Der UN-Sicherheitsrat hat aufgrund der erodierenden Sicherheitslage in Haiti Sanktionen verhängt. Sie richten sich besonders gegen kriminelle Akteure und ihre Finanziers. Ob sie eine Wirkung erzielen können, hängt wesentlich von drei Faktoren ab, meint Judith Vorrath.
Angesichts der jüngsten Zerwürfnisse im UN-Sicherheitsrat ist die einstimmige Verabschiedung eines neuen Sanktionsregimes schon bemerkenswert. Zuletzt war dies 2017 zur Unterstützung von Friedensbemühungen in Mali geschehen. Nun wurde ein von den USA und Mexiko eingebrachter Resolutionsentwurf von allen Mitgliedern des Rates angenommen. Noch im Mai hatten Russland und China durch ein Veto weitere Sanktionen gegen Nordkorea verhindert. Dass im Falle Haitis die Positionen andere sind, hatte sich schon länger abgezeichnet, etwa im Juli als China – sonst meist sanktionskritisch – ein vollständiges Waffenembargo für Haiti forderte. Der jüngste Beschluss vom 21. Oktober zeigt, dass zumindest bei geopolitisch weniger aufgeladenen Fällen und bei akutem Handlungsdruck noch eine Einigung im Sicherheitsrat möglich ist. Bemerkenswert sind die Sanktionen aber noch aus einem anderen Grund: sie richten sich vorrangig gegen kriminelle Akteure und ihre Unterstützter.
Mit der Resolution wurden ein Reiseverbot, das Einfrieren von Vermögenswerten sowie ein gezieltes Waffenembargo gegen Personen und Entitäten verhängt, die Frieden und Sicherheit in Haiti bedrohen. Vorrangig richten sich die Sanktionen dabei gegen kriminelle Akteure und ihre Finanziers, die für die zunehmende Gewalt und humanitäre Krise verantwortlich gemacht werden. Zwar ist die Bedrohung durch bewaffnete Banden seit langem ein Problem in Haiti, doch in den vergangenen Jahren haben sich ihre Anzahl, ihr Einfluss und die von ihnen ausgehende Gewalt vervielfacht. Zuletzt spitzte sich die Situation zu, nachdem Banden neben wichtigen Zugangstrassen die Kontrolle über den internationalen Hafen von Port-au-Prince und das wichtigste Tanklager des Landes übernommen hatten. Dadurch sind auch essenzielle Dienstleistungen wie Wasser- und Stromversorgung für die Bevölkerung massiv beeinträchtigt. Zudem sind die Menschen in Stadtteilen unter der Kontrolle von Banden massiver Gewalt ausgesetzt. Berichtet werden unter anderem Morde, Vergewaltigungen sowie eine Zunahme von Entführungen und Schutzgelderpressungen.
Das spiegelt sich auch in den Kriterien des UN-Sanktionsregimes wider. Bei keinen anderen aktuell geltenden länderbezogenen Sanktionen der UN gibt es einen so starken Fokus auf gewalttätige, kriminelle Akteure und illegale Aktivitäten, die mit ihnen in Verbindung stehen. Die 1993-94 geltenden UN-Sanktionen zu Haiti waren breit angelegt und hatten eine andere Stoßrichtung, zumal sie die Wiedereinsetzung der gewählten Regierung erwirken sollten. Dass UN-Sanktionen (organisierte) Kriminalität adressieren, ist allerdings nicht neu. Tatsächlich enthalten beinahe alle laufenden Regime zu bewaffneten Konflikten die Möglichkeit, Personen oder Einrichtungen auf Sanktionslisten zu setzen, wenn sie mit illegalen Aktivitäten Gewaltakteure oder »Störer« von Friedensprozessen unterstützen. Die Frage ist, inwiefern sie tatsächlich Wirkung entfalten.
Nach der Verhängung der Sanktionen wird es zunächst darum gehen, das Regime auszugestalten. Der Sicherheitsrat hat wie in anderen Fällen einen Sanktionsausschuss eingesetzt, der die Umsetzung überwacht. Dieser wird von einem UN-Expertenpanel unterstützt, das die Einhaltung der Sanktionen untersucht und an den Ausschuss berichtet. Diese Berichte sind essenziell, unter anderem wenn es um Beschlüsse zur Erweiterung der Sanktionsliste geht. Mit der Verabschiedung der jüngsten Resolution wurde mit Jimmy Cherizier ein einflussreicher Anführer einer Allianz von haitianischen Banden gelistet. Die konkrete Wirkung dürfte begrenzt sein, zumal er bereits im Dezember 2020 von den USA sanktioniert wurde und dennoch zentral an der Blockade des Tanklagers beteiligt ist. Auch die Signalwirkung der neuen Sanktionen wird schnell verpuffen, wenn keine weiteren Maßnahmen folgen.
Daher wird es erstens darauf ankommen, das eingerichtete Regime wirkungsvoll zu nutzen. Ein Blick auf die erwähnten UN-Sanktionsregime zeigt, dass die Möglichkeit, Personen oder Gruppen für kriminelle Aktivitäten zu listen, selten genutzt wird. Das hat wohl auch damit zu tun, dass hier schnell unangenehme Fragen zu den Verbindungen in staatliche beziehungsweise politische Kreise aufkommen. Die USA hatten bereits aktuelle und ehemalige haitianische Regierungsbeamte mit Visarestriktionen belegt, da sie offenbar mit Banden und anderen kriminellen Organisationen in Verbindung stehen. Es wird sich zeigen, wie die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit einflussreichen Akteuren umgehen, die weniger offen gewalttätig auftreten als die momentan im Fokus stehenden Banden. Wichtig wird auch sein, die transnationalen Verbindungen etwa beim illegalen Waffenhandel in den Blick zu nehmen.
Zweitens wird es entscheidend auf die politische Steuerung durch den Sicherheitsrat ankommen. Es geht nicht allein um weitere Listungen; sie müssen auch mit klaren Zielen und einem politischen Prozess für die Verbesserung der Lage in Haiti verbunden sein. Für den humanitären Zugang und eine punktuelle Reduzierung der Gewalt mag es zunächst vorrangig sein, das Treiben der bewaffneten, kriminellen Gruppierungen einzudämmen. Doch der Sicherheitsrat muss Ziele und Wirkung der Sanktionen immer wieder überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Dafür ist die in der Resolution angelegte Überprüfung eine wichtige Voraussetzung, aber noch keine Garantie.
Nicht zuletzt werden Sanktionen auch und gerade gegen kriminelle Akteure allein kaum wirkungsvoll sein. So haben die USA und Mexiko die Entsendung einer internationalen „security assistance mission“ vorgeschlagen, die eine klar begrenzte Nicht-UN-Mission sein soll. Unabhängig davon, ob sie zustande kommt, wird es weiterer Unterstützung und Reformen der haitianischen Polizei und Justiz bedürfen, die auch Teil des Mandates der politischen UN-Mission in Haiti sind. Diese und weitere Bemühungen müssen abgestimmt sein – gerade angesichts der verfahrenen politischen Situation in Haiti und der zu erwartenden Opposition gegen externe Eingriffe.
Erkenntnisse aus Berichten von UN-Expertengruppen
doi:10.18449/2022A38
doi:10.18449/2021WP08