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Amerikanische Energierevolution: Rückzug aus dem Nahen und Mittleren Osten?

In den USA vollzieht sich eine Energierevolution. Dass das Land deshalb sein Interesse am Nahen und Mittleren Osten verlieren wird, ist jedoch unwahrscheinlich, argumentieren Stormy-Annika Mildner und Kirsten Westphal.

Kurz gesagt, 08.02.2013 Research Areas

In den USA vollzieht sich eine Energierevolution. Dass das Land deshalb sein Interesse am Nahen und Mittleren Osten verlieren wird, ist jedoch unwahrscheinlich, argumentieren Stormy-Annika Mildner und Kirsten Westphal.

Die USA sind auf dem Weg, energieautark zu werden. Während das Land 2011 noch rund 18 Prozent seines Energiebedarfs durch Importe deckte, dürfte der Importanteil laut der U.S. Energy Information Administration (EIA) bis 2040 auf weniger als 10 Prozent sinken. Grund für diese optimistische Prognose sind neue Fördermethoden. Das Hydraulic Fracturing (Fracking) erlaubt es, auch solche Vorkommen wirtschaftlich zu erschließen, die zuvor nur sehr schwer zugänglich waren. Deswegen sind die USA mittlerweile zum weltweit größten Gasproduzenten noch vor Russland aufgestiegen. Infolge des steigenden Angebots ist der Gaspreis kräftig gefallen. Kostete Mitte 2008 eine Million British Thermal Unit (BTU) am "Henry Hub" noch knapp 13 US-Dollar, so lag der Preis Anfang Februar 2013 bei knapp über 3 US-Dollar.

Auch bei der heimischen Ölproduktion zeigt der Trend kräftig nach oben. 2011 produzierte das Land laut EIA 5,6 Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Damit lag es weltweit schon auf Platz drei der Ölproduzenten. Bis 2019 könnte die Produktion auf täglich 7,5 Millionen Barrel steigen.

Neid und Sorge in Europa

Europa schaut mit Neid, aber auch mit Sorge auf die Entwicklungen in den USA. Sinkende Energiepreise verbessern die Wettbewerbsfähigkeit des amerikanischen Produktionsstandortes. Unternehmen, die zuvor in Asien investierten, kehren in die USA zurück. Gerade energieintensive Branchen haben dort enormen Rückenwind durch die niedrigen Preise. Schon jetzt sorgen sich europäische Unternehmen, dass sie den Anschluss verlieren. Einen weiteren Anlass zu großer Besorgnis sehen Politiker diesseits des Atlantiks in den möglichen geopolitischen Veränderungen, die die Energierevolution in den USA nach sich ziehen könnte. Ein bislang noch unveröffentlichter BND-Bericht prognostiziert eine Neukartierung der geopolitischen Landkarte. Es überrascht nicht, dass sich jüngst die Münchner Sicherheitskonferenz dem Thema Energie und Geopolitik angenommen hat. Deutsche Politiker mutmaßten in München, dass die USA ihr Interesse am Nahen und Mittleren Osten verlieren werden, dort gar ein Machtvakuum entstehen könnte. Auf lange Sicht stünden die USA nicht mehr als Weltpolizisten in der Region bereit.

Diese Befürchtungen sind jedoch übertrieben. Zum einen ist der Supermachtstatus der USA untrennbar verbunden mit der Präsenz am Persischen Golf. Die enge Partnerschaft mit Israel sowie die prekäre Machtbalance und die Sorge um die Stabilität in der Region werden auch über aktuelle Krisen hinaus die USA in der Region binden. Daneben aber sprechen auch mindestens drei handfeste energiepolitische Gründe dagegen, dass sich die USA aus der Region zurückziehen werden.

Energiepolitische Gründe für weiteres US-Engagement

Der Schiefergas-Boom und der Preisverfall der letzten Jahre werden sich weder linear fortsetzen, noch lassen sie sich eins zu eins auf den Ölmarkt übertragen. Beim Öl ist es noch ein langer Weg bis zur Importunabhängigkeit, falls sie überhaupt je erreicht werden kann. 2011 deckten die USA 55 Prozent des heimischen Ölbedarfs mit eigener Produktion, 45 Prozent mussten importiert werden. Die Produktkette beim Öl ist schlicht eine andere. Ölraffinerien sind auf bestimmte Ölsorten ausgerichtet, die sie aus dem Ausland beziehen, so dass in den USA ein langfristiger und teurer Anpassungsprozess erfolgen müsste, wollte man von diesen Rohölimporten unabhängig werden.

Der Großteil der US-Ölimporte kommt zudem bereits heute - anders als von der Öffentlichkeit wahrgenommen - nicht aus dem Nahen und Mittleren Osten. 52 Prozent stammen aus den "Amerikas". Lediglich 22 Prozent beziehen die USA vom Persischen Golf. Die drei Toplieferanten der USA sind Kanada mit 29 Prozent gefolgt von Saudi Arabien mit 14 Prozent und Venezuela mit 11 Prozent. Sollte es also zutreffen, dass sich die USA mit sinkenden Importen immer weniger für die Region interessieren, hätte sich dies längst zeigen müssen. Zu beobachten ist ein solcher Trend bislang nicht.

Anders als die Märkte für Gas, die bislang weitgehend regional organisiert sind, ist der Ölmarkt ein globaler. Selbst wenn es den USA gelingen sollte, ihre Importe aus dem Nahen und Mittleren Osten vollständig zu substituieren, werden sie doch empfindlich für Ölpreisschwankungen bleiben. Ohnehin wird die US-amerikanische Ölproduktion bereits Mitte des nächsten Jahrzehnts wieder sinken, so die Prognose. Die Region am Golf aber wird mit Saudi Arabien, dem Irak und dem Iran in Zukunft die drei größten Erdölproduzenten beherbergen. Schon heute sind die saudischen Produktionskapazitäten das wichtigste Instrument, um Preis- und Mengenschwankungen auf den Ölmärkten auszugleichen.

Sowohl Europa als auch Asien werden weiterhin von den ölproduzierenden Ländern des Nahen und Mittleren Ostens abhängig bleiben. Die EU bezog 2011 laut Eurostat rund 18 Prozent ihrer Ölimporte aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die USA ihrerseits haben kein Interesse daran, dass es aufgrund von Lieferunterbrechungen oder starken Preisschwankungen zu wirtschaftlichen oder politischen Verwerfungen in ihren Partnerländern kommt. Dabei ist das amerikanische Engagement kein Altruismus: Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung der USA mit dem europäischen und asiatischen Markt bekommen die USA eine wirtschaftliche Schwäche wichtiger Handels- und Investitionspartner schnell zu spüren.

Die geopolitischen Veränderungen infolge der Energierevolution in den USA sollten nicht überschätzt werden. Allen Kassandrarufen zum Trotz haben die USA ein grundlegendes Interesse an sicheren und stabilen Ölmärkten und Transportrouten. Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass sie ihr Interesse am Nahen und Mittleren Osten verlieren werden.

Der Text ist auch auf Tagesspiegel.de erschienen.