Im 50. Jahr ihres Bestehens sucht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mehr denn je nach einer neuen Rolle. Der Krieg in der Ukraine und auch andere Konflikte im OSZE-Raum zeigen, wie wichtig die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in Kriegs- und Krisenzeiten ist – insbesondere dort, wo staatliche Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Die OSZE sollte sich in einer zunehmend fragilen internationalen Ordnung auf ihre Stärken bei der Konfliktbearbeitung vor Ort besinnen und dabei die Expertise der Zivilgesellschaft umfassender berücksichtigen. Vor allem sollten Vertreter:innen der Zivilgesellschaft nicht nur formal, sondern auch in der Praxis systematischer als bisher in die Strukturen der OSZE eingebunden werden. Die Helsinki-Konferenz am 31. Juli 2025, die dieses Jahr an die Entstehung der KSZE-Schlussakte erinnert, bietet dafür einen guten Ausgangspunkt.
Der diesjährige finnische Vorsitz der OSZE hat das Engagement für eine freie Zivilgesellschaft zu einer seiner Prioritäten erklärt. Die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Zusammenarbeit mit ihr hatten für die OSZE schon immer eine besondere Bedeutung. Die Helsinki-Vereinbarungen von 1975 legten nicht nur den Grundstein für den beginnenden Sicherheitsdialog im Ost-West-Konflikt, sondern auch für eine breite Bewegung von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen in Ost und West. Bürger:innen schlossen sich in sogenannten Helsinki-Komitees zusammen, um ihre Regierungen zum einen bei der Verwirklichung der Helsinki-Prinzipien zu beraten, sie zum anderen aber auch auf das Leitbild »Helsinki« als eine Agenda für Frieden und Abrüstung zu verpflichten und auch zur Rechenschaft zu ziehen.
In Zeiten geopolitischer Umbrüche und des Wiedererstarkens realpolitischer Vorstellungen von Macht und Stärke in den internationalen Beziehungen hat Zivilgesellschaft jedoch einen schweren Stand, zumal sie dazu neigt, auf der Basis moralischer Überzeugungen zu argumentieren und Werte idealistischer zu vertreten. Hinzu kommt, dass Staaten immer weniger willens sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, was (militärische) Transparenz und Rechenschaft (gegenüber der Gesellschaft) angeht.
Und doch zeigt gerade der Krieg in der Ukraine, wie wichtig die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in diesen Zeiten ist – nicht nur im klassischen friedensfördernden Sinne, sondern auch als Kompensation in Bereichen, in denen staatliche Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Es ist absehbar, dass die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements in einer potentiellen Nachkriegsphase zunehmen wird. Dies gilt nicht nur für die Ukraine, sondern auch für andere Konflikte im OSZE-Raum, in denen die OSZE von den Konfliktparteien und teilnehmenden Staaten ein Mandat zur Umsetzung von Beschlüssen erhalten könnte (so z. B. bei der Implementierung eines möglichen Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan). In der Rehabilitationsphase können zivilgesellschaftliche Akteur:innen wichtige Beiträge leisten, zum Beispiel im Bereich der Grenzsicherheit und des Grenzmanagements (Delimitierung/Demarkation) oder auch der humanitären Minenbeseitigung.
Die OSZE unterscheidet bei ihrer Arbeit drei Dimensionen: die politisch-militärische, die wirtschaftliche und umweltbezogene sowie die menschliche Dimension. Als ein Instrument der politisch-militärischen Dimension wurde in den 1990er Jahren das Modell des sogenannten Konfliktzyklus entwickelt, wobei die vier einzelnen Konfliktphasen – Frühwarnung, Konfliktverhütung und Konfliktlösung, Krisenmanagement sowie Konfliktfolgenbeseitigung – durchaus dimensionsübergreifende Elemente haben.
Die OSZE sollte im Umgang mit aktuellen Herausforderungen, vor allem auf der regionalen Ebene, künftig noch stärker das Potential zivilgesellschaftlicher Expertise und Kooperation nutzen. Insbesondere im Falle politischer Blockaden können zivile Akteure oftmals konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen vor Ort machen. Eine intensivere Einbindung auf der Ebene der Feldoperationen müsste indes einhergehen mit einer stärkeren Berücksichtigung sicherheitspolitischer Forderungen, Interessen und Bedürfnisse »von unten« im institutionellen Gefüge der OSZE.
Zivilgesellschaft im Wandel
Der Druck auf Zivilgesellschaften wächst. Ihre Handlungsspielräume und der Raum für Widerspruch und Kritik verengen sich zunehmend. Europaweit wird aufgrund knapper werdender öffentlicher Haushalte die Finanzierung von nicht-staatlichen Akteur:innen schwieriger. Regierungen und auch OSZE-Institutionen unterschätzen hingegen die Handlungsmacht und die Relevanz der Aufgaben, die zivilgesellschaftliche Kräfte auch in sicherheitsrelevanten Themenfeldern im Stande sind zu übernehmen.
Die OSZE selbst verfügt über keine eng umrissene Definition von Zivilgesellschaft. Traditionell verfolgt sie einen diskriminierungsfreien Ansatz, um flexibel genug zu sein, den Sichtweisen und Vorschlägen eines breiten Spektrums an Organisationen im OSZE-Raum gerecht zu werden. Es ist jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr, dass zivilgesellschaftliche Kräfte »östlich und westlich von Wien« den Helsinki-Konsens unterstützen. Die sogenannte nicht-zivile oder illiberale Zivilgesellschaft, wie sie in jüngerer Zeit auch in westlichen liberalen Demokratien im Aufwind ist, macht den Ruf nach einem »Mehr« an zivilgesellschaftlichem Engagement teilweise zu einem zwiespältigen Unterfangen. Es gibt jedoch durchaus Bestrebungen, sich zum Beispiel gegen den Einfluss von GONGOs (Government-organized non-governmental organizations) innerhalb der Organisation zu wappnen und so der Instrumentalisierung der OSZE durch autoritäre Regierungen etwas entgegenzusetzen.
Die Relevanz der Zivilgesellschaft wird nach wie vor häufig auf ihre Rolle als Informantin, als Sprachrohr der Bürger:innen, sowie als Dienstleisterin beschränkt. Im OSZE-Zusammenhang finden zivilgesellschaftliche Kräfte zumeist Gehör in der dritten, menschlichen Dimension. Doch Vertreter:innen der Civic Solidarity Platform (CSP), eines seit 2010 existierenden Netzwerks aus zivilgesellschaftlichen Organisationen im OSZE-Raum, kritisieren die fehlende Schnittstelle zwischen der ersten und dritten Dimension. Hier gebe es nach wie vor eine »unsichtbare Mauer«, durch die das Engagement eines Teils der NGO-Community (besonders Aktivist:innen und Graswurzelorganisationen) auf die menschliche Dimension reduziert werde. Zu Gesprächen und Sitzungen des Forums für Sicherheitskooperation (FSK) würden vorwiegend Think-Tanks und akademische Institutionen eingeladen. Dies werde dem sich wandelnden internationalen Bedrohungskontext (der von Cyber- und hybriden Attacken, Desinformation und GONGO-Propaganda geprägt ist) sowie einer sich entsprechend spezialisierenden Zivilgesellschaft nicht mehr gerecht.
Im Jahr 2023 wurde zumindest den Forderungen der CSP nach einer/einem Koordinator/in für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft entsprochen und ein entsprechender Posten geschaffen. Die Finnin Anu Juvonen, Direktorin der NGO Demo Finland, wurde 2025 zur dritten Sonderbeauftragten für Zivilgesellschaft ernannt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Anliegen aus der Zivilgesellschaft effizienter in die Organisation hineinzutragen. Da die Entscheidungen der OSZE rechtlich nicht bindend sind, es kein Berichtswesen oder formelles Einspruchsverfahren gibt, sieht Juvonen in der Zivilgesellschaft erst recht eine wichtige Instanz zur Kontrolle der Politik der teilnehmenden Staaten sowie der OSZE-Institutionen.
Im OSZE-Kontext gibt es mehrere Kategorien von Organisationen, die aufgrund ihrer Funktion auch künftig eine wichtige Rolle spielen könnten: Zum einen sind dies auf der lokalen Ebene Akteure, die tief in den jeweiligen Gesellschaften verwurzelt sind (Frauen-, Menschenrechts- und Opferschutzorganisationen sowie Watchdogs, die staatliches Handeln kontrollierend beobachten). Zum zweiten sind es internationale humanitäre Organisationen, die beratend tätig sind, aber auch mit Implementierungsaufgaben betraut werden (z. B. im Bereich Zivilschutz, Wiederaufbau, Minenbeseitigung etc.). Letztlich sind es aber auch Bürgerrechts- und Menschenrechtsassoziationen, die sich der transnationalen Advocacy-Arbeit im OSZE-Raum verschrieben haben und sich zum Beispiel unter dem Dach der bereits erwähnten CSP vereint für die Bewahrung und Realisierung der Helsinki-Prinzipien einsetzen. Letztlich sind diese Organisationen, vornehmlich NGOs, weder demokratisch legitimiert noch unterziehen sie sich einer regelmäßigen Evaluierung. Ihr Mandat bzw. ihre Legitimation leiten sie im Wesentlichen aus ihrem Engagement, ihrer Selbstverpflichtung und den wichtigen Funktionen ab, die sie erfüllen.
Konfliktzyklus und Zivilgesellschaft
Bis heute wird in der einschlägigen Literatur bemängelt, dass das zivilgesellschaftliche Potential in der Konfliktarbeit der OSZE nach wie vor unzureichend erschlossen ist.
Entsprechend häufig wird dieser Befund mit der Forderung verknüpft, die Zivilgesellschaft besser einzubinden. Doch Konfliktkontexte variieren. In vielen Fällen ist das Hinzuziehen zu offiziellen Verhandlungen von den Konfliktparteien schlicht nicht gewünscht und daher nicht realisierbar. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, auf denen die vorliegende Analyse beruht, zeigen jedoch, dass zivilgesellschaftliche Organisationen im OSZE-Raum vor allem in den Phasen der Konfliktprävention und -nachsorge noch immer zu wenig wahrgenommen werden, zumal die aktive Kriegs-/Konfliktphase immer häufiger mit der Phase der Konfliktnachsorge verschmilzt. Das heißt, die Phasen folgen nicht mehr linear aufeinander, sondern gehen ineinander über. So wird mit dem Wiederaufbau und der humanitären Minenbeseitigung häufig schon während des laufenden Konflikt-/ Kriegsgeschehens begonnen, wie etwa in der Ukraine.
Konfliktprävention
Konfliktprävention ist eine wenig sichtbare Aktivität, und weil es an Erfolgsmeldungen fehlt, mangelt es ihr auch an Anerkennung. Innerhalb der OSZE wird seit Längerem gefordert, dass man neue Wege gehen solle, um die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich der Konfliktprävention und Frühwarnung (z. B. ihre Kenntnis von lokalen Diskursen, Truppendislozierungen vor Ort etc.) besser zu integrieren. Letztlich könnte die internationale Gemeinschaft gewaltige Summen einsparen, wenn sie ihre Bemühungen gezielter auf die Prävention von Gewalt und Konflikten lenken würde als auf spätere Interventionen zu deren Beendigung. Zivilgesellschaftliche Organisationen könnten hierbei wertvolle Beratungs- und Unterstützungsarbeit leisten. Beispiele für Zivilgesellschaftsnetzwerke, die im Bereich Frühwarnung und Prävention beraten, gibt es in etlichen Regionalorganisationen, so etwa in der Afrikanischen Union.
Konfliktmanagement
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verdeutlicht, wie wichtig es im Sinne des Konfliktzyklus-Ansatzes ist, die Phase »unter Kriegsbedingungen« mitzubetrachten. Die OSZE spielt in dieser Phase in der Ukraine keine wesentliche Rolle mehr, nachdem die 2014 eingesetzte Sonderbeobachtermission infolge der russischen Vollinvasion im Frühjahr 2022 abgezogen wurde und das Büro des Projektkoordinators schließen musste. Zwar setzte die OSZE daraufhin ein außerbudgetär finanziertes Unterstützungsprogramm für die Ukraine auf, dieses kann die Lücke im Konfliktmanagement aber nicht schließen. Auch der ukrainische Staat kann nicht alles abfedern. Das Engagement der lokalen Zivilgesellschaft im Verbund mit internationalen humanitären Akteur:innen und anderen gesellschaftlichen Gruppen ist daher unverzichtbar. Unter Kriegsbedingungen sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die auf den Aufbau von ziviler Verteidigung und Resilienz zielen, unerlässlich. Auch das Militär ist auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen. Zivilgesellschaftliche Organisationen übernehmen zum Beispiel Aufgaben bei der Evakuierung von Zivilist:innen, bei Trainingskursen zum humanitären Völkerrecht, bei der Untersuchung und vor allem Dokumentation von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei der Repatriierung von Kriegsgefangenen und Entführten und bei der Rehabilitierung von Veteran:innen. Ihr großer Vorteil ist, dass sie sich häufig effektiver an die sich rasch ändernden Dynamiken des Krieges anpassen können als staatliche Stellen.
Sofern die OSZE im Bereich Konfliktmanagement künftig noch als maßgebliche Institution wahrgenommen wird, ist es wahrscheinlich, dass sie im Zusammenspiel mit anderen Akteur:innen eine komplementäre Rolle übernehmen wird. So könnte sie zum Beispiel als Umsetzungsorganisation mit zivilem Mandat flankiert werden von internationalen Partnerorganisationen mit robustem Mandat. Der OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine fehlte eine solche robuste Flankierung, um Verfehlungen aus dem Waffenstillstandsabkommen glaubwürdig zu ahnden.
Nachsorge
Sollte es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommen, ist die Nachkriegs- bzw. Rehabilitationsphase wohl die wahrscheinlichste für eine mögliche Aktivierung der OSZE als Umsetzungsorganisation. In diesem Bereich verfügt sie über zahlreiche erprobte Instrumente, Methoden und umfangreiche Expertise. Der Umgang mit den Opfern und die Strafverfolgung begangener Verbrechen sind dabei von zentraler Bedeutung für das Erreichen eines nachhaltigen Friedens. Der Zivilgesellschaft kommt in dieser Zeit eine wichtige Rolle zu, kann sie doch beispielsweise auf ihrer Dokumentationsarbeit von Kriegsverbrechen aus der akuten Konfliktphase aufbauen.
Humanitäre Minenräumung, der Umgang mit Lagerbeständen an konventioneller Munition sowie die Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen für die Normalisierung von Nachkriegsgesellschaften. Wenn Landminen entfernt werden, kann das kontaminierte Terrain wieder kultiviert und für die Lebensmittelproduktion genutzt werden. Nichtregierungsorganisationen, die in diesem Sektor aktiv sind, kombinieren technische und militärische Expertise mit sozialen und humanitären Kompetenzen. Sie sind daher natürliche Partner:innen für die OSZE, die in der Beziehung zu lokalen Behörden und Regierungen oft als Brückenbauerin fungiert. Doch von der OSZE selbst werden diese Organisationen nicht immer wahrgenommen, wie in Hintergrundgesprächen beklagt wurde.
Strukturelle Herausforderungen
Als primär intergouvernemental ausgerichtete Organisation ist die Rolle der Zivilgesellschaft im OSZE-Kontext ambivalent: Einerseits wird ihre Einbindung offiziell gewünscht, andererseits ist die OSZE eine komplexe und teilweise unübersichtliche Organisation, was die Zusammenarbeit in der Praxis aufgrund mangelnder Anlaufstellen kompliziert macht. Erschwerend kommt hinzu, dass die OSZE stets im Konsensprinzip entscheidet – das heißt, nur wenn alle teilnehmenden Staaten zustimmen, kommt es zum Beschluss. Dies gilt auch für die Formate der Konfliktbeilegung. Da deren konkrete Ausgestaltung in der Regel von den Konfliktparteien mit der OSZE vor langer Zeit festgelegt wurde, sind die Formate heute relativ unflexibel. Eine Erneuerung des Konsenses darüber kann derzeit in vielen Bereichen aufgrund des obstruktiven Verhaltens Russlands nicht erreicht werden.
Formale Einbindung
Grundsätzlich gibt es in allen OSZE-Gremien, in denen die Agenda nicht im Konsens beschlossen, sondern vom jeweiligen Vorsitz bestimmt wird, formal die Möglichkeit, Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen anzuhören (siehe auch Grafik).
Eine systematische Einbeziehung erfolgt in der Praxis indes nicht. Die Sitzungen des FSK sind von einer eng gefassten Agenda geprägt, da die teilnehmenden Staaten sich in der Regel nur auf wenige gemeinsame Punkte einigen können. Dennoch wurden zu den Sicherheitsdialogen des FSK immer wieder auch zivilgesellschaftliche Redner:innen eingeladen – etwa, wenn es um Themen wie »Frauen, Frieden, Sicherheit«, »Kinder und bewaffnete Konflikte« oder »Streitkräfte und Umwelt« ging. Letztlich hängt die Beteiligung von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft auch davon ab, ob es sich in der ersten Dimension um sogenannte militärische (auf das FSK beschränkte) oder nichtmilitärische Themen handelt. Die Mehrzahl der Interviewpartner:innen sah im Bereich nicht-militärischer Themen kein Defizit zivilgesellschaftlicher Präsenz.
Inklusivität
Eines der Kernprinzipien der OSZE ist Inklusivität. Im Bereich Mediation betrifft dies zum Beispiel die Einbeziehung aller Konfliktparteien. Zudem waren die von uns befragten OSZE-Vertreter:innen der Auffassung, dass Inklusivität nicht nur Präsenz am Verhandlungstisch bedeutet, vor allem dort nicht, wo bestimmte Prozesse gar nicht von der Zivilgesellschaft mitgetragen werden. Letztlich gehe es um eine Balance zwischen Inklusivität und Exklusivität: Ein guter Prozess berücksichtige stets, wer sich wann, wo und in welcher Weise treffe oder beteiligt werde. Obwohl man wisse, dass inklusive Prozesse die nachhaltigeren seien, sei die Zivilgesellschaft nicht immer (direkt) dabei, weil zunächst exklusiv begonnen werden müsse. In bestimmten Konstellationen könne sie dann später eingebunden werden.
Unter gewissen Voraussetzungen sind inklusivere Vermittlungsansätze möglich. Ein Beispiel für ein relativ inklusives Format sind etwa die sogenannten Genfer Gespräche im Kontext des Georgien-Konflikts. Hier nimmt die OSZE als Ko-Vorsitzende teil. Auch der Prozess zur Beilegung des Transnistrien-Konflikts (5+2-Format, zurzeit suspendiert) sieht die Einbindung von Expert:innen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen in den sektoralen Arbeitsgruppen vor. Beide Formate haben zwar in der Vergangenheit Verbesserungen für die lokalen Bevölkerungen erreicht, aber in den letzten Jahren kaum politische Fortschritte erzielen können.
Informelle Kooperation
Die prekäre Lage der OSZE hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass auch unter zivilgesellschaftlichen Organisationen das Kooperationsinteresse abgenommen hat. Tatsächlich ist es nur ein kleiner Kreis von Organisationen, die mit der OSZE dauerhaft und eng zusammenarbeiten. Hinzu kommt, dass die OSZE keine klassische Geberorganisation ist und die Finanzierung von Projekten meist von anderer Stelle oder in Form von außerbudgetären Projekten durch teilnehmende Staaten gewährleistet sein muss. Die Kooperation mit der Zivilgesellschaft hat daher oftmals einen informellen Charakter. Moniert wird, dass das meiste »off the record« geschehe, nie Eingang in offizielle OSZE-Dokumente und Verfahren finde und somit auch nicht in das institutionelle Gedächtnis der Organisation. Zudem seien Follow-up- und Feedback-Verfahren unzureichend. Darüber hinaus wird kritisiert, dass der Informationsfluss im Kontext von Feldoperationen häufig einseitig sei: Im Austausch und in der Organisation von Track-2- oder -3-Dialogen (zwischen zivilgesellschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Gruppierungen) werde der Zivilgesellschaft, die konsultiert wird, im Gegenzug wenig geboten. Wie eine systematischere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft aussehen kann, dafür liefern nationale und internationale Projekte der Entwicklungszusammenarbeit durchaus gute Beispiele.
Unbeachtete Rituale
Mit der Zeit hat die Interaktion mit dem Netzwerk der Civic Solidarity Platform einen eher zeremoniellen Charakter angenommen. So ist es ein fester Bestandteil der jährlichen Zivilgesellschaftskonferenz, die die Plattform seit 2010 im Vorfeld des OSZE-Ministerrats organisiert, dass eine Erklärung mit Empfehlungen an die OSZE-Institutionen und teilnehmenden Staaten verabschiedet und anschließend dem amtierenden OSZE-Vorsitz übergeben wird. In der Realität erfahren diese Empfehlungen aber wenig Beachtung: Ein Großteil der befragten OSZE-Vertreter:innen kannte weder die Plattform noch ihre Konferenzen. Diejenigen, die sie kannten, äußerten den Wunsch, dass die Empfehlungen realistischer formuliert werden. Die Vermutung liegt nahe, dass es hier letztlich zu wenig Gelegenheit für Dialog gibt.
Schlussfolgerungen
Im Kontext des erodierenden liberalen Konsenses, der auch vor den OSZE-Kernstaaten (Österreich, Schweiz, Deutschland und den nordischen Staaten) nicht Halt macht, haben zivilgesellschaftliche Vertreter:innen einen immer schwereren Stand. Auch stellt sich die Frage, ob eine inkohärente, vielschichtige Akteurin wie Zivilgesellschaft heute im OSZE-Raum noch ein Garant für die Verwirklichung der 1975 vereinbarten Helsinki-Prinzipien sein kann. Vieles innerhalb der OSZE hängt vom derzeitigen und künftigen Verhalten Russlands ab. In dieser unklaren Situation sucht die Organisation nicht nur nach einer neuen Rolle, sondern auch nach konkreten Möglichkeiten, das Konsensprinzip zu umgehen, etwa in Form außerbudgetärer Projekte, die meist von gleichgesinnten Staaten finanziert werden.
So könnte analog auf der Ebene der Zivilgesellschaft diese nicht mehr als kollektive Akteurin, sondern differenziert betrachtet werden – mit der Konsequenz, dass zum Beispiel bestimmte Aufgaben von gleichgesinnten zivilgesellschaftlichen Organisationen übernommen werden, die sich zum einen den Helsinki-Prinzipien verpflichtet fühlen und zum anderen Regierungen hinter sich haben, die extrabudgetäre Projekte mittragen.
Die Bundesregierung sollte daher davon absehen, Mittel für das erfolgreiche ÖPR-Programm (Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland) zu kürzen. Im Gegenteil: Um die Resilienz der Zivilgesellschaft in dieser Region im Sinne der Krisenprävention zu stärken, insbesondere nach dem Wegfall der US-Hilfen durch USAID, bedarf es einer Aufwertung des Programms.
Da Sicherheit ein Prozess ist, der häufig von unten nach oben wirkt, und die OSZE eine Regionalorganisation ist, deren Stärken vor allem in der Vernetzung und der Expertise auf lokaler Ebene liegen, ist es wichtig, dass sie im Rahmen von Feldoperationen weiterhin »vor Ort« aktiv bleibt. Aufgrund des seit 2022 beschädigten Ansehens der OSZE in der Ukraine sollte sie sich umso mehr bemühen, dort wieder Terrain gutzumachen. So sollte sie proaktiver als bisher auf die ukrainische Zivilgesellschaft zugehen, um unter anderem mit Hilfe der extrabudgetären Projekte Mehrwerte für die ukrainische Gesellschaft zu schaffen. Durch die Einrichtung von Bürgerräten zur sicherheitspolitischen Beratung könnten zum Beispiel lokale Strukturen in einen Mechanismus eingebunden werden, der ein mögliches Sicherheitsregime nach Ende der Kampfhandlungen an örtliche Bedingungen anpasst und die betroffenen Menschen, ihre Lebensumstände und Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt. Allerdings wird die Chance einer Beteiligung der OSZE an einer zu erreichenden Absicherung im Falle eines Waffenstillstands in der Ukraine derzeit als gering eingeschätzt.
Für die OSZE wäre es trotz der zu erwartenden Vorbehalte der teilnehmenden Staaten von Vorteil, eine verbindliche Strategie zur Stärkung und strukturellen Verankerung zivilgesellschaftlicher Beteiligung zu entwickeln. Angesichts der historisch gewachsenen Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer nicht-staatlicher Akteur:innen in den drei Dimensionen ist eine systematische Einbeziehung in sicherheitspolitische Aushandlungsprozesse überfällig. In internen Reformprozessen sollte die Einbindung der Zivilgesellschaft nicht als »Add-on«, sondern als integraler Bestandteil der Arbeitsprozesse der Organisation begriffen werden. Dies erfordert verbindliche und kontinuierliche Beteiligungsformate und transparente Kommunikationskanäle, die zum Beispiel durch den/die Sonderbeauftragte/n etabliert werden könnten.
Ein institutionalisierter, aber flexibel gehaltener Rahmen, ergänzt um eine zentrale Anlaufstelle für Nichtregierungsorganisationen im OSZE-Sekretariat, könnten erste Maßnahmen sein. Hinzukommen könnte ein rotierendes Konsultationsformat unter zivilgesellschaftlichen Organisationen in den jeweiligen OSZE-Organen, zum Beispiel gekoppelt an das jeweilige Vorsitzland. Dies würde helfen, Vertrauen aufzubauen, legitime Kritik aufzugreifen und die OSZE als glaubwürdige Akteurin in einer zunehmend fragilen internationalen Ordnung zu positionieren.
Dr. Nadja Douglas ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.
Dieser Beitrag basiert auf Ergebnissen eines vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts zur Rolle der OSZE in einer neuen europäischen Sicherheitsordnung sowie eines im ersten Halbjahr 2025 umgesetzten Teilprojekts zu zivilgesellschaftlichem Engagement in der politisch-militärischen Dimension der OSZE. Für Letzteres wurden 16 Interviews mit Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, mit Vertreter:innen der teilnehmenden Staaten und dem OSZE-Sekretariat geführt. Zudem wurde mit Hilfe von qualitativer Analysesoftware und KI ein Textkorpus von rund 2600 OSZE-Dokumenten analysiert.
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Die Autorin dankt Celina Thadewaldt und Simon Muschick für die Unterstützung bei der Recherche und bei der Konzeption der Abbildung.
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ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A36