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„Wir müssen konkrete Angebote machen, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen.“

blog Joint Futures 06, 04.10.2023

Im Vier-Fragen-Interview mit Megatrends Afrika unterstreicht Dr. Karamba Diaby (SPD) die Notwendigkeit sich den afrikanischen Partnern stärker zuzuwenden und ihnen aktiv zuzuhören. Er mahnt, die Interessen der 54 Staaten differenziert zu betrachten und nicht mehr von dem „einen Afrika“ zu sprechen.

 

Megatrends Afrika (MTA): Welche aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen machen es nötig, dass Deutschland seine Afrikapolitik neu ausrichtet?

Dr. Karamba Diaby (KD): Afrikas Gewicht in der Welt wächst stetig. Der Kontinent verfügt über ein immenses Potenzial für erneuerbare Energien, Digitalisierung und landwirtschaftliche Produktion, über Rohstoffvorkommen und eine chancenreiche junge Bevölkerung. Die Afrikanische Union und andere Regionalorganisationen gewinnen international erheblich an Bedeutung.

Während der Corona-Pandemie ist viel Vertrauen in die globale Solidarität verloren gegangen. Wir beobachten, dass sich immer mehr afrikanische Staaten nach Alternativen zum „westlichen Modell“ umsehen. Bei den jüngsten Machtwechseln in Burkina Faso, Mali und Niger haben lokale Akteure auch Kritik an westlichen Partnerländern geübt. Seit Beginn seines Angriffskriegs auf die Ukraine steht zudem der Einfluss Russlands auf dem afrikanischen Kontinent bei uns auf der politischen Tagesordnung.

Doch globale Herausforderungen können wir nur gemeinsam lösen. Der Klimawandel wird Krisenherde verschärfen und Auswirkungen auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 haben. Um vorhandene Partnerschaften zu stärken und neue aufzubauen, müssen wir auf aktive Diplomatie setzen. Wir müssen afrikanischen Staaten konkrete Angebote machen, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen.

MTA: Wie sollte die deutsche Afrikapolitik neugestaltet werden, um die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten zu verbessern und die nachhaltige Entwicklung in Afrika zu fördern?

KD: Die deutschen Afrikapolitik orientiert sich an den Zielen der afrikanischen Staaten selbst. Diese formulieren selbstbewusst Zukunftsstrategien, die wir mit unserer Afrikapolitik flankieren. Im Bereich Frieden und integrierte Sicherheit heißt das auch die Zusammenarbeit mit den einschlägigen Regionalorganisationen zu stärken. Sie kennen die lokalen Gegebenheiten am besten.

Weiterhin bleibt es wichtig, unser Engagement an den 17 Nachhaltigkeitszielen auszurichten, die Klimaversprechen einzuhalten und die Zusammenarbeit im Bereich der Globalen Gesundheit und der Erneuerbaren Energien zu fördern. Zentral ist dabei, unsere Afrikapolitik an den Erwartungen von Frauen und marginalisierten Gruppen auszurichten. Diese progressiven Inhalte greift die neue Afrikastrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf und sollen auch in die Leitlinien der Bundesregierung einfließen. Dazu gehören Initiativen wie der Klimaclub von Bundeskanzler Olaf Scholz, das Bündnis für globale Ernährungssicherheit von Ministerin Svenja Schulze und unser Engagement für Just Energy Transition Partnerships.

MTA: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die deutsche Afrikapolitik sowohl die eigenen Interessen als auch die Bedürfnisse und Prioritäten der afrikanischen Staaten und Gesellschaften berücksichtigt?

KD: Neu ist, dass wir unseren Partnern nicht nur unsere Konzepte aufzwingen. Wir hören den afrikanischen Staaten mit ihren individuellen Zukunftsstrategien zu und fragen: Wie lauten Eure Prioritäten? Was erwartet Ihr euch von einer Zusammenarbeit?

Die Anerkennung von kolonialen Kontinuitäten und die entscheidende Rolle von Frauen, der Jugend und indigenen Minderheiten werden endlich explizit benannt. Progressive Afrika-Politik bedeutet, dekolonial zu denken, also koloniale Kontinuitäten aufzubrechen; die 54 afrikanischen Länder und ihre Prioritäten differenziert zu betrachten und nicht immer nur von dem „einen Afrika“ zu sprechen. Und besonders: von den Menschen vor Ort zu lernen.

Es bedeutet, in der afrikapolitischen Betrachtung weg von der alleinigen Entwicklungszusammenarbeit zu kommen und weitere Handlungsfelder mitzudenken. Das Muster, wir müssten „Afrika helfen“, ist mehr als veraltet! Wir sollten die vielfältige Zivilgesellschaft aktiv miteinbeziehen. So gelingt eine Ausrichtung unserer Politik an den konkreten lokalen Bedürfnissen. Gleichzeitig gilt es, uns ehrlich zu machen und eigene Interessen im Dialog mit den Partnerländern klar zu benennen.

MTA: Welche blinden Flecken nehmen Sie in der deutschen Afrikapolitik wahr, die Sie gerne stärker auf die politische Agenda setzen würden?

KD: Im Bereich Digitalisierung und Digitalwirtschaft bietet der Kontinent enormes Potenzial, von dem Deutschland noch lernen kann. Diese Chancen ebenso wie der sozial gerechte Übergang zu Erneuerbaren Energien gehören auf unsere Agenda.

Auch im Ausbau der sozialen Sicherungssysteme bieten sich stärkere Kooperationen an. Das hat sich die Bundesregierung ausdrücklich vorgenommen. Deutschland kann bei der Stärkung der nationalen Gesundheitssysteme ein verlässlicher Partner sein. Bereits jetzt fördern wir die lokale Produktion von Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika. Wissenschafts- und Bildungskooperationen spielen dabei eine wichtige Rolle. Aber: Wir verlieren Vertrauen, wenn wir uns einerseits für Bildungs- und Forschungsförderung; das aber andererseits nicht für Visa-Gerechtigkeit und vereinfachte Migrationsverfahren tun.

Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bleibt ein zentraler Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Schwerpunkt sollte darüber hinaus eine faire Handelspolitik sein, die die nachhaltige Wertschöpfung in Afrika selbst zum Ziel hat. Die afrikanische Freihandelszone ist eine Chance für den Kontinent, die Deutschland zusammen mit der Europäischen Union stärker unterstützen sollte.

Dr. Karamba Diaby (SPD) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sowie dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dieses schriftliche Interview wurde im August 2023 geführt und ist Teil unserer Mini-Serie „Vier Fragen“, in denen wir Abgeordnete nach ihren Prioritäten für die neuen Afrikapolitischen Leitlinien fragen.