Jump directly to page content

EU und Zentralasien: Gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit

Konkrete Projekte zu Energie, Landwirtschaft, Stadtentwicklung und Start-ups

SWP-Aktuell 2020/A 04, 27.01.2020, 8 Pages

doi:10.18449/2020A04

Research Areas

Das Engagement der Europäischen Union (EU) in den Ländern Zentralasiens (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbe­kistan) erhält neuen Schwung: durch die Neuauflage der EU-Zentralasienstrategie 2019 und die EU-Asien-Konnektivi­täts­strategie aus dem Jahr 2018. Einen Schwerpunkt bildet die Koope­ration zu nach­haltiger Entwicklung. Die Förderung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nach­haltigkeit ist prinzipiell sinnvoll, weil es hier bei den Interessen der EU und der Regie­rungen vor Ort Überschneidungen gibt; außerdem können unmittelbare Vor­teile für die Bevölkerung erzielt werden. Insbesondere die autoritären Staaten Zentral­asiens sind dabei allerdings mit Dilemmata konfrontiert. Zwar können sie davon pro­fitieren, wenn Nachhaltigkeit gefördert wird, fürchten aber eine damit einher­gehende Politi­sierung ökologischer und sozialer Fragen und dadurch entstehende Proteste. Zudem schrecken sie vor umfassenden Strukturreformen zurück und befürchten Wachs­tums­einbußen. Bei der Projektplanung sollte die EU deshalb einen Ansatz wählen, der anhand konkreter Projekte aus unterschiedlichen Politikfeldern demonstriert, wie Nachhaltigkeitsziele partizipativ erreicht und Beschäftigung geschaffen werden kann.

Die EU möchte im Rahmen ihrer Zentral­asienstrategie (2019) und der EU-Asien-Konnektivi­täts­strategie (2018) nach­haltige Entwicklung in Zentral­asien för­dern. Sie importiert Roh­öl und andere Rohstoffe aus der Region, vor allem aus Kasachstan, und exportiert Techno­logie und andere ver­arbei­tete Güter dorthin. Primär ist sie also an wirt­schaftlicher Zusam­menarbeit und regio­naler Stabilität inter­essiert, wozu die För­derung von Nachhaltig­keit beitragen soll.

In Konkurrenz zu den beiden dominanten Großmächten China und Russland kann und möchte die EU mit ihrem Engage­ment nicht treten. Namentlich China steht in Zentralasien als wichtiger Handelspart­ner, Großinvestor und Kreditgeber hoch im Kurs. Chinas »Belt and Road«-Initiative mani­fes­tiert sich in der Region etwa in Investitionen im Öl- und Gassektor. Des Weiteren expor­tiert China »grüne Technologie« wie elek­trisch betriebene Busse. Auch dem ehe­mali­gen Hegemon Russland kommt als Handels­partner und Investor hohe Bedeutung zu.

Die EU verfügt unter anderem über um­fangreiche Erfahrungen im Um­welt­schutz in der Region; die EU wie Deutschland engagieren sich dort verstärkt im Bereich nach­haltiger Wasserwirtschaft und An­passung an die Folgen des Klimawandels.

Ebenso wie die EU bekennen sich alle Staaten Zentralasiens zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable De­velopment Goals, SDGs) der Vereinten Natio­nen (VN). Kernmerkmale der SDGs sind: In insgesamt 17 Zielen verknüpfen sie die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit mit­einander, Wirt­schaft, Ökologie und Sozia­les, statt sie isoliert zu betrachten. Außerdem richten sie sich nicht mehr nur an Entwicklungsländer, sondern gleichermaßen an die Industrie­länder, sodass auch die EU auf­gerufen ist, die SDGs zu verfol­gen. Schließlich definieren die SDGs kon­krete Monitoring- und Reporting-Ansätze.

Zentralasiens Regierungen haben einerseits ein Interesse an der Verbesserung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Wirt­schaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Umwelt­schutz sind für sie relevant, weil sie damit nicht zuletzt ihre politische Legitimität stärken können. Andererseits befinden sich insbesondere die vier autoritären Staaten der Region (Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) in spezifischen Dilemmata, deren Ursachen darin liegen, dass die Verbesserung von Nachhaltigkeit im Sinne der SDGs über technischen Um­weltschutz hinausgeht und gesellschaft­liche und wirtschaftliche Strukturänderungen erfordert. Drei Dilemmata spielen für die Auto­kratien Zentralasiens eine Rolle:

Dilemma der Politisierung. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist ein Prozess, der die Beteiligung der Zivilgesellschaft und die Förderung von Wissenschaft und For­schung voraussetzt; lokale Probleme und ihre sozio­ökologischen Ursachen müssen er­forscht, kontinuierlich beobachtet und schließlich bewertet werden (können). Gesellschaftliche Partizipation, die Schär­fung des Bewusstseins für soziale und öko­logische Probleme bei allen Stake­holdern sowie eine wachsende Wissens­produktion können jedoch zur Folge haben, dass die Gesellschaft diese Probleme politi­siert. Genau das fürch­ten die autokratischen Regime, da Politi­sierung zu Pro­tes­ten führen kann und somit eine Gefahr für die Regime­stabilität darstellt. So hat Kasachs­tan seinen frei­willigen Fort­schritts­bericht (Voluntary National Review, VNR) bei den VN zwar vorge­stellt, diesen aber ohne Beteiligung der Zivil­gesellschaft verfasst.

Dilemma der Institutionen. Um die Nach­haltigkeitsziele zu realisieren, braucht es insti­tutio­nelle Reformen, wie sie im SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutio­nen) verankert sind. Die Autokratien sind zu innen­politischen Strukturreformen, beispielsweise in der Justiz, nicht bereit; für nachhaltige Entwicklung sind diese indes not­wendig. Wegen Korruption und fehlen­der Kontrolle des Regierungshandelns sind zum Beispiel in Kasachstan milliardenschwere Investitionsprogramme gescheitert. Eine Aus­nahme bildet derzeit Usbekistan, das sich an einer wirtschaft­lichen Moderni­sierung versucht. Allerdings hat sich die Regierung bislang nicht an Justizreformen oder eine Stärkung des Parlaments gewagt.

Dilemma der Kopplung von Wachstum und Umweltbelastung. Vor allem Kasachstan und Usbekistan sind auf Wirt­schafts­wachstum angewiesen, damit ihre Regime stabil blei­ben. Um ökologische und soziale Schäden von Wachstum zu ver­hindern, wäre es öko­logisch und gesellschaftlich sinnvoll, diese Aspekte in wirtschaftspolitischen Strategien konsequent zu berücksichtigen. Das Inter­esse an sozialer Nachhaltigkeit stößt hin­gegen an Grenzen, wenn sich Profit­inter­essen mit der Angst vor Destabilisierung ver­binden. Die für Kasachstan sehr wichtige Ölindustrie etwa ist gekennzeichnet durch prekäre Arbeit und die Marginalisierung unabhängiger Gewerkschaften. Die globale Debatte über »grüne Industrialisierung« und die Ent­kopp­lung von Wachs­tum und Umweltschäden steckt noch in den Anfän­gen; für Schwellen- und Entwick­lungs­länder fehlen auf der Makroebene noch eige­ne oder »importierbare« Diskurse, an­wendbare Policy­modelle sowie Beratung und Finan­zierungs­modelle für eine »grüne Industrialisierung«.

Weil Fortschritte in der Nachhaltigkeit aufgrund dieser Dilemmata so schwierig zu erzielen sind, nutzen die Regierungen der zentralasiatischen Länder zum einen techno­kratische Ansätze mit begrenzten Erfolgen. Zum anderen wer­den globale Nachhaltigkeitsdiskurse gezielt bespielt, um auf der internationalen Bühne von Kritik abzu­lenken. Turkmenistan und Tadschikistan werden wegen mas­siver Menschen­rechts­verletzungen schon lange immer wieder kritisiert. Auch Kasachstan ist zurzeit ver­stärkt Kritik ausgesetzt, nach­dem die Regierung 2019 regimekritische Proteste mit Massenfestnahmen beantwortet hat.

Trotz dieser Dilemmata sollte sich die EU nicht von einer Nachhaltigkeits­kooperation mit Zentralasien verabschieden, müsste diese aber ent­sprechend anpassen. Nach­haltige Entwicklung ist ein Bereich, bei dem sowohl gemeinsame Interessen mit den Regierungen vor Ort bestehen können als auch unmittel­bare Vorteile für die Gesell­schaften erzielt werden können.

Bei der Projektauswahl und -vermittlung sollte die EU zwei Aspekte beachten:

(1) Best cases mit starkem Alltagsbezug. Es sollten nur solche Projekte ins Auge gefasst werden, die wirtschaftlich vernünftig und tragbar sind, dabei gleichzeitig einen hohen gesellschaftlichen und ökolo­gischen Nutzen haben, indem sie beispielsweise spürbare Veränderungen im Alltags­leben von Stadt­bewohnern bewirken und / oder Arbeits­plätze schaffen. Die wachsende glo­bale Nach­frage nach ökologisch und sozial nach­haltigen Produkten ist eine große Chance für Zentral­asien, vornehmlich für die Mo­der­ni­sierung der usbekischen Wirtschaft.

(2) Fokus auf der Partizipation. Da eine rein technokratische Förderung von Nachhaltigkeit nicht funktioniert, sollten Projekte par­tizipativ gestal­tet und realisiert werden, sodass Probleme vor Ort beho­ben und SDGs umgesetzt werden können. Konkret kann das zum Beispiel in sogenannten Reallaboren stattfinden, in denen Wissenschaftler, die Bevölkerung sowie lokale kleine und mitt­lere Unternehmen (KMUs) gemeinsam Prob­leme analysieren und zukunftsfähige Lösungen erarbeiten. Bereits heute fördert die EU partizipative Formate auch in den autoritären Staaten der Region, etwa im Rahmen der Stadtentwicklung Almatys. Wenn Unternehmen und Forschungs­ein­rich­tungen aus Zentralasien und der EU (neben dem Staat und Ent­wicklungs­experten) ein­bezogen werden, ermöglicht das spillover-Effekte in den Privat- und den Bildungs­sektor, darüber hinaus intensiviert es die Zusammenarbeit zwi­schen Forschung und staatlicher Planung.

Beispiele für konkrete Projekte

Die folgenden Ideen dienen als Anregung; die angedachten Projekte sind für eine nachhaltige Entwicklung von hoher Rele­vanz, berücksichtigen lokale Bedarfe und bieten Allein­stellungsmerkmale für die EU. Sie beziehen sich auf die Politikfelder Energie­wende / Klimapolitik, Landwirtschaft, Nach­haltige Städte sowie Förderung und Ver­netzung innovativer Akteure.

Energiewende und Klimapolitik

Zentralasien leidet überproportional unter dem Klimawandel, es ist mit steigender Wasserknappheit und Dürren zu rechnen. Wegen geringer Bevöl­kerungszahlen ge­hören die fünf Länder nicht zu den global führenden Emittenten von Treib­hausgasen. Kasachstan und Turkmenistan zählen aller­dings zu den größten Pro-Kopf-Emittenten von Kohlenstoffdioxid (CO2) weltweit. In Ka­sachstan ist der von Kohle domi­nierte Ener­gie­sektor für 82 Prozent der Emis­sionen ver­antwortlich. In Kir­gistan und Tadschikistan pro­du­zieren zwar große Wasserkraft­werke über 90 Pro­zent des Stroms; durch die vom Klimawandel verursachte Gletscherschmelze, schwankende Niederschläge und die Zu­nahme extremer Wetterereignisse drohen jedoch zukünftig Kapazitätsein­bußen. Die Ver­fügbarkeit von Wasser schwankt zudem saisonal, die Nutzung muss mit den Un­ter­lieger­staaten abgestimmt werden, die wasser­intensive Land­wirtschaft betreiben. Im Winter müssen Strom, Öl, Gas und Kohle importiert werden. Deshalb inves­tieren Kirgistan und Tadschikistan mitt­ler­weile verstärkt in die eigene Kohleförderung.

Maßnahmen für mehr Energieeffizienz wären vielversprechend, um eine bessere Wirt­schaftlichkeit zu erzielen. Daten aus Kasachstan und Usbekistan zeigen, dass die Länder zu den energieintensivsten Volks­wirtschaften der Welt gehören. In der Zu­kunft werden alle Länder der Region mit steigenden Strompreisen konfrontiert werden, weil alte sowje­tische Kraftwerke und das Stromnetz modernisiert werden müssen. Hohe Subventionen wie bisher können dann nicht mehr gezahlt werden.

Für erneuerbare Energien engagiert sich die EU in Zentralasien bislang kaum. Eine stär­kere Förderung durch ein speziell für diese Region konzipiertes Programm würde sich für alle fünf Länder lohnen. Nicht nur in Ka­sachs­tan, sondern vor allem in Usbekistan be­steht gegenwärtig eine große Ko­opera­tions­bereitschaft in diesem Bereich. Ein umfas­sen­der Ausbau von Wind- und Solar­energie im Strom- und Wärmesektor ver­spricht spür­bare positive Auswirkungen auf die öffent­liche Gesundheit und damit auf das Alltags­leben vor Ort (siehe SWP-Aktuell 8/2019). Die Weltgesund­heits­orga­nisation (WHO) führt viele Todesfälle pro Jahr in Zentral­asien auf die schlechte Luftqualität außer­- und innerhalb von Gebäuden zurück.

Ein Engagement im Energiebereich könnte zudem Kasachstan unterstützen, seine freiwilligen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht aus den Augen zu verlieren (Senkung der Treibhaus­gasemissionen bis 2030 zwischen 15 und 25 Prozent im Vergleich zu 1990). Zwar hat Kasachstan formal Konzepte für die Energie­wende ent­wickelt und 2013 als erstes Land in Asien den Emissionshandel ein­geführt. Weil es aber die Öl- und Kohle­förderung weiter aus­baut, wird es kaum in der Lage sein, seine nationalen Ziele im Rahmen des Pariser Abkommens zu er­rei­chen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten einen Dialog und eine Forschungs­koopera­tion zu der Frage an­bieten, mit wel­chen öko­nomisch realis­tischen und sozial ver­träg­lichen Alter­nativen Kasachstan seinen Aus­stoß von Treibhausgasen ver­ringern kann.

Die EU kann in Zentralasien, auch in Ergänzung zu anderen Akteuren wie Russ­land und China, einen Mehrwert schaffen, indem sie ihr Hauptaugenmerk auf lokales Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und öffentliche Gesundheit legt. Dafür sollte sie sich erstens auf mittelgroße und kleinere Projekte zu erneuerbaren Energien kon­zen­trieren. Insbesondere Projekte auf Gemeinde­ebene sind für die Einheimischen von Nutzen und verleihen der EU Sichtbarkeit in der Region. In abgelegenen länd­lichen Gebieten, etwa in Kirgistan und Tadschikistan, sind Off-Grid-Anlagen sowie Solar-Home-Systeme empfehlenswert. Bei Installa­tion, Betrieb und War­tung profitiert eher die lokale Wirtschaft als bei Großprojekten wie der 100-Megawatt-Anlage »Burnoye Solar« in Kasachstan.

Zweitens eignen sich mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen Multistake­holder-Projekte, die neben staatlichen Akteu­ren Forscherteams und lokale KMUs ein­beziehen (eventuell in Kooperation mit euro­päischen) und sie für die Energiewende fit machen. In Kasachstan gibt es einige clean energy start-ups, in Usbekistan sticht das junge, preisgekrönte Start-up »Green Busi­ness Innovation« aus Taschkent hervor. Die EU hat bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups in den Län­dern der Östlichen Partnerschaft gesammelt, im Rahmen des Programms »EU4Business«; darauf könnte sie für ihr Engagement in Zentral­asien zurückgreifen. Das Programm »SWITCH-Asia and Central Asia II«, das nach­haltige Produktion und nachhaltigen Kon­sum in der Region fördert und in erster Linie KMUs unterstützt, kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Überdies ist eine Ein­bin­dung tech­nischer Fakultäten sinn­voll, in denen Ingenieure für Installation und Betrieb der Energieanlagen ausgebildet werden. Zum Beispiel bietet die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty Program­me für die Ingenieursausbildung im Bereich erneuerbare Energien an. Und nicht zuletzt kann die Bevöl­kerung als Nutzerin von Ener­gie mitberücksichtigt werden bei For­schung und Planung in Real­laboren.

Die Projekte sollten auch dafür genutzt werden, konkrete administrative Hürden zu identifizieren ebenso wie politische Anreize für die Förderung einer dezentralen und Arbeitsplätze schaf­fenden Energiewende.

Große Projekte zur Förderung der Solar- und Windenergie sind für ausländische Investoren attraktiv; im Gegensatz dazu ist es für KMUs und kleinere Projekte oft schwierig, eine Finanzierung zu erhalten. Um den Ausbau dezentraler erneuerbarer Energien voranzubringen und länger­fristig sicherzustellen, sollte die EU neue Finan­zierungsmöglichkeiten anbieten, beispielsweise indem die Europäische Investitionsbank (EIB) stärker einbezogen wird. Im November 2019 hat die EIB angekündigt, weltweit 1,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu inves­tieren. Auch das »Central Asia Invest«-Programm der EU, das bisher eher KMUs aus anderen Berei­chen der Wirt­schaft gefördert hat, könnte Gelder für lokale KMUs aus dem Energiesektor bereitstellen.

Landwirtschaft

Landwirtschaft betrifft als Querschnittsthema zahlreiche Nachhaltigkeitsziele der VN wie Hunger- und Armutsbekämpfung, Arten- und Bodenschutz. Für die zentral­asiatischen Staaten ist sie ein wichtiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Be­reich: Ihr gesamtwirtschaftlicher Beitrag liegt bei bis zu 30 Pro­zent des Brutto­inlands­produkts (Kirgistan, Usbekistan), der An­teil der Beschäftigten in der Land­wirt­schaft rangiert zwischen 15 Pro­zent (Kasachs­tan) und 51 Prozent (Tadschikistan). Zudem lebt ein hoher Anteil der Bevölkerung im länd­lichen Raum – in Tadschikistan etwa 70 Prozent. Daher dürfte ein nach­haltiger Agrarsektor sich wirtschaftlich und gesell­schaftlich auf den Alltag großer Be­völke­rungsteile auswirken.

Die konkrete Struk­tur der Landwirtschaft unterscheidet sich stark innerhalb der Re­gion und reicht von Export­orientierung (Kasachstan, Usbekistan) bis zu Subsistenzwirtschaft (Tadschikistan). Laut der Food and Agriculture Organization der VN leidet zwar keines der fünf Länder unter Hungerkrisen, die humanitäre Hilfe ver­langten. Dennoch spie­len Hunger und Unterver­sorgung in Tadschikistan eine Rolle; 2017 waren dort 30 Prozent der Menschen unter­ernährt.

Ein Ausbau des ökologischen Landbaus könnte eine klimatisch widerstandsfähige Landbewirtschaftung begünstigen, was dieser für den Klimawandel anfälligen Region zugutekäme. Darüber hinaus könnte er wirtschaftlich interessant sein: In der EU wächst die Nachfrage nach öko­logisch hergestellten Produkten. Die oft extensive und klein strukturierte Land­bewirtschaftung in Teilen Zentral­asiens eignet sich für ökologischen Anbau. Ent­scheidend für den Zugang zum EU-Markt ist freilich eine Zertifizierung gemäß den EU-Standards für Öko­produkte. Hierfür sind Kontroll­institutio­nen vor Ort nötig, deren Aufbau die EU unterstützen kann. Um eine auf­wendige produktspezifische Einzel­anerken­nung zu vermeiden, könnte das gesamte Kontrollsystem der zentralasiatischen Länder akzeptiert werden – wie es ein Äquivalenzabkommen anstrebt. Wegen der ge­rin­geren Anzahl von Kon­trol­len er­leichtert es den Marktzugang. Erfüllen die Pro­dukte aus Zentralasien die strengen Öko­standards der EU, könnten sie auch in anderen Ländern leichter eine Zulassung be­kommen, etwa in China.

Eine stärkere Einbindung in nachhaltige regio­nale und europäische Lieferketten nützt einer ökologischen Ausrichtung ebenfalls; zusätz­lich ermöglicht sie eine höherwertige Land­bewirtschaftung mit mehr und an­spruchs­voller Beschäftigung, wenn nicht nur Agrar­rohstoffe, sondern auch ver­arbei­tete Pro­dukte hergestellt und gehandelt werden. Ausschlaggebend hierfür sind neben der Ein­haltung und Zertifizierung der Produktionsstandards Zollbestimmungen und Herkunftsregelungen: Die meisten zentral­asiatischen Staaten genießen bereits große Zollfreiheit im EU-Markt. Allerdings wäre es wichtig, dass sie auch Rohstoffe aus anderen Ländern zur eigenen Verarbeitung beziehen können, ohne die für sie gelten­den individuellen Zollvergünstigungen für Endprodukte zu verlieren. Mittels groß­zügiger Herkunftsregeln in bestehenden Abkommen ließe sich das festschreiben.

Eine Verbesserung der Produktivität kann die Nutzungseffizienz der Ressourcen stei­gern, ohne diese weiter zu belasten. Eine steigende inländische Produktion kann die Nahrungsversorgung verbessern. Hierzu kann die EU Erfahrungen mit ihrer eige­nen Agrarpolitik beisteuern, insbesondere mit ihren vielen, auch lokalen bottom-up-Maß­nahmen für den ländlichen Raum – ohne jedoch die eigenen Fehler zu wieder­holen, die teilweise zu großer Ressourcenbelastung geführt haben (etwa in Deutschland und den Niederlanden zur Belastung des Grundwassers mit Nitrat). Gelernt werden kann ferner aus den best cases, zum Beispiel im Bereich Artenvielfalt und Bodenschutz.

Hilfreich wäre ebenfalls Unterstützung bei der Formulierung einer Agrarpolitik, die zwei Ziele vereint: einerseits länderspezifische Ansätze für Reformen hin zu mehr Nachhaltigkeit, die den jeweiligen Verhältnissen Rechnung tragen (in Kasachstan und Kir­gistan ist der Agrarsektor eher markt­orientiert, Usbekistan hat im Oktober 2019 die Privatisierung des Agrarsektors be­schlossen). Andererseits kann Zentralasien von ande­ren Regionen lernen, die einen regional koordinierten Ansatz verfolgen und damit ihre Position Dritten gegenüber stärken. Dies zeigt etwa die Afrikanische Union (AU) mit ihrem »Comprehensive Africa Agriculture Devel­opment Programme« (CAADP), das von der EU unterstützt wird.

Klimafolgen durch den Konsum von Agrar­produkten betreffen alle Staaten und können bei – gewoll­tem – wirtschaftlichem Wachs­tum in Zentralasien zum Problem werden: Der schon jetzt hohe Fleisch­konsum ist verbunden mit erheblichem Methan­ausstoß in der Tierhaltung und könnte durch die wirtschaftliche Entwicklung der Region noch steigen. Da auch die EU betroffen ist, könnten beide Seiten gemeinsam über­legen, wie Tierhaltung reglementiert und Fleischkonsum reduziert werden kann.

Nachhaltige Städte

Die Städte Zentralasiens wachsen. Haupt­ursachen sind das Bevölkerungswachstum und die Binnenmigration. Kasach­stans Urbanisierungsquote beispielsweise liegt derzeit unter 60 Prozent, die Regierung erwartet einen Anstieg auf 70 Prozent bis 2050. Gleichzeitig leiden die Städte unter hoher Luftverschmutzung. Hinzu kommen die Folgen der Erderwärmung, die Anpassungsstrategien auch in den Städten not­wendig machen. Dadurch erhalten Fragen danach, wie Städte ressourcenschonend und lebenswert (um)gestaltet werden können, eine strate­gische Bedeutung. Um ihre angestrebte Urbanisierungsquote zu erreichen, müssen Staaten wie Kasachstan und Usbekistan günstigen Wohnraum schaffen. Durch Investitionen in nachhal­tige Städte werden mittel- und längerfristig Kosten eingespart, die Lebens­qualität er­höht und damit die wirtschaftliche Produk­tivität verbessert. Lebenswerte Städte sind für Zentralasien darüber hinaus von Belang, um im globalen Wettbewerb um Talente bestehen zu können.

Die Global Commission on the Economy and the Climate hebt drei Eigenschaften nachhaltiger Städte hervor: Sie sind »kom­pakt«, das heißt so geplant, dass die soziale Mischung erhalten bleibt und klimaneu­t­rales Wirt­schaften und Leben ermöglicht wird; sie sind »vernetzt« durch innovative, umweltfreundliche Transport­systeme; sie sind »koordiniert«, indem effektive Institu­tionen die kooperative Stadtentwicklung durch den privaten und öffentlichen Sektor gewährleisten. Die Trans­formation hin zu nach­haltigen Städten folgt indes keinem Bau­kasten­prinzip und ist auch in der EU unterschiedlich weit vorangeschritten. Für die Koopera­tion mit Zentralasien kann genau das ein Vorteil sein, weil sich die Stadt­planer mit ähnlich grundsätzlichen Fragen beschäftigen müssen.

Ein erster Schritt für die verstärkte Ver­netzung und Wissensdiffusion läge darin, zentralasiatische Stadtplaner, Stadtpolitiker und die Zivilgesellschaft in europäische Netz­werke für urbane Nach­haltigkeit einzu­bin­den. Dafür müsste die EU ihren eige­nen Vernetzungsinitiativen und Projekten eine klare außenpolitische Komponente hinzu­fügen. Relevant sind zum Bei­spiel das »In­novate4Cities«-Netzwerk und das »European Green Capital Network« (EGCN), die die For­schung zur städtischen Klimaanpassung koordi­nieren und Nachhaltigkeitsstrategien europäischer Städte auszeichnen. Die EU könnte Zen­tralasien zudem in ihr Forschungs­programm zu nachhaltigen Städten ein­beziehen, das im Nachfolge­programm von »Horizon 2020« nochmals deutlich auf­gestockt werden soll. Ein poten­zieller Ko­operationspartner ist die Asian Development Bank (ADB), die seit 2017 emissionsarme Stadtentwicklung in der Region fördert.

Für expandierende Städte wie Almaty und Taschkent wäre ein Aus­tausch zu nach­haltigen Stadtquartieren und nachhaltigem Wohnen vielversprechend. Neben Fragen der Energie­effizienz beim Bauen geht es bei der Pla­nung von Wohnsiedlungen darum, öko­lo­gische und soziale Aspekte zu berücksich­tigen. Die EU kann mittlerweile diverse Leuchtturm­projekte zu nachhaltigen Stadt­quartieren vorweisen; Beispiele finden sich in der wirtschaftlich pul­sierenden Hauptstadt Helsinki und in Bottrop im Ruhrgebiet, einer Stadt, die einen starken Struktur­wandel durchlaufen hat.

Ein weiteres Kooperationsfeld könnte die Förderung des Fahrradverkehrs sein. Städte, in denen es bereits gesellschaftliche Bewe­gun­gen für das Radfahren sowie erste Ansätze einer Fahrradpolitik gibt, sind Almaty, Bischkek und Taschkent. Um den Ausbau des Fahrradverkehrs voranzutreiben, sollten weniger Lifestyle-Argumente bemüht werden als vielmehr ökonomische, soziale und ökologische Fakten. Die Investi­tions­kosten in die Infrastruktur für Fahr­räder sind ver­gleichsweise gering, die Vorteile überwiegen: Der Umstieg auf das Rad redu­ziert den Autoverkehr und Staus, verbessert die Luftqualität und hat einen positiven Gesund­heitseffekt. Öffent­liche Ausgaben und Produktivitätseinbußen werden lang­fristig verringert. Die Investitionskosten zahlen sich so nicht nur bald aus – in »erfolgreichen« Fahrradstädten wie Kopen­hagen führt der Fahrradverkehr sogar zu einem volkswirtschaftlichen Gewinn. Das haben auch osteuropäische Städte er­kannt, etwa Katowice in Süd­polen. Weitere Bei­spiele wie Oslo und Sevilla zeigen, dass die Förderung des Radverkehrs unab­hängig von den klimatischen und topographischen Bedingungen ein Erfolg sein kann.

Europäische Stadtplaner und Ingenieursfirmen verfügen über langjährige Erfahrun­gen in der För­de­rung des Fahrradverkehrs und im Bau von Fahrradschnell­wegen; Letztere schaffen insbesondere für Pendler eine Alternative zum moto­risierten Indivi­dualverkehr. Stadtplanung, Wohnen und urbane Mobilität sind un­mit­tel­bar mit dem Lebens­alltag von Men­schen verknüpft. Als Nutzer von Infrastrukturen können Stadt­bewohner sowohl in die ange­wandte For­schung mit­ eingebunden wer­den als auch bei der Planung partizipieren.

Für Zentralasiens Städte interessant sind darüber hinaus digitale Mobilitätskonzepte aus Europa, wie sie derzeit etwa mit dem »EIT [European Institute of Innovation and Tech­nology] Urban Mobility«-Projekt entwickelt werden. Da sie als Staaten relativ klein und schwach sind, ist für die zentralasiatischen Länder eine technologische Abhängigkeit von China und Russland riskant; außerdem drohen sie den Zugriff auf eigene Mobilitätsdaten zu verlieren. Die Verfügbarkeit dieser Daten ist aber Voraussetzung dafür, lokale Mobilitätskonzepte zu erar­beiten, zum Beispiel durch einheimische Start-ups, und dafür, dass neue Arbeitsplätze ent­stehen. Die EU könnte hier offensiv für eine Zusammenarbeit werben, bei der gemeinsam transparente und quelloffene Technologien in unterschiedlichen Berei­chen ent­wickelt bzw. an die lokalen Bedürf­nisse angepasst werden. So könnte etwa das weit verbreitete Marschrutka-System (Minibusse, die als Sammeltaxis fungieren) durch digi­tale Technologien optimiert werden. Im Rah­men dieser Kooperation kann Technologie stärker in den Dienst einer ökologischen Modernisierung gestellt werden. Weit fortgeschritten sind Wissen und Techno­logien in Städten wie Barcelona und Wien.

Ökologisch und sozial orientierte Start-ups fördern und vernetzen

Für die Umsetzung der SDGs bedarf es nicht nur technologischer, sondern auch sozialer und wirtschaftlicher Innovationen. Soge­nannte Zebras sind Start-ups, die öko­no­misch tragfähige Geschäftsmodelle aus­arbeiten und zugleich das Ziel verfolgen, öko­logisch nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anzubieten oder primär einen gemeinwohlorientierten Mehrwert zu gene­rieren (social and sustainable entre­preneur­ship). Diese Start-ups können viel zur Reali­sierung der SDGs beitragen, weil sie mit neuen Formen des Wirtschaftens experimentieren, aber auch Arbeits­plätze vor Ort schaffen. Viele von ihnen sind in der Kreis­laufwirtschaft oder der Textil­branche tätig, in Design, Technologie und Digitalisierung.

In der EU sind etliche ökologische und soziale Start-ups ansässig, von denen sich einige in Netzwerken zusammengeschlossen haben. In den Metropolen Zentral­asiens, vor allem in Almaty, gibt es eben­falls Anlauf- und Vernetzungsstellen (hubs) für nachhaltige und soziale Unternehmer. Un­abhängig davon hat sich in den Gesell­schaften der Region eine Kultur des Repa­rie­rens erhalten; so bieten Klein­unter­nehmer Reparaturen von Mobil­telefonen an.

Neben finanzieller Förderung und Trainings sind diese Start-ups auf eine öffent­liche Infrastruktur angewiesen, mit der sie neue Ideen und Verfahren erproben können. Dazu gehören unter anderem maker­spaces, in denen sie komplexe Techno­logien eben­so wie analoge Geräte vorfinden, etwa 3D‑Drucker oder Nähmaschinen. Die EU könnte in den zentralasiatischen Metro­polen solche makerspaces einrichten oder mit existierenden kooperieren, zum Bei­spiel in Almaty, und dort einen Schwerpunkt auf nachhaltige Digitalisierung und Tech­no­logien sowie analoge Produktentwicklung legen. Schließlich würde die Vergabe von Reisestipendien die Vernetzung und den Austausch zwischen nach­haltigen und sozialen Unternehmern aus der EU und Zentralasien erleichtern.

Sichtbarkeit und Monitoring

Eine Förderung nachhaltiger Entwicklung ist sinnvoll, weil die Wirtschaftspolitiken Zentralasiens noch nicht nachhaltig sind. Aber auch die EU-Außenwirtschaftspolitik gegenüber der Region kann nachhaltiger werden, was wiederum ein explizites, neues Ziel der SDGs ist. Während es in vie­len EU-Mitgliedstaaten eine sichtbare, gesell­schaft­lich getragene Bewegung für öko­logische Modernisierung gibt, spielt das Thema in Zentralasien eine noch sehr untergeordnete Rolle. Eine Nachhaltigkeitskooperation würde hauptsächlich der Bevölkerung zu­gute­kommen, wäre jedoch auch mit den Interessen der Eliten vereinbar. Allerdings kann selbst eine solche Art der Kooperation auto­ritäre Macht stabilisieren, nämlich indem sie die Legitimität des Regimes verbessert.

Die Förderung nachhaltiger Entwicklung anhand von Projekten, die praxisbezogen, sicht- und nutzbar sowie möglichst repro­du­zierbar sind, dürfte die Sichtbarkeit der EU in Zentralasien erhöhen. Dieser Effekt könnte durch die Gründung einer »EU Academy for Sustain­ability« in der Region, beispielsweise in Bischkek, verstärkt werden. Aufgabe der Akademie wäre es, intraregio­nale Nachhaltigkeitskooperation, den Wissens­transfer mit zentralasiatischen Bildungseinrichtungen und den Austausch mit Akteuren aus der EU zu fördern. Die Nachhaltigkeitskooperation kann noch effektiver werden, wenn weitere Partner sowohl von innerhalb (Deutschland, Frank­reich) als auch außerhalb der EU sich betei­ligen, ebenso wie Expertennetzwerke wie das »Sustainable Development Solutions Network« (SDSN). Nicht zuletzt sollte die EU das Monitoring und Reporting der SDGs in der Region unterstützen, um ein kontinuierliches Bewusstsein vor Ort zu schaffen, noch zu lösende Schwierigkeiten zu identi­fizieren und Erfolge bekannt zu machen.

Dr. Sebastian Schiek war bis Juli 2019 Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien und ist zurzeit Visiting Fellow am Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin. Yana Zabanova ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungs­gruppe Osteuropa und Eurasien und promoviert zur Energiewende in Kasachstan und Russland. Dr. agr. Bettina Rudloff ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN 1611-6364