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Außenpolitische Digitalstrategien

Internationale Erfahrungen, nationale Formate

SWP-Aktuell 2022/A 27, 01.04.2022, 7 Pages

doi:10.18449/2022A27

Research Areas

Die digitale Transformation und das Aufkommen neuer Technologien stellen außen­politische Entscheidungsträger vor große Herausforderungen – in diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Kontexten. Internationale Politik verzahnt sich zunehmend mit Digitalisierung bzw. Technologie; traditionelle Bereiche des Politikfeldes erweitern und verändern sich, neue kommen hinzu. Außenpolitische Akteure der Bundesrepublik stehen unter wachsendem Druck, in dieser Hinsicht handlungsfähig zu sein und zur Stärkung der digitalen Souveränität Deutschlands und Europas beizutragen. Außenministerien anderer Staaten haben bereits Tech- bzw. Digital­strategien veröffentlicht und zugleich damit begonnen, ihre organisatorischen und personellen Strukturen entsprechend anzupassen. Daraus lassen sich auch mögliche Ideen für die deutsche Außenpolitik ableiten.

Dass Außenpolitik immer mehr von Tech­nologie und Digitalisierung geprägt wird, bringt Chancen wie auch Risiken mit sich und macht es dringlicher, die »diplomatische Handlungsfähigkeit« auf diesem Gebiet zu stärken. Dabei sind entsprechende Herausforderungen zugleich auf den Ebenen von Handlungsfeldern, Instrumenten und Strukturen angesiedelt. Bezüglich der Handlungsfelder ist zunächst festzuhalten, dass Technologiepolitik immer auch Außenpolitik ist, weil Internet, Datenverkehr und technologische Wertschöpfungsketten eine globale Struktur aufweisen. Generell wird technologische Innovation zunehmend ausschlaggebend für die Wett­bewerbsfähigkeit von Staaten, in politischer, wirtschaftlicher wie militärischer Hinsicht. Aus dieser Dynamik speist sich wesentlich der geopolitische Großmächtekonflikt zwischen den USA und China, der mehr und mehr durch das Streben nach technologischer Vorherrschaft bestimmt wird.

Allgemeine Trends und neue Akteure

Aufgrund der transformativen Wirkung digitaler Technologien und ihres zunehmenden »dual-use«- oder gar »general-purpose«-Charakters, sprich der Durch­dringung sämtlicher Gesellschaftsbereiche durch Digitalisierung und Innovation, ver­schwimmen die Grenzen zwischen Wirt­schaft, Sicherheit und Fragen der demokratischen Governance und Menschenrechte. Daher wird es erforderlich, dass sich ver­schiedene Ministerien innerhalb einer Regierung enger koordinieren. Dies führt nicht nur zu möglichen Zielkonflikten bei Entscheidungen (wie etwa bei der 5G-Debatte um die Frage, ob technische Kom­ponenten chinesischer Anbieter in die eigene Mobilfunk-Infrastruktur eingebaut werden sollen). Auch besteht das Risiko, dass staatliche Akteure bewusst Themen miteinander vermischen und etwa politi­sche Ziele durch »economic coercion« zu erreichen suchen. Gerade in dieser Ge­mengelage müssen Außenministerien ihre Rolle finden, sie immer wieder neu definie­ren und den eigenen Mehrwert effektiv einbringen.

Auch das Machtpotential neuer Akteure jenseits der Staatengemeinschaft zwingt Außenressorts, sich neu aufzustellen. So wird der globale technologische Fortschritt hauptsächlich von der Privatwirtschaft vor­angetrieben, insbesondere durch die markt- und datenmächtige GAFAM-Gruppe aus den USA (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) und die chinesische BAT-Gruppe (Baidu, Alibaba, Tencent). Diese Unternehmen sind auch außenpolitisch zu entscheidenden Akteuren geworden; sie besitzen großen Einfluss in Fragen von Wirtschaft, Sicherheit und Menschenrechten, während sie zugleich geopolitische Machtressourcen von Staaten bilden.

Insgesamt stellt sich daher die Frage, wie der digitale Raum und die Auswirkungen technologischer Innovationen im deutschen und europäischen Interesse strukturiert und verrechtlicht werden können. Gerade weil es auf internationaler Ebene noch immer an effektiver Governance mangelt, stehen Außenministerien und internatio­nale Organisationen vor der Aufgabe, neue Formate und Foren zu finden sowie Nor­men, Standards und Regulierungen zu ent­wickeln. Sie müssen dabei über das bereits etablierte Handlungsfeld der Cyberdiplomatie hinausgehen, das sich mit der Verrechtlichung der digitalen Sphäre und dem Um­gang mit der steigenden Bedrohung durch Cyberattacken staatlicher oder nichtstaat­licher Herkunft beschäftigt.

Auch stehen Außenministerien unter institutionellem Druck, sich thematisch mit digitalen und technologischen Entwicklungen zu befassen, deren Einfluss auf die internationale Politik abzuschätzen und dafür Strukturen zu schaf­fen. Entsprechende Impulse ergeben sich zum einen inner­halb der Regierung, zum anderen extern durch internationale Orga­nisationen und die Außenministerien ande­rer Staaten. Internationale Organisa­tionen und die EU haben bereits Leitlinien erstellt und neue Formate zum Themenschwerpunkt ein­gerichtet. Seitens der Vereinten Nationen wurde die Globale Roadmap für digitale Zusammenarbeit verabschiedet, im trans­atlantischen Verhältnis der EU-US Trade and Technology Council (TTC) ge­gründet, von der EU zudem das Digital Diplomacy Network ins Leben gerufen. Ein­zelne Außenministerien haben eigene Digital- bzw. Tech-Strategien veröffentlicht, wie nachfolgend näher zu beleuchten sein wird. Sowohl der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) als auch einige Außenministerien erweitern zudem ihre strukturellen und personellen Kapazitäten. Im Falle des EAD geschieht dies durch Aufbau einer Abtei­lung für Konnektivität und digitale Tran­si­tion; im amerikanischen State Department wurde das Bureau of Cyberspace and Digital Policy geschaffen, im indischen Außen­ressort die New Emerging and Strategic Technologies (NEST) Division und im Eid­genössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, dem Schweizer Außenministerium, eine Abteilung Digitalisierung.

Auf der Instrumentenebene ermöglicht die Digitalisierung immer innovativere Formen der internen und externen Kom­munikation und Vernetzung. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Begriff »Digital Diplomacy« geprägt, um zu be­schreiben, wie neue Informations- und Kommunikationstechnologien zur Errei­chung diplomatischer Ziele genutzt wer­den. Eine engere Bestimmung des Begriffs legt das Augenmerk darauf, wie Social-Media-Kanäle für Zwecke der Public Diplo­macy verwendet werden – also dazu, pro­aktiv das öffentliche Bild und die Reputa­tion des eigenen Landes zu steuern. In die­sem Kontext wird auch von »Nation Bran­ding« oder »Selfie Diplomacy« gesprochen.

Mit der Zeit hat sich das Verständnis von Digital Diplomacy jedoch erweitert. Heute kann eine Vielzahl von Elementen dazu gezählt werden – so der Einsatz von Tech­nologien zum Wissens- und Informationsmanagement oder bei der Digitalisierung konsularischer Dienste; die Nutzung virtu­eller Kollaborationstools zur Kommunika­tion innerhalb von und zwischen Außenministerien; ebenso der Rückgriff auf Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data zur Krisenfrüherkennung oder als Entschei­dungshilfe bei internationalen Verhandlungen. Außenministerien stehen zunehmend unter Druck, sich angemessen auf­zustellen, um entsprechende Chancen nutzen und zugleich Risikomanagement betreiben zu können.

Die Strategien der Schweiz, Dänemarks und Australiens

In jüngster Zeit haben einzelne Außen­ministerien explizit Strategien formuliert, um der zunehmenden Bedeutung gerecht zu werden, die der digitale Raum und tech­nologische Innovationen für die interna­tionale Politik haben. Dazu gehören die Schweiz mit ihrer »Strategie Digitalaussenpolitik 2021–2024« von November 2020, Dänemark mit der »Strategy for Denmark’s Tech Diplomacy 2021–2023« von Februar 2021, ebenso Australien mit der »Inter­national Cyber and Critical Technology Engagement Strategy« vom Frühjahr 2021. Die drei Strategien beziehen sich jedoch hauptsächlich auf Handlungsfelder; daher werden dort Themen wie die strukturelle Ausrichtung der jeweiligen Außenministerien und digitale Instrumente eher am Rande aufgegriffen. Auch andere Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Groß­britannien haben bereits außenpolitische Strategien im digitalen bzw. technologischen Kontext veröffentlicht. Diese haben jedoch entweder einen sehr engen thema­tischen Fokus oder sind bereits einige Jahre alt.

Die Strategien der Schweiz, Dänemarks und Australiens haben gemein, dass ihre Leitlinien bzw. Ziele größtenteils nach drei Bereichen geordnet sind: Wirtschaft, Demo­kratie, Sicherheit. Unter Wirtschaft fallen dabei Themen wie der Aufbau grenzüberschreitender und vertrauenswürdiger Datenräume (vor allem in der Schweizer Strategie), digitaler Handel und faire Markt­bedingungen sowie die Nutzung von Tech­nologien zugunsten nachhaltiger und ent­wicklungspolitischer Ziele (»Tech4Good«). Was demokratiepolitische und werte­basierte Aspekte betrifft, liegt der Fokus bei allen Strategien auf dem Schutz von Menschenrechten im digitalen Raum, auf ethischen Standards bei Anwendung tech­nologischer Systeme wie der KI sowie der (demokratischen) Selbstbehauptung im globalen Kontext. Sicherheit betrifft dage­gen vor allem die bereits etablierten Felder der Cybersicherheit und Cyberdiplomatie sowie etwa auch die Bekämpfung von Des­information.

Zum Teil überschneiden sich die genannten Bereiche; beispielsweise soll der Aufbau einer eigenen »Swiss Cloud«, wie ihn die Schweizer Strategie vorsieht, sowohl wirt­schaftspolitischen als auch datenschutzrechtlichen Belangen dienen. Zugleich nimmt jede der drei Strategien bestimmte Akzentuierungen vor. Das dänische Papier etwa legt einen durchgehenden Fokus auf die Tech-Industrie. Die Schweizer möchten Genf als Standort für internationale Orga­nisationen im Digitalbereich stärken. Und die australische Strategie ist besonders auf den Zusammenhang zwischen Technologie und Geopolitik ausgerichtet.

Die drei Staaten zeigen exemplarisch, wie Strukturen aufgebaut bzw. erweitert werden, um diesen Themenbereich sach­gerecht bearbeiten zu können. So hat 2017 das dänische Außenministerium den welt­weit ersten Posten eines Tech Ambassador geschaffen. Damit soll es vor allem gelin­gen, besser mit den großen amerikanischen Digitalunternehmen ins Gespräch zu kom­men. Flankierend entstand das Office of Denmark’s Tech Ambassador, das rund ein Dutzend Mitarbeiter hat und über Kopenhagen hinaus Vertretungen im Silicon Val­ley und in Peking unterhält. Das Schweizer Außenressort hat nach Veröffentlichung seiner Strategie damit begonnen, eine neue Abteilung Digitalisierung einzurichten. Und im australischen Außenministerium besteht die Position des Ambassador for Cyber Affairs and Critical Technology, an­gesiedelt in der International Security, Humanitarian and Consular Group. Der Inhaber des Postens hat den Vorsitz einer vierteljährlich tagenden Whole-of-Govern­ment International Cyber and Critical Technology Engagement Group, der neun Regierungsinstitutionen angehören.

Anzumerken ist jedoch, dass vor allem die Dokumente der Schweiz und Austra­liens strenggenommen keine strategischen Ziele setzen, sondern eher Leitlinien-Charakter haben und nur Anhaltspunkte für die jeweilige Außenpolitik in dem The­menbereich liefern. Im Fall der Schweiz ist eine mögliche Erklärung dafür, dass die Strategie veröffentlicht wurde, bevor ein struktureller Unterbau im Außenministe­rium erfolgte. Das australische Papier beinhaltet zumindest eine Liste, die auf­zeigt, welche Ministerien bzw. Agenturen neben dem Außenressort bei den einzelnen (teils eben abstrakten) Zielen die Federführung besitzen. Die dänische Strategie um­fasst 21 »Key Performance Indicators«, die jedoch unterschiedlich konkret ausfallen.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle drei Strategien versuchen, den Themenkomplex Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik möglichst umfassend abzu­bilden. Internationale Cybersicherheit bzw. Cyberdiplomatie gilt dabei als Teil einer »digitalen Außenpolitik« oder einer »Tech­nologie-Außenpolitik«. Gerade dieses Zusammendenken ist wichtig. Denn zum einen sorgt Cybersicherheit für Vertrauen in digitale Technologien und den digitalen Transformationsprozess; zum anderen stehen sich in internationalen Debatten über Cybernormen (etwa im UN-Kontext) westliche Demokratien und autokratische Staaten wie Russland oder China mit ihren jeweiligen Positionen gegenüber, wie dies auch bei anderen Themen jenseits der Cyberdiplomatie wie beispielsweise der KI‑Ethik oder Überwachungstechnologien der Fall ist. Die thematische Breite bewirkt jedoch auch, dass in allen Strategien auf die Notwendigkeit eines interministeriellen Ansatzes (»whole-of-government approach«) hingewiesen wird – eine Sichtweise, die vor allem von der australischen Regierung durch strukturelle Maßnahmen unter­mauert wird.

Mögliche Ideen für die deutsche Außenpolitik

Im Auswärtigen Amt (AA) wurde der Pro­zess zur Formulierung einer umfassenden Digitalstrategie schon während der letzten Legislaturperiode angestoßen, ohne dass er bislang in ein veröffentlichtes Dokument gemündet wäre. Andere Bundesministerien haben in eigener Regie bereits Strategien zum Digital- bzw. Cyberbereich veröffentlicht. Darunter sind die Digitalstrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von 2019 oder auch die um einiges um­fangreichere Cybersicherheitsstrategie des Bundesministeriums des Innern (BMI) von 2021. Gerade letzteres Dokument zeigt deutlich, dass eine interministerielle Koor­dination und Umsetzung von Maßnahmen, Positionen und Zielen unabdingbar ist. Aufgrund der Breite des Themenkomplexes Technologie/Digitalisierung und Außen­politik wäre es auch im Fall des AA nahe­liegend, sich mit anderen Ressorts abzustimmen, sollte das Ministerium den Strate­gieprozess wieder aufnehmen. Entlang der drei oben skizzierten Bereiche in den Stra­tegien der drei Staaten lässt sich beispielsweise klar ausmachen, dass neben dem Außenministerium als federführendem Ressort auch Forschungs-, Innen-, Justiz-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium in der einen oder anderen Form beteiligt oder zumindest konsultiert werden müssten.

Die drei erwähnten Strategien konzen­trieren sich zwar eher auf Handlungsfelder, doch können diese im Grunde nicht los­gelöst von Strukturen und Instrumenten betrachtet werden. Damit sich etwa tech­nologische Handlungsfelder in der Außen­politik wirksam und nachhaltig besetzen lassen, müssen in den Außenministerien entsprechende interne Strukturen und Instrumente vorhanden sein. Anders aus­gedrückt: Nur wer selbst die Digitalisierung verinnerlicht und umsetzt, kann nach außen die eigenen Interessen glaubwürdig vertreten und durchsetzen. Dies zeigt das Beispiel Estland – ein kleiner Staat, der eine digitalisierte Verwaltung besitzt und daher in internationalen Gremien und bei Kapazitätsbildungsprojekten selbst­bewusst Initiativen einbringen kann, die den Digital- und Cyberbereich betreffen.

Um digitale und technologische Themen im außenpolitischen Kontext zu bearbeiten, müssen Strukturen innerhalb eines Außen­ministeriums angepasst werden. Zum einen bedarf es für diese Aufgaben der nötigen Expertise, zum anderen ist die Arbeitsweise zwischen den einzelnen Referaten und Abteilungen sowie ressortübergreifend in­nerhalb der Regierung entsprechend auszurichten. Solche Erneuerungen sind notwendig mit Blick auf eine Vielzahl an Handlungsfeldern – darunter die Cyberdiplomatie; die zunehmende Verzahnung von Geopolitik und Technologie, auch mit Blick auf Verfügbarkeit und Integrität der Letzteren; die Governance, Regulierung und Standardsetzung bei aufkommenden Tech­nologien; die Nutzung von Technologien in Entwicklungskontexten und für die huma­nitäre Hilfe. Eine strategische Entwicklung innerhalb von Außenministerien ist not­wendig, um die stetig wachsende Band­breite von Themen an der Schnittstelle von Außenpolitik und Digitalisierung zu be­wältigen und die Zunahme digitaler Instru­menten zu nutzen. Dies zeigt das Beispiel von digitaler Expertise, bei dem Handlungsfelder, Strukturen und Instrumente zusam­mengedacht werden müssen.

Beispiel: Aufbau von Expertise

Die zunehmende Wichtigkeit von Digitalthemen und dazugehörigen Instrumenten sollte sich unter anderem in der Aus- und Fortbildung von Außenministerien wider­spiegeln. So hat etwa Australien 2017 ein »Cyber Affairs Curriculum« für seine Dip­lomatenakademie erstellt, das Lern­inhalte zu grundsätzlichen Positionen des Landes auf diesem Feld bietet und allen Ministerien offensteht. Ein ähnliches Kon­zept ist für den weiten Themenkomplex Techno­logie/Digitalisierung und Außen­politik denkbar.

Diplomaten müssen verinnerlichen, dass entsprechende Fragen keinen abgesonderten Bereich bilden, sondern sich in vielfäl­tigen Kontexten niederschlagen – von bilateralen und multilateralen Beziehungen über Konfliktprävention, Stabilisierung und Sicherheitspolitik bis hin zu Menschen­rechten oder Wirtschaft. Zu vermeiden gilt jedenfalls, dass einzelne Referate, die sich speziell auf Themen wie »GeoTech« oder Cyber fokussieren, von anderen Arbeits­einheiten als eine Art interner Tech-Sektor wahrgenommen werden. Dafür muss in der Attachéausbildung und in Fortbildungs­kursen vermittelt werden, dass die digitale Transformation in nahezu allen Regionalkontexten und in Bereichen wie Wirtschafts-, Sicherheits- oder Entwicklungs­politik zu einem wichtigen Faktor geworden ist, der sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringt. Wie intensiv und detailliert die Kurse ausfallen, lässt sich je nach Notwendigkeit und persönlichen bzw. fachlichen Voraussetzungen anpassen. Zudem sollte die Möglichkeit erörtert wer­den, Diplomaten – wie im britischen System – für eine vorübergehende Tätig­keit im Tech-Sektor freizustellen.

Darüber hinaus wird insbesondere bei der Nutzung digitaler Instrumente spezi­fisches Fachpersonal benötigt, das zum Beispiel auf Datenanalyse und KI-Anwen­dungen spezialisiert ist. Dies ist eine Her­ausforderung für Ministerien, die aufgrund ihrer starren Laufbahnen und der im Ver­gleich zur freien Wirtschaft niedrigeren Gehälter oftmals nicht attraktiv genug für Seiteneinsteiger aus dem Tech-Sektor sind. Zudem sind solche Experten rar. Im deut­schen Kontext könnte das Auswärtige Amt von den Erfahrungen des Bundesministe­riums der Verteidigung (BMVg) und anderer nationaler Ressorts lernen, ebenso von Ministerien anderer Länder, und sich über die Vor- und Nachteile bestehender Maß­nahmen zur Personalbeschaffung im Tech-Bereich informieren. Es sollten neue Wege der Rekrutierung beschritten werden, etwa durch Anstellung von Fachpersonal jenseits der Laufbahnstruktur. Generell ist zu prü­fen, wie mehr Durchlässigkeit zwischen Ministerium, Privatwirtschaft und Zivil­gesellschaft hergestellt werden kann. Dabei ist auch wichtig, Schnittstellenkompetenz innerhalb des Amtes zu schaffen, so dass sich auf der einen Seite technische Exper­tise einbringen, auf der anderen außen­politisches und bürokratisches Wissen ver­mitteln lässt. Das AA kann hier auf die Erfahrungen aus dem Datenpool-Projekt PREVIEW bauen, das zur Krisenfrüherkennung, Konfliktanalyse und Strategischen Vorausschau dient.

Auch sollte in Betracht gezogen werden, im AA einen Innovation Hub aufzubauen. Verschiedene Ministerien haben bereits solche Knotenpunkte ins Leben gerufen, um zugunsten digitaler Lösungen die Zu­sammenarbeit mit Tech-Sektor und Start-ups zu intensivieren und digitale Instrumente sowie neuere Arbeitsmethoden zu testen – so das BMVg mit dem Cyber In­novation Hub, das BMI mit dem Digital Innovation Team und das BMZ mit Digilab. Angesichts der erwünschten Zunahme digitaler Instrumente und der Adaptation neuerer Arbeitsweisen mit anderen Ressorts brächte ein Innovation Hub im AA den Mehrwert, vielfältige Ideen, Akteure und Technologien zu bündeln und zu vernetzen. Er würde auch dazu beitragen, das »Mainstreaming« des Themas Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik auf den verschiedenen Ebenen des Ministe­riums zu unterstützen.

Darüber hinaus ließen sich die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik besser und strategischer für den Themenkomplex Technologie und Geopolitik nut­zen. Die deutschen Botschaften und Konsu­late können Informationen über techno­logische Entwicklungen und Stärken der jeweiligen Gastländer liefern. Innerhalb der Bundesregierung kann das AA damit eine wichtige Funktion erfüllen. In aus­gewähl­ten Vertretungen, die von größerer Bedeu­tung für den Sachbereich sind – Brüssel, Neu-Delhi, Paris, Peking, San Fran­cisco, Seoul, Singapur, Tokio, Washington etc. –, sollten die Posten von Technologiereferenten bzw. Tech-Attachés eingerichtet wer­den. Ferner wäre denkbar, dass das Auswär­tige Amt an ausgewählten Standorten den Aufbau von Tech-Initiativen bzw. Hubs unterstützt, um den Aus­tausch zwischen Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und Diplomatie zu intensivieren. Andere Staa­ten haben solche Initia­tiven bereits ins Leben gerufen, so die Schweiz mit der Swissnex und Österreich mit Open Austria.

Mögliche Lehren für die deutsche Außenpolitik

Aus den internationalen Erfahrungen mit außenpolitischen Digitalstrategien lassen sich drei Lehren für die Bundesregierung ziehen. Erstens sollte eine solche Strategie – auch wenn sie sich nur auf Handlungsfelder konzentriert – mit dem Aufbau von Strukturen und Instrumenten in Verbindung gebracht werden. Handlungsfelder, auf denen das Auswärtige Amt sich enga­gieren möchte, sollten definiert werden; damit verbunden gilt es konkrete, nach Möglichkeit messbare Ziele aufzustellen, wofür die dänische Strategie ein Vorbild bietet. Dabei ist es wichtig, dass die Struk­turebene mit Zielen und Handlungsfeldern zusammengedacht wird, weil die Strategie ansonsten zu einem reinen Leitlinien-Dokument gerät. Mit anderen Worten be­stimmen Strukturen, Finanzen und vor­handene Expertise, wie ambitioniert eine Digitalstrategie sein kann. In diesem Zu­sammenhang sollte darüber nachgedacht werden, bestehende Referate innerhalb des AA auszubauen bzw. neue zu gründen, damit sich der stetig wachsende Themen­bereich besser abdecken lässt.

Zweitens sollte durch eine solche Strategie auch bestimmt werden, welche kon­krete Rolle das Auswärtige Amt national – vor allem im Zusammenspiel mit anderen Bundesministerien – und international einzunehmen hat. Dank Auslandsvertretungen und völkerrechtlicher Expertise bieten Außenministerien bei diesem The­menfeld einen unabdingbaren Mehrwert innerhalb von Regierungen. Dabei lassen sich Zuständigkeiten gegenüber anderen Ministerien nicht immer trennscharf ab­grenzen, was zu Reibungen führen kann. Angesichts der Tatsache, dass Digital- und Technologiepolitik nahezu immer auch Außenpolitik ist, dürfen Außenministerien und speziell das AA den Ambitionsgrad aber nicht zu gering ansetzen.

Drittens bleibt der Themenkomplex Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik eine interministerielle Aufgabe. Hier bie­tet das australische Modell eine mög­liche Inspiration. Mit dem Ambassador for Cyber Affairs and Critical Technology wurde dort eine Position geschaffen, deren Inhaber den Vorsitz einer neu eingerich­teten, vierteljährlich tagenden Whole-of-Government International Cyber and Critical Technology Engagement Group hat. Auch innerhalb der Bundesregierung sind gemeinsame Formate auf Arbeitsebene denkbar, denen Referenten aus verschiedenen Ministerien angehören. So ließen sich die unterschiedlichen wirtschafts-, sicher­heits- und ordnungspolitischen Fragen besser bearbeiten, die sich im Bereich Tech­nologie und Geopolitik stellen. Dabei könn­ten solche Cluster- bzw. Projektarbeitsteams um Referate des Auswärtigen Amtes herum gebildet werden.

Kaan Sahin ist ehemaliger Fellow im Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS).

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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