über eine kohärente Vor­gehens­weise gegenüber China zu nutzen.

Der Ausgangspunkt für die Arbeit des TTC war hingegen ein breites Spektrum an Problemen und offe­nen Fragen in der Han­dels- und Technologiepolitik der EU wie der USA. Beide Seiten hatten sich bei der ersten Zusammenkunft im Oktober 2021 auf zehn Arbeits­gruppen geeinigt, darunter solche zur Klima­finanzierung und zur Zukunft der globalen Handelsordnung. Die EU-Kommis­sion hat daher jedes Recht, darauf zu pochen, dass der TTC nicht zu einem reinen »Anti-China-Club« wird. Die jüngste Entscheidung Washingtons, als Teil des Anti-Inflations-Gesetzes großzügige Klimasubventionen nur an Unternehmen zu vergeben, die Elek­trofahrzeuge in den USA produzieren, wurde in Brüssel als Belas­tung des trans­atlantischen Verhältnisses aufgenommen. Die EU-Kommission hat sich bei der US-Regie­rung über das Gesetz beschwert, da sie europäische Hersteller benachteiligt und Prin­zipien der Welthandelsorganisation (WTO) verletzt sah. Auch dieser Schritt und das Signal, falls nötig handelspolitische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sind legi­tim. Inzwischen ist eine transatlantische Task-Force eingesetzt worden, die die Streit­fragen klären soll.

Dennoch sollten die Kommission und mächtige Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich bei der Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Interessen das geo­politische Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Anstatt eine WTO-Beschwerde auszuarbeiten, sollte in den näch­sten Monaten die Priorität eher darauf lie­gen, die Regierung Biden dazu zu bewegen, die seit 2017 andauernde US-Blockade der WTO-Streitschlichtung aufzuheben und sich für notwendige Refor­men des Regel­werks zu öffnen.

Wünschenswert wäre, dass die EU in der Klima­politik ähnlich vorgeht. Beide Seiten sollten den TTC auch dazu nutzen, gemein­sam aus­zuloten, inwieweit sie bereit sind, ihre jeweiligen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele als gleichwertig anzuerkennen. So könnten sie wichtige Grundlagen für einen Klima-Club legen, der ohne Ver­pflichtung auf einen CO2-Preis auskommt – wie beim G7-Gipfel in Elmau vereinbart. Der Club sollte so angelegt sein, dass er anderen Län­dern offensteht.

Dr. Laura von Daniels ist Leiterin der Forschungsgruppe Amerika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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DOI: 10.18449/2022A73