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Das Scheitern des Brüsseler Gipfels - Reaktionen aus den Beitrittsländern

Arbeitspapier --, 15.12.2003, 11 Pages

Tschechische Republik

Für die Mehrheit der tschechischen Politiker ist das Scheitern des Brüsseler Gipfeltreffens keine Tragödie, sondern eher ein temporärer Rückschlag. Ministerpräsident Špidla zeigte sich zwar enttäuscht über das Resultat der Verhandlungen und sprach von einer "Etappenniederlage für Europa". Gleichzeitig gab er aber zu verstehen, daß er auf eine Fortführung der Verhandlungen hoffe. Da bereits "über 97 Prozent des Vertrags" Einigkeit bestehe, müsse es möglich sein, auch einen Konsens über die noch offenen Fragen zu erzielen. Außenminister Svoboda verglich den Ausgang der Brüsseler Zusammenkunft mit einem Fußballspiel: "Europa hat ein Eigentor geschossen, aber das Spiel ist noch nicht beendet." Svoboda und Špidla stimmten darin überein, daß es unter den gegebenen Umständen besser war, die Verhandlungen zu unterbrechen als ein nicht zufriedenstellendes Ergebnis herbeizuführen. "Wir haben immer gesagt, daß für uns Qualität vor Zeit geht", erklärte Vladimír Špidla gegenüber der Tageszeitung Lidové noviny.

Auch die Vorsitzenden der Christdemokraten und der Freiheitsunion, Kalousek und Mareč, zusammen mit Špidlas Sozialdemokraten in der Regierung, relativierten den Fehlschlag von Brüssel. Laut Mareč ist der Mißerfolg zwar "unangenehm", doch habe die Europäische Union bereits eine Reihe "solch komplizierter Momente" durchlaufen. Der Christdemokrat Kalousek erklärte, daß eine nicht allzu erfolgreiche Konferenz sicherlich nicht das Ende der europäischen Integration bedeute.

Der Vorsitzende der oppositionellen Kommunisten, Miroslav Grebenícek, dramatisierte das Scheitern der Regierungskonferenz ebensowenig, machte aber Deutschland und Frankreich sowie deren Haltung gegenüber Spanien und Polen für den Mißerfolg verantwortlich.

Kritischere Stimmen kamen aus den Reihen der größten Oppositionsgruppierung, der Demokratischen Bürgerpartei ODS, sowie von der Prager Burg, dem Sitz des tschechischen Staatspräsidenten. Der für Europafragen zuständige Parteivize der ODS, Zahradil, sieht sich in seiner Haltung bestätigt, da er als Mitglied des Konvents den Entwurf dieses Gremiums abgelehnt hatte. Für ihn ist ein "ambitionierter Plan eines Teils der europäischen Eliten" gescheitert, die "die Europäische Union noch vor ihrer Erweiterung in eine vertragliche Zwangsjacke stecken wollten". Das Scheitern "der sog. Euroverfassung deutet an, daß sich das bisherige Integrationskonzept in vielerlei Hinsicht erschöpft hat. Die Antwort auf die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts kann nicht immer mehr Vereinheitlichung und Zentralisierung sein, sondern im Gegenteil mehr Flexibilität und neue Fähigkeiten, schnell auf Veränderungen zu reagieren".

Staatspräsident Václav Klaus wiederholte in einer von der Präsidialkanzlei verbreiteten Erklärung seine Auffassung, daß der Versuch, eine europäische Verfassung durchzusetzen, "ein radikaler Schritt zur Errichtung eines europäischen Superstaats war". Verlauf und Ausgang der Verhandlungen ließen den Schluß zu, daß es immer mehr von denjenigen gibt, die sich "diese Gefahr bewußt machen". In der größten Tageszeitung des Landes, Mladá fronta Dnes, wertete Klaus es als positives Signal, daß durch den Brüsseler Mißerfolg die Entwicklung Europas in Richtung auf einen "supra-nationalen Staat" gestoppt worden sei. Gleichzeitig sei der Einfluß einer "eigentümlichen Koalition bestehend aus der politischen Elite Europas, der Brüsseler Bürokratie und einer bestimmten, kosmopolitisch denkenden intellektuellen Gruppe" geschwächt worden. In einem Artikel für das konservativ-liberale Blatt Lidové noviny bezeichnete der Leiter der Presseabteilung in der Präsidialkanzlei, Hájek, das Fehlschlagen der Verhandlungen als eine "gute Nachricht für die Tschechische Republik und Europa". Im letzten Moment sei der Expreßzug in Richtung auf einen europäischen Superstaat durch den Griff zur Notbremse aufgehalten worden. Der Leiter der Präsidialkanzlei, Weigl, rechtfertigte die Kritik, die am Konventsentwurf geübt wurde. "Mit einer kriecherischen Servilität gegenüber dem mächtigen Ausland ... sind wir nicht in der Lage, die Interessen unserer Bürger im heutigen Europa zu verteidigen."

Tschechische Politiker und Publizisten äußerten sich bei der Diskussion über den weiteren Fortgang der europäischen Integration insbesondere zum Konzept eines Europa der zwei Geschwindigkeiten. Premier Špidla beschrieb die grundlegenden Koordinaten der tschechischen Position wie folgt: Im Interesse der Tschechischen Republik sei eine weitere Vertiefung der europäischen Integration sowie eine Einbindung des Landes in den Mainstream des europäischen Integrationsprozesses. Zwar sei man gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, sollte sich jedoch ein solches Projekt herauskristallisieren, müsse sich die Tschechische Republik daran beteiligen.

Die ODS hingegen hat keine Vorbehalte gegenüber einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Sie hält es allerdings für einen "gefährlichen und fatalen Irrtum", wenn die Tschechische Republik in diesem Fall Bestandteil eines harten Kerns der Integration werden sollte.