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Sicherheitspolitik »von unten«

Warum die OSZE Expertise und Engagement der Zivilgesellschaft systematischer einbinden sollte, um in Fragen von Sicherheit und Frieden relevant zu bleiben

SWP-Aktuell 2025/A 36, 23.07.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A36

Research Areas

Im 50. Jahr ihres Bestehens sucht die Organisation für Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa (OSZE) mehr denn je nach einer neuen Rolle. Der Krieg in der Ukraine und auch andere Konflikte im OSZE-Raum zeigen, wie wichtig die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in Kriegs- und Krisenzeiten ist – insbesondere dort, wo staat­liche Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Die OSZE sollte sich in einer zunehmend fragilen internationalen Ordnung auf ihre Stärken bei der Konflikt­bearbeitung vor Ort besinnen und dabei die Expertise der Zivilgesellschaft umfassender berücksich­tigen. Vor allem sollten Vertreter:innen der Zivilgesellschaft nicht nur formal, son­dern auch in der Praxis systematischer als bisher in die Strukturen der OSZE ein­gebunden werden. Die Helsinki-Konferenz am 31. Juli 2025, die dieses Jahr an die Entstehung der KSZE-Schlussakte erinnert, bietet dafür einen guten Aus­gangspunkt.

Der diesjährige finnische Vorsitz der OSZE hat das Engagement für eine freie Zivilgesell­schaft zu einer seiner Prioritäten erklärt. Die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Zu­sammenarbeit mit ihr hatten für die OSZE schon immer eine besondere Bedeutung. Die Helsinki-Vereinbarungen von 1975 legten nicht nur den Grundstein für den beginnenden Sicherheitsdialog im Ost-West-Konflikt, sondern auch für eine breite Bewegung von Menschen- und Bürgerrechts­organisationen in Ost und West. Bürger:in­nen schlossen sich in sogenannten Helsinki-Komitees zusammen, um ihre Regierungen zum einen bei der Verwirklichung der Helsinki-Prinzipien zu beraten, sie zum anderen aber auch auf das Leitbild »Hel­sinki« als eine Agenda für Frieden und Ab­rüstung zu verpflichten und auch zur Rechenschaft zu ziehen.

In Zeiten geopolitischer Umbrüche und des Wiedererstarkens realpolitischer Vor­stel­lungen von Macht und Stärke in den inter­nationalen Beziehungen hat Zivilgesellschaft jedoch einen schweren Stand, zumal sie dazu neigt, auf der Basis moralischer Über­zeugungen zu argumentieren und Werte idealistischer zu vertreten. Hinzu kommt, dass Staaten immer weniger wil­lens sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, was (militärische) Transparenz und Rechen­schaft (gegenüber der Gesellschaft) angeht.

Und doch zeigt gerade der Krieg in der Ukraine, wie wichtig die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in diesen Zeiten ist – nicht nur im klassischen friedens­fördernden Sinne, sondern auch als Kom­pensation in Bereichen, in denen staatliche Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Es ist absehbar, dass die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements in einer poten­tiellen Nachkriegsphase zunehmen wird. Dies gilt nicht nur für die Ukraine, sondern auch für andere Konflikte im OSZE-Raum, in denen die OSZE von den Konfliktparteien und teilnehmenden Staaten ein Mandat zur Umsetzung von Beschlüssen erhalten könnte (so z. B. bei der Implementierung eines möglichen Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan). In der Rehabilitationsphase können zivil­gesellschaftliche Akteur:innen wichtige Beiträge leisten, zum Beispiel im Bereich der Grenzsicherheit und des Grenzmanage­ments (Delimitierung/Demarkation) oder auch der humanitären Minenbeseitigung.

Die OSZE unterscheidet bei ihrer Arbeit drei Dimensionen: die politisch-militäri­sche, die wirtschaftliche und umweltbezogene sowie die menschliche Dimension. Als ein Instrument der politisch-militärischen Dimension wurde in den 1990er Jahren das Modell des sogenannten Konfliktzyklus ent­wickelt, wobei die vier einzelnen Kon­flikt­phasen – Frühwarnung, Konflikt­verhütung und Konfliktlösung, Krisen­management sowie Konfliktfolgenbeseitigung – durch­aus dimensionsübergreifende Elemente haben.

Die OSZE sollte im Umgang mit aktuellen Herausforderungen, vor allem auf der regionalen Ebene, künftig noch stärker das Potential zivilgesellschaftlicher Expertise und Kooperation nutzen. Insbesondere im Falle politischer Blockaden können zivile Akteure oftmals konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lebenssituation der Men­schen vor Ort machen. Eine intensivere Einbindung auf der Ebene der Feldopera­tionen müsste indes einhergehen mit einer stärkeren Berücksichtigung sicherheits­politischer Forderungen, Interessen und Bedürfnisse »von unten« im institutionellen Gefüge der OSZE.

Zivilgesellschaft im Wandel

Der Druck auf Zivilgesellschaften wächst. Ihre Handlungsspielräume und der Raum für Widerspruch und Kritik verengen sich zunehmend. Europaweit wird aufgrund knapper werdender öffentlicher Haushalte die Finan­zierung von nicht-staatlichen Akteur:innen schwieriger. Regierungen und auch OSZE-Institutionen unterschätzen hingegen die Handlungsmacht und die Re­levanz der Aufgaben, die zivilgesellschaft­liche Kräfte auch in sicherheitsrelevanten Themenfeldern im Stande sind zu übernehmen.

Die OSZE selbst verfügt über keine eng umrissene Definition von Zivilgesellschaft. Traditionell verfolgt sie einen diskriminierungsfreien Ansatz, um flexibel genug zu sein, den Sichtweisen und Vorschlägen eines breiten Spektrums an Organisationen im OSZE-Raum gerecht zu werden. Es ist jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr, dass zivilgesellschaftliche Kräfte »östlich und westlich von Wien« den Helsinki-Kon­sens unterstützen. Die sogenannte nicht-zivile oder illiberale Zivilgesellschaft, wie sie in jüngerer Zeit auch in westlichen libe­ralen Demokratien im Aufwind ist, macht den Ruf nach einem »Mehr« an zivilgesellschaftlichem Engagement teilweise zu einem zwiespältigen Unterfangen. Es gibt jedoch durchaus Bestrebungen, sich zum Beispiel gegen den Einfluss von GONGOs (Government-organized non-governmental organizations) innerhalb der Organisation zu wappnen und so der Instrumentalisierung der OSZE durch autoritäre Regierungen etwas entgegenzusetzen.

Die Relevanz der Zivilgesellschaft wird nach wie vor häufig auf ihre Rolle als In­formantin, als Sprachrohr der Bürger:in­nen, sowie als Dienstleisterin beschränkt. Im OSZE-Zusammenhang finden zivilgesellschaftliche Kräfte zumeist Gehör in der dritten, menschlichen Dimension. Doch Vertreter:innen der Civic Solidarity Plat­form (CSP), eines seit 2010 existierenden Netzwerks aus zivilgesellschaftlichen Orga­nisationen im OSZE-Raum, kritisieren die fehlende Schnittstelle zwischen der ersten und dritten Dimension. Hier gebe es nach wie vor eine »unsichtbare Mauer«, durch die das Engagement eines Teils der NGO-Community (besonders Aktivist:innen und Graswurzelorganisationen) auf die mensch­liche Dimension reduziert werde. Zu Gesprächen und Sitzungen des Forums für Sicherheitskooperation (FSK) würden vor­wiegend Think-Tanks und akademische Institutionen eingeladen. Dies werde dem sich wandelnden internationalen Bedrohungskontext (der von Cyber- und hybriden Attacken, Desinformation und GONGO-Propaganda geprägt ist) sowie einer sich entsprechend spezialisierenden Zivilgesellschaft nicht mehr gerecht.

Im Jahr 2023 wurde zumindest den Forderungen der CSP nach einer/einem Koordinator/in für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft entsprochen und ein entsprechender Posten geschaffen. Die Finnin Anu Juvonen, Direktorin der NGO Demo Finland, wurde 2025 zur dritten Sonderbeauftragten für Zivilgesellschaft ernannt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, An­liegen aus der Zivilgesellschaft effizienter in die Organisation hineinzutragen. Da die Entscheidungen der OSZE rechtlich nicht bindend sind, es kein Berichtswesen oder formelles Einspruchsverfahren gibt, sieht Juvonen in der Zivilgesellschaft erst recht eine wichtige Instanz zur Kontrolle der Politik der teilnehmenden Staaten so­wie der OSZE-Institutionen.

Im OSZE-Kontext gibt es mehrere Kategorien von Organisationen, die aufgrund ihrer Funktion auch künftig eine wichtige Rolle spielen könnten: Zum einen sind dies auf der lokalen Ebene Akteure, die tief in den jeweiligen Gesellschaften verwurzelt sind (Frauen-, Menschenrechts- und Opferschutz­organisationen sowie Watchdogs, die staat­liches Handeln kontrollierend beobachten). Zum zweiten sind es internationale huma­nitäre Organisationen, die beratend tätig sind, aber auch mit Implementierungs­aufgaben betraut werden (z. B. im Bereich Zivilschutz, Wiederaufbau, Minenbeseitigung etc.). Letztlich sind es aber auch Bür­gerrechts- und Menschenrechtsassoziationen, die sich der transnationalen Advocacy-Arbeit im OSZE-Raum verschrieben haben und sich zum Beispiel unter dem Dach der bereits erwähnten CSP vereint für die Be­wahrung und Realisierung der Helsinki-Prinzipien einsetzen. Letztlich sind diese Organisationen, vornehmlich NGOs, weder demokratisch legitimiert noch unterziehen sie sich einer regelmäßigen Evaluierung. Ihr Mandat bzw. ihre Legitimation leiten sie im Wesentlichen aus ihrem Engagement, ihrer Selbstverpflichtung und den wichtigen Funktionen ab, die sie erfüllen.

Konfliktzyklus und Zivilgesellschaft

Bis heute wird in der einschlägigen Litera­tur bemängelt, dass das zivilgesellschaftliche Potential in der Konfliktarbeit der OSZE nach wie vor unzureichend erschlossen ist.

Entsprechend häufig wird dieser Befund mit der Forderung verknüpft, die Zivilgesell­schaft besser einzubinden. Doch Konfliktkontexte variieren. In vielen Fällen ist das Hinzuziehen zu offiziellen Verhandlungen von den Konfliktparteien schlicht nicht ge­wünscht und daher nicht realisierbar. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, auf denen die vorliegende Analyse beruht, zei­gen jedoch, dass zivilgesellschaftliche Orga­nisationen im OSZE-Raum vor allem in den Phasen der Konfliktprävention und -nach­sorge noch immer zu wenig wahrgenommen werden, zumal die aktive Kriegs-/Kon­fliktphase immer häufiger mit der Phase der Konfliktnachsorge verschmilzt. Das heißt, die Phasen folgen nicht mehr linear aufeinander, sondern gehen ineinander über. So wird mit dem Wiederaufbau und der humanitären Minenbeseitigung häufig schon während des laufenden Konflikt-/ Kriegsgeschehens begonnen, wie etwa in der Ukraine.

Konfliktprävention

Konfliktprävention ist eine wenig sichtbare Aktivität, und weil es an Erfolgsmeldungen fehlt, mangelt es ihr auch an Anerkennung. Innerhalb der OSZE wird seit Längerem gefordert, dass man neue Wege gehen solle, um die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich der Konflikt­prävention und Frühwarnung (z. B. ihre Kenntnis von lokalen Diskursen, Truppendislozierungen vor Ort etc.) besser zu in­tegrieren. Letztlich könnte die internatio­nale Gemeinschaft gewaltige Summen ein­sparen, wenn sie ihre Bemühungen geziel­ter auf die Prävention von Gewalt und Konflikten lenken würde als auf spätere Interventionen zu deren Beendigung. Zivil­gesellschaftliche Organisationen könnten hierbei wertvolle Beratungs- und Unter­stützungsarbeit leisten. Beispiele für Zivil­gesellschaftsnetzwerke, die im Bereich Frühwarnung und Prävention beraten, gibt es in etlichen Regionalorganisationen, so etwa in der Afrikanischen Union.

Konfliktmanagement

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verdeutlicht, wie wichtig es im Sinne des Konfliktzyklus-Ansatzes ist, die Phase »unter Kriegsbedingungen« mit­zubetrachten. Die OSZE spielt in dieser Phase in der Ukraine keine wesentliche Rolle mehr, nachdem die 2014 eingesetzte Sonderbeobachtermission infolge der rus­sischen Vollinvasion im Frühjahr 2022 ab­gezogen wurde und das Büro des Projekt­koordinators schließen musste. Zwar setzte die OSZE daraufhin ein außerbudgetär finanziertes Unterstützungsprogramm für die Ukraine auf, dieses kann die Lücke im Konfliktmanagement aber nicht schließen. Auch der ukrainische Staat kann nicht alles abfedern. Das Engagement der lokalen Zivilgesellschaft im Verbund mit internatio­nalen humanitären Akteur:innen und ande­ren gesellschaftlichen Gruppen ist da­her unverzichtbar. Unter Kriegsbedingun­gen sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die auf den Aufbau von ziviler Verteidigung und Resilienz zielen, unerlässlich. Auch das Militär ist auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen. Zivilgesellschaftliche Organisationen übernehmen zum Beispiel Aufgaben bei der Evakuierung von Zivilist:innen, bei Trainingskursen zum humanitären Völker­recht, bei der Untersuchung und vor allem Dokumentation von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei der Repatriierung von Kriegsgefangenen und Entführten und bei der Rehabilitierung von Veteran:innen. Ihr großer Vorteil ist, dass sie sich häufig effektiver an die sich rasch ändernden Dynamiken des Krieges anpassen können als staatliche Stellen.

Sofern die OSZE im Bereich Konflikt­management künftig noch als maßgebliche Institution wahrgenommen wird, ist es wahrscheinlich, dass sie im Zusammenspiel mit anderen Akteur:innen eine komplementäre Rolle übernehmen wird. So könnte sie zum Beispiel als Umsetzungsorganisa­tion mit zivilem Mandat flankiert werden von internationalen Partnerorganisationen mit robustem Mandat. Der OSZE-Sonder­beobachtermission in der Ukraine fehlte eine solche robuste Flankierung, um Ver­feh­lungen aus dem Waffenstillstands­abkommen glaubwürdig zu ahnden.

Nachsorge

Sollte es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommen, ist die Nachkriegs- bzw. Rehabilitationsphase wohl die wahrscheinlichste für eine mögliche Aktivierung der OSZE als Umsetzungsorganisation. In diesem Bereich verfügt sie über zahlreiche erprobte Instrumente, Methoden und umfangreiche Expertise. Der Umgang mit den Opfern und die Strafverfolgung begangener Verbrechen sind dabei von zentraler Bedeutung für das Erreichen eines nachhaltigen Friedens. Der Zivilgesellschaft kommt in dieser Zeit eine wichtige Rolle zu, kann sie doch bei­spiels­weise auf ihrer Dokumentationsarbeit von Kriegsverbrechen aus der akuten Konflikt­phase aufbauen.

Humanitäre Minenräumung, der Umgang mit Lagerbeständen an konventioneller Munition sowie die Kontrolle von Klein­waffen und leichten Waffen sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen für die Normalisierung von Nachkriegsgesellschaften. Wenn Landminen entfernt werden, kann das kontaminierte Terrain wieder kultiviert und für die Lebensmittelproduktion ge­nutzt werden. Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Sektor aktiv sind, kom­binieren technische und militärische Ex­pertise mit sozialen und humanitären Kompetenzen. Sie sind daher natürliche Partner:innen für die OSZE, die in der Beziehung zu lokalen Behörden und Regie­rungen oft als Brückenbauerin fungiert. Doch von der OSZE selbst werden diese Organisationen nicht immer wahrgenommen, wie in Hintergrundgesprächen be­klagt wurde.

Strukturelle Herausforderungen

Als primär intergouvernemental ausgerichtete Organisation ist die Rolle der Zivil­gesellschaft im OSZE-Kontext ambivalent: Einerseits wird ihre Einbindung offiziell gewünscht, andererseits ist die OSZE eine komplexe und teilweise unübersichtliche Organisation, was die Zusammenarbeit in der Praxis aufgrund mangelnder Anlauf­stellen kompliziert macht. Erschwerend kommt hinzu, dass die OSZE stets im Konsensprinzip entscheidet – das heißt, nur wenn alle teilnehmenden Staaten zu­stimmen, kommt es zum Beschluss. Dies gilt auch für die Formate der Konflikt­beilegung. Da deren konkrete Ausgestaltung in der Regel von den Konfliktparteien mit der OSZE vor langer Zeit festgelegt wurde, sind die Formate heute relativ un­flexibel. Eine Erneuerung des Konsenses darüber kann derzeit in vielen Bereichen aufgrund des obstruktiven Verhaltens Russlands nicht erreicht werden.

Formale Einbindung

Grundsätzlich gibt es in allen OSZE-Gremien, in denen die Agenda nicht im Konsens beschlossen, sondern vom jeweiligen Vor­sitz bestimmt wird, formal die Möglichkeit, Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Orga­nisationen anzuhören (siehe auch Grafik).

Ausgewählte OSZE-Organe, Formate und formale Beteiligungsmodi für die ZivilgesellschaftGrafik

Eine systematische Einbeziehung er­folgt in der Praxis indes nicht. Die Sitzungen des FSK sind von einer eng gefassten Agenda geprägt, da die teilnehmenden Staaten sich in der Regel nur auf wenige gemeinsame Punkte einigen können. Dennoch wurden zu den Sicherheitsdialogen des FSK immer wieder auch zivilgesellschaftliche Redner:in­nen eingeladen – etwa, wenn es um Themen wie »Frauen, Frieden, Sicherheit«, »Kinder und bewaffnete Konflikte« oder »Streitkräfte und Umwelt« ging. Letztlich hängt die Beteiligung von Vertreter:innen der Zivil­gesellschaft auch davon ab, ob es sich in der ersten Dimension um sogenannte militä­rische (auf das FSK beschränkte) oder nicht­militärische Themen handelt. Die Mehrzahl der Interviewpartner:innen sah im Bereich nicht-militärischer Themen kein Defizit zivil­gesellschaftlicher Präsenz.

Inklusivität

Eines der Kernprinzipien der OSZE ist In­klusivität. Im Bereich Mediation betrifft dies zum Beispiel die Einbeziehung aller Konfliktparteien. Zudem waren die von uns befragten OSZE-Vertreter:innen der Auf­fassung, dass Inklusivität nicht nur Präsenz am Verhandlungstisch bedeutet, vor allem dort nicht, wo bestimmte Prozesse gar nicht von der Zivilgesellschaft mitgetragen werden. Letztlich gehe es um eine Balance zwischen Inklusivität und Exklusivität: Ein guter Prozess berücksichtige stets, wer sich wann, wo und in welcher Weise treffe oder beteiligt werde. Obwohl man wisse, dass inklusive Prozesse die nachhaltigeren seien, sei die Zivilgesellschaft nicht immer (direkt) dabei, weil zunächst exklusiv begonnen werden müsse. In bestimmten Konstellationen könne sie dann später eingebunden werden.

Unter gewissen Voraussetzungen sind inklusivere Vermittlungsansätze möglich. Ein Beispiel für ein relativ inklusives Format sind etwa die sogenannten Genfer Gespräche im Kontext des Georgien-Konflikts. Hier nimmt die OSZE als Ko-Vorsitzende teil. Auch der Prozess zur Beilegung des Trans­nistrien-Konflikts (5+2-Format, zurzeit sus­pendiert) sieht die Einbindung von Expert:in­nen aus zivil­gesell­schaftlichen Organisationen in den sekto­ralen Arbeitsgruppen vor. Beide Formate haben zwar in der Vergangenheit Verbesserungen für die lokalen Bevölkerungen erreicht, aber in den letzten Jahren kaum politische Fortschritte erzielen können.

Informelle Kooperation

Die prekäre Lage der OSZE hat in den ver­gangenen Jahren dazu geführt, dass auch unter zivilgesellschaftlichen Organisationen das Kooperationsinteresse abgenommen hat. Tatsächlich ist es nur ein kleiner Kreis von Organisationen, die mit der OSZE dauerhaft und eng zusammenarbeiten. Hin­zu kommt, dass die OSZE keine klassische Geberorganisation ist und die Finanzierung von Projekten meist von anderer Stelle oder in Form von außerbudgetären Projekten durch teilnehmende Staaten gewährleistet sein muss. Die Kooperation mit der Zivil­gesellschaft hat daher oftmals einen infor­mellen Charakter. Moniert wird, dass das meiste »off the record« geschehe, nie Ein­gang in offizielle OSZE-Dokumente und Verfahren finde und somit auch nicht in das institutionelle Gedächtnis der Organi­sation. Zudem seien Follow-up- und Feed­back-Verfahren unzureichend. Darüber hinaus wird kritisiert, dass der Informa­tions­fluss im Kontext von Feldoperationen häufig einseitig sei: Im Austausch und in der Organisation von Track-2- oder -3-Dia­logen (zwischen zivilgesellschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Gruppierungen) werde der Zivilgesellschaft, die konsultiert wird, im Gegenzug wenig geboten. Wie eine systematischere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft aussehen kann, dafür liefern nationale und internationale Pro­jekte der Entwicklungszusammenarbeit durchaus gute Beispiele.

Unbeachtete Rituale

Mit der Zeit hat die Interaktion mit dem Netzwerk der Civic Solidarity Platform einen eher zeremoniellen Charakter an­genommen. So ist es ein fester Bestandteil der jährlichen Zivilgesellschaftskonferenz, die die Plattform seit 2010 im Vorfeld des OSZE-Ministerrats organisiert, dass eine Erklärung mit Empfehlungen an die OSZE-Institutionen und teilnehmenden Staaten verabschiedet und anschließend dem amtierenden OSZE-Vorsitz übergeben wird. In der Realität erfahren diese Empfehlungen aber wenig Beachtung: Ein Großteil der befragten OSZE-Vertreter:innen kannte weder die Plattform noch ihre Konferenzen. Diejenigen, die sie kannten, äußerten den Wunsch, dass die Empfehlungen realistischer formuliert werden. Die Vermutung liegt nahe, dass es hier letztlich zu wenig Gelegenheit für Dialog gibt.

Schlussfolgerungen

Im Kontext des erodierenden liberalen Kon­senses, der auch vor den OSZE-Kernstaaten (Österreich, Schweiz, Deutschland und den nordischen Staaten) nicht Halt macht, haben zivilgesellschaftliche Vertreter:innen einen immer schwereren Stand. Auch stellt sich die Frage, ob eine inkohärente, viel­schichtige Akteurin wie Zivilgesellschaft heute im OSZE-Raum noch ein Garant für die Ver­wirklichung der 1975 vereinbarten Helsinki-Prinzipien sein kann. Vieles inner­halb der OSZE hängt vom derzeitigen und künftigen Verhalten Russlands ab. In dieser unklaren Situation sucht die Organisation nicht nur nach einer neuen Rolle, sondern auch nach konkreten Möglichkeiten, das Konsensprinzip zu umgehen, etwa in Form außerbudgetärer Projekte, die meist von gleichgesinnten Staaten finanziert werden.

So könnte analog auf der Ebene der Zivil­gesellschaft diese nicht mehr als kollektive Akteurin, sondern differenziert betrachtet werden – mit der Konsequenz, dass zum Beispiel bestimmte Aufgaben von gleich­gesinnten zivilgesellschaftlichen Organisationen übernommen werden, die sich zum einen den Helsinki-Prinzipien verpflichtet fühlen und zum anderen Regierungen hinter sich haben, die extrabudgetäre Projekte mittragen.

Die Bundesregierung sollte daher davon absehen, Mittel für das erfolgreiche ÖPR-Programm (Zusammenarbeit mit der Zivil­gesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland) zu kürzen. Im Gegenteil: Um die Resilienz der Zivil­gesellschaft in dieser Region im Sinne der Krisenprävention zu stärken, insbesondere nach dem Wegfall der US-Hilfen durch USAID, bedarf es einer Aufwertung des Programms.

Da Sicherheit ein Prozess ist, der häufig von unten nach oben wirkt, und die OSZE eine Regionalorganisation ist, deren Stär­ken vor allem in der Vernetzung und der Expertise auf lokaler Ebene liegen, ist es wichtig, dass sie im Rahmen von Feldoperationen weiterhin »vor Ort« aktiv bleibt. Aufgrund des seit 2022 beschädigten An­sehens der OSZE in der Ukraine sollte sie sich umso mehr bemühen, dort wieder Terrain gutzumachen. So sollte sie pro­aktiver als bisher auf die ukrainische Zivil­gesellschaft zugehen, um unter anderem mit Hilfe der extrabudgetären Projekte Mehrwerte für die ukrainische Gesellschaft zu schaffen. Durch die Einrichtung von Bürgerräten zur sicherheitspolitischen Be­ratung könnten zum Beispiel lokale Struk­turen in einen Mechanismus ein­gebunden werden, der ein mögliches Sicherheits­regime nach Ende der Kampfhandlungen an örtliche Bedingungen anpasst und die betroffenen Menschen, ihre Lebens­umstände und Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt. Allerdings wird die Chance einer Be­teiligung der OSZE an einer zu erreichenden Absicherung im Falle eines Waffenstillstands in der Ukraine derzeit als gering eingeschätzt.

Für die OSZE wäre es trotz der zu erwartenden Vorbehalte der teilnehmenden Staaten von Vorteil, eine verbindliche Stra­tegie zur Stärkung und strukturellen Ver­ankerung zivilgesellschaftlicher Beteiligung zu entwickeln. Angesichts der historisch gewachsenen Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer nicht-staat­licher Akteur:innen in den drei Dimensionen ist eine systematische Einbeziehung in sicherheitspolitische Aushandlungsprozesse überfällig. In internen Reformprozessen sollte die Einbindung der Zivilgesellschaft nicht als »Add-on«, sondern als integraler Bestandteil der Arbeitsprozesse der Organi­sation begriffen werden. Dies erfordert verbindliche und kontinuierliche Beteiligungsformate und transparente Kommu­nikationskanäle, die zum Beispiel durch den/die Sonderbeauftragte/n etabliert werden könnten.

Ein institutionalisierter, aber flexibel gehaltener Rahmen, ergänzt um eine zentrale Anlaufstelle für Nichtregierungsorganisationen im OSZE-Sekretariat, könn­ten erste Maßnahmen sein. Hinzukommen könnte ein rotierendes Konsultationsformat unter zivilgesellschaftlichen Organisationen in den jeweiligen OSZE-Organen, zum Bei­spiel gekoppelt an das jeweilige Vorsitzland. Dies würde helfen, Vertrauen aufzubauen, legitime Kritik aufzugreifen und die OSZE als glaub­würdige Akteurin in einer zu­nehmend fragilen internationalen Ordnung zu positionieren.

Dr. Nadja Douglas ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.

Dieser Beitrag basiert auf Ergebnissen eines vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts zur Rolle der OSZE in einer neuen europäischen Sicherheitsordnung sowie eines im ersten Halbjahr 2025 umgesetzten Teilprojekts zu zivilgesellschaftlichem Engagement in der politisch-militärischen Dimension der OSZE. Für Letzteres wurden 16 Interviews mit Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, mit Vertreter:innen der teilnehmenden Staaten und dem OSZE-Sekretariat geführt. Zu­dem wurde mit Hilfe von qualitativer Analysesoftware und KI ein Textkorpus von rund 2600 OSZE-Dokumenten analysiert.

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