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Foresight*: »Trump 2024« – und 2028 ff.?

Die Erosion der elektoralen Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika

SWP-Aktuell 2021/A 73, 18.11.2021, 6 Pages

doi:10.18449/2021A73

Research Areas

Am 4. Juli 2026 begehen die USA den 250. Jahrestag ihrer Unabhängigkeitserklärung. Im ganzen Land drängen sich die Feiernden auf den Straßen. Die größte Party findet in Washington statt. Hunderttausende Anhänger und Anhängerinnen Präsident Donald Trumps sind in die Hauptstadt gepilgert, um ihrem Idol zu huldigen. Gegendemon­strationen werden durch ein massives Aufgebot von Polizei und Militär unterbunden. Die Lage ist hochgradig spannungsgeladen.

Seit Tagen deutet Trump an, dass er am Independence Day eine historische Entscheidung bekannt geben werde. Und tatsächlich: Zunächst bringt der Präsident die Menschenmenge mit bewährten Slogans aus seinen Wahlkampagnen in Stimmung. Dann verkündet er, weitere Amtszeiten anzustreben. Zwar besage der 22. Verfassungs­zusatz, dass ein Präsident nur zweimal gewählt werden könne. Er sei aber sicher, dass sich dies ändern ließe. Daher wolle er eine Bewegung ins Leben rufen, die für die Abschaffung des Zusatzes eintrete – dies sei schließlich klar erkennbarer Volkswille. Trump fordert seine Anhängerschaft dazu auf, sich »energisch« dafür einzusetzen, dass er bei den 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen antreten kann. Viele Beob­achter im In- und Ausland sind entsetzt. Die angekündigte Amtszeitentgrenzung lässt sie um das Schicksal der Demokratie in Amerika bangen.

Ermutigt fühlt sich Trump durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieser hatte wenige Wochen zuvor in letzter Instanz alle noch anhängigen Klagen gegen die Prä­sidentschaftswahl 2024 abgewiesen und damit Trumps Wahlsieg über Kamala Harris anerkannt – trotz massiver Kritik an der Mani­pulation von Wahlergebnissen in entscheidenden Einzelstaaten und obwohl Trump wie schon 2016 die Mehrheit der bundesweit abgegebenen Stimmen (popular vote) verfehlte.

Zugleich hatte der Supreme Court die kontroversen Wahlgesetze, die in zahl­reichen von Republikanern kontrollierten Bundes­staaten seit 2021 verabschiedet wor­den waren und Trump den Wiedereinzug ins Weiße Haus ermöglichten, als verfassungskonform gebilligt. Die große Mehrheit der Staatswissenschaftlerinnen und Ver­fassungs­rechtler sieht darin eine Gefahr für freie und faire Wahlen. Schließlich benach­teiligen die Änderungen der Gesetzgebung Angehörige von Minderheiten, etwa Afro-Amerikaner, die überwiegend den Demokraten zuneigen. Entsprechend heftig fallen die landesweiten Proteste aus. Sie werden von Angst und Wut darüber angetrieben, dass sich die Vorherrschaft des konser­vativen Teils der weißen Mehrheitsgesellschaft verstetigen könnte. Denn in der Gesamtbevölkerung ist dieser klar in der Min­derheit.

Vorschau: Der Weg bis 2026

Bei den Kongresswahlen 2022 gelingt es den Republikanern, die Parlamentsmehrheit zurückzuerobern. Ihnen hilft eine gewisse Wechselstimmung – Teilen der wohl­habenden Wählerinnen in den Vorstädten, die 2020 für Joe Biden gestimmt haben, gehen die progressiven Reformvorhaben der Demokraten zu weit. Zudem haben die Republikaner in von ihnen kontrollierten Staaten die Wahlbezirke so zugeschnitten, dass ehemals umkämpfte Swing States wie Florida, North Carolina und Ohio fest in ihrer Hand sind, und hohe Hürden für die Wahlteilnahme aufgestellt, die Demokraten-nahe Wählergruppen abschrecken.

Ins Kapitol ziehen für die Republikaner überwiegend Trump-linientreue Abgeordnete ein, die in den verbleibenden Amts­jahren Bidens Fundamentalopposition betreiben. Am Obersten Gerichtshof wird 2023 eine Position frei, als der den Demo­kraten nahestehende Stephen Bryer aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nieder­legt. Doch der Kongress blockiert die Benen­nung einer Kandidatin durch Biden. Damit wiederholt sich die Konstellation von 2016, als die Nominierung des Liberalen Merrick Garland zum Nachfolger des überraschend verstorbenen konservativen Richters An­tonin Scalia im letzten Amtsjahr Präsident Barack Obamas verhindert wurde.

So wird der Boden für die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus bereitet. Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 liegt er lan­desweit zwar deutlich zurück – wie schon 2016 und 2020. Die unter Ägide von Repu­blikanern in den wichtigen Swing States verabschiedete Wahlgesetzgebung sorgt jedoch dafür, dass Trump eine Reihe die­ser Einzelstaaten für sich gewinnen kann. In Georgia gibt es Berichte darüber, dass in den Vorstädten von Atlanta aggressive Wahlbeobachter Angehörige von Minderheiten durch Einschüchterung am Wählen gehindert und die Rechtmäßigkeit ihrer Stimmabgabe angezweifelt hätten. Vermu­tet wird, dass diese Praxis für den hauch­dünnen Vorsprung Trumps ausschlag­gebend gewesen sein könne.

In Detroit werden deutlich weniger Wahllokale eingerichtet als noch 2016 und 2020, so dass es inmitten eines Schneesturms zu langen Warteschlangen kommt. Viele Wählerinnen geben entnervt und durchgefroren den Versuch auf, ihre Stim­men abzugeben. Die von Republikanern dominierte Legislative Michigans hatte zuvor mehr als dreißig Gesetze eingebracht, die die Wahlregistrierung wie auch die Stimmabgabe erschwerten und die Un­abhängigkeit der Wahlbehörden in Frage stellten. Die meisten Initiativen scheiterten zwar am Veto der Demokratischen Gouver­neurin Gretchen Whitmer. Einige davon, wie strengere Ausweisregeln und ein höhe­rer Aufwand, um eine gültige vorläufige Stimme abzugeben, waren jedoch auf Grund­lage eines Volksentscheids verabschiedet worden, der parallel zu den Zwischen­wahlen 2022 stattfand.

In Wisconsin unterliegt Gouverneur Tony Evers (Demokrat) 2022 seinem Heraus­forderer. Seitdem ist der Staat wieder fest in konservativer Hand. Nach der ersten Aus­zählung der Stimmen liegt Kamala Harris hier mit rund 4.000 Stimmen vorn. Bei der Nachzählung kommt es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten, für die sich Anhänger von Demokraten und Republikanern gegen­seitig verantwortlich machen. Schließlich entscheidet die Legislative aufgrund der »unklaren Lage, und um den Zeitplan zur Benennung der Elektoren einzuhalten«, Wahlleute unabhängig vom Ergebnis zu zertifizieren.

Mit Georgia, Michigan und Wisconsin auf seiner Seite erzielt Trump eine knappe Mehrheit im Electoral College. Der Supreme Court weist Eilanträge gegen die von Wis­consin erstellte Liste der benannten Wahl­leute mit einer 5:4-Mehrheit ab, dabei beruft es sich auf die Independent State Legislature Doctrine. Diese unter amerikanischen Staats­wissenschaftlern und Verfassungsexpertin­nen hochumstrittene Doktrin besagt, dass die gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten autonom darüber entscheiden können, wie sie ihre Elektoren be­stimmen. Dass jene Person nominiert wird, die die Mehrheit der Stimmen auf sich ver­einigt, wäre demnach zwar etablierte Pra­xis, aber nur eine unter verschiedenen Möglichkeiten. Auch die Anträge gegen die Rechtmäßigkeit der Ergebnisfestsetzungen in Georgia und Michigan scheitern.

Rückblende: Die Erosion der amerikanischen Demokratie

Der Niedergang der amerikanischen Demo­kratie setzte vor mehr als drei Jahrzehnten ein. Seitdem gab es eine Reihe von kriti­schen Gabelungen (critical junctures), an denen jeweils ein Weg eingeschlagen wurde, der die Erosion beförderte. Es begann mit der sogenannten »Gingrich-Revolution«. Nachdem die Republikaner bei den Kongress­wahlen 1994 erstmals seit 1952 eine Mehr­heit in beiden Parlamentskammern erobert hatten, brach der neue Sprecher des Reprä­sentantenhaus Newt Gingrich mit der gängi­gen Praxis überparteilicher Zusammenarbeit. Die Republikaner radikalisierten ganz be­wusst Inhalt und Ton ihrer Angriffe auf die Demokraten, was die Spaltung der amerika­nischen Gesellschaft kontinuierlich voran­trieb.

Sichtbare Folgen des neuen Kurses waren unter anderem zwei Government Shutdowns, die Ende 1995 in kurzem Abstand aufeinanderfolgten, und die Einsetzung des Sonderermittlers Kenneth Starr, der in der Lewinsky-Affäre Untersuchungen gegen Präsident Clinton (Demokrat) durchführte. Zwar endeten diese Manöver mit politischen Niederlagen der Republikaner. Doch trugen sie maßgeblich dazu bei, dass der Umgang der Parteien und ihrer Anhängerschaft mit­einander deutlich feindseliger wurde. Die parteipolitische und ideologische Polarisie­rung verschärfte sich kontinuierlich.

Die umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2000 hatten in dreifacher Hinsicht negative Auswirkungen auf die amerikanische Demo­kratie. Erstens wurde zum ersten Mal seit 1888 ein Kandidat Präsident, der nicht die Mehrheit der landesweit abgegebenen Stim­men erzielt hatte. George W. Bush ver­dankte seinen Sieg dem amerikanischen Wahlleute-System, das den ländlich gepräg­ten, wenig bevölkerten und eher konservativen Bundesstaaten überproportional viele Stimmen im Electoral College verschafft. Zweitens wirkte die entlang der ideologischen Mehrheitsverhältnisse im Obersten Gerichtshof mit 5 gegen 4 Stimmen getrof­fene Entscheidung willkürlich, die Neu­auszählung der Stimmzettel in Florida zu stoppen und Bush zum Sieger zu erklären. Denn maßgeblich dazu beigetragen, dass die Neuauszählung im Sunshine State nicht rechtzeitig beendet werden konnte und der Supreme Court einschritt, hatten, drittens, die von der Republikanischen Partei orga­nisierten Versuche, die lokalen Wahlbehör­den einzuschüchtern. Bei dem sogenann­ten »Brooks Brothers Riot« taten sich diverse An­hänger der Republikaner wie Roger Stone und andere hervor, die später in den Dunst­kreis Trumps aufstiegen und ihm bei seinen vielfältigen Wahlmanipulationsversuchen und Schmierkampagnen assistierten.

Auf den ersten Afro-Amerika­nischen Präsidenten folgt der Backlash

2008 bestärkte die Wahl von Barack Obama die Sorge signifikanter Teile der konser­va­tiv-weißen Bevölkerung, dass die darin zum Ausdruck kommenden demographischen, kulturellen und politischen Veränderungen Amerikas ihre Werte und privilegierte Stel­lung gefährden könnten. Während der ge­samten Amtszeit des ersten Afro-Amerika­ners im Weißen Haus versuchten politische Widersacher, allen voran Donald Trump, den Präsidenten mit der falschen Behauptung zu delegitimieren, er sei außerhalb der USA geboren und darum nicht für das Amt qualifiziert. Die Angst vor sozialem und ethnischem Wandel trug zum Auf­kommen der Tea-Party-Bewegung bei. Ultra­konservative Interessen- und Wirtschafts­gruppen hatten diese vermeintlich spontan und dezentral entstandene Graswurzelbewe­gung finanziell und organisatorisch massiv unterstützt. Strategisch nutzten sie die Wut der Tea-Party-Aktivistinnen und ‑Aktivisten, um die Parteiführung der Republikaner von rechts außen unter Druck zu setzen. Die Tea-Party-Bewegung etablierte die Pra­xis, gemäßigtere Repräsentanten des Estab­lishments in Vorwahlen durch zusehends radi­kalere Kandidaten herauszufordern – immer häufiger mit Erfolg.

Die »feindliche Übernahme« der Repu­blikanischen Partei durch Trump und seine Wahl zum Präsidenten 2016 brach schließ­lich mit unzähligen Normen, die für eine funktionierende Demokratie essenziell sind. Trump instrumentalisierte staatliche Insti­tutionen für persönliche Zwecke, verbreitete systematisch Unwahrheiten und ermutigte seine Anhänger wiederholt dazu, Gewalt anzuwenden. Die Republikaner im Kongress ließen ihn weitgehend ungehindert gewähren und ermöglichten so immer gravierendere Verstöße gegen informelle wie formelle Regeln. Dabei stellten sie par­teipolitische Erwägungen über das institu­tionelle Eigeninteresse des Kongresses an der Verteidigung seiner gesetzgeberischen Kompetenzen und Kontrollfunktionen gegenüber der Exekutive. Das offenkundige Versagen der Gewaltenteilung und ‑kon­trolle erschütterte das Vertrauen in das Regierungssystem und die Verfassung der Republik.

Selbst gegen die sogenannte »Große Lüge« brachten nur wenige Mandats- und Funk­tionsträgerinnen der Republikaner allenfalls zaghafte Einwände vor: Fälschlicherweise behauptete Trump, dass seine Wahlnieder­lage gegen Joe Biden 2020 auf Manipulatio­nen seitens der Demokraten zurückzufüh­ren sei, und verweigerte die Anerkennung des Ergebnisses. Während sich die Fach­wissenschaft darüber besorgt zeigte, fanden die Vorwürfe des Wahlbetrugs gewaltige Resonanz im konservativen Teil der poli­tisch zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Trump rief immer wieder dazu auf, nicht zuzulassen, dass die Wahl »gestohlen« würde. Am 6. Januar 2021 folgten Tausende diesem Ruf und stürmten das Kapitol in Washington, um zu verhindern, dass der Kongress das Wahlergebnis zertifizierte.

Der »Big lie«-Mythos setzte sich dauerhaft im kollektiven Gedächtnis der Republikaner fest. Die Behauptung, dass Wahlen, die nicht zugunsten ihrer Partei ausgehen, manipuliert sein müssten, wurde mehr und mehr zum gängigen Narrativ. Zwar förder­ten zahl­reiche Nachauszählungen und Wahl­prüfungen in mehreren Bundesstaaten kei­nerlei Beweise für Manipulationen zutage. Dessen ungeachtet zweifeln ein Jahr nach den Wahlen etwa 75 Prozent der Wäh­lerschaft der Republikaner Bidens Sieg an.

Strategische Demokratie­zersetzung

Seit vielen Jahren schrumpft der Anteil des konservativ-weißen Segments in der zu­sehends diverseren amerikanischen Gesell­schaft. Damit erodiert auch die traditionelle Wählerbasis der Republikaner. Nach 1988 gelang es der Partei bei Präsidentschafts­wahlen nur einmal, die Stimmenmehrheit auf Bundesebene zu erzielen. Auf den wach­senden Vorsprung der Demokraten reagiert die Grand Old Party, indem sie unter dem Vorwand, Wahlbetrug verhin­dern zu wollen, die Stimmabgabe erschwert (voter suppression).

Die Wahlen 2020 beschleunigen und intensivieren dieses Vorhaben. Viele Einzel­staaten, in denen Republikaner die Legis­lative kontrollieren, verschärfen die Bedin­gungen der Stimmabgabe (Ende 2021 hat­ten die Republikaner in 30 Staaten Mehr­heiten in beiden Parlamentskammern). Erschwert werden beispielsweise: die Wäh­lerregistrierung, indem die Anzahl der akzeptierten Nachweise verringert wird; die vorzeitige Wahl; die während der Covid 19-Pandemie erleichterte Briefwahl durch Reduzierung von Annahmestellen und Ein­schränkungen der Möglichkeiten, Wahl­briefe durch Dritte bzw. in anderen Wahlbezirken abzugeben. Und am Wahltag selbst sorgt eine Verringerung der Zahl an Wahllokalen in überwiegend den Demokraten zuneigenden Stadtbezirken für längere Wartezeiten, die geringfügig Beschäftigte besonders benachteiligen. Alle diese Ein­schränkungen betreffen nichtweiße Bevöl­kerungsgruppen überproportional. Klagen gegen die damit einhergehende Diskriminierung von Minderheiten weist der unter Trump mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court jedoch ab, unter Verweis auf zumutbare Härten – wie im Juli 2021 im Fall Arizona.

Viele Beobachterinnen und Fachleute stimmen darin überein, dass Trump und die Republikaner neben diesen konkreten Maßnahmen auch das generelle Vertrauen in die verlässliche und unparteiische Durch­führung von Wahlen zu untergraben suchen (election subversion). Unabhängige Wahl­aufsichtsbehörden werden partei­politischer Kontrolle unterstellt, Wahlhelfer und Wahlhelferinnen erhalten Drohungen. Perspektivisch könnten diese Entwicklungen auf eine Art Beweislastumkehr hinaus­laufen. Die rechtliche Praxis, nach der Beschwerdeführer nachzuweisen haben, dass es zu Wahlbetrug kam, würde abgelöst durch politisch motivierte Forderungen, die kaum zu erfüllen sind: nämlich wasserdicht zu bele­gen, dass kein Wahlbetrug statt­gefunden haben kann. Dadurch ließe sich nahezu unbegrenzt behaupten, dass auch abwegig erscheinende Formen der Wahlmanipula­tion praktiziert worden seien. Ziel dieses Vorgehens: Die permanente Kon­fron­tation mit aus der Luft gegriffenen Vorwürfen sät Zweifel an der Integrität der Wahlen und damit an der Legitimität ihrer Ergeb­nisse.

Vorschau: Wäre er wieder da

Auch während seiner zweiten Amtszeit erweist sich Trump als beratungsresistent, für Kritik unzugänglich und lernunfähig. Dies­mal vermeidet er es – entgegen den An­nahmen mancher Beobachter – jedoch von vornherein, erfahrene Köpfe in seine Regie­rung zu rekrutieren. Stattdessen ist für ihn bedingungslose Loyalität Kriterium bei der Besetzung von Ämtern. Entsprechend fehlt es überall an Regierungswissen und Sachverstand. Gleichzeitig stellt sich niemand in Administration und Legislative Trumps Versuchen entgegen, Kompetenzen an sich zu reißen und Institutionen zu unterminieren.

So beruft Donald Trump auf den freien Sitz im Obersten Gerichtshof ausgerechnet John Eastman, der während der Wahl 2020 argu­mentiert hatte, Vizepräsident Mike Pence müsse das Wahlergebnis zugunsten von Joe Biden nicht zertifizieren. Wie an die Presse durchsickert, sind die übrigen Mitglieder des Supreme Court in hohem Maße uneins, wie sie mit der Ernennung eines Richters umgehen sollen, der den Konsens über die zentrale Bedeutung von Mehrheitsentscheidungen in freien und fairen Wahlen für die Verfassung der ame­rikanischen Demokratie nicht teilt. Die von Präsident Obama ernannten Sonia Soto­mayor, Elena Kagan und auch der um das Ansehen des Gerichtes besorgte Vorsitzende John Roberts sind entsetzt. Amy Coney Barrett hält sich bedeckt. Doch Clarence Thomas, Neil Gorsuch, Samuel Alito und Brett Kavanaugh unterstützen den neuen Kollegen.

Anders als während der ersten Amtszeit Trumps bleibt die Euphorie in den Chef­etagen der Wirtschaft diesmal aus. Statt­dessen werden die Aktien- und Finanz­märkte zunehmend nervös angesichts des wieder auflebenden handelspolitischen Pro­tektionismus und des sich verschärfenden Konflikts mit China. Rasch zeigen sich die Folgen der erratischen Regierungsführung. Mitte 2025 rutscht die amerikanische Wirt­schaft in eine Rezession. Parallel dazu wachsen die gesellschaftlichen Spannungen massiv. Um die Jahreswende 2025/26 ver­breiten sich gewalttätige Auseinander­setzungen zwischen Anhängern und Geg­nern Trumps.

Der 4. Juli 2026 als Schicksalstag

Am Unabhängigkeitstag sieht Trump den Zeitpunkt gekommen, seine Macht auf un­bestimmte Zeit zu zementieren. Die Repu­blikaner fürchten aufgrund der grassieren­den Unzufriedenheit im Land drastische Verluste bei den im November anstehenden Kongresswahlen – trotz der weitreichen­den Manipulationen von Rahmenbedin­gungen und Durchführungsbestimmungen. Trump will durch die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung einem dann mög­licherweise oppositionellen Kongress zuvor­kommen. Der seit 1951 geltende 22. Ver­fassungszusatz besagt zwar, dass ein Prä­sident nur zweimal gewählt werden darf; und die Hürden für eine Verfassungsänderung sind hoch: Zwei Drittel der Kongress­abgeordneten in Washington und drei Vier­tel der Bundesstaaten müssen zustimmen. Dennoch hat es seit Inkrafttreten der Amts­zeitbegrenzung mehrere Vorstöße gegeben, sie wieder aufzuheben, und zwar sowohl aus dem progressiven wie aus dem konser­vativen Lager.

Trump ist zuversichtlich, mit Hilfe der linientreuen Republikaner in den Parlamenten die Verfassungsänderung durch­setzen zu können. Gleichzeitig bereitet er sich darauf vor, im Falle des Scheiterns die Beschränkung auf zwei Amtszeiten zu igno­rieren. Der zu erwartenden Kritik aus den Reihen der Demokraten, Teilen der Medien und der Gesellschaft kommt er zuvor, in­dem er seine Kritikerinnen als »schwach« bezeichnet und ihnen vorwirft, sie wollten Amerika zerstören. Der Präsident gibt sich überzeugt, dass der Oberste Gerichtshof auch diesmal seiner Linie folgen werde, und fordert seine Anhänger auf, dem Supreme Court im Zweifelsfall bei seiner Entscheidung »behilflich zu sein«. Die von Trump initiierte und von seinem wieder berufenen Chefstrategen Steve Bannon orchestrierte Massenbewegung soll den dafür notwendigen Druck erzeugen.

Wie das Verfassungsgericht entscheiden wird, vermag angesichts der aktuellen Besetzung niemand zu sagen. Auch gibt es massive Zweifel, ob Trump eine Entscheidung zu seinen Ungunsten akzeptieren würde. Die Zukunft der elektoralen Demo­kratie, in der freie und faire Wahlen über die Machtverteilung bestimmen, steht auf Messers Schneide.

Dr. Lars Brozus ist Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Johannes Thimm ist Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika.

* Foresight setzt sich mit denkbaren Ereignissen in der Zukunft auseinander. Es ist eine Vorausschau auf ein fiktives Geschehen (keine Analyse zur Gegenwart!) mit dem Ziel, nichtlineare oder überraschende Entwicklungen durchzuspielen.

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