Neuanfang in Nahost? Warum mit dem Gaza-Friedensplan noch kein Ende des Konflikts in Sicht ist
SWP-Podcast 2025/P 26, 20.10.2025 Research AreasDer Friedensplan für Gaza ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Konfliktparteien geeinigt haben. Muriel Asseburg, Peter Lintl und Guido Steinberg erklären, welche Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Abkommens bestehen und welche Rolle Europa und Deutschland spielen können.
Hinweis: Dieses Transkript wurde mithilfe von KI generiert. Es handelt sich somit nicht um einen redaktionell erstellten und lektorierten Text.
Moderator: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des SWP-Podcasts. Einer, die wie selten eine Folge unter wirklich zeitlichem Druck steht, denn wir reden heute über den Friedensprozess für den Gazastreifen. Und der ist, das haben Sie mitbekommen in den vergangenen Wochen und Tagen, hochdynamisch gewesen. Und deswegen wollen wir eher auf die Hintergründe schauen. Die Umsetzung, generell also die großen Linien des Friedensprozesses, insbesondere den Trumpschen 20-Punkte-Plan, so sie denn erkennbar sind, die großen Linien. Und das machen wir mit Dr. Muriel Asseburg, Dr. Peter Lintl und Dr. Guido Steinberg aus der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Hallo, herzlich willkommen.
Gäste: Hallo. Guten Morgen. Guten Morgen.
Moderator: Ja, und mein Name ist Dominik Schottner. Hallo auch von meiner Seite. Herr Lintl, fangen wir mit Ihnen an. Ich habe mal nachgeschaut und verglichen, so drei Viertel etwa des Trumpschen Friedensplans waren identisch oder sind zumindest sehr ähnlich mit etwas, was sein Vorgänger Joe Biden 2024 schon mal vorgeschlagen hat. Deswegen die Frage an Sie, was hat sich in Israel, speziell bei der Regierung, verändert, dass sie jetzt dieses Abkommen gebilligt hat?
Peter Lintl: Ja, gut, was Sie sagen, speziell bei der Regierung. Ich würde trotzdem sagen, einerseits hat sich natürlich in der Bevölkerung etwas getan, denn die Bevölkerung ist seit diesem Jahr, würde ich sagen, ganz klar mehrheitlich gegen diesen Krieg und für ein Abkommen. Am deutlichsten hat sich das, glaube ich, vielleicht bei dem Haupt-News-Anker Jonit Levy gezeigt, der israelischen Nachrichten, die davon sprach, dass der Krieg nicht nur in eine strategische, sondern auch in eine moralische Sackgasse gelaufen ist. Und das ist schon sehr deutlich. Das ficht allerdings die Regierung hier nicht an, das muss man auch dazu sagen. Dass diese Regierung sich bewegt hat, lässt sich alleine auf den Druck, nicht Joe Bidens, sondern Donald Trumps zurückzuführen. Und das ist ein maßgeblicher Unterschied. Dass Donald Trump diesen Druck aufgebaut hat, hat natürlich einen Vorlauf, Druck der arabischen Staaten, französisch-saudische Initiative und so weiter. Aber letztlich ist Donald Trump hier die entscheidende Figur.
Moderator: Kommen wir natürlich auch gleich noch genauer dazu, wo er da die entscheidende Figur ist und was er sich vielleicht auch vorgenommen hat, was davon vielleicht eintreten wird oder auch nicht. Frau Asseburg, machen wir mit Ihnen weiter dieselbe Frage im Prinzip auch an Sie. Was in diesem neuen Abkommen hat die Hamas denn bewogen, dem zuzustimmen?
Muriel Asseburg: Vielleicht nochmal wichtig, klar zu bekommen, dass weder Israel noch die Hamas dem Abkommen in Gänze zugestimmt haben. Beide haben der ersten Phase und der Umsetzung der ersten Phase zugestimmt und verhandeln jetzt über die zweite Phase. Was hat sich verändert für die Hamas? A, sie ist sehr stark geschwächt worden, sowohl militärisch als auch in ihren zivilen Funktionen durch die Militäroperationen der letzten zwei Jahre. Sie hat ihre wichtigsten Verbündeten in der sogenannten Achse des Widerstands verloren, insbesondere die Hezbollah und den Iran, die sie eben nicht mehr schlagkräftig unterstützen können und koordiniert auftreten können. Sie hat auch, und das ist mindestens ebenso wichtig, die Kooperation und implizite Unterstützung von anderen Verbündeten oder den Vermittlern auch verloren, also insbesondere Katars und der Türkei. Und letzter Punkt, und der scheint tatsächlich für die Zustimmung im letzten Moment ausschlaggebend gewesen zu sein, sind die direkten Kontakte zwischen den US-amerikanischen Vermittlern und der Hamas und die Zusage der Trump-Administration, dass der Krieg zu Ende ist und nicht nach der Freigabe der Geiseln wiederbeginnt.
Moderator: Ja, da haben Sie schon ganz viel angesprochen, auf das wir auch noch zu sprechen kommen werden. Herr Steinberg atmet schon ein, um gleich auszuatmen. Das Abkommen führt ja an einigen Stellen sehr explizit auch die Nachbarstaaten an und auch Staaten wie Katar, das nicht direkt an Israel grenzt. Und auch vor allem deren Sicherheit. Welche Rolle spielen die denn bei dem zustande kommen? Ägypten oder eben auch Katar?
Guido Steinberg: Ja, eine enorm wichtige Rolle, wobei man zwischen zwei Lagern unterscheiden muss. Es gibt einige Staaten, bei denen immer zu erwarten war, dass sie bei welcher Lösung auch immer, sei es nun Biden, sei es Trump, irgendeine Rolle spielen würden. Das sind die sogenannten pro-westlichen Staaten, also Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien. Das, was sich tatsächlich verändert hat und was auch, wie Muriel schon sagte, für die Hamas so ungeheuer wichtig ist, ist die Positionierung von Katar und die Positionierung der Türkei. Diese beiden Staaten sind für die Hamas vor allem sehr viel wichtiger geworden, seit Iran als wichtiger Unterstützer ausgefallen ist. Seitdem sind diese beiden Staaten, die die Hamas in einer etwas anderen Form unterstützen als Iran, wichtiger geworden. Und diese beiden Staaten haben sich nun in der Krise entschlossen, im Gespräch mit der Trump-Administration Druck auszuüben. Und die Hamas hätte befürchten müssen, so ganz ohne Verbündeten dazustehen. Und das erklärt dann auch nochmal diese enorme Dynamik. Das erklärt aber auch, warum jetzt vor allem Katar an so prominenter Stelle in diesen Verhandlungen wieder vertreten ist.
Moderator: Welche Rolle spielte da der Angriff, der Raketenangriff Israels auf Hamas-Leute in Katar selbst?
Guido Steinberg: Ich glaube, dass der die katarische Rolle eher gefährdet hat, obwohl die katarische Regierung sofort danach wieder klargemacht hat, dass sich an ihrer grundsätzlichen Linie, an ihrer Vermittlerrolle nichts ändert. Der Raketenangriff auf die Hamas in Katar spielt vor allem deshalb eine Rolle, weil er die Trump-Administration so erzürnt hat. Weil sie nicht wussten, dass es kommen würde? Naja, ganz kurz vorher wussten sie es schon. Aber man muss sich wirklich vorstellen, dass diese amerikanische Luftwaffenbasis von Al-Au-Daid nur wenige Kilometer von dem Gebäude entfernt ist, das da angegriffen wurde. Das ist eigentlich ein No-Go, ein solcher Angriff. Deswegen hat natürlich die Trump-Administration auch sehr verstimmt reagiert und letzten Endes könnte das dafür gesorgt haben, dass Donald Trump dann doch etwas in seiner bekannt-burschikosen Art auf die israelische Regierung zugegangen ist und gesagt hat, so jetzt ist aber Schluss, jetzt sorge ich dafür, dass es da zu einer Lösung kommt.
Moderator: Ja, jetzt haben sie es burschikose Art genannt. Er selber würde es the art of the deal nennen, also die Verhandlungskunst. Frage an Sie alle. Ist es diesem Verhandlungsgeschick, dass er sich selbst ja vor allem am allermeisten zuschreibt, zu verdanken, dass Donald Trump da jetzt so eine Rolle gespielt hat? Oder ist es eben Zufall, weil es so einen Raketenangriff zum Beispiel gab? Frage in die Runde.
Guido Steinberg: Also aus meiner Sicht ist es kein Zufall. Ich würde das zunächst einmal nicht Verhandlungsgeschick nennen, aber das ist ein ganz besonderer Zugang, der sich sehr unterscheidet von dem Zugang der professionellen Diplomatie der letzten Jahre. Da wird nämlich zunächst darauf geachtet, dass ein Ja kommt von beiden Seiten, selbst wenn es ein Ja aber ist, wie von Seiten Israels und von Seiten der Hamas. Und dann wird halt mal geguckt, wie man dieses Ja mit Inhalt füllen kann. Und darin liegt natürlich auch die besondere Problematik. Wir haben also jetzt eine ungeheure Dynamik. Wir haben auch einige Absprachen, die den Konflikt grundlegend verändern. Aber was danach kommt, steht im Moment noch weitgehend in den Sternen.
Moderator: Aber wie schafft er das, Daumenschrauben so anzulegen, dass man erst mal ein Ja und er zwingt auf eine Weise und dann hinterher erst mit zu den Inhalten kommt?
Peter Lintl: Ich glaube, da spielen verschiedene Elemente eine Rolle. Guido hat es schon angesprochen, es ist sehr unkonventionell, um das wenigste zu sagen. Aber zum einen würde ich sagen, dieses Ja, er akzeptiert zwar ein Ja aber, aber er macht auch klar, dass nach diesem Ja aber kein Zweifel am Ja bleiben darf. Also das hat er mehrfach jetzt nachgeschoben, dieser Krieg ist zu Ende Punkt. Das hat er jetzt mehrfach betont.
Moderator: Wobei, wenn ich Sie gerade unterbrechen darf, jetzt gerade er auch gesagt hat, wir würden die Hamas wieder weiter bekämpfen, wenn die sich in Anführungsstrichen nicht benehmen.
Peter Lintl: Aber das gehört ja dazu. Ich meine, das gehört ja dazu. Das ist die Peitsche. Er übt weiterhin Druck aus. Das ist der Punkt. Selbst wenn die Hamas sagt ja aber, oder wenn Israel sagt ja aber, wird Druck nachgeschoben. Er ist dabei, er ist investiert daran, diesen Krieg zu beenden. Und er will auf einer diskursiven Ebene erst mal gar keinen Zweifel daran lassen. Welche Gründe das hat? Ich meine, da ist Trump ja wirklich sehr unkonventionell. Ich glaube, zumindest in Bezug auf Netanyahu spielte vielleicht auch ein Zelensky-Moment eine Rolle. Ich glaube, seit Trump-Zelensky so vor laufenden Kameras abgekanzelt hat, sind alle Staatsführer, die nach Washington kommen, sehr vorsichtig geworden, wie sie sich Trump widersetzen, wie sie sich da präsentieren. Dann laufen gewissermaßen auf Eierschalen, auch ein Netanyahu, der sich ja gegen andere Staatsführer ganz anders präsentiert hat, wenn man das so will. Und ansonsten ist natürlich der Hintergrund, Guido hat vieles angesprochen, warum das jetzt für Trump möglich war, schon auch, dass es eine Reihe von diplomatischen Initiativen gab. Die Saudi-Französische Initiative, dass Trump mit diesen 57 arabisch-islamischen Staatschefs gesprochen hat und sichtlich beeindruckt war davon. Und dass vielleicht sogar die Abraham-Abkommen auf dem Spiel standen, wie es die Emirate im Falle einer Teil-Annexion des Westjordanlands angekündigt hat. All das, glaube ich, hat schon auch Einfluss auf Trump gehabt.
Moderator: Also er war es nicht alleine, sondern er hatte durchaus auch Helferinnen und Helfer in Form anderer Staaten.
Muriel Asseburg: Ich würde es anders formulieren. Ich würde nicht sagen Helferinnen und Helfer, aber vorarbeiten. Und in der Tat, der arabische Wiederaufbauplan vom März, dann die saudisch-französische Initiative, haben ja dazu geführt, dass der Ansatz der Trump-Administration sich jetzt ganz anders anhört oder im Trump-Plan liest, als das, was wir noch zum Beispiel im Februar diesen Jahres von Trump gehört haben. Also es geht nicht mehr um Gaza-Riviera und die Vertreibung der Palästinenser. Es geht jetzt um die Beendigung des Konfliktes und einen Wiederaufbau Gazas, der der palästinensischen Bevölkerung dienen soll. Das heißt nicht, dass nicht die Elemente, die auch in der Gaza-Riviera drin waren, alle raus sind. Aber es haben sich entscheidende Positionen geändert. Es geht nicht mehr um Vertreibung, es geht nicht mehr um Annexion, es geht auch nicht um eine israelische Besiedlung. Und Punkte wie eine Rolle der palästinensischen Autonomiebehörde, palästinensische Staatlichkeit werden zumindest erwähnt, wenn auch nur sehr vage und nicht weiter ausgeführt, wie genau das dann aussehen soll.
Moderator: Dann lassen Sie uns doch auf dieses Abkommen schauen, diese 20 Punkte, die ursprünglich mal 21 waren. Vor allem drei bis vier Punkte ungefähr, da könnte man einen Haken dahinter machen. Sie schauen schon so skeptisch. Ne, sind es mehr oder sind es weniger? Also ich zähle mal auf. Die Waffenruhe ist hergestellt und hält einigermaßen. Die IDF, also die israelischen Militärkräfte, haben sich bis zu einer bestimmten Linie soweit zurückgezogen. Und die Geiseln, die Lebenden, wurden alle überstellt. Von den Toten sind noch einige nicht wieder übergeben worden. Und die palästinensischen Häftlinge wurden auch entlassen. Und die Hilfe ist, soweit ich das sehen kann, auch zumindest ein bisschen wieder angelaufen. Das waren eins, zwei, drei, vier Punkte. Aber der zentrale Punkt für viele, und ich gehe mal auch davon aus für Sie, ist die Selbstaufgabe der Hamas. Also dass Sie im Prinzip sagen, wir lösen uns auf, wir geben alle Waffen ab. Sehen Sie das in naher Zukunft?
Muriel Asseburg: Also erstens die erste Phase der Umsetzung ist noch nicht abgeschlossen. Und wir sehen bei der Umsetzung jetzt die Schwächen auch des Ansatzes. Also das Problem, vielleicht zwei Hauptprobleme in der Schwäche. Das eine ist der israelische Abzug, bevor es eine Struktur gibt, die die Sicherheit gewährleisten kann, alternativ zu Hamas. Das heißt, automatisch geht die Hamas wieder rein, exekutiert Kollaborateure, Opponenten und mit Israel verbündete Milizen, beziehungsweise geht in Gefechte mit denen. Und die andere Hauptschwäche ist, dass wir keinen Honest Broker haben, keinen unabhängigen Konfliktlösungsmechanismus, der dafür sorgt, dass beide Seiten sich tatsächlich an die Vereinbarungen halten und die bei Verstößen sanktionieren kann. Die zweite Phase hat als zentrales Element die Entwaffnung der Hamas. Diese Entwaffnung kann nur funktionieren, wenn andere Fragen gleichzeitig geklärt werden. Und ganz zentral ist dabei, wer übernimmt die Verantwortung für Sicherheit und Ordnung im Gazastreifen, alternativ zu Hamas. Das heißt, wann können palästinensische Sicherheitskräfte in den Gazastreifen rein und wie arbeiten die mit einer internationalen Stabilisierungstruppe zusammen? Und auch ganz zentral, welche Legitimation haben diese beiden Organisationen oder Institutionen in den Augen der Bevölkerung? Das heißt, werden sie wahrgenommen als etwas, was ein Schritt in Richtung politische Perspektiven sind, wirtschaftliche Perspektiven, Stabilisierung sind? Oder werden sie als Element der Fremdbestimmung wahrgenommen?
Moderator: Und wenn man das jetzt alles mit Ja beantwortet, dass das alles klappt, wird die Hamas dann sagen, alles klar, wir legen die Waffen nieder, uns gibt es ab jetzt nicht mehr? Das war ja die ursprüngliche Frage.
Muriel Asseburg: Genau. Guter Punkt. Von Selbstaufgabe steht ja in diesem Trump-Plan nichts drin. Und natürlich stimmt die Hamas einer Selbstaufgabe, einer vollständigen Kapitulation nicht zu. Was sie zugestimmt hat, ist, dass sie die offensiven Waffen abgibt.
Moderator: Eine Terminologie, die man auch aus dem Ukraine-Konflikt ja durchaus schon kennt. Nicht ganz zufällig.
Muriel Asseburg: Genau. Und was sie auch zugestimmt hat, ist, dass sie die Funktion für Verwaltung und Ordnung im Gazastreifen an ein unabhängiges palästinensisches Technokratenkomitee abgibt. Wo sie nicht zugestimmt hat, ist, dass sie keine Rolle mehr spielen wird in der Zukunft. Ganz im Gegenteil, die Idee ist, wenn man so will, ein taktischer Rückzug aus der Sichtbarkeit, aber eben nicht ein Rückzug daraus, die Geschicke sowohl des Gazastreifen als auch Palästinas in Zukunft mitbestimmen zu wollen.
Moderator: Ja. Herr Steinberg, es gibt ja im Prinzip noch eine andere Gruppe der Palästinenser, die einen anderen Teil des palästinensischen Gebietes verwaltet. Das ist die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland, aber das kommt in dem Abkommen. Jedenfalls habe ich nicht gefunden. Haben Sie es gefunden?
Guido Steiberg: Ja, es gibt so ein, zwei Erwähnungen, bei denen man an die palästinensische Autonomiebehörde denken könnte. Aber es ist tatsächlich so, dass die palästinensische Autonomiebehörde von der amerikanischen und von der israelischen Seite nicht als Partner in diesem Abkommen angesehen wird. Und das ist vor allem deshalb problematisch, weil, wie Muriel das gerade schon gesagt hat, eines der größten Probleme ist, wer denn eigentlich Polizeiaufgaben im Gazastreifen übernehmen soll, als Alternative zur Hamas. Im Idealfall hätten solche Polizeitruppen jetzt dort bereitstehen müssen. In der Vergangenheit, bei den Verhandlungen mit der beiden Administration, bei den Gesprächen mit anderen Vermittlern der letzten Jahre, hat dieses Thema immer wieder eine wichtige Rolle gespielt. Und die palästinensische Autonomiebehörde hat Polizisten angeboten. Und auch aus meiner Sicht ist das zwingend, wenn man denn die Hamas tatsächlich von der Herrschaft in Gaza vertreiben will, dass man eine solche palästinensische Alternative mithilfe der palästinensischen Autonomiebehörde aufbaut. Und da möchte ich nochmal auf den vorherigen Punkt zurückkommen, weil mir das, glaube ich, das Problem noch etwas grundsätzlicher zu sein scheint. Mal ganz abgesehen von diesen Prozessen und von den Zusagen, die die Hamas jetzt gemacht hat. Man muss sich in die Situation der Hamas hineinversetzen. Das ist eine terroristische Organisation, die in einer Welt von Feinden lebt, die damit rechnen muss, dass in dem Moment, in dem sie wehrlos ist, nicht nur die Israelis und die Ägypter, die auch Feinde sind, sondern auch die palästinensische Autonomiebehörde und vielleicht auch einige Sippschaften im Gazastreifen über sie herfallen. Eine Entwaffnung ist nur dann möglich, wenn sie wirklich den Eindruck hat, dass sie in einer vollkommen ausweglosen Situation ist, dass sie jede ausländische Hilfe verliert und dass sie jede Aussicht auf einen Erfolg schon verspielt hat. Und wenn man sich die Situation vor Ort anschaut, dann ist das ganz einfach nicht der Fall. Die Hamas hat es geschafft, trotz dieses teils barbarischen Krieges, den die Israelis gegen sie geführt haben in den letzten zwei Jahren, zu überleben. Kaum sind die Israelis weg, ist sie in der Lage, alle ihre internen Gegner zumindest sehr effektiv zu bekämpfen, wenn nicht sofort umzubringen. Und in einer solchen Situation auf eine Entwaffnung zu hoffen, ohne all der Alternative da stehen zu haben, halte ich für illusorisch.
Moderator: Herr Lintl, schauen wir einmal auf den anderen Player Israel. Nämlich in diesem Abkommen sind einige Vorbehalte eingebaut, die Israel es so ein bisschen, nicht nur ein bisschen, erlauben, militärisch wieder einzugreifen, auch mit Unterstützung Donald Trumps, haben wir ja auch schon genannt, wenn die Hamas eben nicht kooperiert. Jetzt stehen aber auch Neuwahlen an, an denen Benjamin Netanyahu ein Interesse haben dürfte. Ein Erfolg würde sich da gut machen, sprich Frieden. Wie realistisch ist das? Oder welche Rolle spielt das?
Peter Lintl: Sicherlich ist Netanyahu bestrebt, sein Amt zu behalten, das ist ja vollkommen klar. Ja, Wahlen sind angesetzt Oktober 2026. Ist noch ein bisschen hin. Ist noch ein bisschen hin. Der springende Punkt wird sein, glaube ich. Wann sieht Netanyahu den Zeitpunkt gekommen, dass diese Neuwahlen für ihn relevant sind? Ist das schon jetzt gegeben? Also quasi nachdem die Geiseln zurück sind? Die Kolleginnen und Kollegen haben es angesprochen. Das Problem mit der Hamas bleibt, weil es schlecht strukturiert, schlecht vorbereitet ist. Oder wird er denken, dass die Neuwahlen jetzt noch nicht für ihn vielversprechend sind und er wird abwarten, bis dieses Jahr abgelaufen ist. Das ist im Moment schwer zu sagen, weil Netanyahu ist in einer extrem schlechten Position. Warum? Nicht einmal nach der erfolgreichen, aus israelischer Sicht, der erfolgreichen Kampagne gegen die Iran hat er massiv dazu gewonnen. Diese Koalition hat seit zwei Jahren keine Mehrheit mehr in den Umfragen. Und das ändert sich gerade nicht besonders stark. Also auch im Moment sieht es nicht so aus, als ob Netanyahu nach diesem, ja, schon Erfolg aus israelischer Sicht, dass die Geiseln befreit sind, eine Mehrheit erreichen könnte. Aber der Punkt ist ja, ich glaube, worauf Netanyahu abheben wird, ist nicht, dass diese Koalition sich wiederholen wird. Das scheint mir ausgeschlossen. Was er aber braucht, ist quasi eine Sperrminorität, dass seine Gegner auch keine Mehrheit haben. Und das haben wir bereits 2019 bis 2022 gesehen. Fünf Wahlen in diesen wenigen Jahren. Mir scheint das die Stoßrichtung zu sein, auf die Netanyahu abhebt. Ob er jetzt dann jetzt neue Malen ausruft und versucht, eine Narrative zu spinnen, dass er den Krieg gewonnen hat oder erst in einigen Wochen, Monaten, das wird man sehen.
Moderator: Und er wirkt ja, wenn ich das so aus persönlicher Beobachtung anfügen darf, er wirkt ja auch nicht gerade wie ein besonders starker Ministerpräsident, wenn er da neben Donald Trump steht, dem er dann sozusagen auch noch überschwänglich dankt für seine Rolle, oder?
Peter Lintl: Naja, aber das ist das, was Donald Trump einfordert. Und ich meine, Netanyahu bedient das gerne. Er schlägt Donald Trump für den Nobelpreis vor. Also er hat kein Problem damit, das auch zu bedienen. Aber es gibt schon Momente, wo das sehr deutlich geworden ist, wer Koch und wer Kellner ist, als Netanyahu quasi Jakarta anrufen musste und sich entschuldigen musste, dass diese Operation schiefgelaufen sei und so weiter. Also da war schon sehr klar, wie die Machtverhältnisse zwischen den beiden bestellt sind. Und das vor laufender Kamera, das war wirklich ein demütigender Moment. Donald Trump hat ihm ja das Telefon in die Hand gegeben, hat ihm gesagt, du rufst jetzt da in Katar an. Und wenn ich es richtig gesehen habe, hat er ihm auch einen Zettel gegeben, auf dem drauf stand, was diese Entschuldigung beinhalten muss. Das war tatsächlich eine Demütigung. Aber dafür hat er, das muss man eben auch sagen, einen Plan bekommen, der ja doch immer noch sehr, sehr pro-israelisch ist. Oder pro-Netanyahu, sagen wir es mal so.
Moderator: Die Hamas, wen hat die eigentlich noch als Unterstützer von außen?
Muriel Asseburg: Sehr wenige Unterstützer, die tatsächlich noch tatkräftig agieren können. Das heißt, es gibt natürlich nach wie vor die ideologischen Verbündeten, aber eben niemand, der jetzt noch richtig Gewicht auf die Waage werfen kann, um sich für die Hamas einzusetzen. Vor allem nicht in diesem diplomatischen Bereich, aber auch mit Unterstützung von Waffen. Die Frage ist, gelingt dieser Prozess der Stabilisierung? Gelingt das, was auch im Plan drinsteht unter der Überschrift Deradikalisierung? Und das heißt, es braucht eine Alternative nicht nur zur bewaffneten Kraft der Hamas, sondern es braucht auch eine Alternative für eine Entwicklung des Gazastreifens und eine Konfliktregelung darüber hinaus und nicht die Vertiefung von Spaltung von Gazastreifen und Westjordanland und die Verfestigung der Besatzung im Westjordanland.
Moderator: Wer könnte denn zum Beispiel diese Friedenstruppen stellen, um jetzt auf diesen Sicherheitsaspekt nochmal ganz kurz einzugehen? Wem vertrauen die Palästinenserinnen und Palästinenser, jetzt nicht die Hamas, sondern die Menschen, genug, dass sie vor Ort die Sicherheit regeln können? Welchen Staaten?
Muriel Asseburg: Es ist nicht die Frage, wem die Palästinenser hier am meisten vertrauen, die entscheiden wird,
Moderator: Aber Sie haben gesagt, Tony Blair würden Sie zum Beispiel die Verwaltung jetzt nicht anvertrauen wollen, weil Sie dem nicht vertrauen.
Muriel Asseburg: Ja, aber die Frage ist doch, wer entscheidet darüber, welche Truppen hier entsandt werden, wer dieses Peace Board bestückt. Das ist keine Volksabstimmung im Gazastreifen, die darüber entscheidet. Es gibt jetzt Staaten, die angedeutet haben, dass sie unter bestimmten Bedingungen bereit sind, Truppen zu stellen. Dazu gehört anscheinend Indonesien. Wir hören, dass Pakistan, Aserbaidschan, vielleicht die Emirate bereit sein könnten. Aber das hängt eben immer davon ab, was genau das Mandat ist und was die Rahmenbedingungen sind, ob die Staaten dann tatsächlich Truppen stellen. Und die zweite Frage ist dann, welches Mandat haben diese Truppen? Wie arbeiten die zusammen mit lokalen Polizeikräften? Und wird das dazu beitragen, dass wir den weiteren Abzug auch der israelischen Armee aus dem Gazastreifen sehen, sodass das für Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen ein Fortschritt ist und bewaffnete Gruppierungen dadurch an Zulauf verlieren und nicht neuen Zulauf generieren.
Moderator: Mich irritiert ein bisschen, dass noch gar niemand von Ihnen das Wort Zwei-Staaten-Lösung in den Mund genommen hat.
Guido Steinberg: Ja, das hat etwas damit zu tun, dass eine solche Zwei-Staaten-Lösung auch nur, ich glaube, im Punkt 19 in einem Halbsatz angedeutet sein könnte. Und darin liegt aus meiner Sicht auch eines der großen Probleme dieses Planes. Es ist ganz bewusst ein Plan, der sich auf den Gazastreifen beschränkt. Es ist kein Plan für eine Zwei-Staaten-Lösung. Es ist auch noch nicht einmal ein Plan für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, sondern lediglich für den Gazastreifen, also für den Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Und deswegen ist es auch richtig, dass alle Beteiligten oder weniger Beteiligten Akteure sehr zurückhaltend sind, was dieses Thema angeht. Die arabischen Staaten, also beispielsweise Katar und Saudi-Arabien, haben in den Verhandlungen darauf gedrängt, dass beispielsweise der Ausschluss einer Annexion, der ja für Gaza enthalten ist, dass der auch für das Westjordanland mit aufgenommen wird. Das haben sie nicht durchsetzen können. Und das ist dann eben doch noch ein Beleg dafür, dass es hier maximal um Gaza gehen wird und die Situation in der Westbank davon abgekoppelt wird. Und das ist natürlich misslich, wenn man daran glaubt, dass es irgendeine Lösung für diesen Gesamtkonflikt geben kann. Die Situation in der Westbank dürfte, selbst in einem Idealfall, also wenn sich die Lage in Gaza verbessert, in den nächsten Monaten wieder in den Blickpunkt rücken. Und dann werden wir eben sehen, dass die Israelis dort in einigen Gebieten eine Politik geführt haben, die doch sehr dieser Politik der verbrannten Erde von Gaza gleicht.
Muriel Asseburg: Das Problem ist ja auch, dass man tatsächlich die beiden Gebiete nicht voneinander trennen kann, weil wenn die Autonomiebehörde zum Beispiel mit Sicherheitskräften eine Rolle spielen soll im Gaza-Streifen, sie aber im Westjordanland immer weiter unter Druck gerät und vor dem finanziellen Kollaps steht, dann passt das eben nicht zusammen. Also der Druck, der momentan auf der Behörde lastet, ist enorm groß. Und hier besteht die konkrete Gefahr, nicht abstrakt, sondern sehr konkrete Gefahr, dass sie zusammenbricht.
Peter Lintl: Darf ich da kurz reinkommen? Na klar. Ich teile die Sorgen an meine Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem will ich nochmal Kurzwerbung machen für diesen 20-Punkte-Plan, weil ich glaube, dass er einfach der kleinste gemeinsame Nenner war, auf den sich die Seiten einigen konnten. Mehr ging einfach nicht, auch um die Israelis an Borg zu haben. Und es ist vollkommen richtig, dass keine Zwei-Staaten-Lösung steht drin. Es steht nichts über die Westbank drin, es stehen Reformpläne für die PL drin, die die Israelis konditionieren. Aber ich glaube, die Herausforderung von Diplomatie wird es jetzt sein, im Aufbau Gazas Fahrtabhängigkeiten zu schaffen, die eben unter diesem Fernziel Zwei-Staaten-Lösung stehen. Also Stück für Stück in diese Richtung zu gehen, das ist, glaube ich, die Herausforderung, vor der die Diplomatie entsteht.
Moderator: Aber es ist nicht Roadmap zu nennen, weil das ist ein Begriff, der schon sehr häufig verwendet wurde und nicht wirklich mit Leben geführt hat.
Peter Lintl: Nicht funktioniert hat.
Moderator: Ja. Was auch nicht so richtig gut funktioniert hat, ist die deutsche Beteiligung. Oder sehen Sie das anders?
Guido Steinberg: Nein, das kann man gar nicht anders sehen. Also es war schon erstaunlich, dass Friedrich Merz auf diesen Hochglanzfotos aus Chamaschere überhaupt zu sehen war. Es ist doch ganz deutlich, dass hier die Amerikaner der entscheidende Akteur sind. Und dazu kommen jetzt eben die Regionalstaaten. Das ist doch ganz auffällig und scheint mir auch einen epochalen Wandel einzuleiten. Vor zehn oder 15 Jahren hätten die Europäische Union, Frankreich, Großbritannien, vielleicht auch Deutschland zumindest noch versucht, eine größere Rolle einzunehmen. Das scheint mir hier fast vollständig gescheitert zu sein, auch wenn ich natürlich die Rolle Frankreichs und Saudi-Arabiens beispielsweise gemeinsam erkenne. Hier haben die Amerikaner ganz klar vorgegeben, dass sie nur mit den Regionalstaaten sprechen wollen. Und die Europäer haben bisher noch kein Mittel gefunden, eine eigene Rolle zu finden. Und das ist natürlich misslich, weil der Nahe Osten nun mal bekanntermaßen sehr nahe liegt, wir Interessen haben in der Region, aber die jetzt kaum berücksichtigt werden.
Moderator: Haben Sie eine Vorstellung, warum das so ist oder eine Erklärung, warum das so ist, wieso sich deutsche, europäische Initiativen da so erfolglos gewesen sind oder gar nicht gezeigt haben?
Peter Lintl: Naja, also einer der wesentlichen Gründe ist, glaube ich, dass es keine gemeinsame EU-Politik gibt. Es gab ja Momente, wo man nicht mal mehr ein gemeinsames Kommuniqué gefunden hat zu diesem Gaza-Krieg, sondern nur wir haben darüber geredet. Und das ist ja fatal, wenn es keine EU-Politik in Bezug auf Gaza gibt, dann kann man auch keine Rolle spielen. Das ist ja klar, wenn man keine Meinung hat, spielt man keine Rolle. Deutschland spielt hier nochmal eine besondere Rolle, weil Deutschland natürlich, Deutschland selbst wegen seiner Vergangenheit, eine besondere Position bezieht. Das Problem, glaube ich, das ich sehe, international, aber auch innenpolitisch, dass die deutsche Politik nicht geschafft hat, ein Deutungsangebot zu machen, wie man denn Völkerrecht und historische Verantwortung im Kontext dieses Krieges und auch des 7. Oktober zusammen erklären kann. Also mein Eindruck, die deutsche Politik scheitert daran, sich selbst und anderen ein Deutungsangebot zu machen, eine Erklärung zu geben, wo stehen wir denn eigentlich und wie ist das logisch zu erklären oder wie kann man das logisch argumentieren?
Muriel Asseburg: Ja, aber darüber hinaus auch nicht nur ein Deutungsangebot zu machen, sondern auf der Basis dann auch tatsächlich politisch aktiv zu werden und eben gemeinsame Initiativen zum Beispiel im Rahmen der E3 voranzutreiben und nicht zu sagen, wir setzen rein auf unser bilateral gutes Verhältnis zu Israel und wir sprechen alles mit Israel ab. Das funktioniert eben nicht in einem Konflikt, in dem mehrere Parteien beteiligt sind.
Peter Lintl: Vollkommen klar, Muriel, vollkommen klar, nur weil sich die Regierung und die Opposition gar keinen, sich selbst die Situation nicht erklären konnte, führt das natürlich zu einer Paralyse, wo die einen sagen, ja es geht nur mehr um das Völkerrecht, die anderen sagen, es geht nur mehr um diese Staatsräson und der Großteil schweigt und das führt zu einer politischen Paralyse, der Deutschland nicht mehr agieren kann.
Moderator: Das heißt, Deutschland ist völlig raus und Europa damit auch oder spielen die noch irgendeine Rolle zum Beispiel als jemand, der Geld gibt?
Guido Steinberg: Ja, das ist ja so vorgesehen, wenn ich allerdings die Summen höre, das war, die Bundesregierung redet da jetzt von einer Anschubfinanzierung von 200 Millionen Euro, glaube ich, sind es, nicht Dollar. Aber das ist nicht wenig Geld. Das ist sehr wenig Geld, wenn es darum geht, ein so großes Gebiet mit über zwei Millionen Einwohnern, das ja fast vollkommen zerstört ist, wieder aufzubauen und vielleicht darüber hinaus sogar eine Perspektive zu schaffen. Ich würde trotzdem nochmal diesen Punkt der Schwäche aufnehmen. Da gehört aus meiner Sicht noch etwas mehr dazu. Da ist ein Punkt natürlich, dass die Europäer keine Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam führen. Das ist ein Punkt. Das ist aber auch ein Punkt, dass die Macht in der Europäischen Union, die potenzielle Macht, Deutschland in der Mitte, so ungeheuer schwach ist und mit so vielen anderen Problemen zu kämpfen hat. Ich will von den innenpolitischen Problemen gar nicht reden, aber alleine sicherheitspolitisch. Und da, glaube ich, liegt nochmal ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Die Zurückhaltung der Bundesrepublik gegenüber Israel ist auch der Tatsache geschuldet, dass unsere Israel-Politik eben nicht nur Politik im Nahostkonflikt ist. Und wir sind gerade dabei, oder die Bundesrepublik ist dabei, mit großer Mühe zu versuchen, ihre Streitkräfte auf die Höhe der Zeit für eine kommende Konfrontation mit Russland zu bringen. Und für diesen Aufbau, vor allem für die Modernisierung, die Vorbereitung für die Luftabwehr, den Drohnenkrieg, die Nutzung der Nachrichtendienste, ist Israel ein Partner, der so wichtig ist wie die Ukraine. Und ich glaube, das erklärt zumindest im konservativen Spektrum diese Zurückhaltung, mit Israel dann doch etwas härter ins Gericht zu gehen, mal jenseits von der Staatsräson und dieser ganzen Rhetorik. Aus meiner Sicht ist es vor dem Hintergrund sogar ein Fehler, dass Friedrich Merz da ein Waffenembargo begonnen hat. Ganz einfach deshalb, weil wir von den Israelis beim Thema Rüstung sehr viel abhängiger sind als sie von uns. Da sägt er an dem sehr, sehr dünnen Ast, auf dem unsere Rüstungsbemühungen sitzen.
Muriel Asseburg: Aber wir haben ja kein Waffenembargo. Also es ist nie ein Waffenembargo verhängt worden. Es ist eine befristete und teilweise Aussetzung von Genehmigungen verhängt worden. Erstens. Zweitens.
Guido Steinberg: Ja, ein teilweisees Waffenembargo. Genau, das ist ein bisschen abgekürzt, aber noch schlimmer, wenn das eine solche halbgare Lösung ist, mit denen wir die Israelis vergrätzen, aber keinerlei Ergebnis generieren. Nee, das stimmt. Ah, so. Punkt. Also erstens, letzter Satz stimmt überhaupt nicht, dass Friedrich Merz gesagt hat, im Kontext dieses Krieges werden keine Waffen mehr geliefert, die für den Gaza-Krieg genutzt werden, wurde in jeder israelischen Tageszeitung ganz oben vermeldet. Ganz oben. Headlines. Jede israelische Zeitung. Das hat es in Israel. Das ist zur Kenntnis genommen worden. Und zweitens kommen wir zurück zu einer Position, wie wir sie vorher hatten. Die Idee, alles was schwimmt, geht. Das geht ja auf Genscher zurück. Es gibt keine Waffen, die für die Besatzung genutzt werden von Deutschland. Das ist klassische deutsche Position. Es werden Waffen geliefert, die zur Verteidigung zum Beispiel gegen den Iran genutzt werden. Aber diese Rückkehr jetzt ist klassische deutsche Position, wie sie für viele Jahrzehnte gegolten hat. Und drittens muss man sich doch zumindest fragen, beim deutschen Rüstungsexportgesetz ist ja klar, dass wenn im Raum steht, dass damit Völkerrechtsverletzungen begangen werden mit diesen Waffen, dann muss das extrem kritisch gesehen werden. Und das, glaube ich, diese Frage steht doch ganz klar im Raum. Ja, trotzdem halte ich das für ein in dieser Situation vollkommen falsches Signal. Die Bundesrepublik kann es sich ganz einfach nicht leisten, einen für die eigenen Rüstungsanstrengungen so wichtigen Partner, der fast so wichtig ist, vielleicht sogar so wichtig wie die Ukraine, in dieser Situation zu vergräzen. Ich glaube, es wäre der richtigere Schritt gewesen, zu schauen, dass man da eine gemeinsame europäische Haltung findet. Also bei der Anerkennung Palästinas als Staat, da, glaube ich, wäre sehr viel besser zu zeigen gewesen, dass wir uns als Europäer inklusive Großbritannien einig sind, dass die Bundesrepublik diesen Krieg, für den es aus meiner Sicht seit mindestens einem Jahr überhaupt keine Rechtfertigung mehr gibt, keine strategische und natürlich auch keine moralische mehr, dass sie den ablehnt und dass sie gleichzeitig in der Lage ist, Sicherheitspolitik ganzheitlich zu denken und nicht nur in Bezug auf diesen kleinen Streifen am Mittelmeer.
Muriel Asseburg: Ich würde gerne noch zwei Sachen sagen. Das eine ist, völkerrechtliche Verpflichtungen, die die Bundesrepublik hat, sind ja keine Wahl, keine Option, sondern sind tatsächlich Verpflichtungen, die auch über das Grundgesetz festgeschrieben sind. Das heißt, in Situationen, wo wir Verfahren haben vor dem Internationalen Gerichtshof wegen des Vorwurfs des Genozid im Gazastreifen, wo wir Anordnungen des IGH haben, die rechtlich verbindlich sind, gibt es meiner Ansicht nach gar keine andere Option, als tatsächlich alles zu tun, um nicht zu einem potenziellen Völkermord in Gaza beizutragen. Und das heißt, Waffenlieferungen auszusetzen. Zweiter Punkt. Ich würde gerne noch mal kurz nach vorne gucken, weil es ist ja tatsächlich so, dass Deutschland und die EU jetzt involviert sein werden. Deutschland hat angekündigt, dass es Mitausrichter der Wiederaufbaukonferenz in Ägypten sein wird. Und da wird es genau darauf ankommen, dafür zu sorgen, dass der Wiederaufbau nicht ein fantastisches Investorenprojekt wird, sondern dass Rahmenbedingungen tatsächlich da sind, um eine tragfähige Entwicklung im Gazastreifen anzustoßen, um das zu gewährleisten. Eine Entwicklung, die zugunsten der palästinensischen Bevölkerung dort passiert und die damit auch Perspektiven für die Bevölkerung eine Alternative zu dem, was die Bevölkerung seit 2007 erlebt hat, darzustellen. Und der andere Punkt ist, Deutschland ist involviert bei den Reformen, die die Autonomiebehörde im Westjordanland durchführt, hat das sehr eng begleitet bislang. Da halte ich das für sehr wichtig, dass erstens, dass nicht nur, wie bislang, auf Effizienz und bessere Dienstleistungen abzielt, sondern tatsächlich wir zurückkommen zu einem System, was ein gewaltenteiliges System ist, wo die Bevölkerung tatsächlich auch Möglichkeiten hat, auf die Regierung einzuwirken. Das heißt, über kurz oder lang auch Wahlen stattfinden. Und damit das überhaupt möglich ist, muss die Autonomiebehörde erstmal abgeschirmt werden, gegen die Bemühungen der Regierung in Israel, sie zum Einsturz zu bringen. Und deshalb braucht es da ein permanentes, dauerhaftes Engagement, um letztlich überhaupt zur Stabilisierung beitragen zu können.
Moderator: Also wir hatten nicht nur die Tagesaktualität im Nacken, sondern hier auch sehr viele unterschiedliche Meinungen zu dem Thema. Ganz wunderbar. Wir haben gesprochen über das Gaza-Friedensabkommen und wie es damit weitergeht. An den Mikrofonen waren Muriel Asseburg, Peter Lintl und Guido Steinberg. Vielen herzlichen Dank Ihnen.
Gäste: Danke auch.
Moderator: Und herzlichen Dank wie immer auch an Maya Dähne, die die Redaktion für diesen Podcast hatte. Wenn Sie sich weiter einlesen wollen, in den Shownotes finden Sie wie immer einige Leseempfehlungen. Lesen und abonnieren können Sie auch unseren SVP Newsletter oder unsere Social Media Kanäle bei LinkedIn und BlueSky. Und natürlich freuen wir uns, wenn Sie diesen Podcast abonnieren, ihn bewerten und an andere Interessierte weiterempfehlen. Ich bin Dominik Schottner. Bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie neugierig.
Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow der SWP-Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Sie forscht zum israelisch-arabischen Konflikt sowie zur internationalen Politik in der Region. Dr. Peter Lintl ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter der SWP-Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Seine Forschungsschwerpunkte sind Israel und der Nahostkonflikt.Dr. Guido Steinberg ist Wissenschaftler bei der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nahe Osten, Islamismus und islamistischer Terrorismus.
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