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Deutschlands erste Strategie zur internationalen Digitalpolitik

Ein Vorschlag zur thematischen Ausrichtung

SWP-Aktuell 2022/A 79, 16.12.2022, 8 Pages

doi:10.18449/2022A79

Research Areas

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, eine Strategie für die internationale Digitalpolitik zu entwickeln. Das Vorhaben fällt in eine Zeit, in der digitale Techno­lo­gien immer häufiger zum Gegenstand geopolitischer Konflikte werden. Grundlegend ist als erstes zu klären, auf welche Fragen eine solche Strategie Antworten geben soll­te. Dazu bietet sich der internationale Vergleich an, außerdem der Abgleich mit wei­teren Strategieprozessen der Bundesregierung. Thematisch rücken so drei Bereiche in den Blick: die Handelspolitik im Verbund mit den Zielen von Datenschutz und Nach­haltigkeit, die Entwicklungszusammenarbeit insbesondere bei digitalen Infrastrukturen und schließlich der Schutz der Menschenrechte und der Demokratie im Wettstreit verschiedener Ordnungsmodelle des Digitalen. Gewissermaßen quer zu diesen drei thematischen Dimensionen liegt die Frage, wie in Zukunft die Koopera­tion in diesem Bereich gestaltet werden kann.

Im Laufe des Jahres 2023 will die Bundes­regierung einen ersten Entwurf für die Stra­tegie zur internationalen Digitalpolitik vorlegen. Vereinbart wurde dies im Rah­men der jüngst vorgestellten Digital­strategie, deren Fokus auf innenpolitischen Vor­haben liegt. Federführend für die inter­natio­nale Digitalstrategie ist das Bundes­ministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).

Für Deutschland ist dies ein Novum, weil hier erstmals die Ambition erkennbar wird, Digitalpolitik nicht nur innenpolitisch zu denken, sondern systematisch auch die außenpolitische Dimension in den Blick zu nehmen. Die Strategie soll daher wohl einen Beitrag zur »aktiven digitalen Außen­politik« darstellen, die im Koalitionsvertrag ange­kün­digt wurde.

Eine solche strategische Klärung ist drin­gend notwendig. Zwar mangelt es in der deutschen Debatte nicht an Bekenntnissen zu abstrakten Zielen wie »digitale Souveränität« oder » strategische Auto­nomie«. Was jedoch bisher fehlt, ist eine systematische, nicht von der Logik der Res­sortverteilung eingeschränkte Übersetzung dieser Ziele in eine kohärente Stra­tegie.

Dabei wird immer sichtbarer, welch immense politische Bedeutung die digitale Erhebung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen hat. Das Internet und die vielen damit verbundenen Technologien haben das Potenzial, Gesellschaften zu verändern, und sind so zu einer wichtigen Machtressource geworden. Dies zeigt sich zunehmend auch auf internationaler Ebene: Immer mehr Staaten drängen dar­auf, die Kontrolle über »ihren« Teil des Internets zu vertiefen, während gleichzeitig die Macht großer Technologiekonzerne wächst. Das prägt die globale digitale Ordnung. Die Frag­­mentierung entlang politischer Kon­flikt­linien wird größer, und immer häufiger set­zen sich dabei auch im Digitalen auto­ri­täre Ordnungsmuster durch. Im Kontext des rus­sischen Angriffs auf die Ukraine ist zudem in aller Deutlichkeit hervorgetreten, welche weitreichenden geopolitischen Implikationen digitale Technologien haben können. Für die Zukunft noch bedeutsamer wird allerdings das Verhältnis zur technologisch weitaus potenteren Großmacht China sein.

Zugleich bietet sich für Deutschland eine große Chance in der internationalen Digital­politik. Politisch ist Deutschland seit Jahren in allen relevanten Foren und Diskussionen präsent. Die Bundesregie­rung hat sich das Wohlwollen vieler Partner erar­bei­tet, etwa indem sie frei­willig hohe Beiträge zur International Telecommunication Union (ITU) entrichtet oder 2019 in Berlin das Internet Gov­ernance Forum der Vereinten Nationen veranstaltete. Auch Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind in vielerlei Weise im Feld der internationalen Digital­politik aktiv – und verfügen in ihrer Viel­falt über ein enormes Reservoir an Exper­tise.

Der internationale Vergleich

Zentrale Funktion einer Strategie für die internationale Digitalpolitik ist es, dem deutschen Regierungshandeln Orien­tierung in diesem Politikbereich zu geben. Neben dem Blick nach innen ergibt sich aus dem Gegenstand aber auch eine wichtige Funk­tion in der Kommunikation nach außen: Im Verhältnis zu anderen Staaten und nicht­staatlichen Akteuren bietet sich die Gelegen­heit, das eigene Handeln zu erklären und überdies Zeichen zu setzen, die eigene Prio­ritäten erkennen lassen. Politikwissenschaftlich wird hier von »signalling« gespro­chen.

Um international die Anschlussfähigkeit der deutschen Strategie sicherzustellen, aber auch als Inspiration für die eigenen Überlegungen bietet sich der Ver­gleich mit anderen Staaten an. Die folgende Tabelle enthält einen Überblick der The­men­schwer­punkte in den Stra­tegiepapieren jener Staa­ten, die bereits eine Strategie zur inter­­na­tio­nalen Digitalpolitik veröffentlicht haben.

Abgleich mit weiteren Strategie­prozessen der Bundesregierung

Der internationale Vergleich legt ein weites Verständnis internationaler Digitalpolitik nahe. Und auch analytisch scheint es sinn­voll, hierunter all jene politischen Aktivitäten zusammenzuführen, die sich über die Grenzen einzelner Staaten hinaus der Ent­wicklung und Nutzung digitaler Techno­logien widmen. Diesem Verständnis nach sind Staaten ein wichtiger, aber nicht der einzige Akteur in diesem Politikfeld.

Das heißt jedoch nicht, dass in der ge­plan­ten Strategie der Bundesregierung alle Facetten internationaler Digitalpolitik glei­chermaßen behandelt werden müssen. Vielmehr erscheint es hilfreich, Verbindungen zu anderen programmatisch-strategi­schen Positionierungen herzustellen, um so gezielt die noch offenen Punkte in den Blick nehmen zu können. So ist zu erwar­ten, dass grundlegende sicherheits­politische Fragen mit Implikatio­nen für die interna­tio­nale Digitalpolitik im Rahmen der »Natio­nalen Sicherheitsstrategie« be­han­delt wer­den, die sich noch in der regierungsinternen Abstimmung befindet.

Hier­zu zählen vor allem die Gefahren, die in geopolitischen Auseinandersetzungen aus der Nutzung digitaler Technologien für Spionage und Sabotage sowie aus der mani­pulativen Einflussnahme auf digitale Öffent­lichkeiten entstehen. Die spezifischen Her­ausforderungen von Cyberattacken wiede­rum werden in der Cybersicherheitsstrategie angegangen, die zuletzt 2021 aktua­lisiert wurde.

Tabelle 1

Themenschwerpunkte in den Digitalstrategien verschiedener Länder

Cybersicherheit
militärisch

Cybersicherheit zivil, Cyberkriminalität

Internet-Governance

Digitaler Handel

Technische Standards

Forschung & Innovations-förderung

Entwicklungs­zusammenarbeit

Menschenrechte &
Demokratie

Digitale Außenpolitik

Australien
Australia’s International Cyber Engagement Strategy (2017)

China
International Strategy of Cooperation on Cyberspace (2017); Jointly Build a Community with a Shared Future in Cyberspace (2022)

Dänemark
Strategy for Denmark’s Tech Diplomacy 2021–2023 (2021)

Frankreich
Stratégie internationale de la France pour le numérique (2017)

Großbritannien
UK Digital Strategy (2022), Kap. 6: Enhancing the UK’s place in the world

Niederlande
Digital Agenda for Foreign Trade and Development Cooperation (BHOS) (2019)

Norwegen
International cyber strategy for Norway (2017)

Schweiz
Strategie Digitalaussenpolitik 2021–2024 (2020)

USA
International Strategy for Cyberspace (2011)

In vergleichbarer Weise finden sich grundlegende Überlegungen zur Industriepolitik in der 2019 veröffentlichten »Indu­striestrategie 2030«. Zwar bleibt bis 2030 noch einige Zeit, doch die Zuspit­zung geo­politischer Konflikte seit Russlands Angriff auf die Ukraine könnte Anlass dafür geben, diese Strategie noch einmal auf den Prüf­stand zu stellen. Allerdings ließe sich dies allein mit Hilfe einer Strategie zur inter­natio­nalen Digitalpolitik wohl kaum in Gänze bewerkstelligen. Ähnliches gilt für die neue China-Strategie, in der aller Vor­aussicht nach Fragen der Industrie- und Außen­wirtschaftspolitik substanziellen Raum einnehmen werden.

Eine produktive Koexistenz gilt es auch zwischen der neuen Strategie zur inter­nationalen Digitalpolitik und der geplanten »Zukunftsstrategie« zu finden. Mit Fokus auf Forschung und Innovation wird es hier sicher auch um die technologische Souve­ränität Deutschlands gehen. Es ist damit zu rechnen, dass sich hier weite­re Überlappun­gen mit den Strate­gien zu Künstlicher Intelligenz und Block­chain ergeben.

Die Digitalisierung der internationalen Politik selbst schließlich, also die Nutzung digitaler Technologien in der Praxis der Diplomatie, scheint gut auf­gehoben in der Digitalisierungsstrategie des Auswärtigen Amtes von Ende 2021. Wenngleich im Feld der internationalen Digitalpolitik auch andere Ressorts zu Akteuren der auswärtigen Politik werden, scheint es sinnvoll, den Umgang mit Fragen der Ver­änderung von Arbeitsprozessen an einer Stelle zu bündeln.

Nicht nur an diesem letzten Punkt wird die Ressortlogik des deutschen Regierungssystems sichtbar. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, allein aus der aktuell gültigen Ressortverteilung heraus den thematischen Zuschnitt für die Strategie zur internationalen Digitalpolitik zu entwickeln. Soll die Strategie auch dem internationalen »sig­nal­ling« dienen, gilt es vielmehr darzustellen, wie sich ihre thematischen Schwerpunkte aus einem systematisch anschlussfähigen Verständnis internationaler Digital­politik ergeben.

Themen für die deutsche Strategie

Führt man den internationalen Vergleich mit dem Abgleich verwandter deutscher Strategien zusammen, wird deutlich, an welchen Stellen noch strategischer Klä­rungs­bedarf besteht.

Handelspolitik im Verbund mit Datenschutz und Nachhaltigkeit

Internationaler Handel ist heute ohne digi­tale Technologien kaum noch möglich. Für eine stark auf den Export ausgerichtete Wirt­schaft wie die deutsche sind daher Fragen grenzüberschreitenden Datenaustausch­es ein zentrales Element der Handelspolitik.

Als Teil der G7 hat sich Deutschland in diesem Sinne immer wieder zu global un­gehinderten Datenflüssen als Ziel be­kannt. Nicht zufällig enthält die Formulierung der G7 aber einen wichtigen Zusatz, wonach es hier um »data free flow with trust« geht.

Die Ergänzung »mit Vertrauen« spiegelt die zunehmenden Konflikte um grenzüberschreitende Datentransfers wider. Sind Handelsfragen betroffen, zeigt sich dies vor allem bei der Regulierung von Datenschutz und Datensicherheit. Denn auch in digita­len Handelsbeziehungen geht es vielfach um sensible Daten, die dem Datenschutz unterliegen oder bei denen das Risiko der Industriespionage hoch ist.

Deutschland hat sich in der nationalen Gesetzgebung und als Mitglied der EU auf ein anspruchsvolles Niveau des Schutzes personenbezogener Daten festgelegt. Einige Staaten wie zum Beispiel Japan erreichen ein ähn­liches Schutzniveau, weshalb hier über rechtliche Mechanismen der EU ein rechtskonformer und un­komplizierter Datenaustausch möglich ist.

In vielen Fällen ist eine solche regulatorische Übereinstimmung aber nicht gege­ben. Besonders offenkundig ist dies im Falle Chinas, aber auch im Verhältnis zu Indien (siehe SWP-Aktuell 62/2021).

Wie schwierig es ist, hier Kompromisse zu finden, lässt sich seit vielen Jahren an den Auseinandersetzungen mit einem der wichtigsten Partner der EU beobachten, den USA. Zweimal schon hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass das Daten­schutzniveau in den USA vor allem auf­grund der weitreichenden Befugnisse der dortigen Nachrichtendienste nicht dem in der EU angestrebten Niveau entspricht. Nach seiner Wahl hat sich Präsident Biden zusammen mit der EU-Kommission um eine Lösung dieses Konflikts bemüht. Noch ist offen, ob diese tragfähig sein wird.

Als neue Dimension in diesem Zusammenhang ist jüngst das Verhältnis von Digi­talisierung und Nach­haltigkeit verstärkt in den Fokus gerückt. Bisher gibt es hierzu weder in Deutschland noch der EU spezi­fi­sche regulatorische Vor­gaben. Auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung von 2021 wird Digitalisierung noch nicht vertieft behandelt. Dagegen wurde das Thema explizit in den Koalitionsvertrag aufgenommen, besonders mit Blick auf Anforderungen an die Energieeffizienz von Rechen­zentren. Hier deutet sich perspektivisch ebenfalls ein Konflikt an: Werden innerhalb der EU die Vorgaben zur Nach­haltigkeit digitaler Dienste und Infrastrukturen verschärft, kann sich das auf die interna­tionale Wettbewerbsfähigkeit euro­päischer Unternehmen in diesem Bereich aus­wirken.

Die strategische Herausforderung besteht vor diesem Hintergrund darin, die Handels­beziehungen so zu gestalten, dass die eige­nen Vorgaben zu Datenschutz und Nach­haltigkeit nicht unterminiert, aber zugleich­ die Handelsbeziehungen nicht unnötig eingeschränkt werden.

An dieser Stelle geht es mithin weniger um eine Zielbestimmung und vielmehr darum, wie die bereits gesetzten Ziele bes­ser erreicht werden können. Zwar lässt sich diese Frage in einer internationalen Digitalstrategie nicht im Detail beantworten. Aber mit ihr lässt sich immerhin eine Richtung vorgeben.

Vielversprechend scheinen hier zwei Ansätze. Erstens könnte sich Deutschland auf diplomatischem Wege dafür einsetzen, bei Partnern in der Welt für das eigene Modell von Handelsbeziehungen im Ein­klang mit den Zielen von Datenschutz, Datensicherheit und Nachhaltigkeit zu werben. Die Verhandlungen mit den USA zeigen, dass dies selbst mit engen Partnern nicht einfach ist. Um hier wirklich Fort­schritte zu errei­chen, wäre daher eine fokus­sierte diplomatische Initiative vonnöten.

Allerdings wird es all diesen Bemühungen zum Trotz weiterhin eine Vielzahl von Staaten geben, die nicht die gleichen Stan­dards wie Deutschland und die EU erfüllen (wollen). Ein Ansatzpunkt könnte hier zweitens darin bestehen, an der Schnitt­stelle von Technologie und Regulierung Varianten von »Normenkollisionsregimen« zu ent­wickeln. Dazu könnten etwa Maß­nahmen der Anonymisierung oder Pseudo­nymisierung personenbezogener Daten zählen, aber auch neue Verfahren der Zustimmung zu Transfers von Daten in andere Jurisdiktionen.

Entwicklungszusammenarbeit insbesondere bei digitalen Infra­strukturen

Die Entwicklungszusammenarbeit bildet eine wichtige Dimension der internationalen Digitalpolitik. Immer schwerer wiegt die »global digital divide«, also die weltweite Spaltung in diejenigen, die Zugang zum Internet und anderen digitalen Technologien haben, und diejenigen, denen dieser Zugang und die damit verbundenen Mög­lichkeiten fehlen. Nach den statistischen Auswertungen der International Telecommunication Union (ITU) gehören hierzu derzeit rund 2,7 Milliarden Menschen, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. Die meisten von ihnen leben in Entwicklungsländern. Für die betroffenen Gesellschaften hat des­wegen der bezahlbare Zugang zum Internet hohe Priorität.

Die große Nachfrage aus Entwicklungsländern trifft dabei auf die Zuspitzung geo­politischer Konflikte um digitale Technologien. China nimmt schon seit längerem im Rahmen seiner »One Belt, One Road«-Initia­tive gezielt auch digitale Infrastrukturen in den Blick. Die chinesische Regierung setzt darauf, damit den eigenen Einfluss in der Welt auszuweiten.

Digitale Infrastrukturen sind hierfür besonders geeignet, weil dort schnell folgen­reiche Pfadabhängigkeiten entstehen. Die Kontrolle über diese Infrastrukturen bildet so die Grundlage für politische wie wirt­schaftliche Macht, national wie international. Als weitere Komplikation kommt hinzu, dass ein Großteil der globalen Infra­struktur in den Händen privater Unter­nehmen liegt.

Diese geopolitische Aufladung der Ent­wicklungszusammenarbeit findet sich jedoch nicht nur auf chinesischer Seite. Wenngleich unter anderem politischen Vorzeichen, verfolgen die USA seit der glo­balen Ausbreitung des Internets ab den frühen 1990er Jahren eine ähnliche Politik. Explizit als Gegenentwurf zur chinesischen Politik bemüht sich auch die EU-Kommis­sion seit 2021 mit dem »Global Gateway«-Programm darum, eine europäische Alter­native in Stellung zu bringen.

Hier liegt die strategische Herausforderung für Deutschland darin, einen Umgang mit diesen geopolitischen Konflikten um die Entwicklungszusammen­arbeit zu finden, der den eigenen Interessen und Wertvorstellungen entspricht und sich mit Aktivi­tä­ten in anderen Bereichen, von der Innovationspolitik bis zur Sicherheitspolitik, ver­binden lässt. Dabei kommt es besonders darauf an, in nachvollziehbarer Weise eine Balance zu finden: zwischen dem Verfolgen eigener Interessen und dem Anspruch einer Entwicklungszusammen­arbeit »auf Augen­höhe« mit den Partnern in den Entwicklungs­ländern. Deutschland als großer Geld­geber hat hier Gestaltungsmöglichkeiten und kann eventuell sogar über »best prac­tices« Standards setzen. Zudem kann Deutschland seinen Einfluss innerhalb der EU geltend machen, etwa mit Blick auf das »Global Gateway«-Programm oder die jüngst vereinbarte Initiative IRIS2 zur Errichtung einer europäischen Konstella­tion für welt­weit verfügbares Satel­liten-Internet.

Nicht zuletzt kann Deutschland, ganz im Sinne einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, aus den Erfahrungen mit der Digita­lisierung in Entwicklungsländern ler­nen. Das betrifft praktisch-technische Fra­gen wie etwa die flächendeckende Umstel­lung auf rein digitale Zahlungssysteme, doch vor allem explizit politische Aspekte: Aufgrund der eigenen technologischen Abhängigkeiten und der daraus entstehenden geopoli­tischen Risiken ist Deutschland an vielen Stellen in einer ähnlichen Lage wie zahl­reiche Partnerländer in der Entwicklungszusammenarbeit. Die gemeinsame Suche nach Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Risiko ist daher für Deutschland ebenso wichtig wie für die Partnerländer.

Menschenrechte und Demokratie

Nach der Euphorie Anfang der 1990er Jahre befindet sich die Demokratie nun seit gut 20 Jahren in der Defensive. Von den 193 Mit­gliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) stuft etwa Freedom House für das Jahr 2022 nur 82 als frei ein. Nach der Klassi­fi­kation der Wissenschaftler Christian Bjørnskov und Martin Rode galten 2022 nur 114 der VN-Staaten als demokratisch.

Lange wurde digitalen Technologien ein befreiendes, emanzipatorisches Potenzial zugeschrieben. Mittlerweile rückt allerdings immer stärker in den Fokus, wie autoritäre Herr­scher diese Technologien gegen die eigene Bevölkerung einsetzen (siehe SWP-Aktuell 39/2022). Zugespitzt wird dies im Begriff »digitaler Autoritarismus«.

Einflussreiche Staaten beschränken sich allerdings nicht mehr darauf, ihre Macht im Inne­ren zu konsolidieren. Immer wieder weisen China und Russland ausdrücklich darauf hin, dass sie auch international ihre poli­tischen Vorstellungen durchsetzen wollen. Dabei können sie auf den Zuspruch einer Reihe autoritärer Staaten zählen.

Nach Jahrzehnten der Dominanz der USA über das Internet und die damit ver­bundenen Technologien befinden wir uns also nun in einer zugespitzten Auseinander­setzung über die globale digitale Ord­nung (siehe SWP-Aktuell 71/2021). Auch im Digi­talen geraten liberale, demokratische Prin­zipien weltweit immer mehr unter Druck. Dabei zeigt sich auch hier die politische Bedeutung von Unternehmen, denn die meisten der für demokratische Öffentlichkeiten relevanten Plattformen werden von Privatfirmen betrieben.

An dieser Stelle lautet die strategische Herausforderung für die deutsche Politik, auf internationaler Ebene Wege zu finden, um Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen. Wichtige Voraussetzung dafür ist, diese Herausforderung explizit als politische Aufgabe zu verstehen. Ansätze hierfür gibt es bereits, etwa über das lang­jährige Engagement Deutschlands in der »Freedom Online Coalition«. Der neu ein­gerichtete »Sovereign Tech Fund« bietet in Anlehnung an das US-amerikanische Bei­spiel des »Open Technology Fund« ebenfalls das Poten­zial, gezielt freiheitsfördernde und menschenrechtswahrende Techno­logien voranzubringen.

Notwendig ist aber, derartige Aktivitäten noch mehr in die Gesamtheit der internatio­nalen Digitalpolitik Deutschlands zu inte­grieren. Das hieße zum Beispiel, Ansätze dafür zu entwickeln, die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten als Teil deutscher Sicherheits-, Handels- und Ent­wicklungspolitik zu begreifen. Nur so kann angemessen darauf reagiert werden, dass die Gegner der Demokratie ihre poli­tischen Ordnungsvorstellungen ebenfalls über ver­schiedene Politikfelder hinweg und mit unterschiedlichen Methoden durchzusetzen versuchen.

Globale Kooperation in der Digitalpolitik

Quer zu den bisher genannten Themen liegt die Frage, wie in Zukunft die Zusammenarbeit in der internationalen Digital­politik institutionell gestaltet werden kann. Immer deutlicher zeigen sich hier drei Probleme: Erstens werden die unterschiedlichen Aspekte der internationalen Digital­politik siloartig in je eigenen Foren bearbei­tet. Dass auch die deutsche Regierung selbst hier oftmals in einer Weise auf­tritt, in der sich die deutsche Ressortlogik widerspiegelt, macht die notwendige Ko­ordinierung schwierig. Erschwerend kommt zweitens hinzu, dass viele Foren zunehmend durch geo­politische Konflikte blockiert sind.

Schließlich erweist es sich drittens ins­besondere aus deutscher und europäischer Perspektive als Problem, dass die USA nicht mehr im gleichen Maße wie in der Ver­gan­genheit willens zu sein scheinen, sich um die Fortentwicklung der einschlägigen inter­nationalen Organisationen zu küm­mern. Besonders ausgeprägt war dies unter Trump. Sein Nachfolger Biden setzt zwar wieder verstärkt auf eine aktive Bündnis­politik, etwa durch das Engagement in der G7 oder durch Initiativen wie die »Declaration for the Future of the Internet«. Aber auch unter Biden wird etwa der Debatte über die künf­tige Rolle der Vereinten Natio­nen in der Digitalpolitik nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zuteil wie in der Vergangenheit.

Doch gerade bei dieser Debatte handelt es sich um eine der wichtigsten Herausforde­rungen auf multilateraler Ebene. Der VN-Generalsekretär hat schon 2019 einen Pro­zess dazu in Gang gesetzt, der nun in einen »Global Digital Compact« mün­den soll. Teil dieser vom Generalsekretär an­ge­stoßenen Diskussion ist die Debatte über das von den VN betriebene Internet Gover­nance Forum (IGF). 2025 endet das bisheri­ge Man­dat für dieses Format.

Ungeklärt ist das Verhältnis eines offenen Formats wie dem IGF, einer zwischenstaatlichen Organisation wie der Internatio­nal Telecommunication Union (ITU) und den Aktivitäten im Rahmen von VN-Sicher­heitsrat und ‑Generalversammlung.

Schon seit Jahrzehnten laufen Diskus­sionen über Normen für das Verhalten von Staaten im Cyberraum sowie seit Anfang 2022 Ver­handlungen über eine neue Kon­vention zum Umgang mit Cyberkriminalität. Auch hier steht neben der Komplexität der ver­handelten Themen und der daraus erwach­senden politischen Konflikte immer wieder im Raum, ob die VN einen Rahmen bieten können, um diese drin­genden Zu­kunfts­fragen zu beantworten.

Neben den multilateralen Foren geraten aber auch die Multistakeholder-Formate mit starker Beteiligung aus Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft unter Druck. Dies zeigt sich unter anderem an den intensi­ver wer­denden Auseinandersetzungen über poli­ti­sche Entscheidungen der Internet Cor­po­ration for Assigned Names and Numbers (ICANN, siehe dazu SWP-Aktuell 8/2020).

Auch die Gremien der Standardentwicklung, die mit ihrer Arbeit das tech­nische Fundament für die globale digitale Ord­nung legen, werden immer mehr in geopolitische Konflikte verwickelt. Unübersehbar ist der Anspruch Chinas, einschlägige Gremien etwa bei der ITU oder der Internet Engineering Task Force (IETF) zu nutzen, um eigene Standards weltweit zur Geltung zu bringen.

Gerade vor dem Hintergrund der vielfältigen Konflikte in den für die Digitalpolitik relevanten internationalen Organisationen erfüllen schließlich die bilateralen Bezie­hun­gen eine wichtige Funktion. Das gilt aus deutscher Sicht vor allem für das in der Digitalpolitik nicht immer einfache, aber dennoch weiterhin essentielle Verhältnis zu den USA. Daneben spielt aber eine Reihe weiterer Staaten eine bedeuten­de Rolle in der Handels- und Entwicklungspolitik eben­so wie beim Kampf um die Demo­kratie. Das gilt auch für die Sicherheits­politik, wo sie Fragen der internationalen Digitalpolitik berührt.

Deutschlands strategische Aufgabe in diesem Kontext lautet, zunächst ein­mal eine eigenständige Position zur Zukunft der globalen Ko­operationsbeziehungen in der Digitalpolitik zu entwickeln. Seit langem positioniert sich die Bundes­regierung als Verfechter der Multistakeholder-Governance. Dies allein wird jedoch im Lichte der viel­fältigen Kon­flikte um die globale Institutio­nenordnung nicht ausreichen. Vielmehr gilt es, neu zu bestimmen, wie eine frucht­bare Aufgabenverteilung zwischen verschie­denen Formen der Kooperation – von den multilateralen und regionalen Formaten über bilaterale Zusammenarbeit bis hin zu den Multi­stake­holder-Foren – aussehen kann. Ver­bunden ist dies mit der Frage, in wel­cherlei Hinsicht Deutschland Formate der Kooperation aktiv unterstützen kann.

Ausblick

Die Debatte über die deutsche Strategie für die internationale Digitalpolitik beginnt in diesen Tagen. Sie bietet eine Chance, die deutsche Außenpolitik in diesem wichtigen Zukunftsfeld neu zu strukturieren.

Die Grundlage dafür bildet die noch aus­stehende Fest­legung, welche Aspekte der inter­nationalen Digitalpolitik in der Strate­gie verhandelt werden sollen. Davon aus­gehend wird es im nächsten Schritt darauf ankom­men, die politischen Ziele zu setzen und sie mit geeigneten Instrumenten zu verknüpfen. Der internationale Vergleich zeigt, dass Deutschland hier vom Austausch mit engen Partnern profitieren kann.

Großes Potenzial birgt zudem das Wissen der netzpolitischen Community in Deutsch­land. Deren Mitglieder aus Wissen­schaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft verfügen über enormes Detailwissen und sind selbst oftmals in hohem Maße international vernetzt. Für die deutsche Politik, allen voran das für diesen Prozess federführende BMDV, wäre es daher ein großer Gewinn, diese Community aktiv und möglichst eng­maschig in die Diskus­sionen innerhalb der Regierung einzubezie­hen. Nicht zuletzt würde auf diese Weise die Idee der Mit­wirkung nichtstaat­licher Akteure in den globalen Institutionen der Digitalpolitik glaubwürdig schon im natio­nalen Prozess der Strategieentwicklung aufgegriffen.

Literaturhinweise

Julia Pohle/Daniel Voelsen, »Das Netz und die Netze. Vom Wandel des Internets und der globalen digitalen Ordnung«, in: Berliner Journal für Soziologie, 32 (2022), S. 455–487

Daniel Voelsen, Risse im Fundament des Internets. Die Zukunft der Netz-Infrastruktur und die globale Internet Governance, Berlin: SWP, Mai 2019 (SWP-Studie 12/2019)

Dr. Daniel Voelsen ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.

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