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2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung: Mehr als eine Liste frommer Wünsche

Mit ihren 17 Zielen und 169 Unterzielen erscheint die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung überkomplex, ihre Umsetzbarkeit zweifelhaft. Tatsächlich stellt das Dokument jedoch einen Fortschritt dar, wie Marianne Beisheim anhand von fünf Aspekten erläutert.

Kurz gesagt, 23.09.2015 Research Areas

Mit ihren 17 Zielen und 169 Unterzielen erscheint die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung überkomplex, ihre Umsetzbarkeit zweifelhaft. Tatsächlich stellt das Dokument jedoch einen Fortschritt dar, wie Marianne Beisheim anhand von fünf Aspekten erläutert.

Am Wochenende werden die Staats- und Regierungschefs bei den Vereinten Nationen (VN) die »2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung« verabschieden. Sie enthält 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) mit 169 Unterzielen. Viele fragen sich, welchen Mehrwert diese Ziele bieten. Immerhin wird das Thema nachhaltige Entwicklung bereits seit dem Brundtland-Bericht in den achtziger Jahren diskutiert. Dieser inspirierte damals die Agenda-21, die die VN auf ihrem ersten Gipfel zu nachhaltiger Entwicklung beschlossen haben – vor über zwanzig Jahren. Wenn es nicht gelungen ist, die Agenda-21 oder auch die zehn Jahre später festgelegten Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) umfassend umzusetzen, warum sollten die SDGs zum Erfolg führen, die meist vage formuliert, nicht frei von Widersprüchen, teils überambitioniert und gleichzeitig unverbindlich sind? Auch wenn vieles besser sein könnte: Die 2030-Agenda und die SDGs haben eine neue Qualität. Die folgenden fünf Aspekte verdeutlichen die Fortschritte gegenüber den MDGs.

Ziele gelten für alle Länder

Erstens gelten die Ziele diesmal für alle Länder, nicht wie bisher nur für Entwicklungsländer. Dahinter steht der Anspruch, Armutsbekämpfung nicht mehr isoliert anzugehen. Stattdessen sollen Lebensstile weltweit in Richtung Nachhaltigkeit transformiert und menschenwürdige Lebensstandards für alle realisiert werden, ohne die Ressourcen unseres Planeten zu übernutzen. Es ist wenig überraschend, dass diese komplexere Vision auch zu einem längeren Zielkatalog geführt hat.

Bessere Integration der Ziele und höheres Ambitionsniveau

Zweitens ist es besser gelungen, die ökologische, ökonomische und soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung in alle Ziele zu integrieren und Wechselwirkungen angemessener abzubilden. So soll etwa eine nachhaltige Landwirtschaft nicht nur helfen, den Hunger zu beenden. Sie soll dabei auch Ökosysteme wie gesunde Böden und die biologische Vielfalt erhalten, sie soll Klimaveränderungen gewachsen sein, und sie soll für existenzsichernde Einkommen der Bauern sorgen. Außerdem folgen die Ziele zumindest teils einem menschenrechtlichen Ansatz. So soll bis 2030 extreme Armut beendet und der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung für alle ermöglicht werden. Menschenrechtsgruppen hatten argumentiert, dass diese Rechte nicht nur für einen Teil der Menschen angestrebt werden dürften – wie es noch bei den MDGs der Fall war. Weitere wichtige, aber bislang strittige Themen wurden aufgenommen, wie etwa Verteilungsgerechtigkeit oder gute Regierungsführung. So hat zwar die Anzahl der Ziele zugenommen, anders wäre jedoch kein Konsens über ein ambitioniertes Gesamtpaket zustande gekommen.

Breitere Mitbestimmung schafft Identifikation

Drittens fühlen sich die VN-Mitgliedstaaten den neuen Zielen viel stärker verpflichtet. Anders als bei den MDGs wurden die SDGs nicht von wenigen Experten festgelegt, sondern in einem dreijährigen, transparenten und auf Verständigung angelegten Prozess verhandelt und im Konsens beschlossen. Begleitet wurde dies von Konsultationsverfahren, und das nicht nur mit den in New York vertretenen Gruppen, sondern auch über Online-Plattformen, globale Kampagnen und nationale Dialogveranstaltungen. Zwar gab es auch diesmal das bei den VN übliche Gerangel um Formulierungen im Abschlussdokument, aber insgesamt hat dieser Prozess eine stärkere Identifikation der Staatenvertreter und vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen mit den Zielen geschaffen als je zuvor. Wenn Experten wie Björn Lomborg und Kollegen bemängeln, dass mit den von ihnen ausgewählten Zielen mehr pro eingesetztem Dollar zu erreichen wäre, dann übersehen sie völlig den Wert solcher Prozesse für die Umsetzung globaler Ziele in einer multipolaren Welt souveräner Staaten.

Umsetzungsfragen wurden mitverhandelt

Viertens wurden intensiver als je zuvor Fragen der Umsetzung gleich mitverhandelt. Von den 169 Unterzielen beschäftigen sich 62 mit den sogenannten »Mitteln zur Umsetzung«. Zwischen Nord und Süd gab es wie üblich die heftigsten Debatten über diese Fragen. Immerhin wurden aber im Rahmen der in Addis Abeba verabschiedeten Aktionsagenda zur Entwicklungsfinanzierung Kompromisse erzielt, etwa zu Fragen der geteilten Verantwortung für die Mittel oder zur Erleichterung des Technologietransfers. Zudem werden in beiden Agenden Umsetzungshindernisse explizit benannt. Dies betrifft sowohl strukturelle Probleme der globalen Finanz- und Handelssysteme als auch gewaltsame Konflikte oder Korruption. Nicht, dass hier bereits alle Lösungen auf dem Tisch lägen, aber immerhin haben es diese Themen ins Abschlussdokument geschafft, teils sogar mit Zielvorgaben.

Überprüfungsmechanismen sind Teil der Agenda

Fünftens schließlich legt die 2030-Agenda von Anfang an mehr Wert auf Folgeprozesse. Es dauerte lange, bis für die MDGs Indikatoren festgelegt wurden, anhand derer der Fortschritt bei der Zielerreichung überprüft werden konnte, und noch länger, bis die Ergebnisse im Rahmen eines Review diskutiert wurden. Diesmal ist das Thema »Follow-up and Review« gleich Teil der Agenda. So soll nicht nur jährlich Bilanz gezogen werden, es sollen auch die Ursachen mangelnder Fortschritte diskutiert und ein Austausch über erfolgreiche Umsetzungsstrategien organisiert werden. Auch national sollen die Regierungen gegenüber ihren Bürgern Rechenschaft ablegen. Zwar ist noch umstritten, wie genau diese Prozesse aussehen sollen, aber immerhin hat man sich auf wichtige Eckpunkte hierzu geeinigt.

Dies sind fünf gute Gründe, die 2030-Agenda und Ziele für nachhaltige Entwicklung ernst zu nehmen und mit ihnen zu arbeiten. Es gibt weitere – nicht zuletzt die drängenden Probleme selbst, die im Übrigen zu jenen Fluchtursachen zählen, die die Politik in diesen Tagen so dringend bekämpfen möchte. Nachdem die VN die Plattform geboten haben, die Ziele im Konsens zu verhandeln und zu verabschieden, ist es nunmehr an den Regierungen, sie umzusetzen. Es braucht Vorreiter-Allianzen, die das Momentum des Gipfels nutzen und überzeugende Politiken für die angestrebte Transformation auflegen. Das ist dann der Lackmustest für den Mehrwert der 2030-Agenda.

Der Text ist auch bei Zeit.de und EurActiv.de erschienen.