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Internationale Zusammenarbeit in der Corona-Krise: Chancen für Europa, Gefahren für die Welt

Kurz gesagt, 30.03.2020 Research Areas

In der Pandemie durchläuft die internationale Zusammenarbeit einen Härtetest. Während sich auf europäischer Ebene Chancen auftun, sie zu vertiefen, sieht es für die Lösung globaler Probleme eher schlecht aus, meint Hanns W. Maull.

Auch in der Corona-Krise wird die europäische Zusammenarbeit viel kritisiert. Noch schlimmer steht es nach Auffassung zahlreicher Beobachter um die internationale Ordnung: Sie ordne nicht mehr, sondern löse sich auf. Meist ist diese Kritik zutreffend, zuweilen aber auch überzeichnet. Tatsächlich gibt es sowohl Gründe für vorsichtigen Optimismus wie für ernste Sorge – Optimismus hinsichtlich der Zukunft der Zusammenarbeit in Europa, Sorge dagegen mit Blick auf die Perspektiven des Weltregierens.

Die Kritik am internationalen Krisenmanagement verkennt, dass es dabei vorrangig um Verwaltungshandeln nach klaren Zuständigkeiten geht. Internationale Organisationen sind in der Regel darauf angewiesen, dass die Mitgliedsstaaten Entscheidungen gemeinsam ausarbeiten und diese dann durch ihre nationalen bzw. ihre substaatlichen und kommunalen Verwaltungsorgane ausführen. Das gilt – mit nur wenigen Ausnahmen – sogar für die Europäische Union. Staaten kooperieren leider nur selten aus hehren Motiven europäischer oder internationaler Solidarität, sondern zumeist unter dem Druck wechselseitiger Abhängigkeiten und Verwundbarkeit.

Die EU muss sich in der Zusammenarbeit behaupten

Dass die Europäische Union beim Corona-Krisenmanagement versagt haben soll, ist deshalb weder neu noch überraschend. Sowohl die Zuständigkeiten wie auch die Ausführungsorgane des Krisenmanagements finden sich in Europa nach wie vor in den Nationalstaaten. Die Mitgliedstaaten können in der Krise handeln; die Europäische Union kann es in der Regel nicht. Sie muss sich erst zu gemeinsamem Handeln zusammenraufen. Das braucht Zeit und ist meist nicht besonders erbaulich anzusehen – aber es funktioniert, und zwar je mehr Zeit verstreicht, desto besser. Sicher: Die Ergebnisse sind selten optimal. Sie beruhen auf komplizierten Kompromissen, in die auch manches einfließt, was nicht zur Sache gehört. Es ist deshalb noch viel Luft nach oben in der europäischen Politik. Aber am Ende stehen alle Beteiligten besser da als ohne europäische Zusammenarbeit. Und die Ergebnisse sind zumeist besser als ihr Ruf.

Die Logik des Aufeinander-Angewiesen-Seins verstehen auch die nationalen Entscheidungsträger, allerdings nicht unbedingt gleichermaßen. Entscheidungen fallen ja nicht aufgrund der objektiven Lage, sondern auf der Basis ihrer Wahrnehmung und Bewertung durch diejenigen, die sie treffen. Dabei können sachfremde Aspekte hineinspielen, von der Fähigkeit der Entscheider, die Probleme angemessen zu verstehen, über die eigenen Chancen auf Wiederwahl und persönliche Bereicherung bis hin zu den Verlockungen des Trittbrettfahrens, wenn Regierungen die Vorteile der Zusammenarbeit, die andere einbringen, kassieren, selbst aber keine Gegenleistungen erbringen.

Derartige Belastungen der europäischen Zusammenarbeit haben seit der Erweiterung der EU überhandgenommen. Wie damit umzugehen ist, ist aus Sicht der Sozialwissenschaften klar: Europäische Zusammenarbeit ist die richtige Strategie, der allerdings gegenüber denjenigen, die versuchen, die Kooperation einseitig auszunutzen, mit Sanktionen Nachdruck verliehen werden muss. Strategien des »Wie Du mir, so ich Dir« als Reaktion auf Kooperationsverweigerung und Trittbrettfahren sollte in der europäischen Politik deshalb in Zukunft mehr Beachtung finden – in Verbindung mit immer wieder neuen Angeboten zur konstruktiven Zusammenarbeit. Ein guter Ansatzpunkt hierfür wäre die skandalöse Art und Weise, wie insbesondere in Osteuropa die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik finanziell abgeschöpft wird, um korrupte Netzwerke im persönlichen Umfeld etwa eines Viktor Orban in Ungarn oder eines Andrej Babiš in Tschechien mit hunderten Millionen von europäischen Steuergeldern zu begünstigen. Vor allem aber wird es in Zukunft darum gehen, die europäische Zusammenarbeit unter denjenigen zu vertiefen, die das im Sinne des europäischen Projektes wirklich wollen. Das heißt: Mehr Kerneuropa, Vertiefung und Strukturreformen der Eurozone sowie eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die diese Bezeichnung wirklich verdient, um Europa als globale Gestaltungsmacht zu positionieren.

USA, China und Russland hemmen internationale Zusammenarbeit

Die Chancen, dass es durch die Krise und über sie hinaus gelingen könnte, die europäische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen, stehen gar nicht schlecht. Denn die Pandemie wird den Europäern nachdrücklich ins Bewusstsein rufen, wie sehr sie aufeinander angewiesen sind. Weniger gut sieht es dagegen bei der internationalen Zusammenarbeit jenseits der Europäischen Union aus, etwa im Rahmen der G7, der G20 oder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Denn was möglich ist, wird bestimmt durch die Fähigkeit und Bereitschaft der USA, Chinas und Russlands, miteinander Kompromisse zu finden, um internationale Probleme zu lösen. Daran aber mehren sich Zweifel in dem Maße, in dem sich vor allem die chinesisch-amerikanischen Beziehungen derzeit alarmierend verschlechtern. Auf beiden Seiten werden die Spannungen aus innenpolitischen Gründen angeheizt, die jeweils andere Seite wird für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht und dämonisiert, im Umgang miteinander wird fast nur noch vergolten und die strategischen Kooperationsangebote sind rar. Washington wie Beijing riskieren dabei Fehlkalkulationen und Realitätsverlust.

Die Konsequenz: Lösungen für aktuelle Probleme – von der Corona-Pandemie über das nukleare Wettrüsten bis hin zum Klimawandel – lassen sich nur noch innerhalb der prekären Handlungskorridore finden, die durch die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Selbsterhaltungsmotive der großen Mächte USA, China und Russland definiert werden. Das betrifft auch die dringliche Entwicklung des Weltregierens. Alle drei wissen, dass sie sich militärisch und auch wirtschaftlich gegenseitig vernichten könnten. Auch darauf lässt sich zur Not – der Kalte Krieg hat es gezeigt – ein Mindestmaß an internationaler Zusammenarbeit aufbauen. Aber das wäre nicht nur zu wenig, um in den anstehenden globalen Herausforderungen zu bestehen, es stünde obendrein auch noch auf der wackligen Grundlage tiefen wechselseitigen Misstrauens und liefe damit stets die Gefahr einer fatalen Fehlentscheidung – in Beijing, Moskau oder auch in Washington.