Unverzichtbar oder überflüssig? Die Zukunft der Vereinten Nationen in einer Zeit globaler Krisen
SWP-Podcast 2025/P 22, 08.09.2025 Research AreasDie Vereinten Nationen wirken 80 Jahre nach ihrer Gründung behäbig und blockiert. Dabei wird die UN angesichts der weltweiten Krisen dringender denn je gebaucht. Marianne Beisheim und Judith Vorrath analysieren die Herausforderungen und Chancen multilateraler Zusammenarbeit.
Hinweis: Dieses Transkript wurde mithilfe von KI generiert. Es handelt sich somit nicht um einen redaktionell erstellten und lektorierten Text.
Moderator: Super Bowl der Diplomatie, so wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen auch genannt. Der Grund ist, dort kommen im September die Staats- und Regierungschefs der Welt zusammen, um die diversen Lagen und Probleme zu erörtern. Oder auch nur, um sich, wie es auch schon häufiger passiert ist, mit wirklich denkwürdigen Auftritten zu verewigen. All das wird passieren unter der Ägide von Ex-Außenministerin Annalena Baerbock. Die ist nämlich die neue Präsidentin der Generalversammlung, pünktlich zum 80. Geburtstag dieser Institution. Keine leichte Aufgabe, die sie da übernommen hat. Denn nicht nur die Versammlung, sondern die UNO insgesamt gilt als angezählt, finanziell, strukturell und auch inhaltlich. Und das in einer Zeit, in der man sie angesichts der multiplen Krisen in der Welt eigentlich dringender bräuchte denn je. Über all das möchte ich jetzt sprechen mit Dr. Marianne Beisheim und Dr. Judith Vorrath. Sie forschen in den SWP-Gruppen Globale Fragen und Sicherheitspolitik. Hallo und herzlich willkommen Ihnen beiden.
Judith Vorrath/Marianne Beisheim: Hallo.
Moderator: Und ich bin Dominik Schottner. Hallo auch von meiner Seite. (.......) Frau Beisheim, 80 Jahre UNO-Generalversammlung. Was würden Sie sagen, ist jetzt anders als zum Start?
Marianne Beisheim: Naja, also Ausgangspunkt ist erstmal, nach wie vor sind die Vereinten Nationen, ist die UN-Generalversammlung, das universelle Forum, in dem alle Mitgliedstaaten eine Stimme haben. Aber es sind eben auch deutlich mehr Mitgliedstaaten. 1946 zur ersten Vollversammlung waren es 51 Staaten. Heute sind es 193 Mitgliedstaaten. Und das macht alles etwas schwieriger. Die Konsensfindung ist schwieriger. Es sind eben mehr Staaten. Das macht es komplizierter für das Sekretariat, die verschiedenen Anliegen, die diese Staaten haben, unterzubringen. Und all das führt zu behäbigeren und halt sehr routinisierten Prozessen. Jährlich gibt es 27.000 Treffen, 1100 Berichte. Das ist natürlich wirklich sehr, sehr viel zu tun.
Moderator: Aber nur um es nochmal sozusagen im Sinne eines Pro-Seminars Politikwissenschaft abzuklären. Das ist kein Weltparlament, wie es fälschlicherweise auch manchmal ja genannt wird. Das ist nicht, dass da Menschen hineingewählt werden, sondern die werden entsandt.
Marianne Beisheim: Es sind die Regierungen. Es sind nicht die Parlamente. Es sind Vertreterinnen und Vertreter der Regierung, die sich dort treffen. Das ist in der Tat wichtig zu sagen. Und das sind eben sehr unterschiedliche Staaten. Die wenigsten sind Demokratien. Es sind eben auch sehr, sehr viele Autokratien zusammen. Und viele von denen treffen sich übrigens lieber in kleineren Club-Formaten, wie etwa die G7 oder die G20 oder die BRICS Plus. Also die kleineren Formate mit wenigeren Staaten, deswegen oft minilaterale Formate genannt, weil sie hier eben mehr unter sich sind mit Gleichgesinnten und Dinge bewegen können.
Moderator: Ja, Frau Vorrath, es gibt ja nicht nur die Generalversammlung, sondern auch gerade beim Thema Sicherheit. Deswegen heißt er ja auch so, ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein sehr wichtiges Gremium. Können Sie mal beschreiben, wie diese beiden Institutionen zueinander stehen?
Judith Vorrath: Im Grunde ist ihr Verhältnis ziemlich gut geklärt, verankert in der UN-Charta. Da steht ganz klar, dass die Hauptverantwortung für Frieden und internationale Sicherheit dem Sicherheitsrat zufällt. Aber die Generalversammlung hat eine Nebenrolle, wenn man so will, also eine gänzende zusätzliche Rolle in diesem Feld, auf die vielleicht lange nicht so der Fokus lag. Jetzt ist es aber so, dass der Sicherheitsrat zunehmend an seine Grenzen gerät, bei der Hauptverantwortung für Frieden und Sicherheit die wahrzunehmen. Es gibt politische Blockaden bei sehr bekannten Fällen, wie beim Gaza-Krieg oder Ukraine. Es gibt aber auch zunehmend Widerstände und Probleme bei früher nicht sehr strittigen Fragen. Wir sehen das daran, dass es immer weniger Resolutionen gibt, die verabschiedet werden. Das ist auch in diesem Jahr in der ersten Jahreshälfte wieder runtergegangen. Es gibt auch eine hohe Zahl an nicht einstimmigen Beschlüssen und sehr viele Belege, die auch untermauern, dass es tatsächlich immer schwieriger wird, einen Konsens in dem Gremium zu finden. Das heißt, der Sicherheitsrat kann seiner Rolle immer seltener nachkommen. Und das, obwohl er mehr gebraucht würde denn je. Denn wir haben eine Höchstzahl an bewaffneten Konflikten in der Welt zurzeit, die auch zunehmend mehr Todesopfer insgesamt fordern. Das heißt, er wäre sehr gefragt, ist aber wenig handlungsfähig. Und da kommt die Generalversammlung, rückt da zunehmend in den Fokus. Die Hoffnung einiger Staaten ist, dass vielleicht der Weg über die Generalversammlung ein Ausweg ist, aus dieser Blockade, die sich da zum Teil im Sicherheitsrat auftut. Da hat die Generalversammlung Möglichkeiten. Also es gibt einerseits ein bisschen so die Funktion der Kontrolle. Sie kann Vetomächte mittlerweile seit 2022 insoweit zur Verantwortung ziehen, wenn sie ihr Veto nutzen, dass es innerhalb von zehn Tagen ein Treffen der Generalversammlung gibt, zu dieser Frage, wo das Veto eingelegt wurde und sich da dieser Staat zwar nicht unbedingt erklären muss, aber das Thema aufgerufen wird und das Veto thematisiert wird. Es gibt aber auch die Möglichkeit für die Generalversammlung, wenn es in einer Frage eine Patz-Situation im Sicherheitsrat gibt und der sich nicht wirklich mit ihr befassen kann, unter der sogenannten Uniting-for-Peace-Resolution zusammenzukommen, in einer Notfallsitzung sozusagen, und sich mit dieser Frage auch zu befassen und da auch Empfehlungen abzugeben konkret. Und das ist auch einige Male passiert in der Vergangenheit.
Moderator: Aber jetzt haben Sie schon das Wort Empfehlungen gesagt. Rechtlich bindend sind diese dann nicht am Ende, im Gegensatz zu den Resolutionen des Sicherheitsrates, oder?
Judith Vorrath: Ja, das ist in der Tat richtig. Das ist der große Unterschied. Das begrenzt den Einfluss der Generalversammlung in gewisser Hinsicht. Gleichzeitig ist aber das große Plus natürlich, dass, wie Marianne bereits gesagt hat, alle Mitgliedstaaten, alle 193 dort vertreten sind. Das ist also auch eine Frage der Legitimität. Allerdings muss man auch sagen, und das streut etwas Sand ins Getriebe, wenn es um den Ausweg über die Generalversammlung geht, muss man klar sagen, dass diese ihre Möglichkeiten auch gar nicht so weitreichend genutzt hat. Beispielsweise seit 2000 gab es keine Beschlüsse mehr zur Friedensmission, die die Generalversammlung auch machen kann. Sie kann die mandatieren, sie kann sie verlängern, sie kann unterstützen, wenn Sicherheitsratsbeschlüsse vielleicht auch nicht weit genug gehen. Und das hat die Generalversammlung auch nicht mehr sehr stark genutzt, diese Möglichkeit. Und wir sehen an verschiedenen Punkten, dass gerade bei Frieden und Sicherheit auch die Generalversammlung teilweise gespalten ist oder ein Konsens oder zumindest eine Mehrheit sehr schwierig ist.
Moderator: Wir schauen natürlich auf die kommende Generalversammlung auch ein bisschen genauer hin. Und vielleicht noch, weil mit Annalena Baerbock ja eine sehr prominente deutsche Person, Präsidentin jetzt, ist an Sie beide gerichtet die Frage, was wissen Sie über das, was Frau Baerbock sich vorgenommen hat für diese Institution?
Judith Vorrath: Sie hat sich sehr viel vorgenommen, denke ich. Insbesondere bei der Betonung, dass die Arbeit der Generalversammlung unter ihrer Ägide inklusiv und transparent sein soll. und gleichzeitig ist sie durchaus ambitioniert, was Themen angeht. Wenn ich jetzt den Bereich Frieden und Sicherheit nehme, ist da auch die Rede von einer zentralen Rolle durchaus der Generalversammlung. Und ich habe ja gerade gesagt, dass das nicht so einfach ist. Es geht auch um innovative Partnerschaften für Frieden, die im Konsens mit dem Sicherheitsrat, aber aus ihrer Sicht auch vorangetrieben werden sollen. Und dieser Konsens ist natürlich, wie eben gesagt, nicht so einfach herzustellen. Besonders bei den Themen, die ihr wichtig sind, zum Beispiel Frauen, Frieden und Sicherheit. Ein Thema, was sie auch immer konkret genannt hat. Und das ist im Sicherheitsrat tatsächlich zunehmend umstritten. Insofern ist es eine durchaus ambitionierte Agenda.
Marianne Beisheim: Ja, jede Kandidatin legt ein kleines Programmpapier vor. Das nennt sich Vision Statement, also legt ihre Vision dar. Das ist hier übertitelt mit Better Together, also Besser zusammen, was mehrere Aspekte umfasst. Zum einen betont sie sehr stark, dass alle Mitgliedstaaten von ihr gehört und unterstützt werden sollen, also auch die Schwächeren. Sie möchte aber gerne auch mit nichtstaatlichen Akteuren, also mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Jugendvertreterinnen zusammenarbeiten. Und da hat sie Möglichkeiten, hier zum Beispiel Sitzungen einzuberufen, in denen nicht nur die Mitgliedstaaten sprechen, sondern eben auch diese Nichtregierungsorganisationen eine Stimme haben. Oder auch Themen zusammenzudenken, eben Sicherheit und Klima, Humanitäres oder auch Frauenfriedensicherheit. das sind die Themen eben zusammenzubringen, deswegen besser zusammen.
Moderator: Frau Beisheim, Sie hatten es vorhin bei Ihrem kurzen historischen Vergleich zur ersten Sitzung 1946 ja schon angedeutet. Die Welt, ich sage es jetzt mal ganz platt, war eine andere damals. Was von den Problemen, die es damals gab, hat die Versammlung denn heute noch? Aber welche sind vielleicht auch grundlegend andere geworden und erfordern deswegen auch einen ganz anderen Angang, andere Lösungen vielleicht?
Marianne Beisheim: Ich habe es eben schon angedeutet, Probleme sind stärker vernetzt. Also die USA sagen sehr häufig, das ist alles zu kompliziert geworden, was dieses Gremium behandelt. Und sie wollen zurück zu den Grundlagen, back to basics, also zurück zu zwischenstaatlicher Sicherheit. Aber das ist nicht so einfach, weil wir wissen eben heute sehr viel besser, dass Probleme kompliziert miteinander verknüpft sind. Dass der Kampf über Ressourcen, sei es Wasser oder Zugang zu Lebensmitteln oder eben auch Zugang zu moderneren Ressourcen, also den berühmten seltenen Erden, zu Konflikten führen. Und das gilt es eben mit zu beachten. Aber wenn wir über die Generalversammlung reden, dann geht es auch um sehr viel Grundsätzlicheres. Also wie sehen die Staats- und Regierungschefinnen, die dorthin kommen, die Vereinten Nationen? Was sind ihre politischen Prioritäten? Also das geht damit los, zu fragen, kommen Trump, Xi, Modi oder Merz selbst? Oder schicken sie ihre Außenminister? Und wie sehr würdigen sie die Organisation in ihren Reden? Sehen sie sie als einen Ort für eine solidarische Suche nach fairen Problemlösungen für globale Probleme? oder eher als eine Plattform für harte Deals, die souveräne Staaten unter sich aushandeln? Und dann gilt eben auch mal das Recht des Stärkeren. Oder denken sie, dass sie die Oren eigentlich gar nicht brauchen und das alles bilateral sehr viel besser können?
Moderator: Ja, das klären wir, oder was heißt klären? Das wollen wir auf jeden Fall gleich auch noch ansprechen. Ich weiß, Sie sind Wissenschaftlerin und wollen sich nicht so gerne in den Bereich der Spekulation begeben. Aber was denken Sie, wer wird kommen von denen, die Sie jetzt gerade genannt haben?
Marianne Beisheim: Also ich denke, diesmal kommen alle Genannten. Es ist zum einen der 80. Geburtstag der UN-Generalversammlung. Das ist üblicherweise immer eine Gelegenheit, etwas grundsätzlichere Reden zu halten und die eigene Sicht auf die Welt darzulegen. Das wird natürlich sehr, sehr gerne genutzt, die Bühne. Das wird Trump interessieren, denke ich. Xi und Modi sowieso. Und auch Merz wird sich diese erste Gelegenheit, sich auf der internationalen Bühne selbst zu präsentieren, nicht nehmen lassen.
Moderator: Aber Putin wird nicht kommen, weil sonst würde er sofort verhaftet werden.
Marianne Beisheim: Tja, schwer zu sagen.
Moderator: Schwer zu sagen. Frau Vorrath, die USA, aber eben auch Russland, haben ja immer wieder klargemacht, die UNO finden wir eigentlich fast ein bisschen verzichtbar. Brauchen wir eigentlich nicht wirklich. Wenn man jetzt aber mal für einen Moment zumindest versucht, sich in deren Schuhe zu versetzen, aus deren Perspektive sich das Ganze anzuschauen. Ist das nicht vielleicht auch aus deren Sicht durchaus sinnvoll, so was zu sagen? Ist das nicht nachvollziehbar?
Judith Vorrath: Zunächst würde ich sagen, dass es selbst bei Russland und der jetzigen US-Administration meistens zumindest in der Rhetorik gar nicht so sehr darum geht, dass die UN in Gänze verzichtbar wären, aber bestimmte Teile der UN und bestimmte Themen, die sie bearbeitet und Strukturen. Da gab es ja auch schon entsprechende Reaktionen und von der Trump-Administration Beschlüsse. Das ist jedenfalls so die Rhetorik. Also von russischer Seite geht es stark darum, nationale Souveränität in den Vordergrund zu stellen und die UN dafür zu kritisieren, dass sie sich in innere Angelegenheiten einmischt. Das war auch eine große Kritik bei der Verhandlung des UN-Zukunftspaktes, dass das viel zu weit geht. Und die USA gehen rhetorisch in eine ähnliche Richtung jetzt unter dieser Administration mit ihrem Logo oder ihrem Slogan Back to Basics. Also das ist das, was die UN ihrer Meinung nach tun sollten. Das heißt aber auch nicht, dass sie völlig obsolet wären aus US-Sicht. Also auch Trump weist immer wieder darauf hin, dass sie aus seiner Sicht viel Potenzial hätten, es aber nicht ausschöpfen. Und da geht es in der Rhetorik viel darum, darauf zu verweisen, dass es Ineffizienzen gibt, dass die UN, dass die Strukturen ausgeufert sind und die Themen und die institutionellen Strukturen viel zu weit gehen und reformiert werden müssen. Und genau das...
Moderator: Und stimmt das?
Judith Vorrath: Es gibt in dem Bereich auf jeden Fall Handlungsbedarf. Der wurde auch identifiziert. Es gibt eine Taskforce im Zuge einer Initiative des Generalsekretärs UN80, in der er Reformbedarf identifiziert und identifizieren will. Und diese Initiative zielt also darauf ab, ganz klar die UN effizienter zu machen. Sie ist natürlich auch eine Reaktion auf das immer kleiner werdende Budget und die Schwierigkeiten, die Liquiditätskrise der UN in dem Bereich. Und das ist eigentlich auch ein, wenn man so will, entgegenkommen gegenüber solcher Kritik. Aber wo ich ein Fragezeichen setzen würde, ist, ob diese Kritik beispielsweise aus den USA wirklich auf Reformen abzielt. Denn das Back to Basics wirft einige Fragen auf. Also zurück zu was? Es geht, wie Marianne gesagt hat, heute um eine ganz andere UN als 1945. Und wir können nicht zurück in einen Zustand, der irgendwie paradiesisch gewesen wäre oder in dem es keine Probleme gegeben hätte. Das klingt so ein bisschen danach, dass man eigentlich Großmachtpolitik in den UN vorantreiben, betreiben will. Auch ein Grund sicher, warum die USA nicht mehr so viel darüber sprechen, auszutreten aus den UN. Es gab da aus republikanischen Kreisen mal so Vorstöße. Das ist aber relativ schnell verebbt. Denn mit der Veto-Macht im Sicherheitsrat hat man ja durchaus Mittel in der Hand. Die will man vielleicht auch nicht abgeben. Aber all das ist natürlich nicht unbedingt im Sinne eines Multilateralismus, wenn es wirklich darum geht, Einflusssphären zum Beispiel eher abzustecken. Und dann muss man sagen, wenn es um Basics gehen soll, also um einen Kernaufgabenbereich für die Vereinten Nationen, ist ja die Frage, welcher ist das? Und die USA reden oft von Frieden, Frieden und Sicherheit als Kern der alten UN, der guten. Die Frage ist aber, was heißt das denn konkret? Also die USA kürzen aktuell auch Budgets für Peacekeeping, eventuell nächstes Jahr sogar auf null. Das heißt, es geht wohl nicht in Gänze um diesen Bereich. Und das andere ist, es gibt ja auch unter den Mitgliedstaaten keinen erkenntlichen Konsens darüber, was denn Basics wären. Da gibt es sehr, sehr unterschiedliche Positionen. Das ist also kein, das Vorgehen wirft einige Fragen auf oder dieser Slogan ist nicht wirklich praktikabel.
Moderator: Und die USA sind, das muss man der Vollständigkeit halber sagen, ja auch nicht das einzige Land, das Geld zurückhält oder weniger zahlen möchte. Nein, absolut nicht.
Marianne Beisheim: In der Tat. Also die USA haben zum einen das Budget für den Kernhaushalt für 2026 auf null gesetzt und sie holen sogar Teile des für dieses Jahr bereits bewilligten Budgets zurück. Aber auch andere Geberländer, und da ist vor allen Dingen China zu nennen, zahlen sehr spät. Und sehr spät heißt zum Ende des Jahres, dann fehlt fast die Hälfte des UN-Kernbudgets. Wenn das auf Dauer so bleibt, dann ist wirklich Sparen angesagt und die Initiative des Generalsekretärs geht genau in diese Richtung, zu sagen, wir brauchen massive Effizienzgewinne, wir müssen Büros vielleicht verlegen an günstigere Standorte, also Nairobi statt New York. Aber auch 20 Prozent Stellenstreichungen sind schon für dieses Jahr beschlossen und nächstes Jahr sind weitere sehr, sehr wahrscheinlich. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, diese vielen Mandate, die ich genannt hatte, zu überprüfen und zu sagen, was für sie Priorität hat. Das aber überfordert sehr viele Mitgliedstaaten, die nicht nur selber gar nicht genau wissen, was ihre Prioritäten sind, sondern sich vor allen Dingen nicht einig sind darüber, was Prioritäten sein sollte, wie Judith schon angedeutet hat. Also es gibt da keinen Konsens. Gleichzeitig will man die Reformen auf gar keinen Fall dem Sekretariat alleine überlassen und das ist keine gute Ausgangslage und es wird sehr spannend sein zu verfolgen, wo diese Reforminitiative des Generalsekretärs hingeht.
Moderator: Der Generalsekretär ist aktuell aus Portugal, Antonio Guterres, bis 2026 ist er das noch. Welche Rolle hat denn die UN-Generalversammlung bei der Wahl seines Nachfolgers oder eben auch seiner Nachfolgerin und damit ja möglicherweise auch für die Fragen, die Sie eben aufgeworfen haben, wichtige Weichenstellungen?
Marianne Beisheim: Ja, da tobt im Moment wirklich ein spannender Kampf, allerdings wohl mit ernüchterndem Ausgang. Da gibt es nämlich sehr viele offene Fragen. Also die erste wichtige Frage ist, wird es wieder ein Mann, wie eigentlich bislang immer, oder zum ersten Mal eine Frau? Beim Zukunftspakt, den Judith schon erwähnt hat, der letzten September noch im Konsens verabschiedet wurde, hat man dazu aufgerufen, dass die Mitgliedstaaten möglichst viele weibliche Kandidatinnen benennen. Das war so das Minimum, auf das man sich einigen konnte. Also kein klares Votum für eine nächste Generalsekretärin, aber zumindestens mal viele Kandidatinnen. Und nach der regionalen Rotation, die eigentlich vereinbart ist, würde die dann aus Lateinamerika kommen. Aber beides ist in der Vergangenheit ignoriert worden. Und das liegt daran, dass qua UN-Charta der Sicherheitsrat das Vorschlagsrecht hat und dort eigentlich vor allen Dingen die fünf permanenten Mitglieder die Kandidatur unter sich ausgemacht haben, das dann der Generalversammlung vorgeschlagen haben und die durfte das dann eben noch annehmen. Aber die Mehrheit der Mitgliedstaaten fordert seit Jahren einen transparenteren und auch partizipativeren Auswahlprozess. und das wurde auch dieses Jahr sehr stark wieder gefordert und man verhandelt gerade eine Resolution, die mit tollen Ideen gestartet ist. Jede Version wurde jetzt immer weiter verwässert und wir sind jetzt eigentlich wieder beim Status quo angekommen. Also wenn es wieder gelingt, tatsächlich alle Kandidatinnen und Kandidaten dazu zu bringen, sich vorher zumindest mal vorzustellen, öffentlich nach Möglichkeit und dann auch Fragen zu beantworten und dann aus diesem Kreis der öffentlich Vorgestellten auch tatsächlich nachher die Person gewählt wird, die es dann werden soll, das wäre schon, ich will nicht sagen ein Fortschritt, aber der Erhalt des Status quo wäre ein Fortschritt und das ist im Moment leider sehr typisch für die Vereinten Nationen.
Moderator: Ja, Frau Vorrath, wenn der Sicherheitsrat so eine große Rolle spielt bei dem Thema, ist das ein Grund, warum Deutschland sich darum einen Sitz beworben hat?
Judith Vorrath: Das ist sicher nicht der einzige Grund und das ist auch bestimmt nicht der vorrangige Grund. Man könnte sagen, es ist im Grunde genommen folgt diese Bewerbung einem Rhythmus, den man schon länger hat, dass Deutschland sich so ungefähr alle acht Jahre für einen nicht ständigen Sitz bewirbt. //Moderator: Wollte ich jetzt sagen, das kommt immer wieder. Richtig, ja.// Das letzte Mal ist ziemlich genau acht Jahre her und man könnte sagen, es stand also wieder an, aber im Grunde geht es da ja darum, dass man das eigene UN-Engagement untermauern möchte und aber auch natürlich auch eigene Ambitionen durchaus. Deutschland hat sich jetzt in diesem Jahr in verschiedenen Foren engagiert oder tut das noch, als Vorsitz zum Beispiel der Peacebuilding Commission und hat ja eben auch den angesprochenen Zukunftspakt als Co-Fazilitator begleitet im letzten Jahr. Das heißt, diese Bewerbung steht nicht für sich alleine, weil es jetzt um den Sicherheitsrat geht, sondern es wird durchaus auch als eine Kontinuität gesehen von verschiedenen Aktivitäten. der Grund, warum man sich in einem doch weitgehend blockierten Gremium noch in einem Sitz bewirbt, denke ich, ist auch, dass wir auch gesehen haben, dass die gewählten Mitglieder durchaus eine größere Rolle spielen in der letzten Zeit. Sie versuchen es jedenfalls. Sie schließen sich häufiger zusammen, das sind zehn gewählte Mitglieder im Sicherheitsrat, die in der sogenannten Zweiklassengesellschaft, die natürlich besteht mit den fünf Veto-Mächten, die eine besondere Position haben als ständige Mitglieder, dass die in dieser Zweiklassengesellschaft doch versuchen, sich zunehmend auch zu behaupten, indem sie sich zusammenschließen. Natürlich sind das immer sehr unterschiedliche Staaten, auch hier, aber ich denke, das hat die letzte Mitgliedschaft im Sicherheitsrat Deutschlands gezeigt, dass das zumindest ein Weg ist, als gewähltes Mitglied eine Rolle zu spielen. Allerdings ist Deutschland nicht der einzige Bewerber für die Westeuropa-Gruppe, also die Regionalgruppe, die zwei frei werdende Sitze besetzen kann, sondern Portugal und Österreich kann die den ebenfalls. Das heißt, es ist Konkurrenz und es ist auch kein Selbstläufer.
Moderator: Starke Konkurrenz?
Judith Vorrath: Ja, es ist durchaus starke Konkurrenz. Es sind auch beides EU-Staaten, die sicherlich mit einem starken Profil in dieses Rennen gehen. Zudem kommt dazu, dass Deutschland gerade in der Generalversammlung auch keinen so ganz leichten Stand hat. Aktuell, das muss man sagen, gerade aufgrund der Position zum Gaza-Krieg. Das wird von vielen Staaten durchaus kritisch gesehen. Das muss man ins Kalkül ziehen. Und insofern ist es tatsächlich eine ernstzunehmende Konkurrenz. also drei Staaten für zwei Sitze in diesem Fall.
Moderator: Was kann Annalena Baerbock bei all dem leisten? Kann sie das Ganze durch eine besonders geschickte Präsidentschaft anschieben, bei der Generalversammlung? Oder ist das eher ein Amt, bei dem, ja, andere Qualitäten gefragt sind und auch andere Outcomes am Ende stehen?
Marianne Beisheim: Also Frau Baerbock ist ad personam berufen und auch nicht weisungsgebunden. Ihre Aufgaben sind in der Geschäftsordnung der Generalversammlung festgelegt. Das sind meist zeremonielle Aufgaben wie eben die Sitzungsleitung. Gleichzeitig kann sie durchaus eigene Akzente setzen, denn die Rolle der Präsidentschaft wurde in den letzten Jahren gestärkt. Zum Beispiel hat sie die Befugnis, Themen für informelle Debatten vorzuschlagen und damit eigene Themen zu setzen. Vielleicht gerade die Themen, die jetzt in Gefahr sind, eher unter den Tisch zu fallen, wie zum Beispiel Gender oder feministische Außenpolitik. Solche Themen tatsächlich in die Generalversammlung zu holen. Sie hat auch ein Mandat zur, so ist es formuliert in der Resolution zur strategischen Auslegung des Arbeitsprogramms der Generalversammlung. Da muss man schauen, was man daraus machen kann. Aber ein bisschen Spielraum hat sie eben durchaus.
Moderator: Aber es ist nicht die Vorstufe zur Generalsekretärin?
Marianne Beisheim: Nein, das ist eigentlich so nicht gedacht. Wir haben ja eben gerade beschrieben, wie der Prozess läuft. dieses Jahr ist Lateinamerika formal gesehen dran und da täte man, glaube ich, gut daran, da nicht zwischenzukrätschen. Sie ist eine Frau, also das wäre auf jeden Fall eine gute Sache. Aber sie wird ja die Sitzung leiten, in der die Wahl (.) einer Generalsekretärin oder eines Generalsekretärs durchgeführt wird und da kann sie nicht selber kandidieren. Also nicht dieses Mal. Ich weiß nicht, welche Region nächstes Mal dran ist. Sie ist ja noch jung. Wir werden sehen.
Judith Vorrath: Ich denke auch, dass eine ganz wichtige Rolle, die ihr zukommen wird, neben dem, dass sie diesen Spielraum, den Besagten, nutzen kann, auch für eigene Schwerpunkte, ist eben diesen Balanceakt zu meistern, dass es Reformen auch aufgrund des abnehmenden Budgets geben muss. Sie hat selbst auch betont, dass es auch um Umsetzung geht. Also der Zukunftspakt soll, muss umgesetzt werden. Wenn man auf den Zukunftspakt guckt, das ist ja ein Konsensdokument, was sehr umfassend ist und was wirklich als Basis für sehr viele Bereiche taugen würde, dann ist das natürlich ein ambitioniertes Projekt unter den gegebenen Umständen. Und das auszubalancieren, dass das Budget geringer wird, dass die geopolitischen Verschiebungen eben greifen und da trotz allem sich auf die Fahne zu schreiben, dass wesentliche Teile zumindest des Zukunftspaktes umgesetzt werden sollen, und das ist sicherlich sehr schwer in Einklang zu bringen und das ist, glaube ich, so eine Kernaufgabe, diese, da eine Brücke zu schlagen, auch zwischen unterschiedlichen Staaten und Staatengruppen, die sich auch schon bei den Verhandlungen zum Zukunftspakt rauskristallisiert haben.
Moderator: Im September treffen sich die Staats- und Regierungschefs und Chefinnen aus der ganzen Welt in New York zur 80. UN-Generalversammlung, dem Superbowl der Diplomatie. Welche Probleme die UN insgesamt plagen und wie man sie vielleicht lösen könnte, das haben uns erklärt Dr. Marianne Beisheim und Dr. Judith Vorrath. Vielen herzlichen Dank.
Marianne Beisheim/Judith Vorrath: Danke auch. Vielen Dank.
Moderator: Und der Dank geht auch raus an Maya Dähne, die die Redaktion für diesen Podcast hatte. Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, sich in das Thema weiter einlesen wollen, finden Sie unter dieser Podcast-Folge auf der SWP-Website wie immer ein paar Leseempfehlungen. Sie können natürlich aber auch unseren SWP-Newsletter oder unsere Social-Media-Kanäle bei LinkedIn und Blue Sky abonnieren. Da halten wir Sie immer auf dem Laufenden. Und ganz besonders freuen wir uns, wenn Sie diesen Podcast abonnieren, wenn Sie ihn bewerten und an andere Interessierte weiterempfehlen. Ich bin Dominik Schottner, bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie neugierig.
Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie ist Expertin für die Vereinten Nationen, globales Regieren und nachhaltige Entwicklung. Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Sie ist Expertin für Gewaltkonflikte, organisierte Kriminalität und UN Frieden und Sicherheit.
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