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Zum Vergabestopp für den Schweren Transporthubschrauber

Was ein Verlust von Hubschrauberkapazitäten für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bedeutet

SWP-Aktuell 2020/A 80, 09.10.2020, 4 Pages

doi:10.18449/2020A80

Research Areas

Das Vergabeverfahren zur Beschaffung eines neuen Transporthubschraubers wurde gestoppt. Ein bruchloser Übergang zwischen dem in die Jahre gekommenen Mittleren Transporthubschrauber (MTH) und seinem Nachfolger ist nun möglicherweise nicht mehr zu gewährleisten. Auf die Beschaffung eines Schweren Transporthubschraubers (STH) als Ablösung zu verzichten würde die militärische Handlungsfähigkeit der Bun­deswehr einschränken. Dies gilt für den Einsatz im internationalen Krisenmanagement (IKM), bei Hilfeleistungen im In- und Ausland und in der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV).

Seit über zwei Jahren wird ein Nachfolger für den Mittleren Transporthubschrauber gesucht. 2018 wurden dafür 5,6 Milliarden Euro im Haushalt eingestellt. Da diese Sum­me nicht ausreicht, um die Beschaffung zu realisieren, wurde das Vergabeverfahren eingestellt. Als Grund gab das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) an, dass zu hohe Kosten das Projekt unwirtschaftlich machen würden. Als wichtiger Faktor gilt die vom Haushaltsausschuss ge­forderte Einbeziehung der deutschen Indus­trie, die zu einem nicht unerheblichen Teil (Betrieb, Wartung, Instandhaltung, Anpas­sung und Weiterentwicklung) das geistige Eigentum erhalten soll. Unterschriftsreif hätte der Vertrag nächstes Jahr sein sollen.

Großer Bedarf, ungewisse Haushaltsmittel

Die Mittleren Transporthubschrauber (MTH) vom Typ CH‑53 müssen dringend ersetzt werden. Seit seiner Beschaffung 1972 war der MTH ein wesentlicher Bestandteil der militärischen Handlungsfähigkeit der Bun­deswehr. Sein Einsatzspektrum reicht vom Personal- und Materialtransport, besonders in den Einsätzen der Bundeswehr, bis zu Löschoperationen, sowohl im In- als auch im Ausland.

Mittlerweile häufen sich Ausfallerscheinungen. Zwischen Juni 2019 und Juni 2020 mussten 24 Sicherheitslandungen durch­geführt werden. 22 erfolgten in der Bundes­republik und sind insofern weniger kritisch zu betrachten als die restlichen zwei im Aus­landseinsatz. Dass die Verfügbarkeit (Klar­stand) der Hubschrauber geheim gehalten wird, ist militärisch sinnvoll, verschleiert aber den Bedarf einer schnellen Nachfolge. Beim US-amerikanischen Unternehmen Sikorsky wurden Ersatzteile bestellt, die eine Nutzungsdauer bis mindestens 2030 sicherstellen sollen. Diese Bestellung ist ein weiterer Indikator dafür, dass der Handlungsdruck größer wird.

Die Diskussion über einen Ersatz zieht sich seit mehreren Jahren hin. Dabei war festgelegt worden, dass es sich nicht um eine Neuentwicklung handeln sollte. Zu­letzt wurden amerikanische Typen von Boeing und Sikorsky in Betracht gezogen. Weiterhin sollten die Mittleren durch Schwere Transporthubschrauber ersetzt werden. Dies erhöht die Transportkapazität, ohne dass zwangsläufig eine größere Flotte unterhalten werden muss. Unter den gege­benen perso­nellen, infrastrukturellen wie finanziellen Rahmenbedingungen ist das sinnvoll.

Jede Verzögerung bei Auswahl und Be­schaffung birgt Risiken für die militärische Handlungsfähigkeit. Je später die Entschei­dung getroffen wird, umso später werden Anpassungsprozesse angestoßen. Abgesehen davon drohen weitere Verzögerungen etwa im Bau von Infrastruktur oder in der Beschaffung von Trainingsmaterial. Der Stopp des Vergabeverfahrens, verbunden mit möglichen Einschränkungen des Haus­halts aufgrund der finanziellen Belastungen durch Covid, hat eine noch nicht verlässlich zu kalkulierende Verzögerung zur Folge, die eher länger als kürzer sein dürfte.

Einsatzbereitschaft braucht Zeit

Neben den Luftfahrzeugen werden zur Erreichung der Einsatzbereitschaft Tech­niker, Piloten, bordtechnisches Personal und solches zur Bordsicherung benötigt. Die sehr hohen Standards, die für die Sicherheit im Luftraum gelten, erfordern lange Ausbildungszeiten und eine Vielzahl von Spezialisierungen. Personal lässt sich umschulen, doch sind solche Schulungsmaßnahmen in der Übergangszeit eine Her­ausforderung.

Technisches Personal durchläuft eine äußerst differenzierte Ausbildung. Mili­tärisch vorteilhaft ist es, Soldatinnen und Soldaten zu schulen und sich nicht aus­schließlich auf die Industrie zu stützen. Die Basis-Ausbildung zum Fluggeräte­mecha­niker dauert bereits 3,5 Jahre, Wei­terbildungen nicht einbegriffen.

Neue Piloten brauchen ebenfalls circa drei Jahre, bis sie ihre Maschine fliegen können. Das umfasst aber noch nicht die Berechtigung, im Einsatzland zu fliegen. Die Ausbildungszeit genau zu bemessen ist schwierig, da sie insbesondere davon abhängig ist, wie viele Flugstunden in den Verbänden zur Verfügung stehen. Neue Maschinen sind weniger störanfällig, sind in höherem Maße verfügbar und erlauben daher eine größere Zahl an Flugstunden. Piloten in der Einsatzvorbereitung genießen den Vorzug bei der Zuweisung der vor­handenen Flugzeit. Ein geringer Klarstand bedeutet dementsprechend weniger Zeit zum Fliegen. Die Folge kann eine Schieflage zwischen erfahrenen und jungen Piloten sein: Letztere erhalten nicht genug Flug­stunden, um in den Einsatz gehen zu kön­nen. Deshalb muss das erfahrene Personal häufiger rotieren. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass es auf beiden Seiten Soldaten gibt, die den Dienst quittieren wollen. Geeignetes Personal ist aber schwer zu finden und erfahrenes unentbehrlich.

Die Einführung eines neuen Luftfahrzeugs erfordert auch den Aufbau eines Ausbildungssystems. Dazu müssen Lehrer ausgebildet und Simulatoren angeschafft werden; das bedeutet mitunter, dass die Infrastruktur anzupassen ist. Dies verursacht Kosten, braucht aber vor allem Zeit. Auch ohne Verzögerungen sind dafür bis zu sieben Jahre zu veranschlagen.

Schließlich muss die Truppe mit der neuen Maschine üben können. So gilt es etwa das Zusammenspiel mit Infanteriekräften und im Verbund mit anderen Hub­schraubern zu üben. Für den Materialtransport sind Konzepte zu erstellen und abzunehmen.

Als Folge all dessen könnte sich eine zeit­liche Lücke auftun, in der das neue Modell noch nicht und das alte Modell nicht mehr oder lediglich sehr eingeschränkt zur Ver­fügung steht. Je näher diese Zäsur rückt und je länger eine Nachfolge aufgeschoben wird, umso wahrscheinlicher wird der Ver­lust der Fähigkeiten, die das aktuelle Modell und Schwere Transporthubschrauber bieten.

Herausforderungen nach Aufgabenspektrum

Hubschrauber sind aufgrund ihrer viel­fältigen Einsatzmöglichkeiten häufig eine Mangelressource. Ihr Einsatz muss daher präzise geplant werden. Das Aufgabenspektrum des CH-53 ist breit. Diese Maschinen sind aber nicht die einzigen Transporthubschrauber der Bun­deswehr. Mit dem NH90 verfügt sie über ein weiteres Mittel zum Transport und zur Ausführung medizi­nischer Evakuierungsoperationen. Im Per­sonentransport zum Beispiel wäre jedoch die dreifache Menge an Luftfahrzeugen oder die dreifache Zeit nötig, um die gleiche Zahl an Menschen zu verbringen. Bestimmte Güter lassen sich indes gar nicht transpor­tieren, weil ihr Gewicht die Leistungsfähig­keit der kleineren Maschine überfordert.

Für die einzelnen Aufgaben der Bundeswehr sollte Folgendes beachtet werden:

1. Landes- und Bündnisverteidigung: Hier kommt Transporthubschraubern neben dem Materialtransport und der Ret­tung von Personal insbesondere die Rolle als Transportraum für luftbewegliche Ope­rationen zu. Im Zusammenspiel von Hub­schraubern und befähigter Infanterie (z. B. Fallschirmjägern) können in der Tiefe des Einsatzraums Brückenköpfe errichtet oder Ziele angegriffen werden. Ein Wegfall von Transportkapazität in der Dimension eines Mittleren Transporters würde erhebliche Einschränkungen bedeuten, weil sie sich durch leichtere Maschinen kaum auffangen lässt. Eine Verbringung in mehreren Wel­len ist zudem zeitintensiv und bietet dem Gegner mehr Reaktionsmöglichkeiten.

Auch in der Flexibilität der Versorgung wären größere Einschränkungen hinzunehmen. Hubschrauber können die Ver­sorgung wirksam unterstützen und Mate­rial zielgenau und verhältnismäßig schnell liefern. Neue Schwere Transporthubschrauber wären in der Lage, größere Mengen schneller an mehr Orte zu verbringen. In­sofern bringen sie in diesem Szenario eine Leistungssteigerung mit sich. Neue elektro­nische Abwehrsysteme steigern gleichzeitig die Überlebensfähigkeit des Hubschraubers.

2. Internationales Krisenmanagement: Im Einsatz bieten Transporthubschrauber eine Anzahl an Optionen, eigene oder ver­bündete Kräfte zu unterstützen. Sie machen die Truppe vor Ort hochbeweglich, vergrö­ßern den Einsatzradius und stellen die Not­fallversorgung sicher, etwa durch medizi­nische Evakuierungsoperationen. Dies macht sie interessant als politische Verhandlungs­masse bei Einsätzen im Rahmen von Nato-, EU- oder VN-Missionen. Sie können außer­dem dazu beitragen, Missionen abzusichern, bei denen die Gefahr der Verwundung eigener Kräfte groß ist. Die Mission in Mali, aber insbesondere jene in Afghanistan zei­gen den Wert dieser Fähigkeiten klar auf. Diese Aufgaben können grundsätzlich auch leichtere Transporthubschrauber wie der NH90 erfüllen. Der Wegfall der CH-53 be­deutet aber, dass die Bundeswehr insgesamt weniger Transporthubschrauber und Per­sonal verfügbar hätte, was sich auf die Ein­sätze negativ auswirken würde. Zudem lassen sich noch weniger Menschen und Güter transportieren, wenn, wie in Afgha­nistan, in großer Höhe operiert werden muss.

Hubschrauberfähigkeiten könnten theo­retisch auch von Verbündeten bereitgestellt werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass Hub­schrauber in den Einsätzen eine stark nach­gefragte Mangelressource sind. Nur mit eigenen Fähigkeiten kann verlässlich ge­plant werden.

Auch beim internationalen Krisenmanage­ment zeigen sich die Vorteile, die ein neuer Schwerer Transporthubschrauber bieten würde: mehr Transportkapazität, geringere Verwundbarkeit. Steht er auch den Verbün­de­ten zur Verfügung, könnte dies das An­sehen der Bundeswehr und der Bundes­republik heben.

3. Heimatschutz, nationales Risiko- und Krisenmanagement, subsidiäre Unter­stützungsleistungen sowie Humanitäre Not- und Katastrophenhilfe: Hubschrau­ber können in diesen Feldern eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen. Sie transportieren Material, verbringen Sandsäcke in Flutkatastrophengebiete, löschen Großbrände, wie in Thüringen und Niedersachsen (2019), evakuieren Menschen aus Notlagen und können eine große Zahl von Verletzten auf­nehmen. Aber nicht nur in Deutschland wäre ein Verlust dieser Hilfsleistungen spür­bar, denn sie wurden auch bereits in ande­ren Ländern erbracht, etwa bei Bränden in Griechenland (2007) oder bei einem Erd­rutsch in Pakistan (2005).

Ein Schwerer Transporthubschrauber wäre in der Lage, mehr Sandsäcke an eine größere Anzahl gefährdeter Stellen zu brin­gen oder eine größere Menge Wasser zu transportieren; Gleiches gilt für Hilfsgüter.

Fazit

Die Ablösung des Mittleren durch einen Schweren Transporthubschrauber ist sicher­heitspolitisch geboten. Die Nachfolge muss schnellstmöglich erneut angeschoben wer­den, um einen gänzlichen oder zeitweiligen Verlust dieser Fähigkeiten zu vermeiden. Da­bei ist auf die Zukunftsfähigkeit der Systeme und auf das Potential zu achten, sie weiter­zuentwickeln. Es ist besser, jetzt schlechter aus­gestattete Maschinen zu kaufen und diese später nachzurüsten, als auf perfekte zu warten. Übergangslösungen und Ersatz­teilbestellungen dienen nur als Notpflaster. Das dafür verwendete Geld wäre in einer Neubeschaffung besser angelegt.

Dringlich ist die Entscheidung, welches Modell beschafft werden soll. Zunächst könnte ein Leasing von Luftfahrzeugen als Übergangslösung in Betracht gezogen wer­den. Auch ein Kauf über das US-Verteidi­gungsministerium im Rahmen des »Foreign Mili­tary Sales«-Programms sollte geprüft werden. Da beide im Auswahlprozess erwo­genen Maschinen beim US-Militär vorhanden sind, wäre ein günstigerer Kauf denk­bar. Dies würde dem Ansatz entsprechen, marktverfügbar zu kaufen. Eine Neu­entwick­lung als Ersatz der CH-53 sollte angesichts der langen Dauer nicht verfolgt werden. Im Anschluss an die Auswahl wären Modelle für die Kooperation und Ausbildung im Rahmen von Nato und EU mit Partnern vorstellbar, die die gleichen Maschinen nutzen.

Die Einbindung der deutschen Industrie folgt dem Resilienz-Gedanken und ist daher zu begrüßen. Sie darf bei der Beschaffungsentscheidung zunächst aber nicht schwerer wiegen als der Fähigkeitsverlust. Hier sollte gemeinsam mit der Industrie über Über­gangslösungen nachgedacht werden, wel­che die Verantwortung für Betrieb, War­tung, Instandsetzung, Anpassungen und Weiterentwicklungen regeln. Den euro­päischen Markt dabei zu unterstützen, in diesem Segment langfristig zukunftsfähig zu werden, könnte eine Verhandlungsgrundlage sein.

Im Zuge der Refokussierung der Bundes­wehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung gilt es auch, die Wichtigkeit von Hub­schraubern neu zu erkennen. Sie bieten vielfältige Optionen, in der Logistik und für den Kampf. Was sie leisten können und im Rahmen von Auslandseinsätzen geleistet haben, unterstreicht ihren Wert zusätzlich.

Die Mittleren Transporthubschrauber sind schon jetzt außen- und sicherheits­politisch wertvoll. Eine regenerierte Flotte Schwerer Transporthubschrauber würde die momentane Leistungsfähigkeit übertreffen. Sie böte der Bundesrepublik vielfältige Mög­lichkeiten, im In- und Ausland Hilfe zu leis­ten, ebenso auch in Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen, der Nato und der EU und in der Landes- und Bündnisvertei­digung. Die Einführung neuer Hubschrau­ber sollte daher schnellstmöglich erfolgen.

Dr. Florian Schöne ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364