Internationale Kooperation im Gesundheitssektor ist seit über fünf Jahren ein fester Bestandteil der chinesischen Seidenstraßeninitiative (BRI). Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie wirbt die chinesische Führung für diesen Teilbereich der Initiative (»Gesundheitsseidenstraße«) als einen Schlüssel für den Aufbau einer »Weltschicksalsgemeinschaft«. Die Pandemie offenbart die Stärken der BRI und ihre Funktionsweise. Chinas Gesundheitsdiplomatie agiert weitsichtig und strategisch. Beijing verknüpft Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in Hilfsempfängerstaaten mit der Aussicht auf Kooperation im Rahmen der BRI in der Zeit nach der Corona-Pandemie. Nicht zuletzt strebt Beijing danach, international als »verantwortungsvolle Großmacht« wahrgenommen zu werden.
Der im Westen vielfach verengte Fokus auf Qualitätsmängel chinesischer Hilfsleistungen lässt verkennen, dass Beijing viele Drittstaaten effektiv und umfassend unterstützt hat, bei Abwesenheit traditioneller Hilfsgeber. Um Chinas Einflussgewinn in Regionen entgegenzutreten, die für Deutschland und Europa strategisch relevant sind, wäre es notwendig, eine größere Sensibilität für die geopolitischen Implikationen der Pandemie zu entwickeln und Drittstaaten konkrete europäische Angebote für die Zeit nach der Pandemie zu machen. Parallel zu mehr Engagement auf multilateraler Ebene (etwa innerhalb der Weltgesundheitsorganisation [WHO]) sind auch verstärkte bilaterale Aktivitäten (zum Beispiel über regionale EU+x-Formate) oder die Koordinierung mit der neuen US-Regierung unter Joe Biden Handlungsoptionen.
Am 9. und 12. Dezember 2020 waren die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain die ersten Staaten, die einen chinesischen Corona-Impfstoff zugelassen haben. Weitere Staaten vor allem des globalen Südens haben angekündigt, bald dasselbe zu tun (so erteilten bis zum 18. Januar 2021 u. a. Ägypten, Indonesien, die Türkei, und Brasilien eine Zulassung für chinesische Impfstoffe). Die Annahme ist realistisch, dass China bei der Durchimpfung der Weltbevölkerung eine relevante Rolle spielen wird. Dies entspräche einem von der chinesischen Führung verbreiteten Narrativ: China als verantwortungsbewusste Großmacht. Beijing verknüpft schon seit Pandemiebeginn den chinesischen Beitrag zur Corona-Bekämpfung mit Staatspräsident Xi Jinpings außenpolitischem Prestigeprojekt, der Seidenstraßeninitiative (BRI).
Gesundheit im Rahmen der BRI
Gesundheit steht seit über fünf Jahren auf der Agenda der BRI. Schon das im März 2015 veröffentlichte Rahmendokument »Vision and Actions on Jointly Building Silk Road Economic Belt And 21st-Century Maritime Silk Road« führte Kooperation bei der Prävention und Eindämmung von Epidemien als Ziel auf. Nach offiziellen BRI-Dokumenten umfasst Gesundheitskooperation außerdem:
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Ausbildungsprogramme für medizinisches Personal;
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Kapazitätsaufbau für den Fall von Krisen der öffentlichen Gesundheit;
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medizinische Krisensoforthilfe;
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Förderung der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM);
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kostenlose Behandlungen im Ausland durch chinesische Ärzte.
Das BRI-Rahmendokument »Die Initiative der neuen Seidenstraße – Fortschritte, Beiträge und Perspektiven« (April 2019) verweist auf 56 bilaterale Gesundheitsabkommen, die China unter anderem mit der WHO oder der Bill & Melinda Gates Foundation abgeschlossen hat. Auch die »BRI-Standardisierungs-Aktionspläne« von 2015–2017 und 2018–2020 nehmen Bezug auf chinesische Bestrebungen, einheitliche Standards bei der TCM und bei der Definition medizinischer Begriffe zu setzen. Der BRI-»Entwicklungsplan zur Förderung der TCM (2016–2020)« verdeutlicht Beijings Absicht, Traditionelle Chinesische Medizin international zu bewerben.
Wie in sämtlichen Teilbereichen der BRI agiert Beijing auch bei der Realisierung der »Gesundheitsseidenstraße« strategisch, flexibel und parallel auf mehreren Ebenen (bi- und multilateral, regional und global). Eine wesentliche Rolle spielen dabei die sogenannten »China+x-Mechanismen«. Dabei handelt es sich um Formate chinesischer Kooperation etwa mit den Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), Afrikas (FOCAC), Zentral- und Osteuropas (17+1) oder der Arabischen Liga. Gesundheitskooperation im Rahmen dieser Mechanismen unterscheidet sich zwar von Region zu Region, spiegelt aber weitgehend den Inhalt (teilweise wörtlich) der chinesischen BRI-Dokumente wider.
Seit 2015 findet regelmäßig ein Forum des chinesischen Gesundheitsministers mit 17 (bis 2019: 16) zentral- und osteuropäischen Amtskollegen statt (2015 in Prag; 2016 in Suzhou; 2017 in Budapest; 2019 in Sofia). Erklärtes Ziel des Formats sind die Förderung der TCM in Europa, Programme für Austausch und Kooperation (von Krankenhäusern, der Gesundheitsindustrie und Universitäten), Marktzugang (etwa von Arzneimitteln), aber auch die Kooperation im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie MERS und SARS (siehe Suzhou-Erklärung vom 20. Juni 2016). Dafür wurden neue Strukturen geschaffen, darunter die »17+1-Krankenhausallianz«, das »17+1-Kooperationsnetzwerk für öffentliche Gesundheit«, das »17+1-Kooperationsnetzwerk für Gesundheitspersonal«, das »17+1-Forschungsnetzwerk zur Gesundheitspolitik« und das »17+1-Kooperationsforum zur Arzneimittelzulassung«.
In Chinas Beziehungen zu den ASEAN-Staaten spielte das Thema Gesundheit bereits vor der Verkündung der BRI eine prominente Rolle. 2012 schlossen die Parteien ein Memorandum of Understanding zur Gesundheitskooperation ab. Die Teilnehmer des 1. China-ASEAN-Gesundheitskooperationsforums verabschiedeten am 26. Oktober 2016 die »Nanning-Erklärung«. In deren Vordergrund stehen der Informationsaustausch und die gemeinsame Verhinderung und Kontrolle von Infektionskrankheiten, die Ausbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen, die Förderung der TCM sowie die Entsendung chinesischer Ärzte. Mit Blick auf die »Lancang-Mekong«-Staaten (Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand, Vietnam) konzentriert sich Chinas BRI-Gesundheitsdiplomatie unter anderem auf kostenlose Augenoperationen.
Im Rahmen eines Dialogforums, das China mit den Staaten der Arabischen Liga etabliert hat, fand im September 2015 das »China-Arab States Health Cooperation Forum« statt. Laut der dabei verabschiedeten »Yinchuan-Erklärung« umfasst diese Kooperation Technologiezusammenarbeit, Förderung der TCM, Verhinderung und Kontrolle von Infektionskrankheiten, Programme für medizinische Ausbildung, Abstimmung bei Reformen des öffentlichen Gesundheitssystems, Austausch medizinischer Einrichtungen und von Personal sowie die Abstimmung bei globalen Gesundheitsfragen.
In den chinesisch-afrikanischen Beziehungen ist Kooperation in Gesundheitsbelangen am stärksten ausgeprägt und reicht weit in die Zeit vor Verkündung der BRI zurück (etwa die seit Jahrzehnten praktizierte Entsendung medizinischen Personals). Seit 2015 wird sie im Rahmen des »Forum on China–Africa Cooperation« (FOCAC) unter die BRI subsumiert. Dabei geht es unter anderem um die Bereitstellung medizinischer Versorgungsgüter, Ausbildungsprogramme, den Bau von Krankenhäusern und die Unterstützung im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Malaria oder Ebola (siehe unter anderem FOCAC Johannesburg Action Plan [2016–2018] und FOCAC Beijing Action Plan [2019–2021]).
Auch auf bilateraler Ebene spielte das Thema Gesundheit im Rahmen der BRI schon vor der Covid-Pandemie eine relevante Rolle. In Regionen, in denen »China+x-Formate« weniger verbreitet sind, entsendet China medizinisches Personal, das kostenlose Behandlungen anbietet. Hervorzuheben ist Chinas Engagement in Südasien und Ozeanien (so schickte Beijing Ärzteteams nach Nepal, Mikronesien, Vanuatu, Tonga und Fidschi). Auch in Zentralasien ist China aktiv. Wichtigstes Pilotprojekt ist der Aufbau des »Medizinischen Servicezentrums der BRI-Kernregion Xinjiang«. Diese Krankenhaus-Kooperationsplattform leistet medizinische Hilfe für Patienten aus Nachbarstaaten (etwa kostenlose Herzoperationen afghanischer Kinder). Sie zielt zudem auf eine Vernetzung zentralasiatischer Krankenhäuser mit Xinjiang ab (etwa für Medizintourismus).
Bedeutsam auf globaler Ebene ist vor allem das »Memorandum of Understanding on Health Sector Cooperation under the Belt and Road Initiative«, das China und die WHO am 18. Januar 2017 unterzeichnet haben. Darin wird erstmals der Begriff »Gesundheitsseidenstraße« verwendet. Die explizite Unterstützung der BRI durch die WHO spiegelt den seit Jahren zu beobachtenden Einflussgewinn der Volksrepublik China innerhalb der WHO wider. Im August 2017 verabschiedeten Vertreter zahlreicher Staaten, internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) das »Beijing-Kommuniqué der Seidenstraßengesundheitskooperation und der Gesundheitsseidenstraße«, in dem die wesentlichen Elemente von Chinas BRI-Gesundheitspolitik zusammengefasst sind.
Aktivierung der BRI-Netzwerke im Rahmen der »Maskendiplomatie«
Nachdem der Corona-Ausbruch in Wuhan bekannt geworden war, appellierte China zunächst an die internationale Gemeinschaft und erhielt Hilfsgüter und ‑zahlungen von über 58 Staaten (darunter Australien, Belarus, Dschibuti, Deutschland, Pakistan, Bahrain, die USA und Suriname). Auch kleinere Beiträge (etwa eine Spende in Höhe von 100 Euro aus den Komoren) verwertete Beijing propagandistisch als Zeichen der Solidarität und Beleg für den Geist der Gesundheitsseidenstraße.
Als die chinesische Führung Ende Februar den Ausbruch im eigenen Land allmählich in den Griff bekam, übernahm Beijing sehr schnell die Rolle des Hilfslieferanten. Da ein Großteil der weltweiten Maskenproduktionsstätten in China angesiedelt ist und zahlreiche Industriestaaten Hilfsgüter nach Wuhan geliefert hatten, war die chinesische Führung in der Lage, quasi aus einer Monopolstellung heraus die Welt mit Masken und medizinischen Geräten zu versorgen. Insbesondere Staaten, die medizinisch unzureichend ausgerüstet waren, erhielten sehr schnell Spenden benötigter Hilfsmittel (Masken, Testequipment und Beatmungsgeräte). Beijing entsandte außerdem Ärzteteams in 43 Staaten. Nahezu sämtliche Staaten der Welt bekamen Unterstützung aus China (siehe Karte 1, S. 7).
Die Hilfslieferungen stammten von einer Vielzahl an Akteuren, nicht nur von der chinesischen Zentralregierung und der Kommunistischen Partei, und sie berücksichtigten häufig Chinas strategische Interessen im Empfängerstaat. Provinzen und Städte versorgten ihre Partnerkommunen und ‑regionen. Mehrheitlich muslimische Staaten (etwa Afghanistan, Ägypten, Irak, Iran, Libanon und Jordanien) erhielten Masken aus der Autonomen Region Xinjiang. In Südostasien (z. B. Laos, Kambodscha, Myanmar) überbrachten Soldaten der Volksbefreiungsarmee medizinische Hilfsgüter. In Staaten, in denen chinesische Staatsunternehmen BRI-Projekte betreiben (etwa in Afrika), waren involvierte Banken, Bau- und Rohstoffunternehmen unter den Spendern. Das Telekommunikationsunternehmen Huawei leistete vorzugsweise dort Hilfe, wo es strategische Interessen am 5‑G-Ausbau verfolgte; in Europa beispielsweise in Tschechien, Irland, Italien, Litauen, den Niederlanden, Polen, Rumänien, Serbien und Spanien. Unternehmensstiftungen (insbesondere die Jack Ma und die Alibaba Foundation) lieferten an über 150 Staaten Masken, Beatmungs- und Testgeräte. Involviert waren auch Wirtschaftsverbände, Auslandschinesen und NGOs. Im Rahmen der »Maskendiplomatie« engagierten sich in vielen Empfängerstaaten vor Ort ansässige chinesische Akteure, die ansonsten häufig abgesondert in einer Parallelgesellschaft leben. Die Hilfen für die lokale Bevölkerung stimmen mit dem in vielen BRI-Dokumenten formulierten Ziel überein, breite Unterstützung für Chinas Seidenstraßenpolitik zu generieren.
China bot selbst solchen Staaten Hilfslieferungen an, die (noch) keine diplomatischen Beziehungen zu Beijing pflegen (vor allem in Lateinamerika). In Paraguay forderte die parlamentarische Opposition, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen, um aus Beijing Hilfsleistungen zu erhalten. Und Belize erhielt Hilfsmaterial-Spenden chinesischer Organisationen, bei denen es sich angeblich um NGOs handelt. Ein bemerkenswerter Coup Beijings waren Fotos der Mitglieder des Stadtrats aus Belize-City, die sich vor chinesischen Flaggen aufgestellt hatten.
Chinas Propagandamaschinerie läuft seit Monaten auf Hochtouren. Inhaltliche Basis für ein stromlinienförmiges Covid-Narrativ ist das Weißbuch »Fighting Covid-19: China in Action«. In lokalen Tageszeitungen veröffentlichen chinesische Diplomaten Beiträge, in denen sie die Beziehungen Chinas zu jenem Staat, in den sie entsandt sind, entsprechend dem im Weißbuch formulierten Covid-19-Narrativ beschreiben. China stilisiert sich darin als Retter, der auf Augenhöhe mit den Hilfsempfängerstaaten steht, und als verantwortungsbewusste internationale Großmacht. Chinas Hilfe, so das Narrativ, sei sinnbildlich für die angestrebte »Weltschicksalsgemeinschaft«, ein zentraler BRI-Begriff. Die Artikel erinnern an die chinesische Propagandastrategie zu Beginn der BRI. Auch damals wurden großflächig Zeitungsannoncen geschaltet (seinerzeit primär von Mitgliedern der chinesischen Führung, nicht von Diplomaten), um für die BRI zu werben.
Das chinesische Engagement auf »westlichen«, in China nicht verfügbaren sozialen Medien wie Twitter oder Facebook ist eine neue Entwicklung. Chinesische Auslandsvertretungen verbreiten in den sozialen Netzwerken beinahe täglich Updates über Chinas Beitrag zur Covid-19-Bekämpfung vor Ort. Xi Jinpings Ehefrau, die Sängerin und WHO-Sonderbotschafterin Peng Liyuan, hat eine relevante Rolle in Chinas Gesundheitsdiplomatie. Sie leitet etwa Online-Zeremonien anlässlich chinesischer Hilfsleistungen. Peng spendete zudem persönlich Schutzmasken an zahlreiche afrikanische Staaten.
Auch wenn Chinas Maskendiplomatie vor allem in Europa kritisiert wurde: Die dabei erbrachte logistische Leistung, die Aktivierung chinesischer Akteure und deren einheitliche Außenkommunikation sind bemerkenswert. Für zahlreiche Staaten war China ein verlässlicher Partner, zumal es an traditionellen Hilfsgebern (insbesondere den USA) fehlte. Erstmals hat Beijing die globale BRI-Rhetorik mit Substanz unterfüttert.
Nächster Akt: Impfdiplomatie
Zu Impfstoffen fünf chinesischer Unternehmen (Sinopharm, CanSinoBIO, Sinovac und Anhui Zhifei Longcom Bio, IMBCAMS) laufen gegenwärtig in 18 Staaten Phase-III-Studien, vor allem in Lateinamerika, Südostasien und dem arabischen Raum. Mit 26 Staaten wurden bereits Abkommen über Impflieferungen geschlossen, 10 (siehe Karte 2, S. 8) haben chinesische Impfstoffe zugelassen (Stand: 18. Januar 2021). Zahlreiche weitere Staaten wollen einen chinesischen Impfstoff verwenden oder befinden sich in Vertragsverhandlungen.
Auch in diesem Fall geht es der chinesischen Führung darum, global als »verantwortungsvolle Großmacht« wahrgenommen zu werden. Dabei agiert sie wiederum bi- und multilateral. Am 18. Mai 2020 kündigte Xi Jinping in einer Rede vor der WHO in Genf an, China werde der Welt einen Impfstoff als »globales öffentliches Gut« kostengünstig zur Verfügung stellen. Das ist typische BRI-Rhetorik. Auch für die Seidenstraßeninitiative wird seit Jahren mit denselben Worten geworben. Präsident Xi versprach der WHO außerdem 2 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen Corona. Im Oktober trat Beijing der Impfstoffplattform COVAX bei, einer Initiative der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und Frankreichs, die für eine faire Impfstoffverteilung sorgen will.
Während bilaterale Hilfslieferungen die ersten Monate der Pandemie prägten, nutzt Beijing bei der Impfdiplomatie vermehrt China+x-Formate. Beijing verknüpft in diesen Formaten Impfversprechen mit der Aussicht auf wirtschaftliche Unterstützung und langfristige Kooperationsprojekte. Startpunkt war der »China-Afrika-Sondergipfel zur Solidarität im Kampf gegen Covid-19« (Juni 2020). Die chinesische Führung versprach eine bevorzugte Impfstofflieferung, einen »Schuldenerlass« sowie die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ende der Corona-Pandemie (etwa Hilfe bei Investitionen in die Digitalwirtschaft, die Förderung erneuerbarer Energien und den 5‑G-Ausbau). Einen Monat später richtete Beijing einen Gesundheitsgipfel mit den Staaten der Arabischen Liga aus. Auch hier stellte China neben der Impfkooperation eine Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen (im Rahmen der BRI) in Aussicht. Ebenfalls im Juli versprach Beijing den Staaten Lateinamerikas und der Karibik 1 Milliarde US-Dollar zur Anschaffung von Impfstoffen. Am 24. August erklärte Premierminister Li Keqiang, die Lancang-Mekong-Staaten hätten bei Impfstofflieferungen Priorität. Als Finanzierung brachte er einen »Public Health Fonds« ins Gespräch. Außenminister Wang Yi wiederum identifizierte im September die ASEAN als Impfstoffprioritätsregion. Ähnliche Versprechen (Impfpriorität und Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen) gab es im Rahmen des China-Pacific Island Forums. Im November führten hochrangige Vertreter Chinas und südasiatischer Staaten (Bangladesch, Nepal, Pakistan, Sri Lanka) Gespräche zum Impfthema.
Auffällig ist, dass das institutionell am weitesten fortgeschrittene 17+1-Format in Chinas Impfdiplomatie nur eine untergeordnete Rolle spielt. 2020 fanden lediglich zwei Webinare auf Staatssekretärsebene statt. Chinas Impfdiplomatie in Europa ist dagegen bilateral angelegt und richtet sich vor allem an Ungarn und Serbien.
Chinas Engagement in Lateinamerika und im arabischen Raum sticht besonders heraus. Diese Regionen haben in jüngster Zeit auch an Bedeutung im Rahmen der BRI gewonnen. Das neue »China-Pacific Islands«-Gesundheitskooperationsforum unterstreicht wiederum Chinas strategische Orientierung auf den Südpazifik.
Einschätzung
Die BRI ist nicht an Covid-19 gescheitert, wie einige Beobachter dies zu Beginn der Pandemie prophezeit hatten. Im Gegenteil, Beijing verknüpft den eigenen Beitrag zur Pandemiebekämpfung verstärkt mit dem BRI-Narrativ (z. B. Vorzüge globaler Konnektivität; Aufbau einer »Weltschicksalsgemeinschaft«). Mit einem hohen Maß an Flexibilität, starkem politischem Willen und dank einer logistisch günstigen Ausgangsposition konnte die BRI bislang den Krisentest bestehen.
Beijings Gesundheitsdiplomatie lässt die Funktionsweise und insbesondere die Flexibilität der Initiative erkennen. Gesundheit wurde quasi über Nacht von einem Rand- zu einem Kernthema der BRI. China aktivierte binnen kürzester Zeit weltweit BRI-Netzwerke. Die notwendige Infrastruktur stand bereits aus anderen BRI-Komponenten zur Verfügung. BRI-Eisenbahnverbindungen bzw. die sogenannte »Air Silk Road« (mit Knotenpunkten in Luxemburg und Lüttich) wurden in Versorgungslinien für Hilfsgüter umgewidmet. Nun steht die Verknüpfung auch der »Digitalen Seidenstraße« mit der Gesundheits-BRI auf der Agenda (etwa zur Erleichterung der Kontaktnachverfolgung). Institutionell kann Beijing dabei auf zahlreiche China+x-Mechanismen als Treiber der BRI zurückgreifen.
Während sich die USA anfangs größtenteils nicht an internationalen Hilfsmaßnahmen beteiligten, füllte China eine Lücke aus und stößt weiter in traditionelle Hinterhöfe US-amerikanischer Einflusszonen (Lateinamerika und arabischer Raum) vor.
Die in Deutschland und Europa verbreitete Auffassung, nach der Beijings Maskendiplomatie gescheitert sei, verkennt, dass China Erfolg in Ländern außerhalb Europas sucht und dort zusehends als verantwortungsvolle Großmacht wahrgenommen wird. Vielen Drittstaaten leistete Beijing effektiv und umfassend Hilfe.
Nach dem Ende der Pandemie könnte China seinen Einfluss in BRI-Schlüsselregionen weiter ausbauen. Denn Beijing agiert mit der (Gesundheits-)Seidenstraßeninitiative strategisch und weitsichtig. Seine Gesundheitsdiplomatie verknüpft Maßnahmen der Pandemiebekämpfung mit BRI-Versprechen (Wohlstand durch Konnektivität mit China). Um einem weiteren Zuwachs chinesischen Einflusses Chinas in strategischen Regionen entgegenzuwirken, müsste Europa Drittstaaten für die Zeit nach der Pandemie Angebote (politische Kooperation und wirtschaftliche Unterstützung) machen. Dafür besteht in Europa erheblicher Nachholbedarf. Das Bewusstsein für die geopolitischen Implikationen von Covid-19 ist unzureichend entwickelt.
Im globalen Impfstoffwettrennen sind chinesische Kandidaten bislang nicht als Vorreiter in Erscheinung getreten. Dabei gibt es aussichtsreiche chinesische Impfstoffe. Trotz aufkommender Zweifel an deren Wirksamkeitsgrad dürfte Beijing in den nächsten Monaten von nationalen Produktionskapazitäten profitieren und in der Lage sein, den globalen Süden mit Impfstoffen zu versorgen. Beijing plant, bis Anfang Februar 50 Millionen Personen im eigenen Land gegen Corona zu impfen. Angesichts dessen wäre es nicht überraschend, wenn chinesische Impfteams in den nächsten Monaten unter dem Banner der BRI in Entwicklungsstaaten entsendet werden.
Politische Entscheider in Deutschland und Europa sollten zur Kenntnis nehmen, dass Chinas Gesundheitsdiplomatie ebenso wie die gesamte BRI parallel auf mehreren Ebenen (bi- und multilateral, regional und global) betrieben wird. Darauf gilt es zu reagieren. Es ist geboten, auf multilateraler Ebene das Engagement zu verstärken (z. B. innerhalb der WHO) und, wo angebracht, mit China zu kooperieren (etwa im Rahmen der COVAX). Doch für sich genommen ist das unzureichend. Denn auf multilateraler Ebene hat Beijing in den letzten Jahren Chinas Einfluss massiv ausgeweitet (insbesondere innerhalb der WHO). Um dieser Ausweitung in Drittstaaten entgegenzutreten, wäre Deutschland und Europa zu empfehlen, ihr bilaterales Engagement ebenfalls zu verstärken. Regionale »EU+x-Formate« mit Staaten in strategisch relevanten Regionen (z. B. Indo-Pazifik oder Afrika) oder entsprechende, mit der neuen Biden-Administration in den USA koordinierte Maßnahmen wären denkbare Handlungsoptionen.
Moritz Rudolf ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien.
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doi: 10.18449/2021A05