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Erste Konturen der philippinischen Außenpolitik unter Ferdinand Marcos jr.

Wie der Vater, so der Sohn

SWP-Aktuell 2022/A 57, 15.09.2022, 6 Pages

doi:10.18449/2022A57

Research Areas

Ferdinand (genannt »Bongbong«) Marcos junior gewann am 9. Mai mit einem Erd­rutschsieg die Präsidentschaftswahlen der Philippinen und wurde am 30. Juni offiziell vereidigt. Während des Wahlkampfs war der Sohn des 1986 gestürzten philippinischen Diktators Ferdinand Marcos senior in außen- und sicherheitspolitischen Fra­gen äußerst vage geblieben. Einige Beobachter spekulierten zunächst über eine Fort­führung der unter Amtsvorgänger Rodrigo Duterte vollzogenen außenpolitischen Hinwendung zur Volksrepublik China. Mittlerweile zeigt sich jedoch bereits ein deutlich nuancierteres Bild der zu erwartenden Außenpolitik unter Marcos jr. Der neugewählte Präsident dürfte in stärkerem Maße als sein Vorgänger eine Balance im Verhältnis zu China und den USA suchen. Er tritt damit in die außenpolitischen Fuß­stapfen seines Vaters. Ein solcher Kurs könnte Deutschland und der EU neue Koope­rationsmöglichkeiten eröffnen – sofern die Zusammenarbeit den in erster Linie innen­politisch motivierten Zielsetzungen der neuen Marcos-Regierung entspricht.

In Südostasien werden mögliche Verände­rungen in der philippinischen Außen­politik genau beobachtet. Denn die Philip­pinen befinden sich aufgrund einer Reihe von Faktoren im Zentrum der sino-amerika­nischen Rivalität um die Vorherrschaft im indopazifischen Raum. Zunächst wäre Manila wegen des seit 1951 bestehenden Verteidigungsbündnisses mit den USA im Falle einer kriegerischen Auseinander­setzung zwischen Peking und Washington direkt in diese involviert. Auf den Philip­pinen befinden sich zudem Militärbasen, die für die amerikanische Gegenmacht­bildung von hoher strategischer Bedeutung sind. Auch aufgrund seiner geographischen Lage als Teil der »first island chain« und der Nähe zu Taiwan ist der Inselstaat strate­gisch wichtig. Zudem gibt es zwischen der VR China und den Philippinen Auseinandersetzungen wegen konkurrierender Ge­bietsansprüche im Südchinesischen Meer, die bei einer Eskalation die USA als Alliier­ten Manilas auf den Plan rufen könnten. Tatsächlich erklärte US-Außenminister Antony Blinken erst im August 2022 bei seinem Besuch in Manila, dass jedweder bewaffnete Angriff auf die philippinischen Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge die Bei­standsverpflichtungen der USA im Rahmen des bilateralen Verteidigungsabkommens aus­lösen würde.

Die Amtszeit von Präsident Rodrigo Duterte war jedoch geprägt von offener Kritik und scharfer Rhetorik gegenüber den USA. Zwar gab es in den vergangenen Jahr­zehnten immer wieder Höhen und Tiefen im Verhältnis zwischen Manila und Washington, dennoch galt die Kooperation im außen- und sicherheitspolitischen Be­reich als Konstante in den Beziehungen beider Nationen. Über unterschiedliche Regierungen hinweg wurde in Manila die Bindung an die USA in den letzten beiden Dekaden als unverzichtbarer Eckpfeiler der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik an­gesehen. Duterte jedoch stellte die Zukunft der Allianz offensiv in Frage und suchte in den ersten Jahren seiner Amtszeit demons­trativ die Nähe zu China.

Auch die Beziehungen zur EU waren unter Marcos’ Vorgänger auf einem Tief­punkt. Kritik aus Brüssel an den massiven Menschenrechtsverletzungen, die die Duterte-Administration im Zuge des »Krie­ges gegen die Drogen« zu verantworten hatte, wies der vormalige Präsident als westliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Philippinen brüsk zurück. In der Folge drohte Duterte mit der Ausweisung europäischer Diplomaten und einem Abbruch aller Kooperationsprojekte mit der EU. Auch die Implementierung des Partnership and Cooperation Agreement (PCA) liegt seitdem auf Eis.

Die weitgehende außenpolitische Abkehr von westlichen Partnern war neben Duter­tes persönlichem Antiamerikanismus auch innenpolitisch motiviert: So sollte zum Beispiel mit Hilfe chinesischer Investitionen die marode Infrastruktur des Landes moder­nisiert werden. Gemeinsam mit China woll­te die Regierung Duterte die Öl- und Gas­vorkommen im Südchinesischen Meer aus­beuten, um die heimische Wirtschaft an­zukurbeln. Die Auseinandersetzungen zwi­schen Manila und Peking sollten im Zuge dieser Kooperationen beigelegt werden. Jedoch materialisierten sich weder die von Peking versprochenen Investitionen, noch ließ sich die Volks­republik auf das von Duterte anvisierte Miteinander bei der Aus­beutung natür­licher Ressourcen im Süd­chinesischen Meer ein. Mehr noch, Peking verstärkte sogar in den letzten Jahren seine Drohgebärden in Gewässern, die von den Philippinen beansprucht werden. Seit Ende 2020 galt Dutertes »pivot to China« daher als gescheitert.

Die Rückkehr zu einem klaren Bekenntnis zur Partnerschaft mit den USA unter Marcos jr. wäre somit gewissermaßen eine Rückkehr zur Normalität in den phi­lip­pinischen Außenbeziehungen. Einige In­dizien für eine außenpolitische Kurskorrektur unter der neuen Regierung lassen sich bereits durch die Vergabe wichtiger Kabi­nettsposten erkennen. So erhielt Vizepräsi­dentin Sara Duterte, Tochter von Präsident Rodrigo Duterte, nicht den von ihr begehr­ten äußerst einflussreichen Posten der Ver­teidigungsministerin und wurde stattdessen Bildungsministerin. An ihrer Stelle ernann­te der neue Regierungschef mit dem pen­sionierten General Jose Faustino jr. letztlich einen Vertreter des philippinischen Mili­tärs, das als generell proamerikanisch ein­gestellt gilt, zum Verteidigungsminister. Dies wurde denn auch weithin als richtung­weisende außenpolitische Entscheidung gedeutet, da die Berufung Dutertes ins Ver­teidigungsministerium aufgrund der kri­tischen Linie ihres Vaters und ihrer man­gelnden militärischen Vernetzung wo­möglich sowohl in Washington als auch in philippinischen Sicherheitskreisen für Verstimmung gesorgt hätte.

Darüber hinaus berief Marcos jr. als erster Präsident seit fast zwanzig Jahren wieder einen erfahrenen Karrierediplomaten in das Amt des Außenministers. Den Posten des Chefdiplomaten übernahm Enrique Manalo, der zuletzt als philippinischer Botschafter bei den Vereinten Natio­nen (VN) gemeinsam mit dem regimekritischen Repräsentanten Myanmars als ein­ziger Vertreter Südostasiens sämtliche Reso­lutionen gegen die russische Invasion in der Ukraine mitgetragen hat. Auch war Manalo in der Vergangenheit nicht nur Botschafter der Philippinen in Belgien und Repräsentant Manilas bei der EU, sondern auch Ver­treter seines Landes in London. Während Kabinettsposten unter Duterte vor allem mit politischen Außenseitern, ehemaligen Weggefährten und Gefolgsleuten besetzt wurden, folgt die Ernennung Manalos eher dem Vorbild des früheren Präsidenten Marcos, der in seinem Kabinett auf lang­jährige Erfahrung setzte.

Beziehungen zu China und den USA

Während Duterte sich damit brüstete, in seiner gesamten Amtszeit kein einziges westliches Land besucht zu haben, hat Marcos jr., der unter anderem in den USA gelebt und in Oxford studiert hat, kein solch dezidiert negatives Verhältnis zum Westen.

In der Tat betonte er bereits während des Wahlkampfs, wie wichtig und von beider­seitigem Vorteil enge Beziehungen mit den USA seien. Anders als sein Vorgänger be­kannte sich Marcos jr. klar zum mili­täri­schen Beistandspakt mit den USA.

Dass der Wunsch, zu einer Normalität in den bilateralen Beziehungen zurückzukehren, auch auf der anderen Seite des Pazifiks besteht, brachte US-Präsident Joe Biden zum Ausdruck, indem er seinem neugewählten Amtskollegen als erster ausländischer Staats­chef noch vor der finalen Bekannt­gabe des Wahlergebnisses gratulierte. Biden sprach sich während des gemeinsamen Telefonats für eine Stärkung der bilateralen Partnerschaft aus. Mit seiner Wahl zum Präsidenten wurde Marcos jr. gleichzeitig diplomatische Immunität in den USA ge­währt, eine unabdingbare Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen, da er und seine Mutter Imelda 1995 von einem US-Zivilgericht wegen Verstößen gegen die Menschenrechte während der Marcos-senior-Diktatur zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden waren. Ohne die Zusiche­rung hätte er bei der Einreise juristisch belangt werden können.

Auch wenn damit der Weg für eine frucht­bare Partnerschaft mit den USA und dem Westen insgesamt geebnet scheint, ist die Kurskorrektur in Manila jedoch keines­falls gleichbedeutend mit einer Abkehr von der Volksrepublik China. Ganz im Gegen­teil: Marcos jr. führte nach seinem Wahl­erfolg ein langes Telefongespräch mit Xi Jinping, in dem sich beide Seiten darauf verständigten, in den bilateralen Beziehungen »einen Gang höher zu schalten«.

Derlei Äußerungen sind wenig über­raschend, denn der philippinische Präsident verfügt über hervorragende Kontakte ins Reich der Mitte. Unter seinem Vater nahmen die Philippinen 1975 erst­mals offizielle diplomatische Beziehungen mit der Volks­republik auf und die Marcos-Familie profi­tierte in der Folge finanziell enorm vom ökonomischen Aufstieg Chinas und ist nach wie vor eng mit Peking verbunden. So be­findet sich eines von insgesamt nur drei chinesischen Konsulaten in den Philippinen in der lediglich 110.000 Einwohner zählen­den Stadt Laoag City, in der Heimatprovinz der Marcos-Familie, Ilocos Norte. Hier amtierte Marcos jr. unter anderem zweimal als Gouverneur.

Die Erfahrungen der Duterte-Ära, an deren Ende Manila trotz zahlreicher Anbie­derungen und Zugeständnisse an China vor allem in Bezug auf den Konflikt im Süd­chinesischen Meer letztlich mit (fast) leeren Händen dastand, dürften Marcos jr. jedoch auch eine Warnung sein, dass eine zu enge Anbindung an Peking Risiken birgt. Tat­säch­lich wies er auch bereits im Juli sein Transport­ministerium an, mehrere chine­sische Kredite für große Eisenbahnprojekte im Gesamtvolumen von 4,9 Milliarden US-Dollar, die unter der Vorgängerregierung im Rahmen der Belt ans Road Initiative (BRI) vereinbart worden waren, neu zu ver­handeln, weil die Umsetzung der Vorhaben weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Damit setzte er ein deutliches Zeichen, dass er sich im Gegensatz zu Duterte nicht mit Versprechungen zufriedengeben würde, ohne entsprechende Resultate zu erhalten.

Unterm Strich ist unter Marcos jr. weder eine klare Hinwendung nach China noch eine deut­liche Abwendung von dem großen Nachbarn zu erwarten. Stattdessen hat der neue Präsident bereits zu verstehen gegeben, dass er eine unabhängige Außenpolitik für unabdingbar halte. Statt in geopolitischen Einflusssphären wie zur Zeit des Kalten Krieges zu denken, intendiere er, gute Be­ziehungen mit allen Seiten zu pflegen.

In dieser Hinsicht gibt es eindeutige Parallelen zur Politik seines Vaters, der ebenfalls großen Wert auf außen­politische Unabhängigkeit der Philippinen legte und enge Beziehungen sowohl zur Sowjetunion und China als auch zu den USA unterhielt. Der leitende Gedanke hinter diesem Ansatz war und ist, die konkurrierenden geopolitischen und geoökonomischen Interessen der Großmächte zum eigenen Vorteil zu nut­zen, um sich selbst einen maximalen Hand­lungsspielraum zu sichern. So will die philippinische Regierung unter anderem aus den US-amerikanischen Sicherheits­interessen in der Region dahingehend Kapi­tal schlagen, dass sie über die von Washington erhaltenen Schutzgarantien hinaus modernstes militärisches Gerät aus den USA bezieht, um die Wehrhaftigkeit und das Abschreckungspotential der eigenen Streit­kräfte zu erhöhen.

Gleichzeitig will Manila die ökonomische Kooperation mit der Volksrepublik fort­führen und sich China als Investor beim heimischen Infrastrukturausbau erhalten. Die Philippinen werfen hier ihre wichtige strategische Position in Südostasien in die Waagschale, die sich vor allem aus der geographischen Lage am Südchinesischen Meer, der Allianz mit den USA und der ASEAN-Mitgliedschaft ergibt.

Das Südchinesische Meer als zentrale Herausforderung

Der Versuch des neuen Präsidenten, zu­gleich ein gutes Verhältnis mit Peking als auch mit Washington aufrechtzuerhalten und den Großmächtekonflikt in Südost­asien zu seinem Vorteil zu nutzen, dürfte jedoch kein einfaches Unterfangen werden. Die Verschärfung des sino-amerikanischen Wettbewerbs und die daraus resultierende Polarisierung zwi­schen beiden Lagern, ins­besondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der jüngsten Spannungen um Taiwan, könnte dieses Vorhaben zu einem Drahtseilakt werden lassen.

Dieser Drahtseilakt könnte sich vor allem über dem Südchinesischen Meer abspielen. Manila ist hier nicht nur Zaungast, sondern neben Vietnam Hauptkontrahent Chinas. Wegen der zunehmenden Militarisierung des Südchinesischen Meers erhöht sich in diesem Raum das Eskalationspotential.

Während Rodrigo Duterte im Wahlkampf 2016 noch vollmundig erklärt hatte, er würde mit einem Jet-Ski zu den umstrit­tenen Inseln fahren, die philip­pinische Flagge hissen und China zu einem Duell herausfordern, veränderte sich seine Rhe­torik in der Angelegenheit nach seinem Amtsantritt völlig: Das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag von 2016, das die historischen Gebietsansprüche Pekings als unbegründet zurück­gewiesen hatte, bezeichnete er als wertloses Stück Papier. Stattdessen betonte er, dass eine Eskalation des Konflikts mit China um jeden Preis vermieden werden müsse.

In eine ähnliche Kerbe schlug zunächst auch Marcos jr. während der frühen Phase des Wahlkampfs, als er den realpolitischen Wert des Schiedsspruchs in Frage stellte und jedwede gewaltsame Lösung des Kon­flikts ausschloss. Im Anschluss an die Wahl änderte er jedoch seinen Kurs. Marcos jr. hob die Bedeutung des Urteils für die An­sprüche der Philippinen im Südchinesischen Meer hervor und kündigte an, keinen Millimeter philippinischen Territoriums preiszugeben. Außenminister Manalo be­tonte zudem die generelle Relevanz des internationalen Rechts, insbesondere der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), für die Politik Manilas im Südchinesischen Meer.

Etwaige Zugeständnisse an China im Süd­chinesischen Meer wären innenpolitisch derzeit auch nur schwer vermittelbar. Denn trotz Dutertes Annäherung an Peking setzte China die Militarisierung des Südchinesischen Meeres fort und auch die Gewaltakte und Schikanen gegen philippinische Fischer und Seeleute von Seiten der chinesischen Küstenwache und chinesischer Fischerboot­besatzungen, die als De-facto-Milizen im Verbund mit der Küstenwache in philippinischen Gewässern operieren, hielten an. Umfragen zufolge fordern große Teile der Bevölkerung zunehmend ein härteres Durchgreifen gegen die chinesische Präsenz in Gewässern, die die Philippinen be­anspruchen. Die Vorfälle befeuern damit eine ohnehin existierende chinakritische Stimmung in der philippinischen Gesellschaft. Auch das einflussreiche Militär der Philippinen betrachtete Dutertes Annäherung an China äußerst skeptisch und sieht nach wie vor in den USA und den US-Alli­ierten in der Region wie Japan und Aus­tralien die präferierten Sicherheitspartner des Inselstaats.

Entsprechend hoch dürfte der interne Druck sowohl aus der Bevölkerung als auch aus Sicherheitskreisen auf Marcos jr. sein, den bereits in Dutertes letzten Monaten vollzogenen Kurswechsel hin zu einem schärferen Ton gegenüber China nicht zu revidieren. Die Neuverhandlung der Eisen­bahnkredite lässt sich somit sicherlich auch als ein Zeichen nach innen deuten, mit dem der neue Präsident Handlungsbereitschaft gegenüber Peking signalisieren will.

Ähnlich lassen sich Aussagen in der Rede zur Lage der Nation interpretieren. Der neue Regierungschef bezeichnete bei dieser Ge­legenheit sowohl die Erhaltung der terri­torialen Integrität als auch der nationalen Souveränität wiederholt als sakrosankt und kündigte eine weitere Modernisierung der philippinischen Streitkräfte an.

Das Primat der Innenpolitik

Es ist jetzt schon zu erkennen, dass Mar­cos jr. sehr viel stärker als sein Vorgänger den Balanceakt zwischen den USA und China suchen wird und keine ausgeprägt prochinesische Außenpolitik betreiben will. Im Sinne einer unabhängigeren Außenpolitik der Philippinen sollen Möglichkeiten der Kooperation mit den USA, mit China und auch anderen regionalen Akteuren sondiert werden. Allerdings zeichnet sich mindestens eine Kontinuität zur Duterte-Ära ab: Die Außenpolitik des Landes dürfte auch unter dem neuen Präsidenten stark innenpolitischen Prämissen folgen. Denn im Zentrum der politischen Agenda der Marcos-Administration steht eindeutig der ökonomische Wiederaufbau in dem von der Pandemie stark gebeutelten Inselstaat. Der wirtschaftliche Aufschwung ist der Para­meter, an dem die Bevölkerung den Erfolg bzw. Misserfolg seiner Präsidentschaft messen dürfte.

In diesem Zusammenhang ist es wahrscheinlich, dass Marcos jr. die weitere Reha­bi­litierung seines Familien­namens an­streben wird, da die Verklärung der Herr­schaft seines Vaters als goldene Ära des ökonomischen Fortschritts der Philippinen, zu der es zurückzukehren gilt, schon eines der Hauptmotive seiner Wahlkampagne war. Marcos hat bereits angekündigt, das unter Duterte begonnene massive Infrastruktur- und Konnektivitätsprogramm »Build! Build! Build!« unter dem Motto »Build Better More!« weiterzuführen. Dabei ist eine enge ökonomische Kooperation mit China, das in viele der bereits laufenden Projekte involviert ist, im Prinzip unum­gänglich, auch wenn man sich parallel um eine Diversifizierung der Handelspartner und Investoren bemühen wird, um eine zu große Abhängigkeit von Peking zu vermei­den. So ist davon auszugehen, dass Manila vermehrt sowohl auf regionale Akteure wie die Asian Development Bank (ADB), Japan, Australien oder die ASEAN-Staaten als auch auf externe Akteure wie die USA oder auch die EU und deren Mitgliedstaaten zugehen wird, um Investitionen ins Land zu ziehen.

Nach nunmehr über zwei Monaten im Amt, deutet insgesamt vieles darauf hin, dass Marcos jr. zwar einige Aspekte von Dutertes Außenpolitik beibehalten wird, allein aber durch die veränderte Politik gegenüber China wohl kaum von einer Duterte-2.0-Regierung ausgegangen werden kann. Stattdessen erscheint es zunehmend wahrscheinlich, dass Marcos jr. in die außenpolitischen Fuß­stapfen seines Vaters treten und versuchen wird, seinem Land eine größtmögliche Unabhängigkeit und einen weiten Handlungsspielraum zu sichern, um aus der geopolitischen Situa­tion Profit zu schlagen. Dies dürfte exter­nen Akteuren– auch Deutschland und der EU – weitaus mehr Möglichkeiten für eine Kooperation mit Manila eröffnen, als dies unter der Duterte-Präsidentschaft der Fall gewesen ist.

Dies gilt für eine Reihe von Bereichen: Erstens könnte eine Implementierung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PCA) in den Blick genommen wer­den. Das PCA umfasst ein breites Spektrum von Politikfeldern wie Handel, Good Gover­nance, Migration und Menschenrechte. Zweitens ergeben sich möglicherweise Chancen auf eine Revitalisierung der 2015 begonnenen Verhandlungen über ein Frei­handels­abkommen zwischen der EU und Manila. Ein drittes Feld, auf dem künftig wieder mehr Zusammenarbeit denkbar ist, umfasst den Konflikt im Südchinesischen Meer. Auch hinsichtlich dieses Problems zeigen sich bereits jetzt unter der Marcos-Administration größere Schnittmengen zwischen Brüssel und Manila. Hier sollte die EU ausloten, ob und in welcher Form sie den Inselstaat beim Ausbau seiner Kapa­zitäten im Bereich der maritimen »domain awareness«, bei Anti-Piraterie-Operationen oder auch auf juristischer Ebene bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gemäß dem Seevölkerrecht (insbesondere UNCLOS) unterstützen kann.

Da eines der größten Nickelvorkommen der Welt auf den Philippinen liegt, könnten viertens Optionen einer zukünftigen Roh­stoffpartnerschaft mit Manila sondiert werden. Nickel ist eine wichtige Komponente bei der Nutzung von sogenanntem grünem Wasserstoff im Kontext der Ener­giewende. Entsprechende Bemühungen deckten sich mit dem Ziel, die Nickel-Im­porte zu diversifizieren, die zu einem be­herrschenden Anteil bisher aus Russland kommen. Fünftens wäre auch eine Inten­sivierung der Zusammenarbeit mit der ASEAN im Rahmen der Indo-Pazifik-Stra­tegie der EU zu erwägen. Die ASEAN ist in diesem Dokument als zentraler Partner der EU im Indo-Pazifik bezeichnet worden. Die Philippinen sind dabei wegen ihrer Funk­tion als »Country Coordinator« für den Dia­log zwischen der ASEAN und der EU im Zeitraum 2021–2024 von besonderer Be­deu­tung. Hier könnte es sich als hilfreich erwei­sen, dass der neue philippinische Außenminister die EU und Europa kennt – er war, wie schon erwähnt, zuvor als Bot­schafter in Brüssel und an der Vertretung seines Landes in London tätig. Sofern deut­sche und europäische Ko­operationsangebote der stark von innenpolitischen Zielsetzungen geprägten außen­politischen Agenda der Regierung unter Marcos jr. Rechnung tragen, ist somit eine Intensivierung der Beziehungen der EU und ihrer Mitglied­staaten zu den Philippinen – nach Jahren der Eiszeit unter Duterte – durchaus realis­tisch.

Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien.
Tom Wilms war Praktikant in der Forschungsgruppe Asien.

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