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Das Scheitern des Brüsseler Gipfels - Reaktionen aus den Beitrittsländern

Arbeitspapier --, 15.12.2003, 11 Pages

Ungarn

Sowohl Ungarns Premierminister Medgyessy als auch Außenminister Kovács bemühten sich, die positiven Seiten der Brüsseler Zusammenkunft vom 12. und 13. Dezember herauszustellen. In den Augen Medgyessys war der Gipfel zwar nicht erfolgreich, aber es sei besser, die Kompromißsuche zu verschieben als eine schlechte Verfassung anzunehmen. Außenminister Kovács erklärte, das Treffen in Brüssel sei ohne Erfolg, nicht aber ohne Ergebnisse geblieben. Kovács beschrieb den Ausgang des EU-Gipfels lapidar: "Aus ungarischer Sicht können wir zufrieden sein." Zur positiven Bilanz habe vor allem der Umstand beigetragen, daß im vorläufigen Vertragstext ein Passus über den Minderheitenschutz durchgesetzt werden konnte. Auch bei anderen ungarischen Forderungen, wie bei der Zusammensetzung der Kommission sowie in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, hätten sich Lösungen im Sinne Budapests abgezeichnet.

Als besonderer Erfolg wurde auch der Umstand dargestellt, daß Ungarn als möglicher Teilnehmer an einer Gruppe der verstärkten Kooperation gehandelt wird. Außenminister Kovács sagte zu der Diskussion über einen neuen europäischen Kern, er wäre wenig erfreut darüber, wenn sich ein dauerhafter, elitärer Klub herausbilden würde. Doch ebensowenig wie Premier Medgyessy ließ er einen Zweifel daran, daß Ungarn für eine Mitgliedschaft in einer enger kooperierenden Gruppe offen ist.

Ungarn müsse sich nun, so Premierminister Medgyessy, darauf konzentrieren, daß dennoch ein erfolgreicher Abschluß des Verfassungsprozesses erreicht werde und daß Ungarn in den beginnenden Finanzverhandlungen möglichst günstige Bedingungen erstreitet. Wichtig sei es, daß sich das weitere Verfassungsgeschehen auf der Basis der bereits ausgehandelten Kompromisse bewegt. Ansonsten könnten wichtige ungarische Ziele, wie etwa der Minderheitenschutz, aus einem künftigen Vertragstext wieder herausfallen.

Im Unterschied zu Medgyessy, der kein bestimmtes Land für das Scheitern der Regierungskonferenz verantwortlich machen wollte, blieb Außenminister Kovács weniger bedeckt. Mit Blick auf Polen sprach er davon, daß es sich langfristig nicht auszahle, wenn ein Land bei allen anderen anecke. Es sei effektiver, die Hand zum Kompromiß auszustrecken, als sie zur Faust zu ballen und auf den Tisch zu schlagen.

Kommentare in den ungarischen Printmedien beschäftigten sich unter anderem mit einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" und der ungarischen Position in der EU. Die liberale Tageszeitung Magyar Hírlap prognostizierte, daß eine "Elitetruppe" eher früher als später entstehen werde. Ungarn dürfe die sich ihm offensichtlich bietende Chance nicht auslassen, sich der Avantgarde anzuschließen. Hierfür spreche allein schon die Tatsache, daß Ungarn als Gründungsmitglied bei späteren Entscheidungen eines solchen Verbundes, auch über die Aufnahme anderer in die Gruppe, mitwirken werde. Grundsätzlich sei aber eine beschleunigte Kernbildung und damit eine Spaltung der EU weder in ungarischem noch in europäischem Interesse. Die Wirtschaftszeitung Világgazdaság konstatierte, daß diejenigen Länder, die enger zusammenarbeiten wollen, allmählich "die Geduld verlieren". Ein derart abgestuftes Europa wäre aber sicherlich mit Risiken behaftet. Zu fragen sei, wohin die gemeinsame Fahrt schnellerer und langsamerer Schiffe führen werde, ob dieser Konvoi auseinanderbrechen könnte oder gar eine Karambolage denkbar sei. An anderer Stelle wurde von dieser Zeitung darauf hingewiesen, daß sich finanzieller Druck der um die "deutsch-französische Achse" versammelten Nettozahler auf "das 'renitente' spanisch-polnische Duo" negativ für Ungarn auswirken könnte.

Die linke Népszabadság kam zur Einschätzung, daß die Position Ungarns in Europa trotz des Scheiterns der Regierungskonferenz zumindest vorübergehend aufgewertet worden sei. Trotz seiner Parteinahme für Amerika während des Irak-Konflikts habe Ungarn nicht die Sympathien Deutschlands und Frankreichs verloren. Auch mit der letztlich nur von Ungarn vorgebrachten Forderung nach Minderheitenschutz sei die Regierung Medgyessy erfolgreich gewesen. Das entscheidende Positivum aber sei: Die EU befinde sich in einer Phase, in der sie nach sich selbst suche, und unabhängig davon, wohin sie sich bewege, werde Budapest mit von der Partie sein.