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Der Unilateralismus ist definitiv gescheitert

Für den Nahostexperten Volker Perthes hat der Libanon-Krieg die Machtverhältnisse in der Region verändert: Israel wird in Zukunft seine unilaterale Politik aufgeben müssen.

Interview in: Tages-Anzeiger, 21.09.2006, S.10

Volker Perthes

»Der Unilateralismus ist definitiv gescheitert«

Interview in: Tages-Anzeiger; 21.09.2006; Seite 10

© Tages-Anzeiger

 

Für den Nahostexperten Volker Perthes hat der Libanon-Krieg die Machtverhältnisse in der Region verändert: Israel wird in Zukunft seine unilaterale Politik aufgeben müssen.

Mit Volker Perthes sprachen Luciano Ferrari und Claudia Kühner in Berlin

 

US-Aussenministerin Condoleezza Rice hat im Libanon-Krieg auch eine «Chance» gesehen. Sie auch?

 

Sie hat vom Libanon-Krieg gesprochen als «den Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens». Ich weiss nicht, was sie damit meint: Ich verstehe darunter das, was Shimon Peres in den Neunzigerjahren vertreten hat, nämlich ein Naher Osten, der auf Kooperation gebaut ist. Voraussetzung dafür sind allerdings letztlich Friedensverträge. Bevor wir nicht die grundlegenden territorialen Fragen im Viereck Israel, Palästina, Libanon und Syrien gelöst haben, wird es keinen neuen Nahen Osten geben.

 

Hat der Libanon-Krieg etwas zur Klärung dieser Fragen beigetragen?

 

Der Libanon-Krieg war ein politisch heilsamer Schock für die internationalen Akteure, weil er noch einmal klar gemacht hat, dass wir den Nahen Osten nicht sich selbst überlassen können. Wir haben jetzt ein sehr viel stärkeres europäisches und insbesondere auch deutsches Engagement. Aber diese erweiterte Unifil-Truppe ist nur ein Pflaster, nicht das Medikament.

 

Inwiefern hat der Krieg die Machtverhältnisse in der Region geklärt?

 

Er hat sie nicht geklärt - nur ein Stück weit verändert.

 

Positiv?

 

Nein. Der Krieg hat verschiedene Dinge ausgelöst: Er hat dazu beigetragen, dass die israelische Abschreckungskraft nicht mehr existiert wie vorher. Das ist durchaus gefährlich. Bisher galt im Nahen Osten, dass Israel jeden Krieg gewinnt - und zwar relativ schnell. Das gilt auch weiterhin, wenn Armeen gegeneinander kämpfen, aber nicht in der Auseinandersetzung mit einer Guerillatruppe wie der Hizbollah. Die vernünftigsten Akteure in Israel werden daraus zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens: Wenn man vor allem gegen die nicht staatlichen Akteure keine ausreichende Abschreckungskraft mehr hat, tut man besser daran, die staatlichen Institutionen in der Nachbarschaft zu stärken. Zweitens muss man mit ihnen haltbare Abkommen schliessen. Das bezieht sich sowohl auf die Palästinenser als auch auf die Libanesen.

 

Wird sich diese Einsicht durchsetzen?

 

Ja, denn der Libanon-Krieg hat auch gezeigt, dass selbst ein gut gemeinter Unilateralismus definitiv gescheitert ist. Der begann mit dem einseitigen Abzug der Israeli aus dem Libanon und wird am stärksten symbolisiert durch den Mauer- oder Zaunbau und den Abzug aus Gaza. Aber auch durch den unilateralen Waffenstillstand der Hamas. Letztere waren durchaus konstruktiv gemeinte Massnahmen, setzten aber keinen Partner voraus und haben auch keinen gestärkt. Die Einsicht, dass der unilaterale Modus gescheitert ist, ist jetzt in Israel definitiv angekommen.

 

Wurden durch den Libanon-Krieg nicht die destruktiven Kräfte in der Region gestärkt: die Hizbollah, die radikalen Kräfte der Hamas, Syrien und der Iran, der sich als neue Ordnungsmacht aufspielt.

 

Lassen wir den Iran aus dem Spiel: Teheran hat bei Verhandlungen über den arabisch-israelischen Konflikt nichts zu suchen. Daran sind weder Palästinenser noch Syrer trotz aller Freundschaft zum Iran interessiert. Das haben wir bereits 1991 bis 2000 gesehen, als Syrien sehr intensiv mit Israel über ein Friedensabkommen verhandelt hat. Die Syrer wissen, dass der einzige Weg, den besetzen Golan zurückzubekommen, über ein Friedensabkommen mit Israel führt. Die Iraner hingegen haben ideologisch ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Konfrontation.

 

Bleibt die gestärkte Hizbollah.

 

Ist sie das? Ich würde das stark relativieren. Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah musste sich ja praktisch entschuldigen für den Krieg. Er hätte das nicht getan, hätte er nicht einen starken Druck aus der eigenen Gemeinschaft gespürt, wo natürlich die Frage aufkam: Wessen Krieg führen wir hier eigentlich? Die Entschuldigung von Nasrallah führt dazu, dass die Hizbollah früher oder später integriert werden wird in die libanesischen Streitkräfte und jedenfalls die eigene Miliz verliert. Schon heute mussten sich die Hizbollah-Minister im Kabinett dem Konsens anschliessen, dass ihre bewaffneten Kräfte nicht mehr im Süden sein werden. Insofern ist das mit der Stärkung der Hizbollah relativ. Nasrallah ist in den umliegenden arabischen Ländern ungeheuer populär, aber das ist eine sehr vergängliche Währung.

 

Wird Israel jetzt von seiner Haltung abkommen, dass es auf der Gegenseite keinen Verhandlungspartner gibt?

 

Diese Haltung war ohnehin reine Ideologie und die andere Seite der Münze Unilateralismus; Arafat war kein Partner, weil er heimlich den Terror unterstützte, Mahmoud Abbas als Ministerpräsident, weil er zu schwach war, die Hamas, weil das Islamisten sind, Abbas ist auch als Präsident wiederum kein Partner, weil er diese islamistische Regierung hat, etc. etc. Man hat sich ein Stück weit selber eingeredet, dass man keine Partner hat und dabei versäumt, darüber nachzudenken, wie man Partner auch aufbauen kann. Israel hätte zum Beispiel den Gaza-Abzug mit Mahmoud Abbas aushandeln können, um ihm damit auch politisches Kapital zu geben. Damit hätte er vermutlich die Wahlen im letzten Januar gewonnen.

 

Stattdessen hat Israel der Hamas mit zum Sieg verholfen.

 

Ja, denn das zweite Defizit dieser Wir-haben-keinen-Partner-Ideologie besteht eben darin, dass man es dem Gegner sehr leicht macht: Warum sollte die Hamas sich ändern, wenn sie weiss: Mit uns spricht ja eh keiner. Das war bei der Fatah unter Yassir Arafat genau das Gleiche, für die es Mitte der Neunzigerjahre ein erhebliches Problem war, die Charta zu ändern und das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Aber es wurde gemacht, weil die Aussicht bestand, durch Verhandlungen die eigenen politischen und strategischen Ziele umzusetzen.

 

Sie sprechen von einer Ideologie: Will Israel Frieden oder lieber Territorium?

 

Die Frage ist heute in Israel entschieden: Man ist bereit, Territorium aufzugeben, wenn man im Ergebnis nicht mehr viel zu tun hat mit diesen ungeliebten Nachbarn.

 

Das ist politisch mit dem Gaza-Abzug entschieden worden?

 

Nein, das ist gesellschaftlich entschieden worden in den letzten 15 Jahren. Heute hat man eine stabile Mehrheit in Israel dafür, die besetzten Gebiete aufzugeben, wenn man dafür eine haltbare Trennung, wenn nicht einen haltbaren Frieden mit den Palästinensern bekommt. Man will nicht mehr mit ihnen leben, man will sich trennen. Insofern ist es in Beton gegossene Symbolik, die wir in der Mauer oder dem Zaun sehen. Das ist etwas ganz anderes als die Vorstellungen von Shimon Peres in den Neunzigerjahren, als es hiess, wir wollen ein nahöstliches Benelux. Das ist vorbei.

 

Was bedeutet es für die Demokratisierung des Nahen Ostens, wenn sich Israel, die einzige Demokratie, von seiner arabischen Umgebung faktisch abkoppelt?

 

Dass Israel die einzige Demokratie ist, stimmt nicht mehr und ist ebenso Ideologie geworden. Palästina hat ziemlich demokratische Wahlen gehabt, und den Libanon unterstützten wir Europäer nicht zuletzt deshalb, weil er sehr viel demokratischer ist als die meisten anderen arabischen Staaten. Eher haben wir heute die Situation im Nahen Osten, wo eines der Lieblingstheoreme der amerikanischen Politikwissenschaft, dass Demokratien nämlich keinen Krieg miteinander führen, sehr in Frage gestellt worden ist. Im israelisch-palästinensischen Konflikt befindet sich ein demokratischer Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung im Krieg, und was den Libanon-Konflikt angeht, ist es eine Dreiecksauseinandersetzung gewesen, wo die Hizbollah Krieg gegen Israel geführt hat, Israel gegen den Libanon, und der Libanon international um Hilfe gerufen hat und mit dem Krieg eigentlich nichts zu tun haben wollte.

Welche Rolle spielt Amerika für Israel und den Friedensprozess insgesamt?

Der Einfluss der Amerikaner ist so gross, wie sie ihn haben wollen. Das Problem ist eher, dass die Regierung Bush womöglich aus innenpolitischen Gründen und zum Teil aus Gründen der Überdehnung - Stichwort Scheitern im Irak - sich entschieden hat, nicht energisch zu agieren.

 

Sie waren in Ihren Büchern immer optimistisch, was die Modernisierung der arabischen Welt anbelangt? Gilt das immer noch?

 

Ich gebe darauf drei Antworten. Wenn wir 20 Prozent Chancen haben, etwas besser zu machen, ist es gerade als Politikberater meine Aufgabe, zu fragen, wie wir die 20 Prozent Realität werden lassen können und nicht die 80 Prozent, die dagegen sprechen. So viel zum Optimismus. Das Zweite ist: Ja, es gibt heute nach wie vor Veränderungstendenzen in dieser Region, die aus der Gesellschaft herauskommen. Häufig aus zwei Ursachen heraus: aus der einen, dass die junge Generation Anschluss an die Globalisierung sucht, wirtschaftlich, technisch, politisch und kulturell. Und dann aus dem Wunsch nach Veränderung angesichts des offenkundigen Scheiterns des Modells arabischer Nationalstaaten. Alle diese Staaten sind wesentlich reicher, als ihr Entwicklungsstand vermuten lassen würde. Jeder Diktator in der arabischen Welt ist zu wirtschaftlichen Reformen bereit. Aber ohne gleichzeitige Einführung von Rechtsstaatlichkeit nützen zum Beispiel alle Bankenreformen nichts. Der dritte Teil meiner Antwort ist allerdings: Ja, wir haben sehr wohl einen Rückschlag, der auch etwas zu tun hat mit dem letzte Krieg, mit der Stagnation des Friedensprozesses. Das wirkt sich lähmend bis verheerend auf viele der regionalen Dynamiken aus. Natürlich ist der ungelöste arabisch-israelische Konflikt nach wie vor der wichtigste Brennstoff für extremistische und nationalistische Ideologien, und der Irak ist dazugekommen. Er ist heute Ausbildungsplatz für Terroristen aus der gesamten Region.

 

Volker Perthes gilt als führender Nahostexperte. In seiner Funktion als Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin berät er die deutsche Bundesregierung in aussenpolitischen Fragen. Im Februar ist sein neustes Buch erschienen: Orientalische Promenaden, Siedler-Verlag, 400 Seiten, Fr. 43,70.

 

Das gesamte Gespräch unter: http://tages-anzeiger.ch/dyn/news/ausland/667953.html