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Auf dem Weg zur nächsten Klimakonfe­renz: Europa ist weiterhin gefordert

SWP-Aktuell 2021/A 81, 15.12.2021, 6 Pages

doi:10.18449/2021A81

Research Areas

Die Klimaverhandlungen in Glasgow verliefen überraschend produktiv. Mit den Be­schlüssen des »Glasgow Climate Pact« stehen die Europäische Union und ihre Mitglied­staaten nun vor weiteren Aufgaben. Bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Ägypten Ende 2022 (COP27) gilt es, das Ziel der langfristigen Begrenzung des Tempera­turanstiegs auf 1,5 Grad noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken und dafür Zusagen und Maßnahmen großer Verschmutzerländer einzufordern. Die Finanzierung der Kli­mapolitik ist zudem noch nicht in einer Weise gesichert, die wieder mehr Vertrauen auf Seiten der Entwicklungsländer schafft. Um die Klimakooperation international zu beschleunigen, wird es 2022 in besonderem Maße auf Deutschlands G7-Vorsitz an­kommen. Dabei muss die Bundesregierung auch die G20-Staaten in den Blick nehmen und in der Europäischen Union die Verabschiedung des Fit-for-55-Pakets vorantreiben.

Bei der 26. Vertragsstaatenkonferenz (COP26) der VN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) in Glasgow wurde einmal mehr deutlich, dass die Umsetzung des 2015 ver­abschiedeten Pariser Klimaabkommens kein selbsttragender Prozess ist. Stattdessen ist die internationale Klimapolitik auf das kon­tinuierliche Engagement von staat­lichen und nichtstaatlichen Akteuren angewiesen, damit neben der Erfüllung der primär pro­zeduralen Verpflichtungen weitergehende Impulse gesetzt werden. In Glasgow ging es erneut um fehlende Klimaschutzambitionen und um die wichtigsten Ursachen des anhaltenden An­stiegs der Treibhausgas­emissionen. In einer gemeinsamen Erklä­rung (Glasgow Climate Pact) wurden erstmals in einer Abschluss­erklärung zentrale Trei­ber des Klimawandels explizit beim Namen genannt, nämlich der Kohleverbrauch im Stromsektor und die Subventionierung fossiler Energieträger.

Schwierige Ausgangslage

Die Voraussetzungen für ein Gelingen der COP26 waren denkbar ungünstig. Wegen der Corona-Pandemie musste die Konferenz um ein Jahr verschoben werden, und die COP25 in Madrid hatte 2019 kaum Fort­schrit­te bei kritischen Themen hervor­gebracht, insbesondere keine Verständigung über die letzten offenen Punkte beim »Pariser Regelbuch«. Dieses enthält konkre­te Umsetzungsvorgaben für die Parteien des Pariser Abkommens. Die USA waren 2017 aus dem internationalen Prozess ausgestiegen und kamen erst Anfang 2021 an den Verhandlungstisch zurück (vgl. SWP-Aktuell 13/2021). Zudem wurde die Kritik an den Treffen auf VN-Ebene immer lauter, vor allem aus der Zivilgesellschaft: die Klima­konferenzen, so der Vorwurf, lieferten zu wenig Konkretes, es werde letztlich nur geredet statt gehandelt.

Die Ansprüche der britischen COP-Aus­richter waren daher bis kurz vor Beginn der Verhandlungen moderat, obwohl die Vor­bereitungen 2021 einen insgesamt guten Verlauf genommen hatten. Denn die neue US-Regierung hatte nach ihrem Wieder­eintritt in das Pariser Abkommen dem internationalen Prozess unmittelbar mehr Ge­wicht verliehen und auf wichtige Staaten diplomatisch ein­gewirkt. Auch die G7 und die G20 hatten unter dem Vorsitz Großbritanniens bzw. Italiens wichtige Wegmarken für einen Erfolg der COP26 gesetzt, beispiels­weise die Beendigung der internationalen Kohlefinanzierung.

Nicht ganz so erfolgreich war das Be­mühen, die Regierungen dazu zu bewegen, die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten nationalen Beiträge (Nationally Deter­mined Contributions, NDCs) rechtzeitig zu aktualisieren und die Ziele für das Jahr 2030 zu erhöhen. Eine Aktualisierung war für den Abstand von fünf Jahren verabredet worden und 2020 fällig. Auch fehlte es im Vorfeld noch an einer Vielzahl von natio­nalen Langfrist­plänen, in deren Rahmen die Regierungen meist Zieljahre für das Erreichen von Emissions-»Neutra­lität« kommunizieren.

»Keeping 1.5°C alive« – die Ergebnisse der Konferenz

Die Konferenzergebnisse in Glasgow lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Da sind zum einen die Ergebnisse der offiziellen UNFCCC-Arbeitsstränge und eine Abschluss­erklärung, der alle 197 Vertragsparteien zu­gestimmt haben. Zum anderen wurden diverse Initiativen angekündigt, die nicht Teil der offiziellen UNFCCC-Verhandlungs­agenda sind, aber von einzelnen Ländern und Ländergruppen unterstützt werden.

Die Abschlusserklärung von Glasgow enthält den Beschluss, den Zielfokus der internationalen Klimapolitik noch stärker auf die 1,5-Grad-Marke auszurichten. Das Pariser Abkommen von 2015 stellt die Be­grenzung des Temperaturanstiegs auf »deut­lich unter 2 °C« in den Mittelpunkt und pos­tuliert lediglich, »dass Anstrengungen unter­nommen werden, um den Temperatur­anstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen«. Mit der Veröffent­lichung des 1,5-Grad-Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) im Jahr 2018 hat sich der Fokus verändert, nicht zuletzt aufgrund einer veränderten Risikowahrnehmung.

Die 1,5-Grad-kompatible Menge an CO2-Emissionen (remaining carbon budget) wird Ende 2021 bei nur noch 320–420 Gigatonnen liegen, bei derzeit jährlichen globalen Emis­sionen von knapp über 40 Gigatonnen. Das Mantra der britischen COP-Präsident­schaft, man müsse die 1,5 Grad »in Reich­weite halten«, lässt sich vor diesem Hinter­grund eher auch als Eingeständnis ver­stehen, dass sich ein zumindest zeitweiliges Überschreiten (overshoot) dieser Temperaturschwelle ab Mitte der 2030er Jahre nicht mehr vermeiden lassen wird. Um die Tem­peratur anschließend wieder auf den an­gezielten Wert absinken zu lassen, müsste der Atmo­sphäre ab Mitte des Jahrhunderts mehr CO2 entzogen werden als dann noch ausgestoßen wird (netto negative Emissionen). Dieser Umstand wird auch in der »Zu­sammenfassung für Entscheidungsträger« des jüngs­ten IPCC-Berichts vom August 2021 entsprechend formuliert, im Rahmen der UNFCCC bislang aber nicht deutlich kommuniziert.

Ein zentraler Erfolg der COP26 war, dass das Pariser Regelbuch fertig verhandelt wurde. Bis zuletzt hakte es vor allem bei den Regeln für den internationalen Handel mit Emissionszertifikaten (Artikel 6). Auch wurden für den NDC-Prozess gemeinsame Zeitrahmen geschaffen. Die Zieljahre und ‑perioden sind nun für alle Vertragsparteien gleich, so dass regelmäßige Updates leichter vergleichbar und die Emissions­effekte aus den nationalen Klimaschutz­vorhaben einfacher zu ermitteln sind. Dies erhöht die Transparenz der internationalen Klimapolitik und erlaubt genauere Abschät­zungen darüber, mit welchem globalen Emissionspfad mittelfristig zu rechnen ist.

Trotz besserer Zielkorridore noch keine Erfolge

Die in der öffentlichen Kommunikation inzwischen dominierenden Kalkulationen für die Erderwärmung am Ende des Jahr­hunderts –während der COP26 vorgestellte Studien weisen eine Schwankungsbreite von 1,8 bis 2,7 °C auf – sind in dreierlei Hinsicht problematisch. Zunächst gehen sie überwiegend davon aus, dass die von den Regierungen gemachten Ankündigungen auch eingehalten werden. Sodann schreiben sie nationale Emissionspfade bis zum Ende des Jahrhunderts fort, obwohl die meisten Regierungen ihre Ziele nur für 2030 und mitunter auch für die Jahrhundertmitte formuliert haben. Und darüber hinaus erweckt der Vergleich der entsprechenden Berechnungen über die vergangenen Jahre den Eindruck, die Klimapolitik mache dramatische Fortschritte. Doch die­ser Effekt ist im Wesentlichen auf ehrgeizigere Ankündigungen zurückzuführen, zum Teil auch auf eine Ausweitung der verblei­benden globalen CO2-Budgets in den jüngs­ten IPCC-Berichten. Die jährlichen Emissionen jedenfalls sind seit der Einigung auf das Pariser Klimaabkommen zwar lang­samer, aber doch weiter gestiegen. 2021 werden sie fast annähernd wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen.

Nicht zuletzt deshalb nehmen kurz- bis mittelfristige Erhöhungen der Ambitionen einen zentralen Stellenwert in den UNFCCC-Verhandlungen ein. Schon lange vor Glas­gow waren die Vertragsstaaten aufgefordert, ehrgeizigere NDCs einzureichen. Die EU ist dem im Dezember 2020 nachgekommen, als sie ihr Reduktionsziel für 2030 von 40 auf 55 Prozent (Basisjahr 1990) verschärfte. Andere G20-Mitglieder wie die USA, die Tür­kei und Südafrika zogen erst 2021 nach. China und Indien beließen es bei münd­lichen Ankündigungen und einige Länder lieferten nur ihre alten Zahlen ab. Vor die­sem Hintergrund rufen die Unterzeichner des Glasgow Climate Pact dazu auf, 2022 an­spruchsvollere nationale Ziele für 2030 zu formulieren. Dies nimmt vor allem jene Staaten in die Pflicht, die bislang noch kein Update vorgelegt haben. Es ist jedoch offen, ob die großen Emittenten wie Russland, China, Indien und Brasilien der nicht bin­denden Aufforderung tatsächlich folgen werden. Die Regierungen Australiens und Neuseelands verkündeten direkt im An­schluss an die COP26, ihre Ziele für 2030 nicht erhöhen zu wollen.

Für die EU hat die Kommission bereits klargestellt, 2022 keinen neuen NDC mit gesteigerten Ambitionen vorzulegen. Auch der nach Glasgow vorgestellte Koalitionsvertrag der neuen Bunderegierung geht nicht über das bisher schon gültige Klima­schutzziel für 2030 hinaus. Innerhalb der EU überwiegt die Ansicht, dass die Priorität darauf liegen müsse, die eigenen Ankündigungen auch tatsächlich umzusetzen.

Weitere COP26-Initiativen zum Klimaschutz

Gastgeber Großbritannien hatte vier zusätz­liche Vorhaben angekündigt und für diese schon im Vorlauf der zweiwöchigen COP Mitstreiter gesucht. Es ging um den Kohle­ausstieg, das Ende des Verbrennungsmotors, Finanzhilfen und Aufforstung (»coal, cars, cash and trees«). Rund um das Thema Kohle gibt es verschiedene Ankündigungen und Initiativen, die bereits zuvor auf den Weg ge­bracht wurden: seien es die von den G7 und G20 angestrebte Einstellung der Kohlefinan­zierung in Drittstaaten, die Ausrichtung auf »saubere« Kohle (also mit Abscheidung des CO2 und dessen anschließender Weiter­verwendung oder unterirdischer Speicherung ) oder die finan­zielle Unterstützung von Ländern bei einem sozialverträglichen Kohleausstieg, wie etwa in der mit Süd­afrika vereinbarten Energie­wendepartner­schaft. Hierfür hatte sich eine Gruppe von Gebern –Deutschland, Frankreich, die EU und die USA – zusammengefunden und mit der südafrikanischen Regierung ein 8,5 Milliarden Dollar umfassendes Pro­gramm ausgehandelt. Der »Südafrika-Deal« ist Teil eines Portfolios von Finanzierungsvereinbarungen zum Kohleausstieg, die auch mit asiatischen Ländern geschlossen wurden, und dieses wird ergänzt durch neue Geldgeber.

Eine weitere Initiative ist die von Dänemark und Costa Rica lancierte »Beyond Oil and Gas Alliance« (BOGA), unter deren Dach sich eine Reihe von Staaten, Bundesstaaten und Regionen versammelt haben. Ziel ist die wirtschaftliche Loslösung von Öl und Gas bei gleichzeitiger Vermeidung sozialer Härten (just transition).

Die Senkung der Methanemissionen stand im Vorfeld der COP26 ebenfalls im Zentrum der Bemühungen. US-Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen starteten die Initiative »Global Methane Pledge«, die zum Ziel hat, die Methanemissionen zwischen 2020 und 2030 um 30 Prozent zu reduzieren und die Emissionen mit Hilfe der neuesten Technik zu messen. Bisher beteiligen sich 105 Staa­ten an dem Pakt. Zusammen mit China präsentierten die USA eine gemeinsame Erklärung, in der Methanreduktionen eben­falls ein wichtiges Ziel sind.

Die Liste neuer Kooperationen zur Sen­kung von Emissionen fossiler Energieträger war noch nie so umfangreich. Teilweise macht der Katalog aber deutlich, dass sich Partnerländer und Themen häufiger über­schneiden. Auch bestehen ähnliche Initia­tiven bereits länger, so dass es notwendig erscheint, dass die beteiligten Akteure das Zusammenspiel der verschiedenen Energie­wende-, Finanzierungs- und Technologievorhaben einmal systematisch klären. Auch ist offen, ob die neu verkündeten Initiativen die beteiligten Länder dabei unterstützen sollen, ihre NDC-Ziele zu erreichen, oder ihnen ermöglichen sollen, die bisheri­gen Ambitionen zu steigern.

Zwischen COP26 und COP27

Die Ergebnisse der Verhandlungen in Glas­gow werden nicht von allen Ländern als Er­folg wahrgenommen und viele zivilgesell­schaftliche Akteure bleiben skeptisch. Dies liegt unter anderem an dem Eindruck, dass die mächtigsten Vertragsstaaten einen schon erzielten Konsens noch in letzter Minute verändern können, wie es China und Indien bei der Formulierung zur Kohleverstromung gelang, während kleineren Staaten solche Interventionen verwehrt wurden.

Die vielen vulnerablen Länder sind zu­dem weiterhin unzufrieden mit den Fort­schritten der Verhandlungen über Maßnah­men zur An­passung an den Klimawandel und kritisieren die mangelnde Einhaltung finanzieller Zusagen. Sie fordern, dass Klima­anpassung als globale und nicht allein nationale oder regionale Heraus­forderung anerkannt wird. Es gelang den ärmeren Ländern, den Industriestaaten in Glasgow abzuringen, dass die Finanzmittel für die Klimaanpassung für die Periode 2019–2025 gesteigert werden. Die Geberländer sagten eine Verdopplung dieser Mittel zu. Damit soll eine Schieflage korrigiert werden, denn die Klimafinanzen werden bisher über­wiegend für die Reduktion von Emissionen eingesetzt. Auch wurden die Mittel für den relativ kleinen Anpassungsfonds verdoppelt, und Umsätze aus dem internationalen Emissionshandel sollen künftig mit einer Abgabe belegt werden, um Anpassungs­maßnahmen zu finanzieren. In der Summe reichen diese Absprachen aber nicht an die erstmals bei der COP15 in Kopenhagen for­mulierte Ankündigung der Industrieländer heran, jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für die Unterstützung der Entwicklungsländer bereitzustellen.

Auch beim Thema »Verluste und Schäden« (Loss and Damage), die durch den Klima­wandel hervorgerufen werden, sind die vulnerablen Länder weiterhin unzufrieden mit dem geringen Engagement der reichen Staaten. Eine Haftung und Verpflichtung zur Entschädigung für Folgen des Klimawandels wird zwar in den Verhandlungen schon lange gefordert. Entsprechende Vor­stöße scheiterten aber bisher vor allem wiederholt am Veto der US-Regierung, die hohe finanzielle Ansprüche befürchtet (vgl. SWP-Studie 5/2020). Die schottische Premier­ministerin brach in dieser Hinsicht mit einem Tabu: Ihre Regierung stellt eine Mil­lion britische Pfund bereit für Verluste und Schäden, die durch den Klimawandel ver­ursacht wurden. Wenn man die Vertrauenslücke schließen will, die sich bei dieser Frage aufgetan hat, muss die Aus­hand­lung weiterer Finanzzusagen somit ein zentrales Element der Vorbereitungen für die COP27 in Sharm al-Sheikh sein.

Europa ist weiterhin gefordert

Während Großbritannien die Übergabe der COP-Präsidentschaft an Kairo begleitet, wird sich die EU 2022 um eine zügige legislative Umsetzung des Fit-for-55-Pakets bemühen, das weit mehr als ein Dutzend Vorhaben um­fasst. Denn mit diesem Maßnahmen­programm kann sie international demons­trieren, wie die Erfüllung klimapolitischer Ziele konkret organisiert werden kann, und gleichzeitig jene Staaten unter Zugzwang setzen, die hinterherhinken, sowohl bei der Implementierung als auch bei den NDC-Ambitionen. Eine weitere Steigerung der EU-Klimaziele als Beitrag zum Upgrade 2022, den die Konferenz in Glasgow be­schlos­sen hat, wird es hingegen nicht geben. Die EU hat ihre Möglichkeiten bei den Ambitionen bereits zuvor ausgereizt und damit ihre Vorreiterrolle bei der Ein­haltung der internationalen Regeln in den letzten Jahren gestärkt. Sie wird nun unter Beweis stellen müssen, dass es ihr gelingt, die Lasten bei der Implementierung des Reduktionsziels von 55 Prozent zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Wirt­schaftssektoren fair zu teilen, ein Unter­fangen, dessen Konfliktpotential an­gesichts von zuletzt deutlich gestiegenen Energiepreisen noch einmal zugenommen hat.

Auch wenn die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten darauf hinweisen, dass sie ihre eigenen Klimaschutzpläne auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet haben, so müssen sie gleichwohl weiterhin selbst in Vorlage gehen, wenn es um die Bewältigung der zu erwartenden globalen Zielüberschreitung geht. Ein solches Engagement könnte dazu beitragen, die anderen großen Emittenten für verbesserte NDCs zu gewinnen. In der EU-Strategie zur Wiederherstellung nach­haltiger Kohlenstoffkreisläufe, die die Kom­mission im Dezember 2021 vorgestellt hat, wird erstmals konkret dargelegt, wie die EU Methoden, mit denen sich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen lässt, fördern und regulieren könnte. Diese nun in den EU-Institutionen beginnende Debatte zeigt, dass die in den Klimaschutzgesetzen der EU und einiger ihrer Mitgliedstaaten (z. B. Finn­land, Schweden und Deutschland) formulierte Vision, langfristig netto negative Emis­sionen zu erreichen, zunehmend ernster genommen wird. An­gesichts der laut IPCC wahrscheinlich nicht mehr vermeidbaren Überschreitung der globalen 1,5-Grad-Schwelle im nächsten Jahrzehnt, dürfte der vielbeschworene 1,5-Grad-»Pfad« so zu ver­stehen sein, dass die europäische Klimapolitik langfristig zu einer Wiederannäherung der Welt an die 1,5-Grad-Schwelle von oben beitragen will. Dies wird nur möglich sein, wenn im globalen Maßstab netto negative CO2-Emissionen erreicht werden, mit der EU und ihren Mitgliedstaaten als naheliegen­den Vorreitern (vgl. SWP-Studie 10/2020).

Neue mittelfristige Anreize will die Kom­mission mit der »Global-Gateway-Strategie« schaffen, eine auf den G7-Beschlüssen von 2021 beruhende Partnerschaftsinitiative, die mit finanzieller Unterstützung unter anderem Klima- und Energieprojekte im Ausland fördern soll. Die Organe und Mit­gliedstaaten der EU wollen für Infrastrukturinvestitionen in dem genannten Bereich und in weiteren Politikfeldern (u. a. Digi­tales, Bildung, Gesundheit) bis 2027 bis zu 300 Milliarden Euro mobilisieren.

Mit Blick auf zögerliche Staaten wird international die Gangart andererseits wohl weiter verschärft werden müssen. Schon 2021 wurde im Rahmen der G7 und G20 viel Druck auf China, Indien und Russland ausgeübt. Der Instrumentenkasten der EU ist jedoch begrenzt. Gespräche mit wich­tigen Handelspartnern über den CO2-Grenz­ausgleich (CBAM; vgl. SWP-Studie 9/2021) könnten als Hebel dienen; der CBAM soll nach Ablauf einer Einführungsphase aus­ländische Produkte wichtiger Sektoren in der EU ab 2026 mit einer CO2-Abgabe ver­sehen und diese somit verteuern. Da­rüber hinaus wird es schwie­rig werden, neue Lock- oder Druckmittel auf­zubieten, um Ägypten bei den Vorbereitungen der COP27 zu unterstützen.

Entscheidend für die Produktivität der internationalen Zusammenarbeit ist nach wie vor die Klimafinanzierung. Diese sollte durch gezielte Investitionsprogramme zur Dekarbonisierung ergänzt werden, wofür der »Südafrika-Deal« eine gute Vorlage bie­tet. Dafür müssten auch die USA mit ins Boot kommen, die bislang auf internatio­naler Bühne nur Zusagen gemacht, aber keine nationalen Beschlüsse zur Aufstockung von Finanzhilfen getroffen haben.

Es wird 2022 zudem auf das individuelle Engagement der europäischen Staats- und Regierungschefs ankommen. Die Erwartungen an die französische Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2022 sind dahin­gehend hoch. Sie werden aber gebremst von der Aussicht auf die französischen Präsident­schaftswahlen im April. Denn der Wahlkampf wird den Spielraum des amtierenden Präsidenten Macron für ein Agieren im Dienste der europäischen Politikprojekte stark einengen. In der zweiten Jahreshälfte, in der sich die Vorbereitungen für die COP27 intensivieren werden, hat dann mit Tsche­chien ein vergleichsweise kleiner EU-Mit­gliedstaat den Ratsvorsitz inne, was die Kapazitäten für die Bearbeitung wichtiger internationaler EU-Vorhaben limitieren wird. Auch fehlt es dem Europäischen Aus­wärtigen Dienst seit Jahren an einer hin­reichenden personellen Ausstattung, um die klimapolitische Agenda der EU inter­national zu forcieren. Die jähr­lichen COPs beanspruchen die klimapolitischen Akteure Europas mit steigender Intensität. Die inter­nationale Klimadiplomatie steht bereits seit Jahren vor der Herausforderung, diese Pro­zesse fortlaufend gestalten zu müssen, um substantielle Fortschritte im VN‑Gefüge auf den Weg zu bringen.

Umso mehr wird es daher auf die neue Bundesregierung ankommen und darauf, wie sie die globale Klimakooperation mit­gestalten kann – auch mit Blick auf die stärkere Rolle, die das Auswärtige Amt da­bei übernehmen soll. 2022 hat Deutschland zudem den Vorsitz der G7 inne und kann diesen »Klimaclub« vertiefen und für die internationale Kooperation nutzen. Alle G7‑Staaten sind derzeit klimapolitisch engagiert, inklusive der USA, die 2022 ihre Klimadiplomatie vorantreiben werden. Die G7-Staaten sollten noch stärker als bisher auf die klimapolitisch zögerlichen G20-Staa­ten einwirken, welche 2022 von Indonesien geleitet werden. Jakarta wird Unterstützung benötigen in dem Bestreben, auch die wich­tigen G20-Mitglieder China und Indien ein­zubinden. Einzelne Klimaschutzallianzen und konkrete sektorale Vorhaben der COP26 können die Ambitionsbemühungen im Kreis der G20 voranbringen. Gleichzeitig wird die indonesische Regierung ihr Engage­ment für die Belange der Entwicklungs­länder deutlich machen. Das heißt, dass die für den VN-Prozess drängenden Fragen der Klimaanpassung, der Verluste und Schäden sowie der Klimafinanzierung also auch im G20-Rahmen auf der Tagesordnung stehen werden.

Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des IPCC.

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