Die Klimaverhandlungen in Glasgow verliefen überraschend produktiv. Mit den Beschlüssen des »Glasgow Climate Pact« stehen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten nun vor weiteren Aufgaben. Bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Ägypten Ende 2022 (COP27) gilt es, das Ziel der langfristigen Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken und dafür Zusagen und Maßnahmen großer Verschmutzerländer einzufordern. Die Finanzierung der Klimapolitik ist zudem noch nicht in einer Weise gesichert, die wieder mehr Vertrauen auf Seiten der Entwicklungsländer schafft. Um die Klimakooperation international zu beschleunigen, wird es 2022 in besonderem Maße auf Deutschlands G7-Vorsitz ankommen. Dabei muss die Bundesregierung auch die G20-Staaten in den Blick nehmen und in der Europäischen Union die Verabschiedung des Fit-for-55-Pakets vorantreiben.
Bei der 26. Vertragsstaatenkonferenz (COP26) der VN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) in Glasgow wurde einmal mehr deutlich, dass die Umsetzung des 2015 verabschiedeten Pariser Klimaabkommens kein selbsttragender Prozess ist. Stattdessen ist die internationale Klimapolitik auf das kontinuierliche Engagement von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren angewiesen, damit neben der Erfüllung der primär prozeduralen Verpflichtungen weitergehende Impulse gesetzt werden. In Glasgow ging es erneut um fehlende Klimaschutzambitionen und um die wichtigsten Ursachen des anhaltenden Anstiegs der Treibhausgasemissionen. In einer gemeinsamen Erklärung (Glasgow Climate Pact) wurden erstmals in einer Abschlusserklärung zentrale Treiber des Klimawandels explizit beim Namen genannt, nämlich der Kohleverbrauch im Stromsektor und die Subventionierung fossiler Energieträger.
Schwierige Ausgangslage
Die Voraussetzungen für ein Gelingen der COP26 waren denkbar ungünstig. Wegen der Corona-Pandemie musste die Konferenz um ein Jahr verschoben werden, und die COP25 in Madrid hatte 2019 kaum Fortschritte bei kritischen Themen hervorgebracht, insbesondere keine Verständigung über die letzten offenen Punkte beim »Pariser Regelbuch«. Dieses enthält konkrete Umsetzungsvorgaben für die Parteien des Pariser Abkommens. Die USA waren 2017 aus dem internationalen Prozess ausgestiegen und kamen erst Anfang 2021 an den Verhandlungstisch zurück (vgl. SWP-Aktuell 13/2021). Zudem wurde die Kritik an den Treffen auf VN-Ebene immer lauter, vor allem aus der Zivilgesellschaft: die Klimakonferenzen, so der Vorwurf, lieferten zu wenig Konkretes, es werde letztlich nur geredet statt gehandelt.
Die Ansprüche der britischen COP-Ausrichter waren daher bis kurz vor Beginn der Verhandlungen moderat, obwohl die Vorbereitungen 2021 einen insgesamt guten Verlauf genommen hatten. Denn die neue US-Regierung hatte nach ihrem Wiedereintritt in das Pariser Abkommen dem internationalen Prozess unmittelbar mehr Gewicht verliehen und auf wichtige Staaten diplomatisch eingewirkt. Auch die G7 und die G20 hatten unter dem Vorsitz Großbritanniens bzw. Italiens wichtige Wegmarken für einen Erfolg der COP26 gesetzt, beispielsweise die Beendigung der internationalen Kohlefinanzierung.
Nicht ganz so erfolgreich war das Bemühen, die Regierungen dazu zu bewegen, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten nationalen Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) rechtzeitig zu aktualisieren und die Ziele für das Jahr 2030 zu erhöhen. Eine Aktualisierung war für den Abstand von fünf Jahren verabredet worden und 2020 fällig. Auch fehlte es im Vorfeld noch an einer Vielzahl von nationalen Langfristplänen, in deren Rahmen die Regierungen meist Zieljahre für das Erreichen von Emissions-»Neutralität« kommunizieren.
»Keeping 1.5°C alive« – die Ergebnisse der Konferenz
Die Konferenzergebnisse in Glasgow lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Da sind zum einen die Ergebnisse der offiziellen UNFCCC-Arbeitsstränge und eine Abschlusserklärung, der alle 197 Vertragsparteien zugestimmt haben. Zum anderen wurden diverse Initiativen angekündigt, die nicht Teil der offiziellen UNFCCC-Verhandlungsagenda sind, aber von einzelnen Ländern und Ländergruppen unterstützt werden.
Die Abschlusserklärung von Glasgow enthält den Beschluss, den Zielfokus der internationalen Klimapolitik noch stärker auf die 1,5-Grad-Marke auszurichten. Das Pariser Abkommen von 2015 stellt die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf »deutlich unter 2 °C« in den Mittelpunkt und postuliert lediglich, »dass Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen«. Mit der Veröffentlichung des 1,5-Grad-Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) im Jahr 2018 hat sich der Fokus verändert, nicht zuletzt aufgrund einer veränderten Risikowahrnehmung.
Die 1,5-Grad-kompatible Menge an CO2-Emissionen (remaining carbon budget) wird Ende 2021 bei nur noch 320–420 Gigatonnen liegen, bei derzeit jährlichen globalen Emissionen von knapp über 40 Gigatonnen. Das Mantra der britischen COP-Präsidentschaft, man müsse die 1,5 Grad »in Reichweite halten«, lässt sich vor diesem Hintergrund eher auch als Eingeständnis verstehen, dass sich ein zumindest zeitweiliges Überschreiten (overshoot) dieser Temperaturschwelle ab Mitte der 2030er Jahre nicht mehr vermeiden lassen wird. Um die Temperatur anschließend wieder auf den angezielten Wert absinken zu lassen, müsste der Atmosphäre ab Mitte des Jahrhunderts mehr CO2 entzogen werden als dann noch ausgestoßen wird (netto negative Emissionen). Dieser Umstand wird auch in der »Zusammenfassung für Entscheidungsträger« des jüngsten IPCC-Berichts vom August 2021 entsprechend formuliert, im Rahmen der UNFCCC bislang aber nicht deutlich kommuniziert.
Ein zentraler Erfolg der COP26 war, dass das Pariser Regelbuch fertig verhandelt wurde. Bis zuletzt hakte es vor allem bei den Regeln für den internationalen Handel mit Emissionszertifikaten (Artikel 6). Auch wurden für den NDC-Prozess gemeinsame Zeitrahmen geschaffen. Die Zieljahre und ‑perioden sind nun für alle Vertragsparteien gleich, so dass regelmäßige Updates leichter vergleichbar und die Emissionseffekte aus den nationalen Klimaschutzvorhaben einfacher zu ermitteln sind. Dies erhöht die Transparenz der internationalen Klimapolitik und erlaubt genauere Abschätzungen darüber, mit welchem globalen Emissionspfad mittelfristig zu rechnen ist.
Trotz besserer Zielkorridore noch keine Erfolge
Die in der öffentlichen Kommunikation inzwischen dominierenden Kalkulationen für die Erderwärmung am Ende des Jahrhunderts –während der COP26 vorgestellte Studien weisen eine Schwankungsbreite von 1,8 bis 2,7 °C auf – sind in dreierlei Hinsicht problematisch. Zunächst gehen sie überwiegend davon aus, dass die von den Regierungen gemachten Ankündigungen auch eingehalten werden. Sodann schreiben sie nationale Emissionspfade bis zum Ende des Jahrhunderts fort, obwohl die meisten Regierungen ihre Ziele nur für 2030 und mitunter auch für die Jahrhundertmitte formuliert haben. Und darüber hinaus erweckt der Vergleich der entsprechenden Berechnungen über die vergangenen Jahre den Eindruck, die Klimapolitik mache dramatische Fortschritte. Doch dieser Effekt ist im Wesentlichen auf ehrgeizigere Ankündigungen zurückzuführen, zum Teil auch auf eine Ausweitung der verbleibenden globalen CO2-Budgets in den jüngsten IPCC-Berichten. Die jährlichen Emissionen jedenfalls sind seit der Einigung auf das Pariser Klimaabkommen zwar langsamer, aber doch weiter gestiegen. 2021 werden sie fast annähernd wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen.
Nicht zuletzt deshalb nehmen kurz- bis mittelfristige Erhöhungen der Ambitionen einen zentralen Stellenwert in den UNFCCC-Verhandlungen ein. Schon lange vor Glasgow waren die Vertragsstaaten aufgefordert, ehrgeizigere NDCs einzureichen. Die EU ist dem im Dezember 2020 nachgekommen, als sie ihr Reduktionsziel für 2030 von 40 auf 55 Prozent (Basisjahr 1990) verschärfte. Andere G20-Mitglieder wie die USA, die Türkei und Südafrika zogen erst 2021 nach. China und Indien beließen es bei mündlichen Ankündigungen und einige Länder lieferten nur ihre alten Zahlen ab. Vor diesem Hintergrund rufen die Unterzeichner des Glasgow Climate Pact dazu auf, 2022 anspruchsvollere nationale Ziele für 2030 zu formulieren. Dies nimmt vor allem jene Staaten in die Pflicht, die bislang noch kein Update vorgelegt haben. Es ist jedoch offen, ob die großen Emittenten wie Russland, China, Indien und Brasilien der nicht bindenden Aufforderung tatsächlich folgen werden. Die Regierungen Australiens und Neuseelands verkündeten direkt im Anschluss an die COP26, ihre Ziele für 2030 nicht erhöhen zu wollen.
Für die EU hat die Kommission bereits klargestellt, 2022 keinen neuen NDC mit gesteigerten Ambitionen vorzulegen. Auch der nach Glasgow vorgestellte Koalitionsvertrag der neuen Bunderegierung geht nicht über das bisher schon gültige Klimaschutzziel für 2030 hinaus. Innerhalb der EU überwiegt die Ansicht, dass die Priorität darauf liegen müsse, die eigenen Ankündigungen auch tatsächlich umzusetzen.
Weitere COP26-Initiativen zum Klimaschutz
Gastgeber Großbritannien hatte vier zusätzliche Vorhaben angekündigt und für diese schon im Vorlauf der zweiwöchigen COP Mitstreiter gesucht. Es ging um den Kohleausstieg, das Ende des Verbrennungsmotors, Finanzhilfen und Aufforstung (»coal, cars, cash and trees«). Rund um das Thema Kohle gibt es verschiedene Ankündigungen und Initiativen, die bereits zuvor auf den Weg gebracht wurden: seien es die von den G7 und G20 angestrebte Einstellung der Kohlefinanzierung in Drittstaaten, die Ausrichtung auf »saubere« Kohle (also mit Abscheidung des CO2 und dessen anschließender Weiterverwendung oder unterirdischer Speicherung ) oder die finanzielle Unterstützung von Ländern bei einem sozialverträglichen Kohleausstieg, wie etwa in der mit Südafrika vereinbarten Energiewendepartnerschaft. Hierfür hatte sich eine Gruppe von Gebern –Deutschland, Frankreich, die EU und die USA – zusammengefunden und mit der südafrikanischen Regierung ein 8,5 Milliarden Dollar umfassendes Programm ausgehandelt. Der »Südafrika-Deal« ist Teil eines Portfolios von Finanzierungsvereinbarungen zum Kohleausstieg, die auch mit asiatischen Ländern geschlossen wurden, und dieses wird ergänzt durch neue Geldgeber.
Eine weitere Initiative ist die von Dänemark und Costa Rica lancierte »Beyond Oil and Gas Alliance« (BOGA), unter deren Dach sich eine Reihe von Staaten, Bundesstaaten und Regionen versammelt haben. Ziel ist die wirtschaftliche Loslösung von Öl und Gas bei gleichzeitiger Vermeidung sozialer Härten (just transition).
Die Senkung der Methanemissionen stand im Vorfeld der COP26 ebenfalls im Zentrum der Bemühungen. US-Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen starteten die Initiative »Global Methane Pledge«, die zum Ziel hat, die Methanemissionen zwischen 2020 und 2030 um 30 Prozent zu reduzieren und die Emissionen mit Hilfe der neuesten Technik zu messen. Bisher beteiligen sich 105 Staaten an dem Pakt. Zusammen mit China präsentierten die USA eine gemeinsame Erklärung, in der Methanreduktionen ebenfalls ein wichtiges Ziel sind.
Die Liste neuer Kooperationen zur Senkung von Emissionen fossiler Energieträger war noch nie so umfangreich. Teilweise macht der Katalog aber deutlich, dass sich Partnerländer und Themen häufiger überschneiden. Auch bestehen ähnliche Initiativen bereits länger, so dass es notwendig erscheint, dass die beteiligten Akteure das Zusammenspiel der verschiedenen Energiewende-, Finanzierungs- und Technologievorhaben einmal systematisch klären. Auch ist offen, ob die neu verkündeten Initiativen die beteiligten Länder dabei unterstützen sollen, ihre NDC-Ziele zu erreichen, oder ihnen ermöglichen sollen, die bisherigen Ambitionen zu steigern.
Zwischen COP26 und COP27
Die Ergebnisse der Verhandlungen in Glasgow werden nicht von allen Ländern als Erfolg wahrgenommen und viele zivilgesellschaftliche Akteure bleiben skeptisch. Dies liegt unter anderem an dem Eindruck, dass die mächtigsten Vertragsstaaten einen schon erzielten Konsens noch in letzter Minute verändern können, wie es China und Indien bei der Formulierung zur Kohleverstromung gelang, während kleineren Staaten solche Interventionen verwehrt wurden.
Die vielen vulnerablen Länder sind zudem weiterhin unzufrieden mit den Fortschritten der Verhandlungen über Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und kritisieren die mangelnde Einhaltung finanzieller Zusagen. Sie fordern, dass Klimaanpassung als globale und nicht allein nationale oder regionale Herausforderung anerkannt wird. Es gelang den ärmeren Ländern, den Industriestaaten in Glasgow abzuringen, dass die Finanzmittel für die Klimaanpassung für die Periode 2019–2025 gesteigert werden. Die Geberländer sagten eine Verdopplung dieser Mittel zu. Damit soll eine Schieflage korrigiert werden, denn die Klimafinanzen werden bisher überwiegend für die Reduktion von Emissionen eingesetzt. Auch wurden die Mittel für den relativ kleinen Anpassungsfonds verdoppelt, und Umsätze aus dem internationalen Emissionshandel sollen künftig mit einer Abgabe belegt werden, um Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren. In der Summe reichen diese Absprachen aber nicht an die erstmals bei der COP15 in Kopenhagen formulierte Ankündigung der Industrieländer heran, jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für die Unterstützung der Entwicklungsländer bereitzustellen.
Auch beim Thema »Verluste und Schäden« (Loss and Damage), die durch den Klimawandel hervorgerufen werden, sind die vulnerablen Länder weiterhin unzufrieden mit dem geringen Engagement der reichen Staaten. Eine Haftung und Verpflichtung zur Entschädigung für Folgen des Klimawandels wird zwar in den Verhandlungen schon lange gefordert. Entsprechende Vorstöße scheiterten aber bisher vor allem wiederholt am Veto der US-Regierung, die hohe finanzielle Ansprüche befürchtet (vgl. SWP-Studie 5/2020). Die schottische Premierministerin brach in dieser Hinsicht mit einem Tabu: Ihre Regierung stellt eine Million britische Pfund bereit für Verluste und Schäden, die durch den Klimawandel verursacht wurden. Wenn man die Vertrauenslücke schließen will, die sich bei dieser Frage aufgetan hat, muss die Aushandlung weiterer Finanzzusagen somit ein zentrales Element der Vorbereitungen für die COP27 in Sharm al-Sheikh sein.
Europa ist weiterhin gefordert
Während Großbritannien die Übergabe der COP-Präsidentschaft an Kairo begleitet, wird sich die EU 2022 um eine zügige legislative Umsetzung des Fit-for-55-Pakets bemühen, das weit mehr als ein Dutzend Vorhaben umfasst. Denn mit diesem Maßnahmenprogramm kann sie international demonstrieren, wie die Erfüllung klimapolitischer Ziele konkret organisiert werden kann, und gleichzeitig jene Staaten unter Zugzwang setzen, die hinterherhinken, sowohl bei der Implementierung als auch bei den NDC-Ambitionen. Eine weitere Steigerung der EU-Klimaziele als Beitrag zum Upgrade 2022, den die Konferenz in Glasgow beschlossen hat, wird es hingegen nicht geben. Die EU hat ihre Möglichkeiten bei den Ambitionen bereits zuvor ausgereizt und damit ihre Vorreiterrolle bei der Einhaltung der internationalen Regeln in den letzten Jahren gestärkt. Sie wird nun unter Beweis stellen müssen, dass es ihr gelingt, die Lasten bei der Implementierung des Reduktionsziels von 55 Prozent zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Wirtschaftssektoren fair zu teilen, ein Unterfangen, dessen Konfliktpotential angesichts von zuletzt deutlich gestiegenen Energiepreisen noch einmal zugenommen hat.
Auch wenn die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten darauf hinweisen, dass sie ihre eigenen Klimaschutzpläne auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet haben, so müssen sie gleichwohl weiterhin selbst in Vorlage gehen, wenn es um die Bewältigung der zu erwartenden globalen Zielüberschreitung geht. Ein solches Engagement könnte dazu beitragen, die anderen großen Emittenten für verbesserte NDCs zu gewinnen. In der EU-Strategie zur Wiederherstellung nachhaltiger Kohlenstoffkreisläufe, die die Kommission im Dezember 2021 vorgestellt hat, wird erstmals konkret dargelegt, wie die EU Methoden, mit denen sich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen lässt, fördern und regulieren könnte. Diese nun in den EU-Institutionen beginnende Debatte zeigt, dass die in den Klimaschutzgesetzen der EU und einiger ihrer Mitgliedstaaten (z. B. Finnland, Schweden und Deutschland) formulierte Vision, langfristig netto negative Emissionen zu erreichen, zunehmend ernster genommen wird. Angesichts der laut IPCC wahrscheinlich nicht mehr vermeidbaren Überschreitung der globalen 1,5-Grad-Schwelle im nächsten Jahrzehnt, dürfte der vielbeschworene 1,5-Grad-»Pfad« so zu verstehen sein, dass die europäische Klimapolitik langfristig zu einer Wiederannäherung der Welt an die 1,5-Grad-Schwelle von oben beitragen will. Dies wird nur möglich sein, wenn im globalen Maßstab netto negative CO2-Emissionen erreicht werden, mit der EU und ihren Mitgliedstaaten als naheliegenden Vorreitern (vgl. SWP-Studie 10/2020).
Neue mittelfristige Anreize will die Kommission mit der »Global-Gateway-Strategie« schaffen, eine auf den G7-Beschlüssen von 2021 beruhende Partnerschaftsinitiative, die mit finanzieller Unterstützung unter anderem Klima- und Energieprojekte im Ausland fördern soll. Die Organe und Mitgliedstaaten der EU wollen für Infrastrukturinvestitionen in dem genannten Bereich und in weiteren Politikfeldern (u. a. Digitales, Bildung, Gesundheit) bis 2027 bis zu 300 Milliarden Euro mobilisieren.
Mit Blick auf zögerliche Staaten wird international die Gangart andererseits wohl weiter verschärft werden müssen. Schon 2021 wurde im Rahmen der G7 und G20 viel Druck auf China, Indien und Russland ausgeübt. Der Instrumentenkasten der EU ist jedoch begrenzt. Gespräche mit wichtigen Handelspartnern über den CO2-Grenzausgleich (CBAM; vgl. SWP-Studie 9/2021) könnten als Hebel dienen; der CBAM soll nach Ablauf einer Einführungsphase ausländische Produkte wichtiger Sektoren in der EU ab 2026 mit einer CO2-Abgabe versehen und diese somit verteuern. Darüber hinaus wird es schwierig werden, neue Lock- oder Druckmittel aufzubieten, um Ägypten bei den Vorbereitungen der COP27 zu unterstützen.
Entscheidend für die Produktivität der internationalen Zusammenarbeit ist nach wie vor die Klimafinanzierung. Diese sollte durch gezielte Investitionsprogramme zur Dekarbonisierung ergänzt werden, wofür der »Südafrika-Deal« eine gute Vorlage bietet. Dafür müssten auch die USA mit ins Boot kommen, die bislang auf internationaler Bühne nur Zusagen gemacht, aber keine nationalen Beschlüsse zur Aufstockung von Finanzhilfen getroffen haben.
Es wird 2022 zudem auf das individuelle Engagement der europäischen Staats- und Regierungschefs ankommen. Die Erwartungen an die französische Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2022 sind dahingehend hoch. Sie werden aber gebremst von der Aussicht auf die französischen Präsidentschaftswahlen im April. Denn der Wahlkampf wird den Spielraum des amtierenden Präsidenten Macron für ein Agieren im Dienste der europäischen Politikprojekte stark einengen. In der zweiten Jahreshälfte, in der sich die Vorbereitungen für die COP27 intensivieren werden, hat dann mit Tschechien ein vergleichsweise kleiner EU-Mitgliedstaat den Ratsvorsitz inne, was die Kapazitäten für die Bearbeitung wichtiger internationaler EU-Vorhaben limitieren wird. Auch fehlt es dem Europäischen Auswärtigen Dienst seit Jahren an einer hinreichenden personellen Ausstattung, um die klimapolitische Agenda der EU international zu forcieren. Die jährlichen COPs beanspruchen die klimapolitischen Akteure Europas mit steigender Intensität. Die internationale Klimadiplomatie steht bereits seit Jahren vor der Herausforderung, diese Prozesse fortlaufend gestalten zu müssen, um substantielle Fortschritte im VN‑Gefüge auf den Weg zu bringen.
Umso mehr wird es daher auf die neue Bundesregierung ankommen und darauf, wie sie die globale Klimakooperation mitgestalten kann – auch mit Blick auf die stärkere Rolle, die das Auswärtige Amt dabei übernehmen soll. 2022 hat Deutschland zudem den Vorsitz der G7 inne und kann diesen »Klimaclub« vertiefen und für die internationale Kooperation nutzen. Alle G7‑Staaten sind derzeit klimapolitisch engagiert, inklusive der USA, die 2022 ihre Klimadiplomatie vorantreiben werden. Die G7-Staaten sollten noch stärker als bisher auf die klimapolitisch zögerlichen G20-Staaten einwirken, welche 2022 von Indonesien geleitet werden. Jakarta wird Unterstützung benötigen in dem Bestreben, auch die wichtigen G20-Mitglieder China und Indien einzubinden. Einzelne Klimaschutzallianzen und konkrete sektorale Vorhaben der COP26 können die Ambitionsbemühungen im Kreis der G20 voranbringen. Gleichzeitig wird die indonesische Regierung ihr Engagement für die Belange der Entwicklungsländer deutlich machen. Das heißt, dass die für den VN-Prozess drängenden Fragen der Klimaanpassung, der Verluste und Schäden sowie der Klimafinanzierung also auch im G20-Rahmen auf der Tagesordnung stehen werden.
Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des IPCC.
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doi: 10.18449/2021A81