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Kooperation statt Kriegsgetöse: Zeit für eine Wende im Nilwasserkonflikt

Das Säbelrasseln Ägyptens in der Nilwasserfrage stößt an seine Grenzen, meint Tobias von Lossow. Da die Notwendigkeit zu kooperieren stetig zunimmt, müssen Ägypten und Äthiopien ihre politischen Absichtserklärungen endlich glaubhaft mit Leben füllen.

Kurz gesagt, 01.07.2013 Research Areas

Das Säbelrasseln Ägyptens in der Nilwasserfrage stößt an seine Grenzen, meint Tobias von Lossow. Da die Notwendigkeit zu kooperieren stetig zunimmt, müssen Ägypten und Äthiopien ihre politischen Absichtserklärungen endlich glaubhaft mit Leben füllen.

Der ägyptische Präsident Mursi schlug forsche Töne an, als er Anfang Juni erklärte, dass "alle Optionen auf dem Tisch liegen", sollte Äthiopien die Wasserversorgung Ägyptens durch den Nil beeinträchtigen. Sollte auch nur ein Tropfen verloren gehen, so wäre Blut die Alternative. Äthiopien hatte wenige Tage zuvor damit begonnen, den Flusslauf des blauen Nils vorübergehend umzuleiten, um den Bau des größten Dammprojekts in Afrika, des Grand Ethiopian Renaissance Dam, voranzutreiben. Die Deutlichkeit der Drohung aus Kairo überrascht: Seit seinem Amtsantritt hat Präsident Mursi wiederholt eine Normalisierung des schwierigen Verhältnisses zu Äthiopien betont und Addis Abeba bereits zweimal besucht. Der jüngste Aktionismus ist durch den massiven innenpolitischen Druck befördert worden, unter dem die Regierung derzeit steht. Mit einem Appell an die nationale Einheit im Nilwasserkonflikt versuchte Mursi, die divergierenden politischen Kräfte im Land hinter sich zu vereinen.

Mit seiner aggressiven Rhetorik fällt Ägypten dabei in ein altbekanntes Handlungsmuster zurück. Immer wieder hatte das Land direkt oder indirekt mit Krieg gedroht. Am Ende anschließender Krisengespräche standen meist vage Absichtserklärungen, die die vorübergehende Eskalation entschärften. Mit dieser Strategie gelang es Ägypten über Jahrzehnte, seine Vormachtstellung am Nil zu sichern. Allerdings hat sich die Ausgangslage, insbesondere die Machtbalance zwischen Kairo und Addis Abeba, in den letzten Jahren verändert: Äthiopien ist zum regionalen Machtfaktor geworden und stellt seine wirtschaftliche Stärke und sein politisch-militärisches Engagement selbstbewusst zur Schau, auch durch den massiven Ausbau seiner Wasserinfrastruktur. Entsprechend unbeeindruckt fiel die Reaktion auf die jüngsten Drohungen aus Kairo aus: Zwar zeigte sich Äthiopien irritiert und bestellte den ägyptischen Botschafter ein, bekräftigte aber gleichzeitig, an den Bauplänen festhalten und die Arbeiten fortsetzen zu wollen.

Warum ein Militärschlag keine Option ist

Ein Militärschlag war für die ägyptische Regierung von Beginn an keine reelle Option. Zum einen wären die politischen Kosten zu hoch; ein Angriff würde internationale Proteste hervorrufen, und Kairo würde als Aggressor im Nilwasserkonflikt wahrgenommen. Zum anderen sind die militärischen Optionen stark begrenzt, etwa weil der Grand Ethiopian Renaissance Dam außerhalb der Reichweite der ägyptischen Luftstreitkräfte liegt. Die Einrichtung einer Operationsbasis im näher an Äthiopien gelegenen Sudan würde den Konflikt internationalisieren. Ohnehin wäre ein Militärschlag nicht zielführend, da eine tatsächliche Kontrolle der Wasserressourcen letztlich nur durch eine dauerhafte Besetzung des Wassereinzugsgebiets am oberen Flusslauf erreicht werden könnte. Zudem würde ein ägyptischer Angriff die Vergeltung Äthiopiens provozieren - und Verhandlungen weiter erschweren.

Zweitägige Beratungen der Außenminister beider Länder in Addis Abeba konnten die Situation vorerst entschärfen. Gleichwohl sind die Ergebnisse dieses Treffens überschaubar und wenig konkret. Die nebulösen Absichtserklärungen, die bilateralen Beziehungen stärken und den Dialog fortsetzen zu wollen, sind weder neu noch bindend. Die vorgesehene Einrichtung von Arbeitsgruppen weist in der Theorie zwar in die richtige Richtung, die praktischen Erfolgsaussichten allerdings sind begrenzt. Die Zusammenarbeit der beiden Staaten in der Nilwasserfrage ist schon in den vielfältigen bestehenden Strukturen politisch äußerst schwierig. So hat etwa das Joint Technical Committee, das seit über einem Jahr die Folgen des Grand Ethiopian Renaissance Dam untersucht und Unstimmigkeiten in dieser Frage ausräumen soll, keine von allen Seiten akzeptierten Ergebnisse hervorgebracht.

Absichtserklärungen müssen mit Leben gefüllt werden

Die kurzfristige Verschärfung des Konflikts hat die Ausgangslage nicht verändert. Äthiopien wird angesichts seiner gestärkten Position in der Region den Ausbau seiner Wasserinfrastruktur trotz ägyptischen Säbelrasselns weiter massiv vorantreiben. Folglich drohen Scharmützel dieser Art mittel- und langfristig zuzunehmen. Einen derart konfrontativen Umgang miteinander können sich Ägypten und Äthiopien in der Nilwasserfrage jedoch nicht leisten, da der Fluss von zentraler Bedeutung für die sozioökonomische Entwicklung beider Länder ist. Ganz im Gegenteil: Im Zuge des drastisch steigenden Wasser-, Nahrungsmittel- und Energiebedarfs der gesamten Region nimmt die Notwendigkeit zu kooperieren sogar zu. Entsprechend sollten Ägypten und Äthiopien endlich beginnen, ihre Absichtserklärungen mit Leben zu füllen. Gemeinsam geplante, finanzierte und umgesetzte landwirtschaftliche Bewässerungsprojekte am Oberlauf in Äthiopien oder Stromexporte aus äthiopischen Wasserkraftwerken nach Ägypten wären beispielsweise geeignet, den oft zitierten gemeinsamen Nutzen einer Zusammenarbeit sichtbar zu machen. Nur so kann eine Vertrauensbasis geschaffen werden. Wenn die wohlklingenden gemeinsamen Ziele, die letzte Woche formuliert worden sind, nicht in konkrete Projekte überführt werden, ist hingegen eine erneute Eskalation nur eine Frage der Zeit – spätestens wenn die Befüllung des Staubeckens des Grand Ethiopian Renaissance Dam ansteht.