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Die unterschätzten Gefahren gefälschter und minderwertiger Medikamente

Entwicklungsländer sind von illegalem Handel in besonderem Maße betroffen

SWP-Aktuell 2019/A 30, 10.05.2019, 4 Pages

doi:10.18449/2019A30

Research Areas

Beim Stichwort Gesundheitsrisiken in Entwicklungsländern denken viele an Ereignisse wie die Ebolafieber-Epidemie 2014 und 2015 in Westafrika. Dagegen sind die Auswir­kungen des Handels mit gefälschten und minderwertigen Medikamenten weit weniger bekannt. Davon besonders betroffen sind Entwicklungsländer. Weil dort Regulierung und Kontrollen meist ebenso unzureichend sind wie die Gesundheitsversorgung, sind sie einfache Ziele für den illegalen Handel – mit massiven gesundheitlichen und (sozio)ökonomischen Folgen. Kriminelle Netzwerke erzielen hohe Profite, meist ohne nennenswerte Bestrafung fürchten zu müssen. Die deutsche Bundesregierung kann sich dafür einsetzen, dass dem Thema bei der Generalversammlung der Weltgesundheits­organisation (WHO) im Mai 2019 mehr Gewicht gegeben wird. Das deutsche bi­laterale Engagement sollte Entwicklungsländer vor allem dabei unterstützen, Arznei­mittel-Lieferketten sicherer zu machen.

Laut Daten der WHO von 2017 ist in Län­dern mit mittlerem oder geringem Einkom­men ungefähr jedes zehnte Medikament minderwertig oder gefälscht. Nach der WHO-Definition handelt es sich bei diesen Medikamenten um bewusste Fälschungen, sie sind für den Absatzmarkt nicht zugelas­sen oder entsprechen trotz Zulassung nicht den Qualitätsstandards. Nur wenige Fälle finden einen solchen medialen Widerhall wie die illegale Herstellung der leistungssteigernden Substanz Captagon im Nahen Osten, das angeblich systematisch an Kämp­fer des »Islamischen Staates« ausgegeben wurde. Meist bleiben illegale Geschäfte mit Arz­neimitteln im Verborgenen. Zwischen 2013 und 2017 stammten allein 42 Prozent aller weltweit an das »WHO Global Surveil­lance and Monitoring System« übermittelten Berichte über minderwertige und ge­fälschte Medikamente aus Afrika. Insgesamt werden Mängel am häufigsten bei Medikamenten zur Behandlung von Malaria und bei Antibiotika berichtet. Damit ist auch das Erreichen jenes Ziels für nachhaltige Ent­wicklung (SDGs) gefährdet, das den Zugang zu allgemeiner Gesundheitsversorgung und qualitativ hochwertigen, sicheren, wirk­samen und bezahlbaren Medikamenten be­trifft (SDG 3.8). Die Folgeschäden, die min­derwertige oder gefälschte Medikamente anrichten, sind jedoch viel weitreichender.

Risiken und Folgen gefälschter und minderwertiger Medikamente

Laut einer Studie der WHO verursachen minderwertige und gefälschte Antimalaria­mittel jährlich schätzungsweise 116 000 Todesfälle in Subsahara-Afrika. Der Fokus in den zugrundeliegenden Berichten liegt häufig auf Medikamenten, die mit betrü­gerischer Absicht gefälscht wurden. Diese gefährden die Gesundheit von Patienten vor­sätzlich, indem sie keinerlei oder falsche Wirkstoffe enthalten. Insbesondere minder­wertige Medikamente tragen zu antimikrobiellen Resistenzen bei. Die Auswirkungen treffen vor allem Personen, die begrenzten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben oder über einen längeren Zeitraum auf eine medikamentöse Therapie angewiesen sind.

Außerdem entsteht ein finanzieller Scha­den für die Patienten, aber auch für Firmen und die gesamte Volkswirtschaft. Im Fall der Malariamittel in Subsahara-Afrika belaufen sich die Kosten für Patienten und für das Gesundheitswesen aufgrund zusätzlicher Nachsorge auf jährlich schätzungsweise 38,5 Millionen US-Dollar. Gefälschten Medi­kamenten zugefügte Ersatzstoffe wiederum können Gesundheitsrisiken bergen, die wei­tere Behandlungen erfordern. Skandale um gefälschte Medikamente und um wirkungslose und gesundheitsschädigende Therapien unterminieren auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem. Betroffene werden dessen Dienste möglicherweise seltener oder erst sehr spät in Anspruch nehmen.

Abgesehen von den Auswirkungen auf die Gesundheit von Bevölkerungsgruppen generieren vor allem kriminelle Netzwerke mit dem illegalen Arzneimittelhandel hohe Profite. Für die öffentliche Sicherheit hat dieser Handel oft keine sichtbaren Folgen. Insofern werden die mit ihm verbundenen Gefahren häufig unterschätzt.

Illegaler Handel und Arzneimittelkriminalität

Minderwertige Medikamente entstehen häufig, wenn es bei ihrer Herstellung an Sorgfalt mangelt. Sie können an unterschiedlichen Stellen in die legalen Liefer­ketten gelangen, die oft durch diverse Staa­ten und Kontinente führen. Mit solchen Medikamenten wird aber auch illegal gehandelt. Dagegen werden Fälschungen gezielt hergestellt – teilweise versteckt, aber auch von offiziell registrierten phar­mazeutischen Unternehmen, die lediglich als Fassade dienen. Als Hauptherkunfts­länder werden üblicherweise China und Indien genannt, wobei hier die Fälschung die Wirkstoffe, aber auch die Verpackung oder Beschriftung betreffen kann. Damit die Produkte bei einfachen Labortests nicht auffallen, sind teilweise Wirkstoffe vor­han­den, selten aber in der erforderlichen Menge. Auch sie gelangen letztlich über illegale Vertriebswege an den Endabnehmer oder werden in die legale Lieferkette eingeschleust.

Laut einem Interpol-Bericht von 2014 ist an diesem Handel in begrenztem Umfang traditionelle Organisierte Kriminalität betei­ligt. Soweit bekannt, dominieren aber infor­melle internationale Netzwerke, die in ihrer Struktur legalen Unternehmen ähneln. Außer einer kleinen Steuerungsgruppe ken­nen sich deren Mitglieder allerdings meist nicht. Der Wert des Handels mit gefälschten Medikamenten, der zunehmend online stattfindet, wird auf 70 bis 200 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt.

Die Arzneimittelkriminalität ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Als Ziel­märkte für Fälschungen sind vor allem Ent­wicklungsländer in Afrika und Südostasien interessant. Schwache Gesundheitssysteme kombiniert mit Bedarfsplanungsfehlern bie­ten dort günstige Bedingungen. Zwar wird in Entwicklungsländern für Pharmazeutika insgesamt weniger ausgegeben, gleichzeitig sind die Regulierungsinstrumente bei stei­gender Nachfrage aber schwach. Dort haben nach wie vor große Bevölkerungsteile kei­nen Zugang zu ausreichender und quali­tativ hochwertiger Gesundheitsversorgung.

Der illegale Vertrieb über Online-Apothe­ken hat dabei geringere Bedeutung als etwa in Europa. Denn der Marktzugang für die überwiegend importierten Medikamente ist in vielen Entwicklungsländern kaum regu­liert. Arzneien werden auch im Straßen­verkauf oder in wenig kontrollierten Läden angeboten. Zudem lassen sich Arzneimittel insbesondere über den Containerfracht­verkehr leicht einschleusen. Geschmuggelte Produkte werden auch missbräuchlich genutzt, etwa das Schmerzmittel Tramadol in Westafrika. Hier verursachen die illegal gehandelten Medikamente als Substitut für Heroin weitere Gesundheitsprobleme.

Im Rahmen der zehntätigen Operation ACIM (Action against Counterfeit and Illicit Medicines), die 16 afrikanische Zollverwaltungen im Jahr 2016 durchführten, wurden Medikamente im Wert von etwa 52 Millio­nen Euro beschlagnahmt. Doch solche inter­national unterstützten Operationen bleiben punktuell. Grundsätzlich fehlt es an Technologien, die Produktsicherheit gewährleisten und eine Rückverfolgung ermöglichen. In der Praxis mangelt es be­son­ders an Laboren zur Qualitätskontrolle und an einer wirkungsvollen Strafverfolgung. Zudem ist die Reichweite internationaler Kooperation begrenzt. Unter den Mit­gliedern des operativ ausgerichteten Per­manent Forum On International Pharma­ceutical Crime beispielsweise ist mit Süd­afrika nur ein Entwicklungsland vertreten. Die Profite krimineller Netzwerke sind ent­sprechend hoch, bei gleichzeitig geringem Risiko, entdeckt und bestraft zu werden. Darüber hinaus braucht es Ansätze bei den Märkten und Lieferketten, die Entwicklungs­ländern angemessene Lösungen bieten.

Lieferketten sicherer machen

Bislang gibt es kein Regelwerk zum illega­len Handel mit Medikamenten, das globale Reichweite hätte. Die Medicrime-Konven­tion des Europarats ist zwar ein bindendes internationales Instrument, das auch von Nicht-Mitgliedstaaten ratifiziert werden kann. Bislang haben davon aber nur drei afrikanische Länder Gebrauch gemacht. Umso wichtiger ist es, regionale und natio­nale Maßnahmen zu unterstützen, die es Entwicklungsländern ermöglichen, Arznei­mittel minderer Qualität von ihren Märkten fernzuhalten. Diese sollten im Sinne des WHO-Monitoring Systems (prevent, detect, respond) aber nicht nur reaktiv sein und die Lieferkette bis zum Endverbraucher in den Blick nehmen.

Dabei ist erstens die Einfuhr von besonderer Bedeutung. Denn Entwicklungsländer importieren Medikamente in der Regel größ­tenteils oder erhalten sie von Hilfsorganisa­tionen. Wo jedoch die eigene Produktion steigt, sollten Maßnahmen zur Sicher­stellung der Arzneimittelqualität auch die Produktion einbeziehen. Wenn nämlich die Produktion schlecht kontrolliert wird, bei gleichzeitig besserer Überwachung in Ländern wie China, kann dies verstärkte Fälschungsaktivitäten zur Folge haben.

Zweitens geht es um eine gezieltere Regulierung. Die Anzahl der offiziell zu­gelassenen Einfuhrstellen für Medizin­produkte lässt sich reduzieren, wobei die flächendeckende Weiterverteilung der Produkte bis zum Endabnehmer sicher­zustellen ist. Zusammen mit einer stärke­ren Vernetzung von Gesundheitsakteuren, Arzneimittelaufsichtsbehörden sowie Zoll und Strafverfolgung kann dies – wie seit 2003 in Nigeria – dazu beitragen, dass die Überwachung deutlich verbessert wird. In vielen Ländern gibt es zudem keine spezi­fischen Gesetze zu Arzneimittelkriminalität, sie behandeln entsprechende Fälle vielmehr als Betrug oder Verstoß gegen Rechte an geistigem Eigentum. Bei Gesetzesvorhaben sollte unterschieden werden zwischen Fälschungen in betrügerischer Absicht und solchen Verstößen gegen geistige Eigentumsrechte, bei denen Zusammensetzung und Wirkung der Medikamente nicht zu beanstanden sind. Sonst würden die Behör­den mit der Verfolgung minder schwerer Vergehen überfrachtet.

Drittens bestehen bei der Kontrolle des Zugangs die Schwierigkeiten vor allem dar­in, Arzneimittel minderer Qualität rasch zu erkennen und vollständig aus den Ver­triebswegen zu entfernen. Warnungen vor betroffenen Medikamenten sollten unter den Behörden weitergegeben und diese gegebe­nenfalls zurückgerufen werden. Idealerweise sollten nach der Sicherstellung von Medika­menten die Verantwortlichen ermittelt wer­den, die hinter dem illegalen Handel stehen.

Viertens braucht es wirkungsvolle Ansätze, um die Qualität von Medikamenten im Vertrieb und beim Verkauf an den End­abnehmer zu kontrollieren. In EU-Staaten prüfen Hersteller, Händler und Apotheken die Echtheit verschreibungspflichtiger Arz­neimittel anhand von Sicherheitsmerk­malen der Verpackung und führen Daten über die Vertriebswege in einem euro­päischen Arzneimittel-Verifizierungssystem zusammen. Mittelfristig braucht es auch in Entwicklungsländern lückenlose Verfahren; nach Möglichkeit regional koordiniert. So­lange es jedoch keine umfassenden »track and trace«-Systeme gibt, können lokale Organisationen auch mit kostengünstigen Schnelltests Arzneimittel überwachen – ein Vorgehen, das sich durch Forschungs­projekte begleiten lässt. Länder wie Ghana behelfen sich mit Apps, mit deren Hilfe die Codes auf Verpackungen kontrolliert und gemeldet werden können. Allerdings wird die Kontrolle dabei auf den Verbraucher ver­lagert. Die Sensibilisierung der Bevölkerung ist in diesem Kontext dringend geboten.

Ansatzpunkte für multi- und bilaterales Engagement

Bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai bieten sich Deutschland mehrere An­satzpunkte, das an der Schnittstelle von Gesundheit und Sicherheit zu verortende Thema aufzugreifen. Die international agie­rende pharmazeutische Industrie könnte dazu verpflichtet werden, ein gemeinsames Monitoringsystem für gefälschte und minder­wertige Medikamente nach europäischem Vorbild zu entwickeln. So ließen sich Auf­fälligkeiten innerhalb, aber auch außerhalb der Unternehmen frühzeitig erkennen; vor allem wenn diese Meldungen auch an das »WHO Global Surveillance and Monitoring System« gehen. So würden Fälschungs­meldungen nicht einem einzelnen Unter­nehmen schaden, sondern die Lieferkette insgesamt sicherer machen. Wichtig sind auch die Aktivitäten der Arbeitsgruppen, die unter dem WHO-Mechanismus für gefälschte und minderwertige Arzneimittel stattfinden. Deutschland könnte hier sein Engagement verstärken. Allerdings haben nur Vertreter von 53 der insgesamt 194 WHO-Mitgliedstaaten an dem letzten Tref­fen im November 2018 teilgenommen, was zeigt, dass viele Staaten nicht aktiv beteiligt sind. Es wäre wichtig, den Austausch zwi­schen Entwicklungsländern über einzelne Regionalkonferenzen hinaus zu fördern. Nicht zuletzt bleibt die bilaterale Unterstützung weiterhin unabdingbar. Dabei sind zwei grundsätzliche Aspekte zu beachten:

Erstens muss technische Unterstützung im Gesundheits- wie im Sicherheitssektor die Integrität beteiligter Akteure systematisch berücksichtigen. Von der Arzneimit­telbeschaffung bis zur Verfolgung schwerwiegender Formen von Arzneimittelkrimi­nalität gilt es die Anfälligkeit für Korrup­tion zu reduzieren. Es kommt nicht allein auf Know-how und Kompetenzen an, son­dern auch auf Kontrollmechanismen und »checks and balances« innerhalb und zwi­schen Behörden. Zur Beschaffung sicherer Arzneimittel, besonders im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, tragen auch Zertifizierungen sowie Trainings bei, die unter anderem die WHO anbietet.

Zweitens muss der Zugang zu sicheren, wirksamen und bezahlbaren Medikamenten insgesamt verbessert werden. Anson­sten wird es weiterhin eine hohe Nachfrage nach günstigen, aber häufig unzuverlässi­gen Medikamenten geben, die informell ver­kauft werden. Dabei sollten von Deutschland finanzierte Programme zur Stärkung von Gesundheitssystemen die Überwachung und Kontrolle der Lieferketten als Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung ein­beziehen.

Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Maike Voss ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und leitet das Forschungsvorhaben »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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